bwp@ Profil 3 - Mai 2014

Lehrerbildung und Unterrichts­entwicklung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Profil 3: Digitale Festschrift für TADE TRAMM zum 60. Geburtstag

Hrsg.: Nicole Naeve-Stoß, Susan Seeber & Willi Brand

Europäischer und Nationale Qualifikationsrahmen – eine Herausforderung für die Berufsschullehrer-Bildung

Beitrag von Willi Brand & Franz Gramlinger

Die von der Europäischen Union initiierte Entwicklung eines Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) und in der Folge des Deutschen und anderer Nationaler Qualifikationsrahmens (DQR bzw. NQR) gewann nach zögerlichen Anfängen erst in den letzten drei bis vier Jahren einen zentraleren Stellenwert in den Auseinandersetzungen der Disziplin. Allerdings blieben etwaige Konsequenzen der Einführung der Qualifikationsrahmen für die Lehrerbildung weitgehend unbeachtet. Diese sollen im folgenden Beitrag in einem ersten Zugang skizziert werden. Damit wird die Hoffnung verbunden, durch eine frühzeitige Ausrichtung der Lehrerbildung das pädagogische Potential dieser Reform zu nutzen und Risiken einer einseitig ökonomischen Auslegung zu vermeiden.

1 Einleitung

In den letzten eineinhalb Jahrzehnten nahmen Fragen zur Lehrerbildung einen weiten Raum im berufs- und wirtschaftspädagogischen Diskurs ein. Auf nationaler Ebene waren es vor allem der Lernfeldansatz mit seinen Herausforderungen an die Kompetenz von Lehrkräften, die Überlegungen zu einem Kern- oder Basiscurriculum für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik und schließlich die Entwicklung konsekutiver Bachelor- und Master-Studiengänge für Berufsschullehrkräfte, die intensiv diskutiert wurden. Die oft als aufgezwungen empfundene Einführung des konsekutiven Bachelor-Master-Studiums rekurrierte bereits auf die Niveaudeskriptoren des Qualifikationsrahmens für den Europäischen Hochschulraum, die 2003 als sogenannte „Dublin Descriptors“ im Zuge des Bologna-Prozesses beschlossen worden waren. Sie beschrieben die Niveaus der Fähigkeiten, die von Absolventen der Studienzyklen Bachelor, Master und Promotion erwartet wurden. Diese Deskriptoren fanden später abgewandelt Eingang in den EQR auf den Niveaus 6 bis 8. Ihr Einfluss soll hier nicht weiter verfolgt werden, zumal sie sich explizit in den Diskussionen um die Studiengestaltung für Berufsschullehrkräfte kaum niederschlugen. In diesem Beitrag geht es vielmehr um die berufliche Bildung und die Herausforderungen, die sich konkret für die Lehrerausbildung aus dem DQR[1] ergeben.

Diese Fragestellung steht vor mehreren grundsätzlichen Problemen, die allenfalls Antwortskizzen erlauben.

  1. Der DQR macht auf den hier betrachteten Niveaus lediglich Aussagen über erwartete Ergebnisse von Lernprozessen der Lernenden. Er sagt nichts aus über die Prozesse selbst und ebenso wenig über die Anforderungen an die Prozessgestalter.
  2. SLOANE (2012, 173ff.) identifiziert sieben „Problemkreise“ im DQR, die weitreichende Bedeutung für seine Umsetzung haben, die aber noch ungeklärt sind. Davon sind auch Anforderungen an Lehrkräfte betroffen.
  3. Anders als etwa die Nationalen Qualifikationsrahmen in Schottland, England, der Republik Irland und Australien ist der mit dem Gemeinsamen Beschluss von zuständigen Bundes- und Landesministerien (BMBF/KMK 2013b, Anhang D) im Jahre 2013 eingeführte DQR noch nicht erprobt. Deshalb gibt es weder Erfahrungen zu seiner konkreten praktischen Handhabung noch solche hinsichtlich der spezifischen Anforderungen an Lehrkräfte. Wegen struktureller Differenzen sowohl in der Anlage des DQR als auch im Berufsbildungssystem sind schlichte transnationale Transfers von Erfahrungen nicht möglich.

2 Der DQR wird praktisch

Auch wenn bisher die Ausbildung von Lehrkräften in Studium und Referendariat nur am Rande EQR und DQR zur Kenntnis nahm und praktizierende Lehrkräfte in der Regel kaum Berührung mit ihnen hatten, wird der DQR in den nächsten Jahren Eingang in die Berufsbildung finden. Dafür steht nicht nur der o. g. Gemeinsame Beschluss, sondern auch die große Verbreitung von Nationalen und Regionalen Qualifikationsrahmen, wie z. B. der EQR. Angesichts steigender geographischer und beruflicher Mobilität und dem damit verbundenen Wunsch nach klarer Orientierung und verlässlich geregelter Anerkennung von erworbenen Qualifikationen scheint ein entsprechendes Instrumentarium unerlässlich und dringend erforderlich zu sein. Dieses Argument wird nicht durch die Feststellung von POLLACK kompromittiert: „The European Union is without question the most densely institutionalised international organization in the world, with a welter of intergovernmental and supranational institutions and a rapidly growing body of primary and secondary legislation, the so-called acquis communautaire.“ (POLLACK 2008, 1).

Im Oktober 2012 verfügten alle 27 Mitgliedsstaaten der EU über eigene Nationale Qualifikationsrahmen oder diese befanden sich in unterschiedlichen Stadien der Erarbeitung (vgl. CEDEFOP 2012, 1). RAFFE ging 2012 davon aus, dass weltweit etwa 120 Nationale Qualifikationsrahmen in unterschiedlichen Ausprägungen existierten (vgl. RAFFE 2012, 357), in jüngsten Veröffentlichungen des CEDEFOP ist von 142 Ländern, die einen Qualifikationsrahmen entwickelt haben oder gerade entwickeln, die Rede (vgl. CEDEFOP 2013, 1). Auch zwischen den Qualifikationsrahmen innerhalb der EU gibt es erhebliche Unterschiede in der Struktur der Deskriptoren, der Anzahl der Qualifikationsniveaus (BOHLINGER, 39f.), der Reichweite (in der Schweiz gibt es einen eigenen nationalen Qualifikationsrahmen für Abschlüsse der Berufsbildung: NQR-CH-BB; der DQR wird vorläufig nicht auf allgemeinbildende Abschlüsse angewandt, um noch strittige Zuordnungen zu klären) und vor allem in den Strukturen der tradierten Bildungs- und Beschäftigungssysteme, in denen die NQR zum Tragen kommen. Letzteres schlägt sich etwa darin nieder, dass im Vereinigten Königreich neben England/Nordirland auch Wales und Schottland jeweils eigene Qualifikationsrahmen besitzen.

Über alle diese Differenzen hinweg gibt es dennoch einen EU-weiten normativen Konsens, der weitgehend trägt:

  1. Die Deskriptoren beschreiben Lernergebnisse (learning outcomes) und sind Niveaustufen zugeordnet,
  2. sie sind nicht dazu vorgesehen, persönliche Kompetenzen individuell zu erfassen,
  3. alle Qualifikationsrahmen sollen Bildungsgänge in ihren Anforderungen und in ihrem Nutzen transparenter machen,
  4. lebenslanges Lernen fördern und
  5. auch nicht-formal oder informell erworbene Kompetenzen anerkennen lassen.
  6. Über eine Referenzierung zum EQR soll erworbenen Qualifikationen transnational mehr Geltung verschafft werden.

Der DQR beschreibt die Kompetenzniveaus über alle Bildungsgänge hinweg und präjudiziert curriculare Entscheidungen zunächst nicht wegen der notwendigen Abstraktion von inhaltlichen Festlegungen. Die Curricula, die leitend für die Arbeit von Lehrkräften in der beruflichen Bildung sind, werden weiter darauf ausgerichtet sein, Jugendliche und Erwachsene auf die Bewältigung der Herausforderungen des Arbeitslebens, der Teilhabe am weiteren gesellschaftlichen Leben sowie der verantwortlichen Verwirklichung eigener Lebensentwürfe vorzubereiten. Der DQR stellt jedoch Rahmenanforderungen an die Konstruktion von Curricula, bei denen angestrebte Kompetenzen als Outcome der Lehr-Lernprozesse im Zentrum stehen. Diese Kompetenzen sollen den acht Niveaus des DQR zugeordnet werden, die für die Umsetzung der Curricula verbindlich sind. Inhaltliche Akzente setzt der DQR auch, indem er – abweichend vom EQR – neben der Kompetenzdimension „Fachkompetenz“ der „Personalen Kompetenz“ einen prominenten Rang einräumt, der auf allen Niveaus mit entsprechenden Deskriptoren ausgewiesen wird.

Das Bundesinstitut für Berufsbildung (FRANK 2013, 188ff.) arbeitet an der Entwicklung kompetenzorientierter Ordnungsmittel für die Berufsausbildung, die mit dem DQR im Einklang stehen. Der DQR bietet zugleich die Basis für einen besseren Abgleich der Rahmenlehrpläne mit den Ordnungsmitteln. Darüber hinaus wurden für 31 Berufsbilder „Ausbildungsbausteine“ entwickelt, die im Sinne der Ziele des DQR mehr Transparenz und Flexibilität in die Berufsausbildung bringen sollen.

Wie auch andere NQR erhält der DQR im Hinblick auf eine international transparente Darstellung eigener persönlicher Qualifikationen Bedeutung in Verbindung mit den im Europass zusammengefassten Dokumenten sowie durch das Europäische Leistungspunktesystem für berufliches Lernen (ECVET). Der EQR, mittelbar damit auch der DQR, soll nach den Plänen der EU-Kommission mit dem Dokumentationssystem Europass und ECVET verbunden werden, um die internationale Mobilität und damit eine bessere Allokation humaner Ressourcen zu erleichtern.

3 Nationale Qualifikationsrahmen als soziales Konstrukt

Allerdings setzt eine wirkliche Umsetzung des DQR in die Praxis beruflicher Bildung voraus, dass er nicht nur formal etabliert wird, sondern dass alle Stakeholder sich daran aktiv beteiligen, sein Potential auszuschöpfen. Das gilt für Unternehmen und ihre Verbände, Gewerkschaften, Institutionen des Bildungs- und des Beschäftigungssystems, nicht zuletzt für Lehrkräfte.

Eine Untersuchung (ALLAIS 2010) der Nationalen Qualifikationsrahmen in 16 Ländern und der mit ihnen gemachten Erfahrungen zeigt sehr deutlich, dass der Nutzen von Qualifikationsrahmen an viele Voraussetzungen gebunden ist. Zwar wurde 2010 bereits in etwa 100 Ländern (ALLAIS 2010, iii) an Nationalen Qualifikationsrahmen gearbeitet oder diese waren schon implementiert, aber die weite Verbreitung war keineswegs ein Indikator für deren hohen Nutzen. Das lässt sich jedenfalls aus der Länderstudie ableiten. Viele Regierungen der untersuchten Länder verhielten sich nicht gemäß der rational-choice-theory, indem sie sich nach sorgfältiger Abwägung von Kosten und Nutzen für ihr Land für einen NQR entschieden. Stattdessen ließen sie sich häufig davon leiten, welche Strategien role-models in Form von Nachbarstaaten oder als besonders fortschrittlich angesehenen Staaten, das war häufig England, verfolgten. Dieses „policy borrowing“ wurde maßgeblich gefördert durch externe, in der Regel ausländische Beratungsagenturen (ALLAIS 2010, 24). Verbunden war damit ein hohes Risiko, dass weder der Qualifikationsrahmen zu den vorhandenen Bildungssystemstrukturen passte, noch dass diejenigen, die ihn in die Praxis umsetzen sollten, ihn verstanden und sich mit ihm motiviert identifizierten.

RAFFE (2012, 358) fordert deshalb auf der Grundlage seiner umfangreichen internationalen Erfahrungen, Qualifikationsrahmen als soziales Konstrukt zu verstehen und kritisiert: “Many policy discussions of NQFs (National Qualification Frameworks, W. B. und F. G.) are conducted in a technical language that views frameworks as mechanical devices to be designed, manufactured, plugged in and switched on. However, qualifications, and therefore NQFs, are fundamentally social and political constructs. They are based on deeply rooted social relations and practices and political interests.“ Diese Aussage steht im Einklang mit Befunden der Länderstudie von ALLAIS. Nun unterscheidet sich der DQR in seiner Struktur und im organisatorischen, kulturellen und politischen Kontext deutlich von den Qualifikationsrahmen aus der Länderstudie. Dennoch lassen sich zwei wesentliche Erkenntnisse aus der Studie ziehen, die für die Lehrerbildung relevant sind:

  1. Alle Beteiligten an Berufsbildungsprozessen können sich nur aktiv einbringen, wenn sie Ziele, Hintergründe, Anforderungen und Probleme des DQR gründlich kennen und sie akzeptieren.
  2. Die Einführung jedes NQR greift in die Aufgaben, Kooperationsbeziehungen, Kontrollmechanismen und Interessenkonstellationen der Akteure ein. Wie bei allen tiefer gehenden organisatorischen Veränderungen ist auch hier damit zu rechnen, dass wichtige Akteure an hergebrachten Lernzielen und Prozessen festhalten und Ausweichstrategien verfolgen. Das erfordert ein Change Management und viel Zeit für Anpassungsprozesse. Es gilt, was ALLAIS in etwas anderem Kontext sagt: „... NQFs do not provide quick-fix or simple solutions to the complex problems ...“ (ALLAIS 2010, 2).

Aus soziologischer Sicht kann der DQR mit den ihn umgebenden Normen und Kontrollmechanismen als Institution verstanden werden. Er beeinflusst das Handeln der beteiligten Akteure über explizite und implizite Erwartungen und konfrontiert sie mit sanktionierten Verhaltensanforderungen. Andererseits ist die Institution DQR existenziell davon abhängig, dass Curriculumkonstrukteure, Ausbilder und Lehrkräfte, Arbeitgeber, Weiterbildner und Lernende die gestellten Erwartungen weitgehend erfüllen oder sie so restrukturieren, dass das zugrunde liegende Regelsystem nicht aufgegeben wird. Dabei bringen die Akteure unterschiedliche, auch konfligierende Interessen ins Spiel.

Gegenwärtig befindet sich der DQR als Institution im Entstehen. Das mit ihm verbundene Regelsystem weist noch in wesentlichen Punkten offene Probleme auf (SLOANE 2012, 173ff.) und der für die Institution konstitutive Habitualisierungsprozess (BERGER/ LUCKMANN 1969, 56ff.) kann allenfalls gedanklich antizipiert werden. Ähnlich wie die Einführung der Lernfelder wird auch die praktische Umsetzung des DQR einige Jahre in Anspruch nehmen. In dieser Einführungsphase hat die Unterstützung durch die nachwachsenden Lehrkräfte und damit indirekt durch die Lehrerbildung besondere Bedeutung.

4 Vernachlässigung der Lehrerbildung im Kontext des EQR

Die Entwicklung des EQR und in seinem Gefolge des „Deutschen Qualifikationsrahmens für Lebenslanges Lernen (DQR)“ folgt der Copenhagen Declaration aus dem Jahre 2002. Es hatte vor allem die folgenden Gründe, weshalb die Lehrerbildung im Zusammenhang mit der Diskussion und Entwicklung von EQR und DQR in Deutschland und anderswo kaum Beachtung fand.

Die Arbeit am EQR wurde auf EU-Ebene im Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie initiiert und von der EU-Kommission mit einer kleinen Expertengruppe bis zu seiner Annahme durch das EU Parlament und den EU Ministerrat im Februar 2008 durchgeführt. Stakeholder-Gruppen hatten in Anhörungen nur eng begrenzte Mitwirkungsmöglichkeiten. Für eine Beteiligung von Vertretern der Lehrerbildung und von nationalen Curriculumexperten fehlten gewichtige Gründe, weil es in diesem Stadium zunächst um die Definition der Ebenen des Qualifikationsrahmens ging, die keine materialen Bezüge auf (berufliche) Anforderungssituationen enthielten. Die Autoren der Copenhagen Declaration hatten selbst jedoch durchaus im Blick, dass die angestrebte, europaweit abgestimmte Weiterentwicklung der beruflichen Bildung neben „development of a single transparency framework, credit transfer in vocational education and training and development of quality tools“ auch eine entsprechende Ausbildung von Lehrkräften und Ausbildern erforderte (EUROPEAN COMMISSION 2002, 3).

Dass die Forderung der Copenhagen Declaration nach einer angemessenen Lehreraus- und ‑weiterbildung dennoch nicht weiter verfolgt wurde, dürfte einen wesentlichen Grund in den nationalen Zuständigkeiten und dem Subsidiaritätsprinzip haben, die auf EU-Ebene eine Abstimmung der Lehrerbildung äußerst problembehaftet erscheinen ließen.

5 Die im EQR implizierte neue Steuerungslogik für Bildungsprozesse

Ein weiterer Grund für die Vernachlässigung der Lehrerbildung im Zusammenhang mit der Entwicklung des EQR liegt in der grundsätzlich veränderten Steuerungslogik für Bildungsprozesse. Zentrales konstitutives Element des EQR, wie auch des DQR und anderer NQR, ist die Orientierung an Lernergebnissen. Die Deskriptoren, die jedes der acht Lernniveaus charakterisieren, erlauben es, das, „was ein Lernender nach Abschluss eines Lernprozesses weiß, versteht und in der Lage ist zu tun“ (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2008, 3) als Outcome einem Niveau zuzuordnen. Der Outcome ist die geeignete Steuerungsinstanz, wenn man Menschen mit den Kompetenzen ausstatten will, die sie brauchen, um Aufgaben in der Gesellschaft zu bewältigen. Mit welchen Lerninhalten, Rahmenbedingungen und Lehr-Lernmethoden und in welcher Zeit diese Ergebnisse erreicht werden, hat nach dieser Steuerungslogik demgegenüber sekundäre Bedeutung. Damit wird jedoch die Aufmerksamkeit von den pädagogischen Prozessen weggelenkt und zugleich auch von denen, die für sie als Lehrkräfte verantwortlich sind. Ebenso wenig Aufmerksamkeit erhalten die Lernenden, wenn es um ihre Teilhabe an der Gestaltung des Lehr-Lernprozesses geht. Nur am Outcome bemisst sich die Effektivität der Lernprozesse und in diesem ökonomischen Kontext findet die neue Politikstrategie der Outcome-Steuerung ihre Legitimation.

Hier drängt sich eine Analogie zum Produktionsprozess auf (vgl. SLOANE 2012, 164f.), der unidirektional auf die ökonomische Realisierung eines Produktes ausgerichtet ist. In diesem Modell sind reflexive gestaltende Einflüsse der an den Lehr-Lernprozessen beteiligten Subjekte nicht systematisch verankert.

Abb. 1: Implizite Steuerungslogik des EQRAbb. 1: Implizite Steuerungslogik des EQR

Die Affinität zur ökonomischen Legitimation und die Analogie zum Produktionsprozess sind ein historisches Erbe aus der Ursprungszeit von Qualifikationsrahmen im Vereinigten Königreich Mitte der 1980er Jahre. Die britische Regierung unter Margret Thatcher sah sich mit hoher Arbeitslosigkeit, niedriger Produktivität und dem Niedergang ganzer industrieller Sektoren konfrontiert. Gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden erkannte man in der besseren Qualifizierung der Beschäftigten einen entscheidenden Hebel für die wirtschaftliche Gesundung des Landes. Es bestand Konsens darüber, dass die Wirtschaftsverbände und Unternehmen selbst – nicht die bis dahin zuständigen staatlichen Instanzen – die von Ihnen benötigten Qualifikationen sowohl in der Qualität als auch in der Quantität definierten. Darauf präzise zugeschnittene Kurse sollten entweder von den Unternehmen selbst oder auf dem Weiterbildungsmarkt angeboten werden. Der Staat unterstützte die berufliche Weiterbildung finanziell, griff aber darüber hinaus zunächst nur wenig gestaltend ein. Erst allmählich wurde mit den National Vocational Qualifications (NVQ) ein umfangreiches Angebot an Qualifizierungen geschaffen, das immer wieder neu reguliert wurde, weil es sowohl bei Unternehmen als auch bei potenziellen Teilnehmern auf Akzeptanzprobleme stieß. Die National Vocational Qualifications realisierten im Ansatz bereits die Outcome-Orientierung. Sie wurden einem Qualifikationsrahmen zugeordnet, der auf ursprünglich fünf Niveaustufen sowohl berufliche als auch allgemeinbildende Qualifikationen erfasste – bis hinauf zur Promotion. Die strikte Orientierung an learning outcomes bei der Planung von Aus- und Weiterbildungsangeboten wurde zu Recht als innovativer Kern der Reform hervorgehoben. Zugleich ermöglichte diese Strategie die enge Definition von Qualifikationen, um kurzfristig auf Änderungen in der Nachfrage nach Qualifikationen reagieren und entsprechende Kursangebote entwickeln zu können. Von Lernenden erworbene Qualifikationen wurden nicht nur auf der Ebene von National Vocational Qualifications zertifiziert, sondern auch auf der detaillierteren Ebene der „units of competence“. Für diese enge Definition zertifizierbarer outcomes sprach das ökonomische Argument, dass dadurch eine schnelle, mit dem aktuellen Bedarf präzise abgestimmte Qualifizierung ermöglicht wurde – im Gegensatz zur vermeintlich viel zu breit angelegten, schwerfälligen, in ihren Abgrenzungen mobilitätshinderlichen und insgesamt geradezu verschwenderischen deutschen Berufsausbildung. Eine gravierende Kehrseite dieser Strategie war jedoch, dass sie zu Tausenden von zertifizierbaren verschiedenen Qualifikationen führte, deren Verwertbarkeit für die berufliche Praxis oft kritisch gesehen wurde und die allenfalls von wenigen Experten überschaut wurden, nicht aber von Unternehmen oder Lernenden. Auf dem Papier bestehende Wahlmöglichkeiten wurden faktisch nur suboptimal genutzt. Trotz vieler Reformen wurde das Ausbildungssystem deshalb immer wieder – gerade von Unternehmern und ihren Verbänden – als heilloses Durcheinander („a dog’s breakfast“) heftig kritisiert (HOUSE OF COMMONS 2009, 3). WOLF unterwarf im Jahre 2002 die grundsätzlichen pädagogischen und ökonomischen Voraussetzungen der NVQ-Konzeption einer scharfen Kritik, die schon im Titel ihrer umfangreich belegten Studie zum Ausdruck kam: „Does education matter? Myths about education and economic growth.“ Sie hielt die strikte Ausrichtung an engen beruflichen Qualifikationen für pädagogisch verfehlt und den ökonomischen Nutzen für völlig unbewiesen.

Es ist deutlich, dass unter diesen Systembedingungen den Lehrkräften selbstverständlich methodisch-didaktische und fachliche Fähigkeiten abverlangt werden. Aber eine weitergehende, pädagogisch begründete Förderung von Lernenden auf längerfristig angelegten Wegen persönlicher und beruflicher Entwicklung wird von dem System nicht mit Nachdruck unterstützt und auch nicht eingefordert.

Die kulturellen Traditionen der Berufsbildung in den deutschsprachigen Ländern, die Beteiligung der Arbeitnehmerverbände an den Konsultationen um DQR und NQR in Österreich sowie die Pläne für deren Implementierung verbinden sich mit berufsbildungspolitischen Entwicklungsperspektiven, die abseits von den englischen Erfahrungen liegen. Dennoch sind auch hier in der neuen Strategie der Outcome-Steuerung prinzipielle Risiken angelegt, auf die aus grundsätzlicher pädagogischer Sicht u. a. HEID (2007) und aus ordnungspolitischer Sicht die ARBEITSGEMEINSCHAFT GEWERBLICH-TECHNISCHE WISSENSCHAFTEN (gtw) mit ihrer „Flensburger Erklärung“ hinwiesen (2012). Wenn die Lehrerbildung ihre Klientel für diese Risiken angemessen sensibilisiert, kann sie dazu beitragen, dass die positiven Potentiale der NQR ausgeschöpft und nicht durch ungünstige Systembedingungen korrumpiert werden.

6 Skizze von Konsequenzen für die Berufsschullehrer-Bildung

Die dargestellte Steuerungslogik legt eine starke Wirkungsorientierung in der Sicht auf die Qualität von Lehr-Lernprozessen nahe. Sie muss durch eine Perspektive auf die subjektorientierte Gestaltung von Entwicklungsprozessen ergänzt werden, die traditionell –allerdings häufig losgelöst von tatsächlichen Wirkungen – im Zentrum bildungstheoretischer Überlegungen stand. Diese Forderung gilt sowohl für die Curriculumentwicklung als auch für die Lehrerbildung.

TRAMM et al. haben sieben „Kompetenzdimensionen berufs- und wirtschaftspädagogischer Professionalität“ identifiziert, die grundlegend für die aktuelle Reform des Hamburger Berufsschullehrer-Studiums sind. Sie wurden nicht mit dem Blick auf den DQR erarbeitet, können aber im vorliegenden Kontext helfen, besondere Herausforderungen an die Lehrerbildung zu erfassen.

Tabelle 1: Kompetenzdimensionen berufs- und wirtschaftspädagogischer Professionalität (TRAMM/ FAHLAND/ NAEVE 2012, 109)

A

Eine pädagogisch-professionelle Einstellung zum Lehrerberuf ausbilden, berufliche Identität entwickeln, eine realistisch-selbstbewusste Entwicklungsperspektive im Beruf entwickeln und verfolgen, Strategien zum Umgang mit Belastung und Stress kennen und nutzen.

B

Individuelle Lern- und Entwicklungsprozesse sowie ihre Voraussetzungen und Ergebnisse aus einer pädagogischen Perspektive analysieren, verstehen und begleiten; Störungen in Lernprozessen erkennen, Ursachen dafür diagnostizieren, Strategien zur Behebung von Lernschwierigkeiten auswählen und anwenden.

C

Berufs- und wirtschaftspädagogische Kommunikationssituationen und Beziehungsstrukturen analysieren, verstehen und gestalten, Kommunikations- und Beziehungsprobleme im pädagogischen Handlungsfeld analysieren, verstehen und produktiv verarbeiten.

D

Unterricht auf der mikrodidaktischen Ebene als Wechselspiel von fallbezogenem und systematischem Lernen in Auseinandersetzung mit spezifischen beruflichen Lerngegenständen analysieren, planen, durchführen und evaluieren.

E

Kompetenzorientierte Curricula konzipieren und Kurse entwickeln; auf einer makrodidaktischen Ebene den curricularen Referenzrahmen aus Bildungsplan, Wissenschaft und Berufsanforderungen analysieren, Lerngegenstände modellieren und sequenzieren; Curricula implementieren und evaluieren.

F

Handlungs- und Gestaltungsspielräume in pädagogischen Institutionen erkennen, nutzen und erweitern; institutionelle, normative und soziale Rahmungen pädagogischen Handelns analysieren, verstehen und an ihrer Gestaltung im Rahmen der Organisations- und Teamentwicklung teilhaben.

G

Berufspädagogische Systemstrukturen in ihrer historisch-gesellschaftlichen Bedingtheit und Funktionalität analysieren und verstehen; Gestaltungsoptionen und-alternativen kennen und beurteilen.

Der im vorangegangenen Abschnitt geforderte konstruktiv-kritische Umgang mit dem Qualifikationsrahmen und seinem – teilweise noch ausstehenden – begleitenden Regelwerk fällt schwerpunktmäßig unter die Kompetenzdimension „G“. Es ist ein zentrales Merkmal von Professionen, dass ihre Angehörigen die Systemstrukturen verstehen unter denen sie arbeiten und dass sie in der Lage sind, die Bedingungen verantwortlich mitzugestalten. Wie die Tabelle 1 zeigt, ist das keine neue Herausforderung an die Lehrerbildung, allerdings stellt sie sich besonders umfangreich und dringlich, weil es für den angemessenen Umgang mit dem Qualifikationsrahmen noch keine Vorbilder gibt und er sich erst durch das verständige professionelle Handeln insbesondere der Lehrkräfte als Institution etablieren kann. Vor allem die neue Steuerungsperspektive stellt unter Systemgesichtspunkten spezifische Anforderungen, die organisatorisch (u. a. LINDEMANN 2012) und pädagogisch angemessene Reaktionen von allen im Berufsbildungssystem tätigen Personen verlangen. Einerseits ist die auf standardmäßig definierte Outcomes ausgerichtete Steuerungslogik in der Gestaltung der Lehr-Lernprozesse aufzugreifen, andererseits geht es darum, subjektorientiert individuelle Lern- und Entwicklungsprozesse zu fördern. Dazu müssen Lehrkräfte deren „Voraussetzungen und Ergebnisse aus einer pädagogischen Perspektive analysieren, verstehen und begleiten“ (s. o. Dimension B). In der Lehrerbildung ist die Grundlage dafür zu legen, dass dieses Spannungsverhältnis in der pädagogischen Praxis je nach Situation immer wieder neu ausbalanciert wird.

Die veränderten Systemstrukturen werden wahrscheinlich in Grenzen eine veränderte pädagogisch-professionelle Einstellung zum Lehrerberuf fordern (s. o. Dimension A). Sollte mit dem DQR tatsächlich die erwünschte Transparenz und gesteigerte Offenheit der Bildungswege erreicht werden, werden Lehrkräfte ihre Klientel verstärkt bei der Erschließung von Bildungswegen beratend unterstützen müssen, damit neue Wahlmöglichkeiten sinnvoll genutzt werden können. Zwar wird es – wie bereits jetzt – externe institutionalisierte Beratungsangebote geben, aber erfahrungsgemäß sind Lehrkräfte oft erste Ansprechpartner und aufgrund ihrer Fachkenntnisse und Erfahrungen für spezielle Beratungsprobleme besonders geeignet, die sich z. B. aus berufsbiographischen Konstellationen oder aus individuellen Lernprozessen ergeben. Die Beratung und Förderung erhält auch dadurch eine neue Note, dass informell und non-formal erworbene Kompetenzen in Zukunft anerkannt und angerechnet werden sollen. Hier eröffnet sich für Lehrkräfte in der beruflichen Bildung ein wichtiges Aufgabenfeld, das erhöhte Anforderungen an ihre Beratungskompetenz stellt (s. o. Dimension C).

Im EQR-Referenzierungsbericht (BMBF/KMK 2013a) wurde eine Äquivalenz der acht Kompetenzniveaus des DQR mit denen des EQR festgestellt. Die meisten formal geregelten beruflichen Bildungsgänge wurden einem Niveau zugeordnet. So sind gegenwärtig die zweijährigen Berufsausbildungen auf dem Niveau drei, die dreijährigen auf dem Niveau vier angesiedelt. Auch die Konstruktion der „Ausbildungsbausteine“, die konstitutiv für Ordnungsmittel der anerkannten Ausbildungsberufe sein werden, orientiert sich am DQR (FRANK 2012, 189). Wie schon bei den Beratungen während der Entwicklung des EQR erwartet wurde, zeigte die Referenzierung des DQR bei der Zuordnung der Zielkompetenzen der Ausbildungsberufe, dass in jedem Ausbildungsberufsbild unterschiedliche Niveaus in den Teilkompetenzen anzutreffen waren. Die Zuweisung des Bildungsgangs zu einem übergreifenden Kompetenzniveau ist deshalb lediglich ein „Durchschnittswert“ mit teilweise über mehrere Niveaus abweichenden Teilkompetenzen. Als „zertifizierende Stelle“ wird im Referenzierungsbericht nur für sehr wenige Bildungsgänge die Berufsschule genannt (BMBF/KMK 2013a, 108ff.). Deshalb werden Lehrkräfte bei der Zertifizierung von denjenigen Kompetenzen nur begrenzt involviert sein, die in formalen Lernumgebungen erworben wurden.

Für die mit dem DQR angestrebte Öffnung von Bildungsgängen durch Anrechnung von Teilleistungen aus anderen formalen Bildungsgängen, aber vor allem von non-formal und informell erworbenen Kompetenzen scheint die sachverständige Mitwirkung von Lehrkräften dagegen unverzichtbar zu sein. Das gilt sowohl für Beratung und Begleitung von Klienten als auch für die Diagnose von bereits erworbenen Kompetenzen. Die im Interesse von mehr Bildungsgerechtigkeit und besserer Nutzung von Humanressourcen allseits gewünschte erweiterte Anerkennung und Anrechnung von Kompetenzen (BÜCHTER/ DEHNBOSTEL 2012) scheint formal mit dem Qualifikationsrahmen einer Regelung näher gebracht zu sein, aber die materielle, an Gegenstandsbereiche und Arbeitsprozesse gebundene Seite der Kompetenzen ist damit noch nicht erfasst. Hier fehlen insbesondere für informell erworbene Kompetenzen allenthalben valide Verfahren, die Anrechnungen eine begründete Basis geben könnten. Es gibt keine für diesen Entscheidungskontext erprobten individualdiagnostischen Verfahren. Auch die Referenzierung begegnete Problemen, die bisher nicht überwunden werden konnten. Deshalb stellt das DQR-Handbuch fest: „Ein Verfahren für Zuordnungen von im nicht-formalen und informellen Bereich erworbenen Kompetenzen gibt es derzeit noch nicht.“ (BMBF/KMK 2013b, 42)

Zwar wurde zunächst für die Referenzierung der beruflichen Bildungsgänge auf bestehende Ordnungsmittel und Lehrpläne exemplarisch zurück gegriffen, aber es zeigte sich, dass diese weder auf die Steuerungsstrategie der Outcome-Orientierung ausgerichtet noch hinreichend detailliert sind, um ausreichende Hinweise auf erworbene Kompetenzen zu geben. Der Bereich der personalen Kompetenzen (DQR) ist weitgehend ausgespart. Welche Probleme sich aus diesen Defiziten schon heute für die Arbeit in beruflichen Schulen abzeichnen, zeigt LINDEMANN (2012). Er verweist darauf, dass in den bisherigen Lehrplänen aufgeführte Lernzielformulierungen keine zuverlässige Auskunft über deren Erreichung zulassen. Deshalb erwartet er, dass zusätzlich Qualitätssicherung und Akkreditierung von Berufsbildungszentren eingeführt werden müssen (vgl. LINDEMANN 2012, 101). Hier wird deutlich, dass sich die NQR tiefgreifend auf das Arbeitsfeld der Lehrkräfte auswirken werden. Das betrifft nicht nur organisatorische Rahmenbedingungen, sondern auch pädagogische Orientierungen ihres Handelns. Aus professioneller Sicht sollte die Lehrerbildung angehende Lehrkräfte darauf vorbereiten, dass sie „Handlungs- und Gestaltungsspielräume in pädagogischen Institutionen erkennen, nutzen und erweitern ...“ (s. o. Kompetenzdimension F).

Wenn die NQR nicht nur dazu dienen sollen, ex post erworbene Kompetenzen den acht Niveaus zuzuordnen, sondern auch Impulse für die Revision von Curricula setzen sollen, stößt man auf das Problem, dass eine Deduktion von curricularen Entscheidungen aus den Beschreibungen der Kompetenzniveaus weder beabsichtigt war noch möglich ist. Aber die NQR setzen mit den Kompetenzniveaus und den Referenzierungen Orientierungsmarken für die Curriculumentwicklung, die gerade wegen der Einbindung in nationale und internationale Regelwerke erhebliches Gewicht haben. Es gibt noch keine an den Kompetenzniveaus abschließend validierten Curricula. Entsprechende Arbeiten wurden u. a. durch das BIBB eingeleitet (FRANK 2012, 189). Weitere kompetenzorientierte Curricula sind in großer Zahl für alle beruflichen Bildungsgänge zu entwickeln. Ob dabei die pädagogische Expertise von Lehrkräften genutzt wird, ist sehr fraglich.

Auch wenn nicht alle Lehrkräfte an der Curriculumentwicklung beteiligt sein werden, ist es in jedem Falle nötig, dass sie die curricularen Entscheidungen mit ihren Begründungen verstehen, auch kritisch infrage stellen und für die eigene Unterrichtsplanung evaluieren und adaptieren können. Die Beachtung der Kompetenzniveaus wird vor allem für die Evaluation von Lehr-Lernprozessen bedeutsam sein. Auf mikrodidaktischer Ebene (s. o. Dimension D) werden Lehrkräfte gefordert sein, in Ihrem Unterrichtshandeln über das Curriculum hinaus die Normen des DQR und die Ansprüche ihrer Klientel auf individuelle pädagogische Förderung im Blick zu behalten.

Wie eine Studie zur Implementierung und zu den Auswirkungen des irischen NQR zeigt (COLLINS et al. 2009), besteht ein weit verbreitetes Problem darin, im Unterrichtsprozess und in der Lernerfolgsmessung die Outcome-Orientierung zu realisieren. Es wurde beobachtet, dass weiterhin alte Unterrichtskonzeptionen und ungeeignete normorientierte Assessments verwendet wurden. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Änderung dieser Praktiken lange Zeit in Anspruch nimmt und intensiv durch Weiterbildungsmaßnahmen begleitet werden muss (vgl. ebd., 39, 54).

Eine besondere Herausforderung liegt im Bereich der Entwicklung der personalen Kompetenzen der Auszubildenden, die in den bisherigen Lehrplänen der meisten Bildungsgänge eine kaum beachtete Randexistenz führten, die im DQR aber recht detailliert eingefordert werden. Hier sind sowohl systematische curriculare Untersuchungen nötig als auch die Erarbeitung angemessener Fördermethoden. Mit der Umsetzung curricularer Vorgaben für die Entwicklung personaler Kompetenzen kommen auf die Lehrkräfte neue Aufgaben der Gestaltung pädagogisch förderlicher Kommunikationssituationen und Beziehungsstrukturen zu, auf die sie auch wegen der Anforderungen an die eigene Persönlichkeitsentwicklung möglichst frühzeitig in der Lehrerbildung vorbereitet werden sollten.

EQR und NQR tragen in ihren Titeln die emphatische Qualifizierung „für lebenslanges Lernen“. Das reflektiert die Chance und die Notwendigkeit, sich für die Bewältigung wechselnder Herausforderungen im Lebenslauf durch Lernen zu befähigen. Die Fähigkeit und Bereitschaft dazu muss von Lehrkräften im Kontext der Etablierung der NQR kontinuierlich gefördert werden. Dazu ist ein Produktionsmodell des Kompetenzerwerbs tendenziell wenig geeignet, weil es Kompetenzen als für sich stehende Zielgrößen, z. B. in abgegrenzten Modulen, versteht. Zwar zeigen sich vor allem in den Niveaus der Dimension „Selbständigkeit“ Bezüge zur biographischen Entwicklung, aber eine verständige Einbindung von Erfahrungen in die (Berufs-)Biographie setzt entsprechende Lehr-Lernarrangements voraus, die professionell gestaltet werden müssen.

Bei der Erarbeitung neuer, am DQR orientierter Ordnungsmittel hat das BIBB Vorkehrungen gegen auf kurzfristigen Erwerb eng definierte, isolierte Ausbildungsbausteine getroffen (FRANK 2012, 189). Es wird sich zeigen, ob sie ausreichen, den zeitökonomisch und (kurzfristig) finanziell attraktiven Optionen des Produktionsmodells wirksam zu begegnen. Die Lehrkräfte werden einen großen Einfluss darauf haben, die pädagogischen Risiken des Produktionsmodells zu begrenzen. Dazu ist ein professionelles Zielsystem zu verinnerlichen, das die langfristige persönliche (berufliche) Entwicklung der Schüler und Schülerinnen im Blick behält und subjektorientiert unterstützt.

Pädagogisch angemessen und der Forderung nach lebenslangem Lernen entsprechend erscheint ein „Entwicklungsmodell des Kompetenzerwerbs“, das die Grundlage der Konzeption des Kernpraktikums im Hamburger Berufsschullehrer-Studium bildet (TRAMM/ FAHLAND/ NAEVE 2012, 108): „Dem Entwicklungsmodell (...) liegt die Idee zugrunde, dass sich der Prozess des Kompetenzerwerbs als individueller (berufs-)biographischer Entwicklungsprozess vollzieht“ (TRAMM/ FAHLAND/ NAEVE 2012, 108).

Abb. 2: Produktionsmodell versus Entwicklungsmodell des Kompetenzerwerbs (TRAMM/ FAHLAND/ NAEVE 2012, 108).Abb. 2: Produktionsmodell versus Entwicklungsmodell des Kompetenzerwerbs (TRAMM/ FAHLAND/ NAEVE 2012, 108).

Das Entwicklungsmodell ist genuin pädagogisch, weil es den Subjekten der Entwicklungsprozesse angemessenen Raum gibt, Gelerntes in den individuellen Lebensentwurf zu integrieren. Reflexion und Systematisierung der Erfahrungen sind auf die zu entwickelnde Kompetenz zu beziehen. Insofern geht die Orientierung am Outcome nicht verloren, sie wird aber durch Reflexion an die Subjekte und ihre Lebensentwürfen gebunden und „Learning Outcomes“ werden so für das jeweils eigene Leben bedeutsam. Für die Lehrkräfte ergeben sich daraus keine prinzipiell neuen Aufgaben, wohl aber werden unter dem DQR neue Akzente gesetzt, die in einem Spannungsverhältnis zum Entwicklungsmodell stehen. Das muss von Lehrkräften erkannt und in den eigenen professionellen Handlungsentwürfen kritisch berücksichtigt werden.

7 Resümee

Noch ist nicht genau fassbar, in welcher Weise der DQR und der österreichische NQR neue Anforderungen an das Lehrerhandeln in der beruflichen Bildung stellen werden. Das wird sich mit den veränderten Ordnungsmitteln und Lehrplänen deutlicher abzeichnen. Es wäre aber fahrlässig, erst dann damit zu beginnen, die Lehrerbildung darauf vorzubereiten. Um zentrale Ziele des DQR – Transparenz und Offenheit der Bildungsgänge – zu erreichen, müssen Lehrkräfte ihre Beratungskompetenz stärken. Ohne Unterstützung werden die Klienten oft nicht in der Lage sein, die größere Flexibilität des Systems sinnvoll für die Gestaltung ihres (beruflichen) Lebensweges zu nutzen. Das hat auch Einfluss auf die Qualität von Beziehungsstrukturen im Unterricht.

Wie sich jetzt bereits in den Arbeiten des BIBB zur Entwicklung neuer Ordnungsmittel abzeichnet, werden sich auch curriculare Anforderungen in den Bildungsgängen ändern, auf die Lehrkräfte vorbereitet werden müssen. Es ist anzunehmen, dass mit dem DQR und den ihm folgenden curricularen Entwicklungen auch neue Verfahren der Lehr-Lernprozess-Evaluation und der Qualitätssicherung eingeführt werden. Das hätte erfahrungsgemäß massive Einflüsse auf das Handeln von Lehrkräften zur Folge, insbesondere wenn damit – im Sinne der Sicherung von Transparenz und vergleichbarer Qualität – in großem Umfang nationale Standards leitend verbunden wären. Wie auch immer die weitere Ausgestaltung der Implementierung des DQR verlaufen wird, werden Lehrkräfte über genügend professionelle Kompetenz verfügen müssen, um Risiken des „Produktionsmodells“ zu beherrschen, das dem EQR, abgemildert auch dem DQR, inhärent ist[2]. Es ist zu hoffen, dass Ordnungsmittel, Lehrpläne und andere Regelungen ihnen dafür genügend Raum lassen, wo nicht, dass sie aufgrund ihrer Professionalität in der Lage sind, sich diesen zu erarbeiten.

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[1]     Aus mehreren Gründen wird in diesem Beitrag fast ausschließlich auf die Situation in Deutschland eingegangen und damit vor allem auf den Deutschen Qualifikationsrahmen Bezug genommen. In Österreich ist die Ausbildung von Berufsschullehrerinnen und -lehrern anders geregelt und befindet sich gerade zum Zeitpunkt, zu dem dieser Beitrag verfasst wird, im Umbruch.

[2]    Im international viel beachteten australischen Competency-based-training (CBT) ist das „Produktionsmodell“ wohl am konsequentesten befolgt worden. In ihrer kritischen Analyse des Systems betont SMITH (2010) die besondere Bedeutung der pädagogischen Qualifikation von Lehrkräften für den Erfolg von CBT. Zugleich stellt sie fest, dass CBT kein geeigneter Weg für die Qualifizierung von Lehrkräften ist.

Zitieren des Beitrags

BRAND, W./ GRAMLINGER, F. (2014): Europäischer und Nationale Qualifikationsrahmen – eine Herausforderung für die Berufsschullehrer-Bildung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Profil 3, 1-17. Online: http://www.bwpat.de/profil3/brand_gramlinger_profil3.pdf  (23-05-2014).