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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Zum Erwerb generischer Erklärungsmuster zu kaufmännischen Sachverhalten in Orientierung an ein systemdynamisches Modellunternehmen


 

 

1.  Lernen an kaufmännischen Modellen

1.1  Orientierung

Die Realität kaufmännischer Auszubildende ist der Gestalt, dass betriebswirtschaftliche Abläufe in der kaufmännischen Arbeitswelt zunehmend intransparent werden. Als ein Akzelerator dieses Trends lässt sich die Informationstechnologie beschreiben. Ihr verstärkter Einsatz in Unternehmen führt dazu, dass Zustände oder Prozesse nur noch virtuell vorhanden sind (z. B. virtuelle Marktplätze) oder bisweilen physikalisch sogar wegfallen. Diese Intransparenz verstärkt sich für Auszubildende in mittleren und größeren Ausbildungsbetrieben dahingehend, dass die vollständigen betriebwirtschaftlichen Prozesse nicht mehr erkennbar sind. Auch wenn die Lernenden in allen Unternehmensbereichen ihre Ausbildung erhalten, so ist hier der Blick auf das Ganze nicht mehr möglich.

Die Lernchancen der Auszubildenden nehmen in dieser Hinsicht am Ausbildungsplatz ab, da die Handlungsfolgen z. B. auf andere Unternehmensbereiche weniger gut sichtbar sind, sie weniger Rückmeldung erhalten oder hierüber keine umfassenden oder ‚vollständigen' betriebswirtschaftlichen Erklärungsmuster angeboten werden.

Darüber hinaus versteht sich jeder Ausbildungsplatz als ‚Spezialfall' betriebswirtschaftlicher Realität. Berufsschule kann an dieser Stelle als ‚Generalisator' individueller und damit unterschiedlich spezialisierter Ausbildungsplatzsituationen wirken. Spätestens dann, wenn die Lernenden nach Vollendung ihrer Ausbildung den Betrieb verlassen, ist dieses generische, betriebswirtschaftliche Wissen von Nöten. Ein Transfer des erworbenen spezialisierten Ausbildungsplatzwissens auf den neuen Arbeitsplatz wäre ohne berufsschulische Unterstützung dann weniger gut möglich.

Die Nutzung des hier vorgestellten computergestützten Ansatzes zur Entwicklung generischer kaufmännischer Erklärungsmuster bietet ähnliche Handlungsebenen an wie die der Lernfirmenarbeit. Diese sind auf operativer Ebene (Parameter in der Unternehmenssimulation werden festgelegt oder verändert) und auf strategischer Ebene anzusiedeln (die Lernenden müssen sich bei der Nutzung systemdynamischer Lernumgebungen über eine Strategie einigen, die sie zuvor erörtert haben). Darüber hinaus werden die Systemebenen der Logistik, der Wertschöpfung (physikalische Ströme = Flussgrößen) und der Information (Informationsströme = Informationsverbindungen) miteinander verknüpft über das genutzte Symbolsystem der Unternehmenssimulation dargestellt (vgl. 2.2.1).

Daher kann je nach Anwendung und unterrichtlicher Ausgestaltung (vgl. 2.1.1) sowohl Lernen im Modell (TRAMM/ GRAMLINGER 2006) als auch Lernen am Modell stattfinden. Ersteres kann durch die partizipative Aktivität mit dem Simulationsmodell (Lenkung des Unternehmens) ermöglicht werden. Die Lernenden werden dann ‚Teil des Systems' indem sie ihre Lenkungskonzepte (vgl. 2.1.2) anwenden.

Die realisierten Lerneraktivitäten bestehen u. a. in der Exploration der Unternehmenssimulation, der aktiven Modellbildung zu einzelnen Teilaspekten oder deren Exploration und der eigenverantwortlichen Lenkung des Modellunternehmens unter Wettbewerbsbedingungen (vgl. Abbildung 1).

Eine Weiterentwicklung des vorgestellten systemdynamischen Modellunternehmens im Rahmen eines e-Learning Ansatzes ist bei MOLKENTHIN (2003) einzusehen. Um die Lernleistung bzw. die Performanz von Lernenden über Zeit angemessen spiegeln zu können, wird der Aspekt der Diagnostik in dieser fortgeschriebenen web-gestützten Unternehmenssimulation besonders betont (BREUER/ MOLKENTHIN 2006) .

2.  Die Unternehmenssimulation als Rahmen für Lernaktivitäten

2.1  Das Modellunternehmen als Lernumgebungen gestalten

2.1.1  Voraussetzungen und Anwendungsmöglichkeiten

Die Nutzung von Unternehmenssimulationen als einer Form des Lernens am und im (betriebswirtschaftlichen) Modell geht, insbesondere bei dem vorliegenden Zugang mit mehreren Voraussetzungen einher. Die Orientierung am Curriculum ( Hillen/ Berendes/ Breuer 2000) zur Erfüllung der unterrichtlichen Zielvorgaben und zur Einbettung in den betriebswirtschaftlichen Unterricht über beispielsweise ein oder zwei Schuljahre hinweg sei hier exemplarisch genannt. Diese Integration vermeidet Schülerwahrnehmungen, die ansonsten wie folgt lauten könnten: „Heute arbeiten wir mit dem Unternehmensmodell und morgen machen wir wieder richtigen Unterricht?“

Die Anwendung eines betriebswirtschaftlichen Modellunternehmens oder einer computergestützten Mikrowelt ist zumeist nicht autodidaktisch angelegt und führt damit nicht automatisch zu den intendierten Lernaktivitäten, Lernprozessen bzw. Lernergebnissen. Eine zielgerichtete Planung ist vor, während und nach dem Einsatz wie für jedes unterrichtliche Vorhaben erforderlich. Folgende didaktische Gestaltungsformen und Anwendungsmöglichkeiten des hier vorgestellten Ansatzes zum Erwerb generischer kaufmännischer Erklärungsmuster stehen zur Verfügung:

Die Präsentation einer ganzheitlichen, generischen Unternehmensstruktur als (1) visuelle Plattform (z. B. Poster) oder als Simulationswerkzeug (2). Mit der ersteren Darstellungsform (1) können u. a. am Bildschirm und mit Hilfe von zoom-in-Features oder als Papier und Bleistift-Anwendung, grundlegende Einsichten über die Zusammenhänge zwischen und in betriebswirtschaftlichen Bereichen ermöglicht werden (vgl. Abbildung 2). Gerade die Fokussierung auf spezifische betriebswirtschaftliche Problemstellungen birgt die Gefahr inselhafter Darstellungen und Lösungen. Durch die Rückführung auf die gesamte Unternehmensstruktur (zoom-out) kann dies abgemildert werden.

 

Mit der Anwendung als Simulationswerkzeug (2) können Schüleraktivitäten verbunden werden, die beobachtend, untersuchend oder konstruierend sind. Dabei kann mit der vorliegenden Unternehmenssimulation (BERENDES 2002) oder mit den fokussierten Bereichen, in der Umsetzung als Lernsequenzen (HILLEN 2004), gearbeitet werden. Zudem kann die Unternehmenssimulation, eigendynamisch (die Simulation wird automatisiert) oder von den Schülerinnen und Schülern interaktiv gelenkt werden. Darüber hinaus ist dies als Einzelplatzanwendung oder als Anlage im Wettbewerb handhabbar. Dabei können diese Aktivitäten jeweils als Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit angelegt werden.

Die Auswahl aus der Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten kann anhand verschiedener Kriterien getroffen werden; z. B. am Unterrichtsziel, an den kognitiven und sozialen Schülervoraussetzungen als auch an der Versiertheit und Expertise der Lehrenden. Dies meint zugleich die fachliche, die fachdidaktische als auch die pädagogischen Expertise. Für systemdynamische Simulationen bedeutet dies im Besonderen eine Befähigung, die es ermöglicht, auf nicht antizipierbare Simulationsergebnisse adäquat reagieren zu können. Die Simulation ein- und derselben Anwendung kann durch die Eingaben der Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Verläufe nehmen bzw. kann ein betriebswirtschaftlicher Sachverhalt (Lernsequenz) unterschiedliche expressive Modellkonstruktionen (vgl. 2.3.3) hervorbringen. Im Vergleich zu ‚statischen' Unternehmenssimulationen oder Unternehmensplanspielen, deren Entwicklungen zuvor bekannt sind oder in welchen nur wenige unterschiedliche Szenarien angelegt sind, kann der Eindruck entstehen, dass Unterricht mit systemdynamischer Modellbildung und Simulation nicht planbar und damit weniger gut gestaltbar sei. Dieser Eindruck trügt, bzw. die wahrgenommene Unwägbarkeit in der unmittelbaren Unterrichtssituation löst sich auf, je mehr systemdynamische Lehrexpertise und systemische Erklärungsmuster bei den Lehrenden vorhanden sind. Eine Untersuchung (Hillen 2006, 2004) zum Lernen mit systemdynamischen Mikrowelten hat gezeigt, dass die Lehrexpertise Einfluss auf die Lernergebnisse der Schüler hat. Eine mögliche Schlussfolgerung ist, dass Lehrkräfte ihr pädagogisches, fachliches und fachdidaktisches Wissen und Können aufgrund ihrer erworbenen Lehrerfahrung mit Modellbildung und Simulation besser haben explizieren und anwenden können. Zeitliche, räumliche und technische Gegebenheiten geben zusätzlich den Rahmen für die Lernaktivitäten mit und am Modellunternehmen vor.

2.1.2  Das systemdynamische Unternehmensmodell als Rahmen

Mit dem systemdynamischen Unternehmensmodell wird den Lernenden ein Rahmen angeboten, in dem Grundzusammenhänge eines Industrieunternehmens und seine Entwicklung über Zeit erarbeitet werden können. Ein wesentliches Ziel besteht darin, die Struktur des Unternehmens transparent zu machen. Die Teilaspekte der Unternehmung können durch die informationstechnische Umsetzung detaillierter visualisiert werden. Das Unternehmen ist in der Orientierung an einschlägigen ökonomischen Konzepten modelliert, der Wertkette nach PORTER (1986). In diesem Konzept wird eine Unternehmung nicht über klassische Funktionsbereiche beschrieben, sondern über Aktivitäten dargestellt. Sie stellen Bausteine dar, in denen das Unternehmen in einem wertschöpfenden Prozess Produkte für seine Abnehmer erstellt.

Mit dieser Prozesssicht stehen die einzelnen Größen in dem Modell nicht additiv nebeneinander, sondern folgen dem idealtypischen Leistungsstrom, von Eingangslogistik über Produktion und Ausgangslogistik zum Marketing bzw. Absatz, der in verschiedenen Ausprägungen in der betrieblichen Wirklichkeit unterschiedlicher Branchen wieder zu finden ist. Zudem wird auch das Unternehmensumfeld über vor- bzw. nachgelagerte Wertketten abgebildet. Dies führt gleichzeitig zu einer ganzheitlichen Sicht auf die Unternehmung.

2.2  Die systemdynamische Notation und der Erwerb von Wissen

2.2.1  Das genutzte Symbolsystem (Notation)

Die Abbildung der einzelnen Elemente der Aktivitäten und ihrer Relationen stützt sich auf die am M.I.T. entwickelte Methodik 'System Dynamics' (FORRESTER 1972). Differenziert nach Konstanten, Flussgrößen und Bestandsgrößen sowie Informationsverbindungen werden die Elemente über Symbole dargestellt (vgl. Abbildung 3). Diese Betrachtungsweise ermöglicht

es, nicht-lineare Wirkungsketten darzustellen und die Bedeutung einzelner Elemente herauszustellen. Bestandsgrößen werden mit diesem Notationssystem über Rechtecke dargestellt. Diese symbolisieren ein ‘Behältnis‘, in das etwas zu- und abfließen kann. Die Flüsse werden alle über einen Doppelpfeil dargestellt, eine ‘pipeline‘, durch die unterschiedlichste Materialien fließen können. Bestandsgrößen beschreiben den Zustand des abgebildeten Gegenstandsbereiches zu jedem Zeitpunkt. Flussgrößen verändern den Systemzustand und werden deshalb auch Änderungsraten genannt. Das aufgezeigte Notationssystem korrespondiert zur 'Denke der Ökonomen', die u. a. zwischen Bestands- und Flussgrößen unterscheiden, und stellt somit keine aufgesetzte Sprache dar.

2.2.2  Systemwissen und Lenkungswissen

Wie in Abbildung 4b dargestellt, können verschiedene Wissensbereiche mit Hilfe der Notation beschrieben werden, hier unterschieden in Systemwissen und Lenkungswissen. Das Systemwissen (in schwarzer Farbe hervorgehoben) beschreibt die ‚physikalischen Flüsse' und Zustände in der Lagerdisposition. Eine Lieferung, deren Herkunft nicht näher spezifiziert ist (Symbol der Wolke) fließt in das Rohmateriallager (Rechteck). Durch die für die Produktion benötigten Rohstoffe fließt wiederum Rohmaterial aus dem Lager (Rechteck) ab, in eine nicht weiter spezifizierte Produktion (Symbol der Wolke).

Der Lagerdisponent muss nun ein Lenkungskonzept (in roter Farbe hervorgehoben) entwickeln, das zum einen den Materialeingang unter Beachtung der entstehenden Lieferzeit als auch den Abfluss für die benötigte Produktion berücksichtigt. In der vorgestellten Unternehmenssimulation (vgl. Abschnitt 2.3.4) beschränkt sich das Lenkungswissen jedoch nicht auf die operationale, taktische Ebene (z. B. zur Lagerbestandsoptimierung), sondern stellt die Umsetzung der zuvor festgelegten Unternehmensstrategie dar, u. a. unter Berücksichtigung der Nachfrage und der Wettbewerber.

Die Problematik beim Erwerb von betriebswirtschaftlichen Erklärungsmustern liegt in der Notwendigkeit, dass Auszubildende sowohl über Wissen zu kaufmännischen Sachverhalten (Systemwissen) verfügen sollten als auch, dass sie darin angemessen handelnd tätig (Lenkungswissen) sein können. Das Unternehmensmodell wird genutzt, um ein ‘gläsernes Modell‘ anzubieten, welches neben materialen Strukturen auch idealtypische kaufmännische Lenkungskonzepte abbildet und damit dem Lernenden Ansatzpunkte zum Erwerb von Lenkungskonzepten offen legt.

2.3  Unterrichtliche Zugänge

2.3.1  Erkundung und interaktive Exploration der Unternehmenssimulation

Wie in Abschnitt 2.2.1 beschrieben, können die Lernenden die Unternehmensstruktur, welche auf dem Bildschirm oder über ein Poster dargestellt wird, erkunden. Um eine visuell kognitive Überforderung zu vermeiden und um eine Orientierung anzubieten, wird die Exploration des Modellunternehmens, mit Hilfe von Arbeitsblättern angeleitet. Dieser erste Arbeitsauftrag knüpft an den vorliegenden zumeist naiven mentalen Modellen der Schülerinnen und Schüler zu kaufmännischen Sachverhalten an. Die Lernenden haben den Status von Novizen, da sie sich zu Beginn ihrer Ausbildung befinden. Sie werden aufgefordert ihre eigenen Vorstellungen über betriebswirtschaftliche Aktivitäten einer Unternehmung zu formulieren (vgl. Abbildung 5) .

Die nachfolgend beschriebenen Lernaktivitäten sind nur noch informationstechnisch gestützt umsetzbar. Dazu zählen u. a. die weiterführende Betrachtung und Analyse einzelner betriebswirtschaftlichen Aktivitäten sowie deren automatisierte Simulation. Die Lernenden können hierbei in die unterschiedlichen Unternehmensbereiche hinein zoomen. Über das im Unternehmensmodell angelegte Menü ist es möglich die Wirkung unterschiedlicher Eingriffe (schülergelenkte Simulation) zu untersuchen. Auch dies wird wiederum über Arbeitsaufträge angeleitet. Hierdurch kann das hinterlegte „gläserne“ Modell gezielt exploriert und simuliert werden.

2.3.2  Exploration vorgegebener Modelle (explorative Lernsequenzen)

Ein anderer Zugang ist die Exploration vorgegebener Modelle, die Teilaspekte aus der Unternehmenssimulation (vgl. Abbildung 2) näher betrachten. Im Zusammenhang mit einer Problemstellung (Fall) bietet diese Darstellung die Möglichkeit, die unterlegte Struktur (Flussdiagramm) über die systemdynamische Notation zu explorieren. Hypothesen zum Verhalten des Systems können überprüft werden, indem Parameter des Modells gezielt verändert werden. In Abgrenzung zur expressiven Erstellung von Modellen (vgl. 2.3.3) wird hier Bedeutung über die Auseinandersetzung mit dem vorgegebenen Modell rekonstruiert und nicht aktiv modelliert. Die Exploration wird problemorientiert über die Moderation des Lehrers und durch Arbeitsblätter gestützt. Eine Sicherung der Lernergebnisse kann durch eine Fallvorgabe mit oder ohne den Rückgriff auf das Modellbildungssystem vorgenommen werden.

2.3.3  Die Konstruktion von Modellen (expressive Lernsequenzen)

Bei der Nutzung systemdynamischer Modellbildung als kognitivem Werkzeug (cognitive tool), geht man davon aus, dass ein Lerner zunächst ein gedankliches Modell – ein Mentales Modell (JOHNSON-LAIRD 1988) – für den darzustellenden Sachverhalt entwickelt. Dazu kann ein verbales Modell erstellt und in der Notation eines Modellbildungssystems ausdifferenziert werden. Die wird im weitern als expressives Arbeiten mit der Modellbildung benannt.

Der aktiven Erstellung von Modellen zu 'Bereichen‘ einer Unternehmung über die Notation eines Modellbildungssystems kommt entscheidende Bedeutung zu. Das Flussdiagramm kann zunächst die Vernetztheit des fokussierten Gegenstandsbereichs sichtbar machen. Dies hat eine besondere Qualität, da simultan alle für den Lerner bedeutsamen Elemente abgebildet sind. Damit können komplexe Zusammenhänge von Lernenden dargestellt werden, die auf der Ebene von System- und Lenkungswissen anzusiedeln sind. Zusätzlich kann ein so sichtbar gewordenes und damit überprüfbares Mentales Modell in der Entwicklung über Zeit (Verhalten) mit Hilfe der Simulationsfunktion dargestellt werden. Es können Verhaltensweisen aufgezeigt werden, die so in der Vorstellung eines Lernenden nicht vorhanden sind und zuvor nicht vor dem geistigen Auge hätten angemessen simuliert werden können (DÖRNER 1989). Die Modellbildungssoftware übernimmt hierbei stellvertretend und ergänzend mentale Simulationen. Darüber können kognitive Operationen der Lernenden unterstützt werden. Auftretende kognitive Dissonanzen fordern zur Rekonstruktion des systemdynamischen und oder Mentalen Modells auf. Das sollte die Elaboration der Mentalen Modelle fördern.

2.3.4  Die Simulation des Modellunternehmen unter Wettbewerbsbedingungen

Die systemdynamische Unternehmenssimulation wird nun unter Wettbewerbsbedingungen angelegt. Informationstechnisch wird dies durch Vernetzung der Simulation über mehrere Rechnerarbeitsplätze hinweg realisiert. Dabei werden nicht nur die im Wettbewerb stehenden Unternehmen, sondern auch die einzelnen Aktivitäten (Produktion, Personalwirtschaft etc.) auf Computerarbeitsplätze verteilt. Von den Lernenden wird hier die eigenverantwortliche Lenkung eingefordert. Das umfasst die Notwendigkeit zu einer aktivitätsübergreifenden Koordination für die Lenkung einzelner Bereiche im „gläsernen“ Gesamtmodell. Die interne Koordination eines Unternehmens basiert dazu auf einer zuvor vereinbarten aktivitätsübergreifenden Unternehmensstrategie unter Berücksichtigung der aktuellen und antizipierten Marktbedingungen. In der vorgestellten Unternehmenssimulation ist dabei ein endogener Markt hinterlegt, dessen Entwicklung nicht allein von einem vorgegebenen Szenario abhängig ist, sondern sich auch aus der Gestaltung des Marketing-Mix der einzelnen Marktteilnehmer ergibt.

2.4  Die Wahrnehmung des Unterrichts und das Erkennen kaufmännischer Zusammenhänge

2.4.1  Die Wahrnehmung betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge

Neben der Abbildung von Lernprozessen und Lernerträgen, erscheint es wichtig zu prüfen, inwieweit die Lernenden eine Wahrnehmung aufbauen können, die insbesondere dem Erkennen und damit dem Erwerb betriebswirtschaftlicher Sachverhalte und Zusammenhänge vorausgeht. Hier sei noch einmal auf die zu Beginn geführte Argumentation verwiesen. In den Studien zu diesen systemdynamisch angelegten Lernumgebungen ist u. a. ein Befindlichkeitstest (vgl. KUMMER 1991) eingesetzt worden. Der Fragebogen nach KUMMER (1991, 272-274) wird dabei an die besonderen Fragestellungen zur Modellbildung und Simulation adaptiert. Diese Erhebung soll Aufschluss über die Stim­mungszustände, die Einschätzungen zum Unterricht mit unterschiedlichen unterrichtlichen systemdynamischen Zugängen geben. Der Fragebogen zu den Befindlichkeiten besteht aus insgesamt 30 Fragen, welche in drei thematische Bereiche unterteilt sind.
Auf einer achtstufigen, bipolaren Selbstbeurteilungsskala können die Auszubildenden ihre Einschätzungen abgeben. Der erste Fragenbereich gibt die Befindlichkeiten, also die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler zu den Lernbedingungen im Unterricht wieder (z. B. der Unterricht ist eher unverständlich oder verständlich; vgl. Abbildung 6 ).

Sowohl die expressiven Lernsequenzen (Lerns.) als auch die einführende systemdynamische Exploration der Unternehmenssimulation SYDUS (t O) sowie die Lenkung im Wettbewerb (t 1) werden mit einem höheren Aktivitätspotential eingeschätzt. Auch der wahrgenommene Grad der Selbststeuerung des Lernens wird von den Auszubildenden eher hoch eingestuft. Bei der Gegenüberstellung der unterschiedlichen unterrichtlichen Zugänge fällt auf, dass die Einschätzungen der Lernenden zu den Lernsequenzen mit aktiver Modellbildung geringfügig, aber tendenziell günstiger ausgeprägt waren als mit der Unternehmenssimulation (vgl. Abbildung 6). Dies kann sich zum Teil aus dem methodisch weniger stark kontrollierten Zugang erklären. Die Schüler mussten beim expressiven, aktiven Modellbilden keine Abstimmungsprozesse in Form von Gruppenentscheidungen zu bestimmten Zeitpunkten wie z. B. während der interaktiven Lenkung im Wettbewerb (t 1) treffen. Der zweite Bereich des Fragebogens ist hier nicht abgebildet. Im letzten Abschnitt des Fragebogens zur Befindlichkeit (vgl. Abbildung 7) werden die Einschätzungen der Lernenden bezüglich der Bedeutsamkeit und Wirksamkeit des Unterrichts mit Modellbildung und Simulation (z. B. Brauchbarkeit im Alltag) wiedergegeben. Die Schülerinnen und Schüler wurden u. a. befragt, inwieweit sie beim ersten Zugang, d. h. der Exploration der systemdynamischen Unternehmenssimulation (t O), Zusammenhänge haben erkennen können. Aus Sicht der Auszubildenden gehören dazu die Fragen, inwieweit darüber der Erwerb betriebswirtschaftlichen (Zusammenhangs-) Wissens unterstützt werden kann und ob die Auszubildenden in der Lage sind, darüber einen Wissenstransfer herzustellen. Die Erhebung zeigt auf, dass die Lernenden die Einschätzung abgeben, dass sie bei der Exploration des Modellunternehmens betriebswirtschaftliche Zusammenhänge erkennen können. Die
Ausprägungen erscheinen über die Schulstandorte hinweg tendenziell übereinstimmend.

2.4.2  Befunde zum erworbenen Begriffs- und Zusammenhangswissen

Mit Hilfe einer inhaltsanalytischen Aufarbeitung der Arbeitsblätter, welche die Exploration des Modellunternehmens stützen, wurden das Verständnis und die sinnstiftende Lesbarkeit der abgebildeten systemdynamischen Unternehmenssimulation untersucht (SCHÜTZ 1999). Die Lernenden sind zu Beginn der Lernaktivitäten mit Modellbildung und Simulation aufgefordert ihre Vorstellungen, d.h. ihr bestehendes Wissen unter Bezugnahme auf die dargestellten betrieblichen Bereiche der Unternehmenssimulation auf einem Arbeitsblatt (1. Zugang; vgl. Abbildung 5) festzuhalten. Im 2. Arbeitsblatt (zweiter Zugang) sollten die Lernenden diese betrieblichen Aktivitäten nach erneuter Exploration und Analyse des Unternehmensmodells wiederum beschreiben und erklären. Das Begriffswissen und Zusammenhangswissen wurde hierzu inhaltsanalytisch unter der Anwendung des vorliegenden Kategoriensystems (vgl. Tabelle 1) erhoben und ausgewertet. Die Erklärungsmuster der Lernenden wurden dabei nach 'Weltwissen‘ und 'kaufmännisch konformem Wissen‘ (SYDUS-Wissen) zur Unternehmenssimulation eingestuft. Bei der Abbildung der Erklärungsmuster zur zweiten Exploration ergibt sich eine deutliche Verschiebung der angeführten Beschreibung weg von alltäglichen Weltwissen hin zu systemischen, betriebswirtschaftlich angemessen Vorstellungen. Diese Auswertung lässt für das Begriff - und Zusammenhangswissen (Wissenskategorie 1-8) die Schlussfolgerung zu, dass die systemdynamische Notation geeignet ist, das Verständnis für die dargestellten betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge zu befördern. Die Lernerträge zum Lenkungswissen sind bei BERENDES (2002) einsehbar.

2.4.3  Wissensbestände zu den expressiven Lernsequenzen

In dieser Untersuchung werden ausschließlich solche Daten von Auszubildenden (n = 84) genutzt, die eigenständig Modelle mit instruktionaler Unterstützung von Arbeitblättern konstruieren (expressive Lernsequenzen). Diese Daten werden über die Anwendung von insgesamt drei expressiven Lernsequenzen (Materialwirtschaft, Personal sowie Marketing) erhoben. Dabei stehen zwei verschiedene Datenformate zur Verfügung, die verbalen Äußerungen auf den Arbeitsblättern und die computergestützten Modelle selbst (Systemdynamische Modelle). Ein systemdynamisches Modell wird als ein grafisches Lernexplikat eines Auszubildenden aufgefasst. Zur Kodierung werden die Wissenskategorien genutzt, die im Kategoriensystem (HILLEN 2004, 138ff.) dargestellt sind (vgl. Tabelle 1). Die Kategorienbildung stützt sich dabei auf Kriterien der Systemdynamik bzw. der Dynamischen Komplexität nach STERMAN (2000 ). Zur Analyse stehen systemdynamische Modelle (49) mit ihren zugehörigen Verbalisierungen auf den Arbeitsblättern (84) zur Verfügung. Die Ursache für die unterschiedliche Anzahl von Computermodellen und Arbeitsblättern liegt im Sachverhalt nicht ausreichender Rechnerarbeitsplätze begründet. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten dann zumeist in Partnerarbeit.

Eine ausführliche Darstellung des diagnostischen Ansatzes kann bei HILLEN (2004) eingesehen werden.

In der hier betrachteten Untersuchung wird der Frage nachgegangen, in wieweit die genutzten Notationssysteme Einfluss auf die explizierten Lernergebnisse haben. Dem liegt die Vermutung zu Grunde, dass das in den computergestützten Modellen wiedergegebene Wissen auf einer höheren Stufe des Kategoriensystems eingeordnet werden kann - also höher kodiert wird - als das in den verbalen Aussagen widergespiegelte Wissen. Es wird davon ausgegangen, dass das systemdynamische Symbolsystem eine unterstützende Wirkung im Sinne eines ‚cognitive tool' (SALOMON et al. 1991) auf die Formulierung komplexer Sachverhalte hat.


Verbale Aussagen
Aus der qualitativen Sicht auf die Daten (vgl. Abbildung 9) ergibt sich, dass in den verbalen Aussagen vor allem Wissen abgebildet wird, das den Kategorien K1 bis K3 zugeordnet werden kann, d. h. Begriffs- und lineares Zusammenhangswissen (vgl. Tabelle 1). Ursache-Wirkungsbeziehungen, die vernetztes Denken (Kategorie 5) widerspiegeln, werden in den verbalen Schüleräußerungen in weitaus geringerem Maße wiedergegeben. In Bezug auf das Lenkungswissen beschränken sich die verbalen Aussagen in erster Linie auf das Aufstellen von Ziel-Mittel-Beziehungen (Kategorie 9), die im Sinne von ULRICH & PROBST (1995) und FORRESTER (1972) noch nicht als Lenkungswissen verstanden werden.

Modelle

Über die rechnergestützten Modelle (grafische Notation) werden vor allem Ursache-Wirkungsbeziehungen zwischen den Systemkomponenten aufgestellt, wobei im Unterschied zu den verbalen Aussagen neben linearen Kausalitätsbeziehungen (K 2-4) auch vernetzte Strukturen offen gelegt werden (Kategorie 5). Im Gegensatz zu den Verbaldaten werden durch die konstruierten Modelle alle Kategorien des Lenkungswissens (Kategorien 9-14) abgedeckt, wobei einschränkend festzustellen ist, dass hier die Kategorie 9 (Aktionswissen) am stärksten vertreten ist und dass die Kategorien des mittleren und hohen Lenkungswissen (Kategorien 13 und 14) mit 1,4% bzw. 2,4% nur einen geringen Anteil aller Kodierungen umfassen.

Befunde

In Bezug auf die Fragestellung liefert die Auswertung der inhaltsanalytisch bearbeiteten Daten erste Belege dafür, dass Sprache und Modellbildung, als alternative Formen der Darstellung, von den Lernenden in unterschiedlichem Maße verwendet werden, um Wissen einer bestimmten Qualität abzubilden. Auf der Ebene des Systemwissens konnte gezeigt werden, dass im direkten Vergleich von verbaler Aussage und konstruiertem Modell über die Modellbildung tendenziell höhere Wissensqualitäten wiedergegeben werden können. Das Modellbildungssystem erweist sich im Sinne von SALOMON/ PERKINS/ GLOBERSON (1991) bzw. von JONASSON/ BEISSNER/ JACCI (1993) als ein kognitives Werkzeug, mit dem Auszubildende Lernergebnisse zum Verständnis von komplexen kaufmännischen Sachverhalten erzielen, die sie ohne dieses Werkzeug nicht erzielen können. Die aktive Nutzung des Modellbildungssystems im Unterricht erbringt einen bedeutsamen Ertrag.

3.  Fazit

Die Visualisierung der betriebswirtschaftlichen Grundstrukturen einer exemplarisch dargestellten Unternehmung in einem ganzheitlichen Zugang ermöglicht den Lernenden, Wechselwirkungen zu erkennen, die bei üblichen Erklärungsansätzen weitgehend unberücksichtigt bleiben. Die fokussierte Betrachtung einzelner Teilaspekte unter Nutzung der gleichen Notation führt zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Gegenstandsbereich, jedoch immer mit dem Blick auf das Gesamtunternehmen. In der Gestaltung dieses Zugangs zum Erwerb generischer kaufmännischer Erklärungsmuster mit den verschiedenen Aktivitäten der Exploration, der aktiven Modellbildung, der Lenkung unter kompetitiven Bedingungen wird ein instrumenteller Ansatz gesehen, der Forderung nachzukommen, Denken und Handeln in komplexen ökonomischen Zusammenhängen zu befördern.

 

Literatur

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DÖRNER, D. (1989): Die Logik des Mißlingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Reinbek.

FORRESTER, J.W. (1972): Grundzüge einer Systemtheorie (Principles of Systems). Wiesbaden.

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JOHNSON-LAIRD, P. N. (1988): The Computer and the Mind. An introduction to cognitive science. Cambridge.

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