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http://www.bwpat.de/ATspezial | Hrsg. bwp@-Spezial 3 - Österreich Spezial: Franz Gramlinger & Peter Schlögl & Michaela Stock

bwp@ Spezial 3 - Österreich Spezial
Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Österreich. Oder:
Wer „macht“ die berufliche Bildung in AT?


Das pädagogische Prinzip im ökonomischen System Betrieb. Betrachtungen und Fakten zu einem Verhältnis zwischen Wunsch und Realität, Selbstverständlichkeit und Verkennung

 

 

 

 

 

1. Problemaufriss

Konstitutiv für den originären Auftrag der wissenschaftlichen Betriebspädagogik ist die Frage, wo, unter welchen Bedingungen und in welcher Form sich genuin pädagogische Zwecksetzungen in Gestalt von Bildungsprozessen in den vom eigentlichen Systemzweck nach ökonomischen Prinzipien organisierten Betrieben theoretisch begründen und praktisch gestalten lassen. Will die Disziplin diesem Auftrag nachkommen und, dazu kongruent, ihre Außen- wie Binnenlegitimation sichern, muss sie zunächst ihr eigenes Verständnis dieser Dualität klären und begründen, gewissermaßen eine speziell betriebliche, empirisch sichere Bildungstheorie formulieren. Zudem bedarf es im Hinblick auf den effizienten Transfer entsprechender theoretisch begründeter Handlungsempfehlungen unter anderem der gezielten empirischen Akzeptanzanalyse, was die Praxis von der Betriebspädagogik erwartet und wie sie zu den deren Theorien und Erkenntnissen steht.

Im Falle der Bildungstheorie kann die Disziplin, unbeschadet der Notwendigkeit einer auf den eigenen Objektbereich gerichteten Präzisierung, auf Erkenntnisse der allgemeiner orientierten, aber prinzipiell mit derselben Dualität konfrontierten Wirtschaftspädagogik zurückgreifen. Unzählige, das Selbstverständnis der Wirtschaftspädagogik im Weiteren und der Betriebspädagogik im Speziellen artikulierende und tangierende Erörterungen befassten und befassen sich in diesem Zusammenhang mit dem Miteinander und/oder Gegeneinander von Pädagogik und Ökonomie, pädagogischem Prinzip und ökonomischem Prinzip, Mensch und Betrieb, Personalität und Funktionalität, Selbstbestimmtheit und Fremdbestimmtheit. Die neuzeitlichen Wurzeln finden wir bereits bei den Philanthropen und ihren neuhumanistischen Gegnern. Und aktuell beispielsweise spiegelt sich die Thematik facettenreich in der Auseinandersetzung über betriebliche Rationalisierungsbestrebungen einerseits und humane und soziale Verantwortung der Betriebe andererseits wider.

Allerdings sind wir der Meinung, dass die Betriebspädagogik mit ihren solcherart grundgelegten Möglichkeiten sowohl in der Vergangenheit als auch und besonders in den aktuellen Diskussionen zu defensiv umging, nicht zuletzt viel zu wenig auf Außenlegitimation abzielt(e) und es sich damit selbst erschwert(e), ihrem wissenschaftlichen Auftrag vollständig nachzukommen. Wir legen unseren Darlegungen daher die Hypothese zu Grunde: die Disziplin hat sich in der Vergangenheit zu wenig beziehungsweise nur in einseitiger Weise um ihr empirisches Erscheinungsbild in der Praxis gekümmert, vertraute zu selbstsicher auf die Trag- und Überzeugungskraft vermeintlicher Unverrückbarkeiten und Selbstverständlichkeiten oder Axiome und konnte darüber ihren Auftrag nur unzureichend erfüllen.

2.  Betriebspädagogik – eine grundsätzliche erkenntnistheoretische Annäherung und erkenntnispraktische Bestandsaufnahme

Betriebspädagogik kann einerseits auf eine fast hundertjährige Geschichte zurückblicken und steht damit in einer Reihe mit der Betriebswirtschaftslehre. Während Letztere aber ihre Legitimation längst gesichert weiß, nimmt das Streben nach Profilierung und Legitimation beziehungsweise das Beklagen eines diesbezüglichen Mangelzustandes in den Lagebulletins der Apologeten einer wissenschaftlichen Betriebspädagogik nach wie vor einen erheblichen Raum ein (vgl. exemplarisch GEISSLER 1990, 15f.; zu den Entwicklungslinien der Betriebspädagogik allgemein ARNOLD 1997; SCHURER 2006, 120 ff.).

Insofern befindet sich die Disziplin in gewisser Hinsicht offensichtlich immer noch in ihrer Konzeptionsphase. Aber im Gegensatz zu Harald GEISSLER (1990, 16) sehen wir keinen Anlass dafür, deshalb generell von einem relativ niedrigen Entwicklungsstand der wissenschaftlichen Betriebspädagogik zu sprechen. Sieht man nämlich die disziplinäre Aufgabenstellung ganz allgemein in der Untersuchung der Bedingungen, Prozesse und Ergebnisse berufs- und arbeitsqualifizierender Vorgänge unter der Maßgabe, wie sich das Zusammenwirken von Menschen in der Arbeits- und Sozialorganisationsform Betrieb so gestalten lässt, dass im Rahmen der aus Sicht des Betriebes existenziell vorrangigen ökonomischen Interessen und Erwartungen auch den humanen und sozialen Bedürfnissen des Individuums möglichst weitgehend Rechnung getragen wird (vgl. SCHURER 2006, 120), dann fallen zwei doch sehr unterschiedlich ausgeprägte Entwicklungslinien ins Auge. Im einen Fall richten sich die ‚im Rahmen der aus Sicht des Betriebes vorrangigen ökonomischen Interessen und Erwartungen' unmittelbar auf die Qualifikationsbereitstellung und -sicherung beziehungsweise mittelbar auf die dieser zuarbeitende Untersuchung der Bedingungen, Prozesse und Ergebnisse berufs- und arbeitsqualifizierenden Handelns. Die Betriebspädagogik konzentriert sich in dieser Perspektive auf einen technologischen (didaktisch-methodischen) Anteil an der Ausstattung des Menschen mit ökonomisch-technisch verwertbaren Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnissen. Und die Auseinandersetzung mit dieser didaktischen Qualifizierungsfunktion gehört ohne Zweifel seit langem zu ihren anerkannten, wichtigen und kraft empirisch fundierter Theoriebildung wie praktischer Umsetzung in Aus- und Weiterbildung umfänglich wahrgenommenen Aufgaben, angefangen bei Johannes Riedel über beispielsweise die Forschungen des Kölner Instituts für Berufsbildung im Handwerk bis hin zur systematischen Modellversuchsforschung des BIBB (vgl. auch SOMMER 1990, 15 oder die umfangreiche Dokumentation ‚Lehren und Lernen in der beruflichen Erstausbildung' von BECK/ KRUMM 2001). (Gleichwohl gibt es Anlass zum Nachdenken und könnte möglicherweise ein bezeichnendes Licht auf die Stellung der Betriebspädagogik im Kontext der Berufs- und Wirtschaftspädagogik allgemein werfen, wenn Klaus BECK im Jahr 2005 (549) im Fall der ‚Erforschung von Lehr-Lernprozessen in der kaufmännischen Erstausbildung' in wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten und in den führenden Fachzeitschriften ZBW und JEE zumindest für den Zeitraum 1994 – 2003 feststellt, das Feld der betrieblichen Ausbildung sei hierbei ganz unterbelichtet. ) Daher ist GEISSLER (1990, 16) erneut zu widersprechen, soweit er den Grund für den diagnostizierten relativ niedrigen disziplinären Entwicklungsstand in einem bisher eher bescheidenen Praxisbedarf ortet. Denn der hier gemeinte Praxisbedarf wurde seitens der Praxis seit langem ebenso beständig artikuliert wie seitens der Betriebspädagogik zuverlässig bedient, zunächst in der schulischen wie betrieblichen Ausbildung, dann zunehmend auch im Hinblick auf die Weiterbildung.

Die Ausrichtung auf diese technologisch-funktionalistische Funktion ist ohne Zweifel unentbehrlich. Indessen reduziert sie Bildung in aller Regel weitgehend auf (objekt- und unmittelbar arbeitsanforderungsgebundene) Qualifikation und ist letztlich nur den Bedingungsgründen für die eigentliche disziplinäre Aufgabenstellung zuzuordnen, die eben in einer i. e. (subjektgebundenen) S. pädagogischen Bildungsfunktion liegt, das heißt in einer möglichst weitgehenden Orientierung an den humanen und sozialen Bedürfnissen des selbst bestimmenden Individuums. Wenn dies ins Abseits gerät, wenn also der Bedingungsgrund zum allein disziplinbestimmenden Gegenstand der Bemühungen wird, dann löst die Betriebspädagogik ihre oben formulierte Aufgabenstellung allenfalls insofern ein, als sie sich auf die beiläufige Bildungswirkung von Qualifizierungsprozessen auf der Basis unbestimmter Verschränkung der beiden Phänomene ‚Qualifikation' und ‚Bildung' verlässt. In dieser Unbestimmtheit und Beliebigkeit aber gerät sie stark in Gefahr, nur noch als bloße Hilfsdisziplin der Betriebswirtschaftslehre oder als spezielle Betriebswirtschaftslehre zu fungieren und mit der Aufgabe ihres pädagogischen Prinzips (vgl. ARNOLD 1997, 26) auch ihre Unverwechselbarkeit einzubüßen und sich damit ein fundamentales Legitimationsdefizit einzuhandeln.

Dass dies in der Tat der Fall war und ist und dass hier über nahezu ein Jahrhundert hinweg versäumt wurde, einen höheren disziplinären Entwicklungsstand zu erreichen, mag – insoweit stimmen wir GEISSLER zu – durchaus an einem bisher eher bescheidenen Praxisbedarf nach einer solchen Teildisziplin liegen. Immerhin sind Betriebe notwendigerweise zuvorderst dem ökonomischen Prinzip verpflichtet. Es ist auch noch nachvollziehbar, dass mit Bedacht auf die Außenwirkung auch seitens der Disziplin selbst Legitimität und Standortsicherung am ehesten unter dem technologischen Aspekt eines Beitrages zur Qualifikationsbereitstellung und -sicherung in den Betrieben angestrebt wurden. Nicht von ungefähr stoßen die Ansätze der Personalentwicklung gerade deshalb auf große Akzeptanz, weil sie weitgehend oder nur diesen Aspekt bedienen. Dass aber auch die Betriebspädagogik sich selbst lediglich als Ausbildungstechnologie darstellte (vgl. ähnlich HUISINGA/ LISOP 1999, 111) und zu selten in die pädagogische Offensive ging, um ihr eigentliches Bildungsanliegen mit Nachdruck und Überzeugungskraft in den besagten Rahmen der aus Sicht des Betriebes vorrangigen ökonomischen Interessen einzubringen, steht auf einem anderen Blatt. Zu häufig und meines Erachtens oft auch ohne Not hat die Disziplin ihre pädagogische Herkunft, Dignität und Legitimität zumindest nicht hinreichend vertreten, mitunter gar selbst verleugnet und bestenfalls darauf vertraut, dass sich Bildungsprozesse ja auch im Rahmen von Qualifizierungsprozessen realisieren (können). Jedenfalls vermochte sie auf diese Weise – unbeschadet auch anderer, objektiver Hemmnisse – ihren genuinen Auftrag samt dessen praktischer Bedeutung und ihre auch in diesem Bereich durchaus fundierte Theorie im Bewusstsein der betrieblichen Praxis aus eigener Schuld nicht hinreichend zu verdeutlichen und zu verankern.

Schauen wir uns doch nur, am augenfälligen Beispiel der Benennung von einschlägigen Hochschulinstituten, den Umgang der Disziplin mit ihrer Gütemarke ‚Pädagogik' an. Während die Wirtschaftspädagogik, bedingt wohl durch den engen Konnex zur (Diplomhandels-) Lehrerbildung und damit zu der primär unter pädagogischer Flagge segelnden Schule (siehe auch GEISSLER 1990, 16), mit ihrem Selbstverständnis als -pädagogik keine Probleme zu haben scheint, ist es doch überaus bemerkenswert, dass sich die Betriebspädagogik mit dieser Denomination heute vielleicht sogar schwerer tut denn je und sie zunehmend mit anderen ‚Firmenzeichen' bemäntelt. Statt das pädagogische Anliegen und damit ihre eigene und eigentliche Besonderheit zu betonen, versteckt sie sich in vielen Fällen hinter ‚modischeren', weniger ‚belasteten', das Adjektiv pädagogisch schamhaft unterschlagenden Benennungen wie Betriebliche Bildung(sarbeit), Organisation und Lernen, Erwachsenenbildung und betriebliche Weiterbildung, oder sie sie bedient sich gleich ganz der vermeintlich pädagogiknahen (SLOANE u. a. 2004, 320) betriebswirtschaftlichen Ansätze der Personalentwicklung oder Organisationsentwicklung, ohne ihre ureigene Identität und Ausrichtung konsequent einzubringen.

Wie ‚pädagogiknah' sich aber beispielsweise Personalentwicklung in der Regel tatsächlich versteht und dass sie sich keineswegs durchgängig und konsequent mehr und mehr zu einer Persönlichkeitsentwicklung wandelt, wie es ARNOLD/ BLOH (2001, 10) sehr optimistisch darlegen, mögen zwei Zitate belegen: „Die Personalentwicklung beschäftigt sich mit der systematischen Förderung der beruflichen Qualifikation “ (HOLLING/ LIEPMANN 1995, 285; Hervorh. B. S.), „das Produkt … ist Personal, nicht Persönlichkeit“, es geht daher „nicht um den (einmaligen, ganzen) Menschen“, sondern darum, „Arbeitsvermögen zu formieren und in Arbeitsleistung umzuformen“ (NEUBERGER 1994, 11 f.; vgl. auch den funktionsgebundenen Berufsbildungsbegriff bei BECKER 2005). Gewiss, die Belange der Personal entwicklung i. e. S. sind nun einmal, analog zum Verhältnis von ökonomischem Prinzip zu pädagogischem Prinzip, der Person entwicklung vorgeordnet. Aber gerade weil diese Priorität allzu häufig und vorschnell nicht als Rangfolge, sondern im Sinn einer unvereinbaren Polarität verstanden zu werden scheint, müsste spätestens an dieser Stelle eigentlich ein Aufschrei durch die Betriebspädagogik gehen, gepaart mit einer längst überfälligen stärkeren empirischen Begründung und öffentlichkeitswirksamen Verdeutlichung dessen, dass es sich wirtschaftlich lohnt, in Persönlichkeit zu investieren, dass Personal- und Persönlichkeitsentwicklung in einem untrennbaren, gegenseitig befruchtenden Zusammenhang stehen, indem Arbeit sich ebenso auf die Persönlichkeit auswirkt wie Letztere die Qualität der Arbeitsleistung zu steigern vermag. Stattdessen aber verharrt die Betriebspädagogik nahezu wort- und tatenlos und schaut zu, wie ein weitgehend apädagogisches Programm die Diskussion und die betriebliche Bildungspraxis besetzt. Mehr noch, sie schließt sich diesem Programm mitunter sogar noch unbesehen an.

Hier, in der unzureichenden Artikulation und Verdeutlichung des originären Auftrages der Menschenbildung und der nicht zuletzt konkret wirtschaftlichen Notwendigkeiten, Chancen und Konsequenzen einer Realisierung des pädagogischen Prinzips im ökonomischen System Betrieb und im Hinblick auf den Erfolg dieses Systems, liegt meines Erachtens das eigentliche, für viele Mängel, Enttäuschungen und Misserfolge konstitutive Defizit der historischen, aber eben auch der heutigen Betriebspädagogik. Wenn schon die zuständige Disziplin ihren Auftrag ohne Not selbst beschränkt, kann sie der Praxis beileibe keinen Vorwurf machen, wenn diese das i. e. S. pädagogische Anliegen als nebensächliches, wenn nicht gar überflüssiges esoterisches Beiwerk sieht. Zugegeben, es ist nicht einfach, einem legitimerweise zuvorderst an ökonomischen Notwendigkeiten orientierten Betrieb im Hinblick auf seine Mitarbeiter genuin pädagogisches Gedankengut nahe zu bringen. Gedankengut zumal, das sich nur mit Einschränkung intersubjektiv anerkannt begründen lässt, vielmehr weithin in normativen Kategorien der Ethik, der Moral, des Menschenbildes, der humanen und sozialen Verantwortung beruht. Aber das braucht keineswegs zu Resignation zu veranlassen, und es rechtfertigt vor allem bei weitem nicht die Art und Weise und das Ausmaß, in welchem der eigentlich primäre pädagogische Aspekt in der Vergangenheit oft genug sogar innerhalb der disziplininternen Diskussion eher zum Mauerblümchendasein degradiert wurde – oder sogar ganz in harmonistischen ‚kulturpädagogischen' Betriebsideologien aufging. Zu oft vielleicht gerieten Diskussion und Gestaltungsbemühungen in der Vergangenheit in das Fahrwasser unbedingter und unbefragter Anpassung an betriebliche Gegebenheiten einerseits oder des von vornherein obsoleten Versuches der Durchsetzung idealistischer pädagogischer Vorstellungen andererseits. Rolf ARNOLD (1997) hat dies in seinen fünf typischen Mustern des Umgang mit dem Spannungsfeld zwischen pädagogischem und ökonomischem Prinzip mit ‚Aufgabe und Verfälschung des pädagogischen Prinzips' beziehungsweise mit dem ‚Beharren auf demselben' anschaulich umschrieben, und er hat darüber hinaus in der pädagogischen (Mit-)Gestaltung des Betriebs einen prinzipiell erfolgreich dünkenden Weg für die disziplinäre Konsolidierung vorgezeichnet.

Für solche pädagogische Mitgestaltung, für das Bemühen beispielsweise, sich nicht hinter der Personalentwicklung, wie sie in typischer Weise von NEUBERGER beschrieben wird, zu verstecken, sondern den Bildungsgedanken pädagogisch zu fassen und über den engen Qualifikationsbegriff hinaus in den Betrieben zu implementieren, ist meines Erachtens wesentliche Voraussetzung, was wir oben mit pädagogischer Offensive bezeichneten. Es geht in diesem Fall darum, die Berufsbildungstheorie in realistischer Form an die Praxis heranzutragen , kraft der lange genug vernachlässigten Gewinnung eingehender und systematischer empirischer Belege besser und überzeugender verdeutlichen zu können, dass und warum betriebliche Bildung nicht nur an technisch-funktionaler Qualifikation und am Kriterium der (ökonomischen) Effektivität gemessen werden darf, sondern dass und warum die Persönlichkeitsbildung ein unabdingbares, integrales Element dieser Effektivität ist , warum und wie sie förderlich ist für Leistung, Wachstum, Flexibilität, Wettbewerb, globale Orientierung. Insofern scheint es mir noch zu wenig offensiv, wenn GEISSLER (1990, 21) programmatisch fordert: „zusätzlich sollte der Bereich des sozialen Lernens und der Willens- und Identitätsbildung … systematisch mitberücksichtigt werden“. Wie gesagt, nicht zusätzlich und nur ‚sollte', sondern integrativ und grundsätzlich, denn wenn schon die Pädagogen selber das pädagogische Prinzip als konditionale Möglichkeit bezeichnen und verstehen, wie wollen sie dann der Wirtschaft und den Betrieben seine Notwendigkeit vermitteln? Mit GEISSLER (ebd., 27) darauf zu bauen, dass „die regulative Idee der fortschrittsfähigen Organisation als oberstes Erziehungs- und Bildungskriterium“ auch die pädagogischen Belange hinlänglich zum Tragen bringt, dünkt mir allzu zuversichtlich und unkritisch. Eher hat es derzeit den Anschein, als ob sich in der Wirtschaft, unter Berufung auf angeblich unausweichliche Sachzwänge eines nicht mehr kontrollierbaren, aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit von gesellschaftlichen und humanen Einengungen zu befreienden Marktes, Überlegungen und Maßnahmen mehren, in deren Konsequenz das Bild des Menschen im Betrieb (wieder) verstärkt in eine, in ihrer Einseitigkeit schon überwunden geglaubte, technologische, strikt funktionsgebundene Perspektive zu geraten droht. Jedenfalls hat die Geschichte hinreichend verdeutlicht, dass die Pädagogisierung der Betriebe beileibe kein Selbstläufer ist; allein schon beim Wort Pädagogik zucken viele Unternehmer mit der Schulter und verweisen bestenfalls auf den komplementären Auftrag der Schule, und ein erster Blick in die Leitbilder namhafter Firmen offenbart keinerlei Umsetzung pädagogischen Gedankengutes oder auch nur Ansatzpunkte dafür.

Und hier sind wir bei einem zweiten Defizit der Disziplin angelangt, das im Hinblick auf die avisierte pädagogische Offensive in gewisser Weise auch als das vorrangig zu behebende Problem gesehen werden kann. Wenn wir in die Offensive gehen wollen, sollten wir vorab wissen, was uns an Vorstellungen und Wünschen erwartet, wo wir ‚andocken' können und vor allem, worin die zumeist recht mäßige Akzeptanz oder gar entschiedene Zurückweisung ‚des Pädagogischen' in den Betrieben substanziell beruht, ob und wie sich die oft diffus artikulierten Vorbehalte differenzierter fassen, gegebenenfalls korrigieren lassen und somit konkrete Argumentationsziele bieten. Aber wie sehr wir uns auch bemühen, es lässt sich kaum eine fundierte, systematische und detaillierte empirische Illustration dessen finden, welche Vorstellungen sich in den Betrieben, seitens der Mitarbeiter und seitens der Führungskräfte, vom pädagogischen Prinzip und seinen spezifischen Realisierungsmöglichkeiten finden. Man kann allenfalls auf den subjektiven Eindruck bauen, dass in der Praxis durchaus ein generelles Bewusstsein für die Bedeutung persönlichkeitsbildender Belange vorhanden ist und in Grenzen auch danach gehandelt wird. Insbesondere dürfte das im Falle eines persönlichkeitsförderlichen, nicht selten familiären Gruppenklimas sowie der traditionell stark autonomiegeprägten Arbeitsstrukturen kleiner Betriebe (z. B. Handwerk) zutreffen, zunehmend aber auch darüber hinaus – nicht zuletzt wohl infolge des Rufes nach „von den konkreten spezialisierten Berufsanforderungen … hin zum Zentrum der Persönlichkeit“ verlagerten Schlüsselqualifikationen (REETZ 1990, 17). Sobald es aber ans Eingemachte geht, sprich finanziell weh tut, oder sobald dieses allgemeine Bewusstsein mit wissenschaftlichen oder ‚pädagogisch' attribuierten Programmen und Konzepten, mit über ‚Qualifikation' hinausreichender ‚Bildung' konnotiert wird und konkretisiert werden soll, scheint es oftmals mehr und mehr zu diffundieren, bis hin zur Rückfrage, ob die Pädagogik der betrieblichen (Aus-)Bildung überhaupt etwas bieten könne, oder ob sie nicht vielmehr ihrerseits von dieser lernen müsse (vgl. SEILER 1987, 127).

Die Betriebspädagogik hat in ihrer Geschichte viele Wege (und auch Irrwege) gefunden und zu nutzen gesucht, dieses Akzeptanz- und Realisierungsproblem zu umgehen. Rolf ARNOLD zeigt, in durchaus verdienstvoller Weise, solche Umgangsformen mit dem pädagogischen Prinzip in ihrer typischen Art auf. Als Erkenntnislieferanten im Sinn einer empirischen Bestandsaufnahme sind sie gleichwohl wenig geeignet, weil sie zum einen primär theoretische Kategorien darstellen und weil die dort skizzierten empirischen Beispiele zum anderen ausschließlich historischer Art oder wenig differenziert sind, zu wenig jedenfalls für gezielte Erkenntnisse und praktische Sensibilisierungsmaßnahmen. Gleichwohl erscheinen sie uns zweifellos geeignet, den kategorialen Rahmen für entsprechende empirische Vertiefungen zu liefern.

Im Hinblick auf die angesprochenen Sensibilisierungsmaßnahmen wäre es angesichts der unstrittigen betrieblichen Prädominanz des ökonomischen Prinzips, so kann bereits hier als Maßgabe formuliert werden, zweifellos fatal, wenn die Betriebspädagogik ihre Vorstellungen analog dem Bild des homo oeconomicus gewissermaßen in Gestalt eines homo paedagogicus idealtypisch und unverkürzt in die Praxis einbringen wollte. Während der homo oeconomicus vielfach sogar in seiner (missverstandenen) Realform akzeptiert wird und ein Beharren auf dem ökonomischen Prinzip als selbstverständlich gilt, kann ein homo paedagogicus wohl nur dann mit Akzeptanz rechnen, wenn er von vornherein in seinen realistisch erscheinenden Kompromissformen ‚angeboten' wird. Das heißt beileibe nicht, dass er als wissenschaftlicher Idealtypus nicht eigens artikuliert werden muss, denn nur aus der Kenntnis des Prinzipiellen heraus ist es möglich, zu sinnvollen und angemessenen Kompromissformulierungen zu gelangen. Aber es heißt eben sehr wohl, dass bei der praktischen Umsetzung die Priorität ökonomischer Vorstellungen maßgebend zu beachten ist.

Davor aber, wie gesagt, sollten wir uns vergewissern, was uns an Wünschen und Vorstellungen erwartet. In einem ersten Schritt derartiger Vertiefungen wäre es beispielsweise denkbar, gerade wegen des ernüchternden Ergebnisses einer ersten, explorativen Analyse, die Leitbilder großer Unternehmen in systematischer Form darauf hin zu befragen, ob und in welcher Form sich pädagogische Überlegungen dort niederschlagen. Daran anknüpfend könnten die allgemeinen Überlegungen, die wir in Abschnitt 3 anstellen, unseres Erachtens jedenfalls präziser an den Mann oder die Frau gebracht werden. Wir sollten dabei allerdings nicht verkennen, dass es nicht genügen kann, es also in der Tat nur ein erster Schritt sein kann, Leitbilder oder sonstige prägende Vorstellungen von betrieblichen Führungskräften heranzuziehen. Abgesehen davon, dass in kleinen und mittleren Betrieben solche Leitbilder meist ohnehin nicht formal niedergelegt sind, sondern informell gelebt werden: Bildung und damit auch betriebliche Bildung, wie immer sie definiert ist, vollzieht sich allenfalls auf der Grundlage solcher Vorstellungen, ansonsten aber in einem äußerst komplexen Zusammenhang, in welchem die Vorstellungen der Bildungsadressaten ebenso eine Rolle spielen wie vor allem auch die Haltungen und Handlungen der Aus- und Weiterbilder. Und diese beispielsweise können Leitvorstellungen ‚von oben' ohne weiteres und jederzeit konterkarieren, verfälschen oder mehr oder weniger unkontrolliert erweitern. Es wäre daher auch hier grundfalsch, aus leitbildhaft formulierten betrieblichen Zielen bereits auf tatsächlich praktizierte Ziele ‚schließen' zu wollen. Wir kennen das zur Genüge aus der schulischen Umformung von Richtzielen in konkrete Unterrichtsziele.

3.  Menschenbildung im Betrieb? Möglichkeiten zur Wegbereitung und Überzeugungsarbeit

3.1  Argumentationszusammenhänge im wissenschaftlichen Diskurs

Unsere exemplarische Suche nach Möglichkeiten, dem pädagogischen Prinzip den Weg in die Betriebe zu ebnen, beginnt auf der Ebene der vorherrschenden paradigmatischen Grundlagen unserer Wissenschaft(en), speziell bei der grundsätzlichen Frage, ob und, wenn ja, wie Wissenschaft überhaupt selbst über die Erkenntnisgewinnung und -systematisierung hinaus an gesellschaftlichen Veränderungsprozessen mitwirken soll oder darf. Die Überlegungen richten sich also zunächst weniger an die Betriebe als Abnehmer betriebspädagogischer Erkenntnisse, sondern an die Disziplin selbst.

Auch in der Betriebspädagogik hat in den siebziger Jahren die überfällige Hinwendung zum empirischen Paradigma stattgefunden. Als wegweisend etablierte sich der Kritische Rationalismus. Wir wollen an dieser Stelle seine Verdienste, aber auch mit ihm verbundenen Kontroversen, nicht weiter thematisieren (siehe in Bezug auf die hier diskutierte Problematik ausführlich SCHURER 2000, 179 ff.). Jedenfalls erscheint uns die von ihm oder besser, die von seiner kategorischen Ausgestaltung ausgehende und weithin praktizierte Forderung nach strikter, jegliche Stellungnahme, Wünsche oder Empfehlungen ausschließender Wert(urteils)freiheit gerade im Hinblick auf das oben bezeichnete Defizit der Betriebspädagogik von erheblicher Tragweite. Hier liegt unseres Erachtens ein beträchtlicher Teil des Problems begründet. Um es abzukürzen: die Betriebspädagogik kann es sich gerade der Wahrung ihrer Dignität, Legitimität und Akzeptanz halber eigentlich gar nicht (mehr) leisten, unnachgiebig auf das Prinzip einer – ohnehin nur eingeschränkt realisierbaren – Wertfreiheit des reinen Beschreibens und Erklärens zu beharren. Gerade weil pädagogisches Denken in ökonomischen Kontexten nicht selbstverständlich, oftmals diffus oder gar missverstanden ist, bedeutete der Verzicht auf entsprechende Sensibilisierungen und Empfehlungen, auf sachbegründete und sachlich vorgetragene Argumentation und vielfach auch auf seitens der Adressaten erwünschte Hilfen allzu leicht nichts anderes, als die doch meist unbestrittene und hohe Expertise des wissenschaftlichen Betriebspädagogen in der Interpretation und Umsetzung seiner Aussagen zu beschneiden und die Praxis der Beliebigkeit zu überlassen (vgl. LEMPERT 1974, 195; SLOANE u. a. 2004, 355).

Wir plädieren mitnichten dafür, Wissenschaft deswegen von ihrer grundsätzlichen Verpflichtung zu Objektivität und damit möglichst weitgehender Nachvollziehbarkeit und Allgemeingültigkeit ihrer Aussagen zu entbinden. Wertfreiheit als grundlegendes Paradigma zur Wahrung von Genauigkeit und Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Aussagen steht in keiner Weise zur Disposition, Wissenschaft hat vielmehr zu allererst die unabdingbare Aufgabe und erhält ihre eigentliche Legitimation daraus, in bestmöglich objektiver Weise empirisches Wissen zu schaffen. Aber wir sind mit mittlerweile zahlreichen anderen Vertreten unserer Disziplin der Meinung, dass auch Wertaussagen zu den Rechten, vielleicht sogar zu den Pflichten eines nicht bloß in der inneren Distanz des ‚nur persönlichen Interesses' verharrenden, sondern aktiv engagierten Wissenschaftlers gehören – so er sie denn als solche kenntlich macht und insofern bestmöglich von den rein wissenschaftlichen Aussagen im obigen Sinn trennt! Mit SLOANE u. a. (ebd., 356) halten wir es diesbezüglich für möglich und „notwendig, dass ein nachvollziehbarer Argumentationsgang aufgebaut wird. Es muss sichtbar werden, warum und aufgrund welcher Argumente es zu bestimmten Empfehlungen kommt“. Das heißt die Wissenschaft (weitestmöglich) wertfrei zu betreiben, dem Wissenschaftlicher indessen das Recht und die Möglichkeit zu gewisser, verantwortungsvoller politischer Betätigung einzuräumen.

Betriebspädagogik wie überhaupt jede Pädagogik kann sich auf diese normative Weise ihren Adressaten jenseits einer objektiven Funktion mit eigener Stellungnahme in Erinnerung bringen. Sie kann für das Individuum – ohne es gewissermaßen am pädagogischen Gängelband zu führen - wie für die Gesellschaft – ohne eigentlichen politischen Anspruch – Mahner, Moralist, der metaphorische Pfahl im Fleisch sein. An die Stelle eines jedweden ‘Du musst', das sich nicht allein qua wissenschaftlichem Wertfreiheitspostulat, sondern auch qua aufklärerischem Selbstbestimmungsprinzip per se verbietet, setzen wir demgemäß ein vertretbares, in demokratischer und humaner Verantwortung formuliertes Werturteil, ein ‘Wir meinen aus diesem oder jenem (argumentativ ausgewiesenen) Grund, Du solltest eigentlich' oder ‘Aus unserer Sicht wäre es unter den dargelegten Gründen und in dieser Situation das Beste, wenn Du ...'. Immer aber gilt: ‘ Entscheiden musst Du selbst , aus eigener Abwägung und aus freien Stücken!' Wir vertrauen diesbezüglich, auch wenn der Weg ein langer oder gar sehr langer sein mag, auf die Wirkung des am Individuum orientierten ureigenen ‚Erziehungsgeschäftes'.

Wolfgang LEMPERT hat eine solche Ausrichtung der Wirtschaftspädagogik bereits vor Jahrzehnten (1974) und neuerdings in seinen Anmerkungen (2006) zu Jürgen ZABECKs ‚Berufserziehung im Zeichen der Globalisierung und des Shareholder Value' (2004) wohl am radikalsten formuliert (und in dieser, bisweilen wohl auch überinterpretierend-missverständlich rezipierten, Form sicherlich mit dazu beigetragen, dass er manchmal allzu leicht und pauschal in die ‚ideologische Ecke' gestellt wurde und die ‚herrschende Meinung' eine analog radikale Wertfreiheitsposition einnahm). Wir schließen uns LEMPERTs Radikalität nicht an, gehen andererseits aber auch weiter als der distinguiert ausgewiesene kritische Rationalist ZABECK – wobei sich beider Positionen neuerdings, bei allen prinzipiellen Unterschieden, durchaus anzunähern scheinen. Jedenfalls sind wir mit LEMPERT einer Meinung, wenn er ZABECKs Beitrag als ein aufregendes Buch bezeichnet. Aufregend auch für uns gerade deswegen, weil sich hier einer der bisher pointiertesten Verfechter der Wertfreiheit und zugleich profiliertesten Vertreter unserer Disziplin in prinzipiell eben der Form, für die wir plädieren, zu einem veritablen Werturteil durchringt, indem er nicht nur Beschreibung und Erklärung, sondern ebenso normative Aufklärung, insbesondere auch Kritik und pädagogische Überzeugungsarbeit hinsichtlich real existenter Defizite und Missstände in der Wirtschaft leistet und berufserzieherische Wege zur Domestizierung der Shareholder-Value-Mentalität benennt und zumindest nahe legt, wenn nicht sogar ausdrücklich empfiehlt. Damit überschreitet auch er, genau genommen, eben die ursprünglich selbst gewählten Grenzen der strikt funktionalen, systemkonformen Weiterentwicklung und sieht sich zu in gewissem Sinne dysfunktional wirkenden und wirken wollenden Wertungen veranlasst.

Kommen wir damit von der Metaebene zur Wissenschaftsebene selbst. Selbstverständlich bietet es sich an, mittels der Berufsbildungstheorie, wie sie vor allem von Georg KERSCHENSTEINER begründet wurde und der Bildungsidee eine wegweisend neue Dimension verlieh, Überzeugungsarbeit zu betreiben. Hat doch die Betriebspädagogik selbst ihre Ursprünge eigentlich in der Artikulation der Frage, wie Bildung (wie sehr dieser Begriff mitunter auch verkürzt gesehen worden mag) im Betrieb realisiert werden kann, und hat sie sich erst mit der Wende vom kulturpädagogischen zum empirischen Paradigma mehr und mehr auf die (empirisch leichter begründbare) Qualifizierungsfunktion konzentriert. Doch steht diese ursprüngliche Theoriebildung in erster Linie unter dem Fokus, den von ihr vertretenen Bildungsgedanken im Sinne einer Bildung im und durch den Beruf (Identifikation persönlichkeitsrelevanter Strukturen von Arbeit; Bildung als abhängige Variable) innerhalb der Pädagogik zu verankern und dürfte einem Ökonomen den dem Bildungsgedanken eher nachgelagerten – ihn aber zuvorderst interessierenden – Aspekt der Berufsausübung kraft Bildung , also den konkret betrieblichen Nutzen von Menschenbildung (Identifikation arbeitsrelevanter Aspekte von Persönlichkeitsstrukturen; Bildung als unabhängige Variable), allenfalls mittelbar erschließen. Zudem verstand die Betriebspädagogik selbst den beidseitigen Zusammenhang von Arbeit und Persönlichkeit, also sowohl die persönlichkeitsbildende Qualität von Arbeit als auch die arbeitsrelevante Qualität von Bildung, in der Tradition kulturpädagogischer Ideen (und darin nicht anders als die allgemeine Berufs- und Wirtschaftspädagogik) wohl allzu lange und zu selbstsicher als selbstredendes Axiom und bedachte nicht, dass solche Axiomatik allenfalls mit intradisziplinärer Akzeptanz rechnen durfte. Soll aber künftig entsprechende Öffentlichkeitsarbeit wirksam betrieben werden, sind die besagten Zusammenhänge, in unserem Fall also speziell die arbeitsrelevante Qualität von Bildung, weitest möglich empirisch beziehungsweise zumindest mit Plausibilitätsüberlegungen zu begründen.

Um überhaupt denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die pädagogischem Gedankengut im Kontext betrieblicher Zielsetzungen skeptisch begegnen, wäre es jedenfalls hilfreich, die Bildungstheorie in interdisziplinärer Kooperation mit den Erkenntnissen jener Wissenschaften zu verbinden, welche die Leistungsbedingungen und Leistungsfähigkeit des ‚Produktionsfaktors' Mensch untersuchen. Gemeint sind jene Disziplinen, die, anders als die Pädagogik, nicht vorrangig die Auswirkungen der Arbeitstätigkeit auf die Persönlichkeit – eben das Entstehen von Bildung – thematisieren, sondern die die Persönlichkeit als unabhängige und die Arbeitsleistung als abhängige Variable – eben die qualifikatorischen Konsequenzen von Bildung – im Blick haben und dabei nicht ein bloß technisches Menschenbild zu Grunde legen. In Verbindung mit solchen, unmittelbarer und anschaulicher mit den vorrangigen Interessen der Betriebe verknüpften und dort daher seit jeher wohl mit mehr Akzeptanzvorschuss bedachten wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte der Pädagoge, so darf angenommen werden, sich vor Ort erheblich leichter Gehör verschaffen können.

Der Verweis auf arbeitspsychologische und -soziologische Erkenntnisse drängt sich diesbezüglich unmittelbar auf. Die so genannten Hawthorne-Experimente beispielsweise haben unzweideutig aufgezeigt, die moderne Arbeits- und Personalpsychologie verweist immer wieder darauf: Arbeit und Persönlichkeit stehen in einem reziproken existenziellen Zusammenhang miteinander, indem Persönlichkeitszüge einerseits in Arbeitstätigkeiten mehr oder weniger (mit)geformt werden können – das interessiert, wie gesagt, die Pädagogen vorrangig – , andererseits aber gleichzeitig - und hieran sind die Betriebe vorrangig interessiert – in diesen wirksam werden, enorme produktive Potenz mittels höherer Arbeitsfreude, Zufriedenheit, Motivation usw. in sich tragen. Allerdings müssen wir konstatieren, dass die Argumentationshilfen aus den besagten Disziplinen zwar auf einer allgemeinen Ebene sehr brauchbar und überzeugend scheinen, im Übrigen aber in konkreto relativ dürftig ausfallen. Erstaunlicherweise findet das, was vor allem und seit langem in der Managementausbildung als selbstverständlich praktiziert wird, sowohl in der wissenschaftlichen Reflexion als auch seitens der Praxis im Hinblick auf die unteren Ebenen der Betriebshierarchien wenig Resonanz. Auch scheint eine empirische Validierung der besagten allgemeinen Erkenntnisse bislang eher von nachgeordnetem Rang zu sein. Nach wie vor gilt weitgehend, was Wolfgang LEMPERT bereits 1978 (884) konstatierte: Die besagten „Wechselwirkungen sind zwar abstrakt relativ leicht zu bezeichnen, aber konkret schwer zu analysieren, weil Arbeiten und Lernen bisher begrifflich nicht genügend miteinander vermittelt worden sind“ und die Beziehungen zudem „auf verschiedenen Aggregationsebenen untersucht werden müssen, deren wechselseitige Relationen sich schwer klären lassen.“ In diesem Zusammenhang bleiben die Befunde der Psychologie für unser Interesse auch deshalb relativ unergiebig, weil deren Untersuchungen den Einfluss der Persönlichkeit auf die Arbeitsleistung bislang kaum systematisch und wenig differenziert im Sinne eines ganzheitlichen Persönlichkeitsbildes artikulierten, sondern in der Regel nur auf einzelne Einstellungsaspekte bezogen.

3.2  Pragmatische Argumentationszusammenhänge oder: von der Ohnmacht des Selbstverständlichen

Wie, mit welchen Argumenten also die Legitimität und Bedeutung der Betriebspädagogik in den Betrieben selbst und überhaupt in der relevanten Öffentlichkeit verdeutlichen, ohne auf ein sicheres, systematisches wissenschaftliches Theoriegebäude zurückgreifen zu können oder auf abstrakte wissenschaftliche Kategorien zurückgreifen zu wollen?

Der allem Anschein nach verbreitete Mangel an Einsicht und Vertrauen der betrieblichen Praxis in wissenschaftlich formulierte Theorien ist das Eine (wobei die Theorieskepsis allzu leicht übersieht, dass jegliches Handeln ohnehin schon theoretisch, nämlich zumindest von Alltags- oder subjektiven Theorien, geleitet ist). Dazu kommt aber noch, dass es nach wie vor nicht zum fraglosen Selbstverständnis betrieblichen Lernens und Handelns zu gehören scheint, Fähigkeiten und Bereitschaften zur Ein- und Weitsicht in fundamentale, über eindimensionales und auf den eigenen Betrieb beschränktes ökonomisches Denken und Handeln hinausreichende Zusammenhänge zu entwickeln, betriebliche Bildung über rein funktionale Qualifikation und allenfalls unmittelbar qualifikationsbedeutsame Personalität hinaus zu denken und darin auch den Aspekt humaner sowie gesellschaftlicher Verantwortlichkeit substanziell einzubeziehen. Es ist eben außerordentlich problematisch und zeugt von gerade solcher Diskriminierung persönlichen Denkens, persönlicher Verantwortung sowie persönlicher Handlungsnotwendigkeiten und -fähigkeiten, sich wie Jürgen E. SCHREMPP (1999), Vorstandsvorsitzender von Daimler-Chrysler, darauf zu verlassen, die Marktwirtschaft besitze per se eine sittliche Qualität, weil sie Wohlstand für breite Bevölkerungskreise schaffe.

Dabei steht doch, so ist man geneigt anzunehmen, der unmittelbar betriebsbezogene wie der darüber hinaus bezogene Zusammenhang von ökonomischen und pädagogischen Bestrebungen und damit auch die genuin erziehungswissenschaftliche Legitimität einer Disziplin Betriebspädagogik für einen unvoreingenommenen Betrachter eigentlich außer Frage. Immerhin wohl unstrittig ist die prinzipielle Dominanz der normativen Grundannahme, derzufolge Zweck allen Wirtschaftens die Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse ist und die Wirtschaft somit letztlich in Form „einer dienenden Funktion in einer moralisch regulierten Ordnung soziokultureller Aktivitäten“ (ALTVATER/ MAHNKOPF, zit. nach LEMPERT 2006, 129) für den Menschen da zu sein hat und nicht der Mensch für die Wirtschaft. Das heißt also, dass der Mensch Ziel und nicht Mittel ist, dass sich sein innerstes Selbstverständnis und seine Beziehungen zu anderen Menschen auch im Rahmen seiner Arbeit nicht auf die rein wirtschaftlich-ökonomische Perspektive reduzieren.

Indessen scheint diese allgemeine Einsicht mit zunehmender Nähe zur ökonomischen und betrieblichen Realität vielfach zu diffundieren. Wollen wir uns daher im Weiteren nicht in ökonomistisch- oder humanistisch-ideologischer Verblendung dem empirischen Tatbestand Verschließen, dass die genuine Priorität des Humanen, Ethischen gegenüber der wirtschaftsinstrumentellen Perspektive und dem betrieblichen Gewinn- und Erfolgsstreben (vgl. ULRICH 1997) keineswegs immer eindeutig und selbstverständlich evident gehalten und praktiziert wird respektive auch nicht werden kann, dann bedarf es – wohlgemerkt: im Interesse aller Beteiligten – offenkundig einer Instanz, welche die speziell humanen Interessen und Bedürfnisse in der Wirtschaft prinzipiell identifiziert und zu wahren hilft. Das ist eine Instanz, welche ihr Erkenntnis- und Gestaltungsinteresse darauf richtet, dass der „Mensch, der sich zur Fristung seiner Existenz um Versorgung bemühen muss, per Eingliederung in die Leistungsprozesse der arbeitsteilig strukturierten Gesellschaft nicht zwangsläufig in einen ihn ganz und gar erfassenden Sog der Fremdbestimmung gerät“ und dass sich ihm, indem er die Herausforderung der Arbeits- und Berufswelt bewusst annimmt, die Chance eröffnet, „die Idee seiner Persönlichkeit realitätsbezogen zu fassen und seine Individualität in einer produktiven Auseinandersetzung mit Sachgegebenheiten und sozialen Ansprüchen zu entfalten“ (ZABECK 2004, 9).

Die Wirtschaft beziehungsweise der Betrieb selbst scheiden im Hinblick auf die prinzipielle Wahrung dieser pädagogischen Qualität eines menschlichen Eigenwertes aus, weil sie sich notwendigerweise zuvorderst an ökonomischen Prinzipien, an Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, orientieren müssen. Täten sie das nicht, gefährdeten sie nicht nur ihr eigenes Überleben, sondern in der Folge auch die materiellen Lebensgrundlagen der arbeitsteilig organisierten Gesellschaft. Damit wäre dann in letzter Konsequenz auch die Frage nach den speziell humanen Interessen weitgehend oder sogar ganz obsolet, denn, um es anschaulich auszudrücken, was bliebe einem Menschen, der seine humanen Bedürfnisse verwirklicht, aber nichts zu essen hat? So bedauerlich oder ‘ärgerlich' es für die Pädagogik einerseits auch scheinen mag (siehe dazu auch ARNOLD 1997, 25), so selbstverständlich und unumgänglich ist es andererseits: erst nach der Sicherung der physiologischen, biologisch und ökonomisch existenzsichernden Grundbedürfnisse kommen soziale, Selbstachtungs- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse. Das zeigt uns in theoretischen Termen die bekannte Bedürfnispyramide MASLOWs (1989), und von Bert BRECHT wurde es schon lange vorher drastisch auf den Punkt gebracht: erst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral.

Muss also die Entfaltung des Menschen in ihrer grundsätzlichen, i. e. Sinn ‘bildenden' Hinsicht in der Wirtschaftspraxis in gewisser Weise ein nachgeordnetes Anliegen bleiben, so will, oder besser, so kann auch die wirtschaftswissenschaftliche – und das ist im gegebenen Fall speziell die betriebswirtschaftliche – Reflexionsebene die geforderte Instanz zur Wahrung humaner Interessen in ihrem Objektbereich in ganzer Konsequenz nicht verkörpern. Entsprechend den eben skizzierten Gegebenheiten und Erfordernissen ihres ureigenen, per arbeitsteiligem, speziellem Wissenschaftsauftrag zugewiesenen Objektbereiches, und dadurch auch unzweifelhaft legitimiert, muss sie den Menschen, will sie nicht das Risiko einer Überforderung oder eines Verfehlens ihres originären Wissenschaftsauftrages eingehen, vorrangig unter instrumentell-materiellen Aspekten in ihre Überlegungen einbeziehen. Mit anderen Worten, sie sieht ihn gemäß der genuin ökonomischen Perspektive letztlich ‚nur' unter dem Aspekt von Prozess- und Kostenoptimierungsansätzen (‚Humankapital!'), reduziert auf seine materielle Verwertbarkeit als Produktionsfaktor und seine Verhaltensweisen als Konsument, wie es grundlegend von Erich GUTENBERG (1971, 131ff.) konzeptualisiert wurde.

Diese reine Zweckorientierung ist zwar sowohl in der Wirtschaftspraxis als auch auf der wirtschaftswissenschaftlichen Ebene vielfach mit persönlichkeitsorientierten Aspekten durchsetzt, wie sich besonders gut aus der langen Tradition regelmäßig wiederkehrender ‘Humanisierungen der Arbeitswelt' oder beispielsweise aus dem einen oder anderen neueren Ansatz der Personalwirtschaft oder Personalentwicklung (siehe beispielsweise DOBISCHAT 2006) ablesen lässt und wie es insbesondere auch – offensichtlich mit engem Bezug auf jenen von GUTENBERG (1971, 7) ins Gespräch gebrachten ‘rational nicht auflösbaren Rest nicht quantifizierbarer, individueller Eigenschaften' dispositiver (im Unterschied zu objektbezogenen) Arbeitsleistungen – seit langem speziell aus der Führungskräftebildung bekannt ist. Es dürfte ja auch für einen unvoreingenommenen und pragmatisch denkenden Unternehmer keineswegs so sein, dass betriebliche Interessen und humane Entfaltungsbedürfnisse und -erfordernisse grundsätzlich antinomischer Natur wären und nicht auf allen Qualifikationsebenen wenigstens teilweise in harmonischer Beziehung stehen oder stehen können, dass die Orientierung an den Erfordernissen einer qualifikationsorientierten Personalentwicklung die pädagogischen Ziele nicht nur nachordnet, sondern, darüber hinausgehend, sogar absolut ausschließt. Im Gegenteil, positiv ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale werden auch im betrieblichen Alltag vielfach nicht bloß als betriebsfremder Selbstzweck gesehen, sondern als ein wichtiges Fundament für berufliches Engagement und das Berufsethos von Arbeitsgruppen, aus denen wiederum wechselseitiges Verstehen, innovative Entwicklungs- und Produktionsmilieus entstehen (vgl. RAUNER 2004, 70).

Hier wäre ein Ansatzpunkt. Erfolg versprechend scheint beispielsweise, kraft Nutzung und Fokussierung solcher virulenten Alltagseinsichten die verbreitete Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Praxis selbst heraus abzubauen. Es gilt, immer wieder mit Nachdruck und anschaulich zu verdeutlichen, dass eine über die Ausbildung bloßer materialer Kenntnisse und Fertigkeiten hinausgehende gezielte Entwicklung persönlich-formaler Eigenschaften beziehungsweise eine Vermeidung oder ein Abbau defizitärer Persönlichkeitsausprägungen und deren leistungsgefährdender Potenziale gerade auch im betrieblichen Interesse liegt, als vielfach unerlässliche oder zumindest förderliche Voraussetzung und real ohnehin nicht ausgrenzbare Einflussgröße für die effektive Entfaltung des beruflich-materialen Qualifikationspotenzials und des Betriebserfolges. Helmut HEID (2000, 1 ff.) zeigt dies in seinen Ausführungen über den Beitrag individueller Identitätsentwicklungsbedürfnisse zu Leistungsfähigkeit und Erfolg einer Unternehmung etwa am Beispiel der Unternehmensidentität auf. Gerade auch wer, so sein grundsätzliches Resümee (ebd., 6), das humane Prinzip zugunsten des ökonomischen Prinzips vernachlässigt, läuft Gefahr, die Realisierung des vermeintlich begünstigten Zieles zu gefährden. „Unter einer unökonomischen Kompetenzentwicklung hat diese Kompetenzentwicklung ebenso zu leiden wie die betriebliche Zweckrealisierung unter inhumanen oder qualifizierungsfeindlichen Arbeitsbedingungen.“ Allerdings, und hier setzt die pädagogische Warnung an: „ Das gilt prinzipiell . Real kann das ... ganz anders sein. Dort kann – jenseits der ... unaufhebbaren Wechselseitigkeit – die … Bildung, um es salopp zu formulieren, nahezu ‘kaputtgespart' werden.“

Es muss beileibe nicht immer dieser krasse Fall sein. Und die Persönlichkeitsentwicklung wird nicht schon durch das Faktum an sich beeinträchtigt, dass sie der betrieblichen Aufgabenerfüllung zugute kommt. Sondern sie gerät erst in Gefahr, wenn sie von dieser zu sehr dominiert wird, wenn, mit HEID gesprochen, Prinzip und Realität über ein bestimmtes, pragmatisch unumgängliches Maß hinaus auseinanderfallen oder wenn, so hatten wir ZABECK (s. o.) zitiert, der Mensch per Eingliederung in die Leistungsprozesse der arbeitsteilig strukturierten Gesellschaft zwangsläufig in einen ihn ganz und gar erfassenden Sog der Fremdbestimmung gerät und es ihm dadurch verwehrt bleibt, die Idee seiner Persönlichkeit realitätsbezogen zu fassen. Aber gerade mit Fokus auf diese reale oder auch nur potenzielle Diskrepanz sowie auf die Labilität der Balance zwischen ökonomischen und pädagogischen Handlungsregulativen (vgl. HEID, ebd., 6) müssen wir uns unzweideutig vor Augen halten, dass eben genau die Funktion der Persönlichkeitsbildung als Mittel zum Zweck und nicht als eigener Zweck das betrieblich-ökonomische vom pädagogischen Interesse unterscheidet.

Daher ist auch eine noch so ausgeprägte Persönlichkeitsförderung im empirisch herausragenden Fall von Managementkursen, wie jede andere betriebliche beziehungsweise betriebswirtschaftliche Bedachtnahme auf individuelle Einsichten, Ansichten und Bedürfnisse, so sehr sie pädagogischen Erwartungen entgegenkommen mag und auch von deren Seite zu begrüßen ist, zunächst nicht humaner Selbstzweck, sondern steht unter dem in aller Regel einengenden und selektiven Primat betrieblicher Leistungserstellung. Und „das Produkt des Personalwesens“ ist im Großen und Ganzen dann eben doch, um es mit NEUBERGER (1994, 9) im unmittelbaren Sinn des Wortes auf den Punkt zu bringen, „Personal, nicht Persönlichkeit“, der Mensch nicht Mittelpunkt, sondern „Mittel. Punkt.“ Jedenfalls zeigt die Erfahrung, dass das System ‘Betrieb' oder ‘Markt' alleine – aus welchen Gründen auch immer, vielfach ist es wohl nur die unreflektierte und kurzsichtige Übernahme der traditionsreichen Unterstellung, individuelle Entwicklungs- und Bildungsbedürfnisse stünden weitgehend oder sogar prinzipiell im Widerspruch zu betrieblichen Erfordernissen und so genannten Sachzwängen (vgl. dazu HEID 2000, 6 ff.) – die Wahrung hinreichender Humanität nicht zwangsläufig gewährleistet, sondern sozusagen nur als ‘Nebenprodukt' im Rahmen ökonomischer Zwecksetzungen und bestenfalls partiell. Es bedarf praktisch wie wissenschaftlich mithin der ausgleichenden, ergänzenden und kritischen Begleitung durch eine diesem Ziel unmittelbar und vorrangig, nicht nur mittelbar und nachrangig, verpflichteten Instanz. Einer Instanz, die folglich erforscht, beschreibt und reflektiert sowie im Rahmen ihres Verwertungsanspruches in Gang bringt, wie sich das Zusammenwirken von Wirtschaft und Individuum im Rahmen einer unumgänglichen relativen Dominanz der ökonomisch-technischen Instrumentalität des Menschen so gestalten lässt, dass dessen humanen und sozialen Bedürfnissen möglichst weitgehend Rechnung getragen wird.

Will und soll die Betriebspädagogik diese Instanz verkörpern, will sie sich nicht bloß in der Funktion einer speziellen Betriebswirtschaftslehre mit der Vermittlung und Sicherung der rein technisch-funktionell, material definierten Ressource ‘Qualifikation' befassen oder, mit anderen Worten und ganz allgemein, will sie die Menschen auch zu Subjekten und nicht allein zu Objekten der Definition von Qualifikationsanforderungen machen, dann kann sie einem solchen Anspruch, unbeschadet der zweifelsohne unverzichtbaren Erfüllung des besagten technischen Qualifizierungsauftrages, nur aus einer grundsätzlich erziehungswissenschaftlichen Perspektive gerecht werden. Nur so vermag sie denjenigen, der im Zusammenhang mit dem Versorgungshandeln dem Arbeitsmarkt einer risikoreichen Welt ausgeliefert ist, im Hinblick auf seine angeborenen psychischen Grundbedürfnisse darin zu unterstützen, dass er per ‘Ich-Stärke' und durch ein realistisches berufliches Selbstbild dagegen gefeit ist, „sich im Sog wechselnder Chancen und als effizient geltender Verhaltens- und Handlungsmuster zu verlieren und damit das einzubüßen, was der Mensch eigentlich ist, nämlich das zu Autonomie und sittlicher Freiheit bestimmte Wesen“ (ZABECK 2004, 20). Und auch nur so vermag sie existenziell bedeutsame Überzeugungen und Befähigungen für einen individuell wie gesellschaftlich verantwortlichen Umgang mit Natur und Technik glaubwürdig und hinreichend zu thematisieren.

Betriebspädagogik in dem Verständnis, dass das betriebliche Handeln zwar der ökonomischen Zweckrationalität Rechnung tragen muss, sich aber in dem relativiert, was man zum einen ein Leben in sozial und sittlich verantworteter Autonomie und zum andern heute auch nachhaltige Entwicklung nennt, bedarf somit einer unter dem Gebot der Sittlichkeit und der Humanität stehenden normativen Handlungsorientierung, einer ethischen Verpflichtung dem Individuum, dem Nächsten und dem Ganzen gegenüber (vgl. ZABECK 1991, 545). Damit verbindet sie sich untrennbar mit Wirtschaftsethik. Sollen deren normative Orientierungen in das Wirtschaften Eingang finden, sind „sie auf entsprechende wirtschaftspädagogische Überlegungen und auf Wirtschaftserziehung angewiesen. Wirtschaftsethische Überlegungen intendieren daher wirtschaftspädagogische Vorstellungen“, das heißt Vorstellungen darüber, „wozu, nach welchen Prinzipien und wie Menschen zu einem qualifizierteren Wirtschaften befähigt und damit zur qualifizierteren Wirtschaftspersönlichkeit geführt werden sollten“ (BAUMGARDT 1989, 225 f.).

Die hier dargelegte Rolle der Erziehungswissenschaft beziehungsweise Ansehen und Akzeptanz der erziehungswissenschaftlichen Teildisziplin Betriebspädagogik in der Praxis sind im Übrigen nicht zuletzt auch im Lichte der kurz nach der Wende zum 21. Jahrhundert wieder einmal aufgeflammten Diskussion um die Nützlichkeit der Geistes- und Sozialwissenschaften überhaupt zu sehen. ‚Exzellenz', sprich ökonomische und technische Effizienz, ist das mitunter beinahe manisch berufene Kriterium, nach welchem die Nützlichkeit und damit auch die Investitionswürdigkeit von Wissenschaften an Universitäten bemessen werden. Als zweifelsfrei exzellent gelten dabei, zumindest in der aktuellen Debatte, offensichtlich Wissenschaften, die produktnah wirtschaftsstandortrelevantes und unmittelbar marktgängiges Wissen produzieren. Als weit weniger exzellent sehen sich häufig die Geistes- und Sozialwissenschaften diskriminiert, und hier wiederum gibt es ein zusätzliches Gefälle zwischen den Sozialwissenschaften im engeren Sinn (mit den Wirtschaftswissenschaften in ihrem Zentrum) und den Geistes- bzw. Kulturwissenschaften. Angesichts dieser grundsätzlichen Diskussion mag es nach allem zuvor Gesagten verständlich, aber unter Umständen allenfalls pikant oder als Randnote erscheinen, wenn innerhalb der Sozialwissenschaften die Wirtschafts wissenschaften sich von der, zudem noch geistes wissenschaftlich-philosophisch (mit)geprägten, Wirtschaftspädagogik stärker als vielleicht üblich abzuheben versuchen und ihr innerhalb einer wirtschaftswissenschaftlichen oder auch wirtschafts- und (!) sozialwissenschaftlichen Fakultät nicht selten unverkennbar skeptisch begegnen: das eigentliche Problem liegt offenkundig tiefer.

Selbstverständlich halten sich die inkriminierten Disziplinen nicht selbst für wirklich nutzlos – aber bereits ihre Selbstbeschreibung ist doch eher defensiv, wie der Münchener Soziologe Armin NASSEHI (2004, 38) anschaulich darlegt, und wie wir eingangs auch mit Blick auf unsere eigene Disziplin konstatiert haben. Seinen Ausführungen haben wir an sich, das heißt mit Ausnahme einer ebenso sinnfällig formulierten Konkretisierung ihrer speziell erziehungswissenschaftlichen Perspektive, nichts hinzuzufügen.

„Da traut sich mal einer, etwas von ‚kritischer Begleitung' all der hübschen Modernisierungs- und Globalisierungsprozesse zu sagen, … Beliebt, weil nah an den wirklichen Exzellenzbereichen, ist ein Hinweis auf ‚Ethik'. Es fehlt auch nicht an verschämten Blicken auf die Bildungsfunktion der Auseinandersetzung mit Kulturgütern und so weiter. Wer aber so argumentiert, hat die Kritik eigentlich schon geschluckt und sieht sich in der Rolle dessen, der sich die Nase an Exzellenzschaufenstern platt drückt… Dabei wird völlig übersehen, dass es wohl keine ‚produktnähere' Form von Wissenschaft gibt als die Kultur- und Sozialwissenschaften. Sie sind die eigentlichen Technologiezentren der modernen Welt. Sie produzieren nichts Geringeres als jene Denk- und Erfahrungschiffren, mit denen wir uns in der Welt bewegen. Gäbe es die Idee des selbstverantwortlichen, leistungsstarken und mit sich identischen, zugleich aber revisionsfähigen Subjekts ohne seine kulturwissenschaftliche Erfindung? Gäbe es den heroischen Manager ohne das Heldensubjekt? Gäbe es Deutschland ohne die Philologie und die historischen Wissenschaften? Und was wären der Nationalstaat und die Demokratie ohne ihre sozialwissenschaftliche Legitimation? …Könnten wir als Individuen ‚handeln', würden wir nicht mit jener Idee versorgt, dass alles, was im sozialen Raum geschieht, auf die Intention von Akteuren zurückgeht? … Gäbe es Bildung und Ausbildung ohne die Erfindung der menschlichen Bildsamkeit? Gäbe es Völker ohne den Volksgeist und diesen ohne seine Reflexion in kulturwissenschaftlichen Begriffen? …

Die Liste dieser Fragen sollte zweierlei deutlich machen: Zum einen sind die Kultur- und sozialwissenschaftlichen Technologiezentren alles andere als randständig, sondern Fabriken unserer individuellen und kollektiven Beschreibungs- und Bemessungsformeln; zum anderen … sollte man sich nichts vormachen: weder die humanitas als ‚Korrektiv' der widrigen sciences stilisieren, noch diese als die einzigen Erkenntnisformen ansehen, die produktnahe Ergebnisse erzielen.“

Speziell aus Sicht der Erziehungswissenschaft – und wir dürfen es hier abschließend auch für deren Teildisziplin Betriebspädagogik in Anspruch nehmen – beziehungsweise gegen eine rein technokratisch-praktizistische Umsteuerung des Bildungswesens wenden GRUSCHKA u. a. (2005, 480) im selben Zusammenhang ein: „Als Agentur des bloßen consultings und controllings verliert Wissenschaft freilich ihre die jeweiligen Praxisbedürfnisse übersteigende Kraft. Das heißt auf Bildung und Unterricht bezogen: Es muss in der Gesellschaft einen Ort geben, an dem wissenschaftlich über die Grenzen und Möglichkeiten von Erziehung und Bildung in der Moderne nachgedacht, handlungsentlastend geforscht und diskutiert wird. Dies ist nur denkbar, wenn man vielfältige theoretische und empirische Mittel nutzt. Eines der Medien dieser Reflexion ist die Rückbeziehung der gegenwärtigen Probleme auf ihre historischen Voraussetzungen und philosophischen Grundlagen. Ohne die Aufnahme der reflektierenden Kritik verkommt Bildungspolitik und Bildungspraxis schnell zu einer Hektik von Maßnahmen und zu blinder Anpassung an die jeweils als neue Lösung propagierte Reformmode.“

 

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Artikel online seit 1.2.2008


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Zuletzt verändert: 31.01.2008 9:51 PM
 


  



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