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BERNADETTE
DILGER
Aspekte zur Implementation und Steuerung von
Wissensforen - auf den Spuren von Qualifizierungsnetzwerken
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Anstelle und in Ergänzung zu traditionellen,
institutionalisierten Formen der Fortbildung artikulieren
Lehrende verstärkt den Bedarf an stetigen, partizipativen
Formen der Weiterbildung und des Erfahrungsaustausches,
die dazu dienen können, Fortbildungsbedarf zu
eruieren, kooperative Qualifizierungsmöglichkeiten
zu nutzen sowie traditionelle Maßnahmen zu begleiten
bzw. den Transfer zwischen Maßnahmen und dem
Einsatzfeld zu unterstützen.
Diese neuen Formen der Qualifizierung werden durch
die Vernetzung der Beteiligten und mit Unterstützung
von IuK-Technologie zu Qualifizierungsnetzwerken,
deren Ziel es ist, die Lernprozesse der Beteiligten
aktiv zu fördern. Die nachfolgenden Überlegungen
widmen sich insbesondere der Frage nach der Implementation
und der Steuerung von Wissensforen (Zur Konzeption
des Begriffs Wissensforum siehe Dilger/ Kremer 2003,
S. 60.). Wissensforen sind hybride (sozio-technische)
Kommunikationsräume, in denen mit Hilfe von Informations-
und Kommunikationstechnologien interaktive Verarbeitungsprozesse
der Nutzer angeregt werden, die thematisch verankert
sind. Wissensforen stellen somit den sichtbaren Teil
von Qualifizierungsnetzwerken dar, in dem Teile der
Interaktionsprozesse der Netzwerkteilnehmer dokumentiert
und damit expliziert werden können. Es werden
im Folgenden die Gestaltungsoptionen aus der Außen-
(Implementation) und aus der Binnenperspektive (Steuerung)
beleuchtet. Dieser differenzierte Blick kann bei der
Einführung und Nutzung von Qualifizierungsnetzwerken
bzw. Wissensforen helfen, verschiedene Aspekte und
Dimensionen zu fokussieren, um entsprechende Handlungsoptionen
zu generieren (Die Überlegungen wurden im Verlauf
des Modellversuchs WisLok (Wissensforum als Instrument
der Lernortkooperation) gewonnen. Zu der Grundstruktur
des Modellversuchs WisLok siehe Dilger/ Kremer 2001.
Informationen zum Modellversuch WisLok können
online unter http://s1.teamlearn.de/km
abgerufen werden.).
1 Dimensionen der Implementation von Wissensforen
Innovationen im Bereich der beruflichen Bildung treffen
nicht auf ein neutrales Feld. Bei der Einführung
von Reformprojekten und Modellvorhaben finden die
Impulse und Konzeptionen Eingang in ein Implementationsfeld,
welches durch viele Einflusskräfte geprägt
ist. In besonderer Weise gilt dies für didaktische
Felder, die durch die Konstellation der Lernenden
in ihrer jeweiligen Individualität, verbunden
mit der Zielsetzung und den Lehrenden als offen, komplex
und vieldimensional (Winnefeld 1957, S. 32) zu beschreiben
sind. Als mögliche Faktoren des Implementationsfeldes
für Wissensforen können die technologische,
organisatorische, kompetenzbasierte und kulturelle
Dimension differenziert werden.
Zur Dimension der Informations- und Kommunikationstechnologie
Die erste Phase der Einrichtung von Qualifizierungsnetzwerken
ist oftmals dadurch gekennzeichnet, dass für
die beteiligten Akteure (Lernende, Lehrende) zunächst
eine ausreichende Infrastruktur zu schaffen ist. Auch
wenn an den einzelnen Standorten eine durchaus zufrieden
stellende technologische Ausstattung vorzufinden ist,
bedeutet dies nicht automatisch, dass diese für
die Einrichtung und flexible Nutzung von Wissensforen
zur Verfügung steht. Hier sind Fragen der Zugangsmöglichkeit,
der Anbindung, der Berechtigung usw. zu klären.
Dies bedeutet, dass neben der Konzeption zunächst
auch der Aufbau der Infrastruktur zu gewährleisten
ist. Da sich die Konzeption von technologisch gestützten
Netzwerken jedoch auf deren potenzielle Nutzungsmöglichkeiten
bezieht, ist hier ein ständiges Wechselspiel
zwischen der fortwährenden Entwicklung der technologischen
Grundlage und der sich darauf stützenden Konzeption
zu bewerkstelligen. Eine Anforderung, die des Dialogs
zwischen den Betreuenden der technologischen Systeme
und den Anwendern bedarf.
Zur Dimension der Organisationsentwicklung
Wissensforen bieten ein Rahmenkonzept, welches durch
die Akteure selbst zu gestalten ist. Es hat sich gezeigt,
dass gewisse virtuelle Musterstrukturen entwickelt
werden können. Die Nutzungsformen und Ausprägungen
müssen jedoch vor Ort festgelegt werden. Die
Entwicklung von Wissensforen verlangt darüber
hinaus, dass Konzepte nicht nur durch einzelne Personen
getragen werden, sondern im Konsens der daran Beteiligten.
Dies führt dazu, dass individuelle Freiräume
zu Gunsten von Kooperationsabsprachen aufgegeben werden.
Für die Einrichtung von Wissensforen haben traditionelle,
bereits bestehende Kooperationsverhältnisse einen
hohen Stellenwert. Die vorhandenen Beziehungen zwischen
einzelnen Akteuren können durch Wissensforen
unterstützt und weiterentwickelt werden. Impulse
für die Weiterentwicklung sind nicht in der Konkurrenz
sondern eher aus dem Zusammenspiel zwischen traditionellen
und virtuellen Kooperationsformen zu erwarten. Aus
einer organisatorischen Entwicklungsperspektive gilt
es somit, Kooperationsverhältnisse - sowohl im
Innen- wie auch im Außenverhältnis einer
Institution - durch persönliche und technologisch
unterstützte Interaktionen zu gestalten.
Zur Dimension der Personalentwicklung
Im Rahmen der Entwicklung von Wissensforen zeigen
sich einige Aspekte, die dem Bereich der Personalentwicklung
zuzurechnen sind. Die Beteiligten setzen sich mit
technologischen und konzeptionellen Innovationen auseinander
und qualifizieren sich individuell und im Austausch
mit anderen über Wissensforen. Die Konzeption
von Wissensforen erfordert dabei neben dem Umgang
mit den technologischen Diensten insbesondere auch
die didaktische Modellierung der intendierten Funktionen.
Aus einer vordergründig technologischen Innovation
können sich damit Impulse für eine pädagogisch-didaktische
Professionalisierung der beteiligten Personen einerseits
und der Institutionen andererseits ergeben.
Zur Dimension der kulturellen Entwicklung
Ein wesentliches Einsatzfeld von Wissensforen in Qualifizierungsnetzwerken
ist die Unterstützung der Lehr-/Lernprozesse
der Teilnehmer. In der Entwicklung und Nutzung von
Wissensforen für den Austausch zwischen Lehrenden
und Lernenden verändern sich Kommunikationsformen
(z. B. hin zu einer stärkeren Textbasierung)
bzw. Interventionsmöglichkeiten. Dies fordert
von den Lehrenden die Handhabung der Infrastruktur
und die entsprechende Gestaltungskompetenz. Für
den Lernenden kann es zu einer Veränderung der
Steuerungsintensität seines eigenen Lernprozesses
führen. Das Potenzial der Integration der neuen
Medien ist insbesondere hinsichtlich der Vernetzungsmöglichkeit
zwischen unterschiedlichen Lebensräumen und deren
Exploration zu sehen. Diese Öffnung kann, kombiniert
mit den Informations- und Kommunikationspotenzialen,
zu einem kulturellen Wandel im Lehren und Lernen in
Qualifizierungsnetzwerken führen.
2 Ansatzhebel zur Steuerung von Wissensforen
Wechselt man die Perspektive in die Innenansicht,
rückt die Frage nach der Steuerung von Wissensforen
in den Fokus. Mittelbar ist damit die Interventionsmöglichkeit
in Qualifizierungsnetzwerken thematisiert, da über
die Steuerung der expliziten Teile auch wirksame Eingriffe
in die impliziten Bereiche der Qualifizierungsnetzwerke
vordringen. Deren intendierte Richtung kann von den
Gestaltern noch hinreichend bestimmt werden. Schwieriger
ist es hingegen, die implizite Wirkung auf die einzelnen
Lerner nachzuzeichnen, da diese oftmals nur über
individuelle, reflexive Prozesse bewusst gemacht werden
können. Netzwerkstrukturen, die als Organisationsform
zwischen Marktstruktur und Hierarchie angesiedelt
sind, benötigen andere Abstimmungsmechanismen,
als Austausch (im Marktprinzip) oder Anweisung (in
der Hierarchie). Die durch Dezentralität geprägten
Strukturen zielen auf gegenseitiges Aushandeln und
Vertrauen (vgl. Willke 1995, S. 109 ff.). Die Steuerung
von Netzwerkstrukturen kann über folgende drei
Ansatzhebel (vgl. Kirsch 1997, S. 222 ff.) erfolgen:
Beteiligte (Arena), Programme (Agenden) und Inhalte
(Themen).
Ansatzhebel Beteiligte
Ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Gestaltung
von Wissensforen bzw. Qualifizierungsnetzwerken ist
die Frage, wer daran beteiligt ist. Dabei gilt es
eine Balance zu finden zwischen der Berücksichtigung
der Betroffenen einerseits und der Arbeitsfähigkeit
andererseits. Eine Vielzahl an Teilnehmern ist vor
dem Hintergrund von Netzwerkeffekten zwar wünschenswert
(Unter Netzwerkeffekt wird die Gesetzmäßigkeit
verstanden, dass mit zunehmender Teilnehmeranzahl
der individuelle Nutzen steigt (vgl. Shapiro/ Varian
1999, S. 242). Dieser Effekt kann insbesondere bei
Kommunikations- oder Internetdienstleistungen nachgezeichnet
werden. Dieser positive Rückkopplungsmechanismus
wird z. B. in der Entwicklung und Ausdehnung des Internets
sichtbar.), jedoch ist bei Qualifizierungsnetzwerken,
bedingt durch die intentionale Ausrichtung des Netzwerkes,
der Kreis der Teilnehmer nicht unbegrenzt. Es ist
demnach bereits in der Konzeptionsphase wichtig, den
richtigen Adressatenkreis zu bestimmen.
Weiterer Klärungsbedarf im Rahmen der Beteiligung
besteht darin, welche Funktionen bzw. Rollen zugewiesen
oder von den Personen selbst eingenommen werden. Vorrangig
werden Wissensforen aufgrund der Initiative einzelner
Personen installiert und konzipiert. In der Regel
übernehmen diese hierbei zumindest am Anfang
die moderierenden und administrativen Funktionen.
Die Zuweisung von Funktionen bzw. die Zentralisierung
steuernder Aktivitäten auf Einzelne trägt
jedoch das Problem in sich, dass diese Personen oftmals
überlastet werden. Eine Verlagerung bzw. Dezentralisierung
einzelner Funktionen ist daher für eine nachhaltige
Arbeit notwendig. Verbunden damit ist ebenfalls der
Ruf nach Anerkennung von Moderation oder Administration
als Arbeitsleistung.
Ansatzhebel Programme (Agenden)
Unter dem Begriff "Agenda" bzw. "Programm"
wird die Zielsetzung von Wissensforen gefasst. Zielvorstellungen
bzw. daraus abgeleitete Teilziele wirken im Rahmen
der Arbeit in Wissensforen dann steuernd, wenn diese
a) transparent sind, b) von den Beteiligten geteilt
werden und c) wenn Aktivitäten sich auf den Grad
der Zielerreichung hin überprüfen lassen
bzw. an diese zurückgebunden werden können.
Für die Steuerung von Wissensforen heißt
dies einerseits, dass gerade zu Beginn sehr viel Wert
auf die Definition und die Aushandlung der von den
Beteiligten gemeinsam verfolgten Ziele zu legen ist.
Andererseits bedeutet dies aber im Verlauf der gemeinsamen
Nutzung, dass es auch Reflexionsphasen bedarf, inwieweit
durchgeführte Aktionen zielführend waren,
die Zielsetzung angemessen ist oder ob eine Veränderung
der Zielformulierung vorgenommen werden muss. Die
steuernde Wirkung von Zielen, insbesondere vom Prozess
der Zielaushandlung und -formulierung, kann im Rahmen
von Netzwerkstrukturen einen Beitrag zur effektiven
Arbeit leisten.
Ansatzhebel Inhalte (Themen)
Themen und deren "Etiketten" stehen immer
auch in einem Konkurrenzverhältnis zueinander.
Durch die Festlegung auf bestimmte Themen in einem
Wissensforum sind Diskussionen anschlussfähig
oder auch nicht. Das Schicksal einiger Themen liegt
z. T. dann auch im Versanden oder Versiegen. Diejenigen
Themen, die in Kommunikationsprozessen zwischen den
Teilnehmern bearbeitet werden, werden durch die Interaktion
in einer spezifischen Weise konnotiert, dies kann
zu einer konsensuellen oder auch divergierenden Auslegung
und Interpretation der Sachverhalte führen. Die
steuernde Wirkung der Themenstellung ist dabei z.
T. durch die dem Thema inhärente Struktur selbst
bedingt. Weiterhin kann auch das Einbringen sowie
die Ausgrenzung von neuen Themenstellungen bzw. spezifischen
Auslegungen zur Themenstellung die Diskussion im Rahmen
von Wissensforen prägen.
Die dargestellten Ansatzhebel sind in unterschiedlicher
Weise als Steuerungsmechanismen von Wissensforen im
Einsatz. Eine Vielzahl von Foren wird vorrangig über
die Funktionszuweisung auf einzelne Personen gesteuert.
Dabei könnten die beiden anderen Ansatzhebel
bzw. eine mögliche abgestimmte Kombination aus
unterschiedlichen Hebeln eine Optimierung und Qualitätsverbesserung
der Arbeit in Wissensforen erwarten lassen. Zusammenfassend
zeigt sich, dass die Implementierung und nachhaltige
Steuerung von Wissensforen als sichtbarer Teil von
Qualifizierungsnetzwerken ein vieldimensionales Aufgabengebiet
ist, welches durch verschiedene Interventionsmöglichkeiten
gesteuert werden kann.
Literatur
Dilger, B./ Kremer, H.-H. (2001): Modellversuch WisLok
- Wissensforen als Instrumente der Lernortkooperation
- Projektbericht 2001, Heft 3 der wirtschaftspädagogischen
Beiträge, Paderborn.
Dilger, B./ Kremer, H.-H. (2003): (Virtuelle) Wissensforen
als Keimzelle eines schulischen Wissensmanagements.
In: Dilger, B./ Kremer, H.-H./ Sloane, P. F. E. (Hrsg.):
Wissensmanagement an berufsbildenden Schulen. Paderborn,
S. 59-72.
Kirsch, W. (1997): Wegweiser zur Konstruktion einer
evolutionären Theorie der strategischen Führung,
2. überarbeitete und erweiterte Fassung, München
1997.
Shapiro, C./ Varian, H. R. (1999): Online zum Erfolg:
Strategien für das Internet-Business. München.
Willke, H. (1995): Systemtheorie III, Steuerungstheorie.
Stuttgart.
Winnefeld, F. (1957): Pädagogischer Kontakt und
pädagogisches Feld. Beiträge zur pädagogischen
Psychologie. Beiheft der Zeitschrift Schule und Psychologie,
Heft 7, München.
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