DIETER MÜNK (Universität Karlsruhe) |
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Berufspädagogik als technische Gebrauchsanweisung?
Ausgewählte empirische Ergebnisse einer Absolventenbefragung
der Universität Karlsruhe |
Die Wellen in der Debatte zur Gewerbelehrerbildung schlagen
(wieder einmal) hoch: Dramatische Zahlenreihen hat man in Stuttgart
und anderswo entdeckt, und seit etwa zwei Jahren jonglieren
die Ministerialen mit alarmierenden, ja geradezu ,aufrüttelnden'
Hiobsbotschaften: In einem Bereich, der wie kaum ein anderer
statistisch dokumentiert und daher für einigermaßen
verlässliche Entwicklungs- und Bedarfsprognosen geeignet
ist, erwächst quasi urplötzlich eine fehlende Bedarfsdeckung,
hat sich - gleich einer unausweichlichen Naturgewalt - eine
Schülerwelle aufgetürmt. Zugleich rollt - ebenso überraschend
wie unausweichlich - eine Pensionierungswelle großen Umfangs
auf das berufliche Schulwesen zu. Und zu alledem kommt hinzu,
dass die seit der Akademisierung der Gewerbelehrerausbildung
zuständigen Universitäten allenfalls ein Drittel der
jährlich erforderlichen Ersatzkapazitäten produzieren,
weil die Studierenden in attraktivere Beschäftigungsverhältnisse
der Wirtschaft streben.
Die Zahl der von den Kultusverwaltungen der Länder ausgegebenen
Losungen, Lösungen und sonstiger - formulieren wir vorsichtig
- kreativer Notausgänge, Seiten- und Quereinstiege wächst
beinahe täglich. Und die jenseits der Politik betroffenen
Akteure aus der Wissenschaft und aus den Verbänden der
Lehrerbildung sind zwischen den klugen Professionalisierungsdebatten
und der notwendigen Verwaltung des Mangels hektisch darum bemüht,
traditionelle Standards der Gewerbelehrerbildung, aber - auch
dies sei gesagt - natürlich ebenfalls ihre berufsständischen
Interessen zu wahren. Als sei dies noch nicht genug, stehen
nun auch die Fachhochschulen ante portas und drängen in
Münster, Mannheim, Ulm und anderswo - beflügelt durch
den bildungspolitischen Rückenwind einsetzender Hochschulreformen,
insbesondere aber legitimiert durch die formale Gleichstellung
von Master-Abschlüssen der Universitäten und der Fachhochschulen
- zunächst mit Modellprojekten ebenfalls in die Lehrerbildung
hinein - zumindest im gewerblich-technischen Bereich. Angesichts
der normativen Kraft des Faktischen, angesichts auch der Zwänge
staatlicher Beschulungsverpflichtungen sowie der statistisch
in beeindruckender Klarheit nachzuweisenden objektiven Mangelsituation
geraten dabei wichtige didaktisch-curriculare sowie konzeptionelle
Debatten um die Professionalisierung, um die Einheitlichkeit
der Lehrerbildung bzw. um die vertikale Differenzierung der
Lehrerbildung für das berufliche Schulwesen in einer Besorgnis
erregenden, wenn auch nachvollziehbaren Weise in den Hintergrund
der Aufmerksamkeit.
Es herrscht der technokratische Sachzwang; und in solcher Sachlage
sind curriculare, konzeptionelle oder gar professionspolitische Überlegungen - frei nach Mendel - eher rezessiv als dominant.
Dies ist, wie jeder, der die seit Jahrzehnten zyklisch auflebende
Debatte kennt, nichts neues. Zum Beleg ein sozusagen prophetisches
Zitat, welches 1982 die Situation des Jahres 2001 präzise
beschreibt:
"Neben den historisch gewachsenen Besonderheiten der verschiedenen
Ausbildungsgänge und den sich aus der fachwissenschaftlichen
Einbindung ergebenden Unterschieden sind es vor allem die von
der Kultusbürokratie in Reaktion auf tatsächliche,
vermeintliche oder prognostizierte Bedarfs- und Angebotslagen
auf dem Lehrerarbeitsmarkt getroffenen Entscheidungen, von denen
die inhaltliche und organisatorische Studienstruktur bestimmt
wird. Nicht Qualifikationsdefizite und pädagogische Überlegungen
zu ihrer Überwindung haben in der Vergangenheit staatliches
Handeln gelenkt, sondern vor allem politisch-ökonomische
Kalküle. Die legislativen und administrativen Maßnahmen
zur Veränderung von Studien- und Ausbildungsgängen,
Anrechnungen und Berechtigungen sind in erster Linie auf die
Beeinflussung der Marktsituation für Berufsschullehrer
gerichtet und werden ihrerseits von eben dieser Marktsituation
bestimmt" (GEORG 1982, 97).
Das eigentlich dramatische an diesen neuen alten Problemen der
Ausbildung von Gewerbelehrern im technisch-gewerblichen Bereich
entfaltet sich auch heute in erster Linie vor dem Hintergrund
bildungspolitischer Prioritäten: Technokratische Sachzwänge
bzw. bildungspolitische Verpflichtungen des Staates immunisieren
kurzfristig lancierte öffentliche Steuerungs- und Regulierungsmaßnahmen
gegen sachlich und konzeptionell begründete Einwände
aus Wissenschaft und Praxis, was schließlich dazu führt,
dass - zweifelsohne notwendige - Reformbestrebungen auf dem
Gebiet der universitären Ausbildung von Gewerbelehrern
von der Politik aus ordnungs- bzw. bildungspolitischen Überlegungen
heraus eingeleitet, umgesetzt und politisch legitimiert werden,
anstatt derartige Reformbestrebungen sachlich, d.h.: durch den
Bezug auf didaktisch-curriculare Argumente und - möglicherweise
- mit einer stärkeren berufswissenschaftlichen Orientierung
zu begründen.
Dies könnte nun das schnelle Ende eines wissenschaftlichen
Aufsatzes zum Problem der Ausbildung von Gewerbelehrern im Deutschland
an der Schwelle zum 21. Jahrhunderts sein. Jenseits elegischer
Abgesänge bzw. gar der obstinaten Ablehnung jeglicher Reformbestrebung
scheint es dennoch angebracht, das Problem der Reformierung
der Lehrerbildung aus der machtpolitisch eher schwachen Position
der Wissenschaft heraus zu beleuchten. Denn diese kann sich
zumindest zu Gute halten, mit Sachargumenten zu arbeiten - auch
wenn diese freischwebend jenseits des Prokrustesbetts politischer
,Sachzwänge', also sozusagen jenseits des Engels'schen
,Reiches der Notwendigkeit' auf der Suche nach dem ,Reich der
Freiheit' herumgeistern mögen.
Ein möglicher Ansatzpunkt für die reformorientierte
Problematisierung der Praxis der Gewerbelehrerbildung ist dabei
zweifelsohne die Analyse der Praxistauglichkeit eben dieser
Ausbildungspraxis - z.B. durch eine Befragung derjenigen, die
als Gewerbelehrer die vielfältigen Anforderungen der Praxis
des beruflichen Schulwesens kennen. Zu diesem Zweck hat der
Verfasser in den Jahren 1999 und 2000 eine Absolventenbefragung
des Instituts für Berufspädagogik der Universität
Karlsruhe durchgeführt, deren Fragestellung erstens durch
das Theorie-Praxis-Problem in der Lehrerbildung, zweitens von
Fragen der Curriculum-Konstruktion und -entwicklung und drittens
von studiengangtechnischen Überlegungen geprägt war.
Nur die ersten beiden Aspekte sollen nachfolgend erläutert
werden. (Vgl. die vollständige Dokumentation der Studie:
MÜNK 2001.) Zunächst allerdings sind einige Informationen
zur Datengrundlage sowie zur studiengangtechnischen Ausgangslage
am Ausbildungsstandort Karlsruhe erforderlich.
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1.
Empirisches Design und Stichprobenumfang |
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Die Zielgruppe der Untersuchung waren die
Absolventen der in Karlsruhe angebotenen Studiengänge
"Erstes Staatsexamen" und der seit 1992 ersatzweise
eingeführte Studiengang "Diplom-Gewerbelehrer".
Dies waren seit der Einführung des älteren Studienganges
Erstes Staatsexamen im WS 1977 und inklusive des 1992 eingerichteten
Studienganges Diplom-Gewerbelehrer bis zum WS 1998 insgesamt
417 Absolventen, wovon 229 über den älteren Abschluss
und 188 über den neueren Diplom-Abschluss verfügen.
(Bis zum WS 1999 hat sich laut der Statistik des Institutes
für Berufspädagogik die Gesamtzahl der Diplom-Absolventen
auf insgesamt 211 Absolventen erhöht.)
Aus unterschiedlichen Erwägungen heraus
wurden allerdings lediglich jene Absolventen befragt, die
zwischen WS 1984 und SS 1996 ihr Examen vollständig abgelegt
hatten. Diese Selektion reduziert die Zahl der Absolventen
von 417 auf 155 für beide Studiengänge (davon 52
für den älteren Studiengang "Erstes Staatsexamen"
103 für den neueren Abschluss "Diplom-Gewerbelehrer").
Da es bei der Untersuchung ganz wesentlich um die Einschätzung
der Praxistauglichkeit der universitären Ausbildung für
das berufliche Schulwesen ging, wurden nur jene Absolventen
befragt, die zum Erhebungszeitpunkt das Diplom seit mindestens
zwei Jahren abgeschlossen hatten. Daraus ergab sich als Stichjahr
für das Ende des Erhebungszeitraums das Jahr 1996, was
gewährleistete, dass weder Studierende noch Referendare
Fragebögen erhielten.
Die Ermittlung der Rücklaufquote ergab folgende Zahlen
(vgl. Tabelle 1): Von den 52 Absolventen des Studienganges
Erstes Staatsexamen (1984-1996) konnten 39 mit einem Rücklauf
von 17 Fragebögen (ca. 44% von allen) angeschrieben werden;
davon waren 15 Fragebögen (ca. 38%) verwertbar. Und von
den 103 Absolventen des Studienganges Diplom-Gewerbelehrer
(1992-1996) konnten 99 mit einem Rücklauf von 60 Fragebögen
(ca. 32% von allen Dipl-Gwl. Absolventen und 61% der kontaktierten)
angeschrieben werden; die Antworten der Diplom-Gewerbelehrer
waren ohne Ausnahme verwertbar. Von den 77 zurückgesendeten
Fragebögen konnten insgesamt 75 Exemplare berücksichtigt
werden.
Insgesamt gesehen bleibt also die Menge der ausgewerteten
Fragebögen (N=75) in Relation zu der Gesamtzahl der Absolventen
seit Eröffnung des ersten Studienganges im Jahre 1977
bis Ende 1996 (N=417) gering; bezogen auf den eigentlich interessierenden
Erhebungszeitraum und - mehr noch - bezogen auf die Teilgruppe
der Diplom-Gewerbelehrer, die in diesem Zeitraum ihr Examen
abgelegt haben, ist allerdings die Rücklaufquote mit
rund 56% weit höher, als dies in vergleichbaren Studien
üblicherweise erwartet wird.
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2.
Das Modell der Diplom-Gewerbelehrerausbildung in Karlsruhe und
die Struktur der Absolventen |
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Der Ausbildungsstandort Karlsruhe bietet den Abschluss "Diplom-Gewerbelehrer"
in einer grundständigen Variante (vgl. Abb. 1) sowie
als Aufbau-Studiengang für FH/TH/BA Absolventen an (vgl.
Abb. 2). Die Übersichten belegen, dass das Karlsruher
Modell aufgrund des hohen curricularen Anteils der ingenieurwissenschaftlichen
Ausbildung und des daraus resultierenden relativ geringen
fachdidaktischen und erziehungs-wissenschaftlichen Anteils
einen Abschluss anbietet, der sich in großer fachwissenschaftlicher
Nähe zum Diplom Abschluss der Ingenieur-wissenschaften
befindet, weshalb Lipsmeier, der für die Einführung
dieses Diplom-Abschlusses im Jahre 1992 verantwortlich zeichnet,
von einem "Ingenieur-Modell" spricht (LIPSMEIER
1992, vgl. ebenso NICKOLAUS 1996).
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Diese curriculare Schwerpunktsetzung auf die ingenieurwissenschaftliche
Kompetenz bildet in Baden-Württemberg - und damit ebenfalls
am zweiten Ausbildungsstandort Stuttgart - die vorherrschende
Struktur und ist insofern eine südwestdeutsche Antwort
auf das Theorie-Praxis-Problem in der Gewerbelehrerausbildung,
welche möglichst hohe Standards der Professionalisierung
anstrebt - dazu später mehr.
Bezogen auf den Untersuchungszeitraum sowie auf die erfasste
Grundgesamtheit verteilen sich die unterschiedlichen Modelle
innerhalb des Diplom-Studienganges in Karlsruhe wie folgt
(vgl. Abb.3):
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Die Zahlen spiegeln die quantitativ überragende Bedeutung
des FH-Modells und der weiteren Seiteneinsteiger nach BA-/TH-Modell
wider. Dies ist für den hier vorgestellten Teilausschnitt
der Untersuchung bedeutsam, weil gerade die FH-Studierenden
erfahrungsgemäß und aus naheliegenden Gründen
die starke ingenieurwissenschaftliche Orientierung des Studienganges
als praxisfern kritisieren. Mit diesem "Theorie-Praxis-Problem"
ist zugleich das zentrale curriculare Erkenntnisinteresse
der Karlsruher Absolventenbefragung angesprochen, deren Ergebnisse
sich - so viel sei schon vorab angedeutet - in wesentlichen
Punkten mit der Längsschnittstudie, die der Ausbildungsstandort
Stuttgart in den 90er Jahren mit den dort Studierenden angestrengt
hat, deckt (vgl. NICKOLAUS/ZIEGLER 1999).
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3. Das Theorie-Praxis-Problem
und das südwestdeutsche Modell der Gewerbelehrerausbildung |
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Die Frage nach dem Leitbild der Lehrerbildung mit dem Prinzip
der Wissenschaftsorientierung auf der einen und dem Prinzip
der Berufsorientierung auf der anderen Seite ist so alt wie
der Lehrerberuf selbst. Es ist die Frage danach, wie Resewitz
schon 1773 formulierte, ob der Lehrer ein "Studierter"
und ein "gemeiner Professionist" ist (RESEWITZ 1773,
84), oder ob er zugleich Fachmann und Pädagoge zu sein
hat. Dieser Zielkonflikt wurde schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts
von dem Karlsruher Ingenieurwissenschaftler Redtenbacher gesehen:
"Meine Bestrebungen als Lehrer richten sich nicht allein
auf die wissenschaftliche Theorie der Maschine, mir liegt die
Cultur des industriellen Publikums im Allgemeinen am Herzen"
(REDTENBACHER 1840/41, 33). Diese offensichtlich Jahrhunderte
alte Debatte um die "Verwissenschaftlichung" der Lehrerbildung
zielt auf den curricularen Kern der Lehrerbildung, nämlich
auf die Frage nach den Standards und nach den Zielen der beruflichen
Professionalisierung von Gewerbelehrern.
Die Bandbreite der Antworten reicht auch heute noch von einem
Ende des Extrems zum anderen: Erwähnt sei auf der einen
(sozusagen norddeutschen) Seite der maßgeblich von Rauner
entwickelte Ansatz der Berufsfeldwissenschaften (vgl. GERDS,
HEIDEGGER/ RAUNER 1998; kritisch dazu: MÜNK 2001, 81 ff.)
welcher die für die Gewerbelehrerbildung notwendigen ingenieurwissenschaftlichen
Anteile auf die Bedürfnisse von Schule und Betrieb bzw.
auch der Facharbeit zuschneidet, und auf der anderen (sozusagen
süddeutschen) Seite die weitgehende, einem "szientistischen
Ansatz" (MÜNK 2001, 35 ff., LEMPERT 2000, 258) verpflichtete
Übernahme des Leitbildes "Diplomingenieur". Zwar
sind sich die Vertreter des süddeutschen Modells der Vorteile
des hier favorisierten "Diplom-Ingenieur-Modells"
durchaus bewusst (nämlich die hohe Akzeptanz dieses Professionalisierungsprofils
durch die Wirtschaft sowie die relativ hohe Halbwertzeit der
erworbenen (ingenieur-)wissenschaftlichen Qualifikation, und
zwar insbesondere auch als Basis für die heutzutage unumgängliche
Weiterbildung (vgl. LIPSMEIER 2001). Aber auch die mit diesem
Ansatz verbundenen Probleme sind sowohl in der Universität
als auch anschließend auf der Seite der beruflichen Schulen
als Abnehmer der in dieser Weise qualifizierten Gewerbelehrer
nicht zu übersehen. Gerade das Wissen um die Probleme der
Orientierung an diesem szientistischen, den Ingenieurwissenschaften
verpflichteten Prinzip - nämlich die Dominanz der theoretischen
Grundlagenfächer Mathematik, Physik und Mechanik und die
Konzentration auf die Kerndisziplinen der Ingenieurwissenschaft
(z.B. Fertigungstechnik und Konstruktionswissenschaft; (vgl.
kritisch etwa JENEWEIN 1994) - war daher ein wesentliches Motiv
für die Absolventenanalyse, die auf Anregung des Institutsleiters
Antonius Lipsmeier entstand.
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4.
Die Ergebnisse im Lichte des Theorie-Praxis-Problems der Gewerbelehrerbildung |
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Gleichsam zur Einstimmung auf die Karlsruher Ergebnisse sei
eine Passage aus der bereits erwähnten Untersuchung des
ebenfalls dem Diplom-Ingenieur-Modell verpflichteten Stuttgarter
Studiengangs "Technikpädagogik" zitiert, die
sozusagen schon im Vorfeld belegt, dass die von den Absolventen
in Karlsruhe vorgebrachten Kritikpunkte auf Strukturprobleme
und weniger auf standortspezifische Mängel deuten:
"Bemängelt wird von den Studierenden z.T. die enge
Anlehnung der ,Gewerbelehrerstudiengänge' an die ingenieurwissenschaftlichen
Diplomstudiengänge und ein zu geringes Gewicht der Pädagogik.
Das klingt für den Erziehungswissenschaftler zunächst
erfreulich, doch zeigt die weitere Analyse der Daten, dass sich
die Studierenden überwiegend eine ,andere' Lehre wünschen,
die nach Meinung der Studierenden eher geeignet ist, die Handlungsfähigkeit
des zukünftigen Lehrers zu fördern" (SOMMER/NICKOLAUS
1995, 136).
4.1
Motive für die Aufnahme des Studienganges "Diplom-Gewerbelehrer" |
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Bereits die erste Auswertung (vgl. Abb. 4) zeigt ein
überraschendes Ergebnis, das sich in praktisch
allen untersuchten Einzelfragen wiederholt: Es gibt
in der Bewertung ganz offenbar nur sehr geringe und
jedenfalls keine signifikanten Unterschiede zwischen
den untersuchten Modellen und Varianten des Studienganges.
Die hier zunächst vorgestellte Frage nach den Motiven
zur Aufnahme des Studiums gibt - wenn auch möglicherweise
durch die Retrospektive verzerrte - Hinweise auf das
dominante Leitbild des Lehrerberufes.
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Aufschlussreich sind insbesondere die Extrempositionen
zu den einzelnen Motiven: Deutlich wird, dass - neben
dem technischen Interesse, welches für einen Gewerbelehrer
selbstverständlich sein dürfte, und neben
der im Vergleich zu den Arbeitsbedingungen von Diplom-Ingenieuren
attraktiveren Arbeitszeit-gestaltung - insbesondere
jene Charakteristika motivbildend sind, die dem Leitbild
des Pädagogen anhängen, dem Berufsbild des
Lehrers also, dessen Arbeitsmittelpunkt die Ausbildung
junger Menschen auf einem inhaltlich vielfältig
gefächerten Tätigkeitsbereich ist. Weniger
wichtig sind demgegenüber der akademische Titel
sowie - was angesichts der statistisch nachweisbaren
Abhängigkeit der Auf- und Abwärtsbewegungen
der Studierendenzahlen vom Arbeitsmarkt für Ingenieure
eher zweifelhaft scheint (vgl. RÜTZEL 1994, 47)
- der Arbeitsmarkt für Ingenieure bzw. die Enttäuschung
in der Wirtschaft. Zumindest zu Beginn des Studiums
war also offensichtlich das Ausbildungsziel der Mehrheit
der Absolventen der Lehrerberuf.
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4.2
Praxisrelevanz der in der Bildungsbiographie erworbenen
Qualifikationen |
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Der Studiengang Diplom-Gewerbelehrer erhebt mit seiner
curricularen Struktur, d.h. durch die Berücksichtigung
von zwei bzw. - sofern die allgemeine Technik- sowie
die Fachdidaktiken als eigenständige Bestandteile
gewertet werden - von drei unterschiedlichen Disziplinen
den Anspruch auf eine praxistaugliche Ausbildung. Die
Kritik an einer zu starken Orientierung am Prinzip der
Wissenschaftlichkeit - und zwar sowohl in dem erziehungs-
als auch in dem ingenieurwissenschaftlichen Teil der
Ausbildung - ist im Kern die Kritik an mangelhafter
Praxistauglichkeit für das Arbeitsfeld berufliches
Schulwesen. Interessant schien daher die Frage nach
der subjektiven Einschätzung der Quellen, aus denen
sich die Praxistauglichkeit speist, welche die Befragten
täglich im Vollzug ihrer Arbeitsaufgaben nachweisen
müssen (vgl. Abb. 5).
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Diese Selbsteinschätzung jedoch belegt sehr deutlich,
dass aus der Sicht der praktizierenden Gewerbelehrer
eher die Betriebspraxis, die bereits erfahrene Berufspraxis
als Gewerbelehrer, die berufliche Weiterbildung und
- mit Einschränkungen - das Referendariat diejenigen
Orte bzw. Phasen der absolvierten Bildungskarriere waren,
welche berufsvorbereitende und -qualifizierende Funktionen
hatten. Das universitäre Studium hingegen zeigt
in dieser Hinsicht die schlechtesten Werte. Anders herum
formuliert, bedeutet dies, dass die zum Befragungszeitpunkt
fast durchweg berufstätigen Lehrer in ihrer subjektiven
Einschätzung die Qualifikationen, die sie sich
in ihrem wissenschaftlichen (d.h. genauer: in ihrem
ingenieur- und erziehungs-wissenschaftlichen) Studium
angeeignet haben, ganz überwiegend als weniger
relevant einschätzten.
Die Befunde scheinen zunächst eindeutig und lassen
sich von Auswertung zu Auswertung erhärten: Das
Leit- und Selbstbild der Befragten ist ganz überwiegend
das eines Pädagogen, und von einem solchen wird
in erster Linie eine berufsorientierte Qualifizierung
erwartet, die didaktisch und curricular möglichst
passgenau und situationsorientiert auf das Handlungsfeld
berufliches Schulwesen vorbereitet. In besonderer Weise
interessant ist daher die inhaltliche, d.h. die Kritik
am Curriculum der universitären Ausbildung in den
beiden Teilbereichen Ingenieurwissenschaften und Erziehungswissenschaften
/ Berufspädagogik.
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4.3
Die Bewertung des ingenieurwissenschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen
Curriculums |
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Eines der - angesichts der Beratungserfahrungen insbesondere
von FH-Absolventen - überraschendsten Ergebnisse
war die Einschätzung der ingenieurwissenschaftlichen
Ausbildungsanteile, da gerade hier das Karlsruher ,Diplom-Ingenieur-Modell'
seine Spezifik besitzt: "Nur 33 Personen wollten
das Lehrangebot in der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung
verringern, 19 Personen wollten es mit ausdrücklichem
Bezug auf einzelne Vertiefungsgebiete bzw. Wahlpflichtfächer
erweitern bzw. vertiefen, und lediglich 11 Personen
befürworteten die Forderung, weitere gegenstandsbezogene
Inhalte zu ergänzen. Insgesamt ist also unter quantitativen
Aspekten festzuhalten, dass der Wunsch nach Änderungen
in diesem ingenieurwissenschaftlichen Teil des Studiums
erkennbar und deutlich geringer ist als in dem erziehungswissenschaftlichen
Teil. ... Der eigentlich erstaunliche Aspekt dieses
Ergebnisses ist jedoch, dass für den ingenieurwissenschaftlichen
Anteil der Ausbildung dessen szientistischer Charakter
gar nicht so sehr im Zentrum der Fundamentalkritik steht,
auch wenn in anderen Kontexten Details des Zuschnittes
des Studienganges (Höhere Mathematik III usw.)
hinreichend deutlich kritisiert werden. Aber diese Kritik
bleibt gleichsam systemimmanent, ohne dass die Forderung
nach einer grundlegenden Änderung der Ausbildung
formuliert würde." (MÜNK 2001, 185).
Hier kündigt sich an, dass das sich zunächst
so eindeutig herauskristallisierende Selbstbild des
Gewerbelehrers als Pädagoge eher ein Wunsch- als
ein Leitbild zu sein scheint: Die prinzipielle Akzeptanz
des curricularen Zuschnitts der ingenieurwissenschaftlichen
Ausbildung deutet darauf hin, dass hier eher ein Ingenieur
als ein Pädagoge wertet - ein Befund der möglicherweise
auch als Folge der universitären Sozialisation
gewertet werden kann.
Ganz anders dagegen das Bild bei den Änderungswünschen
für die erziehungswissenschaftliche Qualifizierung;
ein kurzer Blick auf die zusammenfassende Auswertung
(vgl. Abb. 6) ergibt ein sehr deutliches Urteil.
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Hier wird nicht die Wissenschaft eingeklagt, sondern
kritisiert; im Vordergrund der Wünsche steht die
situationsorientierte Handreichung für den Praxisvollzug.
Und zwar nicht nur durch "praxisorientierte Zusatzangebote
und Seminare", sondern auch durch die Pädagogische
Psychologie, die kaum als wissenschaftliche Disziplin
entbehrt werden dürfte, sondern als situationsorientierte
Hilfe für den Umgang mit Schülern. Die Vermutung
liegt nahe, dass ein quantitativer Ausbau der Pädagogischen
Psychologie als Wissenschaft kaum das sein dürfte,
wonach den Befragten der Sinn steht - die Ablehnung
eines theorie- und wissenschaftsorientierten Curriculums
in der Erziehungswissenschaft wird nicht zuletzt auch
durch den ausgeprägten Wunsch nach einem Mehr an
fachdidaktischen Angeboten deutlich. In diesem Kontext
präsentiert sich der ausgeprägte Wunsch nach
Fachdidaktik als die zentrale Anforderung an das erziehungswissenschaftliche
Studium - und zwar weniger aus fachwissenschaftlichen
Gründen, sondern weil von ihr offenbar erwartet
wird, dass sie ingenieurwissenschaftliche Theorie mit
unterrichtspraktischen und situationsorientierten Anforderungen
verklammert - eine Erwartung, die weit hinter dem Anspruch
der Fachdidaktik als Wissenschaft zurückbleibt.
Dieses ambivalente Bild wiederholt sich, wenn die Frage
der unmittelbaren Verwendungstauglichkeit der in der
Universität erworbenen Qualifikationen in Rede
steht.
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4.4
Brauchbarkeit des Studiums im ersten Berufsjahr |
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Abgesehen von der Gruppe der BA-Absolventen, deren Angaben
aufgrund zu niedriger Fallzahlen (3) keine verlässlichen
Aussagen erlauben, kann man grob zusammenfassen, dass
die in der Universität erworbenen spezifisch pädagogischen
Qualifikationen als unzureichend beurteilt wurden, während
die ingenieurwissenschaftlichen Anteile des Curriculums
mehrheitlich mit dem Prädikat "gut vorbereitet"
versehen wurden (vgl. Abb. 7).
Auch dies deutet auf eine Ablehnung der berufspädagogischen
Qualifizierung auf wissenschaftlichem Niveau bzw. auf
eine Reduktion der erziehungswissenschaftlichen Ausbildung
zu einem schlichten, situationsorientierten Vademecum,
wohingegen die gleichermaßen anspruchsvolle ingenieurwissenschaftliche
Qualifizierung als angemessen bewertet wird: Hier spricht
nicht der Pädagoge, sondern der Ingenieur, der
nach möglichst griffigen und schnellen ,Gebrauchsanweisungen'
für seine Schüler sucht.
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4.5
Änderungsvorschläge zur Gewerbelehrer-Ausbildung |
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Insofern passt zum Gesamtbild, dass sich die Wünsche
der Befragten genau an dieser Zielkonfiguration orientieren,
wenn Sie um Änderungsvorschläge gebeten werden
(vgl. Abb. 8).
Mehr Fachdidaktik, weniger erziehungswissenschaftlich-berufspädagogische
Theorie, längeres Schulpraktikum, Orientierung
der erziehungswissenschaftlichen Ausbildung am Beruf:
Fast scheint es so zu sein, als ob die mit der zweiten
Phase verbundenen Qualifizierungsziele ohne weitere
Reflektion in die erste, universitäre Ausbildungsphase
verlagert werden sollen - was dann auch den relativ
ausgeprägten Wunsch nach der Integration des Referendariats
in die erste Phase erklären würde. Es stellt
sich daher die Frage, an welchen Lernorten die Absolventen
ihrer Selbsteinschätzung nach die pädagogischen
bzw. ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen erworben
haben.
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4.6
Aneignungsorte der erziehungs- und ingenieurwissenschaftlichen
Kompetenzen |
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Um hierüber differenziert Aussagen zu erhalten,
wurde die ingenieurwissenschaftliche und pädagogische
Kompetenz jeweils in vier sachlogisch analoge Teilkompetenzen
unterteilt: Kompetenzen mit primär wissenschaftlich-theoretischer
Qualität; fachwissenschaftliche Spezialbereiche
mit erkennbarem situativem Bezug (Didaktik, Methodik,
spezifische Aspekte von Lehr-/Lernprozessen) bzw. berufskontextbezogenes
Wissen (Arbeitsfeld Schule/Betrieb), pädagogisches
bzw. ingenieurmäßiges Denken). Vergleicht
man die beiden Abbildungen 10 und 11, so wird deutlich,
dass alle erfragten Kompetenzen ganz überwiegend
an jenen Orten erworben wurden, die institutionell dafür
zuständig sind: Die pädagogischen Kompetenzen
wurden in erster Linie im Universitätsstudium und
im Referendariat erworben, - die erstaunlich geringe
Bedeutung des Schulpraktikums ist möglicherweise
ein Effekt der kurzen Dauer von vier Wochen - und die
ingenieur-wissenschaftlichen Kompetenzen wurden an der
Universität und/oder der FH erworben. Sowohl bezogen
auf die pädagogischen als auch auf die technischen
Qualifikationen scheinen also praktische Tätigkeiten,
eine Berufsausbildung, die Lehrerfortbildung und dergleichen
eine eher geringe Rolle zu spielen.
Bei näherer Betrachtung der Verteilungen erweist
sich zudem, dass theoretisch-wissenschaftliche Aspekte
in erster Linie im Studium und in zweiter Linie im Kontext
des Referendariats bzw. - im Falle der ingenieurwissen-schaftlichen
Kompetenzen - in der Universität bzw. der FH erworben
wurden.
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Diese Konzentration des Erwerbs der vier Teilqualifikationen
jeweils im pädagogischen oder ingenieurwissenschaftlichen
Bereich auf im Wesentlichen zwei unterschiedliche institutionelle
Ausbildungskontexte (Universität / Referendariat
bzw. Universität/FH) und die damit verbundene relative
Bedeutungslosigkeit anderer potentieller ,Lernorte'
gilt - cum grano salis - gleichermaßen für
die Aneignung der erziehungs- wie für die Aneignung
der ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen. Deutlich
wird zudem, dass offenbar die Informationen über
das ,Arbeitsfeld Schule' und die Schulung zu ,pädagogischem
Denken' relativ schwächer ausgeprägt ist und
dass diese geringere Ausprägung auch für die
ingenieurwissenschaftliche Vorbereitung auf das ,Arbeitsfeld
Betrieb' und (wenn auch in geringerem Umfang) für
die Ausformung ,ingenieurgemäßen Denkens'
gilt.
Dies wiederum relativiert die zuvor ermittelte Geringschätzung
der erziehungswissenschaftlichen Ausbildung: "Insbesondere
die beiden Schwerpunkte der theoretischen Ausbildung
für die Universität und der Ausformung des
schulorganisatorischen Wissens für das Referendariat
belegen hier eine funktionale Aufgabenteilung der beiden
Ausbildungsorte und -phasen, die letztlich auch in diesem
Sinne gewollt ist" (MÜNK 2001, 206). Jedenfalls
lässt sich vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse
kaum die sich zunächst abzeichnende Tendenz erhärten,
dass die Ausbildung - und zwar insbesondere die erziehungswissenschaftlich-pädagogische
- "einen derart praxisfernen Charakter besitzt,
dass sie völlig unerheblich für die nachfolgende
Berufstätigkeit ist. Wahrscheinlicher scheint vielmehr,
dass die im Fragebogen enthaltenen Aufforderungen zu
möglichst konkreter Kritik an der universitären
Ausbildung zu einer Isolierung der subjektiv erfahrenen
ersten Ausbildungsphase aus dem gesamten Ausbildungskontext
und ?verlauf führt, so dass die Kritik notwendig
einseitiger werden muss, als sie re vera und ex post
betrachtet zu sein scheint. Der Kern der Detailergebnisse
lässt sich jedenfalls in der Feststellung zusammenfassen,
dass die im biographischen Verlauf erworbenen pädagogischen
Kompetenzen ganz überwiegend entweder in der Universität
oder im Referendariat erworben wurden" (MÜNK
2001, 206).
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4.7
Brauchbarkeit von Kenntnissen und Fähigkeiten in
der Berufspraxis |
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Angesichts der offenbar stark ausgeprägten Kritik
der Praxisferne - bezogen auf die grundlagentheoretischen
Orientierungen der ingenieurwissen-schaftlichen, insbesondere
aber bezogen auf die szientistische Orientierung der
erziehungswissenschaftlichen Ausbildung - stellt sich
abschließend das Problem des Umfangs des Umsetzungspotenzials
dieser Kompetenzen und Qualifikationen im beruflichen
Kontext (vgl. Abb. 12). Denn die zuvor getroffene Feststellung
des Erwerbs erziehungs- bzw. ingenieurwissenschaftlicher
Fähigkeiten und Fertigkeiten im Ausbildungsverlauf
beantwortet nicht zwangsläufig die Frage nach der
Brauchbarkeit dieser Qualifikationen in der Ernstfallsituation.
Hier scheint offenbar eine differenziertere Betrachtung
notwendig.
Augenscheinlich verläuft eine klare Scheidelinie
der auf den differenten Niveaus eingesetzten Qualifikationen
in der Weise, dass oberhalb der Fachschulreife überwiegend
ingenieurwissenschaftliche Qualifikationen eingesetzt
werden müssen, während unterhalb dieses Niveaus
die pädagogisch-erziehungswissenschaftlichen Qualifikationen
eine erkennbar größere Bedeutung haben. Das
,Wissen um die theoretischen Grundlagen der Ingenieurwissenschaften'
zählt ebenso wie das ,ingenieurmäßige
Denken' zu den am häufigsten genannten Anwendungsprofilen
der Qualifikationsstruktur eines Gewerbelehrers. Allen
Forderungen nach größerer Praxisorientierung
zum Trotz scheint im Vergleich hierzu das - in der Universität
nicht oder durch das obligatorische Betriebspraktikum
nur defizitär vermittelte - konkrete Wissen um
die Arbeitsumgebung des Ingenieurs bzw. um die betriebliche
Arbeitsumgebung eine deutlich geringere Rolle zu spielen.
Ähnlich differenzierte Bewertungen ergibt auch
die Analyse der auf die Erziehungswissenschaft und auf
das pädagogische Denken bezogenen Variablen: Bei
einer - unter Praxisaspekten - insgesamt eher kritischen
Position gegenüber dem an der Universität
vermittelten erziehungswissenschaftlichen Curriculum
ist die Verfügbarkeit dieser Qualifikationen im
Unterricht an beruflichen Schulen unterhalb der Fachschulreife
augenscheinlich bedeutsamer als in Schularten mit fachwissenschaftlich
höherem Anspruchsniveau. Insoweit belegt die Auswertung
auch, dass sich die zum Teil heftig kritisierte Erziehungswissenschaft
im konkreten Anwendungskontext schließlich doch
nicht als ganz so überflüssig erweist, wie
dies einige der zuvor präsentierten Ergebnisse
hätten vermuten lassen: Immerhin markiert der erreichte
Durchschnittswert die Grenze und liegt keineswegs im
negativen Bereich.
Dominantes Selbstkonzept und Leitbild des Gewerbelehrers
ist - und zwar sowohl vor dem Hintergrund des Ausbildungs-
als auch vor dem des Tätigkeitsprofils - das des
primär ingenieurwissenschaftlich versierten Fachmannes
mit pädagogischen, jedoch weniger erziehungswissenschaftlichen
Ambitionen. Durchgängig scheint es so zu sein,
dass sich diese pädagogischen Ambitionen vor allem
aus der Erwartung speisen, durch eine situativ definierte
Pädagogik ein möglichst hohes Maß an
praktischer Handlungsorientierung zu erhalten. Die dieses
Strukturproblem legitimierende Argumentation der szientistischen
Erziehungswissenschaften, dass eine solchermaßen
situativ und praxisnahe definierte Ausbildung nur auf
der Grundlage eines soliden Gerüstes der theoretischen
Grundlagen realisiert werden könne, wird von den
Absolventen in Bezug auf die Ingenieurwissenschaften
offenbar weit eher akzeptiert als für den erziehungswissenschaftlichen
Teil der Ausbildung.
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5.
Der Gewerbelehrer als Anpassungsvirtuose? |
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Der Wunsch nach einer situationsorientierten Ausbildung ist
so alt wie das Theorie-Praxis-Problem selbst und durchzieht
schließlich auch die Forschung zur Curriculumentwicklung
und -konstruktion wie ein roter Faden. Der Spagat zwischen ingenieurwissenschaftlichen
Gegenständen des Berufes des Gewerbelehrers und die Notwendigkeit
ihrer Vermittlung in einem pädagogischen Kontext bleibt
ein Problem, das zumindest unterschwellig stets präsent
ist - übrigens auch im Weiterbildungsverhalten der Lehrer,
die erheblich verstärkte pädagogische Schwerpunkte
einfordern, aber in ihrem tatsächlichen Weiterbildungsverhalten
mit erstaunlicher Ausschließlichkeit technisch-ingenieurwissenschaftliche
Schwerpunktbildungen betreiben (vgl. MÜNK 2001, 165 ff.):
Mehr Pädagogik scheint in der Bewertung der Absolventen
nicht der Wunsch nach mehr Erziehungswissenschaft, sondern der
Ruf nach einem Mehr an situationsorientierten ,pädagogischen
Gehhilfen' zu sein. Aber abgesehen davon, dass eine solche Zielsetzung
nicht den Ausbildungsansprüchen einer wissenschaftlichen
Universität entspricht, kann die Lösung des Theorie-Praxis-Problems
eigentlich nicht darin bestehen, die ,Pädagogik' auf die
Funktion einer technischen Gebrauchsanleitung zu reduzieren
und sie damit ihres Reflektionspotenzials als Basis für
die Herausbildung kritischer Handlungsorientierungen im Kontext
von Lehr-/Lernprozessen zu berauben.
Die in dieser Kritik zu Tage tretenden Defizite rekurrieren
in der einen oder anderen Weise allesamt auf das Problem des
Ausmaßes der Praxisanbindung. Auch wenn dies - erstaunlicherweise
- keineswegs zu beruflicher Unzufriedenheit führt, sondern
der Beruf von 40% mit "sehr großer Zufriedenheit"
und von weiteren 52% mit "Zufriedenheit" ausgeübt
und erlebt wird (nur 1,3% bzw. 2,7% bzw. 2,7% gaben hier "unzufrieden"
oder "sehr unzufrieden" bzw. "weiß nicht"
an; vgl. MÜNK 2001, 224), so scheint eine Ursachenforschung
angesichts der hier dokumentierten Ergebnisse notwendig.
Ein wesentliches Problem der Ausbildung zum Gewerbelehrer scheint
der Beruf des Gewerbelehrers selbst zu sein bzw. - genauer gesagt
- in dessen vielfältigem Anforderungsprofil zu bestehen.
Die hieraus resultierenden Zwänge drängen den Gewerbelehrer
nolens volens in die Rolle eines "Anpassungsvirtuosen"
(vgl. FÜRSTENBERG 1970) mit vielfältigen und zum Teil
widersprüchlichen Berufsaufgaben, die zu erfüllen
sind: Hierzu zählen nicht nur die weitgehend individualisierten
Anpassungsprozesse im ingenieurwissenschaftlichen Bereich der
Qualifikationen und Kompetenzen, die durch permanente berufliche
Weiterbildung zu leisten ist; ferner die hochgradig individualisierten
Anpassungsleistungen im Hinblick auf pädagogische Kompetenzen,
die einerseits durch die Vielfalt des beruflichen Schulwesens
auf sehr unterschiedlichen Niveaus und Anspruchsebenen abrufbar
sein, die andererseits aber auch - auf längere Zeiträume
hin betrachtet - flexibel auf Tendenzen des sozialen Wandels
reagieren müssen. Dabei wirkt erschwerend, dass berufliche
Fortbildungen in diesem pädagogischen Bereich offenbar
in nur sehr geringem Umfang stattfinden, so dass hier die erforderlichen
Anpassungsprozesse einerseits praktisch vollständig individualisiert
bewältigt werden müssen, aber andererseits durch die
Beanspruchungen des individuellen Zeitbudgets für Berufstätigkeit
und Fortbildungsmaßnahmen in der beruflichen Fachrichtung
kaum realistische Chancen für die Realisation dieses Fortbildungsbedarfs
bestehen.
Hinzu kommen Anpassungsprozesse hinsichtlich der autonom zu
gestaltenden Arbeitszeit, da die allerorten wesentlich zu dünne
Personaldecke zu Umstellungen, Mehrarbeit, Unterrichtsvertretungen
und dergleichen führt. Dies scheint insofern eine gewichtige
Belastung, als gerade die Gestaltungsfreiheit bezüglich
der Arbeitszeiten einen wesentlichen Aspekt der Studienmotivation
der Absolventen ausmachte. In der aktuell zu beobachtenden Realität
des beruflichen Schulwesens ist diese Zeitautonomie jedoch aufgrund
der genannten Zwänge der vorherrschenden Ökonomie
der Knappheit de facto drastisch zugunsten des offenbar weithin
vorherrschenden Prinzips des ,Management by stress' reduziert.
Permanente Anpassungsprozesse schließlich sind auch hinsichtlich
des wichtigsten im Kontext der vorliegenden Analyse thematisierten
Zielkonfliktes erforderlich: Die Passungsprobleme zwischen den
im Verlauf der Ausbildung erworbenen Qualifikationen und den
in der konkreten, beruflich definierten Situation erforderlichen
Qualifikations- und Kompetenzanforderungen des Unterrichtes
an beruflichen Schulen bedeuten nämlich letztlich nichts
anderes, als dass die hier als Monita vorgestellten Defizite
der Ausbildung mit Hilfe weitgehend individualisierter Strategien
des Ausgleichs abgefedert werden müssen. Und war - bei
weitem nicht nur aus der Warte des Besoldungsrechtes - bei objektiv
mangelhaften Arbeitsbedingungen und einem subjektiven Belastungsempfinden
der Betroffenen, das jenseits der Schmerzgrenze liegt (vgl.
hierzu ebenfalls BACHMANN 1999).
Andererseits werden diese permanent erforderlichen Anpassungsleistungen
an unterschiedlichste Anforderungen der Berufswirklichkeit von
den Lehrern offenbar mehrheitlich bewältigt. Die Notwendigkeit
dieser Anpassungsleistungen wird dabei zwar keineswegs als positiver
Bestandteil der Berufswirklichkeit erfahren, sondern vielfach
als Indikator für eine quantitativ wie qualitativ herausragenden
Berufsleistung umdefiniert. Oder sie wird - und dies scheint
die vorherrschende Reaktion zu sein - ursächlich und einseitig
einer verfehlten Ausbildung überantwortet.
Dass im Kontext der absolvierten Ausbildung offenbar trotz allem
- oder in einer durch vielfältige unterschiedliche und
zum Teil sogar gegensätzliche Ansprüche geprägten
beruflichen Situation vielleicht auch: gerade deshalb - das
Ziel der Vermittlung beruflicher Handlungskompetenz mit Erfolg
eingelöst werden kann, wird dabei offenbar von den Absolventen
gar nicht mehr gesehen. Schließlich sind es insbesondere
,Schlüsselqualifikationen' wie etwa die Befähigung
zu selbstgesteuerter und individualisierter Weiterbildung, die
Befähigung zu fachlicher wie sozialer Flexibilität,
sowie die Fähigkeit, sich technischen Sachverhalte und
sozialen Problemsituationen mit wissenschaftlicher Fundierung
und theoretisch geschulter, professioneller Distanz anzunähern,
welche die curricularen Zielbestimmungen einer wissenschaftlich
begründeten Ausbildung von der Vermittlung schlichter Praxeologien
unterscheidet.
Die hier in Ausschnitten präsentierten Ergebnisse belegen
deutlich den Reformbedarf einer Ausbildung, die hohen Standards
der beruflichen Professionalisierung genügen will. Aber
in einem in dieser Weise verstandenen professionalisierten Ausbildungsgang
kann es nicht in erster Linie um die Vermittlung von Gebrauchsanweisungen
gehen, sondern viel eher darum, "die Verklammerung zwischen
ingenieur- bzw. erziehungswissenschaftlichen Ansätzen und
ihrem konkreten Einsatz in der unterrichtlichen Praxis zu kommunizieren"
(MÜNK 2001, 233). Hierfür bestehen bereits erste Ansätze,
wie etwa die Debatte um die stärkere Integration von erster
und zweiter Phase sowie die in letzter Zeit zunehmend diskutierte
stärkere Berücksichtigung der Bedeutung der beruflichen
Weiterbildung als dritter gleichberechtigter Phase der ,Berufsausbildung'
zum Gewerbelehrer. Ein kategorisches entweder-oder zwischen
hehren und professionspolitisch sicher ehrenwerten wissenschaftlichen
Ansprüchen auf der einen und der Reduktion der Ausbildung
auf ein schlichtes Vademecum auf der anderen Seite wäre
dem Grad der Komplexität des Problemfalls "Gewerbelehrerbildung"
dagegen sicher unangemessen.
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Literatur |
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Belastung im Beruf bei Lehrerinnen und Lehrern an berufsbildenden
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im Spannungsfeld von Wissenschaft und Beruf. Bochum, 129-141.
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Veröffentlicht mit freundlicher
Genehmigung von Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Sommer (Universität
Stuttgart) und dem Schneider-Verlag (Baltmannsweiler). Dieser
Aufsatz wird auch in der folgenden Publikation erscheinen:
Münk, Dieter: Berufspädagogik
als technische Gebrauchsanweisung?
Ausgewählte empirische Ergebnisse einer Absolventenbefragung
der
Universität Karlsruhe. In: Karl-Heinz Sommer (Hrsg.):
Stuttgarter Beiträge zur Berufs- und Wirtschaftspädagogik
2000 (erschienen als Band 3 der von Bernhard Bonz und Heinrich
Schanz herausgegebenen Reihe "Diskussion Berufsbildung".
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, erscheint im
Frühjahr 2002
Die Web-Adresse
des Verlages lautet: http://www.paedagogik.de
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