bwp@ 27 - Dezember 2014

Berufsorientierung

Hrsg.: Karin Büchter, H.-Hugo Kremer & Andrea Burda-Zoyke

„Ich muss mich noch informieren (lassen).“ Berufsorientierungsprozesse im Zusammenspiel von individuellem Handeln und institutioneller Unterstützung

Beitrag von Franciska Mahl, Tabea Schlimbach & Birgit Reißig
bwp@-Format: Forschungsbeiträge

Berufsorientierungsprozesse sind gekennzeichnet von einer Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten und -zwängen, die sich für Jugendliche vor dem Hintergrund struktureller Rahmungen ergeben. Junge Menschen sind gefordert, vorhandene berufliche Möglichkeiten mit ihren Fähigkeiten und Interessen zu spiegeln und in Auseinandersetzung mit einer wachsenden Anzahl begleitender Akteure geeignete Handlungsstrategien bei der Berufsorientierung zu entwickeln.

Der Beitrag zielt darauf ab, eine Binnensicht auf die Gestaltung und Reflexion von Berufsorientie­rungsprozessen junger Menschen zu liefern. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Ver­schränkung von wahrgenommener Eigenrolle mit den Rollenerwartungen an institutionelle Akteure. Auf Basis einer qualitativen Längsschnittstudie, die Übergangsprozesse von Haupt- und Realschul­absolventen über einen Zeitraum von drei Jahren untersucht, werden individuelle Überlegungen und Strategien bei der Berufsorientierung nachvollzogen. Weitgehend reibungslose Berufswahlprozesse werden verzögerten oder unabgeschlossenen Berufsorientierungsprozessen gegenübergestellt. Die Längsschnittperspektive wird der Tatsache gerecht, dass Berufsorientierungsprozesse oft nicht mit Beendigung der allgemeinbildenden Schule abgeschlossen sind und ermöglicht einen Blick auf die Dynamiken individueller Berufsorientierungsprozesse im weiteren Übergangsverlauf.

Die Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche korrespondierend mit der wahrgenommenen Eigenverant­wortlichkeit und Handlungsmächtigkeit bestimmte Rollenerwartungen an Institutionen entwickeln und diese auf verschiedene Weise in den Berufsorientierungsprozess einbinden.

“I still need some information.” Vocational orientation processes as an interaction between individual actions and institutional support

English Abstract

Vocational orientation processes and the taking of decisions are characterised by numerous options and constraints which emerge for young people against the backdrop of structural frameworks. Young people are called on to assess their abilities and interests in the context of available career options and to develop appropriate strategies for action in the vocational orientation process, during which they are accompanied by a growing number of other players.

The article’s aim is to provide an inside perspective on how young people shape, and reflect on, vocational orientation processes. The focus is on the interdependence of the adolescents’ own perceived role and expectations relating to the roles of institutional players. Based on a qualitative longitudinal study, which analyses the transition processes of Hauptschule and Realschule graduates over a period of three years, individual considerations and strategies in vocational orientation are presented. Fairly smooth career choice processes are compared with delayed or unfinished vocational orientation processes. The long-term perspective takes into account that vocational orientation processes are often not completed when students graduate from school and sheds light on the dynamics of individual vocational orientation processes in the further transition stages.

1 Einleitung

Nach wie vor spielt die Entscheidung für einen Beruf oder einen Tätigkeitsbereich eine wichtige Rolle in der Biographie junger Menschen. Über das Erwerbsleben werden für die Mehrheit der Bevölkerung Status sowie gesellschaftliche Teilhabe gesichert. Insofern hat eine getroffene Berufswahl oftmals langfristige und nicht selten lebenslange Konsequenzen. Sie hat eine identitätsstiftende Funktion und bestimmt mit über materielle Sicherheit und soziales Prestige. Damit erweist sich die Entscheidung darüber, welchen weiteren Bildungs- und Berufsweg Jugendliche einschlagen wollen, als eine zentrale Anforderung des Jugendalters. Dabei treffen junge Menschen auf eine komplexer gewordene Ausbildungs- und Arbeitswelt. Sie stehen einer schier unübersichtlichen Anzahl beruflicher Optionen und möglicher Zugangswege gegenüber. Zugleich unterliegen die Bildungswege einer gewachsenen Ausdifferenzierung. Auszeiten, Zwischenschritte und Umorientierungen werden zunehmend zur Normalität (Lex/Zimmermann 2011; Walther 2013; Stauber/Walther 2002).

Aus der Sicht der Jugendlichen lassen sich die Konsequenzen einer getroffenen Berufswahlentscheidung immer weniger absehen. Trotz der sich ändernden Rahmenbedingungen wird ihnen jedoch ein größeres Maß an Eigenverantwortlichkeit im Prozess der beruflichen Zukunftsplanung abverlangt. „Verschiedene Berufswahltheorien betonen, dass die Informationsgewinnung in einer sich vielfältig und rasch verändernden Arbeitswelt eine große Herausforderung für die Jugendlichen darstellt. Um zwischen ihren individuellen Voraussetzungen und der Vielfalt von Berufen und postobligatorischen Ausbildungsmöglichkeiten Entsprechungen erkennen zu können, sind die Jugendlichen sowohl auf personale wie auf soziale Ressourcen angewiesen“ (Wannack/Herzog/Neuenschwander 2005, 1).

Ob der gestiegenen Anforderungen bei der Planung des Ausbildungs- und Erwerbsweges ist das Thema der Berufsorientierung in den letzten Jahren ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt (Brüggemann/Rahn 2013; Mahl/Lippegaus-Grünau/Stolz 2010). Zum einen hat es in der praktischen Umsetzung von Prozessen der Berufsorientierung eine Reihe vielfältiger Entwicklungen gegeben. Es wurden beispielsweise Programme ins Leben gerufen, die insbesondere Schülerinnen und Schüler mit schlechteren Startchancen in diesem Prozess unterstützen sollen. Somit wird Berufsorientierung auch zu einer zentralen Aufgabe von Schulen und professionellen Akteuren[1]. Zum anderen hat auch die theoretische Auseinandersetzung mit Berufsorientierungsprozessen einen Aufschwung genommen (Hirschi 2013; Beinke 2012; Beinke 2013).

Analog zu jüngeren, am Agency-Konzept orientierten, Übergangstheorien (Schröer et al. 2013; Pohl/Stauber/Walther 2011; Furlong 2013) kann auch für die Prozesse der beruflichen Zukunftsgestaltung ein Verständnis von Jugendlichen als Akteure ihrer eigenen Berufsbiografie beobachtet werden, die im Rahmen struktureller Gegebenheiten und unter Einbindung externer Akteure unterschiedliche Entscheidungen treffen. Der vorliegende Beitrag möchte die Forschungslücke schließen helfen, die sich in der Verschränkung von selbstinitiierten und selbstbestimmten mit durch institutionelle, professionelle Akteure unterstützten Berufsorientierungsprozessen beobachten lässt. Auf der Basis einer qualitativen Längsschnittstudie sollen Berufsorientierungsprozesse sowie die tatsächlichen beruflichen Bildungs- und Ausbildungswege betrachtet werden, wobei die Wechselwirkungen von individuellem Handeln und institutionellen Einflüssen aus Sicht der Jugendlichen in den Blick genommen werden.

2 Hintergrund

Empirische Befunde haben gezeigt, dass das Vorhandensein beruflicher Zukunftsperspektiven sowie konkreter Berufswünsche am Ende der Schulzeit einen längerfristig wirkenden Einfluss auf den weiteren Bildungs- und Ausbildungsverlauf von Jugendlichen hat. So haben Schulabsolventinnen und -absolventen mit Hauptschulbildung ohne konkrete Berufswünsche oder berufliche Zukunftspläne ein deutlich größeres Risiko in prekäre Übergangsverläufe zu geraten (Gaupp et al. 2011). Dies unterstreicht noch einmal die wichtige Rolle beruflicher Orientierung. Allerdings ist festzustellen, dass trotz der gestiegenen Aufmerksamkeit, die Berufsorientierungsprozesse auch in theoretischen Auseinandersetzungen erfahren haben, sich kaum ein einheitliches Verständnis von beruflicher Orientierung ausmachen lässt. Zumeist werden jedoch beide Seiten, die der Jugendlichen und die der Arbeitswelt, in den Blick genommen, so auch in folgender Bestimmung: „Berufsorientierung lässt sich definieren als ein lebenslanger Prozess der Annäherung und Abstimmung zwischen Interessen, Wünschen, Wissen und Können des Individuums auf der einen und den Möglichkeiten, Bedarfen und Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt auf der anderen Seite“ (Butz/Deeken 2014, 101).

In der theoretischen Debatte um Berufsorientierungsprozesse wird das Verhältnis zwischen individuell bestimmten Entscheidungen und gesellschaftlich-strukturell bestimmten Einflussfaktoren (u. a. Ressourcenausstattung oder arbeitsmarktliche Rahmenbedingungen) immer wieder ausgelotet (Oechsle et al. 2009; Schober 1997). Dabei finden sich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen (Müller 2009). So konzentrieren sich entwicklungspsychologisch ausgerichtete Ansätze auf die individuellen Interessen sowie die Ausprägung bzw. Entwicklung von Fähigkeiten, Bedürfnissen oder das Selbstkonzept. Soziologische Ansätze betonen die soziostrukturellen Faktoren (z. B. Geschlecht, soziale und ethnische Herkunft), die Berufsorientierungs- und Bildungsprozesse beeinflussen. Eine dritte – makrosoziologische – Ausrichtung sieht berufliche Orientierungsprozesse insbesondere durch die äußeren Rahmenbedingungen – v. a. des Arbeitsmarktes – geprägt. Ebenfalls finden sich Richtungen, die diese Ansätze miteinander zu kombinieren versuchen. Die Berufswahl wird sowohl von persönlichen als auch von ökonomischen und sozialen Determinanten beeinflusst. „Grundsätzlich betrachten wir die berufliche Orientierung somit als aktiven und konstruktiven Prozess, der aus den Lernerfahrungen und Wahrnehmungen Jugendlicher hervorgeht und sich in einem unterschiedlich offenen Raum von Möglichkeiten abspielt“ (Müller 2009, 37f.). Diesem „soziokognitiven Modell der beruflichen Orientierung“ (Müller 2009, 38) ist auch empirisch ein hohes Maß an Gültigkeit nachgewiesen worden.

Weitere Zugänge zum Thema der Berufsorientierung behandeln vor allem deren Prozesscharakter. Übereinstimmend wird dabei der Berufswahlprozess bei Jugendlichen als in verschiedenen Phasen und in zunehmender Fokussierung ablaufend bestimmt. Unterschieden werden etwa in den entwicklungstheoretischen Ansätzen aufeinander aufbauende Phasen der Exploration, der Kristallisation und der Spezifikation (Bulmahn 2007, 21). Andere Modelle unterscheiden die Phasen diffuse Berufsorientierung, Konkretisierung des Berufswunsches, Suche nach einem Ausbildungsplatz, Konsolidierung der Berufswahl, Berufsausbildung und Eintritt ins Berufsleben (Wannack/Herzog/Neuenschwander 2005, 2ff.).

Andere Untersuchungen zeigen, dass in verschiedenen Phasen der beruflichen Orientierung auch unterschiedliche Personen und Institutionen einen wichtigen Bezugspunkt und Einfluss darstellen. Aus Sicht der Jugendlichen werden innerhalb der Schulzeit vor allem die Eltern sowie weitere Familienmitglieder des Nahraums als wichtigste Personen benannt. Im weiteren Verlauf von Orientierungsprozessen übernehmen Peers, Lehrkräfte oder professionelle Akteure (z. B. Berufsberater der Bundesagentur für Arbeit oder Berufsbegleiter) Beratungsfunktionen. So werden Akteure unterschiedlichen Räumen zugeordnet: dem privaten Bereich, dem Nahbereich und dem öffentlichen Raum (Pelka 2010a und 2010b; Genrich/Pelka 2012). Aktives Suchen (beispielsweise über die Angebote der Bundesagentur für Arbeit oder direkt im Internet) wird oftmals erst in einer späteren Phase sowie stärker durch Jugendliche höherer schulischer Bildungsgänge praktiziert (Beierle 2013; Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2011).

„Die soziologische Lebenslaufforschung bezeichnet Akteurlnnen, v. a. Institutionen und Fachkräfte sozialer und erzieherischer Berufe, die quasi als Pförtnerinnen an den zentralen Übergängen postiert sind, als ‚Gate-Keeper‘ (Heinz 1992; Behrens/Rabe-Kleberg 2000). Sie haben die Aufgabe, die Individuen durch diesen Übergang zu geleiten und gleichzeitig sicher zu stellen, dass sie dort landen, wo sie entsprechend der gesellschaftlichen Arbeitsteilung nach Alter, Geschlecht, Zugehörigkeit oder Bildung auch landen sollen“ (Walther 2013, 20). Gatekeeper können für junge Menschen im Prozess der beruflichen Orientierung sowie der Realisierung von Bildungs- und Ausbildungswegen Türen öffnen, aber auch verschließen. Die Rolle von Gatekeepern wird vorrangig in Bezug auf institutionelle Akteure diskutiert (vgl. v.a. Struck 2001). Zunehmend gerät aber auch die Gatekeeperrolle von Personen des sozialen Nahbereichs, vor allem von Familienmitgliedern, in den Fokus (Behrens/Rabe-Kleberg 2000; Gaupp 2013).

Im Prozess der Berufsorientierung sind Gatekeeper darauf angewiesen, „dass Individuen sie als Ko-Produzentlnnen für ihre subjektive Lebensbewältigung und Identitätsarbeit nutzen, die sie damit gleichzeitig beeinflusst und prägt“ (Walther 2013, 21). Bezüglich der Wahrnehmung und Beurteilung institutioneller Angebote durch Jugendliche wird allerdings eine Forschungslücke konstatiert (vgl. u. a. Oechsle 2009, 25f.).

Diesen Überlegungen folgend, steht die Rezeption und Verarbeitung institutioneller Einflussnahme im Mittelpunkt der folgenden Analysen. Es wird analysiert, wie Jugendliche selbst die Rolle von Institutionen vor dem Hintergrund der eigenen Funktionszuschreibung definieren und welchen Raum sie ihnen im eigenen Übergangsgeschehen geben. Folgende Fragestellungen sollen dabei betrachtet werden:

  • Welche Aufgabe weisen Jugendliche im Berufsorientierungsprozess Institutionen vor dem Hintergrund der wahrgenommenen Eigenrolle zu?
  • Wie wird die institutionelle Einflussnahme reflektiert?
  • In welcher Weise greifen Jugendliche auf institutionelle Unterstützung zurück und wie binden sie diese in ihren Orientierungsprozess ein?

3 Daten und Methode

Bei der vorliegenden Analyse wurde auf Daten einer laufenden qualitativen Längsschnittuntersuchung[2] zurückgegriffen, in der Haupt- und Realschulabsolventen einer westdeutschen Großstadt zu ihren Handlungsstrategien beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung befragt wurden.

In drei jährlichen Befragungswellen (2012: n=92; 2013: n=55 und 2014: n=33) wurden mit Jugendlichen problemzentrierte Interviews durchgeführt (Witzel/Reiter 2012; Witzel 2000). Die Befragungsteilnehmer mit und ohne Migrationshintergrund waren bei der ersten Befragung zwischen 16 und 20 Jahre alt. Die Wahl prozessbegleitender Interviews (vgl. Dimbath 2012) ermöglicht es, „einen mutmaßlichen Prozess aufeinander bezogener und ineinander verketteter Handlungen zu begleiten“ und Entwicklungsverläufe von Berufsorientierungsprozessen über den allgemeinbildenden Schulabschluss nachzuvollziehen.

In die vorliegende Analyse wurden 33 Jugendliche (14 weibliche und 19 männliche, 10 Haupt- und 23 Realschulabsolventen) einbezogen, die an allen Interviewwellen teilgenommen hatten. Die Auswertung der qualitativen Interviews erfolgte in Anlehnung an Hopf et al. (1995). Zunächst wurden deduktive und induktive Kodierkategorien entwickelt und das Datenmaterial computergestützt kodiert. Die Kodierkategorien orientierten sich am Kapitalienansatz von Bourdieu (1983) mit der Unterscheidung von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital sowie an einem in der Längsschnittforschung entwickelten heuristischen Handlungsmodell bestehend aus den Elementen Aspirationen, Realisierungen und Bilanzierungen (ARB-Modell, vgl. Witzel/Kühn 2000). Ergänzend wurden induktive Kategorien aus dem Material selbst entwickelt, die im Zusammenhang mit der Fragestellung standen (z.B. wahrgenommene eigene Handlungsmacht).In einem nächsten Schritt wurden in einer vergleichenden fallübergreifenden Analyse Muster in den Wahrnehmungen und Handlungsstrategien im Kontext von Berufsorientierungsprozessen herausgearbeitet, erneut am empirischen Material geprüft und schließlich anhand von vertiefenden Fallanalysen in ihrer biografischen Einbettung und längsschnittlichen Dynamik dargestellt.

4 Ergebnisse

In der Übergangsberatung „stehen die zum Teil noch unbestimmten individuellen Such- und Orientierungsprozesse Jugendlicher, die für den Übergang von der Schule ins (Berufs-)Bildungssystem charakteristisch sind, im Vordergrund und verlangen ein unterschiedlich hohes Maß an Begleitung, Unterstützung und Orientierungshilfe“ (Walter/Hirschfeld 2013, 115). Institutionelle Akteure übernehmen neben weiteren begleitenden Akteuren verschiedene Funktionen in diesen Prozessen. Gaupp hat sieben Funktionen von privaten und institutionellen Interaktionspartnern identifiziert: Türöffner und Türschließer, Motivierung und Demotivierung, sicherer Hafen, Ratgeber und Tandempartner (2013).

Im vorliegenden Kontext interessieren uns Institutionen, also im Sinne der von Behrens/Rabe-Kleberg vorgenommenen Typisierung Organisationsangehörige und -repräsentanten (Behrens/Rabe-Kleberg 2000, 110), die von den Jugendlichen als bedeutungsvoll für den eigenen Berufsorientierungsprozess reflektiert werden. Wie Institutionen diese Prozesse beeinflussen, hängt auch von der Art und Weise ab, wie Jugendliche Beratungsangebote und Entscheidungen institutioneller Akteure bewerten und damit umgehen. Bei der Analyse der diesbezüglichen Begründungszusammenhänge in den Interviewaussagen wird deutlich, dass Jugendliche korrespondierend mit der eigenen Rollenwahrnehmung bestimmte Funktionszuschreibungen an Institutionen und daraus resultierende Bewertungen institutioneller Aktivitäten zeigen, die sich in ihren Berufswahlstrategien in unterschiedlicher Weise niederschlagen.

Zunächst werden die für die Funktionszuschreibungen zentral verantwortlichen Dimensionen der Berufsorientierung auf Einstellungs- und Handlungsebene vorgestellt. In einem nächsten Schritt werden die Rollenerwartungen an Institutionen und die wahrgenommene Eigenrolle zu drei Formen korrespondierender Funktionszuschreibungen zusammengeführt und anschließend anhand zweier Fallanalysen illustriert.

4.1 Relevante Dimensionen der Berufsorientierung für die Entwicklung korrespondierender Funktionszuschreibungen

Die Jugendlichen unseres Samples haben im Zuge ihrer beruflichen Orientierung sehr divergierende Erwartungen an begleitende Institutionen. Diese Unterschiede lassen sich auf eine Reihe von Dimensionen auf Einstellungs- und Handlungsebene zurückführen (vgl. hierzu auch die von Bußhoff genannten persönlichen und Umweltfaktoren, ders. 1998), die die Grundlage für die Entwicklung von korrespondierenden Funktionszuschreibungen gebildet haben und hier zunächst vorgestellt werden sollen.

Auf der Einstellungsebene (Haltungen, Bewertungen, Motivationen) ist es zunächst die wahrgenommene eigene Handlungsmacht, vor deren Hintergrund Jugendliche Institutionen ihren Platz im eigenen Berufswahlprozess zuweisen. Die Bewertung der eigenen Spielräume offenbart sich unter anderem in der Einschätzung der Ausbildungsplatzlage, in der Bewertung der rahmenden Strukturen und der empfundenen Einflussmacht weiterer Akteure.

Eng verknüpft mit dieser Einschätzung des eigenen Aktionsraumes ist die Verantwortungszuschreibung für Übergangsereignisse. So führen manche Jugendliche beispielsweise das Scheitern eines Berufswunsches auf strukturelle Barrieren, Ausbildungsmarktbedingungen oder mangelnde Unterstützung zurück, während andere ihre Bildungsressourcen verantwortlich machen oder Handlungsbedarf beim Abgleich der eigenen Fähigkeiten und Wünsche mit den verfügbaren Optionen sehen. Ausgehend von diesen Zuschreibungen sehen die Jugendlichen für bestimmte Aufgaben vor allem sich selbst und für andere Aufgaben eher die Institutionen oder sonstige Akteure in der Pflicht.

Auf der Handlungsebene sind die Be- und Verwertungsmodi institutioneller Unterstützung zunächst eingebettet in Berufsorientierungsstrategien wie den Zeitpunkt der Berufswahl und die Reflektiertheit von Berufswünschen, die Einbindung von Praxiserfahrungen und Auswahlstrategien. Je nachdem, inwiefern beispielsweise Jugendliche selbst bereits klare Vorstellungen haben oder ob sie eher sich bietende Gelegenheiten wahrnehmen, sind sie für institutionelle Vorschläge verschieden empfänglich, nehmen sie an oder wenden sich von ihnen ab. Eine für die Frage nach der institutionellen Rolle zentrale Berufsorientierungsstrategie bezieht sich auf die Suche nach und den Umgang mit Informationen. Dazu gehört der Informationsstand zu beruflichen Möglichkeiten und deren Zugangsvoraussetzungen, aber auch das Wissen um die Verfügbarkeit und Einbindung verschiedener Informationsquellen und die Überprüfung von Informationen. Entsprechend werden Institutionen als Informationsinstanzen unterschiedlich wahrgenommen und genutzt.

Wie bedeutend Institutionen für individuelle Berufsorientierungsprozesse werden, hängt nicht zuletzt von den weiteren begleitenden Akteuren der Jugendlichen in dieser Phase ab. So sind Familienmitglieder und Peers zentrale Ansprechpartner und Referenzfiguren für die berufliche Verortung Jugendlicher. Inwiefern sie verfügbar sind und welchen Raum Jugendliche diesen Akteuren im eigenen beruflichen Orientierungsprozess geben, bestimmt institutionelle Spielräume entscheidend mit. „Je nachdem welche anderen Unterstützungsleistungen und Beratungen verfügbar sind, reiht sich die Übergangsberatung in dieses Netzwerk ein“ (Walter/Hirschfeld 2013, 127).

4.2 Eigene Rollenwahrnehmung und institutionelle Rollenerwartung:
Korrespondierende Funktionszuschreibungen

Mourad, ein Jugendlicher unseres Samples (siehe erstes Fallbeispiel unten) hat metaphorisch den Begriff des Puzzles verwendet, um das Zusammenspiel von eigenem Handeln und dem Handeln institutioneller Akteure zu illustrieren. Die Puzzlemetapher ist gut geeignet, um die Dualität der Funktionszuschreibungen zu verdeutlichen. In den Interviews kommt zum Ausdruck, dass die Jugendlichen unterschiedliche Vorstellungen davon haben, welche Puzzlestücke Institutionen zu liefern haben und für welche sie selbst zuständig sind. Entsprechend werden institutionelle Hilfepotenziale bewertet und verwertet. Im Folgenden werden die Funktionszuweisungen der Jugendlichen unseres Samples an die Institutionen entlang der zuvor beschriebenen Dimensionen charakterisiert und im Sinne von drei korrespondierenden Funktionszuschreibungen an der sich selbst zugewiesenen Rolle gespiegelt.

4.2.1 Institutionen als Informanten und anlassbezogene Unterstützer

Jugendliche, die sich hier verorten lassen, sehen sich selbst als handlungsmächtige Designer ihrer Wege. Sie haben (oft auf der Basis einer frühzeitigen Berufsorientierung) klare Vorstellungen von ihren beruflichen Zielen. Dabei greifen sie unter Nutzung eines breiten Informationspools gezielt auf das Wissen institutioneller und privater Akteure sowie das Internet zurück. Sie sehen sich primär in der Verantwortung, sich aktiv zu beruflichen Möglichkeiten zu informieren und ihre Wünsche mit ihren persönlichen Voraussetzungen und den sich bietenden Ausbildungsmarktchancen zu reflektieren. Wie der überwiegende Teil der Interviewpartner bewerten auch diese Jugendlichen die Ausbildungsplatzlage eher kritisch, aber nehmen die Vielfalt der heutigen Arbeitswelt auch als Chance wahr und sehen einen möglichen Platz darin für sich. Wenn die gewünschten Wege verschlossen sind, orientieren sie sich um und verfolgen einen häufig parallel existierenden Plan B.

Institutionelle Akteure werden als kompetente Informanten verstanden und frühzeitig und anlassbezogen (z. B. zu Beginn der Berufsorientierung, bei anstehenden Wechseln, Umorientierungen und drohenden Brüchen) eingebunden. Dabei verlassen sich diese Jugendlichen nicht auf institutionelle Ratschläge, sondern reflektieren sie mit eigenen Überlegungen, binden beruflich als kompetent bewertete Personen des privaten Netzwerks ein und nutzen die Wege anderer Jugendlicher als Referenzrahmen. Zu diesem Funktionspaar lassen sich auch einige Jugendliche zuordnen, die über begrenzte familiale Ressourcen verfügen, beispielsweise weil ihre Eltern eine Zuwanderungsgeschichte haben und dadurch nicht über eigene Erfahrungen mit dem deutschen Berufssystem verfügen. Hier nutzen die Jugendlichen Institutionen gezielt zur Kompensation dieser Ressourcenlücken. Darüber hinaus belegen Jugendliche dieses Funktionspaars oft zusätzlich zu den schulischen Pflichtpraktika freiwillige Praktika oder Probetage, um ihre Berufswünsche an der Arbeitsrealität zu überprüfen.

Großteils zeigen diese Jugendlichen stabile Verläufe und bleiben im gewählten Berufsfeld oder entwickeln sich dort beruflich weiter (beispielsweise durch ein einschlägiges Fachstudium). Teilweise werden aber auch nach erfolgtem Berufsabschluss noch einmal berufliche Veränderungen angestrebt, oder nach Abbrüchen (die oft in der mangelnden Passfähigkeit mit eigenen Vorstellungen begründet liegen) werden Umorientierungen nötig, bei denen Institutionen wieder verstärkt eingebunden werden.

4.2.2 Institutionen als Wegweiser und Begleiter

Jugendliche, die zu dieser Funktionszuschreibung an Institutionen tendieren, haben anfangs oft keine oder nur unspezifische, unausgereifte berufliche Vorstellungen. Entweder sind für sie zum üblichen Zeitpunkt schulischer Berufsorientierung entsprechende Fragen noch nicht relevant, oder sie sind überfordert mit den an sie gestellten Orientierungsanforderungen, wobei ihre Kenntnisse zu möglichen Wegen beschränkt sind und auf Peerbeobachtungen sowie auf den Aussagen privater und institutioneller Akteure basieren. Informationsdefizite werden eher im persönlichen Austausch und weniger durch eigene Recherchen zu schließen versucht. Teilweise kommt es auch vor, dass begleitende Problemlagen (Krankheit, Konflikte in der Familie) berufliche Fragen stören oder in den Hintergrund drängen.

Eigene Handlungsspielräume beurteilen diese Jugendlichen als eher eingeschränkt. Dazu trägt eine pessimistische Einschätzung der Ausbildungsmarktlage und der teilweise als unfair empfundenen (institutionellen) Verteilungsmechanismen sowie eine ungünstige Prognose der eigenen Platzierungschancen, vor allem angesichts von als unzureichend eingeschätzten eigenen schulischen Leistungen, bei.

Bei vielen dieser Jugendlichen zählt „Hauptsache Ausbildung“. Sie verlassen sich auf Gelegenheitsstrukturen im sozialen Nahraum oder treffen Ausschlussentscheidungen. Sie entwerfen und verwerfen verschiedene, teilweise inkonsistente Ideen und treffen oft erst unter dem Druck drohender Anschlusslosigkeit späte Entscheidungen. Der erstrebte Ausbildungsstatus stellt Fragen der Passfähigkeit beruflicher Wege mit eigenen Interessen in den Hintergrund. Andere Jugendliche entscheiden sich für den weiteren Schulbesuch, um Chancen zu verbessern, um den Bewerbungsbarrieren des Ausbildungsmarktes auszuweichen oder um sich im Sinne einer Verzögerungstaktik von Entscheidungsdruck zu entlasten.

Jugendliche, die sich hier verorten lassen, greifen Impulse von außen bereitwillig auf, wobei Hilfe oft erst spät und bei akutem Handlungsdruck angefragt wird. Sie sehen Institutionen als wissensmächtige Wegweiser, von denen sie sich konkrete berufliche Vorschläge erhoffen. Darüber hinaus erwarten sie Einmündungshilfen, wenn Eigenbemühungen keine berufliche Anschlussposition gebracht haben, sowie intensive Begleitung bei Problemen im Übergang. An Arbeitgeber richten sie den Appell, auch Jugendlichen mit schlechteren schulischen Startbedingungen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen. Institutionen wirken teilweise als Korrektive unrealistischer Berufsvorstellungen und Berufsvorbereitungsmaßnahmen fungieren als Auffangmaßnahmen. Sich selbst sehen die Jugendlichen eher in der Rolle des Empfängers und darin, Vorschläge umzusetzen und sich dabei leistungsbereit zu zeigen.

Familienmitglieder sind auch für diese Gruppe sehr wichtig und übernehmen bei manchen Jugendlichen die dominierende Wegweiserrolle. Gleichzeitig kommt die bereits im vorigen Funktionspaar angesprochene kompensatorische Rolle von Institutionen für mangelnde familiale Unterstützungspotenziale auch hier wieder zum Tragen. Jugendliche, die zu diesen Zuschreibungsmodi tendieren, weisen Familienmitgliedern und Institutionen eine hohe Informationsmacht zu und tendieren zu stark unhinterfragter Übernahme von Vorschlägen im Vertrauen darauf, dass die Akteure für sie die passfähigen Optionen auswählen.

Die anschließenden, oft stark institutionengesteuerten Verläufe zeigen, dass diese Strategien teilweise zu prekären Situationen führen (z. B. Nichteinmündung, Abbrüche), weil spätestens anhand der Praxiserfahrungen in der Ausbildung unreflektiert beschrittene Wege korrigiert werden. Auch gefährdete Schulabschlüsse lassen bisherige berufliche Pläne scheitern. So kommt es häufig zu einer der Schulzeit nachgelagerten und erneuten Berufsorientierungsphase. Es zeigt sich, dass viele Jugendliche bei diesem zweiten Anlauf reflektierter entscheiden, vergleichbar mit dem ersten Funktionspaar ihr bereits erworbenes Wissen zu Ausbildungssystemen gezielt erweitern und externe Vorschläge kritischer spiegeln, wobei nun auch verstärkt das Internet als Quelle genutzt wird. Die Jugendlichen bleiben weiter in hohem Maße kompromissbereit und münden häufig in mit Arbeitsmarktvoraussetzungen kompatiblere Alternativwege ein. Von diesen „Spätstartern“ sind diejenigen Jugendlichen zu unterscheiden, die auch im zweiten Anlauf in einer passiven Rolle verbleiben. Dort verläuft die Neuorientierung unspezifisch, eine Einmündung in den Ausbildungsmarkt ist zum letzten Befragungszeitpunkt größtenteils nicht erfolgt.

4.2.3 Institutionen als marginale Akteure

In den bisherigen Funktionszuschreibungen werden Institutionen umfassende Aufgaben und Verantwortlichkeiten zugeschrieben. Das ist beim hier darzustellenden Funktionspaar anders. Hier liegt die Verantwortungswahrnehmung auf eigenen Bemühungen und privaten Akteuren, während an Institutionen keine oder nur sehr punktuell Unterstützungserwartungen formuliert werden, was sich aber nicht zwangsläufig auf alle Institutionen, sondern teilweise nur auf einzelne Akteure bezieht.

Die Gruppe dieser Jugendlichen ist sehr heterogen bezüglich der dargestellten Aspekte der Berufsorientierung. So gibt es Jugendliche, die angesichts einer sehr klaren Berufsorientierung und eines problemlosen Übergangs (beispielsweise Einstieg in den Familienbetrieb), oft gekoppelt mit kompetenten Unterstützern des privaten Umfelds, nicht auf Institutionen angewiesen sind. Gründe für eine Abwendung von Akteuren können aber auch enttäuschte Rollenerwartungen oder Negativerfahrungen mit Institutionen sein. Ein Beispiel sind Jugendliche, die zu Beginn des Übergangs im Sinne des zweiten Funktionspaars stark adaptiv waren und sich später ablehnend verhalten, wenn sich die Strategie des Verlassens auf Institutionen nicht als erfolgreich erweist. Die nachgelagerte Berufsorientierung erfolgt dann ohne Rückgriff auf Institutionen unter stärkerer Aktivierung persönlicher Ressourcen und Netzwerke. Eine schwer zu erfassende Gruppe sind diejenigen, die Hilfebedarf signalisieren, aber nicht wissen, an welche Adressaten sie ihn richten sollen und schon im Hilfesuchprozess an der „unübersichtlichen Vielfalt institutionalisierter beraterischer Antwortmöglichkeiten“ (Weinhardt 2013, 39) scheitern. Zudem lockern sich mit der biografischen Entfernung von Schule die Berührungspunkte zu Institutionen, die in nachgelagerten Orientierungsprozessen dann als potenzielle Unterstützungsinstanzen für Jugendliche weniger sichtbar oder schwerer greifbar sind. Jugendliche unseres Samples, die sich von Institutionen abwenden, haben teilweise auch Diskriminierungserfahrungen gemacht oder Institutionen als „Türschließer“ erlebt, z. B. durch Schullaufbahnempfehlungen von Lehrkräften.

Die dargestellten Funktionszuschreibungen spiegeln zunächst den Erwartungshorizont der Jugendlichen an Institutionen wider und entsprechen nicht zwangsläufig den im Berufsorientierungsprozess tatsächlich eingenommenen Rollen von Institutionen. Es zeigt sich, dass vor allem Jugendliche, die Institutionen gezielt und anlassbezogen einbinden, institutionelle Hilfe positiv einschätzen. Sie berichten von zielführender Berufsorientierung, die insbesondere die Information zu Optionen, Zugangsmodi und Chancen, die Vermittlung von Praxiserfahrungen und Kontakten, aber auch Möglichkeiten des Interessen- und Kompetenzassessments beinhaltet. Andere schätzen Institutionen als Impulsgeber, als Moderatoren zwischen eigenen Orientierungen und verfügbaren Optionen und als Auffangnetze (z. B. durch vorbereitende Maßnahmen).

Negative Beurteilungen von institutionellem Handeln finden sich vermehrt, aber nicht ausschließlich, bei den Jugendlichen des zweiten Funktionspaars, die aufgrund eigener diffuser Orientierungen umfassende Unterstützung einfordern. Hierbei ist zu beachten, dass sie die Rolle der Institutionen auch unter dem Eindruck der eigenen problematischen Verläufe betrachten. Sie berichten unter anderem von fehlgeschlagener oder unzureichender Berufsorientierung, von fehlenden Anlaufstellen, von Cooling-Out-Prozessen (vgl. u. a. Skrobanek/Kuhnke 2010), von institutionellen Barrieren und verwehrten Zugängen. Auch für die in der Literatur stark präsente Problematik institutioneller Diskriminierung (vgl. u. a. Neuenschwander/Grunder 2010; Hormel/Scherr 2010) finden sich in unserem Sample Beispiele.

Diese negativen Erfahrungen führen teilweise dazu, dass sich Jugendliche institutionellen Ratschlägen widersetzen oder sich im Sinne des zuletzt beschriebenen Funktionspaars sogar vollständig abwenden. Ein Teil der Jugendlichen setzt dennoch weiterhin auf institutionelle Begleitung und bleibt stark adaptiv.

Die in diesem Kapitel dargestellten drei Formen von Funktionszuschreibungen sind das Ergebnis einer systematischen, fallübergreifenden Annäherung an die Rolle institutioneller Akteure im Übergangsgeschehen. Sie sollen im Folgenden anhand von zwei vertiefender Fallanalysen veranschaulicht werden. Diese Einzelfallbetrachtungen ermöglichen es außerdem, die Haltungen und Bewertungen der Jugendlichen bezüglich begleitender Institutionen und daraus folgende Handlungsumsetzungen in ihren berufsbiografischen Kontext zu stellen und, insbesondere im zweiten Fallbeispiel, in ihrer längsschnittlichen Dynamik zu betrachten.

4.3 Fallanalysen

4.3.1 Mourad – „gibt man sozusagen das fehlende Puzzle-Teil immer dazu!“

Im folgenden Fallbeispiel von Mourad nehmen Institutionen im Sinne der ersten oben genannten Form korrespondierender Funktionszuschreibungen in der Berufsorientierungsphase eine ergänzende Rolle als Unterstützer ein, während der Jugendliche als Hauptakteur seiner Bildungsbiografie berufliche Orientierungsprozesse überwiegend selbst gestaltet.

Im Alter von drei Jahren zog Mourad mit seiner Familie von Marokko nach Deutschland. Nach der Zuwanderung ging sein Vater zeitweise einer ungelernten Erwerbsarbeit nach, während die Mutter Hausfrau war. Beim ersten Interview ist Mourad 18 Jahre alt und lebt zusammen mit seinen Eltern und mehreren jüngeren Geschwistern in einer deutschen Großstadt.

Mourad setzt sich bereits frühzeitig im 7. und 8. Schuljahr intensiv mit beruflichen Fragen auseinander und entwickelt konkrete Vorstellungen. „Also was mir dann auf jeden Fall klar wurde, also ich wollte auf jeden Fall so Richtung, also in die Wirtschaft rein, sprich: Bankkaufmann, Bürokaufmann, also in der Richtung. Ja, also war mir halt viel früher bewusst, also auch als bei meinen Freunden, […] die haben sich halt über ganz andere Dinge Sorgen gemacht“ (2476_1_7). An diese beruflichen Vorstellungen schließen sich erste Überlegungen zu den notwendigen Umsetzungsschritten an. „Ich will einen guten Beruf später haben. Ja. Und deswegen hab ich gesagt, um einen guten Beruf später zu haben, was mache ich da am besten? Ja, erst mal den Realschulabschluss natürlich sehr gut!“ (2476_1_189).

Mourad nimmt sich in der Gestaltung seines beruflichen Orientierungsprozesses als handlungsmächtig wahr und registriert vielfältige berufliche Möglichkeiten. Diese Vielfalt deutet er gleichzeitig als Chance auf einen maßgeschneiderten Beruf und als Herausforderung zur Information und Selbstreflexion: „Weil umso mehr Berufe, umso mehr kann sich jeder mit seinen Eigenschaften da hineinpassen! Und das find ich auch einerseits gut, aber andererseits ist es so, wenn man halt selbst noch nichts weiß, da muss man sich halt überlegen […], man muss sich halt sehr gut auskennen“ (2476_3_109).

Während der Realschulzeit absolviert Mourad zwei Betriebspraktika in unterschiedlichen Berufsbereichen, die ihn zur Revision seiner ersten Berufsvorstellungen veranlassen und ihm gleichzeitig neue berufliche Ideen liefern.

Mourad plant zunächst den direkten Übergang in eine berufliche Ausbildung im Anschluss an den Realschulabschluss. Als sich im Laufe des letzten Schuljahres abzeichnet, dass seine schulischen Leistungen dafür ausreichen, entschließt er sich jedoch für den vorgelagerten Besuch einer Fachoberschule. Davon verspricht er sich verbesserte Chancen auf dem Ausbildungsmarkt. Im Rahmen seines Jahrespraktikums im ersten Fachoberschuljahr erhält er vertiefte praktische Einblicke, die seinen Berufswunsch festigen. Der Besuch der Fachoberschule übernimmt aus seiner Sicht die Funktion eines  der die infrage kommende Berufslücke nach und nach verkleinert. „Ja, aber dann, wo ich halt das Fach-Abi dann genommen hab in Wirtschaft und Verwaltung, hat man dann natürlich so, sag ich mal, ist die Lücke kleiner geworden, und dann konnte man sich am Ende dann schon ein Ziel setzen“ (2476_3_105).

Obwohl Mourad das zweite Schuljahr der Fachoberschule aufgrund mangelnder schulischer Leistungen wiederholt, gelingt ihm ein guter Schulabschluss. Während seiner Bewerbungsphase im Anschluss an die Fachoberschule macht Mourad zum Teil negative Erfahrungen. Er kann bei betrieblichen Einstellungstests nicht immer überzeugen und erhält einige Absagen. Mourad bleibt jedoch zuversichtlich und zeigt sich offen für berufliche Vorschläge von institutioneller Seite. Durch den Hinweis seines Berufsberaters auf einen Ausbildungsberuf, der sich als passfähig erweist, gelangt er schließlich in eine Ausbildung im gewünschten Berufsfeld.

Der Berufswahlprozess gestaltet sich im Fall von Mourad sehr reflektiert und führt zu konsistenten Übergangsschritten. Der Jugendliche sieht sich selbst in der Verantwortung, Informationslücken durch eigene Bemühungen zu schließen, z. B. durch die Nutzung des Internets als Informationsquelle. Institutionen versteht er als ergänzende Akteure, die er bei beruflichen Fragen gezielt aufsuchen und einbinden kann. Die genutzte institutionelle Beratung bewertet als sehr hilfreich: „Ja, die [Lehrerin] war mir auch eine große Hilfe, die hat mir immer geholfen, von der hab ich auch mir einen Rat geholt! […] Hm, beim Arbeitsamt wurde mir auch geholfen; weil ich halt gesagt hab, ich bin auf Ausbildungssuche. Wurde mir auch geholfen. Wurden mir auch Ausbildungsstellen zugeschickt. Also ich bekam schon Hilfen von jeglichen Seiten, muss ich sagen“ (2476_3_63). Das über institutionelle Akteure dazu gewonnene Wissen nutzt er, um eigene Schlussfolgerungen für die berufliche Entscheidungsfindung zu ziehen. „Also die geben ja keine feste Zielrichtung an, sondern die geben einfach nur gute Tipps, sag ich mal!“ (2476_3_235).

Neben den institutionellen Akteuren sind Mourads Eltern wichtige Bezugspersonen bei der beruflichen Zukunftsplanung. Im Elternhaus findet ein häufiger Austausch statt, bei dem der Interviewte insbesondere die Lebenserfahrung seiner Eltern als wertvolle Beratungsressource schätzt: „Eltern sind ja halt erfahrene Personen, […] bei mir war es halt ein sehr großer Hilfsfaktor, der mir halt geholfen hat einfach die weite Welt mal mit etwas größeren Augen zu sehen, und im frühen Stadium halt zu überlegen: Was will ich schon später machen?“ (2476_1_111). Dennoch reflektiert Mourad bei konkreten beruflichen Fragen ein eher begrenztes familiales Hilfspotential. Er greift deshalb kompensatorisch auf institutionelle Informationen zurück und wird selbst aktiv „weil die Hilfe kann man sich heutzutage echt selbst beschaffen durchs Internet oder durchs Jobcenter oder… Es gibt so viele Möglichkeiten“ (2476_3_155). Auch im Peerumfeld orientiert sich Mourad beruflich. Insbesondere hinsichtlich der Auseinandersetzung mit alternativen Wegen dienen seine Freunde als wichtige Referenzpersonen.

Mourad nutzt in seinem Berufsorientierungsprozess kontinuierlich verschiedenste Informationskanäle, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Institutionelle und private Hilfestellungen ergänzen sich und werden von ihm gemeinsam mit eigenen Anstrengungen zu einem Gesamtbild zusammengefügt: „[…] gibt man sozusagen das fehlende Puzzle-Teil immer dazu!“ (2476_2_61).

4.3.2 Kerim – „Also erstaunlicherweise kam immer die Hilfe von alleine.“

Bei Kerim ist der Berufsorientierungsprozess gekennzeichnet von einer als eingeschränkt empfundenen Handlungsfähigkeit des Jugendlichen. Institutionen fungieren in seinem Übergangsverlauf zunächst als Lotsen im Sinne der zweiten oben vorgestellten Funktionszuschreibung. In einer nachgelagerten Berufsorientierungsphase wendet er sich zunehmend von ihnen ab (im Sinne der letztgenannten Funktionszuschreibung) und weist sich selbst eine aktivere Rolle zu. Seine Geschichte illustriert die Dynamik von Funktionszuweisungen in verschiedenen Phasen des Berufsorientierungs- und Einmündungsprozesses.

Kerim ist zu Beginn der Befragung 17 Jahre alt. Im Alter von vier Jahren zog er mit seiner Familie von Tunesien in eine deutsche Großstadt. Obwohl beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit in Deutschland nachgehen, ist die Familie von Kerim, zu der auch ein jüngerer Bruder zählt, von finanziellen Einschränkungen betroffen.

Bis zum Ende der allgemeinbildenden Schule besitzt Kerim keine festen beruflichen Anschlusspläne. Sein Wunsch, den Schulbesuch fortzusetzen, scheitert an den nötigen Zugangsvoraussetzungen. Sein berufliches Interesse liegt zum damaligen Zeitpunkt im Kfz-Bereich, in dem er zuvor keine praktischen Arbeitserfahrungen gesammelt hatte. Kerim sieht den Realschulabschluss als wichtige Ausgangsvoraussetzung, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu finden. Mit beruflichen und schulischen Möglichkeiten, die ihm mit seinem Hauptschulabschluss offen stehen, scheint er überfordert. „Ich hatte es mir schon festgesetzt, Realschulabschluss zu machen, weil es ja damit dann viel einfacher ist, Berufe zu kriegen. Und da hab ich es nicht geschafft, ja, und dann erst mal überlegen, was mach ich jetzt, wie geht es jetzt weiter, welchen Beruf mach ich jetzt? Da hab ich mir den Kopf zerbrochen, (?), und ja, ich weiß nicht was. Ja, und danach haben sich die Wege halt so geleitet“ (2197_1_139).

Die fehlenden Alternativpläne und die Einschätzung, auf dem Ausbildungsstellenmarkt chancenlos zu sein, hemmen Kerim in seiner Handlungsfähigkeit. Eine berufliche Entscheidungsfindung bleibt vor diesem Hintergrund aus und er investiert keine Bemühungen, Anschlussmöglichkeiten zu suchen. Der weitere Weg nach der Hauptschule gestaltet sich für Kerim hauptsächlich institutionengesteuert. Um Unterstützung muss er sich nicht aktiv bemühen. „Also erstaunlicherweise kam immer die Hilfe von alleine“ (2197_1_153). Er absolviert zunächst ein Berufsgrundbildungsjahr, nutzt aber die dortigen Möglichkeiten einer schulischen Verbesserung sowie beruflicher Orientierung nicht aus.

Erst im Anschluss an das Berufsgrundbildungsjahr leitet sich für Kerim eine nachgelagerte Berufsorientierungsphase ein, in der er jedoch die Rolle als passiver Empfänger einnimmt: „Und ja, danach wurde ich erst mal in verschiedene Bereiche geschickt, […], da musste ich Produktionsschule machen, musste gucken so, wo gehe ich hin, was soll ich machen? Ja da hab ich dort so angefangen, etwas mit Werkzeugen eher zu lernen, und ja, die haben gekuckt halt, was für Leistungen ich habe, in was ich gut bin, in was ich schlecht bin. Und dann haben die gesagt: Ja, dafür bist du geeignet, und dafür solltest du noch mal eine Nacht drüber denken“ (2197_1_29).

Kerims Eltern können nur begrenzt Hilfestellung geben. Sie sind zwar wichtige Bezugspersonen bei beruflichen Fragen, jedoch fühlt sich der Jugendliche mit überzogenen Berufszielen konfrontiert, die er auf einen bildungsbezogenen Informationsmangel der Eltern zurückführt: „Also die wollen, dass man immer so irgendwie das Meiste vorhat. Und ja, die wissen aber selbst nicht, dass es so schwer ist“ (2197_3_231).

Eine konkrete berufliche Idee erhält Kerim erst durch den Rat eines Freundes. Schließlich beginnt er nach einem Probepraktikum eine außerbetriebliche Ausbildung im vorgeschlagenen Beruf. Obwohl Kerim zu Beginn seiner Ausbildung sehr zufrieden ist, nehmen seine Zweifel am gewählten Ausbildungsberuf über den Befragungszeitraum kontinuierlich zu: „Ja, also ich sag mal so, am Anfang wollte ich das ja unbedingt machen, den Beruf. Ja, und jetzt kommt irgendwie der Gedanke: Also hätte ich lieber was anderes gemacht. Also ich werde es auf jeden Fall fertig machen, die Gesellenprüfung dann schaffen, und dann aber auf jeden Fall was anderes weitermachen“ (2197_3_11). Als Hauptgrund für die berufliche Umorientierung nennt er den erwarteten geringen Verdienst im Beruf. Auch von der handwerklichen Tätigkeit, die er noch zu Beginn der Ausbildung positiv bewertet, wendet er sich ab. Er entwickelt berufliche Alternativvorstellungen, die im starken Kontrast zu seinem Ausbildungsberuf stehen, verwirft diese aber schnell wieder.

Beim Umgang mit der eigenen Berufsorientierung deuten sich bei Kerim im späteren Verlauf aktivere Handlungsansätze an. Seinen Handlungsspielraum erlebt Kerim bedingt durch einen Zuwachs an Kompetenzen deutlich erweitert: „Jetzt kann ich mich irgendwie, also wenn ich jetzt Sachen wissen will, irgendwie recherchieren, informieren, anrufen, fragen, irgendwie nachschauen, Internet, Freunde fragen. […] Viel einfacher jetzt als vorher“ (2197_3_255).

Während die Orientierung an Peers konstant bleibt, verändern sich Kerims Strategien bezüglich institutioneller Hilfe, die er später nicht mehr in Anspruch nimmt. Die Einschätzung der bisherigen institutionellen Unterstützung fällt zunehmend kritischer aus. „Und auf jeden Fall also eine Ausbildung, wo du, also auch dir selber eine Ausbildung suchen, wo du dann mehr Gehalt kriegst; weil wenn du dir eine vom Arbeitsamt suchen lässt, du dann fast nix kriegst, weil du selber keine gesucht hast“ (2197_3_377). Rückblickend sieht Kerim für seinen beruflichen Weg Handlungsspielräume, die er nicht ausgeschöpft hat. Die fehlende Handlungsfähigkeit bei der früheren Ausbildungssuche führt er auf mangelnde berufliche Vorstellungen zurück: „Weil im Endeffekt blieb mir nix anderes übrig als es zu machen. Ich wusste ja nicht, was ich sonst machen soll. Da wurde mir eine [Ausbildung] gesucht“ (2197_3_377).

5 Fazit

Im vorliegenden Artikel wurden auf der Datenbasis einer qualitativen Längsschnittstudie mit Haupt- und Realschulabsolventen unterschiedliche Funktionszuschreibungen Jugendlicher in der Berufsorientierung identifiziert. Diese Funktionszuschreibungen betreffen die Rollenerwartungen an Institutionen, die mit der wahrgenommenen Eigenrolle der Jugendlichen korrespondieren und Berufsorientierungsstrategien beeinflussen. Sie sind unter anderem davon abhängig, wie Jugendliche die Ausbildungsplatzlage im Bezug auf die eigene Positionierung bewerten, ob sie rahmende Strukturen als stützend oder hinderlich wahrnehmen und welche Einflussmöglichkeiten sie anderen Akteuren im Verhältnis zu eigenen Spielräumen unterstellen.

Jeweils korrespondierend mit der wahrgenommenen Eigenrolle werden Institutionen von einigen Jugendlichen als komplementäre Informanten und Unterstützer anlassbezogen eingebunden, während andere erwarten, dass Institutionen den eigenen Berufsorientierungsprozess einleiten, moderieren und problemlösend begleiten. Wiederum andere formulieren kaum Unterstützungserwartungen und weisen Institutionen maximal eine flankierende Rolle zu, beispielsweise weil sie auf ausreichende weitere Ressourcen zurückgreifen können, sich durch enttäuschte Rollenerwartungen von Institutionen distanzieren oder weil institutionelle Unterstützung nicht greifbar ist.

Die vorgestellten korrespondierenden Funktionszuschreibungen stellen kein statisches Konzept im Sinne eines Handlungskontinuums dar. Vielmehr berücksichtigen sie die Dynamik im Berufsorientierungs- und Einmündungsprozess. Wie die längsschnittliche Analyse gezeigt hat, erweitern Jugendliche im Verlauf individueller Übergänge berufsrelevante Wissensbestände, entwickeln auf der Basis von Praxiserfahrungen berufliche Ideen weiter, bestätigen oder revidieren sie und haben Erfahrungen mit begleitenden Akteuren gemacht. Entsprechend modifizieren sie möglicherweise Erwartungshaltungen an sich selbst und andere. So bewegen sich manche Jugendliche über verschiedene biografische Zeitpunkte zwischen verschiedenen Funktionszuschreibungen. Das passiert teilweise dann, wenn Rollenzuweisungen enttäuscht werden oder wenn Jugendliche mit ihren bisherigen Strategien gescheitert sind. Dazu kommt, dass Berufsorientierungsprozesse häufig nicht, wie in den eingangs genannten theoretischen Modellen idealtypisch dargestellt, linear verlaufen und mit dem Einstieg in eine Ausbildung oder einen schulischen Bildungszweig abgeschlossen sind. Bei manchen Jugendlichen finden sie erst nachgelagert in darauffolgenden Stationen statt und führen zu Umorientierungen. Auch Ausbildungen sind Teil dieses Orientierungsprozesses und münden gegebenenfalls im Abbruch, wenn sie mit Erwartungen inkompatibel sind.

Daraus ergeben sich differenzierte Ansprüche an die Präsenz und Unterstützungsweise durch Institutionen. Analog zu Weinhardt (2013, 42-44) zeigt sich der Bedarf an einer hoch reflexiven und zeitlich entgrenzten, abrufbereiten Unterstützung. So müssen Institutionen beispielsweise auch in nachgelagerten Berufsorientierungsphasen noch präsent und greifbar sein und mögliche Anlaufstellen bereits in der Pflichtschulzeit, in der alle Jugendlichen noch institutionell erreichbar sind, transparent machen. Denn auch wenn Systematisierungsbemühungen der Übergangsbegleitung erste Früchte getragen haben, zeigt sich an den nicht erfüllten Unterstützungswünschen einiger Jugendlicher unseres Samples, dass sich ihnen diese Systematik noch nicht ausreichend erschließt. Gleichzeitig sind die differenzierten Erwartungshorizonte Jugendlicher zu berücksichtigen. Damit geht auch die Forderung nach einer Reflexion des Rollenverständnisses pädagogischer Fachkräfte der Berufsorientierung einher (vgl. Butz/Deeken 2014, 109). Unsere Ergebnisse deuten weiterhin auf die frühzeitige Stärkung der biographischen Selbstkompetenz und damit der individuellen Handlungsfähigkeit Jugendlicher hin. Gleichzeitig sollten Korrekturen eingeschlagener beruflicher Wege nicht zwangsläufig als berufsbiografisches Scheitern, sondern vor dem Hintergrund vielfältigerer und ausdifferenzierterer (Aus‑)bildungsoptionen, deren unsicherer Verwertbarkeit und komplexerer Anforderungsprofile auch als Ausdruck zunehmend zeit- und raumintensiver heutiger Berufsorientierungsprozesse verstanden werden.

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[1] Im Sinne der besseren Lesbarkeit des Textes wird die männliche Form bei Berufs- und Statusbezeichnungen verwendet. Vertreterinnen dieser Gruppen sind selbstverständlich gleichermaßen gemeint.

[2] Das Forschungsprojekt „Die Bewältigung des Übergangs Schule-Berufsausbildung bei Migrantinnen und Migranten im Vergleich zu autochthonen Jugendlichen“ (2011–2014) wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Zitieren des Beitrags

Mahl, F. et al. (2014): „Ich muss mich noch informieren (lassen).“ Berufsorientierungsprozesse im Zusammenspiel von individuellem Handeln und institutioneller Unterstützung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 27, 1-19. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe27/mahl_etal_bwpat27.pdf (21-12-2014).