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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Agieren auf globalen Märkten – welche Anforderungen stellt dies an die Übungsfirma?


 

 


1.  Problemstellung und Struktur des Beitrags

Das Ausland gewinnt als Absatzmarkt nicht nur für große Konzerne sondern auch für Klein- und Mittelbetriebe zunehmend an Bedeutung. Internationalisierung bzw. Globalisierung sind die Schlagworte unserer Zeit. Sie beschreiben Veränderungsprozesse, die durch verstärkte grenzüberschreitende Aktivität und Austausch gekennzeichnet sind. Die Ausrichtung auf internationale Märkte bewirkt sowohl eine quantitative Vermehrung der zu bewältigenden Tätigkeiten in einem Unternehmen als auch eine qualitative Anreicherung der Problemstellungen und Lösungsanforderungen (vgl. KRYSTEK/ ZUR 2002, 13). Aufgrund dieses Trends ist es bereits Aufgabe der kaufmännischen Ausbildung, vielseitige Lehr- und Lernprozesse zu organisieren, damit Lernende jene Kompetenzen erwerben, die für ein er­folgreiches Bestehen in einer globalen Wirtschaft erforderlich erscheinen. Gefordert wird ein global player , der mühelos in allen Kulturen und Märkten agieren kann.

Ziel dieses Beitrags ist es herauszuarbeiten, welche Kompetenzen für ein Agieren auf globalen Märkten erforderlich sind. Die Übungsfirma als eine Variante des handlungsorientierten Unterrichts ist gekennzeichnet durch reale Geschäftsbeziehungen zu anderen Übungsfirmen am nationalen und internationalen Übungsfirmenmarkt. Der Beitrag soll sowohl das Potential der Methode Übungsfirma im Hinblick auf das Agieren in/auf globalen Netzwerken und Märkten als auch die dabei auftretenden Herausforderungen an Bildungsverantwortliche und LehrerInnen aufzeigen. Zunächst erfolgt ein Überblick über den internationalen Übungsfir­menmarkt und die österreichische Übungsfirmenszene im speziellen. Die Basis der darauf folgenden Darstellungen bilden Ergebnisse einer Lehrendenbefragung zur Übungsfirmenarbeit in Österreich Anfang 2006 bzw. eine Gegenüberstellung dieser Daten mit Auswertungen aus 1997 und 1999 (vgl. GRAMLINGER/ KÜHBÖCK/ LEITHNER 2000). Dabei wer­den Trends zusammengefasst sowie Stärken und Schwächen im Zusammenhang mit den Anforderungen an das Agieren auf globalen Märkten analysiert. Abschließend werden Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Übungsfirma und der globalen, virtuellen Wirtschaftswelt erarbeitet, um zukünftig das Potential dieser Lehr- und Lernform besser nutzen zu können.

2. Aufbau internationaler Handlungskompetenz

Unternehmungen und ihre MitarbeiterInnen sind heute mit ständigen und durch die Internationalisierung zusätzlich beschleunigten Veränderungen in der Arbeitswelt konfrontiert. Dies erfordert, dass Lernende schon während der Ausbildung auf diese Situationen vorbereitet werden und berufliche Handlungskompetenz erwerben. Als berufliche Handlungskompetenz wird „das reife und entwickelte Potential beruflicher Fähigkeiten bezeichnet, das es dem Individuum erlaubt, den in konkreten beruflichen Situationen gestellten Leistungsanforderungen entsprechend zu handeln“ (REETZ 1999, 245). Sie befähigt einen Menschen, „die zunehmende Komplexität und Unbestimmtheit seiner Umwelt zu begreifen und durch ziel- und selbstbewusstes, flexibles, rationales, kritischreflektiertes und verantwortliches Handeln zu gestalten“ (PÄTZOLD 1999, 57).

Um Handlungskompetenz zu strukturieren, wird sie in mehrere Teilkompetenzen gegliedert, wobei dies in der Fachliteratur unterschiedlich vorgenommen wird. Einerseits erfolgt eine Unterteilung in die vier Dimensionen Fach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz (vgl. PÄTZOLD 1999, 57). Andererseits ist in Anlehnung an ROTH die Differenzierung in Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz weit verbreitet (vgl. ROTH 1971, 180). Diese Dreiteilung liegt auch diesem Beitrag zugrunde, da sie die Wechselbeziehung zwischen Gegenstand (Sachkompetenz), Gesellschaft (Sozialkompetenz) und Individuum (Selbstkompetenz) gut widerspiegelt (vgl. TRAUTWEIN 2004, 38). Die Sachkompetenz umfasst die kognitive Leistungsfähigkeit, die ein sacheinsichtiges und problemlösendes Denken und Handeln ermöglicht. Sie beinhaltet folglich auch die Fachkompetenz (Fachwissen und –können). Die Sozialkompetenz betrifft die Befähigung zu kooperativem, solidarischem, sozialkritischem und kommunikativem Handeln. Sie ist die Basis für einen angemessenen Umgang mit anderen und die erfolgreiche Zusammenarbeit mit KollegInnen. Die Selbstkompetenz impliziert ein moralisch selbst­bestimmtes humanes Handeln. Sie betrifft die Fähigkeit, mit sich selbst kritisch und reflektierend umzugehen, und beinhaltet die Entwicklung einer moralischen Urteilsfähigkeit. (vgl. REETZ 1999, 246)

Verschiedene wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Publikationen nennen neben den drei hier beschriebenen Differenzierungen weitere notwendige Kompetenzen für den Erwerb von beruflicher Handlungskompetenz, wie z. B. Methodenkompetenz, Lernkompetenz, kommunikative Kompetenz, unternehmerische Kompetenz, interkulturelle Kompetenz oder Medienkompetenz. Eine Ergänzung von Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz erscheint nicht erforderlich, da diese weiteren Kompetenzen entweder Bestandteil aller drei Dimensionen sind oder sich einer der drei Dimensionen dominant zuordnen lassen (vgl. TRAUTWEIN 2004, 38). Bei der Lösung einer Aufgabe sind einzelne Kompetenzbereiche eng miteinander verflochten und werden in unterschiedlicher Intensität beansprucht (vgl. PÄTZOLD 1999, 58). Das Erreichen von beruflicher Handlungskompetenz setzt folglich voraus, dass man über alle drei Dimensionen, nämlich über Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz, verfügt.

Durch verstärkte internationale Kooperation in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft kommt es zur Interaktion von Menschen aus verschiedenen Nationen und Kulturkreisen. Der globale Wettbewerb ist geprägt von weltweit operierenden Unternehmungen und führt zu neuen Herausforderungen für die Zusammenarbeit über kulturelle Grenzen hinweg. Die Folgewirkungen des internationalen Wirtschaftslebens auf das Bildungswesen im Allgemeinen und die berufliche Bildung im speziellen, kann anhand von vier einander bedingenden Dimensionen dargestellt werden: (vgl. ZAPF/ WILLE 2006, 131)

- Raum : Die Wirtschaftsräume dehnen sich länderübergreifend immer weiter aus. Durch die flacheren Hierarchien benötigen nicht nur ManagerInnen, sondern auch MitarbeiterInnen in Büroberufen interkulturelle Basisqualifikationen.

- Zeit : Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien bewirken ein neues Verständnis des Faktors Zeit. Die Halbwertszeit des Wissens verkürzt sich kontinuierlich. Das Bildungswesen muss nicht nur klären, was gelernt wird, sondern auch wie gelernt wird, um dauerhafte Denk-, Kommunikations- und Verhaltensstrukturen aufzubauen.

- Konkurrenz : Es herrscht eine zunehmende Konkurrenz zwischen Wirtschaftsstandorten, Güter-, Dienstleistungs- und Arbeitsmärkten. Aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach international qualifizierten Arbeitskräften müssen zukünftige ArbeitnehmerInnen auf diese Internationalisierungsprozesse vorbereitet und dafür qualifiziert werden.

- Technik : Um globale Austauschprozesse zu optimieren zielt der technologische Fortschritt weiterhin auf eine verbesserte Informations- und Kommunikationstechnik ab. So rücken Regionen, Kulturkreise und Akteure immer schneller und näher zusammen.

Das Anforderungsprofil einer international tätigen Arbeitskraft wird neben einer stark erweiterten Fachkompetenz vor allem von einer an internationale Gegebenheiten und Anforderungen orientierten und geschulten Sozialkompetenz geprägt (vgl. KRYSTEK/ ZUR 2002, 13). Eine Auslandstätigkeit bewirkt zudem eine stärkere Einmischung in das Privatleben der MitarbeiterInnen und eine größere psychische Belastung. Veränderte Umwelt- und Unterneh­mensbedingungen betreffen sowohl Führungs- als auch Fachkräfte. Sie müssen für ihre kulturübergreifenden Aktivitäten über eine besondere überfachliche Schüsselqualifikation, nämlich über internationale Handlungskompetenz (In diesem Beitrag wird die Bezeichnung internationale Handlungskompetenz verwendet, da die Autorin beim Handeln auf globalen Märkten in erster Linie internationale bzw. nationale Märkte und weniger deren Kulturkreise betrachtet.) verfügen.

Für die Fähigkeit, im beruflichen internationalen Kontext erfolgreich zu handeln, treten neben dem Begriff der internationalen Handlungskompetenz auch Bezeichnungen wie interkulturelle ökonomische Handlungskompetenz, kulturelle oder interkulturelle Handlungskompetenz sowie internationale und interkulturelle Qualifizierung auf (vgl. HUISINGA/ LISOP 1999, 226; vgl. JASSMEIER 2005, 471). WEBER versteht unter einer interkulturellen Handlungskompetenz ein „bedeutungsvolles, reflektiertes ( mindful ) Aushandeln von Identitäten in öko­nomischen Kontexten“ (WEBER 2000a, 391). WEBER folgt damit dem Mindful Identity Negotiation -Modell von TING-TOOMEY (1999), wo Individuen situationsangemessene Instrumente entwickeln, um eigene und fremde Identitätsbedürfnisse und Einstellungen zu ermitteln. Sie handeln dabei mindful , d. h. offen, tolerant, respektvoll und geduldig. Danach entwickeln sie aufgrund ihres kulturellen Wissens bedeutungsvolle, reflektierte Handlungs­alternativen, die angemessen, effektiv und zur Zufriedenheit aller in die Interaktionssituation eingebracht werden. (vgl. WEBER 2000a, 391ff) So gehören individuelles Wissen (Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz) sowie kollektives Wissen (gemeinsame Ansichten über Bedeutungen, Werte und Regeln) zur interkulturellen Handlungskompetenz (vgl. WEBER 2000b, 92).

Es stellt sich die Frage, welche konkreten Fähigkeiten und Fertigkeiten für ein erfolgreiches Agieren auf globalen Märkten erforderlich sind. Es lassen sich u. a. folgende Erfolgsfaktoren bezogen auf die zentralen Dimensionen beruflicher Handlungskompetenz aus internatonaler Perspektive bestimmen: (vgl. WEBER 2000b, 83f; vgl. TRAUTWEIN 2004, 50ff)

- Sachkompetenz : Erwerb von zusätzlichen Sprachkenntnissen (z. B. allgemeine und Geschäftskorrespondenz) und landesspezifischen Fachkenntnissen sowie fachlichen Kenntnissen für die Abwicklung von Transaktionen im internationalen Geschäftsverkehr (z. B. Außenhandelsbestimmungen, rechtliche und steuerliche Vorschriften, Arbeitsbedingungen, Wirtschafts- und Sozialsysteme,); ebenso wichtig ist die Kenntnis von Techniken, wie fachliches Wissen situationsadäquat einzusetzen ist, die Fähigkeit, mit moderner Informations- und Kommunikationstechnologie umzugehen, wie auch Entscheidungskompetenz und bereichsübergreifendes Denkvermögen.

- Sozialkompetenz : Fähigkeit und Bereitschaft zu Kommunikation und Kooperation mit internationalen KundInnen und KollegInnen (auch virtuellen Teams), Verhandlungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Toleranz für andere kulturelle Verhaltensweisen und Werte, weltgewandtes Auftreten, sowie Integrations- und Konfliktfähigkeit.

- Selbstkompetenz : Selbstständigkeit, Selbstreflexion, Selbstvertrauen, Zielstrebigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Bewusstsein der eigenen Identität, Hinterfragen mentaler Modelle und eigener Referenzsysteme, Belastbarkeit, Bereitschaft zu lebenslangem Lernen, Geduld, Anpassungsfähigkeit, Flexibilität.

Wie bereits ausgeführt ist berufliche Handlungskompetenz nur durch ein optimales Zusammenwirken von Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz zu erreichen. Der Aspekt der Internationalisierung verstärkt diesen integrativen Charakter beruflicher Handlungskompetenz. In der nachfolgenden Grafik soll das dynamische Wechselverhältnis der einzelnen Dimensionen einer internationalen Handlungskompetenz mit gestrichelten Linien dargestellt werden (in Anlehnung an TRAUTWEIN 2004, 66).

 

3.  Lehr- und Lernmethode Übungsfirma

Der Erwerb von beruflicher Handlungskompetenz ist das Ziel individuellen und kooperativen Lernens und muss in Umgebungen erfolgen, die realistische Probleme sowie authentische Situationen bieten und die vielschichtige Zusammenhänge und Perspektiven enthalten (vgl. PÄTZOLD 1999, 58). TRAMM beschreibt die Übungsfirma als „eine Variante der be­triebs­wirtschaftlich ausgerichteten Unternehmenssimulation, die durch das Zusammenwirken einer großen Anzahl von Übungsfirmen auf einem Übungsfirmenmarkt gekennzeichnet ist“ (vgl. TRAMM 1996, 1). „Alle in der Praxis anfallenden branchenüblichen Geschäftsfälle werden unter Beachtung geltender rechtlicher Vorschriften und kaufmännischer Gepflogen­heiten bearbeitet, d.h. die Übungsfirma arbeitet wie ein reales Unternehmen“ (vgl. TRUMMER/ SEEBACHER 1997, 413). Wissen und Können über betriebliche Abläufe und Zusammen­hänge zwischen Unternehmen und Märkten sollen handlungs- und problemorien­tiert ver­mittelt und erlebbar gemacht werden. Besonders hervorzuhebende Merkmale dieser Methode sind neben den fiktiven Geld- und Güterströmen, einem Großraumbüro als Unter­richtsraum, der Arbeit in Abteilungen bzw. Prozessen, vor allem die Übungsvolkswirtschaft mit den natio­nalen und internationalen Zentralstellen.

Eine Zentralstelle ist die Schaltstelle eines nationalen Übungsfirmenmarktes und Bindeglied zum internationalen Übungsfirmennetzwerk. Sie kann auch als Servicestelle bezeichnet wer­den, da sie viele betriebliche Dienstleitungen, die in der Realität in erster Linie von Behör­den, öffentlichen Institutionen oder Großbetrieben angeboten werden, erbringt. Da diese Dienstleistungen für einen realitätsbezogenen Geschäftsverkehr jedoch unbedingt erforder­lich sind, aber von einzelnen Übungsfirmen zumeist nicht angeboten werden können, betrei­ben Zentralstellen beispielsweise eine Bank sowie Behörden wie Post, Zollamt, Arbeitsamt, Finanzamt, Firmenbuch, Kammer, Sozial- und Sachversicherungen. (vgl. PHILIPP 1998, 6)

Das bedeutendste Kennzeichen dieser Variante des handlungsorientierten Unterrichts ist der Handel mit anderen Übungsfirmen am nationalen und internationalen Übungsfirmenmarkt . Dieses Übungsfirmennetzwerk ermöglicht ein praxisorientiertes Arbeiten und durch den Kon­takt zu fremden Übungsfirmen werden viele geplante, aber auch nicht vorhersehbare, quali­tativ und quantitativ unterschiedliche Geschäftsfälle bearbeitet.

Die Lernenden schlüpfen am Übungsfirmenmarkt in verschiedene Rollen: Sie führen ihre Übungsfirmen als Unternehmen, die am Markt Waren und Dienstleistungen kaufen bzw. ver­kaufen. Sie sind in ihren Übungsfirmen als MitarbeiterInnen tätig und treten zusätzlich als KosumentInnen am Übungsfirmenmarkt auf, d.h. dass die ArbeitnehmerInnen ihre Gehälter bzw. Löhne als EndverbraucherInnen am Übungsfirmenmarkt ausgeben und so den Wirt­schaftssektor Haushalt simulieren (vgl. LINNENKOHL/ ZIERMANN 1987, 77). Dies wird auch als Personaleinkauf bezeichnet. So ist der Rückfluss des Geldes sichergestellt und der Wirtschaftskreislauf schließt sich, wie aus der folgenden Grafik ersichtlich ist:

Nationale und internationale Geschäftskontakte werden überwiegend mit neuen Medien, wie Internet, Email oder Webshop, gepflegt. Dabei trainieren die SchülerInnen ihre Fremdsprachenkenntnisse, sie lernen die Wirtschaftskulturen anderer Länder kennen und erwerben praktische Kenntnisse über Vertragsmodalitäten, Zahlungsverkehr und Rechtsvorschriften. Die Folge dieser Geschäftsbeziehungen zwischen den Übungsfirmen sind häufig gemeinsame Projekte, Schulpartnerschaften oder auch ein SchülerInnenaustausch mit dem fremdsprachigen Ausland. Eine weitere Möglichkeit ist die Teilnahme an einer nationalen oder internationalen Übungsfirmenmesse. Sowohl die Planung- und Vorbereitungsarbeiten als auch der Messebesuch inklusive Organisation des Messetands stellen eine Herausforderung für die SchülerInnen dar. Sie präsentieren die Produkte bzw. Dienstleistungen ihrer Übungsfirmen, führen Verkaufgespräche mit in- und ausländischen BesucherInnen und bauen überregionale Geschäftsbeziehungen auf.

Ein Übungsfirmennetzwerk ist folglich „ein offenes System von miteinander korrespondierenden Übungsfirmen und Übungsfirmenservicestellen“ (PHILIPP 1998, 6).

In den nächsten beiden Kapiteln erfolgt ein Überblick über internationale Übungsfirmennetzwerke sowie eine genauere Beschreibung der Entwicklungen am österreichischen Übungsfirmenmarkt.

4.  Internationaler Übungsfirmenmarkt

Durch die starke Verbreitung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien können große räumliche Distanzen sowohl in der realen wie auch in der virtuellen Wirtschaft leicht überwunden werden. Der internationale Übungsfirmenmarkt ist dadurch überblickbarer und der Aufbau bzw. die Pflege von Geschäftsbeziehungen mit ausländischen Übungsfirmen ist einfacher geworden. Die Übungsfirmen kommunizieren größtenteils elektronisch bzw. webbasiert. Die Abwicklung über das Internet, der Ein- und Verkauf über Webseiten und die dafür notwendigen Umgangs- und Geschäftsformen können mit Hilfe des internationalen Übungsfirmenmarktes von den SchülerInnen immer besser trainiert werden. (vgl. GRAMLINGER/ TRUMMER 2001, 38)

Zur Förderung der grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit und der Zusammenarbeit zwischen Übungsfirmen entstanden neben den nationalen auch internationale Netzwerke von Übungsfirmen. Weltweit waren im Mai 2006 etwa 5600 Übungsfirmen in überregionalen Netzwerken registriert. EUROPEN (European Practice Enterprises Network) ist das wichtigste Netz und hat ca. 4606 Übungsfirmen aus allen Kontinenten integriert. UNVB (United Networks of Virtual Business) – erweitert um das Netz der bayrischen Wirtschaftsschulen – verzeichnet insgesamt ca. 319 Mitglieder aus Mitteleuropa und ECO NET betreut ca. 485 schulische Übungsfirmen im südosteuropäischen Raum. Daneben gibt es einzelne nationale Übungsfirmenmärkte (z. B. in Hong Kong, Japan und Russland), die in kein überregionales Netzwerk eingebunden und in der folgenden Abbildung 3 unter weitere ÜF angeführt sind. (Die angeführten Daten wurden den Webseiten der internationalen sowie einiger nationaler Zentralstellen ent­nommen (Stand Mai 2006). Es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit. Doppelnennungen können nicht zur Gänze ausgeschlossen werden.)

Über 80 % der Übungsfirmen sind in europäischen Ländern registriert. Die drei größten nationalen Märkte kommen mit Österreich, Deutschland und Italien ebenfalls aus Europa (vgl. ACT, EUROPEN, ROCT, UNVB, ÜBW 2006). (Im Mai 2006 waren in Deutschland 548 Übungsfirmen bei der Zentralstelle des Deutschen Übungsfirmenrings (ZÜF) und 211 Firmen bei der Übungsfirmenzentrale der bayrischen Wirtschaftsschulen (ÜBW) registriert. In Italien sind Übungsfirmen in die Netze von der Centrale Nazionale di Simulazione , der Rete Italiana Imprese Formative Simulate (IFS) und der Autonomen Servicestelle der Übungsfirmen in Südtirol (ASÜS) eingegliedert.) In der zweiten Hälfte der 90iger Jahre verbreitete sich die Idee der Übungsfirma auch auf andere Kontinente und bestehende Mitglieder engagierten sich als MentorInnen für die neuen Länder (vgl. ACT 2006).

Die größte Bedeutung hat das internationale Netzwerk EUROPEN, aber auch die anderen Zusammenschlüsse haben überregionalen Einfluss und werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Das Worldwide Practice Firms Network EUROPEN (Abkürzung für European Practice Enterprises Network) ist mit derzeit über 4600 Übungsfirmen das älteste und weltweit größte Übungsfirmennetzwerk. Es entstand im September 1993 aus einem Projekt der Europäischen Union. Die Finanzierung übernahm zu 45 % der Europäische Sozialfonds und zu 55 % das Land Nordrhein-Westfalen. EUROPEN hat seinen Sitz in Essen in Deutschland und wurde am 27. Oktober 1997 als gemeinnütziger Verein gegründet. Im Moment besteht das Netzwerk EUROPEN aus 35 Mitgliedsstaaten, deren Übungsfirmen sich wie folgt auf die einzelnen Kontinente verteilen: (vgl. EUROPEN 2006)

Durch die Dienstleistungen von EUROPEN wird der Handel am internationalen Markt wesentlich erleichtert. Mit Hilfe einer speziellen Software (Clearing Center Client) erhalten die Mitglieder Zugang zu einer internationalen Übungsfirmendatenbank und auch internationale Banküberweisungen können über dieses Clearing Center problemlos getätigt werden. Außerdem werden zusätzliche Dienstleistungen wie E-Plattform, E-Commerce Server, Bulletin und Informationspool für Zentralstellen und Übungsfirmen zur Verfügung gestellt. (vgl. EUROPEN 2006)

Das United Networks of Virtual Business (UNVB) versteht sich als freies Internetportal für Übungsfirmen, die an ausländischen Partnerfirmen interessiert sind. Mit Hilfe eines Datenpools soll der Markt bereichert und Kontakte zu anderen Übungsfirmen gefördert werden. Die Mitglieder von UNVB verpflichten sich, grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen zu pflegen und bestimmte Verhaltensregeln zu akzeptieren. Die Teilnahme an UNVB ist freiwillig. UNVB arbeitet mit der österreichischen ACT, aber vor allem mit der Übungsfirmenzentrale der bayerischen Wirtschaftsschulen (ÜBW), der Autonomen Servicestelle der Übungsfirmen in Südtirol (ASÜS) und der italienischen IFS (Rete Italiana Imprese Formative Simulate) zusammen. Im Mai 2006 waren ca. 319 Übungsfirmen aus Bayern, Österreich, Kroatien und Italien in die Netzwerke UNVB und ÜBW involviert. (vgl. UNVB, ÜBW 2006)

ECO NET steht für grenzüberschreitende Kooperationen, gemeinsames Lernen und stabile Partnerschaften. Dabei sollen die Übungsfirmenidee in Südosteuropa, der Aufbau von künftigen Wirtschaftspartnern in einem gemeinsamen Europa sowie das Miteinander Lernen und Arbeiten gefördert werden. Dieses Bildungsprojekt startete im Jänner 2001 im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südeuropa und lief bis Juni 2002. Das österreichische Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten sorgte für die Finanzierung, während die Koordinationsstellen KulturKontakt Austria und k.education für die Implementierung in den Ländern Albanien, Bulgarien und Rumänien verantwortlich waren. Die damals initiierten Aktivitäten werden jetzt über das Rahmenprogramm ECO NET weitergeführt und ausgebaut. ECO NET unterstützt den Implementierungsprozess, bietet verschiedene Ausbildungsmodule an und stellt u. a. eine Übungsfirmendatenbank sowie zahlreiche Informationen und Seminarunterlagen auf der ECO NET–Webseite als Download zur Verfügung. Es richtet sich prinzipiell an alle Länder Südosteuropas. Die derzeitigen Mitglieder betreiben ca. 485 Übungsfirmen wie Abbildung 5 zeigt. (vgl. ECO NET 2006, vgl. ROCT 2006)

 

5. Übungsfirma in Österreich

Bürosimulationen lassen sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen und entwickelten sich in mehreren Phasen regional unterschiedlich weiter. In Österreich wurde aufgrund einer Verbreitung der Handelsschulen bzw. der Handelsakademien im Jahr 1858 das Musterkontor der Wiener Handelsakademie gegründet (vgl. GRAMLINGER 2000, 5ff). Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Österreich als ein klassisches Land der Übungskontore. Mit dem Zerfall der Donaumonarchie verschwand diese Form des Unterrichts jedoch. Erst in den 70iger Jahren wurde die Idee der Übungsfirma im Erwachsenenbildungsbereich wieder neu entdeckt. Die erste schulische Übungsfirma der Gegenwart wurde 1989 an der Höheren Technischen Bundeslehranstalt Wien 22 eingerichtet. Ein Rückgang der SchülerInnenzahlen in der Handelsschule und die verstärkte Forderung der Wirtschaft nach einem vermehrt praxisorientierten und fächerübergreifenden Unterricht bewirkten eine umfassende Reform der Handelsschule und der Handelsakademie Anfang der 90iger Jahre. (vgl. BERCHTOLD/ TRUMMER 2000, 18) Leitideen dieser Gesamtreform der kaufmännischen Lehrpläne waren u. a. Verbesserung der Handlungskompetenz, Verbesserung der praktischen Ausbildung durch Intensivierung des handlungs- und problemorientierten Unterrichts, Einführung von Ausbildungsschwerpunkten sowie verstärkte Fremdsprachenausbildung (vgl. BERNHART/ KEMPEL/ BURDA 1996, 11ff). Die Idee der Übungsfirma war zentrales Thema dieser Reform. 1991 wurde als Pilotprojekt das erste Betriebswirtschaftliche Zentrum, ein mit zeitgemäßer Informations- und Kommunikationstechnologie ausgestattetes Großraumbüro, an der Handelsakademie Kitzbühel eröffnet. Im Rahmen des Schulversuchs Neue Handelsschule richtete man österreichweit Übungsfirmen an Pilotschulen ein. Nach dieser Testphase wurde die Übungsfirma mit dem Inkrafttreten der neuen Lehrpläne erstmals in Europa in der kaufmännischen Schule verankert (vgl. PHILIPP 1998, 4). Die Übungsfirma ist somit ab dem Schuljahr 1992/93 in der Handelsschule bzw. ab dem Schuljahr 1994/95 in der Handelsakademie ein verpflichtender Unterrichtsgegenstand. (Die Handelsschule ist eine dreijährige berufsbildende mittlere Schule von der 9. bis 11. Schulstufe. Die Han­dels­akademie ist eine fünfjährige berufsbildende höhere Schule und wird von SchülerInnen der 9. bis 13.  Schulstufe besucht. Die Handelsakademie vermittelt neben einer umfassenden Allgemeinbildung, auch eine höhere kaufmännische Fachausbildung sowie die Hochschulreife.)

Die Bedeutung der Übungsfirma wurde durch die letzte Lehrplanreform 2003/2004 der kaufmännischen Schulen noch erhöht. So sieht der Lehrplan der Handelsakademie 2004 u. a. folgende Neuerungen bzw. Ergänzungen auch im Hinblick einer internationalen Perspektive vor: (vgl. BM:BWK 2004, 6ff)

•  Im Rahmen des allgemeinen Bildungsziels wird die Bedeutung der Persönlichkeitsbildung sowie die Notwendigkeit des berufsbegleitenden Lernens, und der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen betont.

•  Unter den allgemeinen didaktischen Grundsätzen werden die Förderung von Schlüsselqualifikationen sowie der Einsatz neuer Lernformen, wie kooperatives, offenes Lernen, hervorgehoben.

•  Als neue Unterrichtsprinzipien werden Entrepreneurship Education (Erziehung zu Unternehmergeist) sowie die Erziehung zum europäischen bzw. interkulturellen Denken und Handeln genannt.

•  Von der Übungsfirma wird gefordert, Vernetzungen zu anderen Fächern zu ermöglichen.

•  In allen anderen Unterrichtsgegenständen sind der Übungsfirmen-Konnex und der IT-Bezug neben dem fächerübergreifenden Aspekt besonders zu berücksichtigen. In den Bildungs- und Lehraufgaben der einzelnen Unterrichtsgegenstände sind Lehrplaninhalte für den Konnex zur Übungsfirma und für den IT-Bezug aufgezählt.

•  Die Bildungs- und Lehraufgaben für die Übungsfirma wurden u. a. um die Präsentation der Übungsfirma in der Öffentlichkeit und um die Job Rotation ergänzt. Als Erweiterungslehrstoff werden hier u. a. die Kommunikation in mindestens einer Fremdsprache und die Erstellung eines Businessplans angeführt.

Mit diesen Neuerungen sollen den raschen Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur durch besonders praxisorientierte Aufgabenstellungen und handlungsorientierten Unterricht Rechnung getragen werden. Die Übungsfirma nimmt dabei aufgrund der Vernetzungen zu bzw. von anderen Unterrichtsgegenständen eine zentrale Rolle ein.

Bereits 1993 wurde die österreichische Zentralstelle ACT (Austrian Center vor Training Firms) als ein Projekt der Sektion Berufsbildung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur ins Leben gerufen. ACT versteht sich als Servicestelle für alle Übungsfirmen in Österreich sowie als Schnittstelle zu Bildungsinstitutionen, Politik, Wirtschaft und Sozialpartnern. Sie ist die zentrale Schaltstelle des österreichischen Übungsfirmenmarkts, sein pädagogisch-organisatorisches Zentrum und Bindeglied zum internationalen Übungsfirmenmarkt. Folgende Dienstleistungen werden den Übungsfirmen derzeit kostenlos von ACT zur Verfügung gestellt: Bank, E-Commerce, Finanzamt, Firmenbuch, Gericht, Kreditkarte, Post, Railcargo, Sozialversicherung, Wirtschaftskammer und Zoll. ACT unterstützt außerdem durch Publikationen sowie speziellen Informationen im Zusammenhang mit internationalen Kontakten, beim Einsatz von Fremdsprachen, über Qualitätsmanagement und bei der Unternehmensgründung. (vgl. ACT 2006)

Seit 1994 ist die Anzahl der Übungsfirmen in Österreich rasant gestiegen. So gab es 1992/93 nur rund 50 Übungsfirmen, 1996/97 schon rund 300 und 1997/98 bereits rund 700 registrierte Firmen. Der Höhepunkt wurde 2001 mit über 1000 Übungsfirmen erreicht. Hauptgrund für diese Entwicklung war natürlich die Integration in die Lehrpläne der Handelsschule und Handelsakademie, aber auch in anderen Schultypen ist die Übungsfirma Wahlpflichtfach oder Freigegenstand geworden. Im Mai 2006 sind 948 Übungsfirmen bei der Zentralstelle ACT gemeldet, was etwa einem Sechstel aller weltweit registrierten Übungsfirmen entspricht. In Relation zu seiner Größe ist Österreich eine Großmacht am internationalen Übungsfirmenmarkt. 75,4 % der österreichischen Übungsfirmen befinden sich an Handelsschulen und Handelsakademien. Dieser Anteil ist leicht rückläufig, da 1999 noch 86,8 % und 1997 gar 88,6 % der Firmen an kaufmännischen Schulen betrieben wurden (GRAMLINGER/ KÜHBÖCK/ LEITHNER 2000, 46). Wie sich die Übungsfirmen auf alle Schultypen bzw. Institutionen verteilen stellt Abbildung 6 dar: (vgl. ACT 2006)

Die am österreichischen Übungsfirmenmarkt vorherrschende Branche ist seit Jahren der Handel. Der Anteil lag in den Jahren 1995, 1997 sowie 1999 knapp über 80 % (vgl. GRAMLINGER/ KÜHBÖCK/ LEITHNER 2000, 35) und beträgt heute 78 %. Auffallend selten entscheiden sich österreichische Übungsfirmen dagegen für den Bereich Produktion, wie aus Tabelle 2 ersichtlich wird (vgl. ACT 2006). Im Netzwerk EUROPEN beträgt dieser Anteil vergleichsweise 12,2 %. (vgl. EUROPEN 2006)

Die nun folgenden Ausführungen stützen sich auf eine von der Autorin im Rahmen ihres Dissertationsprojekts durchgeführte Lehrendenbefragung zur Übungsfirmenarbeit in Österreich Anfang 2006. Das eigentliche Ziel dieser Untersuchung ist die Analyse der Ist-Situation, im Besonderen des Stellenwerts des Rechnungswesens in der österreichischen Übungsfirma. Im Jänner 2006 wurde an alle 765 Lehrkräfte, die zur Zeit in einer der bei ACT eingetragenen Übungsfirmen tätig sind (vgl. ACT 2006), ein dreiseitiger Fragebogen mit einem Begleitbrief direkt per Post verschickt. Darin wurden drei Bereiche ihrer Übungsfirmenarbeit (Organisation der Übungsfirma, sowie Arbeitssituation und Rechnungswesen in der Übungsfirma) beleuchtet. Die Fragen zum Arbeitsplatz und zur Organisation der Übungsfirma wurden in Anlehnung an eine Untersuchung an der Abteilung für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Johannes-Kepler-Universität Linz erstellt, um vergleichbare Daten zu erhalten (vgl. GRAMLINGER/ KÜHBÖCK/ LEITHNER 2000, 25). Die Fragestellungen zum Rechnungswesen wurden hingegen neu konzipiert. Die Bereitschaft der ÜbungsfirmenleiterInnen zur Teilnahme war äußerst groß; der Rücklauf erreichte mit 325 retournierten Bögen eine Quote von 42,5 %. Die Daten aus den erhaltenen Fragebögen wurden im Statistikprogramm SPSS 13.0 erfasst und ausgewertet.

Für den vorliegenden Beitrag wurden vor allem jene Fragestellungen ausgewertet, die für ein Agieren auf globalen Märkten wesentlich bzw. für den Erwerb einer internationalen Handlungskompetenz relevant erscheinen. Die nachkommenden Darstellungen sollen die derzeitige Ist-Situation dieses Bereichs der Übungsfirmenarbeit im Geschäftsjahr 2005/06 in Österreich lediglich beschreiben sowie durch die Gegenüberstellung einiger Ergebnisse mit den Linzer Daten aus den Jahren 1997 bzw. 1999 ein Aufzeigen von Entwicklungstendenzen ermöglichen. (Die Auswertungen aus 2006 beziehen sich stets auf die Grundgesamtheit von 325 Fragebögen. Die Daten aus den früheren Untersuchungen greifen aufgrund der teilweise unvollständig ausgefüllten Fragebögen auf unter­schiedliche Grundmengen zurück (vgl. GRAMLINGER/ KÜHBÖCK/ LEITHNER 2000, 30). ) Eine Analyse hinsichtlich aufgezeigter Stärken und Schwächen sowie die Erarbeitung notwendiger Maßnahmen erfolgt im nächsten Kapitel.

Die Lehrendenbefragung des Jahres 2006 zeigt, dass in Österreichs Übungsfirmen zwischen 4 und 60 SchülerInnen tätig sind. Der Mittelwert der SchülerInnenzahlen beträgt 16,68. Dieser Wert unterscheidet sich nur im Dezimalbereich von den Werten aus den Jahren 1997 und 1999, denn damals waren durchschnittlich 17 Personen beschäftigt. Die Anzahl der Lehrenden pro Übungsfirma unterliegt hingegen stärkeren Schwankungen. 2006 unterrichten 52,6 % der Lehrenden alleine und 47,4 % im Team. Dieses Verhältnis hat sich gegenüber dem Jahr 1999 zu Gunsten des Teamteachings verbessert, erreicht jedoch nicht den Wert aus 1997, wie die folgende Abbildung zeigt:

Im Rahmen der Befragung 2006 wurde zusätzlich erhoben, mit wem die Lehrenden im Team unterrichten. In 70,1 % der Fälle arbeiten zwei WirtschaftspädagogInnen zusammen, in 18,2 % ein/e Wirtschaftspädagoge/in mit einer/m Fremdsprachenlehrer/in. In 11,7 % der Fälle erfolgt die Zusammenarbeit mit anderen KollegInnen, wie beispielsweise PraktikantInnen, HauswirtschaftslehrerInnen, SozialpädagogInnen oder TextverarbeitungslehrerInnen.

Die Lehrenden wurden außerdem befragt, wie sie die Eingangsvoraussetzungen der Lernenden am Beginn der Übungsfirmenarbeit beurteilen. Über 75 % der Lehrenden bewerten die Eingangsvoraussetzungen zwischen ausgezeichnet und ausreichend. Knapp 25 % der Befragten sprechen von mangelhaften oder unzureichenden Voraussetzungen. Auf die Frage, wo sie Mängel feststellen, gaben nur zehn Personen Defizite bei Fremdsprachen an. Das entspricht 2,2 % der betreffenden Nennungen. Auf die Frage, welche Organisationseinheiten in den Übungsfirmen eingerichtet sind, führten zehn Lehrende, also 3,1 % der Befragten, eigene Organisationseinheiten für Auslandgeschäfte an.

Die zunehmende Internationalisierung spiegelt sich auch am österreichischen Übungsfirmenmarkt wider, denn 241 der untersuchten 325 Übungsfirmen unterhalten mittlerweile internationale Geschäftsbeziehungen. Die Anzahl der ausländischen Geschäftspartner reicht von 1 bis 400. Im Durchschnitt schließen Österreichs Firmen mit knapp 10 ausländischen Übungsfirmen Geschäfte ab. Das entspricht fast einer Verdreifachung des Wertes aus 1999. Der Median liegt bei 4, folglich haben mindestens 50 % der befragten Übungsfirmen mindestens vier internationale Geschäftspartner.

Eine Übungsfirma aus dem Erwachsenenbildungsbereich, in der 38 Stunden pro Woche gelernt und gearbeitet wird, nannte 300 internationale Geschäftspartner. Eine andere Übungsfirma, die eine Bank für Übungsfirmen betreibt, gab 400 internationale Partner an. Der um diese beiden Firmen bereinigte Mittelwert von 6,7 zeigt immer noch eine Verdoppelung des Mittelwerts aus 1999.

In der realen Welt sind Deutschland, Italien, USA, Frankreich, Ungarn und die Schweiz Österreichs wichtigste Handelspartner (vgl. STATISTIK AUSTRIA 2006). Die Übungsfirmenwelt zeigt ein ähnliches Bild. Die meisten Geschäfte werden hier mit Deutschland, Schweiz, Italien, Frankreich und Dänemark abgeschlossen. Die befragten Übungsfirmen mit ausländischen Geschäftsbeziehungen handeln im Durchschnitt mit Firmen aus zwei bis drei verschiedenen Ländern. Tabelle 5 ermöglicht eine Gesamtübersicht der internationalen Verflechtungen der befragten Übungsfirmen:

Der Anteil jener Übungsfirmen, die ihre MitarbeiterInnen bei der ACT-Gebietskrankenkasse anmelden, ist im Vergleich zu 1997 und 1999 gestiegen. Er liegt 2006 bei 88,9 %. Die Anzahl der bei der ACT versicherten MitarbeiterInnen ist dagegen in den letzten Jahren auf durchschnittlich 7,38 ArbeitnehmerInnen gesunken.

( Bei der Berechnung des Mittelwerts und der Standardabweichung aus 1999 wurde eine Übungsfirma, die 400 MitarbeiterInnen beschäftigte, aufgrund der deutlichen Verzerrung nicht berücksichtigt. Bezieht man auch diese Daten mit ein, ergibt sich für 1999 ein Mittelwert von 8,87 bei einer Standardabweichung von 22,47 (vgl. GRAMLINGER/ KÜHBÖCK/ LEITHNER 2000, 56). )

Die Verwendung der Gehälter dieser MitarbeiterInnen ist ebenfalls von Interesse, da die MitarbeiterInnen als KosumentInnen am Übungsfirmenmarkt auftreten und die private Nachfrage simulieren. Im Geschäftsjahr 2005/06 investierten 73,2 % der Übungsfirmen zumindest einen Teil der Gehälter über Personaleinkäufe wieder am Übungsfirmenmarkt. Der Vergleich zu den Jahren 1997 und 1999 ist in der nachfolgenden Abbildung dargestellt:

Die Lernenden einer Übungsfirma sollen auch ein besseres Verständnis von Marktbeziehungen und betrieblichen Abläufen entwickeln. Aus diesem Grund wurden die Lehrenden befragt, wie sie betriebliche Zusammenhänge für ihre MitarbeiterInnen transparent machen. Wie die folgende Tabelle zeigt, werden Zusammenhänge am häufigsten in einer Besprechung am Beginn der Übungsfirmeneinheit und durch die Darstellung der eigenen betrieblichen Abläufe erklärt.

 

6.  Anforderungen an die Übungsfirma

Die Übungsfirma wird mancherorts als Krönung des handlungsorientierten Unterrichts gepriesen (vgl. BERNHART/ KEMPEL/ BURDA 1996, 12). Mit der simulierten nationalen und internationalen Übungsvolkswirtschaft bietet sie die besondere Lernchance, auch internationale Handlungskompetenz zu erwerben. Dieses Kapitel soll ausgehend von den vorgestellten empirischen Ergebnissen zeigen, inwieweit dieses Potential bereits genutzt wird bzw. wo Verbesserungen wünschenswert und notwendig sind. Dazu werden die Bereiche Übungsvolkswirtschaft, Übungsfirmenleitung, Rahmenbedingungen und Übungsfirmenunterricht näher beleuchtet.

6.1  Anforderungen an die Übungsvolkswirtschaft

Von besonderem Interesse für Lehrende und Lernende sind die realen Außenkontakte durch die Einbindung in eine Übungsvolkswirtschaft. So wie die Übungsfirma die Simulation eines realen Unternehmens ist, so ist auch die Übungsvolkswirtschaft lediglich die Simulation eines realen Marktes und kann nur bedingt mit einer echten nach Marktgesetzen funktionierenden Volkswirtschaft verglichen werden. (vgl. BERCHTOLD/STOCK 2005, 123)

Es ist bis heute nicht gelungen, Marktstrukturen und Marktmechanismen ökonomisch valide abzubilden. Valide Lernumwelten sind jedoch Voraussetzung, um ein an wirtschaftliche Erwartungen ausgerichtetes und nach wirtschaftlichen Kriterien zu bewertendes betriebswirtschaftliches Handeln zu ermöglichen (vgl. TRAMM/ GRAMLINGER 2002, 105; vgl. NEUWEG 2001, 241). Am Übungsfirmenmarkt herrschen v. a. enorme sektorale Ungleichgewichte. Wie schon Tabelle 2 gezeigt hat, sind 78 % der österreichischen Übungsfirmen Handelsbetriebe. Nur 19 % der Firmen sind im Dienstleistungssektor tätig, und es gibt kaum Industrie- oder Produktionsbetriebe. Der Markt ist also überschwemmt von Konsumgütern, wobei Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe oft schwer zu bekommen sind. Beispielsweise hat es am österreichischen Übungsfirmenmarkt lange Zeit keine Anbieter für Strom, Telefon oder Treibstoffe gegeben. Schon bei der Gründung einer Übungsfirma muss eine entsprechende Marktforschung betrieben werden, ob AbnehmerInnen und LieferantInnen vorhanden sind und wie viele Konkurrenzbetriebe bereits bestehen. Auch die Zentralstellen könnten Hinweise geben, welche Betriebe zur Vervollständigung des Marktes beitragen würden. Damit kann die Simulation von Aufwendungen bzw. die Abwicklung über Referenzfirmen eingeschränkt werden.

Ein weiteres Problem ist, dass Kaufentscheidungen von Übungsfirmen und deren MitarbeiterInnen meist nicht aufgrund realer Bedürfnisse getroffen werden (vgl. TRAMM/ GRAMLINGER 2002, 105). Beispielsweise leidet eine der wenigen Firmen, die Toilettenpapier offerieren, an Absatzproblemen. Das Verhalten der Übungsfirmenvolkswirtschaft ist also nur schwer bzw. kaum zu berechnen.

Um den Wirtschaftskreislauf vollständig zu schließen, sollten die Einnahmen aus Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen und sonstigen Abgaben von den Zentralstellen reinvestiert werden. Maßnahmen dafür können eine Gründungsförderung bzw. eine Unterstützung für JungunternehmerInnen oder öffentliche Aufträge und Ausschreibungen sein. Dies würde den Markt ankurbeln und härtere Konkurrenzsituationen schaffen. Bei einigen Zentralstellen ist es außerdem nicht möglich, Kredite zu erhalten. Da reale Unternehmen jedoch zu einem Großteil mit Fremdkapital finanziert werden, entspricht diese Situation nicht der Realität.

Schulische Übungsfirmen können als Saisonbetriebe bezeichnet werden, da sie meistens nur eine wöchentliche Geschäftszeit haben und diese durch verschiedene Ferien bzw. Feiertage zusätzlich unterbrochen wird. In der Vergangenheit wurde zudem die Kommunikation zwischen den Übungsfirmen durch teure und lange Postwege erschwert. Durch moderne Kommunikationsmittel wie Email, Homepage und Webshop können Kosten und Reaktionszeiten deutlich reduziert werden (vgl. TRAMM/ GRAMLINGER 2002, 104). Es entstehen aber neue Probleme, nämlich die Belastung durch unzählige Spam-Mails oder Computerviren. Aufgrund veralteter Emailadressen oder überfüllter Emailposteingangsboxen sind Emails oft unzustellbar. Für wichtige Sendungen muss folglich auf Faxmitteilungen bzw. herkömmliche Postsendungen zurückgegriffen werden. Großes Augenmerk ist deshalb auf die regelmäßige Wartung der Emailadressen, die Installierung wirksamer Anti-Virenprogramme und die Aktualisierung der Unternehmensdaten bei den Zentralstellen zu legen.

Die Abwicklung internationaler Geschäfte wurde durch die Nutzung von Internet, den Verkauf über die eigene Homepage bzw. den Webshop, sowie moderner Online-Banking Software erheblich erleichtert. Die erste Kontaktaufnahme gestaltet sich jedoch nach wie vor schwierig. Die Datenbanken bzw. Verzeichnisse der Übungsfirmen werden von manchen nationalen und internationalen Zentralstellen nur wenige Male im Jahr gewartet bzw. aktualisiert. Einige Zentralstellen ermöglichen keinen freien Zugang.

Im größten und wichtigsten internationalen Netzwerk EUROPEN sind nicht alle Länder und deren Übungsfirmen integriert, u. a. aufgrund der Mitgliedsgebühren. Es haben sich weitere länderübergreifende Netzwerke gebildet, was den Überblick über die gesamte Volkswirtschaft sowie die Abwicklung internationaler Geschäfte erschwert. Hier sind die zuständigen Bildungsverantwortlichen gefordert, Lösungen für ein Durchbrechen dieser Marktbarrieren zu finden, um internationale Märkte effizient bearbeiten zu können und um zumindest innerhalb der Europäischen Union auch einen virtuellen, freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zu ermöglichen.

6.2  Anforderungen an die Übungsfirmenleitung

Die Leitung einer Übungsfirma stellt eine große Herausforderung für Lehrende dar. Die Qualität des Arbeitens und Lernens steht und fällt immer mit dem Einsatz, Engagement sowie den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Übungsfirmenleitung. Ebenso sind der Umgang mit der Rollendualität (LehrerIn bzw. Führungskraft) und die Frage der Ernsthaftigkeit, die man der Übungsfirma beimisst, für die Qualität dieser Methode wesentlich.

Aufgrund der Dynamik und Offenheit des Modellcharakters und der schwer steuerbaren Übungsvolkswirtschaft ist kein Unterricht nach Lehrbuch möglich. Nirgendwo sind die Gestaltungsspielräume so groß und die Richtlinien und Hilfsmaterialien so gering wie in der Übungsfirma. (vgl. GRAMLINGER 2000, 304) Gute Lehrende sollen für die Gestaltung und Führung einer Übungsfirma zwei wesentliche Eigenschaften mitbringen: (vgl. BERCHTOLD/ TRUMMER 2000, 101)

•  Bereitschaft, selbst zu lernen und zugeben zu können, wenn man Antworten nicht weiß.

•  Bereitschaft zur Kooperation mit anderen Personen, die über Fachwissen verfügen, das für die Transformation benötigt wird.

Da im Hinblick auf die Internationalisierung zusätzlich spezielles Fachwissen inklusive Fremdsprachenkenntnisse erforderlich ist, erleichtert eine gute und enge Zusammenarbeit mit LehrkollegInnen die Arbeit enorm. Wie die Ergebnisse zeigen, unterrichten insgesamt nur 47,4 % der Lehrenden im Team, und FremdsprachenlehrerInnen sind nur in 8,6 % der befragten Übungsfirmen im Einsatz. Wenn z. B. aus administrativen Gründen (Probleme mit Stundenplan oder Stundenverteilung) ein Teamteaching mit einem Kollegen bzw. einer Kollegin nicht möglich ist, können schulinterne Netzwerke gebildet werden. In Besprechungen können inhaltliche Schwerpunkte abgestimmt und die Zusammenarbeit bei fächerübergreifenden Projekten organisiert werden. Wenn beispielsweise die Eroberung des amerikanischen Marktes ein Ziel in der Übungsfirma ist, sollte dieses Thema im betroffenen Semester auch in Fächern wie Englisch, Geographie, Geschichte, Betriebswirtschaft, Rechnungswesen sowie Politische Bildung und Recht behandelt werden. Die Lehrenden dieser Fächer können dann als externe BeraterInnen bei der Lösung spezieller Probleme in der Übungsfirma zu Rate gezogen werden. Solch eine Vernetzung zwischen der Übungsfirma und den anderen Unterrichtsfächern erfordert die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, ein hohes Maß an Kommunikation und viele Abstimmungen zwischen den LehrerkollegInnen (vgl. GRAMLINGER 2000, 314). Dieser Konnex wird einerseits in den kaufmännischen Lehrplänen Österreichs gefordert und muss andererseits auch von der Schulleitung vor Ort gezielt gefördert werden. Schulungen der nicht übungsfirmenkundigen LehrerInnen zur Umsetzung des Übungsfirmen-Konnexes sind dabei ebenfalls wünschenswert.

Die 2006 durchgeführte Untersuchung hat ergeben, dass ein Großteil der internationalen Geschäftspartner österreichischer Übungsfirmen aus dem deutschsprachigen Raum (Deutschland, Südtirol und der Schweiz) kommt. Eine gute Möglichkeit auch am restlichen internationalen Übungsfirmenmarkt Fuß zu fassen, ist der Besuch bzw. die Teilnahme an Übungsfirmenmessen . Das Angebot an nationalen und internationalen Messen ist zahlreich und die Veranstaltungen sind meist gut organisiert. Hier erhalten die ÜbungsfirmenleiterInnen zahlreiche Gelegenheiten Kontakte zu anderen LeiterInnen zu knüpfen, um langfristige Geschäftsbeziehungen zu wichtigen LieferantInnen aufzubauen, um StammkundInnen zu gewinnen oder um Erfahrungen auszutauschen. Nur durch den persönlichen Kontakt können die Lehrenden schulexterne Netzwerke aufbauen, um auch langfristig mit ausländischen Übungsfirmen zu kooperieren. Das kann folglich z. B. über einen SchülerInnenaustausch, über die Organisation von Online-Börsen oder Verkaufsverhandlungen im Rahmen einer Web-Konferenz mit Übungsfirmen aus mehreren Ländern erfolgen.

Um internationale Kompetenzen in der Übungsfirma erfolgreich zu entwickeln, sollte besonderes Augenmerk auf die Einrichtung interner und externer Netzwerke sowie auf eine gute Ausbildung bzw. laufende Weiterbildung der Übungsfirmenleitung gelegt werden.

6.3  Anforderungen an die Rahmenbedingungen

In den letzten Jahren wurden an Österreichs Schulen enorme finanzielle Mittel in die Übungsfirmenräume, die so genannten Betriebswirtschaftlichen Zentren , investiert, um die Arbeitsplätze der Lernenden mit zeitgemäßen Büro-, Informations- und Kommunikationseinrichtungen auszustatten. Die Übungsfirmen sollen mit ihren modernen Büros das Aushängeschild für eine praxisorientierte Ausbildung an kaufmännischen Schulen darstellen. Es stellt sich die Frage, ob die Übungsfirma dieser Rolle gerecht wird, wenn ihr beispielsweise im Lehrplan der Handelsakademie nur drei bis maximal fünf Wochenstunden (von insgesamt 168 Wochenstunden) im vierten Jahrgang eingeräumt werden (vgl. GRAMLINGER 2005, 95). Erfreulicherweise verlor die Übungsfirma mit Inkrafttreten des Lehrplans 2004 ihre isolierte Position und erhielt durch den Übungsfirmen-Konnex eine zentrale Stellung. Sie soll nun durch die Vernetzung von und zu den anderen Unterrichtsfächern fachliche, soziale und persönliche Kompetenzen festigen bzw. verbessern. Zu den Auswirkungen der Umsetzung dieses Übungsfirmen-Konnexes liegen noch keine empirischen Ergebnisse vor. Ob eine auf wenige Wochenstunden reduzierte und erst gegen Ende der Ausbildung platzierte Übungsfirma diesen Erwartungen gerecht werden kann, bleibt abzuwarten. So wird auch eine quantitative Ausweitung des Übungsfirmenunterrichts vielfach gefordert (vgl. GRAMLINGER 2005, 95; NEUWEG 2001, 243). Einerseits könnte die Anzahl der Wochenstunden erhöht werden, andererseits wäre die Ausweitung auf mindestens einen weiteren Jahrgang eine gute Möglichkeit, wie dies zum Beispiel bei den bayrischen Wirtschaftsschulen bereits umgesetzt wird. Bei einer Ausdehnung auf zwei Jahrgänge kann z. B. der Schwerpunkt im ersten Jahr auf der Büroorganisation, dem Umgang mit modernen Technologien und dem Verständnis einfacher betrieblicher Prozesse liegen. Im zweiten Jahr können dann komplexere und anspruchsvollere Aufgaben wie z. B. strategische Unternehmensplanung, Controllingtätigkeiten und Intensivierung internationaler Kontakte im Vordergrund stehen.

6.4 Anforderungen an die Gestaltung des Übungsfirmenunterrichts

Für den Erwerb von Handlungskompetenz sind umfassende Aufgabenstellungen, die ein komplexes, ganzheitliches, vollständiges und kognitiv anspruchsvolles Handeln der SchülerInnen erfordern, notwendig. Der Unterricht in der Übungsfirma muss den SchülerInnen eigene Handlungs- und Gestaltungsspielräume ermöglichen und sie in unternehmenspolitische und strategische Planungs-, Entscheidungs- und Kontrollprozesse einbeziehen (vgl. TRAMM 1996, 669). Damit man von einem Agieren am Markt sprechen kann, müssen die Lernenden folglich fähig sein, selbst Ziele zu definieren, strategisch zu planen, Entscheidungen zu treffen, geplante Maßnahmen umzusetzen und die Ergebnisse zu kontrollieren (vgl. NEUWEG 2001, 241f). Schriftlich festgehaltene Ziele sowie Zeitpläne sind dafür ebenso erforderlich wie Berichte aus dem Rechnungswesen bzw. Controlling, die die erzielten Ergebnisse danach transparent machen. Die SchülerInnen sollen über ihr eigenes Tun nachdenken und ihr Handeln reflektieren. Dazu muss im Unterricht neben den Arbeitsphasen entsprechender Raum für Lern- und Reflexionsphasen geschaffen werden. Die Fähigkeit zur Reflexion muss bewusst geschult werden. Reflexionen können durch schriftliche Berichte oder durch mündliche Reflexionsrunden mit Instrumenten wie Koosh-Ball oder Zauberstab erfolgen. (vgl. BERCHTOLD/TRUMMER 2000, 137f)

Am Beispiel der Teilnahme an einer internationalen Übungsfirmenmesse kann der Planungs-, Entscheidungs- und Kontrollprozess wie folgt aufgezeigt werden: Die Lernenden setzen sich das Ziel, eine bestimmte Messe zu besuchen und legen dazu ökonomische Ziele fest. Sie planen die erforderlichen Maßnahmen und führen sie aus, wie z. B. Anmeldung, Organisation der Reise und Messeauftritt. Die vorbereitenden Planungen und Tätigkeiten sollen sich allerdings nicht nur auf die Absatzseite konzentrieren. Es sollen auch Überlegungen angestellt werden, welcher Bedarf an zu beziehenden Güter- und Dienstleistungen besteht, da eine Messe ebenso eine gute Gelegenheit für den Erstkontakt mit geeigneten Lieferanten darstellt. Wahllos getätigte Einkäufe sollen jedenfalls reduziert werden. Bei der Messe können die Lernenden neben ihren Fremdsprachenkenntnissen auch ihre Präsentationsfähigkeit, ihr Verhandlungsgeschick und ihr Organisationstalent beweisen. Ebenso wichtig wie die Vorbereitung des Messebesuchs ist dessen Nachbereitung. Aufgebaute nationale und internationale Kontakte müssen weiterverfolgt und die Bezahlung sowie die Verbuchung der getätigten Geschäftsfälle müssen erledigt werden. Die erzielte Ergebnisse müssen mit den Zielen verglichen, Erfahrungen der Lernenden und Lehrenden müssen diskutiert und der Lernzuwachs muss reflektiert werden.

Durch die Simulation und didaktische Vereinfachung dürfen betriebliche Zusammenhänge nicht verloren gehen. Wie die Ergebnisse aus 2006 zeigen, kommen Besprechungen am Beginn bzw. Ende der Unterrichtseinheit sowie die Darstellung der eigenen betrieblichen Abläufe besonders häufig vor. Da sich die Gestaltung internationaler Geschäftstätigkeiten als besonders anspruchsvoll darstellt, muss hier auf das Verständnis von Zusammenhängen innerhalb des Unternehmens und von Marktverflechtungen speziell geachtet werden.
Die Personaleinkäufe der SchülerInnen im In- und Ausland sollen ebenfalls forciert werden. Nur 73,2 % der Übungsfirmen investierten im Geschäftsjahr 2005/06 die Gehälter ihrer MitarbeiterInnen ganz oder teilweise am Übungsfirmenmarkt. Dies setzt natürlich voraus, dass alle Übungsfirmen ArbeitnehmerInnen beschäftigen, die Löhne bzw. Gehälter beziehen und bei der Krankenkasse angemeldet sind, was 2006 bei 88,9 % der befragten Übungsfirmen der Fall war. Da sehr viele Konsumgüter angeboten werden, hängt das Funktionieren der Übungsvolkswirtschaft sehr von diesen Personaleinkäufen ab. Außerdem erhalten dadurch alle SchülerInnen die Möglichkeit, auch internationale Geschäfte zu tätigen. Diese Gelegenheit bietet sich sonst nur den MitarbeiterInnen der Bereiche Ein- bzw. Verkauf.

 

7. Fazit

Die kaufmännische Ausbildung soll vielseitige Lehr- und Lernprozesse für den Erwerb einer internationalen Handlungskompetenz bieten, sodass die Lernenden mit einer umfassenden Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz für länderübergreifende Aktivitäten qualifiziert sind. Die Übungsfirma als eine Form des handlungsorientierten Unterrichts bietet dazu zahlreiche Lernchancen, da mit realen Partnern weltweit gehandelt bzw. verhandelt werden kann.

Jede Übungsfirma für sich ist einzigartig und wird von einem oder mehreren Lehrenden mit großteils besonderem Engagement geleitet. In diesem Beitrag wurden Ergebnisse einer Analyse der Ist-Situation des österreichischen Übungsfirmenmarktes im Geschäftsjahr 2005/06 dargestellt. Daraus wurden Anforderungen an die Übungsfirmenarbeit abgeleitet sowie Anregungen für die Weiterentwicklung entwickelt, um das volle Potential dieser Variante der Lernfirma in Zukunft besser nutzen zu können. Verbesserungen sind dringend notwendig, damit sich die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Lehrmethode weg von Büroorganisation, Belegwesen und Technik erproben, hin zu unternehmerischem Handeln auf nationalen und globalen Märkten verlagern können. Wie sich die reale Welt in immer rasanterem Tempo verändert, so darf auch die Übungsfirmenarbeit nicht stehen bleiben und soll ihrer Rolle als Zentrum des handlungsorientierten Unterrichts im österreichischen Curriculum der kaufmännischen Schulen auch im Hinblick auf internationale Geschäftstätigkeiten gerecht werden.
Denn früh übt sich, wer ein global player werden will!

 

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