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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Geschäftsprozesse im Modellunternehmen – das niedersächsische Modell der Lernbüroarbeit

 

 

 

Im Zeitraum von über 10 Jahren wird mittlerweile handlungsorientierte Lernbüroarbeit an niedersächsischen kaufmännischen berufsbildenden Schulen umgesetzt. Die folgenden Ausführungen skizzieren die curricularen Grundlagen, auf denen das Modell der Lernbüroarbeit in Niedersachsen basiert. Dabei werden zunächst die betreffenden Schulformen (1) genannt, anschließend werden die gültigen didaktischen Standards (2), d.h. die Grundsätze der Modellierung, auf denen die Lernbürokonzepte basieren, aufgezeigt. Die Modellierungsstandards sind eingebettet in das didaktische Gesamtkonzept der Handlungsorientierung (3). In welcher Form die unterrichtliche Umsetzung der Lernbüroarbeit in den Curricula beschrieben wird bzw. wurde, zeigt das beschriebene Phasenmodell (4). Am Beispiel des Lernbüros der berufsbildenden Schulen in Jever „G. Fortuna GmbH“ werden einzelne Aspekte der praktischen Bewährung und daraus resultierender Entwicklungsperspektiven reflektiert (5). Ein Ausblick (5) zu aktuellen Fragestellungen schließt die Ausführungen ab.

1.  Schulformen

Eine curriculare Implementation der Lernbüroarbeit erfolgte erstmals 1996 (NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 1996). Nach einer Phase der Entwicklung und Erprobung wurden entsprechende didaktische Überlegungen zur Umsetzung von Lehr-Lernprozessen in einem schulischen Lernbüro im Rahmen eines neuen Faches „Wirtschaftspraxis“ konkretisiert. Bisher wird Lernbüroarbeit in den Rahmenrichtlinien der folgenden Schulformen als eine Variante der konkreten Arbeit in und an einem Modellunternehmen gefordert:

•  in der einjährigen Berufsfachschule Wirtschaft für Realschulabsolventinnen und ­-absolventen

•  in der zweijährigen Berufsfachschule Wirtschaft (Eingangsvoraussetzung Hauptschulabschluss)

•  in der Berufsfachschule kaufmännische Assistentin/kaufmännischer Assistent für Wirtschaftsinformatik.

2.  Didaktische Standards

In den Curricula der genannten Schulformen werden Grundsätze ökonomischer Modellierungen genannt, die als Zielformulierungen auch in neuen Rahmenrichtlinien fortgeschrieben und weiterentwickelt wurden (vgl. NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 2005, 4 f.) und somit über den Zeitraum von 10 Jahren den Charakter didaktischer Standards angenommen haben, an denen sich die Umsetzung der jeweiligen Lernbürokonzeption ausrichten muss.

Im Einzelnen werden die folgenden didaktischen Grundsätze der Modellierung genannt (vgl. NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 2001, 11 ff., NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 2005, 4 f.):

1. Orientierung an unternehmerischen Zielsetzungen

Die Arbeit im Lernbüro muss sich für alle Schülerinnen und Schüler erkennbar an der Erreichung der Unternehmensziele des Modellunternehmens orientieren; sie darf sich insbesondere nicht auf die Verkettung kaufmännischer Sachbearbeitertätigkeiten unter dem Kriterium formaler Korrektheit beschränken. Die Unternehmensziele und das Leistungsprogramm sind mit den Schülerinnen und Schülern zu reflektieren und festzulegen bzw. fortzuschreiben; dabei sind auch nicht-monetäre Ziele, z.B. ökologischer oder sozialer Art, zu berücksichtigen. Im Verlauf der Arbeit im Modellunternehmen sollen erfolgsrelevante Daten erarbeitet und ausgewertet werden. Eine zielbezogene Auswertung der Geschäftsprozesse soll unter Beteiligung aller Schülerinnen und Schüler erfolgen.

2. Eröffnung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen für Schülerinnen und Schüler

Die Arbeit im Modellunternehmen soll nicht nur auf die Beherrschung von Routinetätigkeiten abzielen, sondern die Schülerinnen und Schüler auch mit Aufgaben konfrontieren, die Zielkonflikte und Spielräume für entscheidungsorientiertes Handeln beinhalten.

Die Vorgaben, die die Schülerinnen und Schüler zur Bewältigung ihrer Aufgaben in der jeweiligen Abteilung erhalten (Handlungsanweisungen, Arbeitsimpulse), dürfen daher auch nicht zu eng gefasst werden und müssen die o. a. Freiräume vorsehen.

3. Beteiligung der Lernenden an Planungs- und Auswertungsprozessen

Begleitende Reflexionen der Unternehmenstätigkeit unter Beteiligung aller Schülerinnen und Schüler sind ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit im Modellunternehmen. Als mögliche Organisationsformen dieser begleitenden Reflexionen bieten sich u. a. an:

•  Berichte

•  Besprechungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen

•  Betriebsversammlungen

•  Abteilungskonferenzen

In diesem Rahmen sollen Schülerinnen und Schüler die erforderlichen Daten aufbereiten und präsentieren.

4. Stimmige und ökonomisch glaubwürdige Repräsentation der Unternehmens­daten (Modellierung eines kleinen bis mittleren Betriebes wie auch die Verwendung des geltenden Handelsrechts und des darauf abgestimmten Kontenrahmens). Es wird die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft (GmbH oder kleine AG) empfohlen. Die Kapitalgesellschaft ermöglicht eine betriebswirtschaftliche Interpretation der Werte, ohne dass die Problematik der Abgrenzung von Privat- und Betriebssphäre beachtet werden muss.

Die Daten des Modellunternehmens müssen stimmig und ökonomisch glaubwürdig modelliert sein. Dies betrifft z.B. das Verhältnis von Umsatzhöhe und Kostenstruktur bzw. von Bestands- und Bewegungsmengen.

Dabei ist zu beachten, dass die Chance bestehen muss, die Unternehmensziele zu erreichen und insbesondere Gewinn zu erzielen. Ferner sollen die Daten dem Kriterium der Realitätsbezogenheit (z.B. Preise, Konditionen, Umsätze) entsprechen.

5. Systemorientierung durch Modellierung einer entsprechenden Aufbauorganisation und durch Außenbeziehungen zu (realen oder simulierten) Geschäftspartnern und Märkten, Dienstleistungsunternehmen und staatlichen Einrichtungen sowie sonstigen Umweltbereichen des Unternehmens.

6. Zunehmende Prozessorientierung durch ganzheitliche Vorgangsbearbeitung und kritische Analyse der jeweiligen Ablauforganisation (die Ausgangslage kann eine funktionsorientierte und extrem arbeitsteilige Vorgangsbearbeitung sein).

7. Funktionsfähiges Rechnungswesen, das Steuerungs- und Kontrollzwecken dient und auf einer ordnungsmäßigen Dokumentation basiert

Im Rahmen der Arbeit im Modellunternehmen soll von den Schülerinnen und Schülern eine ordnungsgemäße Finanzbuchhaltung durchgeführt werden. Dabei ist das Buchen auf Debitoren- und Kreditorenkonten obligatorisch. Es sollen Abschlüsse erstellt und Auswertungen vorgenommen werden, deren Ergebnisse in der weiteren Arbeit im Modellunternehmen zu berücksichtigen sind (z.B. Umsatzentwicklung, Ertragslage, kundenspezifische Auswertungen). Das Rechnungswesen soll ferner Formen der Terminüberwachung sowie das kaufmännische Mahnwesen beinhalten.

8. IT-Einsatz unter Einbezug kaufmännischer Standardsoftware , Internetnutzung sowie entsprechender Formen der Tele- und Bürokommunikation.

9. Didaktische Steuerung und Kontrolle der Tätigkeiten im Modellunternehmen

Das Konzept der Arbeit im Modellunternehmen muss die Möglichkeit bieten, dass die Lehrerinnen und Lehrer durch Einspeisung gezielter Impulse in den Arbeits- und Funktionszusammenhang Problemstellungen oder Handlungen initiieren können, die aus didaktischen Gründen wünschenswert sind. Dies soll insbesondere in Form didaktisch sinnvoller Eingaben aus dem simulierten Umfeld des Modellunternehmens geschehen (z.B. Geschäftspartner, Tariferhöhungen).

Es ist sicherzustellen, dass die Lehrerinnen und Lehrer die Möglichkeit haben, die wirtschaftlichen Abläufe des Modellunternehmens nachzuvollziehen und den aktuellen wirtschaftlichen Status festzustellen (z.B. Vermögens- und Ertragslage, Liquidität, Umsätze). Dies kann auf der Grundlage der Buchführung des Modellunternehmens oder auch durch parallel laufende Kontroll- und Dokumentationsverfahren erfolgen.

Durch geeignete Kontrollmechanismen ist sicherzustellen, dass Fehler im Arbeitsablauf oder in der Bearbeitung von Vorgängen durch die verantwortlichen Lehrerinnen und Lehrer rechtzeitig erkannt werden können, um ihnen die Möglichkeit zu frühzeitiger und pädagogisch sinnvoller Rückmeldung zu eröffnen.

3.  Handlungsorientierung

Die didaktisch-methodische Umsetzung der Rahmenrichtlinien der genannten Schulformen folgt dem Leitgedanken der Handlungsorientierung kaufmännischer Lehr-Lernprozesse. In diesem Zusammenhang wird dem Lernhandeln in einem Modellunternehmen in den entsprechenden Curricula zentrale Bedeutung zugemessen:

„Die Arbeit in einem Modellunternehmen ist zentraler Baustein des handlungsorientierten Unterrichtskonzeptes dieser Rahmenrichtlinie. Es geht darum, den Schülerinnen und Schülern einen komplexen Handlungs- und Erfahrungsraum zu eröffnen, in dem sie den Ziel- und Zweckbezug kaufmännischen Handelns ebenso als handlungsleitend erfahren wie sie die Verknüpfung dispositiven und operativen Handelns und Denkens unmittelbar erleben und reflektieren. Es geht nicht um die übende Anwendung des in der Theorie vorab Gelernten oder ein bereichsbezogenes Training.“ (NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 2001, 10).

Die Arbeit in einem Modellunternehmen ist zentrales „Element und Bezugspunkt des handlungsorientierten Unterrichtskonzeptes“ (NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 2005, 2). Auch in den neuen lernfeldorientierten Rahmenrichtlinien der einjährigen Berufsfachschule wird dieser Aspekt hervorgehoben: „Die inhaltliche Vernetzung der einzelnen Lernfelder wird mit Hilfe eines arbeitsakzentuierten Modellunternehmens im Lernfeld 6 `Im Modellunternehmen geschäftsprozessorientiert arbeiten` gefördert“ (NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 2005, 4).

4.  Umsetzung

Die didaktisch-methodische Umsetzung der curricularen Vorgaben erfolgt je nach Schulform im Fach Wirtschaftspraxis oder in entsprechenden Lernfeldern („Im Modellunternehmen geschäftsprozessorientiert arbeiten“, LF 6 der einjährigen Berufsfachschule, „Arbeit in und an einem Modellunternehmen“, LF 5 der Berufsfachschule kaufm. Assistent für Wirtschaftsinformatik).

Für das Fach Wirtschaftspraxis wurde ein curriculares Phasenmodell entworfen, das die schulische Umsetzung der komplexen Lehr- Lernprozesse im Lernbüro strukturiert. Insbesondere während der Aufbauphase der Lernbüros an den Schulen unterstützte dieses Phasenmodell die didaktische Steuerung des Unterrichts und gab Anregungen zu inhaltlichen Sequenzierungen (vgl. NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 2001, 22 ff.):

Phase I: Das Modellunternehmen und seine Außenbeziehungen

Die erste Phase ist als ökonomisch akzentuierte Einstimmungs- und Orientierungsphase in die Arbeit im Modellunternehmen zu verstehen und dient nicht nur einer arbeitstechnisch ausgerichteten Vorbereitung der praktischen Arbeit.

Sie soll eine lebendige Vorstellung vom Modellunternehmen vermitteln, indem z.B. die Marktbeziehungen, das Leistungsspektrum des Unternehmens, die Belegschaft, die Produkte vorgestellt werden und indem die einzelnen kaufmännischen Tätigkeiten in den Sinn- und Funktionszusammenhang des Modellunternehmens eingeordnet werden.

Eine sinnvolle Ergänzung kann hierbei eine Erkundung der Oberstufenarbeit im Modellunternehmen sein (Lernende der Unterstufe erkunden Unterricht der freien Phase in der Oberstufe). Die Lerngruppen der Oberstufe erhalten hierdurch einen motivierenden Anlass für Präsentationen ihres Modellunternehmens.

Das elementare Verständnis ökonomischer Zusammenhänge soll sich somit auch auf grundlegende Probleme und Maximen wirtschaftlichen Handelns (Knappheit, Rationalitätsprinzip, Rechtmäßigkeit, soziale und ökologische Verpflichtung, Entwicklung der Informations- und Telekommunikationstechnologien u.a.) erstrecken. Damit werden wesentliche Voraussetzungen für das spätere Lernhandeln mit prozessorientierter Arbeitsteilung im Modellzusammenhang, für das Lernen im Modell, geschaffen.

Zugleich soll es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden, die für die Modellierung notwendigen Reduktionen, Akzentuierungen und Ergänzungen gegenüber realen Wirtschaftsunternehmen zu erkennen und so ein Lernen am Modell, eine Übertragung des Gelernten auf realwirtschaftliche Verhältnisse vorzunehmen.

Hierüber wird schließlich auch eine Möglichkeit zur Verzahnung aller kaufmännischen Kernfächer eröffnet, indem nunmehr von Anfang an ein komplexes inhaltliches Bezugssystem angeboten wird, das auch aus den unterschiedlichen fachspezifischen Perspektiven beleuchtet werden kann.

Bei der Vorstellung des Modellunternehmens kommt dem Einsatz schüleraktiver Lernformen wesentliche Bedeutung zu. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich anhand konkreter Entscheidungssituationen bzw. Problemstellungen und unter Nutzung unterschiedlicher Informationsangebote (z.B. Informationstexte, Unterlagen aus dem Modellunternehmen, Fachbücher, elektronische Lexika, multimediale Präsentation des Modellunternehmens, Internet, Intranet, Video, Dias, Expertenbefragungen und Betriebserkundungen) mit den Merkmalen, Bedingungen und Regelungen des Modellunternehmens vertraut machen. Zur Abrundung der modellbezogenen Eindrücke sollten Informations-, Recherche-, Kommunikations- und Präsentationsprojekte angeboten werden.

Die Durchführung dieser Phase soll in enger Abstimmung mit dem planspielgestützten Lerngebiet „Das Unternehmen als komplexes ökonomisches und soziales System“ im Unterrichtsfach „Allgemeine Wirtschaftslehre“ erfolgen, über das sich die Einbettung des Unternehmens in Absatz- und Beschaffungsmärkte darstellen und die Ziel- und Zweckorientierung unternehmerischen Handelns aufzeigen lässt.

Phase II: Informationsströme und informationsbezogene Grundtätigkeiten im Modellunternehmen

In dieser Phase steht die Erarbeitung der Informationsströme im Vordergrund, die die Güter- und Geldströme vorbereiten und begleiten und die das innerbetriebliche Informationssystem begründen. Im unmittelbaren Zusammenhang damit werden die informationsbezogenen kaufmännischen Grundtätigkeiten vorgestellt, die in diesem Zusammenhang auftreten. Die Bedingungen, Chancen und Risiken des elektronischen Handels sind zu berücksichtigen.

In dieser Phase soll der absatz- und beschaffungsorientierte Geschäftsprozess aus dem Funktionszusammenhang des Modellunternehmens erarbeitet werden. Die Schülerinnen und Schüler lernen die prozessorientierte Arbeitsteilung belegorientiert kennen. Abschließend erfolgen als Übergang zum stellenbezogenen Arbeiten die förmliche Bewerbung der Schülerinnen und Schüler auf bestimmte Stellen im Modellunternehmen und die Durchführung des Besetzungsverfahrens.

Es ist grundsätzlich möglich, aber im Sinne einer Konzeption handlungsorientierten Lernens nicht empfehlenswert, dass die Schülerinnen und Schüler die prozessorientierten Vorgänge unter Anleitung der Lehrkraft schrittweise vollständig abarbeiten. Die Arbeitsergebnisse dieser Phase sollen den Schülerinnen und Schülern als Grundlage für die nachfolgende Phase mit prozessorientierter Arbeitsteilung zur Verfügung stehen. Dabei ist sicherzustellen, dass diese Unterlagen inhaltlich und formal korrekt sind. Die erarbeitete Gesamtdokumentation kann den Schülerinnen und Schülern in einem Intranetkonzept präsentiert werden. Dabei sollte die Möglichkeit bestehen auch kurzfristig bedarfsgerecht Veränderungen vorzunehmen.

Phase III: Stellenbezogene Tätigkeiten im Situationszusammenhang des Modellunternehmens

Die Schülerinnen und Schüler sollen in dieser Phase über praktische Tätigkeiten im Rahmen prozessorientierter Arbeitsteilung eine Einsicht in die ganzheitlichen Arbeitszusammenhänge des Modellunternehmens gewinnen und sie sollen erkennen, dass und in welcher Weise diese Tätigkeiten an der Erreichung unternehmerischer Zielsetzungen ausgerichtet werden. Die klassische funktionsorientierte Betriebsorganisation ist im Hinblick auf die Entwicklung zur Geschäftsprozessorientierung zu reflektieren. Die klassischen beleggebundenen Informationsströme sind in ihrer Entwicklung zum standardisierten Geschäftsdokument im elektronischen Handel zu reflektieren. Zugleich soll die Lerngruppe hierdurch für den kaufmännisch-verwaltenden Bereich grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen erwerben.

Aus der Arbeit dieser Phase können Projekte (Informations-, Recherche-, Kommunikations- und Präsentationsprojekte) für solche Inhalte angeboten werden, die sich nicht integrativ im Funktionszusammenhang der arbeitsteiligen Tätigkeit vermitteln lassen. Der Umfang derartiger Projekte sollte insgesamt einen Zeitanteil von 20 Unterrichtsstunden nicht übersteigen.

Phase IV: Auswertung der Arbeit im Modellunternehmen

In dieser Phase sollen die Schülerinnen und Schüler eine abschließende Beurteilung der Arbeit des Modellunternehmens vornehmen und zu einer Verbalisierung und Systematisierung der Erfahrungen gelangen, die sie im Zuge ihrer Tätigkeit im Modellunternehmen im funktionalen und sozialen Bereich gewonnen haben. Dabei sollen Bezüge zu realwirtschaftlichen Verhältnissen und zu den Inhaltsbereichen der anderen Unterrichtsfächer hergestellt werden.

Schließlich soll eine Gesamtbeurteilung der Arbeit im Modellunternehmen im Hinblick auf die beruflichen Perspektiven der Schülerinnen und Schüler erfolgen.

Bei der Auswertung der Arbeit im Modellunternehmen soll sichergestellt werden, dass die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit haben, ihre Erfahrungen im Funktions- und Sozialzusammenhang zu durchdenken, zu verbalisieren und mit den Erfahrungen und Erwartungen anderer – auch der Lehrenden – in Beziehung zu setzen. Dies ist allein im gelenkten Klassengespräch nicht zu erreichen; über einen Wechsel der Sozial- und Aktionsformen sind die erforderlichen Freiräume für individuelle Reflexionen, für die gemeinsame Auswertung in Kleingruppen, wie auch letztlich im Klassenverband zu eröffnen.

Inhaltlich sollte in dieser Phase ausdrücklich an die Fragestellungen und Perspektiven der ersten Phase angeknüpft werden. Dies gilt einerseits – hinsichtlich des Lernens im Modell – für die Ausrichtung der Arbeit im Modellunternehmen an betrieblichen Zielsetzungen und andererseits – hinsichtlich des Lernens am Modell – für den Vergleich der Arbeit im Modellunternehmen mit realwirtschaftlichen Strukturen und Prozessen.

Die Durchführung von Betriebsbesichtigungen oder Erkundungsprojekten in Unternehmen sollte integraler Bestandteil der Auswertungsphase sein. Hierdurch soll es ermöglicht werden, Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Zusammenhang Modellunternehmen im Vergleich mit realwirtschaftlichen Verhältnissen zu überprüfen, einzuordnen und zu ergänzen. Besonderes Gewicht sollte dabei dem sozial-kommunikativen Bereich zukommen.

In diese Phase können auch die im Betriebspraktikum gewonnenen Erfahrungen und Kenntnisse eingebracht werden.

 

5.  Praktische Bewährung und Entwicklungsperspektiven am Beispiel des Lernbüros der berufsbildenden Schulen in Jever „G. Fortuna GmbH“.

Die didaktische Umsetzung der curricular geforderten Elemente erfolgte und erfolgt an den BBS Jever nach wie vor in einem gestuften Prozess, in dem schrittweise und u.a. mit einzelnen Bausteinen die didaktische Konzeption des Lernbüros entwickelt wird.

Ein Team von Fachtheorie- und Fachpraxislehrkräften hat in der Startphase (1988/89) zunächst wesentliche Materialien erarbeitet und mit Daten hinterlegt. Damit entstanden Ansatzpunkte eines Modells im Sinne der o.g. didaktischen Standards. Außerdem wurde in dieser Phase der Lernort „Büro“ geplant und realisiert, d.h. die räumliche und sächliche Ausstattung wurde beschafft und das Lernbüro eingerichtet.

An den BBS Jever wird Lernbüroarbeit in allen aufgeführten Schulformen durchgeführt. Die parallele Entwicklung und Veränderung der o.g. Richtlinien machte es bis zur Gegenwart erforderlich, dass immer wieder Bereiche der Modellierung angepasst und weiterentwickelt werden mussten:

•  So wurde die Arbeit zunächst als Großhandlung für Bürobedarf in Form einer Kommanditgesellschaft, mit einem Sortiment aus Bürobedarfsartikeln, Büromöbeln und –maschinen, gestartet (1989).

•  In einer zweiten Phase wurde das Sortiment gestrafft (zwei Warengruppen), die Anzahl der Artikel und insbesondere der unterschiedlichen Ausführungen wurde aber erweitert, so dass sich insgesamt die Komplexität des Modells erhöhte. Beschaffung und Lagerhaltung wurden entsprechend verändert. Rahmenvereinbarungen mit Lieferanten gewährleisten einen Mindestumsatz, Kostenstrukturen wurden modelliert, um der curricular geforderten Modellstruktur zu entsprechen.

•  Alle Lernenden erhalten eine umfangreiche Material-, Beleg- und Arbeitsblattsammlung, die jeweils aktualisiert wird. Dieser Reader unterstützt die einzelnen Phasen der Lernbüroarbeit (s.o.) und eröffnet gleichzeitig anderen Lehrkräften die Möglichkeit, diese Materialien zur Generierung von Fall- und Lernsituationen in ihrem Unterricht zu verwenden (Möglichkeit der Fächer- bzw. Lernfeldverzahnung).

•  Mittlerweile wird das Lernbüro als GmbH geführt und Überlegungen zur Geschäftsprozessorientierung werden in der Umsetzung erprobt (teilweise Aufhebung der Funktionsorientierung, kundenorientierte durchgängige Bearbeitung von Aufträgen durch Prozessteams; vgl. didaktische Standards).

•  Insbesondere die Einarbeitung in neue Software musste im Rahmen der Modellveränderungen begleitend erfolgen. Während die Arbeit zunächst mit Apple-Macintosh-Rechnern und der entsprechenden Software (Masterfinanz, Eurolohn, Ragtime) begann, wird mittlerweile u.a. mit MS-Office und Lexware gearbeitet.

•  Neue Kolleginnen und Kollegen müssen sich in die Modellkonzeption einarbeiten und sind ggf. in bestehende Teams zu integrieren.

 

Trotz der beschriebenen Anpassungen und Weiterentwicklungen des Lernbüromodells und seiner didaktischen Konzeption gibt es eine Reihe von Aspekten, die notwendige Entwicklungsperspektiven aufzeigen:

•  Die räumliche und sächliche Ausstattung bedarf dringend einer Modernisierung. So ist es u.a. zwingend erforderlich, Raumgröße und Anzahl der Arbeitsplätze auf die wachsenden Schülerzahlen auszurichten.

•  Durch inselhaften Einsatz der DV ist eine realitätsnahe Umsetzung der Geschäftsprozessorientierung nur bedingt möglich. Die Abläufe sind dementsprechend ineffizient, Redundanzen treten auf, Informationsflüsse werden immer wieder unterbrochen. Diese Gegebenheiten lassen sich zwar im Sinne einer Schwachstellenanalyse zu Lernprozessen nutzen, perspektivisch sollte allerdings auch im Lernbüro der DV-Einsatz die Ablauforganisation möglichst optimal unterstützen, d.h. integrierte Softwarelösungen der Warenwirtschaft werden erforderlich (entsprechend den curricularen Anforderungen der kaufmännischen Ausbildungsberufe).

•  Es bietet sich an, Prozesse mit entsprechender Modellierungssoftware (Aris, Sisy) durch die Lernenden abbilden zu lassen, um Zusammenhänge und Strukturen zu veranschaulichen und zu analysieren (s. didaktische Standards). Hier wurden bisher Erfahrungen mit einzelnen Lerngruppen gesammelt. Eine systematische Integration in entsprechende Lehr- Lernarrangements wäre ein weiterer `didaktischer Baustein`.

•  Das Lernbüromodell der BBS Jever bildet ein Großhandelsunternehmen ab. Die Modellierung ist damit einfacher und überschaubarer als bei einem Industriebetrieb. Unterstützt durch entsprechende Software wäre ggf. auch die Umsetzung des Modells eines Industriebetriebes mit seiner erheblich höheren Komplexität denkbar.

6.  Ausblick

Die aktuellen Entwicklungen der Arbeit im Lernbüro sind u.a. gekennzeichnet durch Ansätze, den Wechsel von der reinen Funktions- zu einer stärkeren Prozessorientierung didaktisch und auch organisatorisch umzusetzen. Darüber hinaus verändert sich die Arbeit durch die Umsetzung des Lernfeldkonzeptes, das zunehmend die Fächerstrukturen, auch in den beruflichen Vollzeitschulen, ablöst. Im Zusammenhang mit Überlegungen, die von einer Zunahme vollzeitschulischer Berufsausbildungsgänge ausgehen (s. z.B. Assistentenberufe) wird das Gewicht der Arbeit mit Lernfirmen, von denen das Lernbüro eine wesentliche Ausprägung ist, als zentraler didaktischer Baustein m.E. zunehmen. Im Mittelpunkt steht hier das Ziel der Erfahrung kaufmännisch-administrativer Prozesse und des Erkennens systemischer Strukturen durch entsprechend gestaltete Lehr-Lernumgebungen. Insbesondere geht es dabei um

•  die erfolgreiche Verknüpfung der Lernbüroarbeit mit dem Unterricht in anderen Lernfeldern (bzw. Fächern)

•  die wirksame Einbindung des Rechnungswesens in die Lernbüroarbeit und eine entsprechende IT-gestützte Prozesslenkung

•  die Qualität der Modellierung, d.h. die Umsetzung aktueller didaktischer Anforderungen, einschließlich der räumlichen Ausstattung, der Organisation und Fortbildung der eingesetzten Lehrkräfte.

Der fachdidaktische Stellenwert der Lernbürokonzeption ist hier erneut zu bestimmen und weiter zu entwickeln, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Kolleginnen und Kollegen vor Ort, die bisher in den Aufbau, die Konzeptionierung, Umsetzung und Anpassung der Lernbüros sehr viel Engagement investiert haben.

 

Literatur

ACHTENHAGEN, F./ BAUMERT, W./ RIESEBIETER, B./ SCHNEIDER, D. (1993): Stand und Entwicklungsmöglich­keiten der Lernbüroarbeit unter Berücksichtigung der Nutzung Neuer Techno­logien – Materialien. Be­richt für den Niedersächsischen Kultusminister. Göttingen.

ACHTENHAGEN, F./ SCHNEIDER, D. (1993): Stand und Entwicklungsmöglich­keiten der Lernbüroarbeit unter Berücksichtigung der Nutzung Neuer Techno­logien. Be­richt für den Niedersächsischen Kultusminister. Göttingen.

GOLDBACH, A. (1995): Grundzüge des didaktischen Konzepts der Handlungsorientierung für den Berufsbereich "Wirtschaft und Verwaltung" - Begriff, Begründungszusammenhänge, Konstruktionselemente. In: Wirtschaft und Erziehung, 47. Jg., H. 7-8, 252–259.

GOLDBACH, A. (1998): Curriculumreform in Niedersachsen. NLI-Bericht, Hildesheim.

NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (1996): Rahmenrichtlinien für die Unterrichtsfächer Englisch/Kommunikation, Allgemeine Wirtschaftslehre, Rechnungswesen/Controlling Wirtschaftspraxis und Bürokommunikation sowie für die Wahlpflichtkurse der - Einjährigen Berufsfachschule –Wirtschaft – Einjährigen Berufsfachschule –Wirtschaft – für Realschulabsolventinnen und Realschulabsolventen (Höhere Handelsschule).

NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (2000): Rahmenrichtlinien für den Unterricht in den Fächern des berufsbezogenen Lernbereichs in der Berufsfachschule kaufmännische Assistentin/kaufmännischer Assistent für Wirtschaftsinformatik.

NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (2001): Rahmenrichtlinien für die Unterrichtsfächer Wirtschaftspraxis, Bürokommunikation, Allgemeine Wirtschaftslehre, Rechnungswesen-Controlling, Englisch/Kommunikation, Mathematik sowie für die Wahlpflichtkurse in der zweijährigen Berufsfachschule – Wirtschaft –.

NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (2005): Rahmenrichtlinien für die fachrichtungsbezogenen Fächer in der einjährigen Berufsfachschule - Wirtschaft – für Realschulabsolventinnen und Realschulabsolventen (Höhere Handelsschule).

TRAMM, T. (1991) : Entwicklungsperspektiven der Übungsfirmen- und Lernbüroarbeit aus der Sicht einer Didaktik handlungsorientierten Lernens. In: Wirtschaft und Erziehung. 43, H. 7-8, 248-259.

TRAMM, T. / BAUMERT, W. (1990): Theoretische und praktische Perspektiven der Lernbüroarbeit. Oldenburg: Projekt- und Seminarberichte der Universität.