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bwp@ Ausgabe Nr. 18 | Juni 2010
Individuelle Bildungsgänge im Berufsbildungssystem
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 18 sind Karin Büchter, Anke Grotlüschen & H.-Hugo Kremer

Der individuelle Nutzen bürgerschaftlichen Engagements im Kontext des lebenslangen Lernens

Beitrag von Sarah HÄSELER (Europäisches Institut für Sozialforschung Berlin)

Abstract

Bürgerschaftliches Engagement allgemein gesehen, beinhaltet neben anderen Aspekten auch einen Nutzen für das Individuum. Lebenslanges Lernen wird ebenfalls diskutiert als ein in der Verantwortung des Individuums liegender Prozess. Dies impliziert, dass auch die Individuen einen Nutzen aus dem Lebenslangen Lernen ziehen. Durch den gesellschaftlichen Wandel ändern sich die Ansprüche an potentielle Auszubildende in Form von steigenden Qualifikationsanforderungen. Zugleich befindet sich die Gewichtung verschiedener Kompetenzen und Fähigkeiten in einem stetigen Wandel. Berufsorientierung muss sich öffnen hinsichtlich einer Anschlussorientierung bezogen auf die Fähigkeit des kontinuierlichen Weiterqualifizierens und des Lebenslangen Lernens, eng verknüpft mit der diesbezüglich notwendigen Eigeninitiative und einer entsprechenden Selbstverantwortung. Es wird deutlich, dass der gesellschaftliche Wandel bezüglich des Arbeitsmarktes sich sowohl auf den Bereich der Ausbildung bezieht als auch auf den individuellen Lebenslauf ausweitbar ist. Das Entwickeln von Qualifikationen und das Vermarkten dieser wird immer notwendiger für die Gestaltung des Lebenslaufes, ebenso wie Flexibilität und Mobilität. Anhand von qualitativen geführten Interviews mit ehrenamtlich engagierten Mentor/innen, die Jugendliche bei dem Übergang von der Schule in die Ausbildung begleiten, soll der für diese Mentor/innen durch den Begleitprozess entstehende Nutzen bezüglich ihrer eigenen individuellen beruflichen Orientierung betrachtet werden. Die Daten basieren auf einer Erhebung im Jahr 2009.


The benefit to the individual of civic engagement in the context of lifelong learning

Generally speaking civic engagement includes, amongst other aspects, a benefit for the individual. Lifelong learning is also discussed in terms of a process which lies in the responsibility of the individual. This implies that the individuals also gain benefit from lifelong learning. Through the societal change the demands on potential trainees are increasing in the form of increasing demands for qualifications. At the same time the emphasis placed upon various competences and skills is in a state of constant flux. Occupational orientation has to open up with regard to an ongoing orientation related to the capacity of continuing further education and training and lifelong learning, inextricably linked with the corresponding required sense of personal initiative and self-responsibility. It is becoming clear that the societal change with regard to the labour market relates to the education and training sector as well as to the individual curriculum vitae. The development of qualifications and their marketing is becoming increasingly necessary for the shaping of the curriculum vitae, as well as flexibility and mobility. Using qualitative interviews carried out with mentors working on a voluntary basis, who support and accompany young people in the transition from school to vocational training, the benefit for these mentors that emerges through the process of accompanying the people regarding their own individual professional orientation is considered. The data are based on research carried out in 2009.

Einleitung

Bürgerschaftliches Engagement ist professionsgeschichtlich betrachtet ein Bereich der Erwachsenenbildung (BRÖDEL 2005, 11). Unter dem Blickwinkel des Lebenslangen Lernens nimmt das Bürgerschaftliche Engagement ebenso einen bedeutenden Stellenwert ein. „Besonderes öffentliches Interesse gilt dem bürgerschaftlichen und ehrenamtlichen Engagement. Nachhaltige gesellschaftliche Teilhabe und dauerhaftes bürgerschaftliches Engagement sind ohne Lebenslanges Lernen gerade mit allgemeinen, politischen und kulturellen Inhalten nicht möglich“ (EXPERTENKOMMISSION „Finanzierung Lebenslanges Lernen“ 2004, 196f.). Lebenslanges Lernen ist demnach notwendig, um gesellschaftliche Teilhabe, welche durch Bürgerschaftliches Engagement ermöglicht werden kann, zu unterstützen. In der Literatur zum Themenfeld Bürgerschaftliches Engagement wird ein Wechsel des Ehrenamtes beschrieben, weggehend von einem alleinig altruistisch begründeten Engagement hin zu einem Engagement mit dem „Aspekt eines ‚persönlichen Nutzens‘“ (JAKOB 1993, 17, H.i.O.). Anhand von qualitativen geführten Interviews mit ehrenamtlich engagierten Mentor/innen, die Jugendliche bei dem Übergang von der Schule in die Ausbildung begleiten, soll im Folgenden der für diese Mentor/innen durch den Begleitprozess entstehende ‚persönlich-subjektive’ Nutzen bezüglich ihrer eigenen individuellen beruflichen Orientierung betrachtet werden, da nicht nur die begleiteten Jugendlichen eine berufliche Orientierung durch das Mentoring erfahren, sondern auch die Mentor/innen einen beruflichen Nutzen daraus ziehen können.  

1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Nach AHLHEIT und DAUSIEN (2002) lassen sich bezogen auf die Bildungssysteme und die Gesellschaft vier Entwicklungstrends identifizieren. Ein Trend ist die Veränderung der Arbeit hin zu einem Wechsel von Arbeits- und Fortbildungsmaßnahmen mit freiwilligen und unfreiwilligen Berufsabbrüchen. Dabei rückt eine individuelle, riskante und unvorhersehbare Lebensplanung in den Vordergrund. Ein weiterer Trend ist die veränderte Funktion des Wissens. Es gibt keinen auf Dauer gestellten aktuellen Wissensbestand, sondern es erscheint vielmehr der kontinuierliche Austausch aufgrund der ständigen Dynamisierung und der damit verbundenen Halbwertszeit des Wissens notwendig. Gleichzeitig ist als dritter Trend der Wandel zu einem ganzheitlichen Lernen in der Lebenswelt und damit auch am Arbeitsplatz zu verzeichnen. Lernen beschränkt sich dabei nicht mehr auf die klassischen Bildungsinstitutionen, sondern wird ausgeweitet. Dementsprechend müssen anregende Lernumgebungen und Möglichkeiten der Selbststeuerung geschaffen werden. Hinzu kommt als vierter Trend, die auch von BECK (1986, 1996) dargestellte Individualisierung und reflexive Modernisierung der Lebenswelten. Durch die Zunahme an individuellen Wahlmöglichkeiten und einem kleinräumiger gewordenen Orientierungsrahmen werden die Lebensläufe weniger vorhersagbar (AHLHEIT/ DAUSIEN 2002, 565ff.). Individualisierung beinhaltet demnach auch, die Gestaltung der individuellen Biographie aktiv anzunehmen (FAULSTICH 2003, 266). Hierfür sind flexible Kompetenzstrukturen erforderlich, um entsprechend auf die Rahmenbedingungen reagieren zu können (AHLHEIT/ DAUSIEN 2002, 565ff.). Das Entwickeln von Qualifikationen und das Vermarkten dieser wird immer notwendiger für die Gestaltung des Lebenslaufes, ebenso wie Flexibilität und Mobilität (GEORG/ SATTEL 2006, 131f.).

Bürgerschaftliches Engagement und Lebenslanges Lernen

Der Koordinierungsausschuss des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) widmet in einem vorgelegten Diskussionspapier einen Absatz dem „Bürgerschaftliche[n] Engagement als Bildungsfaktor und als ‚lebenslanges Lernen‘“. Es wird davon ausgegangen, dass „die sozialen und beruflichen Rollen […, S.H.] zunehmende Flexibilität und lebenslanges Lernen [erfordern, S.H.]‘. Auch in Betrieben, Ausbildungs- und Weiterbildungseinrichtungen nimmt die ‚soziale Kompetenz‘ an Bedeutung zu. Beruflich verwertbare Fertigkeiten, die im bürgerschaftlichen Engagement erworben werden –wie Flexibilität, Eigenverantwortlichkeit, Empathie, Teamfähigkeit oder soziale Verantwortlichkeit –nehmen neben dem erforderlichen Fachwissen an Bedeutung zu. Lebenslanges Lernen findet in Betrieben, im sozialen Alltag wie auch in Initiativen statt“ (BBE o.J., 16, H.i.O.). Hierbei werden mögliche Nutzendimensionen bürgerschaftlichen Engagement unter dem Blickwinkel des Lebenslangen Lernens zusammenfassend dargestellt. Im Folgendem wird davon ausgegangen: „Lebenslanges Lernen ist alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen, bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt“ (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2001, 9 z.n. DIETSCHE/ MEYER 2004, 10). Dabei werden zum einen alle Formen des Lernens mit einbezogen, welche der Entwicklung der Persönlichkeit des Individuums dienen. Zum anderen werden verschiedenen Lernorte mit einbezogen. Hierin besteht nach KADE und SEITTER die Chance des Konzeptes Lebenslanges Lernen, da das Individuum in den Mittelpunkt gerückt wird mit einer damit verbundenen „Stärkung der Aneignungsreferenz“ (KADE/ SEITTER 2007, 136) in Abgrenzung zu einem auf die Institutionen verbundenen Verständnis von Bildung. Unterstützt wird dies durch die „Neubestimmung der klassischen Elemente von Bildung als subjektive Aneignung von Welt“ (ebd., 137) wobei Aneignung als Lernen mit Bezug auf den Lebenslauf und einen sich dadurch ergebenen ganzheitlichen Anspruch zentriert ist. Durch die politische Rahmung können entsprechende Programme, neue Lernorte und gesteuerte Zertifizierungen erfolgen, um den dargestellten Risiken der Gesellschaft gerecht zu werden (ebd.). Demnach sind „Biographische Bildungsprozesse […] nicht nur als Aneignungs- und Konstruktionsleistung im Blick auf die individuell- reflexive Organisation von Erfahrung, Wissen und Können zu verstehen. Sie beinhaltet auch den Aspekt der biographischen Bildung von sozialen Netzen und Prozessen, von kollektivem Wissen und kollektiver Praxis, was theoretisch […] auch als ‚Institutionalisierung‘, als Bildung von sozialen Netzen und ‚sozialem Kapital‘ […] oder als Herausbildung kultureller Praxen verstanden werden kann (als empirische Beispiele können die Bildung kultureller und sozialer Zentren, Vereine, Stadtteilinitiativen usw. angeführt werden“ (AHLHEIT/ DAUSIEN 2002, 580, H.i.O.). Entsprechend gewinnt das Bürgerschaftliche Engagement gerade im „erwachsenenpädagogischen Diskurs […] unter dem Aspekt einer sich erweiternden Lernkultur an Bedeutung“ (BRÖDEL 2005, 13). Ähnlich beschreibt es auch Schüßler aus der Perspektive des nachhaltigen Lernens: „dass ein Lernen besonders dann nachhaltig wird, wenn es im Lernprozess gelingt, den Selbstentfaltungswerten in besonderem Maße Rechnung zu tragen, z.B. im Rahmen selbstorganisierter Lern-/ Lehrarrangements“ (SCHÜßLER 2007b, 74). Dies ist insbesondere im Rahmen von Bürgerschaftlichen Engagement möglich (ebd.).

Der Nutzen Lebenslangen Lernens und Bürgerschaftlichem Engagements liegt zum einen in der Reaktion auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der Ermöglichung von Teilhabe und Mitsprache an gesellschaftlichen Prozessen. Deutlich wird dies durch die Entwicklung von neuen Lernorten und die Erweiterung des Verständnisses von Lernen, Bildung und Kompetenzen im Sinne einer Auseinandersetzung mit der Umwelt. Bezogen auf das Individuum meint dies zum anderen die eigene Gestaltung des Lebenslaufes mit dem Blickwinkel auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Mitbestimmungsmöglichkeiten (JAKOB 2007, 1ff.). Bürgerschaftliches Engagement und Lebenslanges Lernen verknüpfen  somit jeweils die gesellschaftliche Dimension und die des Individuums (SCHÄFFTER 2007, 1f.).

2 Das Mentoring-Projekt „ENERGON Interaktionsmanagement Berufsorientierung und -einstieg“

Dem dreijährigen Projekt ‚ENERGON – Interaktionsmanagement Berufsorientierung und ‑einstieg‘der ver.di JugendBildungsstätte Berlin-Konradshöhe, finanziert durch den Europäischen Sozialfonds und der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, geht eine Pilotphase in den Jahren 2007/2008 voraus (vgl. BESTMANN/ HÄSELER 2009). Das Projekt ENERGON beinhaltet einen Schulentwicklungsprozess sowie ein Mentoringprogramm. Im Rahmen des Schulentwicklungsprozesses werden vier Schulen unterstützt, eine tragfähige Infrastruktur aufzubauen, die maßgeblich auf lokalen, im Sozialraum der Schule ansässigen Initiativen und Unternehmen beruht. Ziel ist es Berufsorientierungsarbeit als „gesamt-schulische Aufgabe [zu, S.H.] begreifen“ (VER.DI JUGENDBILDUNGSSTÄTTE BERLIN- KONRADSHÖHE 2008, 7). Die teilnehmenden Schulen bilden durch ENERGON initiiert ein nachhaltiges Netzwerk, das in sogenannten ‚Clearingrunden Berufsorientierung’ wirksam wird. Darin tauschen sich die Akteure untereinander über ihre Vorgehensweise und mögliche Veränderungen aus. Zusätzlich werden von den Lehrer/innen der Schulen Jugendliche der zehnten Klasse ausgewählt, die nach Einschätzung dieser das Potenzial für das Absolvieren einer Ausbildung mitbringen, denen aber das motivierende und konsequent unterstützende soziale Umfeld fehlt. Die Jugendlichen werden einerseits durch zusätzliche Schulungen zu den Themen   soziale Kompetenzen, Berufsorientierung und Bewerbungstraining unterstützt und andererseits durch Mentor/innen begleitet.

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Abb. 1:   Grundstruktur von ENERGON

Die ehrenamtlichen Mentor/innen nehmen an einer Einstiegsqualifizierung teil, wobei deren konkreten Aufgaben und Rollenverständnis geklärt werden. Eine weit gefasste Definition von Mentoring lautet: „Eine (berufs)erfahrene und meist ältere Person (Mentor) bietet einer jüngeren Person (Mentee) hierarchieübergreifend Unterstützung, Beratung, Zugang zu Netzwerken und informellen Informationen und begleitet sie so für einen Zeitraum in ihrem (beruflichen) Werdegang“ (POPOFF 200, 43 z.n. EHLERS/ KRUSE 2007, 21). Die beratende und unterstützende Funktion steht hierbei im Fokus. Des Weiteren werden die Themenfelder soziale Kompetenz im Umgang mit Jugendlichen, Berufsorientierung und Bewerbung vermittelt. Eine spätere zweite Fortbildung beinhaltet die spezifischen Inhalte der ersten Zeit in der Ausbildung der Jugendlichen. Weitere Fortbildungen richten sich je nach dem Bedarf und aktuellen Themen der Mentor/innen. Des Weiteren trifft sich einmal im Monat der sogenannte Mentor/innenstammtisch für den gemeinsamen Austausch untereinander. Dort können sie Erfahrungen und ihnen wichtige Fragestellungen besprechen. Außerdem ist das Projektteam von ENERGON als Ansprechpartner da und bietet bei Bedarf Unterstützung, beispielsweise bei Konfliktgesprächen.

3 Methodisches Vorgehen

Da eine objektive Messung des Nutzen nur schwer möglich erscheint, „liegt es nahe, mit Hilfe qualitativer, interpretativer Interviewmethoden die ‚Akteure‘ selber zu Wort kommen zu lassen […] In der Tat sind die interviewten Personen Expert/innen ‚in eigener Sache‘“ (SIEBERT 1998, 82, H.i.O.). Der Begriff oder Status des/der Expert/in wird in der Literatur unterschiedlich diskutiert (FLICK 2006, 218). Der vorliegende Artikel schließt sich dem Standpunkt an „ob jemand als Expertin angesprochen wird, ist in erster Linie abhängig vom jeweiligen Forschungsinteresse“ (MEUSER/ NAGEL 2005, 73). Ausgehend von einem Forschungsverständnis, dass die Menschen selbst Expert/innen für ihr Leben und dessen Deutung sind, werden die Mentor/innen bezüglich der Fragestellung ihrer jeweiligen individuellen Perspektive des Nutzens und der Beschreibung dessen als Expert/innen angesehen (GIRTLER 2001, 156). Um der von FLICK (2006, 218) dargestellten Fokussierung der Inhalte im Rahmen von Expert/inneninterviews gerecht zu werden, wurde ein Interviewleitfaden auf Grundlage der bereits vorliegenden Evaluationsergebnisse[1] entwickelt (BORTZ/ DÖRING 2006, 219ff.; MAYRING 2002, 67). Dieser sollte in den offenen Fragen auch gezielte Aspekte möglichen Nutzens für die Mentor/innen enthalten, um somit während des Interviews neue Anregungen und Denkprozesse zu initiieren.

Die Kontaktaufnahme mit den Mentor/innen erfolgte zum einen über den Projektverantwortlichen von ENERGON, welcher eine Email mit der Darstellung des Themas und einer Anfrage für ein Interview an die Mentor/innen weiter geleitet hat. Zum anderen wurde im Rahmen des Mentorenstammtisches und einer weiteren Veranstaltung von ENERGON gezielt Mentor/innen persönlich angesprochen. Um den Zeitaufwand für die Mentor/innen möglichst gering zu halten und flexibel auf deren Terminwünsche eingehen zu können, wurden die Interviews telefonisch durchgeführt[2]. Insgesamt wurden sechs von den ursprünglich angedachten zehn Mentor/innen interviewt. Bezüglich des dargestellten Zugangs zu den Mentor/innen ist anzumerken, dass wahrscheinlich die Mentor/innen erreicht wurden, die sehr aktiv und engagiert bei ENERGON tätig sind. Im Rahmen dieser Arbeit besteht allerdings kein Anspruch auf eine vollständige Abbildung der individuellen Nutzenperspektiven, sondern die Darstellung der vielfältigen Möglichkeiten. „Das entscheidende Kriterium für das, was Menschen für wahr und zutreffend halten, liegt nach dieser Auffassung bei den Menschen und ihren Perspektiven selber und nicht gewissermaßen außerhalb von ihnen in der objektiven Realität selbst begründet. Wirklichkeit entsteht demnach im Prozess ihrer Aufordnung, Erschließung und Interpretation durch die Bedeutungen, die ihnen die Menschen verleihen, ein Prozess, der immer interaktiv, d.h. eingebunden in soziale Kommunikation verläuft“ (ARNOLD 1985, 28). Demnach kann kein allgemeiner Nutzen für Individuen erhoben werden. Die Möglichkeit besteht vielmehr in der Nachzeichnung der individuellen Bedeutungszusammenhänge.

Auswertung der Daten

Die Interviews wurden digital aufgezeichnet und im Nachhinein sequenziell verschriftlicht (MAYRING 2002, 70). Für die Verschriftlichung wurde im Sinne der Pragmatik der Experteninterviews davon ausgegangen, „…nur so viel und so genau zu transkribieren, wie von der Fragestellung tatsächlich notwendig erscheint“ (FLICK 1991, 162). Anschließend wurden die Interviewtranskriptionen mit Unterstützung der Auswertungssoftware MaxQDA dem Gesprächsverlauf folgend paraphrasiert (MEUSER/ NAGEL 2005, 83). Zur weiteren Verdichtung wurden Überschriften zu den Paraphrasen gebildet und die Interviewtranskriptionen thematisch verglichen, um abschließend Kategorien zu bilden (MEUSER/ NAGEL 2005, 84f., FLICK 2006, 220). Der Interviewleitfaden ermöglicht bereits eine Struktur bezogen auf das Thema unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Offenheit und den dadurch weiteren eingebrachten Aspekten (BORTZ/ DÖRING 2006, 314).

Im Folgenden wird nun diese individuellen Nutzenperspektiven der befragten Mentor/innen zusammenfassend dargestellt, wobei ein vertiefender Fokus auf den Nutzen bezüglich der eigenen beruflichen Weiterentwicklung gelegt wird. Im Rahmen der Forschung wurden neben dem Aspekt der eigenen beruflichen Weiterentwicklung weitere Kategorien gebildet, auf welche an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann.

4 Individueller beruflicher Nutzen bürgerschaftlichen Engagements

Im Rahmen der Erhebung wurden insgesamt sechs Mentor/innen befragt, drei weiblichen und drei männlichen Geschlechts. Die drei befragten Frauen sind im Alter von 24, 36 und 59 Jahren. Die drei befragten Männer sind im Alter von 27, 32 und 58 Jahren. Fünf der befragten Mentor/innen sind seit der Pilotphase bei ENERGON aktiv und betreuen teilweise bereits ihren zweiten Mentee. Ein/e Mentor/in ist seit einem Jahr an dem Projekt beteiligt.

Die interviewten Mentorinnen[3] wurden eingangs befragt, über welchen Ausbildungsabschluss sie verfügen. Die zwei jüngsten Befragten geben an, eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten (I_02:13[4]) und zur Krankenschwester absolviert zu haben (I_06: 12). Drei der Befragten geben ein abgeschlossenes Hochschulstudium an für die Fachbereiche Soziologie, Sozialarbeit/ Sozialpädagogik, Film- und Fernsehwirtschaft (I_03:14; I_04:12; I_05:12). Eine der Befragten gibt an, „ich hab einen ganzen Sack voll“ (I_01:12) an Ausbildungsabschlüssen, wobei der höchste Chemietechnikerin sei.

Vier der Befragten sind in ihren erlernten Berufen beschäftigt. Eine der Befragten ist durch verschiedene Zusatzqualifikationen und Umschulungen nun als „Hilfssozialarbeiter“ (I_01:13) und nicht in ihrem erlernten Beruf beschäftigt. Diese fünf Befragten sind vollzeitbeschäftigt. Die sechste Befragte ist „eigentlich joblos“ (I_05:13), aber einmal die Woche in der Beratung eines Mietervereins tätig. Insgesamt sind fünf der Befragten im Sozialen/ Pädagogischen Bereich tätig und eine der Befragten im Bereich der Verwaltung.

Die Mentorinnen wurden nach ihrer familiären Lebenssituation gefragt. Dabei geben vier der Befragten an, dass sie entweder ledig sind oder mit ihrem/r Partner/in zusammen leben, wobei eine der Befragten verheiratet ist. Diese vier Befragten haben keine Kinder. Zwei der Befragten geben an, dass sie Kinder haben, wobei aber nur bei einer Befragten das Kind mit im Haushalt lebt.

Drei der befragten Mentor/innen haben über die Öffentlichkeitsarbeit des Projektes in Form von Flyern, der Vernetzung mit anderen Projekten oder der persönlichen Ansprache von ENERGON erfahren. Die anderen Mentorinnen haben von dem Projekt durch die Teilnahme an einer Jugendgruppenleiterschulung für die Qualifizierung zur Begleitung von Jugendgruppen in der ver.di JugendBildungsstätte erfahren.

Fünf der befragten Mentorinnen begleiten zum Befragungszeitpunkt aktiv einen Mentee. Alle sechs Mentorinnen sind zusätzlich in einem weiterem Bereich von ENERGON engagiert, bspw. indem sie die begleitenden Seminare für die Mentees oder Projekttage an den Schulen durchführen, an Fachtagen, Studienreisen, den Clearingrunden in den Schulen oder öffentlichen Präsentationen des Projektes teilnehmen.

Allgemein geben die Mentorinnen an, dass ihnen die Teilnahme an ENERGON „viel“ (I_05:58) bringt. Von den Mentorinnen wird Spaß als ein wichtiger Effekt des Engagements genannt. Gerade weil die Mentorinnen zeitlich intensiv eingebunden sind, ist es wichtig, dass mit ihrem Engagement nicht nur Arbeit verbunden ist. Des Weiteren lernen die Mentorinnen neue Leute kennen, sowohl bezogen auf andere Mentorinnen als auch auf die Jugendlichen. Die Mentorinnen beschreiben zudem als einen weiteren Nutzen, Anerkennung zu erhalten und das Gefühl zu haben, Gutes zu tun. Sie unterstützen die Jugendlichen beruhend auf ihrem Verständnis, einen wichtigen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten. Anerkennung erhalten sie über die Unterstützung der Jugendlichen und einem erfahrbarem Resultat, bspw. wenn die Jugendlichen mehr Selbstbewusstsein haben.

Neben den an dieser Stelle stark zusammengefassten eher weitergefassten individuellen Nutzenaspekten werden nun im Folgenden die Aspekte des individuellen beruflichen Nutzens für die Mentor/innen durch ENERGON fokussiert.

4.1 Fähigkeiten entwickeln

Ein Bereich des beruflichen Nutzens umfasst das Entwickeln und Trainieren spezieller Fähigkeiten wie bspw. das Ermöglichen eines Perspektivwechsels sowie das Ausbilden eines geduldigen Umgangs. So berichten einige Mentorinnen, dass sie durch den Umgang mit den Jugendlichen auch ihre eigenen Kompetenzen schulen. „Gerade durch die Jugendlichen komme ich ja auch weiter, also dass ich da auch was gebe, von mir kommt was, von ihm, dass ich meine Kompetenzen da schule“ (I_02:48). In der Interaktion mit dem Mentee können einzelne Fähigkeiten trainiert werden. Dies umfasst zum einen die jeweiligen Hintergründe der Jugendlichen zu tolerieren und sich auf deren Gedanken und Vorstellungen einzulassen. „Also eher so soziale Kompetenz […] der Umgang mit anderen Kulturen, die ich vielleicht nicht so kenne, dass ich da neue Eindrücke gewinne und auch verstehen kann“ (I_02:49). Durch die Interaktion mit dem Mentee kann der Blickwinkel auf andere Ansichten und Wertvorstellungen ermöglicht werden. Unterstützt wird dies durch die Aussage einer Mentorin, die auch Seminare mit den Jugendlichen durchführt. „Auf jeden Fall, man lernt ja immer was, wenn man die Seminare teamt, gerade auch was den Bewerbungsprozess angeht, was die Einstellung von Jugendlichen angeht“ (I_03:63). Ein Wissen und Erfahren über die Einstellungen der Mentees ermöglicht ein gezielteres sich Einlassen auf und Ansetzen an den Interessen der Mentees. Nicht nur die Einstellungen der Jugendlichen werden dabei deutlich, sondern auch deren Ideen, Vorstellungen und Handlungsstrategien. „Wie unser System in dem Fall auf junge Leute wirkt, wie die sich bemühen, damit klar zu kommen“ (I_01:48).

Ein weiterer Effekt des Mentorings ist es, dass ein Perspektivwechsel ermöglicht wird hinsichtlich vorhandener Vorstellungen und Kategorien. „Und vielleicht öffnet es auch ein bisschen den Blick für andere Sachen, über die man sich vorher vielleicht keine Gedanken gemacht hat, also gerade was Kinder und Jugendliche heutzutage angeht, mit was für Problemen die rumrennen, in was für Stadtteilen sie leben, was das für Probleme mit sich bringt“ (I_06:78). Somit wird das Einfühlungsvermögen in andere Perspektiven unterstützt.

Ein weiterer von zwei Mentorinnen hervorgehobener Aspekt ist, dass sie ihre Geduld trainieren. „Und auch noch mal so ein Einzelkontakt mit Jugendlichen, in meiner sozialpädagogischen Arbeit arbeite ich eher mit Gruppen hauptsächlich oder mit mehreren gleichzeitig, da habe ich auch noch viel gelernt oder eben das geduldiger werden […] So ein bisschen lockerer zu werden und sich darauf einzulassen, was die Jugendliche will oder braucht […] Das war bei uns eben das Thema, mit manchmal die Termine nicht einhalten, dass ich das irgendwann nicht mehr so gut aushalten konnte, wenn sie dann mal nicht kommt und nicht absagt zum Beispiel und dass ich da einen anderen Weg gefunden habe und damit anders umgehe, wenn sie mich braucht, dann wird sie sich bei mir melden“ (I_04:50ff.). Durch die Auseinandersetzung mit dem Mentee bezüglich des Themas Termine einhalten, hat diese Mentorin nun einen Weg für sich gefunden, damit gut umzugehen. Des Weiteren gibt sie an, dass sie diese Strategien des geduldiger seins auch auf ihren Beruf und ihr Privatleben übertragen kann, „dass man das im Privaten auch ein bisschen anders regeln kann“ (I_04:56f.). Eine andere Mentorin bestätigt dies. „Geduld zu haben ist manchmal ganz schön nervenaufreibend“ (I_06:70). Durch die Zusammenarbeit mit einem Mentee haben sie die Erfahrung gemacht, dass sie geduldig sein müssen, um mit diesen arbeiten zu können. „Das war das, was ich davon gelernt habe, so diesen Umgang, dass man das auch anders machen kann“ (I_04:58). Im Rahmen des Mentoring konnten sie alternative Umgangsstrategien ausprobieren und Erfahrungen sammeln, dass diese Strategien für den Prozess hilfreich sind.

4.2 Fortbildungsangebote

 „Die Chance mich kostenlos fortzubilden, einmal im Jahr oder je nachdem, was da angeboten wird“ (I_02:43). Dies wird auf die Frage nach dem Nutzen von einer Mentorin beschrieben. Das Thema Fortbildungen differenziert sie noch einmal: „Das sind meistens Fortbildungen für Neueinsteiger […] die Rolle als Mentor, was erwarte ich, was brauche ich, was will ich, was erwartet mich bei meinen Mentee […] dann auch so Kommunikation, worauf sollte man achten, Hilfestellung, die sozialpädagogische Fortbildung für den kleinen Mann sozusagen“ (I_02:44). Auch in der Reflexion der eigenen Lernerfahrungen beschreibt die Mentorin den hohen Stellenwert dieser Fortbildungen: „Weil ich von früher, also jetzt wo ich im Nachhinein auch darüber nachgedacht habe, früher auch als Schüler mich das überhaupt nicht interessiert hat, lernen und irgendwelche neuen Sachen kennen lernen und da habe ich halt gemerkt, dass ich da irgendwo nicht weiter komme, dass ich da stecken bleibe und dass es auch wichtig ist, dass man sich stets und ständig irgendwo, egal in welchem Bereich, weiterbildet“ (I_02:60). Die Weiterbildung bewertet sie als einen wichtigen Aspekt in ihrem Leben aufgrund ihrer Erfahrungen. Demnach nutzt sie gern die Chance sich in verschiedenen Bereichen fortzubilden. Den individuellen Nutzen der Einstiegsfortbildung spezifiziert diese Mentorin: „Ja auf jeden Fall, also bei der ersten Fortbildung, wo es um meine Rolle ging, da noch mal zu gucken, was will ich überhaupt, was kann ich eigentlich, wie viel sollte ich leisten und wie viel Verantwortung trage ich gegenüber mir selber und auch gegenüber dem Jugendlichen“ (I_02:52). In der Einstiegsfortbildung wurden demnach die Rolle und damit verbundene Aufgaben geklärt. „Gelernt durch diese Weiterbildung, wie man mit Jugendlichen hat umzugehen“ (I_05:70) ist ein Nutzen der Fortbildungen. In der Einstiegsfortbildung waren zum einen die Aufgabenklärung zentral und zum anderen der konkrete Umgang mit den Jugendlichen. Besonders unterstützend hierfür war es, „bei Kommunikation noch mal zu gucken, wie funktioniert Kommunikation, was gibt es für Modelle, wie kann ich die auf den Wirklichkeitsbereich übertragen, auf Situationen, wie kann ich das anwenden, wenn ich ein Problem habe mit dem Mentee…also auch Konfliktlösung in der Richtung“ (I_02:53). In der Fortbildung wurden verschiedene Kommunikationsmodelle und Konfliktlösungsmethoden besprochen. Dieses Wissen und Trainieren ist nicht nur hilfreich in der direkten Zusammenarbeit mit dem Mentee. Eine Mentorin gibt auch an, dass sie diese Aspekte in andere Bereiche ihres Lebens übertragen kann. „Also einmal, weil ich mich noch mal mit mir selber auseinander gesetzt habe, ehrlich, also wie haben sich meine Einstellungen zu Sachen geändert, anders als ich das gedacht habe und vor allem auch gerade so im Bereich Kommunikation, wie geht das alles und was kann ich da persönlich für mich vielleicht besser machen…also auch privat, beruflich“ (I_02:57). Der Nutzen der Fortbildung bezieht sich demnach nicht nur auf die Interaktion mit dem Mentee, sondern auch auf weitere Lebensbereiche. Auch von anderen Mentorinnen wird die Einstiegsfortbildung als ein Nutzen angegeben (I_01:50). Die Einstiegsfortbildung schätzt die Mentorin ebenfalls als hilfreich und unterstützend ein. „Doch die war hilfreich für mich, weil man hat eben auch Rollenspiel gemacht und ähnliches und das war bevor ich so richtig beruflich in die Seminartätigkeit eingestiegen bin, da das zeitlich davor fiel, habe ich auch so noch viel mitgenommen, so an Seminarinhalten, wie Seminare aufgebaut sind und so was“ (I_03:61). Somit konnte die Mentorin die Einstiegsfortbildung als eine Art Training nutzen für die zukünftige Seminartätigkeit.

Von einer weiteren Mentorin wird hinsichtlich der zukünftigen Erwartungen an ENERGON das Thema Fortbildungen ebenfalls mit eingebracht. „Also für mich selber, dass ich noch weitere Fortbildungen besuchen möchte“ (I_03:67). Hierbei wird deutlich, dass eine kontinuierliche Begleitung in Form von Fortbildungen hilfreich zu sein scheint. Ebenso besucht sie viele Veranstaltungen und Weiterbildungen zu den Themen Ausbildung und Berufsorientierung für Jugendliche. „Ich gucke ja auch immer überall, was man sich so holen kann oder um Erfahrungen sich zu holen“ (I_05:19).

Eine weitere Möglichkeit der Anerkennung von außen und zugleich einen beruflichen Nutzen sieht diese Mentorin auch in dem Erhalten von Zertifikaten oder ähnlichem. „Und das ich mir diesen Freiwilligenpass, den es auch dafür geben soll mal abhole“ (I_03:69). Bezogen auf den Nutzen des Engagements für den beruflichen Kontext können entsprechende Zertifikate hilfreich sein.

4.3 Berufliche Orientierung

Der Bereich berufliche Orientierung umfasst zum einen das ‚Reinschnuppern‘ in ein Berufsfeld und zum anderen eine konkrete berufliche Orientierung im Sinne eines Arbeitsplatzes.

Eine Mentorin beschreibt ENERGON als hilfreich für ihre späteren beruflichen Pläne. Sie interessiert sich für den Bereich der Jugendarbeit und überlegt, sich in diese Richtung beruflich zu orientieren. „Ich wollte auch immer an die Ausbildung ein Sozialpädagogikstudium ran hängen und dachte das geht ja genau in die Richtung“ (I_06:33). Aus ihrer Perspektive könnte das Mentoring zum einen dem Ausprobieren in der direkten Zusammenarbeit mit einem Jugendlichen dienen und zum anderen als Tätigkeit in dem Bereich der Jugendarbeit ausgewiesen werden. „Ich denke auch das es für mich persönlich mit dem, was ich noch so vorhabe im Leben sicherlich auch ein ganz schöner Punkt im Lebenslauf ist […] Und vielleicht auch so ein bisschen Vorerfahrungen mitzubringen, zu gucken, ob das auch das Richtige für mich ist, was ich mir da überlegt habe“ (I_06:79f.). Das Engagement bietet ihr die Möglichkeit zu überprüfen, ob ihre beruflichen Vorstellungen auch wirklich zu ihr passen.

Der berufliche Nutzen durch die Teilnahme an ENERGON wird besonders deutlich im Fall einer Mentorin, welche durch ihr Engagement bei ENERGON ihren zukünftigen Arbeitgeber kennen gelernt hat. „Dann dachte ich mir, da kann ich mich ja mal melden. Ich war gerade in der Übergangsphase zwischen Studium […] und da habe ich freiberuflich gearbeitet und dachte, wenn ich dann was im Bildungssektor mache, dann wäre es ja nicht schlecht, weil ich da vorher nicht so wirklich gearbeitet habe […] und grad eh nicht so den Plan habe wo es denn hingehen soll und ich das ganz interessant fand, dachte ich mir teame ich mal bei ver.di“ (I_03:25). Hierbei wird deutlich, dass die Mentorin die Übergangszeit zwischen Studium und Berufseinstieg nutzen wollte, um sich für den gewählten beruflichen Bereich weiter zu qualifizieren mit dem Durchführen von Seminaren im Rahmen von ENERGON. „ENERGON hat mir eigentlich viel gebracht, also jetzt gerade beruflich gesehen, weil ich durch den ver.di Kontakt und diese Seminare teamen auch in meine Stelle in X gerutscht bin. Und weil ich jetzt wieder bei ver.di geteamt habe auch die neue Stelle in Y bekommen habe, die nicht bei ver.di ist, sondern bei Z. Weil Z auch mal ein Seminar bei ver.di angefragt hatte, das ich geteamt habe und dadurch ist dieser Kontakt zustande gekommen, also beruflich gesehen war das für mich gut“ (I_03:60). Durch die Durchführung einiger Seminare für die Mentees hat sie zum einen die Möglichkeit erhalten, weitere Seminare bei ver.di zu leiten. Dabei hat sie ihren Arbeitgeber kennengelernt. Diese Mentorin beschreibt das vielfältige Ausprobieren im Rahmen eines Engagements als hilfreich. „Wenn jemand in der beruflichen Situation ist wie ich damals, würde ich ihm auch solche Dinge empfehlen, sich einfach da mal umzuschauen…einfach auch mal auszutesten, ob es zu einem passt“ (I_03:72).

5 Zusammenfassung und Diskussion

Das Engagement muss in den aktuellen biographischen Kontext „passen“ (ENQUETE KOMMISSION 2002, 120). In den Interviews wurde deutlich, dass die Mentor/innen den Nutzen ihrer Teilnahme an ENERGON mit Aspekten des Lernens und der Kompetenzentwicklung beschreiben. Die Mentor/innen geben an, dass sie verschiedene Kommunikationsmodelle kennengelernt haben und diese auch in den Beruf oder das Privatleben übertragen können. Das Ausprobieren und Reflektieren verschiedener Handlungsmöglichkeiten durch den Umgang mit den Mentees ist ein weiterer wichtiger Effekt bezüglich der Kompetenzentwicklung. Hierbei sei der Aspekt der Geduld hervorgehoben. Durch die Reflexion eigener Lernerfahrungen und den Umgang mit Jugendlichen wird ihnen zudem ein Perspektivwechsel hinsichtlich anderer Lebensformen, Werte und Einstellungen ermöglicht. Lernen bezieht sich auch darauf, neues Wissen zu erlangen hinsichtlich der Berufsorientierung und des Bildungssystems. Wichtige Effekte sind des Weiteren Kontakte zu knüpfen oder Wissen zu nutzen bezüglich der eigenen beruflichen Orientierung.

Von den befragten Mentor/innen wird der Bereich des Bürgerschaftlichen Engagements als eine Möglichkeit des Lernens angesehen und genutzt. Unter dem Blickwinkel des Lebenslangen Lernens bietet das Engagement im Rahmen von ENERGON vielfältige Möglichkeiten: Lernen und Kompetenzentwicklung an einem anderen Ort, Erweiterung der eigenen Perspektive und Fähigkeiten, Nutzen der vorhandenen Zeit im Kontext der sich entwickelnden Biographien. Somit kann das Engagement für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit unterstützend sein, um den aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Hierbei wird die Beziehung zwischen Engagement und Beruf deutlich. Dies wird ebenso von der Enquete Kommission dargestellt: „So können sich Beruf und Engagement wechselseitig verstärken, wenn berufliche Fähigkeiten für das Engagement genutzt werden und – umgekehrt – Engagementerfahrungen sich positiv auf den Beruf auswirken“ (ENQUETE KOMMISSION 2002, 123, H.i.O.). In diesem Fall beschreiben die Mentor/innen ihren Nutzen des Engagements als den Effekt Fähigkeiten zu erlernen, welche sie auch in ihrem Beruf nutzen können (ebd., 282). Der Nutzen wird auch in Kombination mit den angebotenen Fortbildungen genannt. Dies bestätigen die Erkenntnisse der Enquete Kommission hinsichtlich der Qualifizierung. „Qualifizierung ermöglicht dabei die Aneignung neuen Wissens, die Auseinandersetzung mit fremden Lebenswelten, die Erweiterung der eigenen Perspektive und leitet Reflexionsprozesse über die eigenen Engagementerfahrungen ein“ (ENQUETE KOMMISSION 2002, 280). Somit wird durch Qualifizierung die Übertragung der erlernten Fähigkeiten in andere Bereiche unterstützt. Dies kann als ein Anreiz für eine weitere Beteiligung an Bürgerschaftlichen Engagement genutzt werden bei einer gleichzeitigen Steigerung der Attraktivität der Engagementbeteiligung (ebd.). Des Weiteren sind zusätzliche Qualifikationen auch eine Form der Anerkennung von außen (ebd., 281). Dabei muss beachtet werden, dass sich die Qualifizierungen an den jeweiligen Bedarfen orientieren, da die Engagierten je bereits auch Kenntnisse, Fähigkeiten etc. mitbringen (ebd., 287).

Im Freiwilligensurvey werden als wichtige Effekte beschrieben, „dass ihnen ihr Engagement einen hohen persönlichen ‚Ertrag‘ an positivem Lebensgefühl gewährt. Freiwilliges Engagement bereitet Spaß, führt Menschen zusammen und ermöglicht neue Erfahrungen“ (GENSICKE/ PICOT/ GEISS 2006, 27, H.i.O.). Auch diese stimmen mit den von den Mentor/innen angegebenen Effekten überein.

Die Diskussion um den Nutzen Bürgerschaftlichen Engagements ist unter dem Fokus der Selbstbestimmung der Beteiligten zu führen, da Bürgerschaftliches Engagement im freiwilligen Kontext stattfindet. Mögliche Lern- und Bildungseffekte müssen daher ebenso in diesem Kontext diskutiert werden, wobei die individuellen Interessen zentral und somit ausschlaggebend sind für mögliche Effekte. „Es geht um die interessengeleitete, aktive Aneignung von Welt durch die handelnden Personen. Im Prozess der Aneignung entscheiden immer die Lernenden selbst, was sie an sich heranlassen und was sie aufnehmen“ (FAULSTICH 2003, 211). In der Diskussion um das Lebenslange Lernen werden die Möglichkeiten und Orte des Lernens ausgeweitet, so dass sich Lernen nicht nur „beschränkt auf Erziehungsprozesse, als Weitergabe kultureller Lebensformen an die nächste Generation, sondern umfassende Bildungsprozesse impliziert, welche bis ins hohe Alter hineinreichen“ (ebd., 238). Gerade die Erfahrungen durch Bürgerschaftliches Engagement sind ein Anknüpfungspunkt für die Gestaltung von Lehr- und Lernarrangements im Kontext der Erwachsenenbildung. Ausgehend von den Interessen und Bedarfen der Engagierten, ist das Ansetzen mit entsprechend ausgerichteten Angeboten an deren Themen eine Möglichkeit der Verortung für die Erwachsenenbildung. Dies baut auf einem Verständnis der Erwachsenenbildung als Lebensbegleitung auf, „insofern, als sie im Sinne von Orientierungshilfe zu verstehen ist, indem sie Verarbeitungshilfe und Übungshilfe leistet. Dabei werden die jeweiligen individuellen Bewältigungsstrategien zu berücksichtigen sein“ (TIETGENS 1994, 40).

Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass bei den individuellen Nutzenaspekten sowohl der Selbstbezug, als auch der gesellschaftliche Bezug, welcher sich in der Dimension des Umgangs mit Jugendlichen äußert, deutlich werden. Zusammen bilden sie „subjektiv sinnhafte Begründungszusammenhänge für bürgerschaftliches Engagement“ (WENDT 1996, 135). Die individuellen Motive sowie der Nutzen der Beteiligung sind jeweils in den biographisch passenden Kontext gebettet.


[1] Das Modellprojekt ENERGON I wurde durch die Autorin für die SB Praxisberatung, Training und Forschung Berlin evaluiert. Zu dem Zeitpunkt der Interviews befanden sich die Mentor/innen in ihren jeweiligen Tandems in der Startphase, so dass die befragten Mentor/innen zumeist bezüglich ihres individuellen Nutzens keine Aussagen treffen konnten und diesen mit ihrer individuellen Motivation für die Teilnahme an dem Projekt begründeten (BESTMANN/ HÄSELER 2008).

[2] In der Evaluation der Pilotphase von ENERGON wurden die Interviews ebenfalls teilweise telefonisch durchgeführt, was von den Mentor/innen als unterstützend angenommen wurde.

[3] Im Folgenden wird der besseren Lesbarkeit wegen die weibliche Geschlechtsform gewählt, wobei die männliche Geschlechtsform jeweils mit einbezogen ist, außer es wird explizit darauf hingewiesen.

[4] I_01:10 steht für die Verschlüsselung der Interviewprotokolle mit den Mentorinnen und der Codierungsangabe der Auswertungssoftware MaxQDA.


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Zitieren dieses Beitrages

HÄSELER, S. (2010): Der individuelle Nutzen bürgerschaftlichen Engagements im Kontext des lebenslangen Lernens. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 18, 1-15. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe18/haeseler_bwpat18.pdf  (28-06-2010).

 

 

 

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