bwp@ Ausgabe Nr. 4 | Mai 2003

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ECKART GRIGAT & MICHAEL GADOW
(Staatliche Handelsschule Holzdamm H11, Hamburg)

Lernfeldarbeit im Bildungsgang Automobilkaufmann/Automobil-kauffrau an der Staatlichen Handelsschule Holzdamm (H 11)

Der Bildungsgang Automobilkaufmann/Automobilkauffrau wurde Mitte der 1990er Jahre im Rahmen der Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums "Zwanzig neue Berufe" entwickelt. Die Ausbildung startete an der H 11 erstmalig zum 1. August 1998. Heute bestehen in den drei Jahrgängen insgesamt 9 Klassen mit 210 Auszubildenden.

In Hamburg war die Ausbildung im Kraftfahrzeughandel bereits seit Mitte der 1950er Jahre im Unterricht und auch in der Prüfung besonders branchenbezogen ausgerichtet. Die Einrichtung des Fachbereichs 8 (Kraftfahrzeuge, Teile und Zubehör) war ein wichtiger Schritt bei der Neuordnung der Ausbildung im Einzelhandel 1987. Bei der Ausarbeitung des Rahmenlehrplans für den Bildungsgang Automobilkaufmann/Automobilkauffrau sind wesentliche Erfahrungen aus dem bereits sehr branchenbezogenen Unterricht für Auszubildende aus Autohäusern durch eine Lehrkraft der Schule eingebracht worden. Bei der Umsetzung der Lernfelder konnten die Ergebnisse des Modellversuchs "Schlüsselqualifikationen im Einzelhandel" sowie die langjährigen Erfahrungen mit dem konkurrenzorientierten Simulationsmodell STRATEGE eingebracht werden.
Der Beschluss der KMK zum Rahmenlehrplan für die Ausbildung von Automobilkaufleuten empfiehlt den Ländern, den Rahmenlehrplan (vgl. www.hh.schule.de/h11/ ) unmittelbar zu übernehmen oder in eigene Lehrpläne zu integrieren. Die Umsetzung in Hamburg folgte dem Modell "Bündelung". Die Stundentafel ordnet die zwölf Lernfelder sieben neuen Fächern zu.

1. Ausgangslage

Im Rahmen des Modellversuches "Schlüsselqualifikationen im Einzelhandel" wurde an der H 11 bereits seit Anfang der neunziger Jahre fächerübergreifendes Unterrichten in Lernarrangements geplant und in Fachklassen des Kraftfahrzeughandels durchgeführt und ständig weiterentwickelt. Daher blicken die meisten Kollegen auf eine gewisse Tradition auf dem Gebiet des Lernens in Handlungszusammenhängen zurück, so dass zwar die Begrifflichkeit, nicht aber die Inhalte der Lernfeldkonzeption wirklich als Neuland betrachtet werden. Ein Vergleich mit dem bis dahin praktizierten Arbeiten in "Handlungssträngen" zeigt tatsächlich eine Reihe von Gemeinsamkeiten.

2. Grundüberlegungen zur Umsetzung des Lernfeldkonzeptes

Die zunächst von der KMK vorgegebene einheitliche Anzahl von Lernfeldern in den unterschiedlichen Ausbildungsberufen und die anfängliche Behördenvorgabe einer Mindestanzahl von Unterrichtsfächern erschwerten die Umsetzung des Lernfeld-Konzeptes in der Schule. Diese Probleme können als unvermeidbare Begleiterscheinungen einer Neuentwicklung betrachtet werden, zumal sich bei näherer Betrachtung der neuen Lernfeldkonzeptionen eine Reihe von Vorteilen offenbaren.
Da die - in der Regel vernünftig formulierten - Rahmenlehrpläne nicht mehr auf Landesebene in Lehrplänen konkretisiert werden, sondern vor Ort an der Schule - im Idealfall unter Einbeziehung der Lernortkooperation - konkretisiert werden, bieten sich den Lehrkräften wesentlich mehr Möglichkeiten, den Unterricht auf die aktuellen Anforderungen der Betriebe oder auch der Schüler abzustellen. Die Gefahr veraltender Lehrpläne besteht nicht mehr. Nach fünf Jahren Erfahrung im neuen Bildungsgang bleibt festzustellen, dass das Unterrichten nach dem Rahmenlehrplan inhaltlich befriedigender ist, als nach den ursprünglichen Lehrplänen.

Als nachhaltiges Problem erweist sich bei den bundesweiten Prüfungen in diesem Bildungsgang auf der Basis von AKA-Aufgaben aber die verstärkte Ausrichtung auf den Katalog der Prüfungsinhalte. Der Katalog der Prüfungsinhalte für Automobilkaufleute konkretisiert zwangsläufig den Rahmenlehrplan - und zementiert gleichzeitig aufgrund der Dauerhaftigkeit dieses Kataloges die Inhalte - wenn man die Auszubildenden auf die Prüfung vorbereiten will und im bundesweiten Prüfungsranking vorne mitmischen will.
Die mit der Lernfeldkonzeption verbundene Absicht, aus betrieblichen Handlungsabläufen Lernfelder zu schneiden, ist sinnvoll und wird - sofern die Lernfelder handwerklich sauber geschnitten sind - nicht in Frage gestellt. Ein entsprechender Unterricht wird aufgrund der geforderten Praxisorientierung nicht umhin kommen, betriebliche Wirklichkeit in der Berufsschule darzustellen. Wenn dieser Anspruch ernst genommen wird, gelingt dies in unterrichtsalltäglicher, also standardisierter Form nur durch die Simulation einer oder mehrerer Firmen.
In den größeren Autohäusern, die in Hamburg die überwiegende Zahl von Auszubildenden stellen, finden die betrieblichen Tätigkeiten von Auszubildenden überwiegend in wenigen betrieblichen Stationen/Abteilungen statt und lassen in ihren praktischen Handlungen in ihrer Summe/im Zeitablauf nicht immer einen größeren Zusammenhang erkennen. Ausgehend von diesem Problem, muss eine Firmensimulation dem Anspruch gerecht werden, betriebliche Handlungsabläufe umfassend - also "ganzheitlich" - abzubilden und - verzahnt mit den Handlungsabläufen - die dafür erforderlichen fachlichen und sozialen Kompetenzen zu vermitteln. Genau hier liegt die Existenzberechtigung der Berufsschule, nicht in einer reinen Wissensvermittlung und nicht in einer reinen Übernahme von Praxis in Realprojekten.

Der simulierte Betrieb muss sich nun in einem Szenario bewegen, das von den Schülern die Identifizierung und Durchführung aller kaufmännischer Tätigkeiten verlangt, die für die Ausbildung wichtig sind. Unterstellt sei dabei, dass der Rahmenlehrplan und damit die Lernfelder genau die dafür notwendigen Kompetenzen auch einfordern. Existieren zusätzliche Lernfeldinhalte, die also nicht durch kaufmännische Tätigkeiten abgebildet werden können, ist zu prüfen, ob ein handwerklich sauberer Rahmenlehrplan vorliegt. Angesichts der noch jungen Geschichte von Lernfeldern sind Kinderkrankheiten zu erwarten und kein Beinbruch, sofern man die bestehenden Rahmenlehrpläne nicht zum Dogma erhebt.
Die Simulation einer Firma wird seit vielen Jahren in den Lernbüros der Berufsfachschule durchgeführt und mag dort, wo die betriebliche Praxis als Anschauungsobjekt fehlt, ein probates Mittel sein. Das Lernbüro wird aber immer dann als Lernfeldträger scheitern, wenn als Vergleichsmaßstab die Realität zur Verfügung steht.

3. Die Grundbausteine des H 11-Konzeptes

Einen eigenen Weg geht die H 11 im Bereich der Lernfeldumsetzung im Bildungsgang Automobilkaufmann/Automobilkauffrau. Hier kommt über einen Großteil der Ausbildungszeit das Unterrichtskonzept STRATEGE zum Einsatz:

· Unterricht in Handlungszusammenhängen und nicht in Fachsystematiken.

· Die Schüler arbeiten in Kleingruppen, die jeweils einen Betrieb darstellen. Alle Betriebe konkurrieren auf einem simulierten Markt.

· Ein PC-gestütztes Firmenverwaltungsprogramm (STRATEGE) simuliert die Außenbeziehungen durch betriebswirtschaftlich aufbereitetes Zahlen- und Datenmaterial: Jede Firma erzielt so unterschiedliche Absätze, erhält Belege wie Rechnungen, Lieferscheine, Kontoauszüge, Quittungen und Schriftverkehr. Dadurch erfahren die Schüler realitätsnahe Auswirkungen ihres Handelns.

· In Rollenspielen via Telefon oder in persönlichem Kontakt müssen sich die Schüler gegenüber Kreditgebern und Geschäftspartnern sowie Kunden behaupten oder durchsetzen.

· Unverzichtbarer Bestandteil des Konzeptes sind einem Lernbüro vergleichbare Raumgrößen und Ausstattungen mit einem zusätzlichen Nebenraum für Besprechungen, Materialsammlungen und der Hardware für das Firmenverwaltungsprogramm. Entsprechend der Anzahl der teilnehmenden Auszubildenden können bis zu acht Betriebe gebildet werden. Die Raumgestaltung ermöglicht pro Firma eine Schreibtischinsel mit 3 bis 4 Arbeitsplätzen, Haustelefonanschluss und EDV-Ausstattung. Die Schreibtischinseln sind so angeordnet, dass die Kommunikation in den einzelnen Unternehmen möglich ist, ohne andere zu stören.

Nach 5 Jahren Lernfeldarbeit fand jetzt eine umfassende Evaluation statt. Für den Automobilkaufmann wurde diese von der Universität Hamburg begleitet und in deren Rahmen eine Reihe von Interviews mit Lehrern und Schülern durchgeführt. Folgende Ergebnisse sind festzuhalten:

4. Analyse des Lernfeld-Unterrichts

STRATEGE wird als Lehr-Lern-Arrangement im Fach Unternehmensführung und Verwaltung eingesetzt, dem die Lernfelder 2, 4, 6 und 10 zugeordnet sind. Im Verlaufe des Betrachtungszeitraums der Analyse - dem ersten Ausbildungsjahr des laufenden Schuljahres - wurden die Inhalte der Lernfelder 2 (Bestände und Wertströme erfassen und dokumentieren) und 4 (Teile und Zuberhöraufträge bearbeiten) vollständig und die Inhalte der Lernfelder 6 (Am Jahresabschluss und an der Kosten- und Leistungsrechnung mitwirken) und 10 (Erfolgskontrollen durchführen und Kennzahlen für betriebliche Entscheidungen aufbereiten) in Teilen behandelt.

Der Fächer übergreifende und Lernfeld übergreifende Unterricht (Modell "Bündelung") fand beispielsweise bei den Präsentationen zur Rechtsform eines Unternehmens statt oder auch bei der Ausarbeitung von Stellenbeschreibungen. Inhaltlich sind beide Sachverhalte dem Lernfeld 1 und damit dem Fach Wirtschaft und Gesellschaft zuzuordnen. Unter Berücksichtigung methodischer und sprachlicher Aspekte der Präsentation vor dem Plenum ist auch eine Zuordnung zum Fach Sprache und Kommunikation möglich. Durch das Einbringen einer fremdsprachigen Komponente bei der Bestellabwicklung mit einem englischen Großhändler war der Bezug zum Fach Fachenglisch hergestellt.

Die Analyse des STRATEGE-Szenarios zeigt den handlungsorientierten Ansatz des Lehr-Lern-Arrangements. Damit kann die Kompatibilität zu den didaktischen Grundsätzen des lernfeldorientierten Rahmenlehrplans mit Hilfe der dort aufgeführten Orientierungspunkte für die Gestaltung eines handlungsorientierten Unterrichts nachgewiesen werden.

Als didaktische Bezugspunkte gelten dort Situationen, die für die Berufsausübung relevant sind und ein Lernen für Handeln ermöglichen sollen. Eine solche Situation stellt bei STRATEGE beispielsweise die Bestellung von Autozubehörteilen beim Großhändler dar.

Bei der Konzipierung der Handlungsprozesse durch die Lehrer sollte ein ganzheitliches Erfassen der beruflichen Wirklichkeit im Vordergrund stehen. Um beim Beispiel des Bestellvorgangs zu bleiben: hier wird die ganzheitliche Betrachtung beispielsweise durch Integration von rechtlichen oder technischen Aspekten im Verlauf der fünf Perioden gefördert.

Des Weiteren wird in den didaktischen Grundsätzen empfohlen, dass die Handlungen in die Erfahrungen der Lernenden integriert und in Bezug auf ihre gesellschaftlichen Auswirkungen reflektiert werden. Auch hier bietet STRATEGE als Lehr-Lern-Arrangement auf Grund seiner marktorientierten Konzeption Lösungen an, da die Schüler die Bezüge zwischen realer Firmenarbeit in ihrem Ausbildungsbetrieb und der Darstellung in STRATEGE durchaus wahrnehmen.
Dass Handlungen der Auslöser für soziale Prozesse sind, wurde bei STRATEGE in zweifacher Weise erkennbar und erlebbar: Zum einen wurden Konfliktsituationen im Rahmen der eigentlichen simulierten Firmenarbeit konstruiert, wenn es z.B. um simulierte Auseinandersetzungen mit Marktteilnehmern im rechtlichen Bereich ging. Zum anderen entwickelten sich solche sozialen Prozesse innerhalb der Schülergruppen, die die Einzelhandelsbetriebe repräsentierten. Dies äußerte sich z.B. in der Art und Weise wie die Schüler als Team agierten und wie sie innerhalb des Teams miteinander umgingen.

5. Die Meinung der Lehrer über die Lernfeldarbeit

Die Ansätze bzw. Intentionen, die den Lernfeldansatz ausmachen - insbesondere die Handlungsorientierung - werden von den Lehrern insgesamt positiv bewertet. Auf der Unterrichtsebene stellt es für sie deshalb kein Problem dar, STRATEGE als didaktische Methode in einen lernfeldorientierten Rahmenlehrplan einzubetten. Allerdings sehen sie eine konsequente und dauerhafte Umsetzung des lernfeldorientierten Rahmenlehrplans angesichts der im Hamburger Bildungssystem geplanten Einsparungen gefährdet. Darüber hinaus ist für sie die besondere Struktur des lernfeldorientierten Lehrplans nur schwer an Schüler und Ausbilder zu vermitteln, da er nicht mit dem Stoffkatalog der bundesweiten Prüfungen identisch ist.

Die Lehrer sehen sich bei STRATEGE nicht in ihrer tradierten Rolle, die lehrerzentrierten Unterricht impliziert, sondern vor allem als Koordinatoren und Gestalter, die den Schülern in ihrem Lernfortschritt Impulse geben. Dennoch finden auch prüfende und kontrollierende Aktivitäten von Seiten der Lehrer statt.
Die Schüler erfahren sich im STRATEGE-Unterricht in einer neuen Rolle. Diese Rolle verlangt von ihnen vor allem selbstständiges Lernen und die Bereitschaft zur Teamarbeit. Die Rollenverständnisse bei Lehrern und Schülern sind im STRATEGE-Konzept so authentisch, dass das eigene Rollenverständnis auch jeweils vom Gegenüber so gesehen wird.

6. Die Meinung der Auszubildenden über die Lernfeldarbeit

Die Reflexion von STRATEGE durch die Schüler bestätigt in der Mehrheit die Realisierung der Intentionen, die die Lehrer mit dem Einsatz von STRATEGE verbinden. In den Interviews waren aber auch Schülermeinungen zu vernehmen, die nach wie vor den Frontalunterricht als Unterrichtsform präferieren. Das hat nach Meinung der Lehrer durchaus seine Berechtigung, da die Lernprozesse der Schüler nicht alle auf die gleiche Art und Weise strukturiert sind.
Eine seit 2002 regelmäßig durchgeführte Befragung von Auszubildenden zum Lernfeldlernen erbrachte in der aktuellen Klasse mit dreijährigen Auszubildenden am Ende des ersten Ausbildungsjahres folgendes Ergebnis:

Tabelle 1: Ergebnisse aus der Befragung von Auszubildenden

7. Schlussbetrachtung und Perspektiven

Das Unterrichtskonzept im neuen Bildungsgang findet bei den dualen Partnern, den Verbänden und zuständigen Stellen große Anerkennung. Innerhalb der Schule ist ein Klima gefördert worden, in dem Kollegen die inhaltlichen Gestaltungsräume als Bereicherung empfinden und der kollegiale Austausch zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Handlungsorientierte Abschlussprüfungen würden nicht nur einen separaten Stoffkatalog der Prüfungsinhalte überflüssig machen, sondern vielleicht auch das Interesse an der Lernfeldarbeit bei Betrieben und Auszubildenden wecken können.
Im Zuge der bestehenden intensiven Lernortkooperation besteht seitens der ausbildenden Betriebe bisher nur geringes Interesse, sich mit Lernfeldlernen intensiver zu beschäftigen. Eine Erklärung dafür mag die große Zufriedenheit der Ausbildungsbetriebe (und der Auszubildenden) mit dem Berufsschulunterricht sein. Eine gemeinsame inhaltliche Verknüpfung der schulischen Lernfelder mit der betrieblichen Ausbildung könnte zukünftig die Qualität der Berufsausbildung verbessern.

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