wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 
REINHOLD NICKOLAUS (Universität Hannover)
Kontroversen in der Diskussion und Gestaltungsvorschläge *

Vorbemerkungen


Mit dem hier vorliegenden Papier soll im Anschluss an die vorausgegangenen Debatten über die Ausbildung von Lehrenden für berufliche Schulen ein vorläufiges Fazit gezogen werden. Dies geschieht in drei Schritten: Nach der Skizzierung der Ausgangslage werden die z. Z. diskutierten Reformoptionen im Hinblick auf ihre Tragfähigkeit erörtert, wobei die konsensfähigen als auch die konfliktträchtigen Positionen aufgegriffen werden. In einem dritten Schritt folgen schließlich Empfehlungen zur Reform bzw. Optimierung der Lehrer-ausbildung für berufliche Schulen.

1. Ausgangslage

Die Ausgangslage wird anhand der grundlegenden, für die künftige Ausge-staltung bedeutsamen strukturellen Bedingungen und Problemlagen dargestellt.

1.
Bei allen Reformüberlegungen sind die bestehenden facettenreichen Ausbildungsstrukturen und deren Leistungsstärken und Schwächen zu berücksichtigen.

Innerhalb der Bundesrepublik existieren stark unterschiedliche Ausbildungs-varianten, die von engen Anlehnungen an korrespondierende Fachwissen-schaften ohne Fachdidaktik über Mischformen (Partielle Partizipation an Fachwissenschaften, adressatenspezifische fachwissenschaftliche Lehr-angebote und Fachdidaktik) bis zu reinen "Lehrermodellen" (durchgängig adressa-tenspezifische fachwissenschaftliche Lehrangebote + FD) reichen. Zu deren spezifischen Effekten für die Qualifizierung während des Studiums liegen über plausible Einschätzungen hinaus keine Daten vor; zur Ausprägung der Kompetenzen in Abhängigkeit vom Ausbildungsgang am Ende der 2. Phase oder nach 2 - 3 Jahren Praxiserfahrung kann bestenfalls spekuliert werden. Dabei deuten die wenigen empirischen Daten zum Vergleich von Quereinsteigern und grundständig Ausgebildeten darauf hin, dass am Ende der 2. Phase zwar noch ausbildungsspezifische Vorteile erkennbar sind (leichte Kompetenzvorteile von Quereinsteigern in den Ingenieurwissen-schaften, leichte Kompetenzvorteile der Grundständigen in Erziehungs-wissenschaft), diese jedoch relativ gering ausfallen und von den die Unterrichtskompetenz beurteilenden Fachleitern als unproblematisch bewertet werden. Die in den Schulen und Kultusverwaltungen mit den einzelnen Ausbildungstypen gesammelten Erfahrungen sind, sofern überhaupt dokumentiert, nicht öffentlich zugänglich. Einige Indizien sprechen dafür, dass es den Königsweg nicht gibt und, sofern eine hinreichende Offenheit bei den künftig Lehrenden besteht, von unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in der 2. und 3. Phase gleichwertige Kompetenzprofile erreicht werden können. Zu denken geben sollte der von Dubs in Bezug auf amerikanische Studien referierte Befund, wonach die Neigung der Lehrenden zum Einpauken von Wissen um so größer ist, je schwächer ihre eigene fachwissenschaftliche Kompetenz ist. Ohne ein ordentliches Fundament in den zu unterrichtenden Gegenstandsfeldern ist eine befriedigende Ausbildung nicht möglich.
Angesichts dieser Ausgangslage stellt sich die Frage, ob die Forderung nach einem einheitlichen Modell für die Berufschullehrerausbildung sinnvoll ist, zumal deren Einlösung auch wegen der unterschiedlichen örtlichen Gegeben-heiten auf Widerstand stoßen dürfte.

2.
Im Bereich der Wirtschaftspädagogik gibt es eine bewährte Tradition mit polyvalenten Studiengängen, die möglicherweise auch zu einer höheren Attraktivität führt. Mit der polyvalenten Anlage von Studiengängen geht allerdings ein Zielkonflikt einher, da die Eröffnung verschiedener beruflicher Optionen nur bedingt mit dem Bestreben, auf spezifischen Handlungssituationen (Schule) vorzubereiten, in Einklang zu bringen ist.

Das Beispiel der Wirtschaftspädagogik zeigt, dass Polyvalenz in vielfältiger Hinsicht von Vorteil ist. Begünstigt wird dies durch fachliche Überschneidungen (zwischen der Wirtschaftspädagogik, und bestimmten wirtschaftswissenschaftlichen Bereichen), die in einem vertretbaren Zeitrahmen den Aufbau mehrfach verwertbarer Kompetenzprofile ermöglichen. Im gewerblichen Bereich gibt es ähnliche Konstruktionen (z. B. hochaffine Fachkombinationen in B-W), in welchen jedoch die hochaffine Ergänzung der beruflichen Fachrichtung nicht automatisch als Verbindungsglied zur Berufspädagogik angelegt ist und damit im Hinblick auf die Herausbildung pädagogischer Professionalität möglicherweise schlechtere Voraussetzungen gegeben sind.
Generell stellt sich die Frage, inwieweit die Forderungen nach einer optimalen Vorbereitung auf den Schuldienst, die eine weitgehende Anbahnung unterrichtlicher Kompetenz bereits in der ersten Phase einschließt, mit der zugleich geltend gemachten Forderung nach Verwertbarkeit dieser Qualifikation in anderen institutionellen Kontexten vereinbar ist. Handlungskompetenz schließt Fähigkeiten und Fertigkeiten ein, die in einem längeren Prozess eingeübt werden müssen und deren automatische Verfügbarkeit Voraussetzung ist für darauf aufsetzende situationsspezifische Problemlösungen. Da die Zeitkontingente begrenzt sind, bedeutet die Ent-scheidung für das Eine möglicherweise die Entscheidung gegen das Andere, sofern die Studienkonstruktion nicht durch curriculare Überschneidungen, wie oben angedeutet, begünstigt wird.

3.
Es besteht offensichtlich ein problematisches Verhältnis zwischen theoretischen Lehrangeboten an den Hochschulen und der Unterrichtspraxis von Lehrenden an beruflichen Schulen, wobei diese Probleme - nach Ausbildungsstandorten unterschiedlich - vor allem auf die Lehrangebote der Berufs- und Wirtschaftspädagogik und die berufliche Fachrichtung bezogen empirisch belegt sind.

Die Kritik am Verhältnis theoretischer Lehrangebote an den Hochschulen zur Unterrichtspraxis dominiert in sämtlichen Evaluationsstudien zur Lehrerausbildung für berufliche Schulen; davon ist auch der Studiengang Wirtschaftspädagogik nicht ausgenommen.
Von Seiten der Studierenden und Referendare richtet sich diese Kritik sowohl auf die Ausbil-dung in der beruflichen Fachrichtung als auch auf den erziehungswissenschaftlichen Teil. Die Unterrichtsfächer schneiden hingegen deutlich besser ab. In einzelnen Untersuchungen, die sich zumeist auf nur einen Studienstandort beziehen, wird eher die Kritik an den beruflichen Fach-richtungen, in anderen an der Erziehungswissenschaft betont, was auf örtliche Gegebenheiten oder die Untersuchungsanlage zurückgeführt werden könnte.
Von der Kritik an den Lehrangeboten auf deren Irrelevanz zu schließen und alternative Lehrangebote zu präferieren, wäre allerdings kurzschlüssig. Die Sicherung pädagogischer Professionalität im Sinne der Einlösung einer weitest möglichen Rationalität unterrichtlichen Tuns setzt gute Orientierungs-fähigkeit in den bestehenden wissenschaftlichen Wissens-beständen voraus und vollzieht sich im Vermittlungsprozeß dieser Wissensbestände und den jeweiligen Bedingungen der pädagogischen Situation. Eine schlichte Ausweitung von Unterrichtspraxis im Studium oder der Ersatz wissen-schaftlichen Wissens durch Vollzugswissen sichert vermutlich kaum das für den obigen Vermittlungsprozess notwendige vertiefte Verständnis der zu lehrenden Sachverhalte. Andererseits ist die Vermittlungs-leistung an praktisches Tun gebunden.

4.
Erschwerend zu Punkt 3 kommt vor allem im gewerblichen Bereich ein problematisches Verhältnis von Fachwissenschaften und Erziehungswissenschaften hinzu, das insbesondere in einer unterentwickelten Fachdidaktik Ausdruck findet.


In der Einschätzung der herausragenden Bedeutung von Fachdidaktik im Studium für das Lehramt an beruflichen Schulen und ihrem dazu in Kontrast stehenden z. T. bescheidenen Erscheinungsbild besteht Konsens. In der Wirtschaftspädagogik ist der erreichte Stand ohne Zweifel positiver zu werten als im gewerblichen Bereich. Die Ursachen für diese Situation sind vielfältig. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier angeführt:

· die Vernachlässigung der domänenspezifischen Lehr-Lernforschung durch die Berufspädagogen, deren eigene Kompetenz bestenfalls auf einen gewerblichen Zweig beschränkt ist. Dies gilt vor allem für die Standorte, wo kein oder auch nur ein "technik-didaktischer" Lehrstuhl ausgewiesen ist, in der Lehre jedoch die Bedürfnisse verschiedener Domänen befriedigt werden müssen, was in Form notwendig abgehobener Generalisierungen geschieht. Die verbreitete Praxis, Fachdidaktik über Lehraufträge abzusichern, begünstigt zwar Bezüge zur Praxis, ist jedoch mit verantwortlich für die desolate Forschungspraxis.

· die geringe Anzahl von fachdidaktischen Lehrstühlen, die bewirkt, dass Nachwuchskräfte bei einschlägiger Spezialisierung nur geringe Chancen besitzen, einen der wenigen und immer wieder gefährdeten Lehrstühle zu erhalten.

· die begrenzte Bereitschaft und Möglichkeit von ingenieurwissenschaftlich qualifizierten Lehrstuhlinhabern das erziehungswissenschaftliche Feld zu erschließen.

· eine, aus welchen Gründen auch immer, weitgehend fehlende Kooperation zwischen Fachdidaktikern und Berufspädagogen.

· eine inhaltliche Distanz zwischen ingenieurwissenschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Aussagesystemen und die begrenzte Möglichkeit des Fachdidaktikers in beiden Feldern (+ der Unterrichtspraxis) Kompetenz aufzubauen und zu erhalten.

· eine weit verbreitete, mangelnde systematische Theorie-generierung und Prüfung in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik.

5.
Die Lehrkräfte an beruflichen Schulen werden, ausgehend von einer bereits durch Überforderungstendenzen gekennzeichneten Situation, mit weiter wachsenden und sich beständig wandelnden Anforderungen konfrontiert. Es stellt sich die Frage, ob der Anspruch an die Ausbildung auf all diese Anforderungssituationen vorzubereiten, überhaupt leistbar ist.


Die Anforderungen an Lehrende sind tendenziell unbegrenzt und müssen daher so ausbalanciert werden, dass einerseits die von außen herangetragenen Erwartungen angemessen berücksichtigt werden und anderseits die Lehrenden selbst dies realistischerweise auch leisten können. Diese wachsenden und sich beschleunigt wandelnden Anforderungen entstehen u. a. aus

- technologischen Entwicklungen,
- Innovationsdruck bei der Ausgestaltung von Unterrichts-konzeptionsformen, neuen curricularen Entwicklungen, der Zunahme von Integrations- und Erziehungsaufgaben und einer insgesamt veränderten Lehrerrolle,
- der Einforderung enger Praxisbezüge, die die erheblichen Wandlungen in der Facharbeit-, bzw. Angestelltentätigkeit berück-sichtigen müssen,
- einer eher zunehmenden Heterogenität der Adressaten in kognitiven Merkmalen, Alter und Sozialverhalten,
- neuen Aufgaben in der beruflichen Weiterbildung,
- und den immer notwendiger werdenden Organisationsentwick-lungsprozessen in den Schulen.

Angesichts dieser Entwicklungstendenzen und den daraus folgenden Anforderungen scheint das Gelingen der notwendigen Balanceakte der Lehrenden in hohem Maße gefährdet. Offen scheint, ob die bisherige Praxis, jede Lehrkraft so auszubilden, dass sie allseitig einsetzbar ist, angesichts der oben skizzierten Anforderungssituation tatsächlich zielführend ist. Die Vorstellung, in einer fünfjährigen universitären Ausbildung sei es möglich, zugleich befriedigende Kompetenzen in den wissenschaftlichen Bezugs-disziplinen der beruflichen Fachrichtung, dem zweiten Unterrichtsfach und den Fachdidaktiken, der Erziehungswissenschaft einschließlich sozialpäda-gogischer Akzentuierung, der Berufs- und Qualifikationsforschung und in Fragen der Organisationsentwicklung aufzubauen, geht zumindest dann, wenn dies auf einem Handlungsfähigkeit sichernden Niveau geschehen soll, an der Realität vorbei. Selbst wenn solch vielfältige und breite Themenfelder in stark systematisierten Lehrangeboten im Überblick zugänglich gemacht werden könnten, scheitert der Anspruch spätestens beim Versuch, in diesem Zeitraum die situative, reflektierte Umsetzung theoretischen Wissens im praktischen Feld in größerem Umfang zu erproben. Die Vernachlässigung einiger der vielfältigen Ansprüche ist daher vermutlich unvermeidbar. Für die Entscheidung, welche Ansprüche in der ersten Ausbildungsphase mit den geringsten negativen Folgen verletzt werden können oder positiv formuliert, welche Qualifikationsprofile auch mittel- bis langfristig für den Erwerb von Professionalität im obigen Sinne unverzichtbar sind, steht uns kein gesichertes Wissen zur Verfügung. Dringend notwendig scheinen vor diesem Hintergrund einschlägige Studien, in welchen der Frage nachgegangen wird, welche Effekte mit den verschiedenen Ausbildungsvarianten einhergehen.
Während Einsatzerwägungen an den Schulen und z. T. auch Attrakti-vitätsüberlegungen für die Beibehaltung von Zweifächerstudien sprechen, werden diese durch die oben beschriebenen vielfachen Anforderungen in Frage gestellt. Die in einigen Bundesländern praktizierten hochaffinen Fächerkombinationen (z. B, Fertigungstechnik als berufliche Fachrichtung und Fahrzeugtechnik als Unterrichtsfach) sind unter Qualifizierungs- und Polyvalenzüberlegungen vorteilhaft. Ob dadurch tatsächlich gravierende Einsatzprobleme im Schuldienst auftreten, ist nicht dokumentiert.

6.
Die Verbindlichkeiten der erziehungswissenschaftlichen bzw. der berufs- und wirt-schaftspädagogischen Lehrangebote ist vielerorts sowohl auf der curricularen Ebene (Kerncurriculum) als auch auf Veranstaltungsebene zu gering.

Die Debatte um ein Kerncurriculum in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik hat noch zu keinem Ergebnis geführt . Dort, wo sowohl in größerem Umfang Berufs- und Wirtschaftspädagogik als auch Fachdidaktik gelehrt wird, sind Abstimmungsprobleme und Überschneidungen eher die Regel. Da die Verbindlichkeit der Anforderungen und der Unterrichtsfächer in der Regel weit höher ist als in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, neigen ohnehin überlastete Studierende dazu, den Aufwand dafür zu minimieren.

7.
Die spezifisch ausgeprägten Kompetenzprofile der Lehrenden im Hochschulbereich und der zweiten Ausbildungsphase, sowie begrenzte Orientierungsleistungen der Wissenschaften für das Handlungsfeld von Lehrenden an beruflichen Schulen begünstigen unzureichende Ausbildungsergebnisse.

Der Wunsch, Lehrende an den Hochschulen sollten ihre Lehrangebote so ausrichten, dass das Bedürfnis ihrer Klientel nach Orientierung für die künftige Unterrichtspraxis weitgehend befriedigt wird, bricht sich auch an den tatsächlichen Kompetenzen des Hochschulpersonals und den unabhängig von der Einzelperson bestehenden begrenzten Orientierungspotentialen von Wissenschaft. Die damit verbundenen Probleme lassen sich möglicherweise mildern, jedoch nicht lösen und begegnen uns in der gegenwärtigen Debatte in verschiedenen Spielarten:

· in der Forderung nach Integration von wissenschaftlicher Theorie und Unterrichtspraxis, der auch deshalb nicht befriedigend nachgekommen wird, da Wissenschaftler nur begrenzte Kompetenzen im Bereich berufsschulischer Praxis besitzen bzw. aktuell halten können und Praktiker nur begrenzt in der Lage sind, den Überblick über den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu bewahren.

· in der Forderung nach interdisziplinär geschnittenen Berufs-feldwissenschaften als Grundlegung des Lehramtsstudiums für berufliche Schulen, die wegen des Fehlens der angedachten wissenschaftlichen Disziplin, der notwendigen Ressourcen und einschlägig qualifizierter Wissenschaftler kaum durchsetzbar ist.

· den Diskrepanzen zwischen gewünschten situations-spezifischen Orientierungsleistungen von Wissenschaft (z. B. Erziehungswissenschaft) und tatsächlich vorhandenem Wissen.

Da im Hochschulbereich in aller Regel auch auf fallbasierte "Transferstudien" verzichtet wird, in welchen beispielhaft herauszuarbeiten wäre, wie das wissenschaftliche Wissen für die Orientierung im praktischen Feld genutzt werden kann, ist auch das Lehrpersonal der zweiten Phase, dem ohnehin nur eng begrenzte Zeiträume zur Aktualisierung seines wissenschaftlichen Wis-sens bleiben, mit solchen Transferleistungen überfordert.


8.
Die gegenwärtig wieder einmal sichtbar werdenden Attraktivitätsprobleme der beruflichen Lehramtsstudiengänge, die durch problematische Einstellungspraktiken verschärft werden, stehen in engem Zusammenhang mit relevanten außerschulischen Teilarbeitsmärkten und werden durch spezifische Veränderungen der Berufschullehrerausbildung kaum beeinflusst.


Am Beispiel Baden-Württembergs bzw. von Baden läßt sich über einen Zeitraum von ca. 150 Jahren demonstrieren, dass durch die Variation der Ausbildung (institutionelle Anbindung, Abschluss) dass Rekrutierungsproblem nicht zu bewältigen ist. Die universitätsinterne Ausbil-dungsgestaltung hat keinen nennenswerten Einfluss auf die äußere Attraktivität (Studienwahl), macht sich jedoch bei der inneren Attraktivität (Abbruchneigung) bemerkbar.
Im gewerblichen Bereich ist die Studienentscheidung bei ca. 80 % der Studierenden mit einer Vorentscheidung für den Schuldienst verbunden, während bei der Wirtschaftspädagogik dieser Anteil wesentlich geringer ist.

9.
Mittelfristig ist nicht auszuschließen, dass vom europäischen Raum Einflüsse ausgehen, die bisherige, an spezifische Ausbildungsvarianten geknüpfte Zugangsbarrieren in den Lehrerberuf in Frage stellen.

Über die Freizügigkeitsregelung wird nach der Prognose von Juristen die bisher in Deutschland praktizierte Übernahmevoraussetzung (1. Staats-prüfung) zunächst für EU-Bürger außerhalb Deutschlands fallen und, wie bei ähnlicher Rechtslage in Österreich in anderen Segmenten geschehen, über den Gleichheitsgrundsatz auch für Inländer (Mirbach, BIBB).
Vor diesem Hintergrund scheint die oben angedachte Ausdifferenzierung der Ausbildungsvarianten nahezu unvermeidlich.
Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext auch die aktuelle Debatte um konsekutive Studienvarianten (BA/MA) im Lehramtsbereich. Sofern in zu den beruflichen Fachrichtungen oder auch Unterrichtsfächern korrespondierenden universitären Fachdisziplinen konsekutive Studienmodelle etabliert werden sollten, werden Anpassungsprozesse im Lehramtsbereich möglicherweise erzwungen. In einzelnen Bundesländern wird die Etablierung konsekutiver Studiengänge bereits gegenwärtig vorangetrieben. Sofern der BA als berufsqualifizierender Abschluss und nicht nur als neue Art der Zwischenprüfung ausgestaltet wird, stellen sich u. a. Fragen nach der cur-ricularen Gestaltung einschließlich der Einbindung des Zweitfaches. Als Problem und Barriere könnte sich die daraus folgende Tendenz zur Etablierung hierarchisierter Lehramtsstudiengänge mit der Segmentierung der Lehrbefähigung ergeben (z. B. Bachelor-Abschluss für den Unterricht nur im BVJ).



2. Konsensfähige und kontroverse Reformoptionen


Bei der Entwicklung und Bewertung von Reformoptionen sind zumindest drei Aspekte zu berücksichtigen:

· die Beiträge verschiedener Ausbildungsvarianten für den Kompetenzerwerb,

· das Interessengeflecht, in das die Lehrerbildung eingebunden ist, einschließlich Standort- und Statusfragen,

· die Praktibiltät unter gegebenen oder veränderten Bedingungen und eventuelle Nebenfolgen.

2.1 Konsensfähige Positionen

· Konsens besteht bei den Abnehmern und den an der Ausbildung Beteiligten in der Annahme, dass eine Ausweitung bzw. qualitative Optimierung fach-didaktischer Ausbildungsanteile in der ersten Phase zu einer Verbesserung der Ausbildung beitragen und dem damit verbundenen Anspruch gerecht werden kann, die Orientierungsleistung der wissenschaftlichen Ausbildung für die Unterrichtspraxis zu erhöhen. Prinzipiell bietet die Fachdidaktik die besten Möglichkeiten den Berufsbezug direkt zu sichern. Soweit die Fachdidaktik in den Studienplänen noch unzureichend ausgewiesen ist, sind ggf. unter Berücksichtigung der Standortbedingungen Umschichtungen zugunsten der Fachdidaktik vorzunehmen. Umsetzungsprobleme sind zu erwarten, sofern dafür zusätzliche Kosten anfallen sowie bei der Gewinnung kompetenter Lehrpersonen. Mit Widerständen ist auch bei eventuell notwendig werdenden Umschichtungen zu rechnen.

· Konsensfähig ist auch die Vorstellung, die Staatsexamensstudiengänge in universitäre Studiengänge umzugestalten, zumal es Beispiele für Diplom-abschlüsse inzwischen auch im gewerblichen Bereich gibt. Begünstigt wird diese Reformoption durch die Freizügigkeitsbestimmung innerhalb der EU und die weiter fortschreitende Einrichtung von BA/MA Studiengängen, wobei die letztgenannte Entwicklung eine neue Diskussion über die Verlagerung der berufspädagogischen Studiengänge an Fachhochschulen bewirken könnte.

· Konsens kann vermutlich auch darüber hergestellt werden, dass unter den jeweiligen Bedingungen die Forschungs- und Handlungsspielräume für eine Optimierung individueller Forschungs- und Lehrleistungen genutzt werden. Das darin schlummernde Optimierungspotential ist vermutlich größer als institutionell abgesicherte strukturelle Veränderungen.

· Weitgehenden Konsens unterstellen wir auch bei der Einführung stärker projektorientierter Studienelemente für künftige Berufs- und Wirtschafts-pädagogen, die die Möglichkeit geben, wissenschaftliche Theorie und pädagogische Praxisfelder fruchtbar in Beziehung zu setzen.

2.2 Kontroverse Positionen

Die in der aktuellen Debatte kontrovers diskutierten Positionen werden im Folgenden in Thesenform pointiert dargestellt und im Anschluss auf ihre Tragfähigkeit hin geprüft.

2.2.1 1. Kontroverse: Das Konzept der Berufsfeldwissenschaft als Leitidee der
Lehrerausbildung für berufliche Schulen


These:
Eine befriedigende Orientierungsleistung des wissenschaftlichen Studiums kann nur dann erreicht werden, wenn statt der bisherigen fachwissen-schaftlichen Verankerung Berufsfeldwissenschaften aufgebaut werden, deren primäre Erkenntnisinteressen auf die berufsfeldspezifischen Anforderungs-strukturen auf Facharbeiterniveau gerichtet ist und damit die Voraussetzung für eine direkte Kopplung von Facharbeiterpraxis, Unterrichtspraxis und universitärer Lehrerausbildung geschaffen wird.

Gegenthese:
Das Berufsfeldwissenschaftskonzept ist nicht viel mehr als ein grob konturiertes gedankliches Konstrukt und als solches für eine Reformoption nicht geeignet. Eine Erweiterung unseres Wissens über die Tätigkeiten und Qualifikationsforderungen an Facharbeiter ist zwar eine wichtige Aufgabe und Grundlage für die Lehrerausbildung und schulische Curricula. Die weit-reichende Absorption der Zeitkontingente und Vernachlässigung der wissen-schaftlichen Qualifikation in den zur beruflichen Fachrichtung korres-ponierenden Ingenieur- bzw. Wirtschaftswissenschaften würde jedoch zu einer mangelnden Fachkompetenz führen, die in späteren Ausbildungs-phasen kaum noch kompensiert werden kann.

Zur Tragfähigkeit der Aussagen:

In dem von Gerds, Heidegger und Rauner vorgelegten Reformentwurf werden ernst zu nehmende Defizitbereiche aufgegriffen, die allerdings in einem einseitigen Reformmodell münden, da sie im Kontext von individuellen Forschungspräferenzen und örtlichen Gegebenheiten entwickelt und Nebenfolgen nicht reflektiert wurden. Seine offensichtlichen Schwächen finden in vielfältigen Kritiken Ausdruck: sträfliche Vernachlässigung von "Fach-kompetenz", Reduzierung der Fachstudien wie z.B. Elektrotechnik auf 25 Semesterwochenstunden; implizite Infragestellung universitärer Ausbildung; fehlende Praktikabilität; Gefahr der Segmentierung der Lehrämter (einge-schränkte Lehrbefähigung) etc. Da von Seiten der Vertreter des Reformentwurfs diese Gegenargumente offiziell nicht aufgegriffen werden und statt dessen versucht wird, im politischen Raum das Konzept durchzusetzen, ist es bisher nur in bescheidenem Maße gelungen, eine von rationalen Abwägungen bestimmte konstruktive Debatte in Gang zu setzen. Konsens wäre möglicherweise eher zu erreichen, wenn durch das Rauner-Modell eine gründliche fachwissenschaftliche Fundierung nicht in Frage gestellt würde und die engere Relationierung von Facharbeiterpraxis, Unterrichtspraxis und Lehrerausbildung primär über Fach- oder auch Berufsfelddidaktik gesichert wäre, was LbS-spezifische Lehrangebote in den "Fachwissenschaften" nicht ausschließen würde. In jenen Feldern, in welchen keine zu den Unterrichts-feldern affine Fachwissenschaften existieren, könnte das "Berufsfeldkonzept" vermutlich zu Verbesserungen beitragen, wobei zu klären wäre, ob dafür die Schaffung je eigener "Berufsfeldwissenschaften" tatsächlich zu legitimieren ist. Für die Debatte wäre es vermutlich hilfreich, sich begrifflich zum Reformkonzept Gerds/Heidegger/Rauner und von seiner mit erheblichen Defiziten in der fachwissenschaftlichen Ausbildung verbundenen Einseitigkeit abzugrenzen, aber die teilweise richtig benannten Ausgangsprobleme aufzu-greifen und die LbS-Belange in den Fachwissenschaften stärker zu berück-sichtigen.

2.2.2 2. Kontroverse: Erhöhung von Praxisanteilen

These:
Die ernstzunehmende beständige Kritik an einer mangelnden Praxisrelevanz der universitären Lehre ist u. a. verursacht durch zu geringe Praxisanteile in der Ausbildung. Zu fordern ist deshalb eine Erhöhung unterrichtspraktischer Studienanteile und eine konsequentere Ausrichtung der theoretischen Lehrangebote am schulischen Verwendungskontext.

Gegenthese:
Die reine Erhöhung von Praxisanteilen ist ungeeignet für die Problemlösung, da sie in keiner Weise zu einer besseren Relationierung von Theorie und Praxis führt. Eine konsequentere Ausrichtung der universitären Lehre an schulischen Verwendungskontexten führt zur Beeinträchtigung der Polyvalenz und kann ggf. durch die jeweilige Schulpolitik des Landes instrumentalisiert und vereinseitigt werden.

Zur Tragfähigkeit der Aussagen:

Wie sich an der Rezeption erziehungswissenschaftlicher Theorien durch Praktiker zeigen lässt, führt eine reine Ausweitung praktischer Erfahrung nicht zu einer besseren Relationierung von wissenschaftlicher Theorie und unterrichtlicher Praxis. Neben den in den Anmerkungen zur Kontroverse 3 angedeuteten Möglichkeiten wäre vermutlich auch eine systematische Verknüpfung wissenschaftlicher Theorie und unterrichtlicher Praxis in den didaktischen Lehrveranstaltungen der ersten und zweiten Phase ein erfolgversprechenderer Weg. Dies könnte so geschehen, dass an exemplarischen Fällen systematisch das zur Verfügung stehende erziehungswissenschaftliche Begründungswissen aufgearbeitet wird. Die dabei deutlich werdenden Lücken (im Wissensstand der Disziplinen und der Dozenten) würden zugleich die Bedarfe für die Fort- und Weiterbildung sowie die Forschung aufzeigen. Im Hinblick auf die Polyvalenzforderung wäre die fallbasierte Verbindung von Theorie und modellhaften Entscheidungs-situationen nicht allein auf die berufliche Schule zu beschränken, sondern auf andere Bereiche wie betriebliche Bildung, sozialpädagogische Berufsbildung, interkulturelle Aspekte etc. auszuweiten.

2.2.3 3. Kontroverse: Ein- bzw. Zweiphasigkeit der Ausbildung

These:
Die bestehenden Defizite im Verhältnis von wissenschaftlicher Theorie und Unterrichtspraxis ist auch durch die strukturell angelegte Distanz zwischen erster Phase und der Unterrichtspraxis bedingt. Eine einphasige Ausbildung wäre ein geeignetes Mittel dieses Problem zu lösen.

Gegenthese:
Auch in einer einphasigen Ausbildung bleibt das Problem bestehen, dass die einzelnen Individuen in der Regel nicht fähig sind, sowohl in der Theorie als auch der Praxis zugleich dauerhaft kompetent zu sein. Damit geht die Gefahr eines strukturell verursachten Dilettantismus bzw. einer an Individual-interessen ausgerichteten Einseitigkeit einher (Theorie zu Lasten der Praxis oder umgekehrt). Außerdem besteht ein tendenzieller Widerspruch zwischen Einphasigkeit und Polyvalenz.

Zur Tragfähigkeit der Aussagen:

Die Erfahrungen in Oldenburg sind kaum geeignet eine einphasige Ausbildung zu begründen. Möglicherweise können Erfahrungen in anderen Ländern (z. B. der Schweiz) Orientierung geben. Wenn ernsthaft angestrebt wird, Professionalität im Sinne weitest möglicher Rationalität pädagogischer Entscheidungen einzulösen, dann ist eine stärkere Einbindung von Theoretikern in die Praxis und eine stärkere Einbindung der Praxis in die Theorie(entwicklung) unabdingbar. Die dabei in der Gegenthese angedeuteten Kompetenzprobleme lassen sich vermutlich nicht lösen, scheinen jedoch nicht so massiv, dass auch die gegenseitige Annäherung aussichtslos scheint. Wichtiger als die Entscheidung für die ein- oder zweiphasige Ausbildung ist die Frage, wie die gegenseitige Einbindung von Theorie und Praxis zu gewährleisten ist. Als Zwischenschritt, der vermutlich weniger polarisiert, wäre auch denkbar, Hochschullehrer in die Ausbildung der 2. Phase und Seminarpersonal in die universitäre Forschung einzubeziehen. Die derzeit praktizierte Einbeziehung von Seminarpersonal in die universitäre Lehre scheint weniger zielführend, da diese primär eine zeitliche Verlagerung von Lehrangeboten mit sich bringt, jedoch keine bessere Relationierung wissenschaftlicher Theorie und unterrichtlicher Praxis. Eher kontraproduktiv scheint der Einsatz von abgeordneten Lehrern mit hohen Stundendeputaten in der universitären Lehre, da auf diese Weise lediglich Alltagstheorien von Praktikern, jedoch kein wissenschaftliches Wissen vermittelt wird. Erst deren Einbindung in die Forschung dürfte die gewünschten Effekte nach sich ziehen.

Ein starkes Argument für die Zweiphasigkeit ist das der Polyvalenz. Eine Kürzung der 2. Phase zugunsten von Weiterbildungselementen in der Berufs-eingangsphase wäre angesichts der - produktive Verarbeitungs-prozesse behindernden und z. T. als entmündigend erlebten - Abhängigkeitsver-hältnisse während der 2. Phase evtl. vorteilhaft; entsprechende Modell-versuche, insbesondere zur möglichen Gestaltung einer solchen Berufsein-gangsphase und ihrer Wirkung könnten hier zu gesicherten Ergebnissen führen. Ein Zerschlagen von Strukturen in der 2. Phase ohne funktionsfähigen Ersatz in Aussicht stellen zu können, sollte jedoch vermieden werden; Gleiches gilt für nur Spareffekte verfolgende Maßnahmen wie eine Dreistufig-keit der Ausbildung mit einer Absenkung der Bezüge (Hamburg). Unabhängig davon ist der Qualitätssicherung und der institutionellen Absicherung der 3. Phase (Fort- und Weiterbildung) ein hoher Stellenwert einzuräumen.

2.2.4 4. Kontroverse: Konzentration der Standorte

These:
Eine Konzentration der Standorte könnte zur Qualitätssteigerung der Ausbildung beitragen. Letztlich ist eine Konzentration bei den gegebenen Studierendenzahlen Voraussetzung für ein bedarfsgerechtes Lehrangebot.

Gegenthese:
Die Konzentration der Standorte sichert keineswegs zwingend eine Qualitäts-steigerung und wirkt sich eher negativ auf die Studierendenzahlen aus.

Zur Tragfähigkeit der Aussagen:

Wenn wie gegenwärtig die Anfängerzahlen in wichtigen Fachrichtungen wie Elektrotechnik und Maschinenbau örtlich auf unter 10 sinken und davon maximal 2/3 verbleiben, geraten an den Universitäten spezielle Lehrangebote unter Legitimationszwang. Die Konzentration der Standorte scheint unter diesen Voraussetzungen ein geeignetes Mittel, um fachdidaktische Lehrangebote als Kernbestandteil einer qualitativ befriedigenden Ausbildung zu sichern.
Die Vermutung, bei der Studienwahl würden auch regionale Belange eine Rolle spielen und damit sei bei Schließung von Standorten mit weiterem Schwund der Bewerberzahlen zu rechnen, ist empirisch nicht gesichert; Hinweise auf solche Effekte liegen jedoch vor. Vergleicht man die beiden bevölkerungsreichsten Bundesländer hinsichtlich der Standortfrage, so zeigen sich eindeutige Vorteile der Konzentration im Hinblick auf die Studieren-denzahlen. D. h. zumindest landesspezifisch könnte eine Konzentration geeignet sein, strukturell günstigere Bedingungen für eine adressaten-spezifische Ausbildung zu schaffen. Eine Konzentration ohne einen damit verbundenen Ausbau der Fachdidaktiken wäre jedoch nachteilig. Dabei ist auch eine gewisse Breite des fachdidaktischen Angebots zu gewährleisten. Erst dann wäre die Fachdidaktik in wünschenswerter Weise voranzubringen und zu etablieren. Wichtig ist daher die Schaffung bzw. der Erhalt funktions-fähiger Einheiten.

2.2.5 5. Kontroverse: Kooperation zwischen den Ausbildungsphasen als dringlicher Reformschritt

These:
Eine verstärkte Kooperation zwischen den an der Lehrerausbildung beteiligten Instanzen ist nötig, möglich und einer Qualitätserhöhung dienlich.

Gegenthese:
Die Hoffnungen, die mit einer verstärkten Kooperation der 1., 2. und 3. Phase verbunden werden, werden an den gleichen Problemen scheitern wie im dualen System der beruflichen Ausbildung.

Zur Tragfähigkeit der Aussagen:

Die vorliegenden Befunde dokumentieren die weitgehende gegenseitige Abschottung der Ausbildungsphasen, mit all den damit verbundenen Folgen wie z. B. fehlenden inhaltlichen Abstimmungen und von Vorurteilen behafteten gegenseitigen Wahrnehmungen. Trotz der hier angeführten negativen Begleiterscheinungen einer schwach ausgeprägten Kooperation kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, eine Intensivierung sei geeignet eine höhere Ausbildungsqualität zu sichern. Die positiven Effekte einer intensivierten Kooperation dürften primär von deren Ausgestaltung abhängig sein und sind an deren Praktikabilität unter gegebenen oder herbeigeführten situativen Bedingungen gebunden. Vor allem begrenzte Zeitkontingente, die fehlende Notwendigkeit aus innerorganisatorischer Sicht und ein skeptisch eingeschätztes Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag wirken ver-mutlich auch längerfristig restringierend.
Andererseits sollte die Lösung des zentralen Problems einer besseren Relationierung von wissenschaftlicher Theorie und unterrichtlicher Praxis phasenübergreifend angegangen werden; die gegenseitige Befruchtung ist ein bedeutsamer Schritt in Richtung einer Qualitätssteigerung. Wie oben bereits angemerkt, ist dabei eine systematische Inbeziehungsetzung von generalisierenden Aussagen und situativer Konkretisierung notwendig. Aus der Lehr - Lernforschung wissen wir auch, dass unsere Fähigkeit in komplexen Situationen rational - d. h. unter Heranziehung des verfügbaren Wissens - zu handeln begrenzt ist, bzw. um so besser gelingt, je eher dabei auf eingeschliffene Handlungsroutinen zurückgegriffen werden kann. Am Beispiel: Lehrende, die mit Moderationstechniken wenig vertraut sind, benötigen für die Bewältigung von Moderationssituationen zu viele Kapazitäten für den technischen Ablauf, die andererseits bei unvorherge-sehenen inhaltlichen Problemen dringend notwendig wären. Ein solches Einschleifen setzt jedoch in weit größerem Umfang praktische Übung voraus, als dass dies in der Ausbildung geleistet werden kann. Auch hierin wird die Bedeutung der dritten Phase deutlich.

2.2.6 6. Kontroverse: Institutionelle Anbindung

These:
In den Universitäten ist es in über 30 Jahren nicht gelungen, die bereits bei der Übernahme der Gewerbelehrerausbildung erkennbaren Probleme zu lösen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich dies auch in den nächsten 20 Jahren nicht verändert, weshalb die Universitäten von diesen Aufgaben entbunden werden sollten.

Gegenthese:
Die Unterschiede zwischen den Universitäten bzw. den Bundesländern sind erheblich, so dass eine generelle negative Bewertung nicht haltbar ist. Zudem zeigen die Beispiele aus der Vergangenheit, dass mit Verlagerungen Problem-verschiebungen, jedoch keine befriedigenden Problemlösungen einhergehen.

Zur Tragfähigkeit der Aussagen:

Mangels geeigneter Studien sind wir nicht zu fundierten Aussagen darüber in der Lage, ob außeruniversitäre oder spezifische inneruniversitäre Ausbild-ungsvarianten im Hinblick auf den Kompetenzaufbau vorteilhaft sind. Ein zentrales Argument für eine universitäre Ausbildung ist der Hinweis, dass für Lehrende eine Auseinandersetzung mit den zu lehrenden Gegenstandsfel-dern, die auch die kritische Prüfung der Aussagesysteme einschließt, wünschenswert ist. Für universitäre Ausbildungsvarianten spricht auch, dass die curricularen Voraussetzungen an den Universitäten weitaus besser sind (alle Fächer sind vertreten) und der vermeintlich bessere Praxisbezug an den Fachhochschulen in aller Regel auf andere Praxen ausgerichtet ist, als auf jene von Lehrenden in der beruflichen Bildung.
Der zweite Aussageteil der Gegenthese - dass allein institutionelle Verlagerungen die Probleme nicht lösen - läßt sich belegen. Die universitäre Ausbildungsvariante scheint jedoch teilweise über Befunde angreifbar, wonach Lehrende in ihrer Praxis nur sehr begrenzt auf wissenschaftliches Wissen zurückgreifen. Besonders ausgeprägt scheint dies im Bereich der Erziehungswissenschaft; zur fachwissenschaftlichen Ausbildung in den beruflichen Fachrichtungen und den Unterrichtsfächern fallen die retroper-spektiven Urteile der Lehrkräfte zumindest in einzelnen Untersuchungen (Bachmann) überproportional gut aus.
Vor diesem Hintergrund sprechen für den universitären Standort insbe-sondere die notwendige Verbindung von Forschung und Lehre, die Interdis-ziplinarität, das an den Universitäten vorhandene breite Fächer-spektrum sowie die Forderung nach einer einheitlichen Ausbildung und Lehramtsbe-fähigung. Da zudem für FH-Ausbildungen keine Kompetenzvorteile belegbar sind und für deren Realisierung überwiegend vermeintliche Kostenvorteile ins Feld geführt werden können, ist die Zerschlagung der gegenwärtigen Struktur abzulehnen. Notwendig scheinen allerdings verstärkte Bemühungen, die mit universitären Ausbildungen einhergehenden höheren Potentiale auch einzulösen.



3. Reformvorschläge
Unter Berücksichtigung der beschriebenen Kontroversen im gegenwärtigen Diskurs über die Berufsschullehrerausbildung und der vorgefundenen Strukturen und örtlichen Gegebenheiten bringen wir die folgenden Reformvorschläge ein. Wir verbinden diese mit der Feststellung, dass ohne eine Behebung der chronischen Unterfinanzierung an den Hochschulen Reformanstrengungen vermutlich ergebnislos bleiben und diese durch die gegenwärtig übliche Kombination von Einsparungen und gleichzeitiger Ausweitung der Aufgaben verhindert werden. Gleichzeitig verbinden wir unsere Reformvorschläge aber auch mit dem Appell an die Lehrenden, die vor-handenen Handlungsspielräume in den Hochschulen verstärkt im positiven Sinne und in der Richtung der hier beschriebenen Reformvorschläge zu nutzen.

3.1 Struktur der Ausbildung

3.1.1. Das Studium sollte grundsätzlich mit dem Diplom abschließen; insofern ist die Forderung nach der Einführung von Diplomstudiengängen aufrecht zu erhalten. Bei eventuell anstehenden Umorganisationen der Studiengänge (Y-Modell, Bachelor/Magister) ist die Qualität der Ausbildung zumindest zu erhalten. Zugänge in das Lehramt auf der Basis von BA-Abschlüssen und die Hierarchisierung der Lehramtsbefähigungen (s. o.) sind für uns indiskutabel. Vor flächendeckenden Umgestaltungen sollten konsekutive Studiengänge z. B. im Rahmen von Modellversuchen erprobt werden. Die Durchlässigkeit zwischen BA und MA-Studiengängen ist zu gewährleisten. Auch konsekutive Studiengänge sollten durchgängig integrativ angelegt sein.

3.1.2. An der universitären Ausbildung ist festzuhalten, verbunden mit der Forderung an alle Akteure, die Orientierungsleistung und die Nutzung des wissenschaftlichen Wissens an den Universitäten zu erhöhen. Kooperationen zwischen Fachhochschulen und Universitäten, insbesondere auch im Hinblick auf die vorgesehene Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen sind denkbar, müssen aber eindeutig vom universitären Niveau ausgehen und die Zuständigkeitsverteilung entsprechend regeln. Um eine rationalere Entscheidung zu den anzustrebenden universitären Ausbildungsvarianten zu ermöglichen, sind Vergleichsstudien und Modellversuche durchzuführen.

3.1.3. Eine Konzentration der Standorte könnte überall dort vorteilhaft sein, wo die Zersplitterung auf engstem Raum ein hohes Maß angenommen hat (z. B. in Nordrhein-Westfalen). Generell wären Konzentrationsforderungen unter Berücksichtigung regionaler und überregionaler Versorgungslagen zu stellen. Abzulehnen ist - außer den grundsätzlichen Argumenten für den universitären Standort - insbesondere eine weitere Zersplitterung durch zusätzliche FH-Varianten, die qualitativ notwendig defizitär bleiben.

3.2 Ausbildungsphasen

3.2.1 Gegen eine einphasige Ausbildung spricht v. a. die wünschenswerte Polyvalenz, die nicht nur unter individueller Verwertungsperspektive, sondern auch im Blick auf den Qualifikationsbedarf in verschiedenen Praxisfeldern gesichert werden soll. Das impliziert eine möglichst weite Öffnung der Kombinationsmöglichkeiten bzw. des Fächerspektrums. Denkbar wäre eine Kürzung der zweiten Phase zugunsten einer Berufsein-gangsphase, in der die entmündigende Abhängigkeit des Vorbereitungsdienstes aufgelöst wird. Dazu schlagen wir Modellversuche vor. Gleichzeitig fordern wir im Hinblick auf eine Verbesserung der Ausbildung institutionelle Maßnahmen zur Qualitätsver-besserung und -sicherung in der dritten Phase (Lehrerfort-bildung).

3.2.2 Die Initiierung und Einbeziehung praxisbezogener Forschung in alle Phasen der Lehrerbildung scheint erfolgsversprechend und sinnvoll zu sein, da die Kooperation zwischen den Phasen beständig durch die begrenzten Zeitkontingente der Akteure gefährdet ist.
Statt einer einphasigen Ausbildung ist daher zunächst die Einbeziehung der Hochschullehrer und generell des wissenschaftlichen Personals in die seminaristische Ausbildung der 2. Phase und die Beteiligung des Seminarpersonals an (fachdidaktischer) Forschung anzustreben. Die dafür notwendigen dienstrechtlichen Vorausset-zungen sind zu schaffen. Der Einsatz von Praktikern in der universitären Lehre mit hohem Stundendeputat ist aus Qualitätsgründen abzulehnen.

3.2.3 Da wir nur wenig über differenzielle Effekte verschiedener Ausbildungs-varianten im Hinblick auf den Kompetenzaufbau wissen und Polyvalenz aus verschiedenen Gründen wünschenswert ist, scheint es angemessen aus der Not eine Tugend zu machen und verschieden profilierte Qualifikationsmuster zu fordern. Dies ist auch deshalb angemessen, da sich die Forderung nach allseitig kompetenten Lehrpersonen kaum realisieren lässt. Auch hier sind evaluierende Vergleichsstudien nötig.

3.3 Inhaltliche Gestaltung, Studienreform

3.3.1 Grundsätzlich ist ein Ausbau der Fachdidaktiken und eine Studienreform zu fordern, durch die eine systematische Relationierung wissenschaftlicher Theorie und unterrichtlicher Praxis ermöglicht wird. Zu denken ist hierbei u. a. an projektförmige Studien, in welchen wissenschaftliche Aussagesysteme systematisch mit konkreten Unterrichtssituationen konfrontiert werden.
Die dafür notwendigen zusätzlichen Ressourcen sind zu sichern.

3.3.2 Das Konzept der Berufsfeldwissenschaften im Sinne von Gerds, Heidegger und Rauner eignet sich nicht als Grundlage für Reformvorhaben. Die im Gutachten enthaltenen Anregungen zu einer systematischen Verflechtung von Facharbeiterpraxis, Unterrichtspraxis und wissenschaftlicher Theorie sind vielmehr als eine der Kernaufgaben der Fachdidaktik anzusehen. Dort, wo zu den Unterrichtsfächern affine wissenschaftliche Disziplinen existieren (z. B. Elektrotechnik, Informationstechnik, Maschinenbau, Bau-technik, Wirtschaftswissenschaften) ist eine fachwissenschaftliche Ausbildung auf hohem Niveau zu gewährleisten, was die Berücksichtigung der lehramts-spezifischen Bedarfe durch abrundende spezielle Lehrveranstaltungen keineswegs ausschließt. Dieser Bezug ist primär durch die reflektierte Auswahl fachwissenschaftlicher Lehrangebote zu sichern. Auf diese Weise kann auch am ehesten der Polyvalenzforderung entsprochen werden.
In den Fällen, in welchen es keine zu den Unterrichtsfächern affine wissen-schaftliche Disziplinen (Pflege-, Gesundheitsberufe) gibt, sollen die gegen-wärtig praktizierten Qualifizierungsmuster einer Evaluation unterzogen werden. In die Evaluation sollten auch - ggf. weiter ausgebaute - universitäre Ausbildungsvarianten einbezogen werden, die dem Grundgedanken der Berufsfeldwissenschaften nahekommen.

3.3.3 Statt einer Ausweitung von Praxis in der ersten Phase ist eine bessere Verzahnung wissenschaftlichen Wissens und unterrichtlicher Praxis zu fordern. Geeignet dazu scheinen in der Ausbildung u. a. exemplarische, ggf. projektförmig angelegte und unter Einbeziehung der praktischen Umsetzung realisierte Beispiele. Eine umfassende Handlungskompetenz kann in der Ausbildung nur im Sinne einer orientierunggebenden Norm wirksam werden. Sie ist vor allem in der Praxis zu entwickeln, wobei auf die in der Ausbildung vermittelten Grundlagen zurückgegriffen werden kann. Um eine weitest mögliche Rationalität unterrichtlicher Entscheidungen zu ermöglichen, ist auch in der 3. Phase (Fortbildung) eine Verzahnung unterrichtlicher Praxis und wissenschaftlicher Theorie anzustreben.

3.3.4 Um den notwendigen Bezug auf nicht-schulische (betriebliche und andere) Handlungs- und Praxisfelder herzustellen, ist an den jetzigen Regelungen über berufliche Praktika festzuhalten. Darüber hinaus sollte die Ausbildung selbst (Studium und 2. Phase) u. a. durch Projektstudien, Praktika, Kooperation zwischen Lehrenden und Betrieben etc. entsprechende Bezüge herstellen.

3.3.5 Um den oben skizzierten Problemen zu begegnen, die der Einlösung einer alle Anforderungen genügenden Ausbildung entgegenstehen, ist einerseits ein Kerncurriculum erforderlich und andererseits eine auch örtliche Möglichkeiten nutzende und an dem vielfältigen Bedarf ausgerichtete Profilbildung anzustreben. Die normative Leitidee der Ausbildung ist die Erhöhung der Rationalität pädagogischer bzw. pädagogisch relevanter Entscheidungen.

3.3.6 Die Studierenden sollen weitestgehende Optionsmöglichkeiten für die Wahl der Fächerkombinationen haben; grundsätzlich ist auch die Kombination zwischen berufsbezogenem und allgemeinbildendem Fach wünschenswert. Hochaffine Fächerkombinationen sollten, soweit noch nicht geschehen, als zusätzliche Option eingerichtet werden. Dafür spricht neben den eingangs angeführten schulbezogenen Argumenten auch ein hoher Bedarf an einschlägig qualifizierten Absolventen in außerschulischen Tätigkeitsfeldern.



Anmerkung

* Die hier vorgelegten Überlegungen wurden als Entwurf eines Positionspapiers der GEW zur Lehrerausbildung entwickelt und in einer GEW Arbeitsgruppe mehrfach diskutiert. Aus diesem Diskussionsprozess flossen vielfältige Anregungen ein, in die hier vorgelegte Fassung fanden auch kleinere Ergänzungen und Modifikationen von Ursula Herdt (GEW-Hauptvorstand) Eingang.

 

Verzeichnis
Vorbemerkungen

1. Ausgangslage

2. Konsensfähige und kontroverse Reformoptionen
2.1 Konsensfähige Positionen
2.2 Kontroverse Positionen
2.2.1 1. Kontroverse: Das Konzept der Berufsfeldwissenschaft als Leitidee der Lehrerausbildung für berufliche Schulen
2.2.2 2. Kontroverse: Erhöhung von Praxisanteilen
2.2.3 3. Kontroverse: Ein- bzw. Zweiphasigkeit der Ausbildung
2.2.4 4. Kontroverse: Konzentration der Standorte
2.2.5 5. Kontroverse: Kooperation zwischen den Ausbildungsphasen als dringlicher Reformschritt
2.2.6 6. Kontroverse: Institutionelle Anbindung

3. Reformvorschläge
3.1 Struktur der Ausbildung
3.2 Ausbildungsphasen
3.3 Inhaltliche Gestaltung, Studienreform

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