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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Das Lernbüro - Zur Theorie im historischen Kontext und Entwicklung in 25-jähriger Praxis


 

 

 

Zur Begrenzung unerfüllbarer Erwartungen wird vorab betont, dass es in einem kurzen Zeitschriftenbeitrag nicht möglich ist, einen vollständigen Überblick über Erfahrungen aus der Lernbüroarbeit (Das Wort Lernbüro ist derzeit im Internet auf über 31 000 Seiten zu finden!) in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland zu geben , oder eine Geschichte des Lernbüros zu schreiben. Vielmehr ist es mir, der diese „Idee“ Anfang der 1980er Jahre mit angestoßen hat, nur möglich, eine kurze historische Einordnung und theoretische Begründung zu geben und anhand praktischer Erfahrungen beispielhaft Auswirkungen aufzuzeigen. Hinweise zur Ausstattung von Lernbüros werden nicht gegeben, weil sie nur im jeweiligen Entwicklungsstand der Kommunikations- und Informationstechnologien zu verstehen und in späteren Jahren nicht mehr zeitgemäß sind.

1. Vom Übungskontor zum Lernbüro

1.1 Das Lernbüro im historischen Kontext

Schlieper (1956) unterscheidet zwischen Lehr(werk)stätten im gewerblichen Berufserziehungswesen und Übungsstätten an Berufs vor schulen für kaufmännische Berufe. Letztere dienen einer „ Konzentration der verschiedenen Unterrichtsfächer, um zu einem geschlossenen beruflichen Können zu führen.“ Sie „dienen vor allem der Sicherung des Lernerfolges , speziell innerhalb der Übenden Anwendung ; sie dienen nicht der Einübung motorischer Funktionen“ (190).

Unter Rückgriff auf die Geschichte des Übungskontors hebt Schlieper hervor, dass bereits 1504 Luca Pacioli die Forderung aufgestellt hat, zur Ausbildung von Buchhaltern einen Konzentrationspunkt in den Buchhaltungsübungen aufgrund von Handelsbriefen oder -kopien zu schaffen. 1610 hat der Danziger Rechenmeister Lerice Geschäftsbriefe an einen erdachten Kaufmann als Grundlage für das Erlernen der Buchführung genommen ( Hopf 1971, 26 f.). 1701 hat Marperger diese Forderung bekräftigt: „Ein Informator des Buchhaltens wird viel ausrichten, wenn er die Handelsskripturen mit der Kunst des Buchhaltens verbindet und aus seiner Informationsstube gleichsam ein lebendiges Kaufmanns-Kontor macht“ (zitiert nach Schlieper 1956, 191). Dies wurde in Deutschland und in der Schweiz praktiziert. Auch bei den Handelsakademien gab es Ende des 18. Jahrhunderts solche Übenden Anwendungen.

Im 19. Jahrhundert erhielten diese Übungsstätten im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung „Musterkontore“ oder „Handelskontore“ als fingierte Betriebe eines Handelshauses (Stöltenfuß 1983).

In den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte sich in den Lehrplänen der kaufmännischen Schulen der Übungskontorgedanke immer mehr durch. Der Unterricht in Bürowirtschaft (!) war damals in vorbereitende und in zusammenfassende Kontorübungen gegliedert. Zunächst stand die Vermittlung der Kenntnis der Bürohilfsmittel zur Erzielung eines reibungslosen Arbeitsablaufs im Vordergrund, danach erfolgte eine Vertiefung der wirtschaftlich-technischen Ausbildung, um das Verständnis für den Betriebsablauf zu wecken (vgl. Handelshochschule o. J., 77 f.).

Zusammenfassend kann mit Schlieper festgestellt werden, dass bei der Idee des Übungskontors immer zwei didaktische Gedanken bestimmend waren: die Konzentrationsidee und die Absicht der Übenden Anwendung, was die Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg bestätigt. Allerdings wird im Wörterbuch der Berufs- und Wirtschaftspädagogik (1973) das Übungskontor gekennzeichnet als „eine besondere Einrichtung des kaufmännischen Ausbildungswesens, in der der administrative Teil des Produktionsprozesses anhand fiktiver Geschäftsvorfälle und fingierter Aufträge praxisnah und ganzheitlich zu Lehr- und Übungszwecken nachvollzogen wird.“

In der DDR wurden zur Anwendung der „Methodischen Leitsätze für den ökonomischen Fachunterricht“ bei der Ausbildung des Wirtschaftskaufmanns Unterrichtskabinette gestaltet, „die den Lernenden eine Lern- und Arbeitsatmosphäre sichert, in der sie sich unter der Führung des Lehrenden selbständig und schöpferisch mit dem Lehrstoff auseinandersetzen, die bereitgestellten Arbeitsmittel sinnvoll für die Bewältigung der Unterrichtsaufgaben nutzen und sich ein solides berufliches Wissen und Können aneignen“ ( Schink/ Squarra 1982, 151). Der hier bereits vollzogene Paradigmenwechsel ist erkennbar!

1.2 Der Paradigmenwechsel zum Lernbüro

Ab den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden in der Erziehungswissenschaft generell und speziell in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik insbesondere auf der Grundlage moderner Handlungstheorien, der kognitiven Lernpsychologie und einer subjektwissenschaftlichen Lerntheorie didaktische Konzepte entwickelt, die (später) unter dem Begriff „Handlungsorientierter Unterricht“ (vgl. z. B. Gudjons 1997) oder „Handlungsorientierung in der beruflichen Bildung“ (vgl. z. B. Pätzold 1992) gebündelt wurden.

Beim handlungstheoretischen Ansatz der Didaktik wird die Tätigkeit zur zentralen didaktischen Kategorie. Denn in der Tätigkeit des Menschen äußert und entwickelt sich dessen Persönlichkeit; durch die Tätigkeit reguliert der Mensch das interdependente Beziehungssystem Mensch-Umwelt und entwickelt seine Handlungsfähigkeit. Die Tätigkeit hat somit eine persönlichkeitswirksame, eine regulative und eine lernwirksame Funktion. Bei diesem wechselseitigen Prozess der Auseinandersetzung mit der Umwelt (Menschen, Gegenständen) qualifiziert sich der Mensch in Handlungssituationen ( Halfpap , 1983, 1996, 2006).

Durch diese äußerst „gestraffte“ Skizzierung soll vor allem das handlungstheoretische Verständnis von „Tätigkeit“ (umgangssprachlich mit „Handeln“ gleichgesetzt) deutlich werden, nach dem keine Reduktion auf nur manuelle Tätigkeiten erfolgt; denn selbst „automatisierte“ Tätigkeiten werden (unbewusst) vom Gehirn gesteuert und mussten vor diesem „Beherrschungsgrad“ erst einmal bewusst gelernt werden. Anders gewendet: Tätigkeiten beziehen sich sowohl auf die psychomotorische Ebene als auch auf die gedanklich-abstrakte, geistige Ebene. Insofern wird durch Tun (auch theoretisch-reflektierend) gelernt und nicht (nur) vorher Gelerntes übend angewandt.

Dieser lerntheoretische Paradigmenwechsel musste sich auch im Begriff für das Lernumfeld niederschlagen. Daher: nicht mehr Übungskontor, sondern Lernbüro ( Halfpap 1983, 73). Dadurch soll die Bedeutung des Lernens durch Vollzug von kaufmännischen Tätigkeiten unterstrichen werden. Durch die Skizzierung der historischen Entwicklung des Übungskontors und dem jetzt veränderten Verständnis der Bedeutung der Tätigkeit für den Lernprozess sollte zusätzlich der „Quantensprung“ in der Theorie der Didaktik unterstrichen werden, wenn auch für viele im Bereich der Schule „diese Forderung zu radikal“ war, weil sie keinen festen Lehrplan erlaubte ( Grotlüschen 2005, 17). Der Begriff Lernbüro wurde von mir (erstmals 1982 in einem Studienbrief der Fernuniversität-Gesamthochschule Hagen) vorgeschlagen. Er sollte auch den Bezug zum Schüler unterstreichen; daher nicht „Lehrbüro“. Assoziationen zur „Simulation“ sollten vermieden werden; daher nicht „Simulationsbüro“. Denn im umgangssprachlichen Sinn bedeutet Simulation Nachahmen, Spielen, ja Vortäuschen. Im Lernbüro soll jedoch gearbeitet werden; nicht: „so tun, als ob“.

2. Die erste Praxis in einem Modellversuch – ein Beispiel

Anfang der 1980er Jahre wurde an einigen Schulen des Regierungsbezirks Münster (Nordrhein-Westfalen) in Lehrerkonferenzen und Besprechungen mit Schulleitern erörtert, wie Schule sich den veränderten Qualifikationsanforderungen an kaufmännische Mitarbeiter in der Wirtschaft und der wissenschaftlichen Entwicklung in der Berufspädagogik anpassen kann. Strukturell wurde durch das Land der Rahmen dadurch geschaffen, dass für eine berufliche Grundbildung in der zweijährigen Höheren Handelsschule für Schüler mit Fachoberschulreife das Bildungsangebot um einen stärker berufspraktisch bezogenen Zweig erweitert wurde. Es wurde das Fach „Bürowirtschaft“ eingeführt, das ein Lernbüro als Voraussetzung erforderte und mit den Fachräumen für Wirtschaftsinformatik und Textverarbeitung das „Bürowirtschaftliche Zentrum“ bildete.

In diesem Kontext wurde „vor Ort“ l983 ein Modellversuch vorbereitet – also nicht „verordnet“ – und wegen der beginnenden großen Ausbildungsplatznot in der Region auf die Berufsausbildung zu Bürokaufleuten/Bürogehilfen ausgeweitet. Nach diesem didaktischen und organisatorischen Konzept erfolgte auch die berufspraktische Ausbildung im Wesentlichen im Lernort Schule (zuzüglich 24 bzw. 17 Wochen Betriebspraktika).

Nach der relativ langen Vorbereitungsphase wurde der BLK-Modellversuch „Neue Informationstechnologien und Datenverarbeitung im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung – Verbindung von berufspraktischer und theoretischer Arbeit (Ausbildung) im Lernbüro“ von 1985 bis 1988 an vier Schulen des Bezirks in folgenden Schwerpunkten durchgeführt:

•  zweijährige Höhere Handelsschule, Schwerpunkt Bürowirtschaft,

•  vollzeitschulische Berufsausbildung zum/zur Bürokaufmann/-frau bzw. Bürogehilfen/-in.

An den Schulen wurden praxisgerechte Büros zum Planen, Ausführen und Beurteilen kaufmännischer Tätigkeiten eingerichtet. An einem Tag pro Woche arbeiteten die Schüler der Höheren Handelsschule an typischen kaufmännischen Arbeitsplätzen in den Abteilungen eines Modellbetriebes: Einkauf, Verkauf, Lager, gegebenenfalls Fertigung, Buchhaltung, Personalwesen/allgemeine Verwaltung. Die Schüler der vollzeitschulischen Berufsausbildung waren bis zu 24 Wochenstunden (von insgesamt 40 Wochenstunden) im Lernbüro bzw. Bürowirtschaftlichen Zentrum.

Unabdingbar war (wie von Marperger bereits vor 280 Jahren angedacht), dass das Arbeitslernen im Lernbüro an Modellarbeitsplätzen kaufmännischer Sachbearbeiter in einem nach didaktischen Grundsätzen gebildeten Modellbetrieb erfolgte. Es wurden nicht zusammenhanglose Fälle bearbeitet, sondern Arbeitsaufgaben, die sich aus dem Betriebsprozess ergaben. Damit ist das didaktische Konstrukt „Modellbetrieb“ als eine idealtypische Abbildung der Realität gekennzeichnet, der den Handlungsrahmen für das Arbeitslernen in der Schule schafft, und zwar nicht nur im Lernbüro, sondern auch in anderen Fächern des Bildungsgangs (z. B. Betriebswirtschaftslehre mit Rechnungswesen, Englisch, Politik, Deutsch). Möglichkeiten der Fächerknüpfung Englisch – Bürowirtschaft zeigt z. B. Jasper (1994) auf.

Das konkret „gegründete“ Modellunternehmen ist mit seinem Datenkranz dann der reale Rahmen für das Arbeitslernen in der Schule. (Eine Checkliste zur Auswahl und Gründung eines Modellunternehmens sowie für die Erstellung eines Datenkranzes wurde im Rahmen des Transfer-Modellversuchs in Brandenburg erstellt ( Halfpap/ Oppenberg/ Richter 1993, 113 ff.).) Dies führt zu einer hohen (lernfördernden) Identifikation der Schüler mit „ihrem“ Unternehmen. Die betrieblichen „Außenkontakte“ wurden an den Modellversuchsschulen entweder durch eine „Außenstelle“ hergestellt, indem eine Schülergruppe den Geschäftsverkehr als Käufer, Verkäufer und Bank abwickelte, oder durch Anschluss des Modellunternehmens an den Deutschen Übungsfirmenring.

In Castrop-Rauxel wurde die „Sangro GmbH“ Sanitätsgroßhandlung geboren. „Es waren fürwahr unruhige Zeiten für die beteiligten Kolleginnen und Kollegen, die die Ergebnisse ihrer Arbeit auf unzähligen Hochschultagen und Messen vorstellen durften“ ( Wiegemann 2006, 43).

In der Vernetzung von Arbeiten und Lernen zu einer didaktischen Einheit war das Arbeitslernen im Lernbüro auf der Grundlage dieses Modellversuchs wie folgt zu kennzeichnen ( Halfpap 2000, 389 f.):

•  Es wird im Handlungsrahmen eines Modellbetriebes nach didaktischen Grundsätzen mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad der Arbeitsaufgaben strukturiert.

•  Es ist handlungsorientiertes Lernen mit hoher Lerneffizienz, weil es subjektorientiert (Wenn, wie Reinisch (1995, 313) konstatiert, „Subjektorientierung“ Merkmal jeglichen Lernens ist (da Objekte nicht lernen können), wäre dies tatsächlich kein Charakteristikum handlungsorientierten Lernens. Ich habe in seiner Quellenangabe dieses Kennzeichen jedoch wie folgt verstanden: Handlungsorientiertes Lernen „geht von den gegenwärtigen und zukünftigen Interessen und Bedürfnissen der Lernenden aus; dann erkennen sie den Sinn des Lernens und sind auch emotional betroffen.“ Und dies ist durchaus kein Kennzeichen traditionellen Lehrens!), tätigkeitsstrukturiert, erfahrungsbezogen, interaktionsbetont und ganzheitlich ist.

•  Es ist praxisbezogen und wissenschaftsbezogen.

•  Es erfordert ein verändertes Lehrerverhalten im Sinne interaktiver Partnerschaft.

•  Es ist Fächer verbindendes Lernen und erfordert eine enge Abstimmung mit fachbezogenem Lernen im Bildungsgang.

3.  Verbreitung und Auswirkungen der „Lernbüroidee“ bis ca. 2000

3.1  Zur Lernbüroarbeit in Deutschland

Wegen des eigenen persönlichen Erfahrungshintergrundes wurde im vorigen Abschnitt dieser Modellversuch zur Herausarbeitung wesentlicher Kennzeichen der Lernbüroarbeit ausgewählt. Zu dessen Auswertung und Transferwirkung wird verwiesen auf die BLK (1993, 226 ff.) sowie auf Pätzold u. a. (2002, 60 ff.). Im letztgenannten Forschungsprojekt wird dieser Modellversuch als „nachhaltig erfolgreich“ bezeichnet, weil der Transfer der Lernbüroarbeit in der Höheren Handelsschule flächendeckend in Nordrhein-Westfalen gelang, weil sich eine Breitenwirkung landesweit auf die Handelsschule ergab, weil die Vorbereitung der Bildungsgangkonzeption erheblich gefördert wurde und weil sich das didaktische Konzept auf beide Phasen der Lehrerausbildung auswirkte.

Auch in anderen Ländern der Bundesrepublik fanden in den 80er und 90er Jahren Arbeiten zur „Lernbüroidee“ in Theorie und Praxis statt. Nach Auswertung von acht Modellversuchen in fünf Ländern zu „Neuen Informationstechniken in der Beruflichen Bildung“ wurde festgestellt, dass Büropraktische Zentren und Lernbüros für die Realisierung einer qualitativ hochwertigen Ausbildung ausnahmslos als notwendig erachtet werden (BLK 1993, 70).

Im Folgenden wird über Entwicklungen in den Ländern Hessen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Brandenburg kurz zusammenfassend berichtet, um den Blick über den geschilderten Modellversuch hinaus zu erweitern.

In Hessen wurde bei der Lehrbürotagung 1987 im HIBS (1988, 94), an der Lehrer aus mehreren Schulen des Landes teilnahmen, festgestellt, dass eine Arbeit im Lernbüro unbedingt notwendig sei, und zwar zur/zum

•  „Überwindung von additivem Lernen

•  Verknüpfung von Theorie/Praxis/Reflexion

•  Hinwendung von Handlungsorientierung zu Entscheidungsorientierung

•  Aufbau von Handlungskompetenz.“

In Schleswig-Holstein ( Die Ministerin 1991, 21 f.) war bis 1989 eine Schule mit einem Lernbüro ausgestattet, bis 1991 waren es alle 22 Schulen. Ab 1990 erarbeitete ein „Lehrplanausschuss Lernbüro“ einen Lehrplan-Baustein „Fachpraxis im Lernbüro“; Gespräche und Lernbürobesuche an einer der Modellversuchsschulen in Nordrhein-Westfalen befruchteten die Arbeit. Der „offene“ Lehrplan-Baustein wurde 1993 in Kraft gesetzt und schrieb vor, dass sich jede Schule entsprechend der Schulart bzw. den Ausbildungsbereichen für ein Modellunternehmen entscheiden und die Lernbüroarbeit im Zeitblock, also als „Lernbürotag“, organisieren muss, wobei Lernbürotage zu Blöcken zusammengefasst werden können. Durch die Bearbeitung der Arbeitsaufgaben und „das Zusammenwirken mit Mitarbeitern, Vorgesetzten und Geschäftspartnern“ muss angestrebt werden, dass das Lernbüro nicht auf der Stufe eines Übungskontors stehen bleibt.“ Eine Arbeitsgruppe beim Landesinstitut Schleswig-Holstein für Praxis und Theorie der Schule (IPTS 1994/1995) erarbeitete ein Branchenbuch der in Lernbüros gegründeten Modellunternehmen an den (nach dieser Angabe) 24 schleswig-holsteinischen Schulstandorten kaufmännischer Ausbildung.

Das Lernbüro war auch ein Schwerpunkt eines Internationalen Symposiums am Seminar für Wirtschaftspädagogik der Georg-August-Universität Göttingen mit dem Tagungsthema „Lernprozesse und Lernorte in der beruflichen Bildung“ ( Achtenhagen/ John 1988). 1993 legten Achtenhagen/ Schneider einen umfassenden Bericht für den Niedersächsischen Kultusminister über ein mehrjähriges Forschungsprojekt über die Lernbüroarbeit an acht niedersächsischen Schulen vor. Vorläufer (vereinzelt ab 1965) waren auch in diesem Land Übungsbüros und Lehrbüros, die ab 1980 für das Berufsgrundbildungsjahr flächendeckend eingeführt wurden. In dem Projektbericht wird diesbezüglich synonym von „Lernbüroarbeit“ gesprochen, obwohl die Leitidee „Anwendung bzw. Übung der zuvor erlernten Inhalte“ galt und Phasen theoretischer Reflexion konzeptionell nicht vorgesehen waren (81).

Nach einer Darstellung der Ergebnisse wird festgestellt, dass das Innovationspotential der Lernbüroarbeit die Ausbildung in den verschiedenen Stufen der beruflichen Bildung unterstützen und den Lernerfolg der dualen Ausbildung erhöhen dürfte (173). Ansatzpunkte zur Fortentwicklung der niedersächsischen Lernbüroarbeit werden u. a. durch folgende Hinweise gegeben (179 ff.):

•  das systematische Denken und Handeln im komplexen Aufgabenkontext des „Simulationsbetriebes“ sowie Reflexionen zur ökonomischen Bedeutsamkeit des eigenen Tuns sollten stärker in den Vordergrund rücken;

•  die Theorie und Praxis verbindende Funktion sollte organisatorisch-institutionell und curricular abgesichert werden.

Im Land Brandenburg wurden von 1992 bis 1995 in einem Transfer-Modellversuch „Lernbüro“-Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen aufgegriffen (PLIB 1996) und an anfangs sechs, zum Schluss an 16 Schulen in der zweijährigen vollzeitschulischen Berufsausbildung zum Wirtschaftsassistenten und später auch im Bildungsgang Bürokaufleute durchgeführt. 1996 hatten – gestützt durch weitere Fortbildungsmaßnahmen von vier Moderatorenteams aus Nordrhein-Westfalen – mit einer Ausnahme alle 20 Schulen des Landes Lernbüros. Durch die Ausweitung der Fortbildungsmaßnahmen auf Lehrer im Bildungsgang Bürokaufleute wurde bereits mit Handlungs- bzw. Lernfeldern gearbeitet ( Halfpap 2000, 391). Bei der Abschlusstagung 1995 präsentierten sechs Schulen ihre lernbüroübergreifende Zusammenarbeit in den jeweiligen Modellunternehmen.

Wesentliche Ergebnisse des Modellversuchs waren (vgl. auch PLIB 1996, 29):

•  Fortbildung der teilnehmenden Lehrer Brandenburgs und der Moderatoren aus Nordrhein-Westfalen in kooperativer Selbstqualifikation zur Gestaltung des Arbeitslernens im Lernbüro und in anderen Fächern durch integriertes Handlungslernen.

•  Konsequente Umsetzung des Bildungsgangkonzepts im Land Brandenburg mit „Rücktransferwirkung“ auf das Land Nordrhein-Westfalen.

•  Qualifizierung der Lehrkräfte zur Curriculumentwicklung für den Bildungsgang Wirtschaftsassistent/in sowie in Perspektive für die Bildungsgänge der neugeordneten Büroberufe.

•  Transferwirkung auf andere Lehrkräfte der Schule, die nicht an den Modellversuchsmaßnahmen teilgenommen haben.

Pätzold u. a. (2002, 87) stellen fest: „Maßgeblich für den Erfolg des Modellversuchs ist der Weg, den die Lehrerinnen und Lehrer aus beiden Bundsländern im Rahmen der Lehrerfortbildung eingeschlagen haben.“

3.2 Transferwirkungen

Die „Idee“ oder „Philosophie“ des Lernbüros als Lernumfeld (Fachraum) zum Arbeitslernen durch Planen, Ausführen und Beurteilen kaufmännischer (Büro-)Tätigkeiten – im Wesentlichen entwickelt und erprobt in Vollzeitschulen des Berufsfeldes Wirtschaft und Verwaltung – wurde in den 1990er Jahren auf Berufsschulbildungsgänge übertragen. Davon soll im Folgenden beispielhaft berichtet werden.

Leitend für die didaktische Gestaltung des Arbeitslernens nach dem „Lernbürokonzept“ oder dem „bürowirtschaftlichen Ansatz“ ( Keiser 2004, 112) waren dabei folgende Kennzeichen:

•  Integriertes Handlungslernen durch Bearbeitung von Handlungslernsituationen in der Verzahnung von Theorie und Praxis und damit praxis- und wissenschaftsbezogen

•  Arbeiten in einem Modellbetrieb bildungsgangbezogen und (möglichst intensiv) fächerverbindend

•  Nutzung (jeweils) moderner Kommunikations- und Informationstechnologien in einem Fachraum(komplex)

Der 6. Kollegschul-Kongress des Landes Nordrhein-Westfalen in Recklinghausen bot 1996 Gelegenheit, das breite Spektrum zur „Profilbildung in Kollegschulen und berufsbildenden Schulen“ darzustellen und Einblicke in Entwicklungsprozesse zur innovativen Gestaltung beruflicher Bildung auch durch die Realisierung des Arbeitslernens zu gewähren (vgl. Landesinstitut 1997).

So präsentierte eine an beiden o. g. Modellversuchen „Lernbüro“ beteiligte Schule aus Recklinghausen „Verknüpftes Lernen im Bildungsgang Bürokaufmann/Bürokauffrau“ (153 ff. sowie Keiser 2004, 133 ff.) durch:

•  gemeinsame und integrative Lernarrangements bzw. Lernaufgaben,

•  ein Lernen in allen Fächern des Bildungsgangs in einem didaktisch-strukturierten Modellunternehmen, das im Fach Bürowirtschaft die zentrale Rolle einnimmt,

•  7-stündige Fachraumnutzung während eines Berufsschultages,

•  Einsatz eines vierköpfigen Lehrerteams, das mehrere Fächer „abdeckte“, und nach gemeinsamen Unterrichtsschluss an einem Tag die wöchentlichen Teambesprechungen durchführen konnte,

•  Auflösung des stundenplanmäßigen Fachunterrichts und Selbstorganisation des Unterrichts durch das Lehrerteam.

Im Regierungsbezirk Münster erarbeitete 1991 eine Arbeitsgruppe „Absatzwirtschaft“ ein Konzept zum ganzheitlichen, fächerintegrativen Unterricht im Bereich Einzelhandel. Es wurde ein „Fachraum für Absatzwirtschaft“ vorgeschlagen, der aus zwei Teilen besteht: einem Verkaufsraum und einem Büroraum ( Voth 1993, 20). Ein solcher Fachraum wurde z. B. in Castrop-Rauxel eingerichtet und beim o. g. Kongress vorgestellt. Auch hier war die Leitidee ‚Arbeitslernen in einem Modellbetrieb in Handlungslernsituationen unter Nutzung moderner Technologien' bestimmend, selbst – wenn auch schwieriger – in branchengemischten Klassen. An der Schule in Recklinghausen wurde für die angehenden Automobilkaufleute das „Autohaus Kuniberg“ gegründet.

Die Schule in Castrop-Rauxel ( Landesinstitut 1997, 65 ff.) übertrug das Arbeitslernen auch auf den Bildungsgang Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte in dem Modellunternehmen „Kreuz Apotheke“. 1994 wurde das „Fachzentrum für medizinisch-kaufmännische Berufe“ eröffnet. Darüber hinaus wurden an dieser Schule zur Nutzung neuer Technologien Fachräume im Berufsfeld Gesundheit und Körperpflege (z. B. ein Friseursalon) eingerichtet, in denen integriertes Handlungslernen praktiziert wurde. Bildungsgangübergreifendes Lernen wurde mit den Bildungsgängen Arzthelfer und Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte erprobt und präsentiert ( Landesinstitut 1997, 73 ff.).

Eine andere Schule (Dorsten) berichtete über fächerverbindendes Lernen durch Erarbeitung eines Informationssystems über Strukturen, Funktionen und Prozesse eines Modell-Industriebetriebes im Berufsschulunterricht für Industriekaufleute ( Landesinstitut 1997, 97 ff.).

4.  Lernbüroarbeit im beginnenden 21. Jahrhundert

4.1  Beispiele

Lernbüroarbeit ist jeweils Spiegelbild realer kaufmännischer Arbeit in Betrieben. Bedingt durch die technologische Entwicklung unterscheidet sich Lernbüroarbeit folglich heute von der vor 25 Jahren, wenn auch nicht vom Grundsätzlichen her. Denn mit der „Einführung“ der Lernbüroarbeit in der beginnenden Informationsgesellschaft galt es – wie im Büro (der Wirtschaft) – , „Information“ als Produktionsfaktor zu verstehen und sie mithilfe der neuen Techniken effektiver zu nutzen als früher. Mit den heute zur Verfügung stehenden Kommunikations- und Informationstechnologien gelingt dies viel intensiver und umfassender als damals. Routinevorgänge können heute fast vollständig automatisiert werden ( Landesinstitut 1999, 8).

Im Folgenden wird exemplarisch über die jüngste Entwicklung der Lernbüroarbeit berichtet, die ich im März/April 2006 „erkundet“ habe. Eine systematische und repräsentative Erhebung war nicht möglich. Trotzdem bieten die Beispiele Ansatzpunkte für eine abschließende Beurteilung mit Blick in die Zukunft sowie einen Einblick in die Landschaft beruflicher Bildung im Lernort Schule in Nordrhein-Westfalen.

Drucktechnisch werden zuerst die Bildungsgänge hervorgehoben, in denen Lernbüroarbeit durchgeführt wird. Dies ermöglicht einen schnellen Überblick. Ihnen werden Schulen zugeordnet, an denen der Bildungsgang geführt wird.

Beispiel: Automobilkauffrau/Automobilkaufmann

Wenn auch in Nordrhein-Westfalen das curriculare Lernfeldkonzept nicht so konsequent umgesetzt wird wie z. B. in Niedersachsen, sondern die Lernfelder Fächern zugeordnet werden, wird auch heute im „kleinsten Autohaus der Welt“, dem Autohaus Spranger GmbH, am Eduard-Spranger-Berufskolleg in Gelsenkirchen ausgebildet. Dieses Modellunternehmen wurde 1988 gegründet und ist der Handlungsrahmen für die Bearbeitung der Lernsituationen mit Bezügen auch zu den berufsübergreifenden Fächern. Auch die Lehrer arbeiten im Team, gestalten in der Bildungsgangkonferenz die Lernfelder aus und entwickeln Lernsituationen. Allerdings wird seit ca. zehn Jahren nicht mehr in einem Lernbüro bisheriger Art gearbeitet, aber selbstverständlich mit Nutzung moderner Informations- und Kommunikationssysteme am PC. Letzteres gilt an dieser Schule auch für das

Beispiel: zweijährige Berufsfachschule, Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung (Höhere Handelsschule) ,

im Fach Informationswirtschaft. Hier wird mit einem Lehrbuch gearbeitet; Papierpostbearbeitung findet nicht (mehr) statt. In der didaktischen Jahresplanung (Stand 01.04.2006) werden Lernsituationen für die einzelnen Lernfelder skizziert und Hinweise zur Verknüpfung mit anderen Fächern gegeben.

Am Berufskolleg Dorsten wird in diesem Bildungsgang auch nicht mehr in einem Lernbüro an Schreibtischen mit viel Papier gearbeitet, sondern an Computerarbeitsplätzen eines Modellunternehmens unter den Bedingungen moderner Vorgangsstrukturierung. Das spiegelt sich z. B. auch in der vierstündigen Klassenarbeit zum Thema „Integrierte Auftragsbearbeitung“ (von der Anfrage bis zur Mängelrüge), in der die Schüler abschließend Maßnahmen darlegen sollen, durch die die Mängelrüge hätte vermieden werden können. Dieses Konzept fußt auf Lehrerfortbildungsmaterialien, die eine Arbeitsgruppe auf der Grundlage eines Produktionsmanagementsystems (PMS) für alle Schulen des Landes erarbeitet hat ( Landesinstitut 1999).

Am Berufskolleg Castrop-Rauxel wird nach wie vor in diesem Bildungsgang im Lernbüro eines Modellunternehmens gearbeitet. Es erhielt in diesem Jahr eine komplett neue Ausstattung: Mobiliar sowie Hard- und Software. In der Mitte des Raumes stehen Arbeitsinseln für auch abteilungsbezogene manuelle Bearbeitung der Arbeitsvorgänge in Kleingruppen.

Eine herausragende Bedeutung hat das Lernbüro in diesem Bildungsgang am Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung der Stadt Herne. Hier haben die Schüler die Möglichkeit, die bereits im Fach Informationswirtschaft erworbenen Kenntnisse im praktischen Arbeiten in einem betriebswirtschaftlichen Unternehmen durch Teilnahme an einem (zusätzlichen) „Differenzierungskurs Lernbüro“ in der Modellunternehmung Bürodesign GmbH zu vertiefen. Ein erfolgreicher Abschluss dieses Kurses gilt als Praktikumsnachweis für die Jahrgangsstufe 11 im Umfang von einer Woche, für die Jahrgangsstufe 12 von zwei Wochen. Diese Praktika können für den Erwerb der vollen Fachhochschulreife angerechnet werden.

Beispiel: Berufsfachschule für Wirtschaft und Verwaltung (Handelsschule).

Im Lernbüro, dem Fachraum für Informationswirtschaft des Kuniberg Berufskollegs, sitzen an einem Computer jeweils zwei Schüler mit einem Lernbuch, das sie auch in anderen Fächern – gleichsam diese verbindend – verwenden, diskutieren als Mitarbeiter in einem Modellunternehmen und bereiten sich so auf eine kaufmännische Berufsausbildung vor. Es wird in möglichst kleinen Lerngruppen oder im Team unterrichtet ( Kuniberg 2006, 164).

Beispiel: Kaufmännischer Assistent und Fachhochschulreife

Dieser dreijährige Bildungsgang in Vollzeitform vermittelt einen Berufsabschluss nach Landesrecht (Nordrhein-Westfalen) und die Fachhochschulreife. Er wird am Kuniberg Berufskolleg in Recklinghausen geführt (Kuniberg 2006, 168 ff.). Im Rahmen der Modellbetriebsarbeit wird im Fach „Informationswirtschaft“ das Lernbüro genutzt. Die Lernbüroarbeit fördert realitätsbezogen das Entscheidungshandeln in der Verknüpfung von Theorie und Praxis und wird im Rahmen des Projektmanagements um umfassende Projekte erweitert.

Beispiel: Kaufmännischer Assistent mit IHK-Prüfung zum Bürokaufmann

Für leistungsstarke Jugendliche am Niederrhein besteht für Absolventen dieses Bildungsgangs an den kaufmännischen Berufskollegs in Duisburg-Mitte, Moers und Dinslaken in den Jahren 2009 und 2010 im Rahmen eines Modellvorhabens nach § 43 II BBiG die Möglichkeit, neben der staatlichen Prüfung die IHK-Abschlussprüfung zum Bürokaufmann/zur Bürokauffrau bei der Niederrheinischen IHK in Duisburg abzulegen ( Wolf/ von Zedlitz 2006). Die inhaltlichen Anforderungen gemäß Anlage I Berufsausbildungsverordnung werden an den Berufskollegs u. a. in Lernbüros umgesetzt.

Beispiel: Bürokauffrau/Bürokaufmann

Das im Abschnitt 3.2 beschriebene verknüpfte Lernen in diesem Bildungsgang findet auch heute noch am Kuniberg Berufskolleg in Recklinghausen statt.

Im Louis-Baare-Berufskolleg in Bochum stehen vier Lernbüros mit jeweils ca. 120 qm Fläche für den Unterricht in den neugeordneten Büroberufen (und der Höheren Handelsschule) zur Verfügung, in denen ab Schuljahr 2005/2006 mit dem Übergang zur DIGITALEN RAND OHG je Lernbüro 18 PCs für die Schülerteams zur Verfügung stehen, die die Arbeitsvorgänge nach der Idee „von der Sachbearbeitung zur Fallbearbeitung“ bearbeiten. Ein neu eingerichteter Fachraum „Standardsoftware“ stützt dieses Konzept.

Am Berufskolleg Castrop-Rauxel wird in diesem Bildungsgang auch in einem Modellunternehmen gearbeitet. Das Lernbüro wird wie für den Bildungsgang der zweijährigen Berufsfachschule (s. o.) genutzt: anfangs arbeitsgleich, gegen Ende der Ausbildung – wenn möglich – arbeitsteilig. Die Leiterin der kaufmännischen Berufsschule sagte: „Ich könnte mir ein Arbeiten ohne Modellunternehmen nicht mehr vorstellen.“ Und: „Für die Wirtschaft ist das Lernbüro in der Schule heute selbstverständlich.“

Beispiel: Einzelhandel

An der letztgenannten Schule ist der Fachraum für Absatzwirtschaft (s. o.) nicht mehr als Verkaufsraum und Büroraum ausgestattet. Das Arbeitslernen findet heute nur noch in einem modernen, multifunktional ausgestatteten „Fachraum Einzelhandel“ am PC mit einem Warenwirtschaftssystem statt: jeweils zwei Schüler an einem PC.

Auch am oben genannten Berufskolleg in Bochum werden im Fachraum Einzelhandel an acht PCs Verkaufsvorgänge bearbeitet.

Das im Abschnitt 3.2 kurz erläuterte Konzept „Absatzwirtschaft“ findet sich unter den heutigen Bedingungen konsequent umgesetzt am bereits erwähnten Berufskolleg in Herne. Hier werden im Warenverkaufskunderaum teilweise mit Produkten aus den Sortimenten der Ausbildungsbetriebe u. a. Verkaufs-, Umtausch- und Reklamationsgespräche geführt und zwecks anschließender Beurteilung mit der Kamera aufgezeichnet. Warenpräsentation und -aufbau (z. B. Regal- und Zonenkonzepte) erfolgen ebenso wie visual merchandising als Methode der Verkaufsförderung. Computer-Arbeitsstationen mit einem Warenwirtschaftssystem werden in Abhängigkeit von konkreten Erfordernissen eines Einzelhandelsbetriebes (u. a. Umsatzrückgänge, Konkurrenz, Sortimentsstrukturen) genutzt.

4.2  Ein Wirkungsmodell

Der Bericht über die punktuelle, eher zufallsbedingte „Erkundung“ des aktuellen Standes der Lernbüroarbeit mit seinen o. g. drei „leitenden“ Kennzeichen des Arbeitslernens, soll mit einem Hinweis auf den Modellversuch KUS in einem Verbundprojekt mehrerer Länder von 2000 bis 2003 abgerundet werden, an dem auch die Berufskollegs in Castrop-Rauxel und Gelsenkirchen teilgenommen haben: „Grundlegung einer Ku ltur unternehmerischer S elbständigkeit in der Berufsbildung“ ( Ministerium 2003). In Nordrhein-Westfalen waren an den beiden genannten Schulen folgende Bildungsgänge beteiligt: Bürokaufleute, Friseure, Arzthelfer bzw. Zahnarzthelfer, Einzelhandelskaufleute.

Wie mir die (damalige) Geschäftsstellenleiterin des Modellversuchs bei meinem Besuch in Castrop-Rauxel darlegte, flossen in diesen Modellversuch die Erfahrungen aus dem Modellversuch „Lernbüro“ und aus den dann folgenden Schulentwicklungsmaßnahmen zum „Fachzentrum für medizinisch-kaufmännische Berufe“ (s. o.) ein. Dies wird aus dem bildungsgangorientierten Ansatz deutlich ( Ministerium 2003, 169):

•  „Orientierung der didaktischen Arbeit in allen Fächern der Lernbereiche an den Bildungszielen des Bildungsgangs unter ausdrücklicher Einbeziehung der Perspektive 'berufliche Selbständigkeit'

•  Koordination fachlichen Lernens, Berücksichtigung von fächerübergreifenden und fächerverknüpfenden Lehr-/Lernarrangements sowie Gestaltung von integrativen Lernprozessen (z. B. Projekte, Planspiele)

•  Orientierung an didaktisch-methodischen Konzepten, die bildungsgangorientiertes Lernen unterstützen (z. B. Handlungsorientierung, Praxisorientierung, Situationsbezüge)“

Dieser Modellversuch erscheint mir im Kontext dieses Beitrages auch insofern bedeutsam, als hier die Idee des Arbeitslernens um die Dimension der unternehmerischen Selbstständigkeit erweitert wurde.

Der Kreis der theoretischen Analyse zum Übungskontor soll nun geschlossen werden:

Die „Konzentrationsidee“ gilt über die Jahrhunderte hinweg, wenn auch mit neuer Qualitätsstufe im Integrationsfach „Informationswirtschaft“ (So die Bezeichnung in Nordrhein-Westfalen. ).

Der Gedanke der „Übenden Anwendung“ trat bereits mit Beginn der Lernbüroarbeit in den Hintergrund, da bereits „in der ersten Stunde“ der Ausbildung im Lernbüro gearbeitet wurde. Jetzt muss zur „Beherrschung“ der eingesetzten Software zwar auch geübt werden, aber nicht mehr zum Anwenden vorher erworbenen Wissens. Vielmehr lernt der Schüler von Beginn der Lernbüroarbeit im Modellunternehmen an durch den Überblick über und mit dem möglichen Rückgriff auf den gesamten Datenkranz des Unternehmens, kaufmännische Tätigkeiten auszuüben, Entscheidungen zu treffen und Konsequenzen seines Tuns zu reflektieren und zu beurteilen.

Auch die Entwicklung im Land Brandenburg ist eine weitere Bestätigung für die Verfestigung der „Lernbüroidee“. So wurde mir vom dortigen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport berichtet: „In Brandenburg ist die Arbeit im Lernbüro inzwischen nicht nur im Bildungsgang Kaufmännische Assistenten, Fachrichtung Bürowirtschaft, weiterhin fester Bestandteil des Bildungsgangkonzepts, vielmehr wurde auch in den Bildungsgängen Kaufmännische Assistenten, Fachrichtung Fremdsprachen, (hier unter Einbeziehung der Englischlehrkräfte in die Lernbüroarbeit) und der Kaufmännischen Assistenten, Fachrichtung Informationsverarbeitung, sowie der Assistenten für Tourismus, der Sportassistenten und der Assistenten für Hotelmanagement die Arbeit im Lernbüro verbindlich eingeführt.“ Landesweit stützen Fachberaterinnen die „Adaption des ‚Ursprungs'-Lernbüros für die neuen Bildungsgänge“.

Wenn, was zu prüfen war, die Grundidee des Arbeitslernens in der Schule aber Bestand hatte und hat und auf andere Bildungsgänge übertragbar war und ist, kann das Arbeitslernen als ein Wirkungsmodell der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in dem Sinne verstanden werden, als es Veränderungen in der Arbeitswirklichkeit und veränderte curriculare Vorgaben (z.. B. das Lernfeldkonzept) aufgreifen und für die Qualifizierung der Menschen im Lernort Schule nutzbar machen kann. Es ist zukunftsfähig; denn die Zukunft wächst aus der Vergangenheit.

So lernt der Schüler auch heute – wie gezeigt – kaufmännisches Arbeiten in Modellbetrieben, wenn auch nicht mehr in einem „Musterkontor“ wie vor 150 Jahren oder in einem Lernbüro wie vor 25 Jahren. Die Grundidee der Lernbüroarbeit „Arbeitslernen in Modellbetrieben“ ist geblieben, hat sich m. E. sogar gefestigt, was die Ausweitung des Begriffs auch auf so genannte allgemein bildende Schulen – insbesondere der Sekundarstufe I – erkennen lässt (vgl. Fußnote 1), wenn auch dort nicht als Arbeitslernen im berufspädagogischen Verständnis. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die schulische Berufsvorbereitung und -ausbildung der letzten 25 Jahre. Der Faden ist stärker, kräftiger geworden und „verknotet“ bildungsgangbezogen integriertes Handlungslernen in Lernsituationen. In diesem Sinne wird der Begriff „Lernbüro“ als Synonym auch weiterhin Kennzeichen für dieses Wirkungsmodell sein. Und wo Lernbüroarbeit zur selbstverständlichen, alltäglichen didaktischen Normalität geworden ist, wird darüber nicht mehr viel geredet. Aber wissenschaftlich erforscht werden sollte dieses Wirkungsmodell systematisch m. E. aus grundsätzlichem didaktischen Interesse und zur Verifizierung meiner Hypothese.

 

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