wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 

Beitrag von WOLFGANG SEYD (Universität Hamburg)

Neuorientierung der beruflichen Rehabilitation Erwachsener



Lieber Willi,

die Fachtagung "Englisch in der beruflichen Bildung" am 11./12.09.02 im Berufsförderungswerk Nürnberg war eigentlich Dein Werk, nicht unseres. Du hattest das Gespür dafür, dass die stiefmütterliche Behandlung des Fremdsprachenunterrichts an Berufsförderungswerken ein Ende haben müsse. Du wolltest Aktivitäten bündeln, damit die zahlreichen Englischlehrerinnen und wenigen Englischlehrer Selbstbewusstsein tanken, Informationen austauschen und Mut und Strategien zur Aufbesserung ihres Stellenwertes in die eigenen Einrichtungen mitnehmen konnten. Dabei habe ich Dich ein wenig unterstützt, zum Beispiel mit einem Einleitungsvortrag, aber auch mit ein bisschen handgemachter Musik (wir singen doch so gern in Seminaren!). Den damaligen Vortrag habe ich überarbeitet; er ist jetzt mehr als doppelt so lang und dreimal so aktuell wie damals. Schade, dass Du ihn - aus dominanten Gründen der Geheimhaltung - nicht redigieren kannst! Ich hoffe sehr, dass die Leser/Aufrufer die Qualitätseinbuße nicht spüren.

Es wird heute geradezu inflationär von Paradigmenwechseln und Neuorientierungen gesprochen. Das ist meist weder originell noch treffend. Oft wird nicht einmal begründet, weshalb überhaupt eine Neuorientierung nötig ist. Für meinen Fall gibt es eine Reihe von Ausgangspunkten:

· Die mangelhafte Aufnahmefähigkeit des Arbeits- und des Ausbildungsmarktes und der damit wachsende Druck auf die Reha-Träger und -Einrichtungen, mit weniger finanziellen Mitteln quantitativ und qualitativ mehr zu leisten.
· Die Prominenz der Zielvokabel "Beschäftigungsfähigkeit" (Employability (vgl. dazu den Aufsatz des Verfassers: SEYD 2002b)).
· Die Auswirkungen des EU-Rechts hinsichtlich Konkurrenz und Ausschreibungen auch im Sozial- und Bildungsbereich.
· Der Zeitpunkt 1.1.2004, an dem die Berufsförderungswerke - wie die Berufsbildungswerke bereits seit 1999 - in die wirtschaftliche Eigenständigkeit entlassen werden.
· Die dramatische Entwicklung des Überschuldungsgrades der öffentlichen Haushalte einschließlich der Sozialversicherungsträger.
· Die Hilf- und Perspektivlosigkeit sozialpolitischer Rettungsversuche einschließlich der mangelhaften Umsetzung der Vorschläge der HARTZ-Kommission.
· Die Erkenntnisse berufspädagogischer Forschung zur Optimierung von Lernprozessen in der beruflichen Bildung, verknüpft mit den Grundsätzen der Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit und Teamsteuerung.

Fazit: Sowohl die förderlichen als auch die zwingenden Faktoren erheischen eine generelle Umorientierung. Auf eines muss dabei hingewiesen werden: "Neuorientierung" darf nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die Rehabilitationseinrichtungen sich in aller Ruhe mit Situationsveränderungen beschäftigen und in eben solcher Ruhe Reaktionsmöglichkeiten ausdenken könnten; dazu ist der Erwartungsdruck der Rehabilitationsträger vor dem Hintergrund ihrer finanziellen Probleme zu hoch, dazu sind auch die Rehabilitationsträger allzu sehr geneigt, die Rehabilitationseinrichtungen mit Forderungen zu überziehen, seien sie sinnvoll oder nicht, seien sie als Bestandteil eines mehr oder weniger vernünftigen Konzeptes offen ausgelegt oder nur in Sitzungen von Mund zu Mund verkündet oder berichtet; dies wird uns in Kapitel 4 in aller Aktualität interessieren. Zuvor sollen in Kapitel 3 allgemeine Neuorientierungsaspekte ausgebreitet und kommentiert werden; dies vor dem Hintergrund in Kapitel 2 angesprochener "Kernfragen"; all das bedarf eines Aufrisses der Situation beruflicher Rehabilitation, und der wird im folgenden Kapitel 1 geboten.

1. Die Situation in der beruflichen Rehabilitation behinderter Menschen

Die Zahl behinderter Menschen, die auf Leistungen zur beruflichen Rehabilitation angewiesen sind - Jugendliche wie Erwachsene - steigt weiterhin: Nahmen im Jahr 2001 rund 120.000 Leistungsberechtigte derartige Leistungen in Anspruch, so waren es ein Jahr später rund 140.000. Trotz der gestiegenen Zahl gibt es keine Abstriche bei deren Ansprüchen: Sie streben einen Berufsabschluss auf möglichst hohem Niveau mit anschließender gut bezahlter Berufstätigkeit in einem dauerhaften, sicheren Beschäftigungsverhältnis an.
Der Anstieg ist nicht allein demografisch begründet; in ihm schlägt sich auch die hoch problematische Arbeits- und Ausbildungsmarktsituation nieder:

· Noch immer sind rund 160.000 Jugendliche nicht mit einem Ausbildungsplatz versorgt (Stand August 2003),
· ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland zwischen Mai 2003 und Mai 2002 um 630.000 zurückgegangen und
· musste die Bundesanstalt für Arbeit in den ersten 5 Monaten des Jahres rund 25 % mehr Arbeitslosengeld zahlen als in ihrem Haushalt für 2003 eingeplant.

Das lässt Böses für die Kostensatzverhandlungen zwischen den Reha-Einrichtungen und ihrem Hauptfinancier, der Bundesanstalt für Arbeit, erahnen!
Die Lage der Berufsförderungswerke ist von Überauslastung vorhandener Kapazitäten gekennzeichnet, auch bei Berufsbildungswerken, Beruflichen Trainingszentren und Werkstätten für behinderte Menschen übersteigt die Nachfrage insgesamt gesehen das vorhandene reguläre Platzangebot. Die hervorragende Belegung kann - neben der ohnehin gestiegenen Zahl anspruchsberechtigter Personen - als Vertrauensbeweis der Rehabilitationsträger für die hervorragende Arbeit der Einrichtungen angesehen werden, hängt aber auch mit einem Anschwellen bestimmter Personenkreise zusammen: So beträgt die Zahl der psychisch kranken Menschen bei den Berufsbildungswerken inzwischen rund 1.400 von 13.000, bei den Berufsförderungswerken etwa 3.000 von 15.000.

Demnächst werden auch die Anteile hörbehinderter Teilnehmer sprunghaft steigen; jetzt schon spürbar ist der Anstieg Mehrfachbehinderter, die sowohl eine körperliche als auch eine mentale Beeinträchtigung mitbringen.
Die Situation der Rehabilitationsträger (Arbeitslosenversicherung (Bundesanstalt für Arbeit), Rentenversicherung (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - BfA -, Landesversicherungsanstalten - für gewerbliche Arbeitnehmer), Berufsgenossenschaften/Unfallversicherungen; seit 1.7.01 auch Krankenkassen und Träger der überörtlichen Sozialhilfe)ist unterschiedlich: Berufsgenossenschaften verfügen über mehr als ausreichende Mittel, stellen aber nur etwas mehr als 10 % der Teilnehmer. Die finanzielle Lage der Rentenversicherungsträger ist bekannt, bedrohlich wirkt vor allem die düstere Perspektive angesichts zunehmender Überalterung der Gesellschaft (Straubhaar 2003). Positiv wirkt sich aus, dass ab 2006 mit einer Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften gerechnet wird.

Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) sieht in diesem Jahr (2003) einem Defizit von über 8 Mrd. Euro entgegen: Sie sucht händeringend nach Möglichkeiten, die Ausgabenseite durch Kostenverlagerungen und -senkungen zu entlasten.

2. Kernfragen zur Einschätzung der Situation

Nacheinander sind Arbeitslosenversicherung, Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung wegen mangelnder finanzieller Ausstattung in die öffentliche Diskussion geraten. Das Gesundheitssystem steht nach Auffassung mancher Experten vor dem Kollaps (EDERER 1992); der Bundesbeauftragte für behinderte Menschen, Karl-Hermann HAACK, erwartet gar, dass das Sozialsystem "in absehbarer Zeit implodieren wird"(in einer Veranstaltung am 16.5.03 in Berlin.). Bei der Bundesanstalt für Arbeit, die etwa 45 % der Leistungen zur beruflichen Rehabilitation Erwachsener und fast 100 % der Leistungen zur beruflichen Rehabilitation behinderter Jugendlicher finanziert, ist die Sorge groß, dass die für die kommenden Jahre zur Verfügung stehenden Mittel nicht reichen werden, um die Ansprüche aller Leistungsberechtigter hinreichend befriedigen zu können. Ihre Vertreter denken über drastische Einschränkungen bei den bisher gewährten Leistungen nach: (Rück-)Verlagerung der Ausbildung behinderter Menschen in private Betriebe, Segmentierung für bestimmte Personengruppen, Modularisierung, Teilqualifizierung, Erfolgsbindung (Verbleibsquote als entscheidender Maßstab für die Zuerkennung einer Leistung) und öffentliche Ausschreibung bislang geschützter Leistungen sind Strategien, die gegenwärtig in der Führungsetage erwogen werden.

Diskussionen um die Qualität beruflicher Rehabilitation machen oft einen Bogen um die Prozessqualität; sie widmen sich - trägergewollt - zentral der Ergebnisqualität und - leistungserbringergewollt - primär der Strukturqualität. Seit HAVIGHURST (1966) unterscheidet man Ergebnis-, Prozess- und Strukturqualität. Doch merke: Die Güte der Ergebnisse ist abhängig von der Güte der Prozesse, die wiederum von der Güte der Strukturqualität mitbestimmt wird! Man kann Ergebnisqualität quantitativ (anhand von Messgrößen wie Anmeldezahlen, Abbruchquoten, Prüfungserfolgsquoten, Eingliederungsquoten) oder qualitativ (Verlässlichkeit, Teamfähigkeit, Selbstständigkeit etc. /ausgeführt in SEYD 2002a )) messen und bewerten. Prozessqualität lässt sich an Verfahren und Instrumenten festmachen, Strukturqualität an sachlichen und personellen Voraussetzungen. Eine Verengung des Qualitätsbegriffs auf die Ergebnisqualität mag aus der Sicht der Financiers verständlich erscheinen; sie verkennen aber, dass die Ergebnisse auch von Faktoren wie Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und Motivation der Absolventen abhängig ist und dass die Maßnahmen zur Verbesserung der Prozessqualität zu spät gefällt werden, wenn sie erst durch schlechte Ergebnisse indiziert sind (Deshalb hat die japanische Automobilindustrie schon in den 30er Jahren die Prozessqualität vor der Ergebnisqualität gemessen, so dass in die Produktion selbst so eingegriffen werden konnte, dass die Ergebnisse sich deutlich verbessern ließen (SEYD 1995).).

Gleichwohl ist die wichtigste Kennziffer für Reha-Träger wie für die Leistungserbringer die Eingliederungsquote. Sie wird seit Jahren festgestellt (1976 zuerst) und liegt bei den Berufsförderungswerken seitdem stets oberhalb 70 % (BEIDERWIEDEN 1994), bei den Berufsbildungswerken seit Jahren oberhalb 60 %. Sie ist allerdings definiert als Quotient in Beschäftigung befindlicher Absolventen zu erfolgreich durch die Prüfung gekommenen Teilnehmern. Die Abbrecher werden nicht berücksichtigt.
Qualitative Daten über die Ergebnisqualität, etwa zu den für eine Einstellung entscheidenden Faktoren Verträglichkeit, Verlässlichkeit und Selbstständigkeit liegen nicht vor (SEYD 2002a). Die Prozessqualität kann sich auf Verfahren beziehen, beispielsweise

· Unterweisung
· Beratung
· Unterstützung
· Training
· Projektarbeit,

sie kann sich auch auf Instrumente beziehen und meint dann in der Regel die in Anlage 1 zum Rahmenvertrag zwischen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke und den Reha-Trägern aus dem Jahre 1999 festgeschriebenen:

· individueller Förder- und Integrationsplan,
· Leistungshandbuch,
· Abschlussberichte,
· Teilnehmerbefragungen,
· Ergebnisdokumentationen und
· Nachbefragungen.

Hierzu liegen keine flächendeckenden, alle 27 und demnächst 28 (+ BFW Mainz) der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke angehörenden Einrichtungen umfassende Bestandsaufnahmen vor.
Angesichts der gestiegenen Fallzahlen an Leistungsberechtigten einerseits und der problematischen Eingliederungssituation auf dem Arbeitsmarkt andererseits wird Diagnostik immer größer geschrieben. Die Berufsförderungswerke haben Assessment-Programme aufgelegt, die präziser sind und validere Ergebnisse zeitigen sollen als Berufsfindungen. Assessment ist mehr als nur Diagnose (PECHTOLD et al. 2003): Eine Kombination aus Tests, Arbeitsproben, Gesprächen, Rollenspielen ist prognostisch valider als eine Berufsfindungsmaßnahme (SEYD et al. 1988), stellt aber kein "Allheilmittel" zur Optimierung der prognostischen Validität und damit der Zuweisung von Leistungsberechtigten zu für sie geeigneten Maßnahmen dar. Bei den Arbeitsämtern nimmt augenscheinlich angesichts der Fülle und Geschwindigkeit der Testungen die prognostische Validität ab, zudem können Entwicklungschancen, die in der Persönlichkeit des Rehabilitanden liegen, meist nur unzureichend berücksichtigt werden.

3. Neuorientierungsaspekte

1. Selbstbestimmung wird gegenwärtig groß geschrieben; das gilt auch und besonders für behinderte Menschen. Das SGB IX verlangt Teilnehmerbeteiligung bereits in den Reha-Einrichtungen. Das ist eine große Aufgabe, die nur mit vielen großen und kleinen Schritten bewältigt werden kann. In der deutschen Bildungsgeschichte gibt es, vor allem in den 20er Jahren, eine Reihe von interessanten Ansätzen, gerade auch in der Berufsbildung, die zum Ausgangspunkt für entsprechende Modellversuche genommen werden könnten (BLANKERTZ 1982; GREINERT 1993).
Teilnehmer können auf drei Ebenen beteiligt werden:

· individuell: Der individuelle Förderplan und das Fördergespräch sind die maßgeblichen Instrumente,
· in der Lerngruppe: Jour fixe und Wochenbesprechung sind geeignet, um die Teilnehmer an der Reflexion und Planung der Lerngruppenarbeit wirksam zu beteiligen,
· in den Einrichtungen zur beruflichen Rehabilitation soll es eine engagierte Teilnehmervertretung geben.

Mittlerweile sind die individuellen Förderpläne - wie sie bereits 1999 im Rahmenvertrag zwischen den Reha-Trägern und den Berufsförderungswerken sowie zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und den Berufsbildungswerken verbindlich festgelegt worden sind - Standard in den Einrichtungen, wenngleich in sehr unterschiedlichen Formen und Verfahren (siehe dazu auch den Beitrag Aretz in dieser Ausgabe.). Jour fixe sind allerdings noch keineswegs gang und gäbe; auch ist die Art und Weise, wie der Jour fixe durchgeführt wird, stark abhängig vom Interesse der Lehrenden an gezielten

Rückmeldungen durch die Teilnehmer, an der Bearbeitung sozial relevanter Gruppenthemen und an der Beteiligung an der Planung, Gestaltung und Reflexion der Lernsituationen.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke hat in ihrer Sitzung im Mai 2003 ein Eckpunktepapier zu den Teilnehmervertretungen verabschiedet. Es definiert die Errichtung derartiger Mitwirkungsorgane als notwendig und benennt Standards der Wahl von Vertretern und der Beteiligung an Entscheidungsprozessen in den Einrichtungen.
In der aktuellen Diskussion befindet sich derzeit das "persönliche Budget", wie es in § 17 SGB IX als eine Leistungsmöglichkeit bestimmt ist. Zwei Ziele sollen mit ihm verfolgt werden:

· Der Leistungsberechtigte soll in seinen Gestaltungsrechten gestärkt werden,
· er soll Bündnispartner bei der Verbesserung der Leistungsqualität sein, die von Reha-Einrichtungen geboten wird, und bei der Senkung von Kosten, insbesondere durch Bevorzugung ambulanter gegenüber (idR teureren) stationären Maßnahmen (WILMERSTADT 2003, 7 ff.).

Das Interesse der Leistungsberechtigten scheint in Deutschland allerdings nicht sehr groß zu sein; schließlich bereitet es große Schwierigkeiten, Teilnehmer für einen Modellversuch in Baden-Württemberg zu gewinnen (SCHILLINGER 2003, 30). Das wird auf die mit einem derartigen Budget verbundene Nachweispflicht (VIEWEG 2003b, 54) und auf die Furcht, geringerwertige Leistungen als bei der Bewilligung von Sachleistungen zu erhalten oder sich an Preisverhandlungen beteiligen zu müssen (RITTER 2003, 49 f.). Jedenfalls grenzen die Rentenversicherungsträger den Umfang der mit dem persönlichen Budget "einkaufbaren" Leistungen von vornherein ein (SCHILLINGER 2003, 47); sie bemessen auch den Umfang des Budgets durch die Kosten der Sachleistungen (ebenda, 29), so dass sich dem Leistungsberechtigten letztlich auch gar keine Vorteile erschließen, zumal er auch noch mit einem "Missbrauchsverdacht" (VIEWEG 2003b, 53) konfrontiert wird. Hier sind noch erhebliche Vorbehalte auszuräumen, um den Rückstand gegenüber europäischen Ländern (Niederlande, Großbritannien, Schweden), in denen das persönliche Budget schon seit über 20 Jahren erfolgreich praktiziert wird (WILMERSTADT 2003, 13), aufzuholen.

2. Handlungsorientierte Rehabilitation ist eine didaktische Kategorie, keine auf formalem Wege organisierbare Eigenschaft eines Berufsförderungswerks . Sie droht zu einer Leerformel zu verkommen, wenn ihre Verfechter sie nicht exemplarisch und systematisch mit Leben füllen ( eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff findet sich in SEYD 1997.).

Die Kriterien ganzheitlichen, handlungsorientierten Lernens sind im gbRE-Projekt deutlich herausgearbeitet worden (SEYD et al. 2000; SEYD/BRAND 2002):
· die 3 Prinzipien der Ganzheitlichkeit, Handlungsorientierung und Teamsteuerung,
· die 20 Gestaltungsmerkmale und
· die 6 im Rahmenvertrag vereinbarten Instrumente.

Damit verfügen die Berufsförderungswerke über ein geschlossenes System, mit dem sie ganzheitliche, handlungsorientierte, teamgesteuerte berufliche Rehabilitation sicherstellen können.

Handlungsorientierung macht Ernst mit der Forderung nach erwachsenengerechtem Lernen. Zentrales Leitmotiv ist die "berufliche Handlungskompetenz". In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, auf die Ausarbeitung von Heinrich ROTH über die drei Dimensionen der Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz (ROTH 1971) zurückzugreifen und sie mit dem Prinzip der "vollständigen Handlung" zu kreuzen (HACKER 1973). Demnach ist eine Handlung dann als "vollständige" zu bewerten, wenn nacheinander die 6 Phasen des Recherchierens, Informierens, Planens, Entscheidens, Ausführens und Kontrollierens durchlaufen werden. Dementsprechend sind "handlungsorientierte Lernsituationen" zu schaffen (z.B. DIEPOLD 1991).

"Ganzheitlichkeit" stellt einen an sich positiv besetzten Begriff dar, der leicht zu einer unkritisch verwendeten Floskel verkommen kann (SCHMIDT 1998). Er wird in der beruflichen Rehabilitation in drei Ausprägungen verwendet, die allesamt ihre Berechtigung hinsichtlich einer adressatenorientierten Didaktik besitzen:
· Die Gesamtpersönlichkeit des Teilnehmers ist in den Blick zu nehmen, nicht der bloß kognitive Lernbereich.
· Die in der interdisziplinären Zusammenarbeit von Fachkräften unterschiedlicher Profession liegen Möglichkeiten sind auszuschöpfen.
· Die Eingangsvoraussetzungen der Teilnehmer sind bei der Planung und Gestaltung von Lernsituationen ebenso zu beachten wie die persönliche Situation während der und im Anschluss an die Rehabilitationsmaßnahme (zu den Klagen über mangelhafte Kulturtechniken bei den heutigen Schulabsolventen vgl. Kutscha 2001.).

Damit ist - um einem verbreiteten Vorurteil entgegen zu treten - nicht der Vernachlässigung der Fachkompetenz das Wort geredet; ihre Bedeutung ergibt sich schon daraus, dass sie von künftigen Arbeitgebern als selbstverständlich vorausgesetzt wird und in Abschlussprüfungen immer noch eine dominante Rolle spielt (SCHMIDT 2000).

Erste Versuche mit selbstgesteuerten Teams, beispielsweise bei Volvo in Schweden Ende der 60er Jahre, waren aufschlussreich, boten aber wenig Anlass zu der Hoffnung, dass Teamarbeit einmal besonderen Einfluss auf die Qualität der Arbeit in Industriebetrieben und auf die Qualität der dort erstellten Produkte haben würde (KERN/SCHUMANN 1970). Inzwischen haben Industriesoziologen gar die Frage aufwerfen können, ob "das Ende der Arbeitsteilung" (KERN/SCHUMANN 1986) gekommen sei. Mitarbeiter müssen systemisch denken und sich als wirksamen Teil eines Gesamtsystems Betrieb begreifen können (BAETHGE/OBERBECK 1986); das gilt für die gewerbliche Wirtschaft ebenso wie für den Handel (BAETHGE/OBERBECK 1992), in Berufsbildungseinrichtungen nicht minder.

Teamsteuerung lässt sich nicht verordnen; sie muss - auch in sozialen Bildungsunternehmen - wachsen. Sonst löst der Einführungsprozess Gegenreaktionen aus, die zur Diffamierung eines wichtigen Steuerungs- und Gestaltungselementes der Rehabilitationsarbeit (Ein boshaftes englisches Bonmot sagt: "A camel is a horse, designed by a team.") und damit zu seiner Abschaffung führen können.

3. Organisationsentwicklung wird als Gestaltungsaufgabe auch in Bildungseinrichtungen immer bedeutsamer (DALIN 1986; DÜRR 1989; ARNOLD 1991; BAUMANN 1993). Eine solide Auseinandersetzung mit ihren Möglichkeiten und (menschlich-institutionell bedingten) Grenzen ist nicht überall erkennbar. Stimmige Einbettung in gesellschaftliche Entwicklungen und sorgfältiger Abgleich mit den Anforderungen von "außen" (Rehabilitationsträger, politische Instanzen) sind unerlässlich.

OE ist an Maximen orientiert, die in der Literatur ziemlich unstrittig sind: größtmögliche Beteiligung der Mitarbeiter, Orientierung an Zielvereinbarungen, Offenlegung der Ziele und Verfahren im Unternehmen usw. (BAUMGARTNER et al. 1996; ENGELHARDT et al. 1996)

Es ist nicht erkennbar, dass in der Mehrzahl an Rehabilitationseinrichtungen eine systematische, Personalentwicklung/Fortbildung einbeziehende und auf eine mittelfristige Finanzplanung gestützte OE wirklich stattfindet. Es überwiegen isolierte Aktivitäten. Es scheint auch nicht Gemeingut zu sein, dass die Qualität der von Belegschaften erbrachten Leistungen in starkem Maße von ihrer Beteiligung an der Gestaltung von OE-Prozessen abhängt; und dass diese Beteiligung nicht nur die Motivation der Mitarbeiter steigert, sondern selbst Voraussetzung für ein Gelingen von OE-Prozessen darstellt (BENTELER 1997).

4. Nicht alle, die von Qualitätsmanagement, -sicherung etc. reden, haben ein klares Bild von den mit diesem Begriff gefassten Phänomenen. Die Erwartungen, die mit QMS verknüpft werden, werden nur von einer systematischen, versiert vorgenommenen QMS erfüllt

Es besteht kein Zweifel daran, dass Nachweis- und Offenlegungspflichten der Leistungserbringer härter werden. Zudem wird ein höheres Maß an Planung und Steuerung verlangt. Das betrifft insbesondere den individuellen Förder- und Integrationsplan, den man durchaus als innerbetriebliche Leistungsvereinbarung zwischen Leistungserbringer und Leistungsberechtigtem ansehen kann.
Auch die Regelungen des § 20 (1) SGB IX hinsichtlich Qualitätssicherung durch die Reha-Träger und Qualitätsmanagement durch die Leistungserbringer zielen in diese Richtung (Die Auswirkungen des SGB IX sind in Tabellenform aufbereitet in den Anhang zum Abschlussbericht des Transferprojektes aufgenommen worden: SEYD/BRAND et al. 2002 ). Inzwischen ist die "Gemeinsame Empfehlung der Rehabilitationsträger zur Qualitätssicherung" unter Federführung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation erarbeitet und mit Wirkung 1.7.03 vom Bundesminister für Gesundheit und soziale Sicherung in Kraft gesetzt worden. Sie setzt ihren Schwerpunkt auf die Ergebnisqualität, enthält aber auch Vorgaben für Prozess- und Strukturqualität. Die Leistungsberechtigten werden ebenso wie die Leistungserbringer nur unzureichend an der Qualitätssicherung beteiligt. Die Rehabilitationsträger sind letztlich bestimmend, ungeachtet der Aufwertung, die den Leistungsberechtigten durch das SGB IX zuteil wurde und ungeachtet der Standards, die in der privaten Wirtschaft bei externen Qualitätsprüfungen - bei denen die Geprüften die Gelegenheit bekommen, vor der Prüfung selbst an der Formulierung der Qualitätskriterien mitzuwirken - gezogen werden (zur Kritik vgl. SEYD 2003).

5. Wirtschaftlichkeit als Unternehmensziel der Berufsförderungswerke wird nicht nur groß geschrieben, sondern übergroß gedeutet, nimmt man den eigentlichen Betriebszweck eines sozialen Bildungsträgers zum Maßstab.

Ein Teil der Führungskräfte freut sich über die zusätzlichen Gestaltungsspielräume, die sie ab 2004 mit der wirtschaftlichen Selbstständigkeit erhalten, die anderen fürchten den Wettbewerb mit Anbietern, die ihre Leistungen günstiger kalkulieren können, weil sie einen geringeren Personalstatus oder günstigere Tarifverträge besitzen. Es ist absehbar, dass die Leistungsvielfalt zunehmen wird, aber auch die Suche nach Einkünften, die zur Stabilisierung der mit den Reha-Trägern vereinbarten Preise beitragen können. Die Bundesanstalt für Arbeit hat den Rehabilitationseinrichtungen jüngst zugestanden, ihren Unternehmenszweck über die eigentliche Unternehmensaufgabe (z.B. Erwachsenen, die wegen einer Behinderung ihren zuletzt ausgeübten Beruf nicht weiter ausüben können, durch Umschulung zu einer neuen Berufsperspektive zu verhelfen, wie das die Berufsförderungswerke tun) hinaus auf andere Geschäftsfelder (z.B. Führung von Integrationsabteilungen, Beteiligung am Benachteiligtenprogramm, Erstellung von Leistungen für den allgemeinen Markt) auszudehnen. Mit dieser "Aufweichung" der jahrelang hochgehaltenen "Zweckbindung" ist allerdings auch vermacht, dass die Bundesanstalt für Arbeit die institutionelle Förderung bei Bau- und größeren Investitionsvorhaben einstellt. Die Einrichtungen sollen dies über ihre Kostensätze finanzieren. Sie sollen künftig auch selbstständig wirtschaften können, also Gewinne erzielen oder Verluste in Kauf nehmen.

Einrichtungen zur beruflichen Rehabilitation sind allerdings ihrem Sinn und Zweck nach soziale Bildungseinrichtungen, die einem besonders zu fördernden Personenkreis gewidmet sind und die wegen der mit dieser Förderung verbundenen besonderen Bedingungen einen Schutz vor wettbewerbsindizierter Qualitätseinbuße genießen müssen. Es ist ein krasses Vorurteil, wenn soziale Dienstleistungsunternehmen a priori als unwirtschaftlich eingestuft werden. Der renommierte amerikanische Wirtschaftswissenschaftler KRUGMAN wendet sich entschieden gegen diese Fehlmeinung (2002). Nicht, dass die Rehabilitationseinrichtungen nicht kostenbewusst wirtschaften und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht sparsam umgehen müssten! Aber sie können in einem Wettbewerb, der nach wirtschaftlichen Kategorien ausgetragen wird, nicht bestehen, solange sie sich den Personenkreis, den Gestaltungsauftrag, die tarifliche Bindung ihrer Entgeltzahlung und ihre Erfolgsbedingungen (desolater Arbeitsmarkt!) nicht aussuchen können.

6. Mit dem Hinweis auf die HARTZ-Kommission kann man viele Diskussionen bereichern; es findet sich aber in dem Konzept nur wenig, das Fingerzeige und Grundlagen für die Weiterentwicklung der beruflichen Rehabilitation bietet.

Der generelle Perspektivenwechsel geht von der Orientierung der BA-Mitarbeiter an dem "Ratsuchenden" hin zur betrieblichen Personalanforderung und von der Qualifizierung für einen Lebensberuf hin zu einer betriebsbezogenen Qualifizierung. Die Persönlichkeitsentwicklung als Rehabilitationsgegenstand könnte Schaden nehmen. Zudem sind kürzere Maßnahmen von den Reha-Trägern gefordert worden; diese verursachen aber stark erhöhte Kosten und lassen oft die Entwicklung von Sozial- und Selbstkompetenz illusorisch werden.

Wohnortnähe ist eine weitere Forderung der Reha-Träger. Dieses Prinzip ist allerdings den tragenden Prinzipien der Individualität und Normalität nachgeordnet (WITTWER 2001; SEYD 2001). Trotzdem darf man es nicht aus den Augen verlieren. Das regionale Netz der Berufsförderungswerke dürfte noch engmaschiger werden. Vergleichbare Ausbaupläne sind von den anderen Rehabilitationseinrichtungen nicht bekannt. Berufsbildungswerke, Berufliche Trainingszentren, Werkstätten für behinderte Menschen und Medizinisch-berufliche Einrichtungen sind bis auf wenige Ausnahmen jeweils auf einen Standort beschränkt.

4. Aktuelle Auseinandersetzungen

1. Die Rehabilitationsträger, allen voran die Bundesanstalt für Arbeit (BA), drängen die Leistungserbringer, ihre Kosten weiter in erheblichem Umfang zu reduzieren. Ihre Vertreter gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren erheblich weniger Mittel für die berufliche Rehabilitation zur Verfügung stehen, und das bei einem weiter wachsenden Personenkreis. Dabei ist der tatsächliche finanzielle Hintergrund gar nicht klar. Schon der Haushalt der BA für 2004 ist nicht bekannt. Ob angesichts der Lehrstellenproblematik (über 160.000 unversorgte Bewerber, lediglich rund 50.000 offene Lehrstellen lt. Ministerin BUHLMAN am 5.9.03) von der Bundesregierung wieder ein Sonderprogramm aufgelegt wird, dessen finanzielle Bindungen dann bis in 2004 hineinragen und für das kommende Wirtschaftsjahr insbesondere für Neuaufnahmen in der beruflichen Rehabilitation notwendige Mittel absorbieren, ist nicht abzuschätzen.

2. Die Bedarfssituation ist ebenfalls nicht klar, weder bei den Berufsförderungs- noch bei den Berufsbildungswerken. Bei letzteren hängt sie von den Absolventenzahlen sowohl bei den allgemeinbildenden Schulen, insbesondere den Sonder- bzw. Förderschulen, ebenso ab wie von den Absolventenzahlen bei den "zwischengelagerten" Förder- und Vorbereitungsmaßnahmen sowohl im Kultus- als auch im Arbeits-/Sozialbereich. Zudem ist die nach wie vor sinkende Bereitschaft der Betriebe zu beachten, behinderten Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu gewähren.

3. Die an verschiedenen Stellen entwickelten und bei verschiedenen Anlässen kolportierten inhaltlichen und strategischen Vorstellungen der Bundesanstalt für Arbeit sind nicht in einem Konzept zusammen geführt. Jedenfalls liegt ein derartiges Konzept nicht schriftlich vor. Die Arbeitsgemeinschaften als Interessenvertreter der Rehabilitationseinrichtungen sind trotz gegenteiliger Absichtserklärungen nicht von den Rehabilitationsträgern an der Entwicklung von Konzepten beteiligt worden.

4. Offensichtlich konzentrieren sich die konzeptionellen Vorstellungen der BA, die hier stellvertretend für die Reha-Träger benannt wird, auf 7 Aspekte, von denen - ungeachtet mancher Überschneidungen - 2 zu den strategischen (Orientierung auf Durchschnittswerte bei den Ausbildungs- und Internatskosten; zentral gesteuerte öffentliche Ausschreibung) und 5 zu den inhaltlichen gerechnet werden können: Verbleibsquote, Vorrang betrieblicher Maßnahmen, Entkopplung Vorbereitungs- und Ausbildungsangebote, Teilqualifizierung und Modularisierung.


4.1 Die BA will die Ergebnisqualität, reduziert auf die sogenannte Verbleibsquote, zum Maßstab für Zuweisungen nehmen. Die Verbleibsquote ist derzeit in erster Linie von der Arbeitsmarktlage abhängig, in zweiter Linie von den erworbenen Qualifikationen der Absolventen - unabhängig davon, ob sie eine erfolgreiche Prüfung bestanden, nicht bestanden oder während der Maßnahme aufgegeben haben bzw. ausgeschlossen worden sind -, von den Vermittlungsanstrengungen und - selbstverständlich - von den Leistungen der BBWs (heute oft und gern als "Prozessqualität" bezeichnet). Die BBWs dürfen nicht für etwas verantwortlich gemacht werden, was sie am allerwenigsten beeinflussen können! Andererseits zeigen die - trotz alledem - guten Eingliederungsquoten, dass für die BBW-Absolventen Nischen selbst in solchen Branchen und Bereichen vorhanden sind - die Beispiele Bau und kaufmännische Verwaltung mögen für viele stehen -, die vom Gesamtarbeitsmarkt her eher als schwierig angesehen werden. Viele Leistungsberechtigte können nur bestimmte - als weniger marktgängig eingeschätzte - Ausbildungen aufnehmen. Auch sie müssen ihre Chance behalten.

4.2 Die BA will betrieblichen und "betriebsnahen" Maßnahmen absoluten Vorrang vor außerbetrieblichen einräumen. Das ist vom Ansatz her sowohl didaktisch als auch arbeitsmarktstrategisch sinnvoll, verkennt aber die unzureichende Aufnahme- und Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft von Betrieben (siehe die eingangs zitierte Ministerin mit ihrer Betriebsschelte). Außerbetriebliche Maßnahmen sind unerlässlich. Betriebe haben sich weitgehend aus der Ausbildung zurückgezogen. Das gilt für nichtbehinderte wie für behinderte und - siehe den "Bericht der Bundesregierung nach § 160 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) über die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen" vom 1.7.03 - ganz besonders für schwerbehinderte Jugendliche . Die Forderung, Rehabilitationsmaßnahmen betrieblich auszurichten, verkennt die tatsächliche Bereitschaft der Unternehmen. Das heißt nicht, dass sich nicht regionale und branchenbezogene Initiativen lohnen; aber Betriebe zur Mitwirkung an der Ausbildung behinderter Jugendlicher ("Die allgemein gesunkene Bereitschaft von Unternehmen, Jugendliche auszubilden, geht besonders zu Lasten behinderter Jugendlicher. Die zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verpflichteten Arbeitgeber verfügten im Jahre 2000 zwar über rund 1,1 Millionen betriebliche Ausbildungsplätze, jedoch wurden nur rund 5.300 dieser Ausbildungsplätze von schwerbehinderten Menschen besetzt." (Bericht 2003, S. 65). Mithin liegt die Ausbildungsplatzquote bei schwerbehinderten Jugendlichen unter 5 Promille!) und Zusammenarbeit mit Berufsbildungswerken zu gewinnen, ist eine außerordentlich schwierige und aufwendige Aufgabe.

4.3 Die BA will Berufsfindungs-, Arbeitserprobungs-, Assessment- und Fördermaßnahmen nicht mehr bei solchen Einrichtungen platzieren, die auch Ausbildungen durchführen. Hier schwebt der "Selbstbedienungsvorwurf" im Raum, oft angebracht, nie nachgewiesen. Denn zunächst einmal sind diese Vorfeld- und Vorbereitungsmaßnahmen deshalb bei BBWen angesiedelt, weil diese die besten Voraussetzungen für eine valide, reliable, aussagefähige, standardisierte und wirtschaftliche Berufsfindung, Arbeitserprobung und Förderung bieten. Dass ein großer Teil von deren Absolventen dann die Möglichkeit einer Aufnahme oder Weiterführung eines Ausbildungsangebotes bei diesem Träger wahrnimmt, ist deshalb nicht verwunderlich.

4.4 Die BA will die Dauer der Leistungen reduzieren. Förderlehrgänge sollen unterjährig durchgeführt, Ausbildungen auf Teilqualifikationen reduziert werden. Grundsätzlich gilt, dass beide Formen nicht bloß fachliche Qualifizierungen leisten, sondern die Persönlichkeit der Teilnehmer formen sollen. Das ist nicht in einer "Schnelldurchlauf-Maßnahme" zu schaffen. Jahrzehntelang hat die BA auf die hohe Bedeutung der Qualifikation für das Erreichen und den Erhalt eines (sicheren) Arbeitsplatzes hingewiesen; im Zuge knapper Haushaltsmittel die Argumentation umzudrehen und für Kurzzeitqualifikationen einzutreten, heißt den Zusammenhang zwischen Qualifikation und Arbeitsplatzerwerb zu missachten.

4.5 Die BA redet der Modularisierung das Wort. Gegen die Bausteinidee ist im Grundsatz nur dann etwas einzuwenden, wenn mit ihr Berufsausbildungen zergliedert und zerfasert werden. Richtig angewendet sind Module beispielsweise in der Form von Lernfeldern in sich abgeschlossene komplexe Lerneinheiten, die für sich genommen einen sichtbaren Qualifikationsabschnitt ausmachen und damit die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Besitzer erhöhen. Module in dem Sinne, dass Teilqualifikationen an die Stelle von Berufsqualifikationen treten, sind - wie unter Punkt 4.6 bereits ausgeführt - gegen das Arbeitsmarktinteresse (nicht nur) behinderter Menschen gerichtet.


5. Konzeptionelle Reformen bedürfen nicht nur der Präzisierung. Sollen sie umgesetzt werden, muss das Verständnis der Menschen, die sie umsetzen sollen, gewonnen werden. Das braucht eine stringente Umsetzungsstrategie, und das braucht seine Zeit. Das Beispiel PSA zeigt, wie eine gutgemeinte Absicht in verwässerter Form und ohne hinreichendes Bedenken geeigneter Umsetzungsmodalitäten zu katastrophalen Ergebnissen führt. Nicht anders sieht es mit dem "Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter" vom 29. September 2000 aus, das unendlich viel Geld verschlang und alles andere als nachhaltige Beschäftigungserfolge zeitigte . Möge man aus Fehlern lernen!


Literatur:

ARNOLD, R. (1991): Betriebliche Bildungsarbeit als Beitrag zur Personal- und Organisationsentwicklung. In: ARNOLD, R.(Hrsg.): Taschenbuch der betrieblichen Bildungsarbeit. Baltmannsweiler 1991, 156-168.

BAETHGE, M./OBERBECK, H. (1986): Zukunft der Angestellten. Neue Technologien und berufliche Perspektiven in Büro und Verwaltung. Frankfurt am Main/New York.

BAETHGE, M./OBERBECK, H. (1992): Personalentwicklung im Handel. Zwischen Stagnation und neuen Perspektiven. Frankfurt am Main.

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