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bwp@ Ausgabe 6
Hrsg. von Martin Kipp und Wolfgang Seyd

faschingNiehaus Fasching, Helga & Niehaus, Mathilde (Universität Wien, Universität Köln)
Berufliche Integration von Jugendlichen mit Behinderungen: Synopse zur Ausgangslage an der Schnittstelle von Schule und Beruf

1.  Ausgangslage

In der Gruppe der behinderten Jugendlichen nimmt die Gruppe der Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des Lernens den quantitativ größten Anteil ein. Aufgrund von Schätzungen an Schulen für Lernbehinderte zeigt fast jedes zweite Kind Auffälligkeiten nicht nur im Bereich des Lernens, sondern auch im Bereich des Verhaltens (vgl. SPIESS 2002, 39). Bei Jugendlichen, die im Verhalten auffällig sind, bei denen jedoch eine Lernbehinderung auszuschließen ist, wird die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung empfohlen (vgl. SCHMIDT-NEMETH 2002, 120). Sonderpädagogische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in der Schule soll sich auf deren berufliche und soziale Eingliederung orientieren. "Ziel ist die bestmöglichste schulische, berufliche und soziale Eingliederung" (KMK 2000, 3). Diese Forderungen und Zielvorstellungen stehen jedoch im Spannungsfeld zu den realen Möglichkeiten. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist in den letzten Jahren immer schlechter geworden. Als Einflussfaktoren werden die konjunkturelle und demographische Entwicklung, aber auch der Strukturwandel der Wirtschaft genannt. Das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen ist deutlich geringer als die Nachfrage. In Deutschland fehlten im Jahr 2003 nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit mindestens 15.000 Ausbildungsplätze (DIETRICH/KOCH/STOPS 2004). Die über Jahre geführten Prozesse sonderpädagogischer Förderung reiben sich an diesen Ausbildungs- und Vermittlungschancen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Vor diesem Hintergrund sind in der Phase der beruflichen Ersteingliederung die meisten Jugendlichen erschwerten Bedingungen ausgesetzt. Vor allem die berufliche Integration von Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf bzw. mit Beeinträchtigungen ist durch eine Fülle von Problemlagen gekennzeichnet (BACH 1989; NEUKÄTER/WITTROCK 2002; SCHIERHOLZ 2001). Für einen großen Teil von Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen ist eine berufliche Integration am allgemeinen Arbeitsmarkt nur schwer zu erreichen. Das Leistungs- und Sozialvermögen dieser jungen Menschen, ihre soziale Herkunft, das kulturelle Umfeld ihres Aufwachsens und nicht zuletzt die Entwicklung des Arbeitsmarktes sowie negative Einstellungen von Seiten der Betriebe sind prägend für das, was die Problemlagen von Jugendlichen mit Behinderungen bei der beruflichen Integration ausmachen (DIETERICH 1989; MEIER-REY 1997; ORTHMANN 2001; STEIN 1999).

2.  Problemfelder bei der beruflichen Integration

Die Frage der Integration von Jugendlichen mit Behinderungen stellt sich beim Übergang von der Schule ins Berufs- und Erwerbsleben dringlich. Hierbei kann eine gezielte Förderung von Jugendlichen aber nur durch eine Kenntnis ihrer speziellen Problemlage ermöglicht werden.

2.1  Familiäres Umfeld und kulturelle Herkunft

Die Voraussetzungen des Sozialisationsfeldes Familie erschweren oft die berufliche Integration Jugendlicher mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen. Die Einstellung der Familie zur Berufstätigkeit ihres Kindes und die Bereitschaft zur Unterstützung bei Schwierigkeiten haben einen erheblichen Einfluss auf die berufliche Integration (vgl. SEIFERT 1977, 737). Hier muss auch der soziale Hintergrund im Elternhaus mitbedacht werden. Bedingungen des Aufwachsens in der Herkunftsfamilie sind ein entscheidender Stütz-Pfeiler für den Lebensweg der heranwachsenden Jugendlichen. "Die familiäre Sozialisation vermittelt Erfahrungen, Fertigkeiten und Orientierungen, die sowohl für die allgemeine Lebensführung als auch für die beruflichen Informationen, Werthaltungen, Entscheidungen und Qualifikationen von Bedeutung sind" (SCHRÖDER 1987, 112).

Die meisten Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen stammen aus Familien mit einer unterdurchschnittlichen gesellschaftlichen und/oder beruflichen Stellung der Eltern (vgl. hierzu z.B. BACH 1989; BEGEMANN 2002; KLEIN 2001; WILLAND 2000). Hier ist insbesondere auch an ausländische Familien zu denken (KLEIN 2001). Wo die materielle Situation (Geldsorgen, unzureichende Wohnverhältnisse) und der berufliche Status in besonderem Maße unsicher sind, wird den Jugendlichen weder von ihrer Motivation noch von ihrer konkreten Lebensorientierung her Unterstützung gegeben, um eine erfolgreiche berufliche Integration zu ermöglichen. Als weitere Barrieren bei der beruflichen Integration werden bei ausländischen Jugendlichen auch vermehrt Vorbehalte gegen und negative Erfahrungen mit Behörden, fehlende Einbindung in ein Netz sozialer Beziehungen, wo auf informellem Wege ein Zutritt in Betriebe ermöglicht werden kann, genannt (vgl. BMBF 1998, 19). Ohne externe Unterstützung und entsprechende Begleitung wird diesen Jugendlichen die berufliche Integration nur schwer gelingen.

2.2  Qualifikation

Das Bildungsniveau einer Person steht im Zusammenhang mit den Arbeitsmarktchancen für die jeweilige Person (vgl. EUROPÄISCHE KOMMISSION 2000). Jugendliche mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen weisen in der Regel ein niedriges Bildungsniveau auf. DIETERICH (1989, 374) konstatiert in diesem Zusammenhang, dass "fehlender Hauptschulabschluss und nicht vorhandene Berufsausbildung die Arbeitslosigkeit geradezu prädisponieren". Für die Gruppe der Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen gilt, dass ihre "Behinderung" sich somit als Ausdruck und Folge einer längeren Kette von Benachteiligungen darstellt, die bei den sozialen Lebensbedingungen in Kindheit und Jugendalter beginnen, sich in einer schlechteren bzw. ungenügenden Ausbildung fortsetzen und - falls sie überhaupt einen Arbeitsplatz finden - das hohe Risiko beinhalten, arbeitslos zu werden.

2.3  Persönliche Kompetenzen

Empirische Untersuchungen zu den Problemlagen Jugendlicher mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen in Bezug auf die berufliche Integration weisen auf die mangelnde Berufswahlkompetenz dieser Jugendlichen hin (DIETERICH 1989; NEUKÄTER/WITTROCK 2002; STEIN 1999). Die Jugendlichen treffen sehr spät berufliche Entscheidungen. Sie wählen einen Beruf eher nach emotionalen als nach rationalen Kriterien aus. Häufig werden Berufswünsche wie z.B. Pilot oder Kapitän genannt, die eine symbolische Bedeutung für die Jugendlichen haben, aber nicht den Eignungsvoraussetzungen entsprechen. "Nur selten kommt es nach ein oder zwei Gesprächen zu einer Berufsentscheidung und zur Vermittlung eines Ausbildungsplatzes, häufig dauert es Jahre" (NEUKÄTER/WITTROCK 2002, 259).

Auch bei der Realisierung ihrer Berufsvorstellungen haben Jugendliche mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen mehr Schwierigkeiten als andere Jugendliche. Sie sind im Bewerbungsverhalten unentschlossener und unsicherer und bewerben sich zu spät. Sie reagieren auf Restriktionen am Ausbildungsmarkt eher mit Verzicht auf Nachfrage und verfallen in resignative Haltungen. Der Kontakt zum Arbeitsmarktservice ist von geringer Eigeninitiative geprägt und bedarf besonderer Hinführung. Unter Umständen führt dies dazu, dass sie in Anlerntätigkeiten münden und oft erworbene Qualifikationen, die sie z.B. in einer berufsbildenden Maßnahme erlernt haben, nicht verwerten können.

Ob eine berufliche Integration gelingt, hängt zum Teil von ihren persönlichen sozialen und beruflichen Kompetenzen ab. Dazu gehören Arbeitstugenden wie z.B. Pünktlichkeit, Verantwortungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Flexibilität, Motivation, Teamfähigkeit, persönliche Hygiene und Erscheinungsbild (vgl. DIETERICH 1989, 374; NEUKÄTER/WITTROCK 2002, 261). STRUTZ (1999) konnte zeigen, dass eine berufliche Integration von Jugendlichen mit Behinderungen von drei wesentlichen Bedingungen abhängt, nämlich von der Kooperationsfähigkeit, der Motivation und der Selbstständigkeit. Personale Qualifikationen wie Lernbereitschaft, Selbstvertrauen, soziale Qualifikationen wie Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft und kognitive Fähigkeiten sowie Werthaltungen im Sinne von Anpassungsbereitschaft und Dienstbereitschaft sind somit neben den fachlichen Qualifikationen notwendig, um eine berufliche Situation erfolgreich bewältigen zu können.

2.4  Geschlecht

Der Faktor "Geschlecht" spielt eine nicht unwesentliche Rolle bei der beruflichen Integration. Der Frauenanteil unter den Auszubildenden in Deutschland sinkt laut Berufsbildungsbericht 2003 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Anteilig gingen weniger Frauen einer betrieblichen Ausbildung nach als es dem Frauenanteil an den Erwerbstätigen entsprach. Studien (MEIER-REY 1997; NIEHAUS 1999; ORTHMANN 2001; THEIS-SCHOLZ 2001) weisen darauf hin, dass Mädchen mit Behinderung bei der beruflichen Eingliederung von einer doppelten Benachteiligung durch Geschlecht und Behinderung betroffen sind. Die Notwendigkeit einer beruflichen Ausbildung für eine autonome Lebensgestaltung wird für Mädchen anscheinend noch häufiger verkannt als für Jungen. Mädchen nehmen bestehende Möglichkeiten weniger wahr als Jungen bzw. es wird bei ihnen in der Berufsberatung (von Lehrpersonen, BerufsberaterInnen) nicht auf ein erweitertes Berufswahlspektrum hingewirkt.

2.5  Soziale Einstellungen und Vorurteile in Betrieben

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2001) betont, dass die Integration (Partizipation) von Menschen mit Behinderungen im Berufsleben durch Umweltfaktoren wie Einstellungen, Werte und Überzeugungen von Menschen entweder unterstützt oder beeinträchtigt wird. Bei der beruflichen Integration spielen soziale Einstellungen und Vorurteile in Betrieben eine wichtige Rolle. Die Vorurteile von ArbeitgeberInnen sind in der Regel auf Verhaltensunsicherheiten und Unkenntnis über die Leistungsfähigkeit und Verhaltensweisen zurückzuführen. "Dies gilt besonders für Jugendliche, die in Heimen aufgewachsen sind oder eine Sonderschule besucht haben. Das negative Etikett gerät im Extremfall zum Stigma" (NEUKÄTER/WITTROCK 2002, 257). Diesen Jugendlichen wird von betrieblicher Seite oft nicht die notwendige Leistungs- und Sozialfähigkeit zugesprochen. Ihnen werden vielmehr Besonderheiten des Sozialverhaltens als Eigenschaften angelastet, an denen sie selbst schuld seien. "Man hält sie für renitent, faul, frech und dumm und versteht nicht, dass die Jugendlichen paradoxerweise durch abweichendes Verhalten einen Weg aus ihrer Notlage suchen" (NEUKÄTER/WITTROCK 2002, 257). Die Notlage der Jugendlichen, die sich nicht selten in Aggression, Regression oder insgesamt in einem Kontrastverhalten zur Durchschnittsnorm äußert, wird nicht erkannt, sondern eher durch Umweltreaktionen verstärkt. Während bei sichtbaren Behinderungen "neben Unbehagen und Verunsicherung in der Regel auch mitmenschliche Betroffenheit, Mitleid und Hilfeimpulse aufgelöst werden, löst ein mehr oder weniger ausgeprägtes `Fehlverhalten´ von Kindern ohne erkennbare körperliche oder situative Ursache eher Bestrafungsimpulse aus" (VERNOOIJ 2000, 32).

2.6  Arbeitsmarktlage

Positive Prognosen im Hinblick auf die Arbeitsmarktentwicklung beziehen sich in erster Linie auf Stellen für Mittel- bis Hochqualifizierte. In den letzten Jahren ist in der modernen Industriegesellschaft aber geradezu ein Wegbrechen einfacher Tätigkeiten zu verzeichnen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat eine Prognose für die einfachen Tätigkeiten in der Arbeitsgesellschaft vorgestellt. "Danach werden bis zum Jahre 2010 die Berufschancen und -perspektiven der `Ungelernten´ (jedenfalls auf einen Vollerwerbs-Arbeitsplatz) deutlich sinken (...). Die Zahl der sogenannten Einfacharbeitsplätze, in denen 1991 bundesweit noch jeder 5. Erwerbstätige beschäftigt war, wird nach den Berechnungen des IAB im Jahre 2000 auf rund 14 %, im Jahre 2010 auf etwa 10% zurückgegangen sein. Die Beschäftigungsmöglichkeiten dieser Personengruppe [ der Ungelernten, Anm. der Verf. ] werden sich daher von 5,6 Mio. Arbeitsplätzen im Jahre 1991 auf 2,7 bis 2,8 Mio. im Jahre 2010 verringern" (SCHIERHOLZ 2001, 39). Ingesamt ist entsprechend den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit 2003 von einer Lehrstellenkrise die Rede (DIETRICH/KOCH/STOPS 2004). Des Weiteren ist die Situation des regionalen Arbeitsmarktes ein Faktor, ob Jugendliche mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen einen Arbeitsplatz erhalten. Jugendliche aus strukturschwächeren Gebieten erfahren hierbei die größten Probleme bei der beruflichen Integration. Ihnen ist eine Ausbildung weit weg von der Familie oft nicht möglich, da der Ablösungsprozess von der Familie vielfach noch nicht abgeschlossen ist oder sie die dafür notwendige Selbstständigkeit noch nicht erlangt haben.

3.  Ausblick

Bei der Bestimmung der Barrieren und Problemfelder der beruflichen Integration von Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen nehmen die Faktoren "familiäres Umfeld", "persönliche Kompetenz", "Geschlecht", "ethnische Zugehörigkeit", "soziale Einstellungen", "Arbeitsmarktsituation" und "Region" eine besondere Stellung ein. Die Entwicklungspartnerschaften auf europäischer Ebene (Equal-Gemeinschaftsinitiativen) nehmen diese Faktoren auf und versuchen über Qualifizierungsangebote die "Beschäftigungsfähigkeit" Benachteiligter zu erweitern (BERNHARD/NIEHAUS/SCHMAL 2003). Es ist angesichts der ökonomischen Entwicklungen alles andere als einfach, behinderte Jugendliche in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihnen dadurch ein eigenständiges sowie wirtschaftlich unabhängiges Leben zu ermöglichen. Empfehlungen zur Unterstützung sollten an den Kompetenzen des Jugendlichen, am schulischen und sozialen Umfeld sowie an den Bedingungen im Erwerbsleben anknüpfen.

Im schulischen Bereich ist anzuregen, dass für Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf integrative Schulformen im Sekundarbereich II angeboten werden (d.h. Öffnung des Berufsschulwesen und der berufsbildenden mittleren Schulen) wie in anderen westlichen Industrieländern (vgl. WETZEL/WETZEL 2001). Zur Gestaltung des Übergangs von der Schule ins Erwerbsleben ist beispielsweise eine Übergangsbegleitung zu empfehlen. Bewährt hat sich die Erstellung eines verpflichtenden individuellen Förder- und Karriereplanes bereits vor dem Ende der Pflichtschulzeit (in Österreich ist die Eingangsphase mit Gutachten/Förderplänen geregelt, aber nicht die Ausgangsphase) plus Ergänzungen während einer Berufsvorbereitung, falls eine solche Maßnahme durchgeführt wird. So ein Plan umfasst eine Einschätzung der besonderen Bedürfnisse, der persönlichen Kompetenzen, der beruflichen Wünsche und Interessen u.ä. sowie die einzelnen angestrebten Schritte bis hin zur beruflichen Integration. Entsprechende "Karriereentscheidungen" erfolgen gemeinsam mit den betroffenen Jugendlichen, deren Familie, dem Lehrpersonal sowie gegebenenfalls unter Einbeziehung von speziellen ExpertInnen. Insbesondere wenn Probleme im Arbeitsalltag auftreten oder sich individuelle Lebensumstände oder berufliche Wünsche verändern, erscheint ein rasches (Re-)Agieren bzw. die Wiederaufnahme oder Intensivierung der Betreuung sinnvoll. Bei Erfolg der beruflichen Integration genügt ein loser Kontakt . Übergangsbegleitung darf nicht mit einer "Erstversorgung" enden, sondern ist als langfristiger Prozess mit geregelten Zuständigkeiten zu verstehen.

In Deutschland stellt das "Berufscasting" ein innovatives Verfahren der Berufsorientierung dar. Den Analysen des Bundesinstitutes für Berufsbildung zufolge kann eine auf individuelle Stärken und Schwächen abgestimmte arbeitsmarktorientierte Berufswahl bzw. Ausbildungsentscheidung weder im Rahmen der Schule noch über die obligatorischen Berufspraktika geleistet werden (vgl. EBBINGHAUS/WALTER/SCHMIDT 2003). Vor diesem Hintergrund haben Ebbinghaus , Walter und Schmidt (2003) Evaluationsergebnisse zu einem projektorientierten Assessmentverfahren, dem Berufscasting, vorgestellt, die dafür sprechen, dass das Ziel einer realistischen Berufsperspektive weitgehend erreicht wurde. Um die Passung zwischen Fähigkeiten des Jugendlichen und den Anforderungen des Berufes und des Betriebes besser zu ermöglichen, wäre ein solches berufsorientiertes Assessmentverfahren für Jugendliche mit Behinderungen möglicherweise ebenso geeignet.

Empfehlungen, die an die Bedingungen im Erwerbsleben anknüpfen, formulieren SEIFERT (1977) sowie NIEHAUS et al. (2002). Zu den Kontextbedingungen am Arbeitsplatz, die für das Gelingen einer dauerhaften beruflichen Integration erforderlich sind, zählen laut SEIFERT (1977, 737):

•  "Angemessenheit der Leistungsanforderungen an die Leistungsfähigkeit des Behinderten (weder Über- noch Unterforderung)

•  Einstellung des Vorgesetzten zum Behinderten und Behandlung des Behinderten (positive Einstellung, Verständnis, Geduld, Rücksichtnahme)

•  Einstellung der Mitarbeiter zum Behinderten (Annahme und Anerkennung des Behinderten als prinzipiell gleichwertigen und gleichberechtigten Arbeitskollegen, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft bei außergewöhnlichen Belastungen)

•  Soziales Klima im Betrieb und am Arbeitsplatz."

Diese Kontextbedingungen sind in der Regel nicht in allen Betrieben zu finden. Sogenannte "Nischenarbeitsplätze" sollten vermehrt in Betracht gezogen werden. Hierbei benötigen Jugendliche aber Unterstützung durch begleitende Hilfen wie zum Beispiel von Integrationsfachdiensten oder der Arbeitsassistenz, die über das regionale Arbeitsmarktangebot informiert sind und den Jugendlichen bei der Arbeitsplatzsuche helfen können. Arbeitsplätze können dadurch oft gefunden werden, indem der Jugendliche zuerst in einem Betrieb platziert und danach erst ein konkreter Arbeitsplatz für den Jugendlichen geschaffen wird. Des Weiteren kommt hinzu, dass Betriebe oft nicht ausreichend über bestimmte Fördermöglichkeiten für Jugendliche mit Behinderungen informiert sind.

Das vorrangige Ziel der beruflichen Integration ist die dauerhafte Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dieses Ziel kann nur durch eine umfassende und enge Zusammenarbeit zwischen Betrieb, Arbeitsamt und Assistenz erreicht werden. Insofern ist es von besonderer Bedeutung, dass Jugendliche mit emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen schon sehr früh beispielsweise durch Praktika Betriebe kennen lernen und auch dort von externen Unterstützungspersonen begleitet werden.

Neben diesen Empfehlungen zur Unterstützung der beruflichen Integration sind darüber hinaus vor allem die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft aufgerufen, Bedingungen zu schaffen, die die Chancen für benachteiligte Gruppen erhöhen.

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