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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Wirtschaft-live-Projekte in den Berufsfachschulen - Wirtschaft


 

 


1. Aktualität und Relevanz von Projektarbeit in den Berufsfachschulen - Wirtschaft

Die Diskussion über Unterrichtsgestaltung befasst sich im Rahmen handlungsorientierter Methoden zur Erlangung beruflicher Handlungskompetenz verstärkt auch mit Wirtschaft-live-Projekten. Diese haben sich an vielen berufsbildenden Schulen durchgesetzt. Sie sollen bei den Schülerinnen und Schülern der Berufsfachschulklassen Schlüsselqualifikationen fördern und sie damit bei der Berufsfindung unterstützen bzw. sie für die spätere Berufsausübung qualifizieren. Projekte werden darüber hinaus in Niedersachsen nicht nur in den Berufsfachschulen, sondern auch in den Fachgymnasien, Fachoberschulen sowie in Berufsschulklassen durchgeführt. Diese unterscheiden sich aber, wie die nachstehende Beschreibung zeigen wird, gravierend von den Wirtschaft-live-Projekten.

Wirtschaft-live-Projekte in den Berufsfachschulen - Wirtschaft haben an Bedeutung gewonnen. In diesen Schulformen befinden sich Schüler/innen mit und ohne Hauptschulabschluss (Ein- und Zweijährige Berufsfachschulen – Wirtschaft) sowie Realschulabsolventen (Einjährige Berufsfachschule – Wirtschaft für Realschulabsolventen, Höhere Handelsschule). Die curriculare Grundlage für die Wirtschaft-live-Projekte ergibt sich durch die Rahmenrichtlinien der genannten Schulformen.

Während es im Jahre 2001 e ntsprechend einer Erhebung an 97 berufsbildenden Schulen im Bundesland Niedersachsen „nur“ 52 Wirtschaft-live-Projekte an 22 Berufsfachschulen gab (vgl. NOLTE 2003a, 115 ff.), liegen heute in den meisten Schulen mit dieser Art der Unterrichtsgestaltung Erfahrungen vor, bzw. sind Kenntnisse vorhanden.

Nach der deutschen DIN-Norm 69 901 ist ein Projekt „…ein Vorhaben, das im Wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist.“ Neben dieser Projektdefinition gibt es unterschiedliche ähnlich lautende Erklärungsansätze für Projektarbeit.

Eine Sonderform der Projektarbeit stellen die Wirtschaft-live-Projekte dar. Auch hier gibt es Projekte, die einen eindeutigen Anfangstermin sowie ein klar bestimmtes Ende aufweisen. Da es die Schulen sowie die Lehrkräfte jedoch vor Probleme stellt, in jedem Schuljahr ein neues Projekt zu beginnen bzw. neue Ideen einzubringen, wird auf erfolgreiche, bereits durchgeführte Projekte zurückgegriffen. Vorhandene Materialien, Dateien, Ideen etc. werden genutzt und ggf. modifiziert (vgl. EILERS 2005). Obwohl die Vorhaben als "Projekt" bezeichnet werden, entsprechen sie nicht immer den Kriterien, die an Projektarbeit gestellt werden. Die Vorgehensweise entspricht nicht der Projektidee in ihrer Ursprungsform. In diesem Fall wäre der Begriff „Juniorfirma“ stimmiger als die Bezeichnung „Wirtschaft-live-Projekt“. Da es sich bei der Bezeichnung „Wirtschaft-live-Projekt“ um einen in der Schule etablierten Begriff handelt, bleibt er, trotz der Begriffsungenauigkeit bestehen.


2. Merkmale, Zielsetzungen und Konzepte

In Wirtschaft-live-Projekten werden Schülerfirmen geführt, die pädagogische Ziele verfolgen. Die unternehmerischen Tätigkeiten finden im „Schonraum“ der Schule statt. Dementsprechend versteht man unter Wirtschaft-live-Projekte eine Unterrichtsgestaltung mit realem Bezug zu außenstehenden Bezugsgruppen.

„Wirtschaft-live-Projekte“ lassen sich durch die nachfolgenden Merkmale charakterisieren:

•  Echtheit von Kundenkontakten,

•  reale Güterströme,

•  reale Geldströme,

•  tatsächliche Übernahme von Verantwortung und

•  echte Finanzbuchhaltung.

Neben den in den jeweiligen Rahmenrichtlinien genannten Anforderungen an einen effektiven und zielgerichteten Unterricht sowie den Anforderungen der Arbeitswelt an eine berufliche Grundbildung gibt es für Lehrkräfte weitere Kriterien, die für Wirtschaft-live-Projekte sprechen. Dazu gehören beispielsweise auch die gesteigerte Schülermotivation sowie ein erhöhtes Interesse am Unterricht.

Die Zielsetzung von Projekt-Unterricht ist eine Problemlösung, die in einer handelnden Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten erfolgt. Die Ideen zur Vorgehensweise werden im Verlauf der Lerntätigkeit von den Lernenden selbst entwickelt, wobei Hilfestellungen eigenständig angefordert werden sollten. Die Verlaufsstruktur ergibt sich durch die Planung. Bei der Zielsetzung müssen zudem die jeweiligen Rahmenrichtlinien Berücksichtigung finden. Während Projekte, die in Wahlpflichtkursen durchgeführt werden, relativ frei in der Planung und Durchführung sein können, sind im Fach Wirtschaftspraxis die Lernziele und Lerninhalte der jeweiligen Rahmenrichtlinien zu berücksichtigen. Da nicht jedes Projekt aufgrund eines zu lösenden Problems bzw. aufgrund der jeweiligen Aufgabenstellung des „Wirtschaft-live-Projektes“ diesen Anforderungen entspricht, müssen von den Lehrkräften teilweise Projekterweiterungen vorgenommen werden. (vgl. NOLTE 2003a)

Durch Schüler/innen gemachte Fehler haben in realen Situationen andere Konsequenzen als im simulierten Unterricht. Diese Unstimmigkeiten werden in Wirtschaft-live-Projekten oftmals von Kunden oder Lieferern festgestellt. Dadurch bietet sich für die Lehrkraft die einmalige Chance tatsächlich als Lernberater/in zu fungieren. Die Stellung der Lehrkraft im Unterricht verändert sich dadurch. Sie hat die Schüler nicht vor ein zu lösendes Problem gestellt, wie es oft im herkömmlichen Unterricht der Fall ist, sondern ist bei der Lösung behilflich.

Nachdem die Wirtschaft-live-Projekte ursprünglich nach der Methode von Frey durchgeführt wurden, ist zusehends festzustellen, dass die Projekte oder Teilaufgaben innerhalb des Projektes nach der Projektmethode geplant und durchgeführt werden. Hierdurch werden die Schüler zusätzlich vor die Aufgabe gestellt, Ziele eindeutig und überprüfbar zu formulieren und ihre Arbeit (ihr Lernverhalten) darauf einzustellen.


3. Arten von Wirtschaft-live-Projekten

Zahlreiche real existierende Geschäftsideen lassen sich im Wirtschaft-live-Projekt durchführen. Schwerpunktmäßig sind folgende Ausprägungen erkennbar:

Verkauf

- im direkten Kundenkontakt,

- Versandkauf (Im- und Export)

- E-Commerce sowie E-Bay-Projekte.

In der Produktpalette sind Büroartikel bzw. Schulbedarf, Sonderposten, Lebensmittel, Bilder, Moderatorenkoffer, Secondhand-Waren sowie Eine-Welt-Artikel usw. zu finden.

Dienstleistung , vorrangig

- als Veranstaltungs- und Eventagentur,

- Reisebüros und -beratung,

- Fahrradwerkstatt


4.  Umsetzungsprobleme

Die Umsetzungsprobleme bei Wirtschaft-live-Projekten sind vielschichtig. Sie ergeben sich beispielsweise durch Fragen der Finanzierung, Haftung und organisatorischen Möglichkeiten. Ein besonderer Fokus muss auf die subjektiven und objektiven Voraussetzungen bei den Lehrkräften sowie deren subjektiven Theorien gelegt werden.

Umsetzungsprobleme auf curricularer und rechtlicher Ebene

Als die ersten Wirtschaft-live-Projekte initiiert wurden, sahen die Rahmenrichtlinien der Berufsfachschulen – Wirtschaft diese Art der Umsetzung und die damit verbundenen Intentionen nicht vor. Vielmehr galt das Lernbüro als Standardform. Pädagogisch/didaktische Begründungen sowie die steigende Zahl der Projekte machten jedoch eine curriculare Absicherung erforderlich. So wurden Wirtschaft-live-Projekte erstmalig offiziell im Jahr 2001 durch die Rahmenrichtlinien der Zweijährigen Berufsfachschule – Wirtschaft ermöglicht. Seit 2005 gilt dieses auch für die Rahmenrichtlinien in der Einjährigen Berufsfachschule – Wirtschaft (Höhere Handelsschule).

Die Entscheidung, ob im Einzelfall Wirtschaft-live-Projekte durchgeführt werden dürfen, obliegt der Schulleitung. Grundsätze können in der Gesamtkonferenz beschlossen werden (Erlass des MK vom 07.09.1994). Bei vorliegender Genehmigung zur Durchführung von Wirtschaft-live-Projekten durch die Schulleitung muss für die am Projekt beteiligten Lehrkräfte sowie Schüler/innen die rechtliche Situation eindeutig geklärt sein. Dieses ist beispielsweise immer dann der Fall, wenn Verträge geschlossen und/oder Einnahmen erzielt werden bzw. Haftung durch die Schule übernommen werden muss.

Die Rechtsstellung der Schulen entspricht vom Prinzip her der einer Anstalt öffentlichen Rechts (v gl. § 1 Abs. 3, Satz 2 Niedersächsisches Schulgesetz). Während für mögliche Körperschäden bei schulischen Veranstaltungen der Schulträger haftet, ist die Haftungsfrage bezüglich finanzieller Schäden derzeit noch nicht allen Beteiligten klar. Die Budgetierung in den Schulen trägt hier zu einer Entspannung bei.

Sollte die Schulleitung für ein curricular erlaubtes Projekt haften müssen, ist die Verweigerung der Genehmigung von Projektarbeit denkbar. Aus diesem Grunde greifen die Schulen zu Lösungen, die nur als Übergangslösungen angesehen werden dürfen. In diesen Fällen ist ein Förderverein der jeweiligen Schule Träger der Projektarbeit. Dadurch sind abrechnungstechnische Probleme sowie die Haftungsfrage geklärt (vgl. NOLTE 2003a, 272 ff.). Der Förderverein muss per Ein- und Ausgabebuchführung nachweisen, dass er gemeinnützig und damit steuerbegünstigt ist (vgl. § 63, Abs. 3 der Abgabenordnung). Wenn der Umsatz derzeit nicht mehr als 30.678,00 € beträgt, erfolgt die Befreiung von Gewerbesteuer und Körperschaftssteuer.

Unterrichtliche Probleme

Bei der Durchführung von Unterricht können sich beispielsweise durch die nachstehenden Kriterien zahlreiche Probleme ergeben: Schülervoraussetzungen:

•  der Erwerb von Schlüsselqualifikationen,

•  der fächerübergreifende Ansatz,

•  die veränderte Lehrerrolle,

•  äußere und organisatorische Bedingungen,

•  Grenzen von Wirtschaft-live-Projekten sowie

•  die Geschäftsprozessorientierung

Zu etwaigen Umsetzungsproblemen wurden Lehrkräfte, die mit Wirtschaft-live-Projekten Erfahrungen gesammelt haben, befragt (vgl. NOLTE 2003a, 274 ff.). Das Ergebnis zeigte, dass es bezüglich der äußeren und organisatorischen Rahmenbedingungen noch großen Handlungsbedarf gibt. Eine untergeordnete Rolle spielen Probleme bezüglich des Erwerbs von Schlüsselqualifikationen und des interdisziplinären Ansatzes.

Die veränderte Lehrerrolle wurde von den befragten Lehrkräften als unproblematisch angesehen. Kritisch anzumerken ist an dieser Stelle jedoch, dass die Antworten von Lehrkräften gegeben wurden, die in Wirtschaft-live-Projekten tätig sind. Eine Differenzierung danach, ob Erfahrungen vorliegen oder nicht, fand in der Befragung nicht statt. Gespräche mit im Umgang von Wirtschaft-live-Projekten unerfahrenen oder diese Unterrichtsform für sich ablehnende Lehrkräften zeigt, dass die Gründe für die Ablehnung z. B. in den unterschiedlichen subjektiven Theorien über Lern- und Schülerverhalten liegen. Darüber hinaus ist verständlicherweise die Bereitschaft, ein bereits erprobtes, umfangreich vorbereitetes und kostenaufwendig umgesetztes Verfahren aufzugeben (z. B. Lernbüro) oder ggf. zu ergänzen, nicht gegeben.

5.  Die Bedeutung von Schülermotivation und Schülerinteresse für die Projektarbeit in den Berufsfachschulen - Wirtschaft

5.1 Motivation und Interesse

In Wirtschaft-live-Projekten tätige Lehrkräfte geben häufig an, dass die Schüler/innen motivierter lernen als im herkömmlichen Unterricht. Um Aufschluss darüber zu erhalten, ob diese Einschätzung zutreffend sein könnte, wurden drei Befragungen durchgeführt:

•  eine qualitative Befragung in einer Berufsfachschulklasse,

•  eine qualitative Befragung in fünf Berufsfachschulklassen einer Schule,

•  eine quantitative Befragung von mehreren (Die genaue Klassenanzahl kann nicht angegeben werden, da die Schulen die Fragebögen z. T. nicht klassenweise, sondern zusammengefasst zurückgeschickt haben. Schülerzahl = 469.) Berufsfachschulklassen in Niedersachsen.

Bei den ersten beiden Umfragen handelte es sich um eine Schülerbefragung entsprechend dem interessentheoretischen Ansatz. Hier wurden die Schüler/innen nach Informationen und Anregungen über die Art des Unterrichts, ihr Interesse, ihre Motivation und auch ihre Emotionen bezüglich ihrer Arbeit im Projekt befragt. Ferner sollten sie Stellung dazu nehmen, worin sie ihren größten Lernerfolg sehen. Ebenso sollte festgestellt werden, ob die Projektarbeit als Lehr-Lernarrangement im Sinne des interessentheoretischen Ansatzes Motivation und Emotionen der Schüler/innen berücksichtigt. Der Fragebogen wurde analog zu dem von SCHUNK (1993) aufgebaut.

Während sich die Interessen einer Person in ihren Vorlieben, Wertorientierungen und vorherrschenden Umweltbezügen äußern (vgl. PRENZEL/ KRAPP 1992) und auch als subjektiv bedeutsame Person-Gegenstands-Beziehung definiert werden können (vgl. FINK 1992), bezeichnet Motivation einen nicht direkt messbaren Prozess innerhalb des Menschen.

PRENZEL und Kollegen gehen in ihrer Interpretation von Motivation über die bisherige Einteilung von „extrinsisch“ und „intrinsisch“ hinaus (vgl. dazu z. B. SCHIEFELE/ SCHREYER 1994) und differenzieren zwischen amotivierter, extrinsischer, introjizierter, identifizierter, intrinsischer und interessierter Motivation (vgl. PRENZEL et al. 1996). Auf dieser Basis entwickelten sie einen Fragebogen, der nähere Auskunft über die Art Schülermotivation geben sollte. Er wurde hier auf Wirtschaft-live-Projekte in Berufsfachschulen - Wirtschaft übertragen und im Rahmen einer quantitativen Befragung von mehreren Berufsfachschulklassen in Niedersachsen von 469 Schülern und Schülerinnen beantwortet (vgl. NOLTE 2003b).

5.2  Ergebnisse der Befragungen

Ergebnisse der qualitativen Befragung in einer Berufsfachschulklasse

Befragt wurden 13 Schüler/innen einer Klasse II der Zweijährigen Berufsfachschule - Wirtschaft, die ein Wirtschaft-live-Projekt im Fach Wirtschaftspraxis durchführte. Diese Befragung wurde zweimal durchgeführt und zwar kurz vor Ende des ersten Halbjahres und kurz vor Ende des zweiten Halbjahres. Die Ergebnisse sind vergleichbar. Die Schüler/innen gaben verschiedene Situationen und Tätigkeiten an, in denen sie glaubten, viel gelernt zu haben. Neben fachbezogenen Lernerfolgen wurden hier insbesondere auch soziale und emotionale Aspekte genannt. Mit Ausnahme eines Schülers glaubten alle, dass sie durch diese Unterrichtsgestaltung jetzt kaufmännische Lerninhalte besser meistern könnten als zu Anfang des Schuljahres. Ebenfalls wieder mit Ausnahme eines Schülers gaben alle an, dass dieser Unterricht sie mehr motiviere als der Unterricht, den sie bisher erlebt hatten. Sie gaben jedoch kein eindeutiges Votum ab, ob sie diese Form der Unterrichtsgestaltung als Arbeit, Methode oder Spiel ansehen. Die positiven emotionalen Zustände hatten ein starkes Übergewicht in der Schülerbeurteilung. Bemerkenswert war die Hervorhebung der Rolle des aktiven Schülers in den Lehr-Lernprozessen (aktiv sein, Verantwortung übernehmen, selbstständiges Arbeiten usw.). Negative emotionale Zustände wurden kaum genannt. Das Interesse an diesem Unterricht und die Motivation durch ihn waren eindeutig größer als im traditionellen Unterricht. Ihren „persönlichen Lernerfolg“ verband der überwiegende Teil der Schüler/innen mit dem verbesserten Umgang mit anderen Menschen.

Die kritischen Anmerkungen der Schüler/innen zu Projektarbeit sind im Verhältnis zu den positiven Auswirkungen als marginal anzusehen.

Ergebnisse einer qualitativen Befragung in fünf Berufsfachschulklassen einer Schule

An dieser Befragung nahmen 119 Schüler/innen einer Einjährigen Berufsfachschule – Wirtschaft, die keinen schulischen Abschluss voraussetzt, drei Klassen für Realschulabsolventinnen und -absolventen sowie eine Klasse II der Zweijährigen Berufsfachschule - Wirtschaft teil. Alle Schüler/innen führten das Projekt im Fach Wirtschaftspraxis durch.

Die emotionalen Zustände waren auch bei diesen Schülern und Schülerinnen positiv. Lediglich die gesteigerte Kommunikationsfähigkeit trat hier nicht so sehr in den Vordergrund wie bei der ersten Befragung. Ein Grund könnte darin liegen, dass die kommunikativen Defizite bei diesen Schülern und Schülerinnen nicht so groß waren, da sich im Gegensatz zu den ersten Befragungen auch Realschüler/innen einbezogen waren. Beispiele für den Erwerb von Handlungskompetenz wurden auch hier zahlreich genannt. Dass der Kompetenzerwerb weit über die fachliche Qualifizierung hinausgeht, zeigten zahlreiche Situationsbeispiele. Die kritischen Anmerkungen der Schüler/innen sind im Verhältnis zu den positiven Auswirkungen ebenso wie bei der vorhergehenden Befragung als marginal anzusehen. Sie können aber durchaus als Hinweise für die Verbesserung von Projektarbeit verwandt werden. Obwohl die Angaben anonym und sanktionsfrei gemacht werden konnten, wurden fast keine negativen emotionalen Bezüge zur Projektarbeit hergestellt. 75 Schüler/innen (63 %) glaubten, dass sie neben dem Erwerb von Fachwissen u. a. auch Team- und Gruppenarbeit sowie Selbstständigkeit gelernt haben. 87 % der Schüler/innen brachten mit einem klaren „Ja“ zum Ausdruck, dass Projektarbeit ihnen Spaß macht; 83 % der befragten Schüler/innen fühlten sich durch die Projektarbeit motiviert.

Die Schüler/innen sahen in der Projektarbeit eine ernst zu nehmende Methode. Für 40 % der Schüler/innen war das Lernen im Wirtschaft-live-Projekt eine Methode, für 24 % Arbeit. Als reines Spiel fasste keiner diese Vorgehensweise auf.

Das Ergebnis der Erweiterung der Umfrage auf Schüler/innen von insgesamt fünf Projekten hat gezeigt, dass die Grundaussagen sich gleichen. Interesse und Motivation stellen für die Schüler/innen dominierende Faktoren bezüglich der Projektarbeit dar. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, um welche Art von Motivation es sich hierbei handelt. Dieses wird durch die nächste Befragung deutlich.

Diese Untersuchung zeigt lediglich, dass sich die Schüler/innen motiviert fühlen, sagt aber nichts über deren Qualität aus. Diese wird durch die nächste Befragung deutlich.

Ergebnisse einer quantitativen Befragung von mehreren Berufsfachschulklassen in Niedersachsen

Eine Befragung von 469 Schülern und Schülerinnen sollte die Art der Motivation in den Wirtschaft-live-Projekten darlegen. Außerdem wurden Bedingungen untersucht, die zum motivierten Lernen führen. In Anlehnung an DECI/ RYAN (1993) wurde von drei Bedingungen ausgegangen, die erforderlich sind, damit ein Mensch sein Lernen selbstbestimmt durch Identifikation regulieren kann. Demnach muss er sich in seinem Streben nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Einbindung unterstützt erleben. Dabei handelt es sich um notwendige Bedingungen für intrinsisch motiviertes Lernen. In der Untersuchung wurde Bezug genommen auf sechs theoretische Bedingungskomplexe, die selbstbestimmte Motivationsvarianten günstig beeinflussen (z. B. wahrgenommene inhaltliche Relevanz, wahrgenommene Instruktionsqualität, wahrgenommenes inhaltliches Interesse beim Lehrenden, wahrgenommene soziale Einbindung). Identifiziertes, intrinsisch motiviertes und interessiertes Lernen wird durch hohe Ausprägungen dieser motivationsrelevanten Bedingungen unterstützt; introjiziertes oder extrinsisch motiviertes Lernen oder Amotivation liegt bei schwach oder nicht ausgeprägten Bedingungen vor (vgl. PRENZEL et al. 1996, 110 f.; PRENZEL/ DRECHSEL 1996).

Erhebung : 469 Schüler/innen von Ein- und Zweijährigen Berufsfachschulklassen wurden im Februar und März 2002 befragt. 318 der befragten Schüler/innen führten das Wirtschaft-live-Projekt im Fach Wirtschaftspraxis durch, 73 im Wahlpflichtkurs, 77 in Wirtschaftspraxis und im Wahlpflichtkurs, einmal wurde kein Fach angegeben. Das Verhältnis zwischen Schülern mit und ohne Hauptschulabschluss und Realschülern ist in etwa ausgeglichen.

Ergebnisse bzgl. „Bedingungskomplexe für selbstbestimmte Lernmotivation“

Die Schüler/innen der Berufsfachschulen - Wirtschaft nahmen die inhaltliche Relevanz der Projektarbeit deutlich wahr. Sie erkannten sehr klar den Bezug zur beruflichen Praxis. Dabei sahen sie Verbindungen zwischen der Projektarbeit und anderen Inhalten bzw. Tätigkeiten und konnten mit dem Gelernten auch außerhalb des Berufes etwas anfangen. Ein erweiterter Kompetenzerwerb der Schüler/innen durch die Projektarbeit wurde deutlich. Die Instruktionsqualität, die Auskunft über die Klarheit und Transparenz der Projektarbeit gibt, war vorhanden. Es standen geeignete Hilfsmittel für die Aufgaben zur Verfügung, die Schüler/innen erhielten einen Überblick über die geplanten Vorgehensweisen und wurden über die Lernziele informiert.

Lehrkräfte zeigten, wie sie selbst Aufgaben und Probleme lösten. Sie trugen, bezogen auf Projektarbeit, in einem relativ hohen Maße den Stoff selbst vor bzw. stellten ihn dar. Es wurde mit der Theorie begonnen und dabei von Beispielen der Praxis ausgegangen. Die Lehrer/innen betonten oft, dass der Stoff für die Bewertung wichtig sei. Diese Aussage zeigt, dass entweder die Schüler/innen (noch) nicht in der Lage waren, im Sinne der Projektidee vorzugehen, nämlich die Probleme durch Eigeninitiative selbstständig zu lösen oder sich die Lehrkräfte von ihrer herkömmlichen Rolle als Wissensvermittler nicht lösen konnten. Grundsätzlich werden auf diesem Wege die Klarheit und Transparenz von Aufgaben unterstützt. Unter Hinzuziehung der Aussagen bezüglich der Über- und Unterforderung kann jedoch die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich die Lehrkräfte bei den Erläuterungen stärker zurückhalten könnten, denn die Schüler/innen fanden den Stoff weder zu schwierig noch ging es ihnen zu schnell. Die Stofffülle schien angemessen zu sein.

Die Schüler/innen erarbeiteten sich überdurchschnittlich oft den Stoff gemeinsam mit anderen Mitschülern und hatten den Eindruck, selbst kreativ an der Weiterentwicklung des Projektes mitgewirkt zu haben. Den Lehrkräften haben sie angemerkt, dass sie sich gerne mit der Sache beschäftigen. Diese Aussage lässt den Schluss zu, dass die Schüler/innen nach einer einführenden Erläuterung bzw. Erklärung seitens der Lehrkräfte den Stoff in Gruppen selbstständig erarbeitet haben.

Die soziale Einbindung der Schüler/innen im Rahmen der Projektarbeit war gut. Sie hatten das Gefühl, dazuzugehören und ernst genommen zu werden. Das Arbeiten fand in einer freundschaftlich entspannten Atmosphäre statt. Die wahrgenommene Kompetenzunterstützung war ebenso gegeben wie die Unterstützung der Autonomie.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Daten bezüglich der Bedingungskomplexe eine selbstbestimmte Methode und damit ein selbstbestimmtes Lernen zulassen. Diese Untersuchungsergebnisse unterscheiden sich im Übrigen nicht gravierend von denen, die PRENZEL und Kollegen (1996) in ihren Forschungen mit Bürokaufleuten herausfanden.

Ergebnisse bzgl. Varianten der Lernmotivation

Der Mittelwert lag bei einer 6-stufigen Skala von 0 - 5 (0 = nie, 5 = sehr häufig) im Bereich der identifizierten Motivation (M = 3,4), gefolgt von der introjizierten Motivation (M = 3,31). Das zeigte sich deutlich in der Aussage „ich wollte selbst den Stoff verstehen/beherrschen“. Den Schülern der Berufsfachschule war klar, dass sie die Inhalte der Projektarbeit für ihren späteren Beruf „können“ müssen. Sie setzten sich somit ein, um ihren eigenen Zielen ein Stück näher zu kommen. Dabei lernten sie auch, wenn die Inhalte und Tätigkeiten nicht besonders reizvoll waren. Sie wollten über das Lernen eigene Ziele erreichen.

Es gab einen relativ hohen Anteil an Schüler/innen, die intrinsisch lernten. Ihnen machte „das Lernen/Arbeiten richtig Spaß“ (M = 3,01) und die Zeit „verging wie im Flug“ (M = 3,00). Diese Form des selbstbestimmten Lernens erfolgte unabhängig von äußeren Einflüssen und lag in den Problem- und Aufgabenstellungen und der Projektarbeit begründet. Auch interessiertes Lernen gab es in den Wirtschaft-live-Projekten. Dies zeigt die Tatsache, dass Schüler/innen angaben, aus Neugier und/oder Wissbegierde zu lernen (M = 2,91). Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass es auch Schüler/innen gab, die amotiviert bzw. external motiviert waren.

Negative Empfindungen im Zusammenhang mit den Wirtschaft-live-Projekten lagen bei einem Mittelwert von 1,78 und sind demnach nicht gravierend. Im Zusammenhang mit der Projektarbeit gibt es mehr positive als negative Empfindungen. Die Empfindung „unangenehm“ lag im niedrigsten und die Empfindung „anstrengend“ im höchsten Bereich. Die Inhalte wurden als wichtig für die weitere Ausbildung und den Beruf sowie für das zukünftige Leben angesehen. Prüfungen waren für dieses Schülerklientel im Prinzip relativ unbedeutend.

Ausprägung der Befunde nach Schulformen

Zwischen den Realschülern und den Schülern mit und ohne Hauptschulabschluss ist in der Projektarbeit kein nennenswerter Unterschied festzustellen. Auffällig ist allerdings, dass die Lehrkräfte den Schülern der Zweijährigen Berufsfachschule - Wirtschaft sowie denen der Einjährigen Berufsfachschule - Wirtschaft ohne besondere Eingangsvoraussetzungen stärker selbst vorführen, wie sie Probleme lösen (Abweichung der Mittelwerte um 0,75) als den Realschülern. Ihnen wird offensichtlich nicht so sehr zugetraut, die Probleme selbst bzw. ohne Anleitung zu lösen, wie den Schülern mit einem höheren Schulabschluss. Die Zeiteinteilung wird von den Realschülern stärker selbst vorgenommen als von der anderen Schülergruppe. Die Schüler mit den schlechteren Lernvoraussetzungen empfanden den Unterricht als anstrengender (vgl. NOLTE 2003a, 313 ff).


6.  Schlussbemerkung

Wirtschaft-live-Projekte haben sich aus den Erfahrungen der praktischen Unterrichtsarbeit entwickelt und tragen dazu bei, die Ausbildungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern zu fördern. Die Umsetzung des Leitzieles beruflicher Handlungskompetenz findet in der Projektarbeit ihren Niederschlag, da z. B. neben erhöhten Sozial- und Methodenkompetenzen auch Fachwissen erworben wird.

Nicht nur die Wahlpflichtkurse, sondern auch das Fach Wirtschaftspraxis bieten viele Möglichkeiten, in den Projekten durch unterschiedliche Unterrichtsmethoden und Sozialformen berufliche Handlungskompetenz zu erwerben. Das führt zu einem interessanten, motivierenden und lernfördernden Unterricht. Durch die Möglichkeit eines erweiterten Kompetenzerwerbs kann zudem auf veränderte Anforderungen der Wirtschaft eingegangen werden. Die Erhebungen haben gezeigt, dass sich Schüler/innen mit und ohne Hauptschulabschluss durch die Wirtschaft- live-Projekte ebenso motiviert fühlen wie Realschulabsolventen und -absolventinnen.

In der Projektarbeit ist es genauso wichtig wie in anderen Lernfirmen auch, die Übertragung der gemachten Erfahrungen sowie des erworbenen Wissens mit den Schülern zu thematisieren und zu reflektieren. Es ist erforderlich, die wirtschaftlichen Prozesse und Zusammenhänge im Rahmen des interdisziplinären Ansatzes auch in anderen Lernfeldern (Fächern) zu betrachten. Aus diesem Grunde ist nicht nur eine methodische, sondern insbesondere auch eine inhaltliche Abstimmung zwischen den Kollegen/Kolleginnen dringend geboten, damit die von den Schülern im Wirtschaft-live-Projekt in einem für sie nachvollziehbarem Niveau erworbenen (Er)Kenntnisse auf wirtschaftliche Situationen übertragen werden können.

 

Literatur

DECI, E. L./ RYAN, R. M. (1993): Die Selbststimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39 (2), 223–237.

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FREY , K . (1993): Die Projektmethode. Weinheim.

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NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (1996): Rahmenrichtlinien für die Unterrichtsfächer Englisch/Kommunikation, Allgemeine Wirtschaftslehre, Rechnungswesen/Controlling, Wirtschaftspraxis und Bürokommunikation sowie für die Wahlpflichtkurse der Einjährigen Berufsfachschule – Wirtschaft –, Einjährigen Berufsfachschule – Wirtschaft für Realschulabsolventinnen und Realschulabsolventen (Höhere Handelsschule). Hannover.

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