bwp@ Profil 3 - Mai 2014

Lehrerbildung und Unterrichts­entwicklung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Profil 3: Digitale Festschrift für TADE TRAMM zum 60. Geburtstag

Hrsg.: Nicole Naeve-Stoß, Susan Seeber & Willi Brand

Arbeitsprozesswissen als Bezugspunkt für die Planung und Evaluation lernfeldorientierten Unterrichts

Es ist weitgehend intransparent, nach welchen Kriterien und mit welchen Methoden Lernfeldcurricula in den deutschen Bundesländern entwickelt werden. Der vorliegende Beitrag diskutiert Anforderungen an die Konstruktion von Lernfeldern. Dabei wird beschrieben, welchen Stellenwert „Arbeitsprozesswissen“ von Fachkräften für die Planung und Evaluation von Lernfeldcurricula einnehmen kann. Anhand zweier, im Modellversuchsprogramm „Neue Lernkonzepte in der dualen Berufsausbildung“ entwickelter Konzepte für die Konstruktion von Lernfeldern wird diskutiert, ob und inwiefern die postulierten Anforderungen erfüllt werden. Diskussionspunkte sind Probleme der Analyse von Arbeitssituationen, Probleme der Transformation von empirisch erfassten Handlungssituationen in Curricula und Probleme der durch Curricula anzuregenden Kompetenzentwicklung von Auszubildenden sowie deren Evaluation.

1 Einleitung

Seit 1996 sind in Deutschland sogenannte Lernfelder in den berufsbildenden Unterricht eingeführt worden. Lernfelder sollen den Unterricht mit beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungssituationen verknüpfen (KMK 2000).

Der Einführungsprozess lernfeldorientierten Unterrichts wurde u. a. begleitet durch ein Modellversuchsprogramm „Neue Lernkonzepte in der dualen Berufsausbildung“ (vgl. DEITMER u. a. 2004). Dieses Programm lief von 1998 bis 2003 und umfasste 21 Modellversuche in 14 Bundesländern. Insgesamt haben sich etwa 100 Berufsschulen sowie 20 Institute beteiligt, die im Bereich der Berufsbildung wissenschaftlich tätig sind oder Lehrer ausbilden und neue lernfeldorientierte Lernkonzepte entwickelt haben.

Im Rahmen dieses Modellversuchsprogramms wurden verschiedene Vorschläge unterbreitet, wie lernfeldorientierte Curricula entwickelt werden können. Eine Variante der Vorschläge stammt aus den Modellversuchsverbünden NELE („Neue Unterrichtsstrukturen und Lernkonzepte durch berufliches Lernen in Lernfeldern“, wissenschaftlich begleitet durch Peter SLOANE) sowie SELUBA („Steigerung der Effizienz neuer Lernkonzepte und Unterrichtsmethoden in der dualen Berufsausbildung“, wissenschaftlich begleitet durch Reinhard BADER) und wurde von Reinhard BADER (2000) veröffentlicht. Eine andere Variante wurde von Michael REINHOLD u. a. (2003) innerhalb des Modellversuchs GAB („Geschäfts- und arbeitsprozessorientierte Berufsausbildung“) entwickelt. Seitdem befassen sich zahlreiche Kommissionen in den deutschen Bundesländern mit der Entwicklung von Lernfeldern. Es ist allerdings weitgehend intransparent (vgl. auch TRAMM/ KRILLE 2013, 3), wie (d. h., mit welcher Methodik und mit welchen Kriterien) diese Kommissionen zu lernfeldorientierten Curricula gelangen.

Im Folgenden sollen Anforderungen an die Entwicklung von Lernfeldern diskutiert werden. „Arbeitsprozesswissen“ wird als Bezugspunkt für die Planung und Evaluation von Lernfeldcurricula positioniert, und es wird diskutiert, ob und inwiefern ausgewählte Ansätze der Curriculumentwicklung darauf Bezug nehmen.

2 Anforderungen an die Entwicklung von Lernfeldcurricula

In der Berufspädagogik gibt es eine lange und ausführliche Diskussion über Sinn und Unsinn, Voraussetzungen und Wirkungen lernfeldorientierten Unterrichts (vgl. z. B. die Ausgaben Nr. 4 und Nr. 20 der Zeitschrift bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online). Unter allen Kritiken ist mir jedoch keine Stellungnahme bekannt, mit der generell bestritten würde, dass Schüler/Auszubildende im Rahmen der beruflichen Erstausbildung auf diejenigen beruflichen Handlungssituationen vorzubereiten seien, die sie anschließend in der Erwerbsarbeit erwarten. Unabhängig davon, was ansonsten noch alles an pädagogischen Wunschvorstellungen geäußert wird, soll die Berufsausbildung berufliche Handlungsfähigkeit aufseiten der Auszubildenden anstreben und den Erwerb der dafür erforderlichen Berufserfahrungen ermöglichen. Das ist in Deutschland sogar gesetzlich geregelt (BERUFSBILDUNGSGESETZ 2005, 4f.[1]) und hat, auch unabhängig von einer gesetzlichen Fixierung, seine Berechtigung:

Wenn jemand ins Krankenhaus kommt, erwartet man, dass die diensthabende Krankenschwester nicht nur Erkenntnisse über den Menschen an sich gewonnen hat, sondern den Patienten auch korrekt an den Tropf anschließen kann. Und ebenso erwartet man, dass die Brötchen des Bäckers morgens schmecken, dass die Sekretärin fehlerfreie Texte schreibt, dass unser Auto vernünftig repariert wird, dass man als Bankkunde angemessen beraten wird, kurzum, dass das erworbene Produkt oder die entsprechende Dienstleistung einen Gebrauchswert besitzen. Karl MARX (1962, 61) hat diesen zu Gebrauchswerten führenden Aspekt der Arbeit „konkret nützliche Arbeit“ genannt. Ein Haufen Schrott und Murks auf dieser Welt belehrt uns, dass die Erstellung von nachhaltigen Gebrauchswerten keine Selbstverständlichkeit ist. Für die Erstellung von Gebrauchswerten werden Menschen benötigt, die in ihrem Metier berufliches Wissen und Können erworben haben.

Worin besteht dieses Wissen und Können? Ab hier beginnt die Welt der schwarzen Löcher in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, und spätestens ab hier scheiden sich die Geister. Die Welt der schwarzen Löcher beginnt, weil empirische und wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zum beruflichen Können von Fachkräften nur ausschnittsweise vorliegen. Solche Untersuchungen müssten ja berufsspezifisch oder wenigstens berufsfeldspezifisch erfolgen. Schaut man sich die 16 beruflichen Fachrichtungen an, in denen laut der deutschen Kultusministerkonferenz (KMK 2007a) unterrichtet werden soll, kann man erkennen, dass nicht einmal alle dieser Fachrichtungen in den Bundesländern auf wissenschaftlichem Niveau etabliert worden sind (ROTHE 2006, 22), geschweige denn, dass dort berufsfeldspezifische Untersuchungen beruflichen Könnens durchgeführt worden wären. Worin die beruflichen Handlungssituationen der Fachkräfte bestehen, welches Wissen und Können sie in diesen Handlungssituationen aufbringen müssen und tatsächlich aufbringen, das ist in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in weiten Teilen (gemessen an 16 Berufsfeldern und ca. 340 Ausbildungsberufen) unbekannt. Jörg BERGMANN (1995, 271) sieht weit reichende Konsequenzen für die Gestaltung von Bildungsgängen, Curricula und beruflichen Lernprozessen, wenn es gelänge, das in der Berufsarbeit domänenspezifisch herausgebildete inkorporierte Wissen und Können zu identifizieren. Und auch der ehemalige Siemens-Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer hat einmal in einem „Anfall von Selbstironie“ [2] geäußert: „Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß ...“. Analog dazu könnte man fragen: Wenn die Berufspädagogen wüssten, was die von ihnen auszubildenden Fachkräfte wissen …?

Das muss die Berufs- und Wirtschaftspädagogik auch gar nicht wissen – antwortet an dieser Stelle ein Teil der Scientific Community, denn was die auszubildenden Fachkräfte wissen sollen, ergibt sich aus den sogenannten Bezugswissenschaften, die den Fachtheorieunterricht in den berufsbildenden Schulen weitgehend vorstrukturieren. Hier ergibt sich aber ein Widerspruch zu den eingangs formulierten Anforderungen lernfeldorientierten Unterrichtens, nämlich berufsbildenden Unterricht auf berufliche Handlungssituationen zu beziehen: Selbst wenn die Annahme einer hinreichenden Ausbildung auf Basis der wissenschaftlichen Bezugsdisziplin zuträfe, müsste man zeigen können, dass Fachkräfte aus dem Fundus des aus den Bezugsdisziplinen entlehnten theoretischen Wissens schöpfen oder zumindest damit auskommen – und das macht dann auch wiederum empirische Untersuchungen beruflicher Arbeit erforderlich.

Es gibt also allen Anlass, sich mit dem Wissen und Können von Fachkräften eingehender zu beschäftigen. Diese Feststellung muss ja keineswegs heißen, dass die curricularen und didaktischen Anstrengungen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik sich in der Abbildung dieses Wissens und Könnens erschöpfen. Jedoch unterstellt die Anforderung, die Lernenden zu konkret nützlicher Arbeit zu befähigen, dass das hierfür erforderliche Wissen und Können entschlüsselt und lehrbar gemacht wird.

In der heutigen Gesellschaft ist es jedoch vom Standpunkt der Wirtschaft keineswegs hinreichend, dass durch Arbeit Gebrauchswerte entstehen. Die Erstellung dieser Gebrauchswerte unterliegt den Bedingungen und Regeln weltweiter ökonomischer Konkurrenz, d. h., Erstellungskosten, betriebliche Durchlaufzeiten, Lieferzeiten etc. müssen bei Einhaltung der Qualitätsstandards berücksichtigt werden – und zwar auch und gerade durch die Arbeitskräfte selber. Diese ökonomische Dimension, der „Tauschwert schaffende“ Aspekt beruflicher Arbeit, tangiert auch das konkret nützliche Arbeitshandeln: Im gewerblich-technischen Bereich stehen die Fachkräfte häufig vor der Frage: austauschen oder reparieren? Im Dienstleistungsbereich hat die Kundenberaterin abzuwägen, ob möglichst schnell ein Produkt verkauft oder die Kundin umfassend informiert werden soll. Meist sind es betriebswirtschaftliche Argumente, die für die eine oder andere Alternative sprechen. Mit anderen Worten: Nicht nur die konkret nützliche Dimension, auch die ökonomische Dimension beruflicher Arbeit ist in beruflichen Handlungssituationen enthalten und dementsprechend bei der Entwicklung von Lernfeldern zu berücksichtigen.

Für die Auszubildenden stellt sich die Frage, wie sie mit derartigen Anforderungen und Widersprüchen in ihrem jetzigen und späteren Berufsleben umgehen wollen. Die heutige Arbeitswelt ist nicht die einer Sklavenhaltergesellschaft. Es wird von den Arbeitenden geradezu verlangt, eine aktive, gar unternehmerische Stellung zu beruflichen Problemen einzunehmen (VOSS/ PONGRATZ 1998; PONGRATZ/ VOSS 2003). Deshalb gehört es zu den Anforderungen an die Berufsausbildung, die Frage zu thematisieren, wie man sich als professionelle Fachkraft in (widersprüchlichen) Anforderungssituationen beruflicher Arbeit verhält.

3 Arbeitsprozesswissen – Ursprünge des Konzepts und neuere Entwicklungen

Unter dem Titel „Work Process Knowledge Network“ hatten sich seit 1994 wissenschaftliche Institute aus zehn europäischen Ländern zusammengetan, um Forschungsergebnisse zum Charakter arbeitsrelevanten Wissens und Könnens – und zwar auch und gerade unter den Bedingungen technischen und organisatorischen Wandels – zusammenzutragen (BOREHAM u. a. 2002). Gegenstand der Diskussionen war u. a. der Zusammenhang zwischen Erfahrung und (wissenschaftlichem/technologischem) Wissen im Rahmen der Berufsarbeit.

Als zusammengefasstes Ergebnis empirischer Forschung, keineswegs als normative Perspektive, wurde Arbeitsprozesswissen dort bestimmt als

  • dasjenige Wissen, das im Arbeitsprozess unmittelbar benötigt wird (im Unterschied z. B. zu einem fachsystematisch strukturierten Wissen);
  • es wird meist im Arbeitsprozess selbst erworben, z. B. durch Erfahrungslernen, schließt aber die Verwendung fachtheoretischer Kenntnisse nicht aus;
  • es umfasst einen vollständigen Arbeitsprozess, im Sinne der Zielsetzung, Planung, Durchführung und Bewertung der eigenen Arbeit im Kontext betrieblicher Abläufe.

Berufs- und Wirtschaftspädagogen haben angesichts dieser Arbeitsdefinition regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, denn ein pädagogischer Impetus war bei dieser Definition nicht erkennbar, sollte allerdings auch gar nicht darin enthalten sein. Resümiert wurden auf diese Weise die vorliegenden Ergebnisse empirischer Arbeits- und Qualifikationsforschung. Selbst der dritte Teil der o. g. Definition, Wissen um Ziele, Planung, Durchführung und Bewertung der eigenen Arbeit, entstammte nicht dem Ansatz der „vollständigen“ Tätigkeit bzw. Handlung aus der Arbeitspsychologie (vgl. HACKER 1998, 251; VOLPERT 1987, 18 f.) im Sinne einer Norm zur Arbeitsgestaltung, sondern spiegelte wider, was Fachkräfte sich angeeignet hatten, partiell auch in tayloristischen Arbeitsumgebungen (ohne dass ihnen vollständige Handlungen abverlangt worden wären).

Mit der genannten Definition sollte u. a. auch ausgedrückt werden, dass Wissen, soll es für berufliche Arbeit handlungsleitend sein, ohne den Prozess des Erfahrung-Machens und die Akkumulation von Erfahrungswissen in Bezug auf die Gegenstände der Facharbeit, die Anforderungen an Facharbeit und die Personen der Zusammenarbeit nicht auskommt. Und zwar aus folgendem Grund: Die Echtheit der Erfahrung gewährleistet, dass der Möglichkeit nach alle realen Facetten einer Situation in die persönliche Erfahrung einfließen können. Diese Facetten können auch zufällige, für die Situation eigentlich nicht wesentliche Erscheinungen sein. Die gesamte Erscheinungsvielfalt aufzunehmen und zu verarbeiten, ist jedoch dort besonders wichtig, wo eine Situation oder ein Prozess nicht nur theoretisch auf den Begriff gebracht, sondern auch praktisch beherrscht werden muss, und wo bei der Prozessbeherrschung vielfältige Phänomene eine Rolle spielen. Autofahren, Maschinen führen, Kinder erziehen, Kunden beraten und kranke Menschen pflegen gelingt nur auf Basis des Selbst-Machens von Erfahrung, da beim Handeln nicht nur allgemeine Regeln und Bedeutungen, sondern die Phänomene des Konkreten (das Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer beim Autofahren, Besonderheiten von Werkzeug und Material an der Werkzeugmaschine, das Verhalten der Kinder in der Kindertagesstätte, die Bedürfnisse des Kunden in der Beratung, die Reaktionen des Patienten während der Pflege) berücksichtigt werden müssen.

Arbeitsprozesswissen enthält also Erfahrungswissen, die subjektive Verarbeitung von theoretisch-systematischem Wissen ist damit jedoch keineswegs negiert. Da Arbeitsprozesswissen auch theoretisches Wissen umfassen kann, dient es als Rahmenkonzept, mit dessen Hilfe verstanden werden soll, wie Widersprüche zwischen Theorie und Praxis – und Widersprüche innerhalb der beruflichen Praxis – von den Beschäftigten im Prozess der Arbeit bewältigt werden und welche Schlussfolgerungen daraus für die berufliche Bildung gezogen werden können.

Im gewerblich-technischen Bereich kann einer der Ursprünge der Idee vom Arbeitsprozesswissen in neuen nicht-tayloristischen Formen der Arbeitsorganisation gesehen werden, die Mitte der 1980er Jahre in Skandinavien, in Deutschland und auch in Großbritannien diskutiert, entwickelt und erprobt worden sind (vgl. BLUMENSTEIN/ FISCHER 1991). Prototypisch hierfür steht das Konzept der Produktionsarbeit in Fertigungsinseln, wo (mindestens von der Idee her) Aufgaben der Planung, Steuerung und Kontrolle von Produktionsprozessen wieder auf die Ebene der unmittelbaren Ausführung zurückverlagert worden sind: In teil-autonomen Teams bearbeiten Facharbeiter Aufträge, für die nur der grobe Rahmen (z. B. Qualitätsaspekte, Lieferzeiten, Kostenrahmen) im Austausch mit der Fabrikleitung abgesteckt worden ist. Die Planung und Ausführung im Detail bleibt der Inselmannschaft vorbehalten, wobei eine der Antriebskräfte für dieses Konzept darin bestand, Flexibilität und Effizienz dadurch zu gewinnen, dass man das traditionell erfahrungsgeprägte Fertigungswissen der Facharbeiter mit Aufgaben der dezentralen Planung und Steuerung verband. Unvorhergesehene Ereignisse wie Maschinenstörungen, Planungsfehler, Zulieferprobleme sollten so leichter zu bewältigen sein.

In der Vorbereitung zur Einführung von Fertigungsinseln habe ich untersucht, welches Wissen Facharbeiter und Auszubildende in dieser Hinsicht schon entwickelt hatten (FISCHER 1995). Das für solche Aufgaben benötigte Wissen der Facharbeiter kann als Arbeitsprozesswissen angesehen werden; es ist Wissen darüber, wie man die Produktion organisiert und enthält damit nicht nur Wissen darüber, wie man vorgegebene Aufgaben nach vorgegebenen Regeln abarbeitet. Da es sich bei den Zielgrößen für die Arbeit in einer Fertigungsinsel häufig um konkurrierende oder sich gar widersprechende Ziele handelt (z. B. Maschinenauslastung versus flexible und kurze Lieferzeiten), gehören Prozesse der Zielbestimmung und Entscheidungsfindung ebenso zum Aufgabenspektrum von Facharbeitern wie die Kommunikation dieser Prozesse innerhalb und außerhalb der Produktionsinsel.

Zu vergleichbaren Ergebnissen gelangte eine soziologische Studie unter deutschen Facharbeitern: Martin BAETHGE u. a. (1998, 5) registrierten, dass traditionelle Facharbeiterprofile handwerklicher Herkunft sich zu Aufgabenprofilen verändert haben, die Problembehebung, Überwachung und Regulierung der Arbeitssysteme umfassen. Dies beinhaltet die Bewältigung von kritischen Situationen auf dezentraler Ebene und schließt sogar die vorausschauende Suche auf dem Weg zur Optimierung von Prozess- oder Produktqualität ein. Die Autoren gelangen zu der Schlussfolgerung, dass ein Verständnis ökonomischer Faktoren sowie erweiterte Kompetenzen in der Aneignung, im Gebrauch und in der Weitergabe von handlungsrelevantem Wissen eine wesentliche Voraussetzung für die neuen Aufgabenprofile darstellen. Wissen wird dabei von den Facharbeitern nicht nur in eng begrenzten lokalen Praxisgemeinschaften kommuniziert, sondern auch zwischen Betriebsabteilungen und sogar im Rahmen von Hersteller-Kunden-Beziehungen. Im Hinblick auf die Gestaltung der beruflichen Bildung bedeutet dies die Einbeziehung sozial-kommunikativer Kompetenzen und Problemlöse-Fähigkeiten sowie ein erweitertes theoretisches Verständnis des organisationalen und sozialen Rahmens von Betrieb und Arbeitsbeziehungen.

Arbeitsprozesswissen wurde von uns in der Folgezeit konzeptualisiert als dasjenige Wissen, das in die beruflichen Handlungen von Facharbeitern inkorporiert ist, jedoch über den eigenen Arbeitsplatz hinausweist (FISCHER 2000; BOREHAM u. a. 2002; FISCHER u. a. 2004). Nicht jedwedes berufliche Handlungswissen ist Arbeitsprozesswissen, sondern nur solches, das die eigene Arbeit mit dem betrieblichen Gesamtarbeitsprozess vermittelt, mithin die eigene Arbeit mit den Regeln der betrieblichen Arbeitsteilung, den Regeln der betrieblichen Praxisgemeinschaft und den Regeln zur Nutzung der im Betrieb verwendeten technischen Artefakte in Verbindung bringt, wie ENGESTRÖM (1987) dies im Anschluss an die kulturhistorische Schule konzipiert hat.

Abb. 1: Elemente eines betrieblichen Handlungssystems (vgl. ENGESTRÖM 1987)Abb. 1: Elemente eines betrieblichen Handlungssystems (vgl. ENGESTRÖM 1987)

Solches Wissen enthält auch – mehr oder weniger – theoretische Anteile, denn die in der betrieblichen Arbeit und Technik enthaltenen Regeln liegen nicht ohne weiteres auf der Hand. Solches Wissen ist auch aus Sicht der Betriebe relevant, da es den Facharbeitern hilft, in Problemsituationen Störungen zu bewältigen und dafür die richtigen Ansprech- und Kooperationspartner im Betrieb zu finden.

In jüngerer Zeit haben Ines LANGEMEYER (2012) und Jürgen LEHBERGER (2013) empirische Untersuchungen mit dem Fokus auf Arbeitsprozesswissen durchgeführt. LANGEMEYER hat die Herausforderungen der Verwissenschaftlichung von Arbeit anhand simulationsbasierter Gruppen-Trainings in der Herzchirurgie analysiert. Sie unterstreicht besonders den Zusammenhang von konkret nützlicher Tätigkeit mit den Haltungen und Rollen, die mit dem weiter unten genannten Aspekt „Wahrung und Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit im Kontext der betrieblichen Lebenswelt“ verbunden sind, und kommt zu folgendem Ergebnis (a. a. O., 26): „Since work process knowledge cannot be appropriated without acting within certain roles, the method of simulation based learning must be improved by critical reflections on stereotypes of authorities, leadership and gender roles – especially when they are rather instinctively not consciously reproduced. This is why simulations should not be used in a one-dimensional manner to foster practical skills only. Their potential is much richer when it is linked to learning processes that tackle the theoretical and social aspects through which trainees implicitely generate their ‘attentiveness’ and ‘presence’ at work. By means of video-data, simulations can also be used by teams […] to research their own practice and knowledge-in-practice to improve it through a collective learning process.”

Der letztgenannte Satz enthält eine Schlussfolgerung, wie Arbeitsprozesswissen pädagogisch gewendet werden könnte, nämlich das existente Arbeitsprozesswissen von Fachkräften im Rahmen von Lehr-/Lernprozessen für die kritische Reflexion des darin enthaltenen Vorgehens zu nutzen.

Die berufspädagogischen Implikationen hatte auch Jürgen LEHBERGER (2013), selbst in der zweiten Phase der Ausbildung von Berufsschullehrkräften aktiv, bei seiner Untersuchung des Arbeitsprozesswissens von Werkzeugmechanikern im Sinn. In einer aufwändigen Arbeitsprozessstudie konnte er mittels handlungsorientierter Fachinterviews sowie Arbeitsbeobachtungen Arbeitsprozesswissen im Bereich des Werkzeugbaus rekonstruieren. Anhand eines Arbeitsauftrags (Erstellung eines Neuwerkzeugs zur Herstellung von Befestigungswinkeln) entschlüsselte er in neun Gesprächsterminen von jeweils zwei bis fünf Stunden Dauer das handlungsleitende, handlungserklärende und handlungsreflektierende Wissen des handelnden Akteurs (a. a. O., 111). Die Rekonstruktion zeigt im Detail, wo in diesem komplexen Arbeitsprozess fachtheoretische Kenntnisse verwendet wurden, wo auf explizit verfügbares Erfahrungswissen zurückgegriffen wurde und wo Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ (a. a. O., 173) getroffen wurden. Die Rekonstruktion zeigt überdies, dass der Akteur in seinem Handeln nicht einer fachsystematischen Struktur gefolgt ist oder fachsystematische und handlungssystematische Strukturen miteinander „verschränkt“ hat, sondern rudimentäre fachtheoretische Elemente und Erfahrungswissen miteinander zu einer Handlungsfolie (FISCHER 2002) bzw. zu Hintergrundbewusstsein (NEUWEG 1999) verschmolzen hatte. LEHBERGER (a. a. O., 242) sieht erst durch die Bezugnahme und Rekonstruktion von Arbeitsprozesswissen die Möglichkeit, die von der KMK erhobene curriculare und didaktische Forderung einzulösen: „Lernen in der Berufsschule vollzieht sich grundsätzlich in Beziehung auf konkretes, berufliches Handeln sowie in vielfältigen gedanklichen Operationen, auch gedanklichem Nachvollziehen von Handlungen anderer. Dieses Lernen ist vor allem an die Reflexion der Vollzüge des Handelns (des Handlungsplans, des Ablaufs, der Ergebnisse) gebunden. Mit dieser gedanklichen Durchdringung beruflicher Arbeit werden die Voraussetzungen geschaffen für das Lernen in und aus der Arbeit.“ (KMK 2000, 10)

4 Arbeitsprozesswissen als Bezugspunkt für die Planung und Evaluation lernfeldorientierten Unterrichts

Nimmt man die Untersuchungen zum Arbeitsprozesswissen, bilden die Gesetze und Regeln mathematischer, naturwissenschaftlicher und (informations)technischer Art, die in der gewerblich-technischen Berufsausbildung die Fachtheorie strukturieren, einen Bestandteil davon – neben den Erfahrungen mit Maschinen und Prozessen, neben den sozialen und ökonomischen Regeln, die in der betrieblichen Lebenswelt als unabdingbar für facharbeitergerechte Lösungen von Arbeitsaufgaben akzeptiert werden.

Wie immer man diese Elemente in einer Bezugswissenschaft für die Facharbeiterausbildung ausdifferenziert, müssen mindestens folgende Sinnbezüge berücksichtigt werden, die sich in professionellem Arbeitshandeln ausdrücken:

  • der Bezug zur konkret-nützlichen Tätigkeit (manifestiert in Regeln[3] zur Erstellung des Handlungsprodukts);
  • der Bezug zur (Lohn-)Arbeit (manifestiert in Regeln zur geldwirtschaftlichen und zeitökonomischen Verausgabung der Arbeitskraft)
  • und der Persönlichkeitsbezug (manifestiert in Regeln zur Wahrung und Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit im Kontext der betrieblichen Lebenswelt und der beruflichen Laufbahn).

 Abb. 2: Implizite und explizite Inhalte beruflichen ArbeitsprozesswissensAbb. 2: Implizite und explizite Inhalte beruflichen Arbeitsprozesswissens

Belege für die hier vorgeschlagenen Dimensionen kann man auch einigen theoretischen und empirischen Arbeiten entnehmen, die im Kontext der Forschungen zum Arbeiterbewusstsein entstanden sind. Bei der Analyse der „Arbeitsorientierung“ von Lohnarbeitern unterscheidet z. B. Birgit GEISSLER (1984, 51 ff.) die Dimensionen „Lohn“ (als das Verhältnis zur Lohnarbeit und zur Verausgabung der Arbeitskraft) und „Arbeit“ (als Verhältnis zur konkreten Arbeit) und begründet die Notwendigkeit für die arbeitende Person, diese beiden Dimensionen mit der eigenen Identitätsbildung zu vermitteln. Letzteres ist in meinem Vorschlag gewissermaßen die dritte Dimension oder der dritte grundsätzliche Sinnbezug, der sich im Arbeitshandeln ausdrückt.

Diese drei Sinnbezüge sind fast immer (mehr oder weniger ausgeprägt) in einer Handlung enthalten, und ich kann aufgrund unserer Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Facharbeit zeigen, dass keiner dieser Sinnbezüge so ohne weiteres vernachlässigt werden kann, wenn man eine umfassende Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz im Auge hat. In der beruflichen Bildung konzentriert man sich häufig auf die konkret nützliche Tätigkeit, auf die Regeln zur Erstellung eines Handlungsprodukts, und lässt die Auszubildenden z. B. solange systematische Fehlersuche betreiben, bis der letztendlich zugrunde liegende Fehler gefunden ist. In der betrieblichen Wirklichkeit ist jede Handlung mit einer ökonomischen Abwägung verbunden (z. B. bei der Entscheidung: Austausch oder Reparatur). Und jede Entscheidung ist mit dem Persönlichkeitsbezug verquickt, z. B. in der Entscheidung, im Fall einer Produktionsstörung um Hilfe zu bitten (und damit evtl. mangelnde Kompetenz zu beweisen) oder es selbst zu versuchen (und damit als Könner dazustehen bzw. ggf. zu scheitern).

Arbeitsprozesswissen als Wissen wie man seine Arbeit macht und in welche produktbezogenen, technischen, arbeitsorganisatorischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Zusammenhänge die Arbeit eingebunden ist, könnte die Umrisse einer adäquaten Bezugswissenschaft andeuten. Eine adäquate Bezugswissenschaft lieferte Erklärungen für das Handeln der Subjekte, indem sie die Regeln explizierte, die in das berufliche Handeln inkorporiert sind und den genannten drei Sinnbezügen gelten. Das heißt: Es soll hier gar nicht bestritten werden, dass fachtheoretisches bzw. theoretisch-systematisches Wissen seinen Stellenwert in der beruflichen Bildung besitzt. Vielmehr geht es darum, welche Elemente bzw. Inhalte dieses fachtheoretische Wissen konstituieren. Vor dem Hintergrund der Arbeitsanforderungen, die Auszubildende zu gewärtigen haben, ist es äußerst einseitig, die entsprechenden Inhalte im gewerblich-technischen Bereich allein aus den Ingenieurwissenschaften zu entlehnen und alle anderen, z. B. berufs- und arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse, die für das Zurechtkommen in und für die Mitgestaltung der Erwerbsarbeit maßgeblich sind, unter den Tisch fallen zu lassen.

Das Anliegen, sich mit dem Arbeitsprozesswissen von Fachkräften zum Zweck der Curriculumentwicklung zu beschäftigen, ruft jedoch häufig Skepsis hervor. „Utilitarismus“ (DUBS 2000, 20 f.) oder „naturalistischer Fehlschluss“ (TRAMM 2004, 136) sind Begriffe, die einem entgegenschallen.

Mir liegt es fern, das empirisch existente Arbeitsprozesswissen von Fachkräften zu verabsolutieren. Hier soll dafür plädiert werden, dieses Arbeitsprozesswissen mit allen seinen Stärken und Schwächen zur Kenntnis zu nehmen, um es für die Curriculumentwicklung nutzbar zu machen. Und zwar mit der Hypothese, dass die empirisch fundierte Herausarbeitung der „Stärken“ eine Bereicherung berufspädagogischer und berufswissenschaftlicher Theoriebildung darstellt (nämlich die Frage beantwortet, welches Wissen für kompetentes Handeln relevant ist) und dass die empirisch fundierte Herausarbeitung der „Schwächen“ eine Aufforderung zum pädagogischen Handeln darstellt (nämlich darauf hinweist, wo unzutreffende Vorstellungen und Handlungsdefizite der Facharbeiter durch entsprechende Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung korrigiert werden müssen und wo im Übrigen möglicherweise Mängel in der Erstausbildung vorliegen).

Mit der Analyse beruflichen Arbeitsprozesswissens wird der Status quo facharbeiterspezifischen Handlungswissens unter gegebenen Arbeitsbedingungen beschrieben. Damit ist noch kein Urteil über diese Arbeitsbedingungen selber getroffen sowie darüber, welche Auswirkungen diese Arbeitsbedingungen auf die unmittelbar und mittelbar Betroffenen haben und wie sie möglicherweise verändert werden können: „Erfahrung lehrt uns zwar, dass etwas so oder so beschaffen sei, aber nicht, dass es nicht anders sein könne“ (KANT 1980). Die „Befähigung zur Mitgestaltung der Arbeitswelt“, die von der KMK (1991) in den Rang eines Bildungsziels erhoben wurde, ist nicht notwendigerweise Element real existierenden Arbeitsprozesswissens. Jedoch bieten sich im beruflichen Arbeitsprozesswissen vielfältige Anknüpfungspunkte für die Realisierung dieses Bildungsziels, insbesondere dann, wenn man damit Ernst machen möchte.

5 Arbeitsprozesswissen in existierenden Ansätzen lernfeldorientierter Curriculumentwicklung

In der Handreichung der KMK zur Einführung der Lernfelder von 2007 heißt es:

„Danach [KMK-Rahmenvereinbarung über die Berufsschule von 1991, Zusatz des Verfassers] gehört es zum Bildungsauftrag der Berufsschule, einerseits eine berufliche Grund- und Fachbildung zu vermitteln und andererseits die zuvor erworbene allgemeine Bildung zu erweitern. Damit will die Berufsschule zur Erfüllung der Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung befähigen. Die Rahmenlehrpläne der Kultusministerkonferenz für den Unterricht im berufsbezogenen Lernbereich greifen diesen Ansatz auf. Sie sind nach Lernfeldern strukturiert, die aus beruflichen Handlungsfeldern abgeleitet werden und bilden eine umfassende Handlungskompetenz ab. Ihre wesentliche Bezugsebene sind damit berufliche Prozesse.“ (KMK 2007b, 4)

Der Gedanke, dass Lernfelder aus beruflichen Handlungsfeldern abgeleitet werden sollen, wird in der aktuellen Handreichung so nicht mehr aufgegriffen. Stattdessen heißt es dort:

„Arbeitsprozessorientierung im Rahmenlehrplan hat die Funktion, das Lernen an fachsystematisch strukturierten Inhalten zu überwinden zugunsten eines Lernen, dessen Inhalte auf Arbeitsprozesse bezogen sind. Hierbei sollen Arbeitsprozesse wissenschaftlich fundiert verstanden werden. Dementsprechend sollen die Lernfelder sich nicht an Teilgebieten wissenschaftlicher Fächer orientieren, sondern von Arbeitsprozessen in beruflichen Handlungsfeldern ausgehen und entsprechend strukturiert werden.“ (KMK 2011, 29)

Die KMK erläutert nicht, warum bestimmte Formulierungen geändert werden. Jedoch ist m. E. in der aktuellen Handreichung die zutreffende Forderung enthalten, dass „Arbeitsprozesse wissenschaftlich fundiert verstanden werden“ sollen. Das bedeutet: In einer wissenschaftlich fundierten Berufs(schullehrer)ausbildung steht der Wissenschaftsbezug nicht neben Situations- und Persönlichkeitsprinzip (vgl. TRAMM/ REETZ 2010), sondern umschließt diese. Die Herausforderung für Lehrplanentwickler und Berufsschullehrkräfte besteht dann in der wissenschaftlich fundierten Ermittlung beruflicher, für die Tätigkeit bedeutsamer Situationen, die zudem ein Potenzial für Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung bieten (FISCHER/ RAUNER 2002). Wie dies geschehen soll, dazu macht die Handreichung keine präzisen Angaben.

5.1 Der theoriegeleitet-pragmatische Ansatz zum Konstruieren von Lernfeldern von Reinhard Bader

Im Programm „Neue Lernkonzepte in der dualen Berufsausbildung” sind die beiden Großprojekte NELE (Neue Unterrichtsstrukturen und Lernkonzepte durch berufliches Lernen in Lernfeldern) und Seluba (Steigerung der Effizienz neuer Lernkonzepte und Unterrichtsmethoden in der dualen Berufsausbildung), an denen sich vier deutsche Bundesländer beteiligt haben, dem BADER‘schen Konzept gefolgt und haben eine Handreichung zum Konstruieren von Lernfeldern entwickelt (MÜLLER/ ZÖLLER 2001).

Grundlage des Konzepts ist der „Theoriegeleitet-pragmatische Ansatz zur Konstruktion von Lernfeldern in technischen Berufsfeldern” (BADER 2000, 45ff.; BADER 2001) in acht curricularen Schritten. Die Schritte 1 bis 4 führen bis zur Beschreibung von Handlungsfeldern und beinhalten sekundäranalytische Methoden der Sichtung von Ordnungsmitteln und anderer Materialien zur beruflichen Bildung sowie Betriebsbesichtigungen und Expertengespräche:

  1. Erfassen des Zusammenhangs zwischen Beruf und Arbeitsprozessen (Ordnungsmittel, Betriebsbesuche, Expertenbefragung)
  2. Erfassen der Ausbildungsbedingungen im Beruf (Sichten der Berufsbildungsberichte/ Infos der Berufsberatung, Expertenbefragung)
  3. Erfassen von Handlungsfeldern (Methoden wie Schritt1)
  4. Beschreiben der Handlungsfelder (Methoden wie Schritt 1)
  5. Beurteilen der Handlungsfelder bzgl. ihrer Eignung als Lernfelder und Auswahl (Methoden in Schritt 5–8: Moderierte Teamarbeit, Visualisierung durch Metaplan)
  6. Transformieren der ausgewählten Handlungsfelder zu einem Arrangement von Lernfeldern
  7. Ausgestalten und Formulieren der einzelnen Lernfelder
  8. Ausgestalten/Formulieren von Lernsituationen durch Konkretisieren der Lernfelder mit Bezug zu Handlungsfeldern

Die Schritte 5 bis 8 widmen sich der didaktischen Transformation der beschriebenen Handlungsfelder in Lernfeld-Arrangements und deren Konkretisierung in Form von Lernsituationen. Im Vordergrund stehen dabei die

  • Einschätzung ihrer Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung für die Entwicklung einer umfassenden beruflichen Handlungskompetenz;
  • Sequenzierung der Lernfelder und -situationen im gesamten Curriculum (sequenzielle, parallele oder vernetzte und zeitliche Strukturierung der Curriculumelemente);
  • Sicherstellung didaktischer Prinzipien und Kriterien, wie z. B. die Entwicklung von Fach-, Human- und Sozialkompetenz, Repräsentation technik- und berufsspezifischer Methoden in den Lernsituationen, Exemplarizität und Transfergehalt von Lehrinhalten, Orientierung am Modell der vollständigen Handlung, Förderung des selbstständigen Lernens, der Differenzierung des Lehrangebotes usw.

Ein Handlungsfeld ist in diesem Konzept definiert als „Aufgabenkomplex mit beruflichen sowie lebens- und gesellschaftsbedeutsamen Handlungssituationen”. Leitziel der beruflichen Bildung ist die Förderung der Kompetenz, diese beruflichen Aufgabenkomplexe zu bewältigen (BADER 2001, 26).

Als Strukturierungshilfe für die Ermittlung und Beschreibung von Handlungsfeldern schlägt BADER das Konzept eines soziotechnischen Handlungssystems vor. Dieser Ansatz wurde in den 1950er Jahren am Tavistock Institute in London erarbeitet. In Deutschland hat Günter ROPOHL (1979) eine theoretische Grundlage für soziotechnische Systeme entwickelt.

Abb. 3: Soziotechnisches Handlungssystem (nach BADER 1995, 156)Abb. 3: Soziotechnisches Handlungssystem (nach BADER 1995, 156)

Eine Präzisierung und Erweiterung erfuhr der BADERsche Lernfeld-Ansatz durch die Arbeiten der Modellversuchsverbünde NELE und SELUBA. Alle Prozessschritte wurden durch Checklisten mit Kriterien für die Durchführung von Qualitätsanalysen ergänzt (BINSTADT u. a. 2001). Sie sind in erster Linie für Lehrplanausschüsse, Bildungsgangkonferenzen und curriculare Arbeitsgruppen als konkrete Arbeitshilfe bestimmt. Zusammengefasst geht der Ansatz BADERs von der Erfassung beruflicher Handlungssituationen aus, verortet diese in einem soziotechnischen Handlungssystem und versucht, die pädagogisch-didaktische Qualität durch Fragen sicherzustellen, die sich u. a. an KLAFKIs kritisch-konstruktiver Didaktik (1996) anlehnen (BADER 2003).

5.2 Das Konzept des Instituts Technik und Bildung (ITB) der Universität Bremen

Das ITB-Konzept (REINHOLD u. a. 2003) zur Entwicklung von Lernfeldern ist im Rahmen des Großprojekts GAB („Geschäfts- und arbeitsprozessbezogene dual-kooperative Ausbildung in ausgewählten Industrieberufen mit optionaler Fachhochschulreife“) entstanden. An diesem Projekt haben Berufsschulen aus drei Bundesländern und alle inländischen Produktionsstätten eines großen Automobilherstellers mitgewirkt. Damit war auch die betriebliche Ausbildung vertreten, und es wurden integrative Lernfelder entwickelt, die Aufgaben betrieblicher und schulischer Ausbildung für je gemeinsame Lernfelder ausweisen.

Beim ITB-Ansatz wird davon ausgegangen, dass sich Berufsausbildungen durch eine definierte Anzahl von Aufgaben empirisch beschreiben lassen. Solche Aufgaben sind im ITB-Ansatz mit Lernfeldern identisch. Jeweils 12 bis 20 dieser Aufgaben oder Lernfelder bilden das Curriculum für die Ausbildung in einem bestimmten Beruf.

Abb. 4: Dimensionen des Arbeitens und Lernens (a.a. O, 52)Abb. 4: Dimensionen des Arbeitens und Lernens (a.a. O, 52)

Ein Schwerpunkt dieses curricularen Ansatzes liegt in der empirischen Analyse beruflicher Arbeitsaufgaben durch Berufsschullehrkräfte, Experten-Facharbeiter und betriebliche Ausbilder/-innen. Für diese Analyse steht ein umfangreicher Fragenkatalog zur Verfügung, mit dessen Hilfe Gegenstände, Werkzeuge und Arbeitsanforderungen der Facharbeit erfasst werden können (a. a. O., 16ff.). Die darin enthaltenen Kriterien führen dazu, dass nicht jedwede empirisch vorfindliche Handlungssituation Eingang in das Curriculum findet, sondern nur Aufgaben, die berufstypisch sind, eine vollständige Handlung darstellen, lernhaltig und gestaltungsoffen sind (a. a. O., 10).

Ein zweites Hauptmerkmal des ITB-Konzepts ist die Verknüpfung beruflicher Aufgaben mit einem Kompetenzentwicklungsmodell. Grundlage dieses Modells ist das Novizen-Experten-Paradigma von Hubert und Stuart DREYFUS (1987), die aus einer Sekundäranalyse der Expertiseforschung fünf Stufen der Kompetenzentwicklung vom Novizen (Anfänger) zum Experten abgeleitet haben. Im ITB-Konzept werden diese fünf Stufen der Kompetenzentwicklung in einen curricularen Ansatz transformiert, der vier aufeinander aufbauende Lernbereiche enthält (RAUNER 1999, 436). So wurde ein Bezugssystem entwickelt, mit dessen Hilfe sich Aufgaben als curriculare Elemente verorten und der „Logik der Entwicklung” folgend arrangieren lassen.

Abb. 5: Struktur der Lernbereiche nach Stufen zunehmender Arbeitserfahrung (REINHOLD u. a. 2003, 29)Abb. 5: Struktur der Lernbereiche nach Stufen zunehmender Arbeitserfahrung (REINHOLD u. a. 2003, 29)

Aufgaben und damit Lernfelder sind nach Maßgabe der unterschiedlichen Kompetenzniveaus strukturiert. Die Aufgaben in Lernbereich 1 („Orientierungs- und Überblickswissen“) sollen sich für Anfänger eignen, während Aufgaben in Lernbereich 4 Berufserfahrung und theoretisch-systematisches Wissen voraussetzen.

Abb. 6:    Der ITB-Ansatz für die Entwicklung von Berufsprofilen (FISCHER/ BAUER 2007, 146)Abb. 6: Der ITB-Ansatz für die Entwicklung von Berufsprofilen (FISCHER/ BAUER 2007, 146)

Das ITB-Konzept sieht zur Identifizierung und curricularen Verortung von beruflichen Arbeitsaufgaben sogenannte Experten-Facharbeiter-Workshops vor (KLEINER u. a. 2002). Allgemeines Ziel der Experten-Facharbeiter-Workshops ist es, die Aufgaben eines Berufs zu sammeln, zu beschreiben und schließlich jeweils in einen der vier Lernbereiche (siehe Abb. 6) einzuordnen. Im Rahmen des Modellversuchs GAB wurden die solchermaßen definierten Aufgaben dann in betrieblichen Arbeitsplatzuntersuchungen und von anderen Fachexperten in einer bundesweiten Erhebung evaluiert.

Zusammengefasst ist Kennzeichen des ITB-Ansatzes die starke empirische Basis unter Beteiligung von Fachkräften bei der Erfassung von beruflichen Arbeitsaufgaben (= Lernfeldern) sowie die Verwendung eines Kompetenzentwicklungsmodells, das die Entwicklung von Fachkräften von Anfängern zu Experten in ihrem Beruf idealtypisch darstellt.

6 Diskussion und Schlussfolgerungen

Bei den dargestellten sowie weiteren Ansätzen zur Entwicklung lernfeldorientierter Curricula, die ernsthaft intendieren, eine Verbindung von beruflichen Handlungssituationen über Lernfelder zu Lernsituationen herzustellen (vgl. BECKER u. a. 2010; TRAMM/ KRILLE 2013) tun sich mindestens drei grundsätzliche Problemstellungen auf:

  • Das Analyseproblem: Wie lassen sich Handlungsfelder sowie Arbeits-und Geschäftsprozesse zum Zweck der Curriculumentwicklung analysieren? Zur Beschreibung der beruflichen Tätigkeiten wird ein methodisches Konzept mit angemessenen empirischen Methoden und Kategorien benötigt.
  • Das Transformationsproblem: Wie lassen sich die empirischen Ergebnisse in lernfeldorientierte Curricula transformieren? Für diesen Transformationsprozess ist eine begriffliche Fassung und Offenlegung der pädagogischen, psychologischen und gesellschaftlichen Kriterien erforderlich.
  • Das Kompetenzentwicklungs- und -bewertungsproblem bei Schülern/Auszubildenden: Wie lassen sich Lernfelder und die Inhalte der curricularen Elemente so anordnen, dass sie die Kompetenzentwicklung fördern? Diese Frage impliziert, dass zur Beschreibung kompetenzförderlicher Formen und Inhalte des Lehrens und Lernens ein Kompetenzentwicklungsmodell erforderlich ist und dass Methoden/Verfahren zur Bewertung der individuellen Kompetenzentwicklung benötigt werden.

Nicht nur die Berufsbildungsforschung oder Rahmenlehrplanausschüsse sind mit diesen Problemstellungen konfrontiert. Mit der Umsetzung des Lernfeldkonzepts ist aufgrund der Interpretationsbedürftigkeit der Lernfeldbeschreibungen die schulnahe Curriculumentwicklung zu einer Aufgabe für die Berufsschullehrkräfte geworden (SLOANE 2003).

6.1 Das Problem der Analyse betrieblicher Arbeitssituationen

Eine Bezugnahme auf berufliche Handlungssituationen im berufsbildenden Unterricht unterstellt die Kenntnis derartiger Handlungssituationen und des darin inkorporierten Arbeitsprozesswissens. Sofern derartiges Wissen (noch) nicht durch die Berufsbildungsforschung zur Verfügung gestellt wird, sind entsprechende Untersuchungen durch die Mitwirkenden an der Curriculumarbeit durchzuführen. Der ITB-Ansatz liefert hierfür ein passendes Instrumentarium, das ich schon vielfach, auch mit Studierenden der Ingenieur- und Berufspädagogik und auch einschließlich realer Arbeitsanalysen in von Studierenden ausgewählten Betrieben, erfolgreich erprobt habe. BADERs Vorschlag bleibt in dieser Hinsicht vage, weil nicht ausreichend erläutert wird, wie genau (mit welchen Fragen und welchen Kriterien) berufliche Arbeit analysiert wird. Was mithilfe des entwickelten ITB-Instrumentariums relativ leicht ermittelt und detailliert beschrieben werden kann, sind Arbeitsaufgaben, die Fachkräfte im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit durchführen.

Weitaus schwieriger ist die Analyse des in der Aufgabenbewältigung jeweils enthaltenen Arbeitsprozesswissens. Hier hat die Dissertation von Jürgen LEHBERGER (2013) Pionierarbeit geleistet. Wenn man sich jedoch vergegenwärtigt, dass die Untersuchung einer einzigen, allerdings umfassenden Aufgabe eine gesamte Dissertation beansprucht und diese dabei vorrangig nur auf die konkret nützliche Dimension von Berufsarbeit (und nicht auf die ökonomische und lebensweltliche Dimension) fokussiert, dann wird der gewaltige Aufwand deutlich, der in der Entschlüsselung beruflichen Arbeitsprozesswissens steckt.

Die Einbeziehung von Fachkräften in Experten-Facharbeiter-Workshops zur Arbeitsanalyse kann hier Hilfestellung leisten, da hierdurch reales Arbeitsprozesswissen in die Curriculumentwicklung integriert werden kann. Allerdings sind auch hier Schwierigkeiten zu vergegenwärtigen. Eine Schwierigkeit ergibt sich bei der Auswahl der an den Workshops teilnehmenden Facharbeiter, mit deren Hilfe ein auf die Zukunft gerichtetes Curriculum erstellt werden soll: Wer repräsentiert mit seiner Tätigkeit nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft der Facharbeit? Eine zweite Schwierigkeit besteht in der Vermittlung des unterstellten Aufgabenkonzepts: Was für die eine Fachkraft eine einzige Aufgabe darstellt, begreift eine andere als zehn verschiedene Aufgaben. Schließlich existiert noch das Problem der Repräsentativität der ermittelten Aufgaben für das jeweilige Berufsbild, das eine entsprechend flächendeckende Erhebung notwendig macht.

6.2 Das Problem der Transformation von Arbeitssituationen in Berufsschulcurricula

Schon bei der empirischen Analyse beruflicher Handlungsfelder und erst recht im Anschluss daran ergibt sich das Problem, wie die Ergebnisse in Curricula zu transformieren sind. Ein Curriculum lässt sich nicht empirisch ermitteln – lautet der Einwand an dieser Stelle (z. B. von Ingrid LISOP und Richard HUISINGA (2000, 42ff.)). Der Einwand ist zutreffend, denn mit einem Curriculum wird nicht beschrieben, was Menschen empirisch gelernt haben, sondern was sie lernen sollen. LISOP/ HUISINGA argumentieren, dass beruflichen Handlungssituationen an sich die pädagogisch wesentlichen Merkmale wie Exemplarizität usw. fehlten und plädieren dafür, bei der Entwicklung von Curricula berufliche Handlungssituationen mit pädagogischen Intentionen zu korrelieren.

So richtig es ist, dass man aus der beruflichen Praxis und dem darin akkumulierten Wissen der Fachkräfte nichts (im Sinne einer Übertragung, sondern bestenfalls im Sinne von Schlussfolgerungen) „ableiten“ kann, weil die berufliche Praxis im Hinblick auf pädagogische Kriterien defizitär sein kann, so sehr unterstreicht die geforderte Herstellung einer Korrelationsbeziehung die Notwendigkeit, die beruflichen Handlungssituationen und das darin inkorporierte Wissen zu untersuchen. Womit sonst wollen die Berufspädagogen ihre pädagogischen Intentionen korrelieren, wenn nicht mit dem real existierenden Handlungswissen, das Fachkräfte auf Basis ihrer beruflichen Ausbildung und ihrer Arbeitserfahrung erworben haben?

Die beiden hier vorgestellten Ansätze zur Konstruktion von Lernfeldern versuchen in dieser Hinsicht, empirische Ergebnisse der Arbeitsanalyse mit weiteren, z. T. auch normativen Kriterien zum Zweck der Curriculumentwicklung zu kombinieren.

Im BADER‘schen Konzept soll das Modell eines soziotechnischen Handlungssystems als Leitlinie für die Lösung des Transformationsproblems dienen (die Transformation von Arbeitssituationen in Curricula). In der Tat lassen sich mit Hilfe eines soziotechnischen Handlungssystems Lernfelder, Aufgaben und Inhalte in einem idealen sozio-technischen Handlungsprozess lokalisieren. Dagegen bleiben Phänomene der wirklichen Arbeitswelt wie wirtschaftliche Anforderungen an die Arbeit, Dienstleistungsarbeit und Aspekte der individuellen Kompetenzentwicklung unberücksichtigt.

Demgegenüber bietet das ITB-Konzept ein Kompetenzentwicklungsmodell als Bezugssystem für die Curriculumentwicklung, wodurch sich Lernfelder, Aufgaben und Inhalte in einem idealen Kompetenzentwicklungsprozess lokalisieren lassen. Es kann aber problematisch sein, eine bestimmte realweltlich ermittelte Aufgabe mit nur einem Lernbereich bzw. Lernfeld in Beziehung zu setzen (und z. B. der Annahme zu folgen, dass der Standardservice eines Autos ausschließlich in den Bereich des Orientierungswissens fällt). Auch sind die angenommenen Stufen der Kompetenzentwicklung zwar auf Basis der Sekundäranalyse empirischer Forschung entwickelt, aber selbst noch nicht empirisch belegt worden. Mitwirkende am ITB-Konzept sind inzwischen zu einem anderen, PISA-kompatibleren, Kompetenzmodell gelangt. Dieses Modell sieht die Kompetenzstufen „nominale“, „funktionale“, „prozessuale“ und „berufliche Gestaltungskompetenz“ vor (RAUNER u. a. 2009, 21 ff.), und es ist die Frage, inwieweit dieses zur Kompetenzmessung verwendete Modell auch eines der Kompetenzentwicklung ist.

6.3 Das Problem der Kompetenzentwicklung und -bewertung bei Schülern/ Auszubildenden

Vergleichsuntersuchungen zur Wirkung von fachsystematischem und lernfeldorientiertem Unterricht fehlen weitgehend. Im GAB-Projekt ergab eine Evaluation der Kompetenzen, die Schüler/ Auszubildende innerhalb von 12 bis 18 Monaten erworben hatten, dass die meisten (der immerhin fast 900 Teilnehmer) trotz Umstellung auf das Lernfeldkonzept nicht in der Lage gewesen waren, Arbeitsprozesswissen zu erwerben, das ihnen geholfen hätte, mit realen Aufgaben zurechtzukommen, wie sie Facharbeiter bewältigen müssen (BREMER 2004). Es war seinerzeit und dürfte auch heute schwierig sein, „rein“ fachsystematischen oder „rein“ lernfeldorientierten Unterricht für derartige Untersuchungen zu finden. Insofern ist auf empirischer Basis kaum zu bewerten, inwiefern die erhoffte Förderung beruflicher Kompetenzentwicklung durch lernfeldorientierten Unterricht eingetreten ist. Hinzu kommt, dass der betriebliche Teil beruflicher Ausbildung häufig nicht lernfeldorientiert durchgeführt wird und die Kompetenz der Auszubildenden sich auf Basis der gesamten Berufsausbildung entwickelt und nicht bloß des schulischen Teils.

Für die Entwicklung eines allgemein akzeptierten Kompetenzentwicklungsmodells zeichnet sich auch noch keine Lösung ab. Kompetenzentwicklungs- und Kompetenzmessmodelle beeinflussen sich hier wechselseitig. Insofern Kompetenzmessmodelle von der Gleichung ausgehen: je weniger Personen eine Aufgabe lösen können, desto schwieriger die Aufgabe, desto kompetenter der Mensch, der sie lösen kann, wird man kaum zu einem Kompetenzentwicklungsmodell gelangen, denn hierfür benötigt man eine inhaltliche Vorstellung von Facharbeiterkompetenz und nicht bloß Statistik.

Berufsbezogene Qualifikationsforschung, die das berufliche Wissen und Können der Fachkräfte in solch einer Tiefe, Detailliertheit und Genauigkeit ermittelt, dass es für pädagogische Prozesse verwendbar wäre, steht erst am Anfang. Bisweilen wird versucht, diesen Mangel mit dem (nicht von der Hand zu weisenden) Hinweis zu entschärfen, dass Ausbildungsordnungen nicht empirisch ermittelt werden könnten. Jedoch stellt sich auch niemand auf den Standpunkt, dass Ausbildungsordnungen überhaupt nichts mit der empirischen Ermittlung beruflicher Kompetenzen zu tun haben sollten. Insofern steht am Ende die Frage und in gewisser Weise auch der Auftrag, eine Qualifikationsforschung zu etablieren, in der die gesellschaftliche Transformation von Qualifikationsanforderungen und Qualifikationen in Berufsbilder und Curricula reflektiert geplant und transparent durchgeführt wird. Qualifikationsforschung kann Curriculumentwicklung nicht ersetzen. Gleichwohl sollte Platz für die empirische Ermittlung beruflichen Wissens und Könnens sein, ohne dass diese Ermittlung von vornherein interessenpolitischen Zielen untergeordnet würde. Nur so wäre schließlich nicht nur herauszufinden, welche Kompetenzen in der Arbeitswelt wichtig sind, sondern auch, welche Schwierigkeiten die Individuen mit der Aneignung solcher Kompetenzen haben und wie ihnen dabei im Rahmen pädagogischen Handelns geholfen werden könnte.

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[1]     Es heißt dort sogar, dass berufliche Handlungsfähigkeit „zu vermitteln“ ist. Wer als Berufspädagoge behauptet, dass man eine Fähigkeit, noch dazu Handlungsfähigkeit, sich nur selbst aneignen, nicht aber vermittelt bekommen kann, der verhält sich also nicht ganz gesetzeskonform.

[2]     http://www.tse.de/papiere/internet%20und%20netze/ecommerce/pierer.html

[3]     Der Begriff „Regel“ wird hier in einem weiten Sinn verwandt, der implizite und explizite Elemente von Wissen und Können sowie situationsspezifische Entscheidungen (in Abhängigkeit von sich verändernden Rahmenbedingungen, Ereignissen, Prozessen und Phänomenen bzgl. der zu bearbeitenden Aufgabe) einschließt. Der Regelbegriff soll ausdrücken, dass die entsprechenden Handlungen nicht völlig zufällig und nicht völlig willkürlich erfolgen, sondern bei der handelnden Person ein entsprechendes Handlungsrepertoire unterstellen, auf das diese bewusst oder nicht-bewusst zugreifen kann. Eingeschlossen ist das, was AEBLI (1983, 184 ff.) als Handlungsschemata (flexible Handlungsmuster) bezeichnet hat. Inkludiert sind auch Deutungsmuster sozialer Praxis, die nicht notwendigerweise unmittelbar handlungswirksam sein müssen.

 

Zitieren des Beitrags

FISCHER, M. (2014): Arbeitsprozesswissen als Bezugspunkt für die Planung und Evaluation lernfeldorientierten Unterrichts. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Profil 3, 1-25. Online: http://www.bwpat.de/profil3/fischer_profil3.pdf (23-05-2014).