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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Systemkompetenz als Zieldimension komplexer Simulationen


 

 


Abstract

„Wer aufhört zu lernen, ist alt. Er mag zwanzig oder achtzig sein“, sagte Henry Ford, Gründer des bekannten Autoherstellers. Ist das Umfeld stabil, so genügt einmaliges Lernen zur Bewältigung von wiederkehrenden Routinetätigkeiten. In unserer dynamischen und vernetzten Welt reichen jedoch einmal erworbene Wissensbestände und Handlungsstrategien vielfach nicht mehr aus. Lerninhalte, um „heute“ gezielt auf die Anforderungen von „morgen“ vorzubereiten, sind immer schwerer definierbar. Die aktuelle Forschung spricht von Kompetenz, wenn Menschen lebenslang, reflektiert und selbstorganisiert in Situationen handeln, die durch ein hohes Ausmaß an Unsicherheit, Interaktion mit Vertretern unterschiedlicher Interessen und Informationsfülle bei der Bewältigung komplexer Aufgaben gekennzeichnet sind. Gaming Simulation Methoden – u. a. Rollenspiele, Lern- und Wissensspiele, Szenariotechniken, Computersimulationen, Unternehmensplanspiele im engeren Sinne und insbesondere Lern- und Übungsfirmen – stellen folgerichtig für den Kompetenzerwerb der Studierenden praxisnahe Lernfelder mit realistischer Komplexität und Handlungsspielraum bereit. Entsprechend Aristoteles Erkenntnis „Was man lernen muss, um es zu tun, das lernt man, indem man es tut“, können diese erfahrungsorientierten Methoden eingesetzt werden, um Systemkompetenz in unterschiedlichen Lebenswelten zu fördern. Gaming Simulation Methoden ermöglichen das Probehandeln in „fehlerfreundlichen Umwelten“, die Anwendung von Wissen in authentischen Problemsituationen, die ganzheitliche Verbindung (getrennt) erlernter Wissensinhalte und Handlungssequenzen, das systemische Verständnis von Zusammenhängen, sowie die Analyse von Wechselwirkungen und Langzeitfolgen von eigenen und fremden Perspektiven, Entscheidungen und Handlungen. Systemkompetenz bedeutet dabei sowohl ein fundiertes Fachwissen über Erscheinungs­formen und Kennzeichen komplexer dynamischer Systeme (z.B. Wissen um die Vernetzung rele­vanter Systemelemente und Einflussfaktoren) und kompetentes Handeln bei der Steuerung und beim Eingreifen in komplexe Systeme (z. B. ein Unternehmen als komplexes soziotechnisches System). Es wird davon ausgegangen, dass “Systemkompetenz”, als Kom­petenz im Umgang mit komplexen dynamischen Systemen, jeweils aus allgemeinen und speziellen situations- und bereichsspezifischen Anteilen zusammengesetzt ist. So werden auch die im Bereich wirtschaftlicher Entscheidungs- und Handlungsprozesse notwendigen Teilbereiche von Systemkompetenz erworben: Fach- und Methodenkompetenz (Businessplanerstellung, strategisches Denken usw.), sozial-kommunikative Kompetenz (Teamfähigkeit, Konflikt- und Führungsverhalten usw.), personale Kompetenz (Eigeninitiative, Leistungsmotivation, Selbstvertrauen usw.) und unternehmerische Kompetenz im engeren Sinne (Risikobereitschaft; proaktiv Aktionen setzen, auf die Wettbewerber reagieren müssen; Innovationsfreude usw.). Diese Kompetenzen sind erlernbar, jedoch bedarf die Förderung von Systemkompetenz mit Planspielmethoden verschiedener didaktischer Voraussetzungen. Dazu zählt beispielsweise, dass das Tun zusätzlich kritisch reflektiert und der gemeinsame Lernprozess artikuliert wird, denn schon Karl Kraus formulierte: „Man glaubt gar nicht, wie schwer es oft ist, eine Tat in einen Gedanken umzusetzen“.

In dem Beitrag werden der Kompetenzbegriff, das Konstrukt Systemkompetenz sowie lerntheoretische Ansätze zur Entwicklung von Systemkompetenz mittels Planspielmethoden vor dem Hintergrund einer konstruktivistisch-systemischen Perspektive dargestellt. Basierend auf mehreren Quellen theoretischer Fundierung und empirischer Studien, darunter die aktuelle Planspielforschung, Ansätze des situierten und kooperativen Lernens (hier insbesondere das sog. „problemorientierte Lernen“), sowie auf allgemeinen Modellen zur Qualität von handlungsorientiertem Unterricht und von Lernumgebungen werden konkrete Konsequenzen für die Planspieldidaktik abgeleitet. Zwar wird in dem Beitrag schwerpunktmäßig allgemein, d.h. unabhängig von speziellen Planspielmethoden, erörtert, welche Lernziele mit Systemkompetenz verknüpft sind, welche Lernprozesse zur Erreichung von Systemkompetenz notwendig sind und unter welchen Gestaltungsbedingungen die erforderlichen Lernprozesse mit Gaming Simulation initiiert werden können. In dem abschließenden Abschnitt des Beitrages werden die diskutierten Erkenntnisse aber auch auf die spezielle Simulationsmethode der Lern- und Übungsfirma übertragen und es werden Überlegungen angestellt, in wie weit sich die Lernfirma von anderen Gaming Simulation Methoden unterscheidet und welche Konsequenzen sich daraus für den Einsatz von Lernfirmen ergeben.