http://www.bwpat.de
Willkommen bei bwp@ Spezial !  
  Inhaltlich verantw. Herausgeber der Ausgabe Gramlinger, Steinemann und Tramm
 
 
Bader 

REINHARD BADER

Strategien zur Umsetzung des Lernfeld-Konzepts

(215 kb) print


Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die Themenschwerpunkte/ Leitfragen, welche die Veranstalter dem Workshop 2 "Curriculumentwicklung" im Rahmen der CULIK-Fachtagung am 12./13.06.2003 an der Universität Hamburg vorgegeben hatten. Dementsprechend ist der Text in Bereiche gegliedert. Innerhalb dieser Bereiche werden zu den Leitfragen Thesen formuliert und durch Erfahrungen und empirische Befunde aus dem BLK-Modellversuchsverbund SELUBA inhaltlich untersetzt. Hieran anschließende Empfehlungen geben Anregungen für Lösungsansätze oder Weiterentwicklungen. Weiterführende inhaltliche Konkretisierungen zu einzelnen Thesen werden in Anhängen angeboten.
Auf Bezüge zu den im Modellversuch CULIK entwickelten "Kriterien zur Erarbeitung von Lernsituationen" (CULIK-Kriterien) wird an den entsprechenden Stellen im Text hingewiesen.

1 Bereich 1: Umsetzung der Lernfelder in komplexe Lehr-Lern-Arrangements

1.1 Welche Strategien zur Umsetzung des LF-Konzepts wurden bislang bzw. werden derzeit erprobt?

These: Eine Erfolg versprechende Strategie besteht darin, in den Schulen Bildungsgangkonferenzen einzurichten, die didaktische Jahresplanungen (Schulcurricula, keinesfalls nur "Stoffverteilungspläne") entwickeln.
Im Modellversuch SELUBA sind Konzepte zur Entwicklung didaktischer Jahresplanungen im Bildungsgang weiter entwickelt worden. Handreichungen liegen vor. Das Instrument "didaktische Jahresplanung" wird dennoch nicht in allen Schulen hinreichend genutzt. Nach einer im Land Nordrhein-Westfalen durchgeführten Evaluationsstudie (Deisenroth/Köbbing 2002) gaben nur etwas mehr als ein Drittel der befragten Lehrerinnen und Lehrer an, dass didaktische Jahresplanungen für gemeinschaftliche Unterrichtsentwicklungen genutzt werden.

Empfehlungen:
· Erweiterung der Lehrerfortbildung auf Schulebene und überregionaler Ebene im Bereich einer systemischen Beratung.
· Stärkere Verzahnung von Bildungsgangplanungen mit den Schulprogrammen sowie im Rahmen der Schulorganisation insgesamt.
Teamarbeit bei der Umsetzung des Lernfeld-Konzeptes ist erforderlich und hat sich bewährt. Dennoch sind Teamorganisation, Teamentwicklung, Teamarbeit in vielen Schulen nur ansatzweise ausgeprägt. Nach der oben angeführten Evaluationsstudie hält fast zwei Drittel der befragten Lehrenden Teamarbeit für notwendig und konstruktiv und sehen in ihr auch eine Stützung der fachlichen Qualität des Unterrichts. Gleichwohl entwickelt weniger als die Hälfte der Lehrenden Lernsituationen tatsächlich im Team.

Empfehlungen:
· Stärkung der Bildungsgangkonferenzen (unter Einbezug der Lehrenden des berufsübergreifenden Bereiches und des Differenzierungsbereiches)
· Einrichtung von Reflexionsseminaren zur Schulkultur (Leitbild, kurz- und mittelfristige Programme...)
· Flexibilisierung des Schulmanagements.

1.2 Welche allgemeine Arbeitsstrategie kann für die Konkretisierung der Lernfelder und die Umsetzung in

Lernsituationen empfohlen werden?
These: Es kommt darauf an, nicht allein von den in den Rahmenlehrplänen vorliegenden Lernfeldern auszugehen, sondern nach Möglichkeit den Entwicklungsprozess von der Identifizierung der Handlungsfelder bis zur Beschreibung der Lernfelder zu rekonstruieren. (Handreichungen hierzu liegen vor, s. Anhang 1.)
Handlungsfelder müssen im Zusammenhang mit Geschäfts- und Arbeitsprozessen identifiziert und beschrieben werden.
Empfehlung:
· Orientierung an den Ausbildungsordnungen ergänzt um eigene Erfahrungen und Recherchen der Lehrenden

Bezüge zu CULIK-Kriterien :
· 1. Zielgeleitete Modellierung
· 3. Zentrale Geschäftsprozesse identifizieren und analysieren
· 7. Wissenspool
Handlungsfelder sind in den Vorgaben für die KMK-Rahmenlehrplanausschüsse vielfach nicht erkennbar. Handlungsfelder sind in manchen Berufen nur kurz-lebig.

Empfehlung:
· Prüfen einschlägiger Fachsystematiken als ergänzende Grundlage für Lernfelder unter den Aspekten: innovativ, grundlegend, exemplarisch
Bezüge zu CULIK-Kriterien:
· 10. Komplexe Ausgangssituationen
· 14. Raum für systematisierende Lernphasen
· 18. Volkswirtschaftliche Bezüge herstellen
Lehrende haben Probleme mit der Transformation fachsystematisch geordneter Sachverhalte auf Handlungsanforderungen hin.

Empfehlungen:
· Erweitertes Selbstverständnis der Fachdidaktiken entwickeln.
· Projektseminare, integriert für Studierende, Referendare, Lehrkräfte.
In Berufsfeldern/Berufen/Fächern existieren unterschiedliche Einschätzungen zur Bedeutung fachsystematisch erarbeiteter Grundlagen als Voraussetzung für das Lernen in Lernfeldern.

Empfehlung:
· Akzeptieren einer "didaktischen Pluralität" sowie pragmatischer Lösungen.
Bezüge zu CULIK-Kriterien:
· 8. Problemlernen
· 14. Raum für systematisierende Lernphasen
· 21. Handlungssituationen durchgängig bearbeiten

2 Bereich 2: Gesamtcurriculum

2.1 Wie kann sichergestellt werden, dass der Zusammenhang zwischen den Lernfeldern im Sinne eines ganzheitlichen Lern- und Entwicklungsprozesses der Schüler gewahrt wird?

These: Zusammenhang kann hergestellt werden durch Verortung der Lernfelder in Geschäfts- bzw. Arbeitsprozessen durch thematische Verknüpfungen, die in den Lernfeldern selbst angelegt sind, durch Bezüge zu Fachsystematiken und nicht zuletzt auch durch Lernfelder übergreifende Projekte.
Bezüge zu CULIK-Kriterien:
· 3. Zentrale Geschäftsprozesse identifizieren und analysieren
· 13. Wertströme abbilden und buchen
· 17. Projekte vorbereiten und anbahnen

3 Bereich 3: Gestaltungskriterien aus dem CULIK-Kontext

3.1 Welche Eignung sprechen Sie den in CULIK zusammengestellten Gestaltungskriterien zu, im Hinblick auf die Erarbeitung von Lernsituationen?

These: Die Kriterien geben sachlich fundierte und praktikable Anregungen für die Gestaltung handlungsorientierter Lehr-Lern-Arrangements. Hilfreich wäre eine weitere Ausdifferenzierung in Bezug einerseits auf Human- und Sozialkompetenz sowie andererseits auf unterschiedliche Ausprägungen von Handlungsorientierung.
Eine Förderung der Entwicklung von Human- und Sozialkompetenz ist besonders durch bestimmte Ausprägungen von Handlungsorientierung zu erwarten (zur Erläuterung und Konkretisierung s. Anhang 2). Hinsichtlich der Orientierung der Lerngegenstände an Geschäftsprozessen erscheint besonders relevant das Konzept "Zielgeleitete Modellierung" (Kriterium 1 in Verbindung mit 3, 4, 5, 7, 13, 18). Das Problem der Systematisierung und des Transfers von Wissen wird durch die Kombination von "Dekontextualisierung" und "Rekontextualisierung" perspektivenreich angegangen (Kriterien 6, 8, 9, 14, 15 in Verbindung mit 11 und 16).

4 Zusammenfassende Empfehlungen

· Bei der Entwicklung der KMK-Rahmenlehrpläne sollte die Konstruktion der Lernfelder grundsätzlich von beruflichen Handlungsfeldern ausgehen. Als weiteres Bezugsfeld sollten jedoch systematisch auch die Fachwissenschaften herangezogen werden, und zwar nicht nur zur inhaltlichen Ausfüllung der aus Handlungsfeldern gewonnenen Lernfelder, sondern darüber hinaus auch zur Identifizierung und Begründung für die Kompetenzentwicklung relevanter Lerninhalte, speziell unter den Aspekten: Innovation, Exemplarik, Fundierung.
(Makroebene)

· Ausgehend vom Konzept der didaktischen Jahresplanung, sollte im Rahmen der Schulentwicklung ein Netzwerk von Funktionen und Maßnahmen geschaffen bzw. weiter entwickelt werden, in dem die Professionalisierung der Lehrenden insbesondere in Bezug auf curriculare Planungskompetenz unterstützt wird. In Betracht kommen vor allem: ein flexibles Schulmanagement, der Aufbau von Teamarbeitsstrukturen, eine schulnahe Lehrerfortbildung.
(Mesoebene)

· Bei der Planung von Lehr-Lern-Arrangements sollten die Lehrenden von Lernsituationen ausgehen. Wie hierbei einerseits von den Lernenden selbst organisierte mit stärker lehrergesteuerten Lernsequenzen integriert und wie andererseits handlungssystematisch strukturierte Problemlösungen mit fachsystematisch strukturierten Inhalten erreicht werden können, dies sollte in der Verantwortung der professionell Lehrenden liegen. "Didaktische Pluralität" sollte in Lehrerteams und Kollegien akzeptiert, aber insbesondere auch als Anlass und Grundlage gegenseitiger Beratung genutzt werden.
(Mikroebene)

Die Implementation des Lernfeld-Konzepts zeigt Fortschritte. Nach der oben erwähnten Evaluationsstudie im Modellversuch SELUBA-NRW befürworten die befragten Lehrerinnen und Lehrer mehrheitlich das Konzept, allerdings erkennt nur etwa ein Viertel eine vollständige Umsetzung. In einer Typisierungsstudie zu Transformationsprozessen bei der Arbeit mit dem Lernfeld-Konzept (Bader/ Müller 2002) zeigt sich eine zunehmende Akzeptanz durch die Lehrenden bei längerer Einarbeitung. Das weitere Gelingen der Implementation setzt entschiedene, wirksame Unterstützungen auf allen Ebenen didaktischer Planung und Entwicklung voraus. Wie wird die weitere Entwicklung des Lernfeld-Konzepts verlaufen? Dass es so schnell gar nicht abgelöst werden kann, weil das hoch komplexe System der Lehrplanentwicklung durch die KMK für eine solche Entscheidung viel zu schwerfällig ist, dies ist keine ernst zu nehmende Perspektive, denn es könnte von der Praxis leicht unterlaufen werden. Vor allem aber haben wir keine innovativen Alternativen. Das Lernfeld-Konzept wird in der Praxis und in den Wissenschaften weiter entwickelt werden: nicht im Verständnis dogmatischer Festschreibung, sondern durch Reflexion von Erfahrungen und durch zukunftweisende Ideen. Hierzu allerdings bedarf es, wie mehrfach ausgeführt, der Unterstützung durch förderliche Rahmenbedingungen. Es geht um Handlungskompetenz und diese meint nicht eine pragmatistische Haltung: "Probieren geht über Studieren", auch nicht eine theoriegläubige: "Studieren geht über Probieren", sondern die Orientierung ist: "Probiergeleitetes Studieren gut ausbalanciert mit studiergeleitetem Probieren".

5 Anhang

5.1 Anhang 1: Handreichung zum Konstruieren von Lernfeldern
(Auszug, ungekürzte Fassung s. www.SELUBA.de oder Bader 2000 sowie in der Präsentation variiert in Müller/Zöller (Hrsg.) 2001, Kap. 2.2 und Kap. 2.3)

Abb. 1: Zusammenhang zwischen Handlungsfeldern, Lernfeldern und Lernsituationen (Bader/Schäfer 1998)

5.1.2 Ablaufstruktur zum Konstruieren von Lernfeldern: acht curriculare Schritte

(Die unter 5.1.2. nachfolgenden curricularen Schritten 1 bis 8 aufgeführten Leitfragen sind nur Beispiele aus der sehr viel umfangreicheren Liste in der Langfassung. Sie dienen hier zur Veranschaulichung des Grades an Konkretisierung.)
Handlungsfelder im Beruf und Ausbildungsbedingungen:

Schritt 1: Erfassen des Zusammenhangs zwischen dem Beruf und Arbeitsprozessen
Fragen:
· In welcher Phase der Ablaufstruktur eines sozio-technischen Handlungssystems sind die Tätigkeiten des Berufs überwiegend angesiedelt (z. B. Fertigung)?
· Auf welcher Ebene der theoretischen Fundierung sind die Tätigkeiten ein-zuordnen?

Schritt 2: Erfassen der Ausbildungsbedingungen im Beruf
Fragen:
· Sind für den Beruf regionale Besonderheiten zu beachten (z. B. Vernetzung mit regionalen Wirtschaftszentren, quantitative Verdichtung in einzelnen Regionen)?

Schritt 3: Erfassen von Handlungsfeldern
Fragen:
· Welche Handlungsfelder charakterisieren den Beruf, und in welchen Bezügen stehen sie zu den in Schritt 1 erfassten Arbeitsprozessen?
· Welche dieser Handlungsfelder gehören zum Grundbestand des Berufs (kommen regelmäßig vor), welche sind eher randständig (kommen selten oder nur in einigen Betrieben vor)?

Schritt 4: Beschreiben einzelner Handlungsfelder
Fragen:
· Welche Funktion erfüllt das Handlungsfeld im gesamten Arbeitsprozess?
· Welche Kompetenzen bzw. Qualifikationen erfordern die Tätigkeiten in diesem Handlungsfeld?
Vom Handlungsfeld zum Lernfeld:

Schritt 5: Beurteilen der erfassten Handlungsfelder hinsichtlich ihrer Eignung als Grundlage für Lernfelder (Grobeinschätzung) und Auswahl von Handlungsfeldern
Fragen:
· Welche der erfassten Handlungsfelder sind nach Maßgabe der Grobkriterien (Differenzierung dieser Grobkriterien in Schritt 6, Schritt 7 und Schritt 8)
- Gegenwartsbedeutung,
- Zukunftsbedeutung,
- grundlegende und exemplarische Bedeutung
als Grundlage für eine Transformation zu Lernfeldern
- "voll geeignet" (kann nach geringfügiger didaktischer Transformation zu einem Lernfeld ausgestaltet werden),
- "teilweise geeignet" (bedarf der Ergänzung und/oder Kürzung, jedenfalls der Umgestaltung),
- "nicht geeignet" (scheidet als Orientierung für ein Lernfeld aus)?
· Welche der erfassten Handlungsfelder sind erforderlich, um die Arbeits-prozessstruktur abzubilden?

Schritt 6: Transformieren der ausgewählten Handlungsfelder zu einem Arrangement von Lernfeldern
Fragen:
· Um welche Handlungsgebiete oder -aspekte müssen die Lernfelder insgesamt erweitert werden, damit sie über die Entwicklung von Fachkompetenz hinaus auch die Entwicklung von Human- und Sozialkompetenz fördern?
· Ist die in den Handlungsfeldern anzutreffende Ebene der theoretischen Fundierung der Berufstätigkeiten angemessen oder sollte sie unter Berücksichtigung der Voraussetzungen der Lernenden gesenkt oder auch angehoben werden? (Theoriebezug)

Schritt 7: Ausgestalten und Formulieren der einzelnen Lernfelder nach den Vorgaben der KMK-Handreichung
Fragen:
· Welche Kompetenzen (in den Dimensionen von Fach-, Human- und Sozialkompetenz) sollen in diesem Lernfeld besonders entwickelt werden?
· Auf welchen größeren Arbeitsprozess und auf welche Teilprozesse bezieht sich das Lernfeld?
Vom Lernfeld zur Lernsituation:

Schritt 8: Ausgestalten und Formulieren von Lernsituationen durch Konkretisieren der Lernfelder unter Orientierung an den Handlungsfeldern
Fragen:
· Durch welche Lernsituationen kann ein bestimmtes Lernfeld konkretisiert werden?
· Auf welchen größeren Arbeitsprozess und auf welche Teilprozesse bezieht sich das Arrangement von Lernsituationen? In welcher Weise sind die Lernsituationen innerhalb des Lernfeldes aufeinander bezogen?

5.2 Anhang 2: Ausprägungen von Handlungsorientierung in der Berufsbildung

"Berufliche Handlungskompetenz" ist heute als Leitziel der Berufsbildung weithin akzeptiert. In der Didaktik korrespondiert dieses Leitziel mit der Konzeption handlungsorientierter Ausbildung bzw. handlungsorientierten Unterrichts. Zugrunde liegt die Hypothese, dass Handlungskompetenz durch solche Lehr-Lern-Arrangements besonders gefördert werden kann, in denen die Lernprozesse sich an Handlungen orientieren. Worin diese Orientierung an Handlungen genauer bestehen soll, hierüber gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen, teilweise auch Begriffsunschärfen, und beides führt in der praktischen Didaktik zu vielfältigen Missverständnissen, überzogenen Erwartungen an den Praxisbezug der Schule, bisweilen gar zu unreflektierten Aggressionen gegenüber dem Ziel der Handlungskompetenz überhaupt. Derlei Unklarheiten und Missverständnisse erschweren professionelle Diskussionen über angemessene Formen einer Konkretisierung von Handlungsorientierung in Lehr-Lern-Prozessen. Sie reichen von der Konstruktion der Lernfelder in den KMK-Rahmenlehrplanausschüssen über Verständigungen zwischen Betrieben und Berufsschulen hinsichtlich der Praxisorientierung des Unterrichts über das Verständnis von Berufsorientierung in studienqualifizierenden Bildungsgängen bis hin zu unbefriedigenden Auseinandersetzungen bei der Beurteilung von Lehrproben darüber, was an Handlungsorientierung erwartet und was geboten wurde. Als ein Ergebnis von Literaturstudien, insbesondere aber auch zahlreicher Gespräche mit Fachleuten aus Schule, Betrieb, Bildungsplanung, Curriculumentwicklung erkenne ich eine ganze Reihe unterschiedlicher Ausprägungen im Verständnis von Handlungsorientierung und diese Ausprägungen differenzieren sich in konkreten didaktischen Planungen mehr oder weniger variantenreich aus.
Bei den nachfolgend aufgeführten Ausprägungen handelt es sich um eine Auswahl mit Bezug auf die in dem vorliegenden Beitrag zum Lernfeld-Konzept getroffenen Aussagen (zur vollständigen Analyse s. Bader 2002).

1. Handlungsorientierung der betrieblichen Ausbildung an "vollständigen Handlungen", die selbständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren bzw. Bewerten beruflicher Arbeit einschließen.
Hinsichtlich dieser noch recht allgemeinen Orientierung besteht sowohl in der ausbildenden Wirtschaft als auch in der Berufsschule weitgehend Konsens, doch fehlen in der Ausbildungspraxis vielerorts noch Entsprechungen durch geeignete Formen der Ausbildungs- und Arbeitsorganisation, die vollständige Handlungen tatsächlich auch zulassen. In diesem Verständnis dient Handlungsorientierung der Zielklärung beruflicher Bildung.

2. Handlungsorientierung als psychologisch begründete Strukturierung aller Lernprozesse - meist auf der Basis von kognitionspsychologischen Theorien, von Handlungsregulationstheorien oder von pragmatischen Verbindungen beider Theoriestränge.
Hiernach erfolgt Lernen grundsätzlich an Handlungen orientiert, wobei der Begriff Handlung auch gedankliche Konstruktionen umfasst und Handlungs-orientierung des Lernens sich auch auf das gedankliche Nachvollziehen von Handlungen anderer beschränken kann (Beispiel: Lernen aus einem Lehrbuch, das politische Kontroversen um die Entstehung eines Gesetzes, Experimente in den Naturwissenschaften, wirtschaftsgeographische Zusammenhänge, Veränderungen von Gesellschaftsstrukturen oder historische Entwicklungen anschaulich und nachvollziehbar darstellt). Bei der Planung von Lernprozessen muss Handlungsorientierung in diesem psychologischen Verständnis unbedingt berücksichtigt werden, weil Lernen sonst erschwert, wenn nicht gar verhindert wird. Sie ist eine Art Artikulationsschema.

3. Handlungsorientierung als Gestaltung von Lernprozessen, in denen die Lernenden möglichst durch selbständiges Handeln lernen, mindestens jedoch durch aktives Tun, jedenfalls nicht allein durch gedankliches Nachvollziehen von Handlungen anderer.
Handlungsorientierung in diesem Verständnis ist nicht nur in der Praxis der betrieblichen Ausbildung, sondern auch im Unterricht der Schule anzustreben und so weit wie möglich auszudehnen, weil hierdurch Anschaulichkeit, differenziertere Problemsicht, Motivation, intensivere Verknüpfung neuer Einsichten mit vorangegangenen Erfahrungen, länger anhaltendes Behalten des Gelernten gefördert werden. (Beispiel: Lernen im Lernbüro, an Fallstudien, in Rollenspielen, an praktisch durchgeführten Experimenten oder am Projekt). Diese Handlungsorientierung als eine Art Unterrichtsprinzip in der Praxis zu realisieren, dies wird je nach Lerninhalten, Medienausstattung und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie auch je nach Lehrerkompetenz mehr oder weniger schwierig sein. In vielen Schulen zeigen sich bereits ermutigende Ergebnisse. Besonders erfreulich ist die immer wieder geäußerte persönliche Zufriedenheit der Lehrerinnen und Lehrer, die diese Unterrichtsgestaltung praktizieren.

4. Handlungsorientierung als Lernen an konkreten Handlungen, deren Ergebnis nicht aufgrund gesicherter Erkenntnisse (zum Beispiel der Naturwissenschaften) feststeht, sondern offen ist.
Dies trifft für alle Situationen zu, in denen Menschen mehr oder weniger weite Handlungsspielräume haben, die sie auf ihre Weise nutzen bzw. ausgestalten können. Handlungen sind dann Voraussetzungen für den Zugewinn an Erkenntnissen, die sich sowohl aus zweckrationalem als auch aus kommunikativem Handeln bzw. einer Synthese beider Handlungstypen ergeben können. Auf den jeweiligen Handlungsplan gewendet: Die Leistungsfähigkeit des Handlungsplans lässt sich erst durch tatsächliches Ausführen der geplanten Handlung beurteilen. (Beispiele: Prüfung der Effizienz eines Bearbeitungsablaufs zur Regulierung von Versicherungsfällen, Beurteilung der Richtigkeit eines Schaltplans durch Aufbau und Überprüfung der Schaltung, Erprobung einer Lösungsstrategie bei der Fehlersuche durch Aufspüren und Beseitigen einer Störung, Beurteilung einer Argumentation durch deren Erprobung in einer Gruppendiskussion). Im Falle von Aufgabenstellungen bzw. Problemen, die prinzipiell offene Lösungen zulassen, kann das Lernpotential nur durch eine Handlungsorientierung in diesem Verständnis voll ausgeschöpft werden; bei der Beschränkung auf eine nur gedankliche, allgemeine Handlungsstrukturierung (im Verständnis nach Punkt 3), d.h. ohne eigenes konkretes Handeln, sind allenfalls Teileinsichten zu erwarten. Handlungsorientierung nach diesem Verständnis ist eine Erkenntnismethode.

5. Handlungsorientierung als Planung und Gestaltung von Lernprozessen mit dem Ziel der Fähigkeit, aus gewonnenen Erkenntnissen (im weitesten Sinne) gesellschaftliche Konsequenzen zu ziehen, d.h. der Einsicht die Tat folgen zu lassen, um vorgefundene Situationen in Richtung auf als erstrebenswert erkannte Ziele mit den geplanten Methoden zu verändern.
Dieses Verständnis von Handlungsorientierung dürfte in manchen Kreisen Argwohn hervorrufen. Aus einer verengten Sicht von Bildung könnte die Gefahr einer "Politisierung" der Bildungseinrichtungen gesehen werden. (Beispiele: Beseitigen von Gefahrenstellen an Arbeitsplätzen, Verweisen auf Umweltschäden, Ändern von Ausbildungsplänen oder Schulordnungen, Hinweis der Öffentlichkeit auf gesellschaftliche Ungerechtigkeiten durch Schülerzeitungen, Pressemitteilungen, Flugblätter, Demonstrationen). Der in den Landesverfassungen begründete Bildungsauftrag der Schulen verpflichtet diese, den Prozess zur Entwicklung von Mündigkeit, zur Persönlichkeitsentfaltung in sozialer Verantwortung, bestmöglich zu fördern. Deshalb ist in der Didaktik der Schulen auch diese Dimension von Handlungsorientierung unverzichtbar. Dies bedeutet nicht die Aufforderung der Schülerinnen und Schüler zu politischem Aktionismus, wohl aber das stetige Bestreben, zum Durchschauen und Verstehen von Sachverhalten und Zusammenhängen anzuleiten, Urteilsbildung und Werteentwicklung zu fördern sowie das verantwortungsbewusste Nachdenken über Handlungsalternativen und -möglichkeiten zu unterstützen.

6. Handlungsorientierung als Merkmal unternehmerischer Selbständigkeit.
In unternehmerischer Selbständigkeit kommt Handlungsorientierung mit hoher Komplexität, großem Engagement und Kreativität sowie insbesondere auch mit individueller Selbständigkeit und Verantwortung zum Tragen. "Denken und Handeln aus der Perspektive unternehmerischer Selbständigkeit" steigert vermutlich auch die Handlungskompetenz für abhängige Beschäftigung.

 

Literatur:

Bader, R. (2000): Konstruieren von Lernfeldern. In: Bader, R./ Sloane, P.F.E. (Hrsg.): Lernen in Lernfeldern. Theoretische Analysen und Gestaltungsansätze zum Lernfeldkonzept. Markt Schwaben.
Bader, R. (2002): Handlungsorientierung in der Berufsbildung. Variantenreiche Ausprägungen. In: Die berufsbildende Schule 54, H. 3, S. 71 ff..
Bader, R./ Müller, M. (2002): Vom Lernfeld zur Lernsituation. Typisierung der Transformationsarbeit in den Schulen. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik Bd. 98., H. 1, S. 71-85.
Bader, R./ Müller, M. (2002): Leitziel der Berufsbildung: Handlungskompetenz. Anregungen zur Ausdifferenzierung des Begriffs. In: Die berufsbildende Schule 54, H. 6, S. 176-182.
Bader, R./ Müller, M. (2002): Fachdidaktische Professionalität zur Gestaltung des Lernfeldkonzeptes. Anforderungen an die Lehrenden und schulorganisatorische Rahmenbedingungen. In: Bader, R./ Sloane, P.F.E. (Hrsg.): Bildungsmanagement im Lernfeldkonzept - curriculare und organisatorische Gestaltung. Paderborn, S. 63-76.
Bader, R./ Schäfer, B. (1998): Lernfelder gestalten. Vom komplexen Handlungsfeld zur didaktisch strukturierten Lernsituation. In: Die berufsbildende Schule 50, H. 7-8, S. 229-234.
Beek, H./ Gravert , H./ Müller, M./ Zöller, A.(1999): Optimierung und Qualitätsverbesserung der KMK-Rahmenlehrplanarbeit - Erste Arbeitsergebnisse der Modellversuchsverbünde NELE und SELUBA. In: Die berufsbildende Schule 51, H. 10, S. 321 - 323.
Binstadt, P./ Müller, M. u. a. (2001): Prozessleitfaden zur Entwicklung eines lernfeldstrukturierten KMK-Rahmenlehrplanes. Hrsg.: Help Wiesbaden.
Deisenroth, H. (2001): Deutsch im lernfeldorientierten Unterricht der Berufsschule. In: Die berufsbildende Schule 53, H. 11-12, S. 339 ff..
Deisenroth, H./ Harmut-Podleschny, K./ Keiser, G./ Kniesburges, L./ Lösche, H.-J./ Schmidt, T./ Thiele, N. (2002): Didaktische Jahresplanung im Bildungsgang. Leitfaden zur Umsetzung von Lehrplänen für die Fachklassen duales System. Hrsg.: Landesinstitut für Schule, Soest.
Deisenroth, H./ Köbbing, J. (2002): Evaluation der Bildungsgangarbeit in Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Modellversuches SELUBA. Hrsg.: Landesinstitut für Schule, Soest.
KMK (2000): Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe. Bonn, Sekretariat der KMK. (Fassung vom 15.09.2000).
Kremer, H.-H./ Sloane, P.F.E. (2000): Lernfelder implementieren. Erste Umsetzungserfahrungen lernfeldstrukturierter Curricula. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 15, S. 170-182.
Kremer, H.-H./ Sloane, P.F.E. (2001): Lehrerrolle und Lernfeldkonzept. In: Reinisch, H./ Bader, R./ Straka, G. A. (Hrsg.): Modernisierung der Berufsbildung in Europa. Neue Befunde der berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung, Opladen, S. 97-106.
Müller, M./ Zöller, A. (Hrsg.) (2001): Arbeitshilfe für Rahmenlehrplanausschüsse. Handreichung der Modellversuchsverbünde NELE (Bayern und Hessen) und SELUBA (Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen) für die Rahmenlehrplanausschüsse der KMK. München/ Halle: ISB.
Tramm, T. (2002): Zur Relevanz der Geschäftsprozessorientierung und zum Verhältnis von Wissenschafts- und Situationsbezug bei der Umsetzung des Lernfeldansatzes im kaufmännischen Bereich. In: Bader, R./ Sloane, P.F.E. (Hrsg.): Bildungsmanagement im Lernfeldkonzept - curriculare und organisatorische Gestaltung. Paderborn, S. 41-62.


+ + www.bwpat.de + + www.bwpat.de + + www.bwpat.de + + www.bwpat.de + + www.bwpat.de + + www.bwpat.de + +
URL: http://www.bwpat.de/spezial1/bader.shtml
saved on: 15.09.2004

[ www.bwpat.de ] [ bwp@ Spezial 1-2004 ] [ bwp@ Profil 1- Willi Brand ]

 

 
   (c) 2004 bwp@ - Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik Universität Hamburg