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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Internationale Erfahrungen eines universitären Übungsfirmenteams

 

 

 

Ziel des vorliegenden Berichts ist die Darstellung der internationalen Erfahrungen bezüglich Übungsfirmen, die Studierende der Karl-Franzens-Universität Graz im Zuge einer Studienreise nach New York sammeln konnten. Hierbei wird zuerst die Übungsfirma als Bestandteil der wirtschaftspädagogischen Ausbildung betrachtet. Weiterhin werden die Erfahrungen betreffend der internationalen Unterschiede und Besonderheiten im Bereich der Übungsfirmen, die gewonnen werden konnten, reflektiert. Abschließend werden die daraus abgeleiteten Lerneffekte beleuchtet.

1.  Übungsfirma im Kontext der wirtschaftpädagogischen Ausbildung

Im Rahmen des Moduls „Wirtschaftswissenschaft – Unternehmenskultur und Handlungsorientierung“ (vgl. Studienplan Diplomstudium Wirtschaftspädagogik 2005: http://domino.uni-graz.at/DEKANAT-Extern/main.nsf ) können die Studierenden der Studienrichtung Wirtschaftspädagogik der Karl-Franzens-Universität Graz die handlungsorientierte Lern- und Lehrform Übungsfirma aus nächster Nähe erfahren. Sie werden so auf ihre zukünftigen Aufgaben als ÜbungsfirmenleiterInnen in einer berufsbildenden höheren oder mittleren Schule (BHMS) vorbereitet, wenn sich die AbsolventInnen dafür entscheiden, nach einer mindestens zweijährigen Berufspraxis in den Schuldienst zu treten.

Um eine möglichst praxisnahe Ausbildung für zukünftige Lehrkräfte in diesem Bereich zu gewährleisten, arbeiten die Studierenden in einer der beiden Übungsfirmen der Universität Graz. Diese Übungsfirmen sind die KFUNI line Weiterbildungs GmbH bzw. die eXpand International Consultancy GmbH und werden von Frau a.o. Univ.-Prof. Mag. Dr. Michaela Stock bzw. Frau Mag. Elisabeth Riebenbauer geleitet. Der folgende Bericht reflektiert die Erfahrungen, die im Rahmen eines Projekts der eXpand gemacht werden konnten. Die eXpand ist eine englischsprachige, universitäre Übungsfirma und hebt sich vor allem durch ihre internationale Ausrichtung und die anspruchsvollen Betätigungsfelder von internationalen Marktanalysen bis hin zu individuellem Consulting von anderen Übungsfirmen ab. Die universitäre Übungsfirma bietet den Studierenden aber nicht nur die Möglichkeit zur Verbindung von Denken und Handeln im Sinne der Handlungsorientierung d.h. zur Arbeit im und am Modell der Übungsfirma, sondern bezieht auch die Metaperspektive der ÜbungsfirmenleiterInnen mit ein und vermittelt somit wertvolle Praxiserfahrungen für den Aufbau und die Führung eigener Übungsfirmen.

Um auch Erfahrungen im internationalen Bereich zu sammeln wurde im Rahmen der Übungsfirma ein Projekt ins Leben gerufen, dessen Ziel der Besuch der internationalen Übungsfirmenmesse im April 2006 in New York war. Dies bot den Studierenden einerseits die Möglichkeit internationale Kontakte zu knüpfen und ihre Sprachkompetenz zu erweitern und andererseits die Gelegenheit andere Schul- bzw. Bildungssysteme und die Integration der Übungsfirmen in diese kennen zu lernen.

2.  Internationale Erfahrungen

Die starke internationale Ausrichtung der eXpand wurde im April 2006 während einer zehntägigen Studienreise nach New York, an der 14 Studierende und Frau Mag. Elisabeth Riebenbauer teilnahmen, vertieft. Im Rahmen dieser Studienreise erfolgte die Teilnahme an der Virtual Enterprise Trade Fair ( http://www.nycenet.edu/ve/nyceve/index.htm ), des Weiteren wurden die Virtual Enterprises einer Highschool und eines Colleges, ein Businessplanwettbewerb und die Columbia Universität besucht. Den Studierenden wurde somit ein Einblick in andere Übungsfirmenkonzepte und Bildungssysteme gewährt, wodurch sich auch die großen Unterschiede zwischen den US-amerikanischen Virtual Enterprises und den aus eigenen Erfahrungen bekannten Übungsfirmen offenbarten. Diese beruhten einerseits auf kulturellen Unterschieden und andererseits auf verschiedenen Ansätzen in Bezug auf die Modellierung und die anderen pädagogischen Zielsetzungen bzw. bildungsstrukturellen Besonderheiten.

Die folgenden Ausführungen geben die reflektierten Beobachtungen des Autors im Zuge dieser Studienreise wieder und können nicht als repräsentativ für die US-amerikanischen Virtual Enterprises betrachtet werden.

2.1  Kulturelle Unterschiede

Bereits beim Besuch der NYC Trade Fair for Virtuals Enterprises werden die kulturellen Unterschiede offensichtlich. Die Eröffnung wird feierlich mit der US-amerikanischen Nationalhymne zelebriert, eine Fahne mit den Stars und Stripes wird von einem Uniformierten geschwenkt und der US-amerikanische Nationalstolz ist allgegenwärtig. Unterschiede offenbaren sich auch in der Auffassung davon, wie ein Messestand auszusehen hat. Die Messehalle wird von Unmengen an Luftballons, riesigen bunten Plakaten, Maskottchen und laufenden Werbedurchsagen beherrscht. Somit wirkt die Veranstaltung für mitteleuropäische Verhältnisse etwas unseriös und gleicht mit ihrem starken Eventcharakter eher einem Zirkus als einer UnternehmerInnenmesse. Der Handel mit Privatpersonen wird mittels Schecks abgewickelt, während sich Geschäfte mit anderen Übungsfirmen recht schwierig gestalten, da nur die wenigsten potentiellen KäuferInnen über die Kontodaten ihrer Übungsfirma Bescheid wissen. Um aber überhaupt an potentielle KäuferInnen heranzukommen, müssen diese erst mit Hilfe von möglichst ausgefallenen Give-aways angelockt werden, denen eine überproportionale Bedeutung beigemessen wird.

Ein zweiter auffälliger kultureller Unterschied besteht in einem äußerst ausgeprägten Wettbewerbsdenken und der Verleihung von entsprechenden Preisen in einer Reihe von Kategorien. So werden z.B. die beste Präsentation eines Businessplans, der beste Stand und die beste Verkaufsperson prämiert. Die Wettbewerbe stellen einen wesentlichen Bestandteil der Arbeit in einem Virtual Enterprise dar. Dementsprechend aufwändig erfolgt auch die Vorbereitung auf diese Wettbewerbe und nimmt somit einen großen Teil der Arbeitszeit in Anspruch. Überhaupt ist das Auftreten nach außen von höchster Bedeutung, was sich zum Teil in nahezu unglaublicher Perfektion bei den Präsentationen der Businesspläne bei Wettbewerben zeigt.

2.2  Modellunterschiede

Ein interessantes Merkmal der US-amerikanischen Virtual Enterprises ist, dass innerhalb dieses Oberbegriffs keine klare Trennung vorherrscht – zwischen Übungsfirmen im eigentlichen Sinn, zwischen Übungsfirmen, die ein reales Nebenprodukt vertreiben, bzw. zwischen solchen, die sich hauptsächlich mit dem Erstellen von Businessplänen und weniger mit Außenkontakten beschäftigen. Bei den Besuchen von Businessplanwettbewerben, den Virtual Enterprises einer Highschool und eines Colleges wurde dieser Eindruck bestätigt. Hierbei sind die Virtual Enterprises, die im Rahmen von Highschools betrieben werden, den österreichischen Übungsfirmen am ähnlichsten. Die Außenkontakte und Vernetzungen scheinen zwar etwas weniger ausgeprägt zu sein, doch nehmen sie an einer Übungsvolkswirtschaft teil. Im Rahmen eines Businessplanwettbewerbs wurden aber auch Virtual Enterprises präsentiert, die zusätzlich reale Nebenprodukte vertreiben.

Der Schwerpunkt der Virtual Enterprises im Bereich der Colleges liegt auf der Gründung und der Arbeit in einem fiktiven Unternehmen, wobei Außenkontakte zu anderen Übungsfirmen nur eine geringe Rolle spielen und zum Teil die jährliche Übungsfirmenmesse den einzigen Außenkontakt zu anderen Übungsfirmen darstellt. Die möglichst realitätsgetreue Gestaltung des Lernorts tritt in den Hintergrund. Im Rahmen des Businessplanwettbewerbs wurden auch Virtual Enterprises präsentiert, bei denen es sich um Corporations mit einem Stammkapital von mehreren Millionen Dollar und mit Umsatzerwartungen, die innerhalb einer Übungsvolkswirtschaft kaum zu erfüllen sind, handelt. Überhaupt ist die Teilnahme an der Übungsvolkswirtschaft nur für einen Teil der Übungsfirmen von Interesse, während der Focus auf der Teilnahme an den schon genannten Events und Wettbewerben liegt. Dementsprechend werden die firmeninternen Prozesse kaum im Sinne von Qualitätsmanagement reflektiert und hinterfragt. Die Gründe hierfür liegen vor allem darin, dass gerade im College viele MitarbeiterInnen der Virtual Enterprises nur über geringfügige Vorkenntnisse im kaufmännischen Bereich verfügen und das Stundenausmaß, das zur Verfügung steht, sehr begrenzt ist. Dementsprechend gestalten sich die täglichen Arbeitsabläufe und die Gründung einer Corporation mit Hilfe eines Businessplans natürlich zum Teil schwierig.

Ein interessanter übungsvolkswirtschaftlicher Ansatz, der auch der großen Bedeutung der Börse zur Kapitalaufbringung in den Vereinigten Staaten Rechnung trägt, ist die Virtual Enterprise Stock Exchange ( http://www.ivefinancial.com/get.php?q=index ). Diese internationale Börse wird von dem zur City University of New York (CUNY) gehörenden Institute for Virtual Enterprise ( http://www.ive.cuny.edu/ve/ ) betrieben und wurde im November 2005 mit einer Webkonferenz, an der 15 Übungsfirmen aus Europa und den Vereinigten Staaten teilnahmen, gestartet.

Im Rahmen eines Pilotprojektes nahm auch die Übungsfirma eXpand der Karl-Franzens-Universität Graz an der Erstemission teil. Hierfür wurde eigens ein Projektmodell für den Börsengang entwickelt, das eine adaptierte Abbildung der eigentlichen Übungsfirma darstellt. Die Kapitalanteile dieses Projektmodells wurden mit der Webkonferenz emittiert, was den Studierenden die Möglichkeit bot, ein eigenes Modell zu entwerfen, die technische Abwicklung einer Webkonferenz zu erproben und erste internationale Kontakte, als Vorbereitung auf die Studienreise nach New York, zu knüpfen.

2.3  Ziele in Virtual Enterprises

In Anbetracht der Unterschiede ist zu bedenken, welche Ziele mit den Virtual Enterprises in den USA verfolgt werden. So sollen die SchülerInnen im Rahmen dieser Methode in der Highschool beispielsweise auch den Umgang mit Hierarchien, das Gefühl beim Tragen von angemessener Kleidung oder die Teilnahme an Meetings lernen, während sich die wirtschaftlichen Belange meist um Wettbewerbe oder Messeteilnahmen drehen. Hierbei muss erwähnt werden, dass es sich bei dem Virtual Enterprise im Rahmen der Ausbildung um eine Zusatzqualifikation handelt, die nicht verpflichtend für die SchülerInnen ist. Im Bereich der Colleges liegt der Schwerpunkt auf der Gründung eines Unternehmens und der Ausarbeitung eines Businessplans, während für die tatsächliche Arbeit im Unternehmen ein etwas geringerer Anteil der Zeit verwendet wird. Der Businessplan bildet innerhalb dieser Virtual Enterprises den Hauptschwerpunkt des handlungsorientierten Lernens. Aus diesem Grund werden auch sehr viele humane und zeitliche Ressourcen in diesen Bereich investiert und die Ergebnisse bei entsprechenden Wettbewerben mit unglaublicher Präzision präsentiert. Die tatsächliche Umsetzung der Pläne scheint eher zweitrangig zu sein.

2.4  Bildungsstrukturelle Besonderheiten

Einen besonderen Aspekt in Bezug auf die US-amerikanischen Virtual Enterprises stellt die starke Konkurrenz zwischen Highschools und Colleges und deren entsprechenden Organisationen dar. Die Highschools kann man mit den mittleren Schulen vergleichen, während die Colleges eine Mischform aus Oberstufe und Universität darstellen und eine sehr heterogene Struktur unter den Lernenden aufweisen. Die Koordination dieser sehr komplexen Bildungslandschaft, mit von unterschiedlichen öffentlichen Ebenen betriebenen Bildungseinrichtungen, stellt eine schwere Aufgabe dar. Daher gibt es im Übungsfirmenbereich verschiedene Dachverbände, die teilweise zueinander im Wettbewerb stehen. Grundsätzlich werden die Virtual Enterprises mit großem Aufwand betrieben und scheinen über eine sehr gute Infrastruktur zu verfügen.

3.  Lernerfahrungen

Für die zukünftigen WirtschaftspädagogInnen der Karl-Franzens-Universität Graz bot die Studienreise nach New York im Rahmen ihrer Teilnahme an der universitären Übungsfirma zahlreiche neue Perspektiven und die Möglichkeit, ihr Wissen zu erweitern und internationale Erfahrungen zu sammeln. Es wurde aufgezeigt, dass mit Hilfe der handlungsorientierten Lehr- und Lernmethode Übungsfirma zahlreiche Ziele verfolgt werden können, die stark durch die gesellschaftliche Orientierung und örtliche Gegebenheiten geprägt sind. Entsprechend vielfältig wie ihre Zielsetzungen gestalten sich auch die internationalen Arten der Unternehmenssimulationen zu Lernzwecken. Diese Zielsetzungen können von der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen oder der fachgerechten Anwendung von Tools wie dem Businessplan bis hin zu scheinbar kleinen banalen Dingen wie dem Tragen von Businesskleidung reichen, die aber ebenso ihre Berechtigung besitzen. Wichtig ist es über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und im Sinne von Benchmarking zu sehen, welche Anwendungsmöglichkeiten vorhanden sind und wie sie umgesetzt werden können. Nur so kann es gelingen, die Lernpotentiale, die durch Übungsfirmen geboten werden, effektiv zu nutzen. Somit kann es Personen, die an dieser Lehrmethode weiteres Interesse hegen, nur empfohlen werden, sich durch solche Studienreisen neue Anregungen zu holen und sich neue Perspektiven aufzeigen zu lassen.