wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

Schrift vergrößern Schrift zurücksetzen Schrift verkleinern download pdf-file pdf 500kb | www.bwpat.de

 
 

 bwp@ Ausgabe Nr. 13 | Dezember 2007
Selbstorganisiertes Lernen in der beruflichen Bildung Herausgeber der bwp@ Ausgabe 13 sind Karin Büchter und Tade Tramm

Wenn Schüler selbstorganisiert lernen, was tun dann die Lehrer? Analyse der Anforderungen an Lehrkräfte, gezeigt am Beispiel des kooperativen offenen Lernens an berufsbildenden Schulen

online seit 25.2.2008
 

 


1.  Problemstellung und Zielsetzung

Der Stellenwert des selbstorganisierten Lernens und verwandter Lernkonzeptionen wie etwa des selbstbestimmten oder des selbstregulierten Lernens nimmt in allen Bereichen des Bildungswesens – in der schulischen Ausbildung ebenso wie in der Erwachsenenbildung – deutlich zu. Immer mehr wird von den Menschen erwartet, dass sie nicht nur in der Schule lernen, wo Lehrkräfte die Lernprozesse initiieren, aufrechterhalten, strukturieren und steuern können, sondern dass jede und jeder im Sinne des lebenslangen Lernens bereit und dazu fähig ist, sich selbst immer wieder mit neuen Inhalten, Techniken und Verfahren auseinanderzusetzen und damit selbstständig und selbstorganisiert lernen zu können. Selbstorganisiertes Lernen sieht für gewöhnlich vor, dass die Lernenden selbst bestimmen, wann, wo und wie sie welche Aufgabenstellungen erledigen. Dadurch initiieren sie ihre Lernprozesse selbst, sie stellen fest, was sie lernen wollen oder sollen, organisieren die dafür nötigen Unterlagen, legen einen Zeitplan fest und evaluieren ihren Lernprozess- und
-fortschritt. Den Lernenden wird dadurch ermöglicht, Lerninhalte und Ziele für ihre Lernprozesse ihrem Vorwissen, ihren Erfahrungen, Begabungen und Interessen entsprechend selbst auszuwählen und diese in ihrem eigenen Stil und in ihrem eigenen Tempo unabhängig von den Vorstellungen anderer Personen zu erreichen.

Auf den ersten Blick erscheinen Lehrkräfte beim selbstorganisierten Lernen der Schüler/innen überflüssig zu werden. Klassische Aufgaben der Lehrkräfte wie die Festlegung von Lernzielen für eine bestimmte Unterrichtseinheit und der dafür notwendigen Lernschritte und -inhalte, das Bereitstellen von Lernmaterial und Informationen, die Strukturierung des Lernprozesses und die Einteilung der Zeit liegen nun in den Händen der Lernenden. Welche Rolle spielen Lehrkräfte überhaupt noch in diesem Lernkonzept? Inwieweit ist es noch notwendig, dass sie ihre traditionellen Aufgaben erfüllen? Treten andere Aufgaben und Anforderungen an ihre Stelle?

Die Zielsetzung des vorliegenden Beitrags besteht darin, diese Fragen zu untersuchen und zu beantworten. Dazu wird zunächst anhand empirischer Befunde zum kooperativen, offenen Lernen an österreichischen berufsbildenden Schulen, das wesentliche Elemente des selbstorganisierten Lernens im o. a. Sinne realisiert, ein konkretes Bild der Praxis in der Schule gezeichnet. Die dazu gesammelten empirischen Befunde stammen aus mehreren Untersuchungen und beruhen nicht nur auf den Befragungen von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern, sondern beziehen auch authentisches, im Unterricht verwendetes schriftliches Material mit ein. Die Befunde lassen zahlreiche Rückschlüsse auf die Rollen und die Aufgabengebiete der Lehrkräfte beim selbstorganisierten Lernen der Schüler/innen zu, die anschließend anhand theoretischer Überlegungen zusammengefasst, diskutiert und reflektiert werden.

2.  Begriffliche Abgrenzungen

Der Begriff Selbstorganisiertes Lernen wird in der Literatur nicht einheitlich definiert und verwendet. Er weist darüber hinaus große Überschneidungsbereiche mit ähnlich klingenden bzw. inhaltlich verwandten Begriffen wie Selbstgesteuertes, Selbstregulatives, Selbstreguliertes oder Selbstständiges Lernen auf. In manchen Fällen werden diese Begriffe überhaupt als Synonyme verwendet. Die Unterschiede zwischen den konkreten Realisierungen dieser Lernkonzepte beziehen sich in vielen Fällen auf einzelne Teilaspekte des Lernprozesses bzw. betonen die verschiedenen Lernkonzepte unterschiedliche Perspektiven auf den Lernprozess. Die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Begriffe bestehen darin, dass sie sich für gewöhnlich auf Lernkonzeptionen beziehen, bei denen die Lernenden in unterschiedlichem Ausmaß über die Ziele und Inhalte, über die Formen und Wege, Ergebnisse und Zeiten sowie die Orte ihres Lernens selbst entscheiden (vgl. KNOWLES 1994; WEINERT 2002). Für den vorliegenden Beitrag soll entsprechend seiner Themenstellung und Zielsetzung in der Folge nur noch das selbstorganisierte Lernen und die Umsetzung wesentlicher Elemente selbstorganisierten Lernens im Konzept des Cooperativen Offenen Lernens (COOL) an österreichischen berufsbildenden Schulen im Vordergrund stehen.

Wenn Lernende bei vorgegebenen Inhalten und Zielen ihr eigenes Lernen selbst steuern und Entscheidungen über die Art und Weise ihrer Lernorganisation fällen, so spricht man in der Regel vom selbstorganisierten Lernen (vgl. BANNACH 2002, 87). Die Selbststeuerung des Lernprozesses erfolgt auf drei interdependenten Ebenen, damit der Lernprozess initiiert, fortgeführt, überwacht und evaluiert werden kann (vgl. SCHIEFELE/ PEKRUN 1996, 258). Bei den Lernenden müssen erstens m etakognitive Prozesse auftreten, die sich aus Tätigkeiten wie planen, Ziele setzen, überwachen und bewerten des Lernfortschritts während des Lernens zusammensetzen. Eine weitere (zweite) Ebene ist jene der motivationalen und volitionalen Prozesse. Die Lernenden initiieren ihre Lernaktivitäten eigenständig und sie müssen bereit sein, auch ohne äußeren Antrieb durch Lehrkräfte sich anzustrengen, sich zur Arbeit zu motivieren und den Lernprozess nicht nur beginnen, sondern auch aufrechterhalten und abschließen zu wollen. Die dritte Ebene umfasst behaviorale Prozesse , nämlich die Lernstrategien der Lernenden. Sie kommen dadurch zum Ausdruck, dass die Lernenden ihre Lernumgebungen und -bedingungen so auswählen, dass der Lernprozess möglichst optimiert werden kann. Die Lernenden suchen gezielt Informationsquellen, Lernhilfen und -unterlagen, Lernpartner/innen und Lernorte, die die Wahrscheinlichkeit des Lernerfolgs steigern. Sie leiten sich selbst beim Lernen an, überwachen und bewerten den Lernerfolg und belohnen sich gegebenenfalls für ihre Erfolge.

Cooperatives Offenes Lernen, wie es an zahlreichen österreichischen berufsbildenden Schulen praktiziert wird, stellt eine mögliche Variante selbstorganisierten Lernens dar. Diese Konzeption wird in der Folge näher charakterisiert. Zum besseren Verständnis der genannten Schultypen wird dieser Charakterisierung ein kurzer Exkurs zum berufsbildenden kaufmännischen Schulwesen in Österreich vorangestellt.

3.  Exkurs zum berufsbildenden kaufmännischen Schulwesen in Österreich

Im folgenden Abschnitt soll ein kurzer Exkurs über die Unterschiede der beiden Schulsysteme in Österreich und Deutschland mit Schwerpunkt auf die berufliche Erstausbildung der Sekundarstufe 2 erfolgen. Obwohl sich in beiden Ländern viele Gemeinsamkeiten finden, bestehen besonders im Hinblick auf die Berufsausbildung doch einige Abweichungen. Das Konzept des selbstorganisierten Lernens wurde in den letzten Jahren besonders in den berufsbildenden kaufmännischen Vollzeitschulen Handelsakademie (HAK) und Handelsschule (HAS) forciert, daher soll nun im ersten Schritt das österreichische System überblicksartig dargestellt werden (siehe Abb. 1) und im zweiten Schritt etwas genauer auf die beiden Schultypen HAS und HAK eingegangen werden.

Eine Option für die Schüler/innen am Ende der 8. Schulstufe stellen die vollzeitschulischen berufsbildenden mittleren und höheren Schulen dar. Diese werden durch verschiedene Schwerpunkte unterschieden z. B. Technik, Wirtschaft, Tourismus, etc. (vgl. bm:ukk, 2007). Die berufsbildenden höheren und mittleren Schulen in Österreich stellen insbesondere für die Abgänger/innen der Hauptschulen eine Möglichkeit dar, eine weitere Ausbildung zu verfolgen. So wurde z. B. im Rahmen eines Forschungsprojekts an vier HAS erhoben, dass 93 % der Schüler/innen (437 befragte Jugendliche 1. und 2. Klasse HAS) zuvor die Hauptschule besuchten (vgl. AFF/ RECHBERGER 2008). In der 10. Schulstufe im Schuljahr 05/06 verteilten sich die Schüler/innen wie folgt auf die einzelnen möglichen Schultypen:

In Österreich existieren neben dem „traditionellen“ dualen System der beruflichen Erstausbildung auch schulisch getragene Ausbildungswege, die zu einem gleichwertigen Berufsausbildungsabschluss führen und die seit einigen Jahren eine zunehmende Attraktivität besitzen. Aus Tabelle 1 wird ersichtlich, dass 79 % der Jugendlichen im Schuljahr 05/06 eine Berufsausbildung absolvierten, davon etwa je die Hälfte im dualen System und in einer vollzeitschulischen Berufsausbildung (vgl. EULER/ SEVERING 2007, 106f.). In Deutschland erfolgt die berufliche Erstausbildung hingegen zu 90 % im dualen System (vgl. FROMMBERGER 2007, 43).

Eine Besonderheit der österreichischen beruflichen Erstausbildung – im Vergleich zu Deutschland – besteht darin, dass die beruflichen Vollzeitschulen quantitativ und qualitativ erfolgreich im Wettbewerb mit dem dualen System gestalten konnten (vgl. AFF 2006). Der besondere Fokus soll nun auf die kaufmännischen mittleren und höheren Schulen gelegt werden. Die kaufmännischen mittleren und höheren Schulen umfassen neben anderen die Schulformen HAK (fünf Jahre) und HAS (drei Jahre). Die HAK vermittelt Allgemeinbildung und eine höhere kaufmännische Ausbildung. Die Schüler/innen schließen mit der Reifeprüfung ab und erwerben damit die Hochschulreife und die Qualifizierung für gehobene Berufe in allen Zweigen der Wirtschaft und Verwaltung (vgl. bm:ukk 2007). Die HAS vermittelt eine abgeschlossene Berufsausbildung nach einer Ausbildungsdauer von drei Jahren und vermittelt wie die HAK Allgemeinbildung und eine kaufmännische Ausbildung. Nach Absolvierung dieses Schultyps können Berufe in allen Zweigen der Wirtschaft und Verwaltung aufgenommen werden (vgl. bm:ukk 2007).

In den Lehrplänen der HAS (2003) und der HAK (2004) wurde das kooperative offene Lernen unter dem Themenfeld „Allgemeine didaktische Schwerpunkte“ bei der letzten Lehrplanreform verankert.

4.  COoperatives Offenes Lernen (COOL) an österreichischen berufsbildenden Schulen

COOL wurde von Georg NEUHAUSER und Helga WITTWER (1999; dies. 2002), zwei Lehrkräften an der HAK/HAS Steyr, in Anlehnung an die Grundprinzipien des Dalton-Plans von Helen PARKHURST (vgl. EICHELBERGER 2002) zunächst für die HAS entwickelt. Den Hintergrund dieser Entwicklung bildeten die ungünstigen Bedingungen, die den Unterricht in den HAS an vielen Schulstandorten erschwer(t)en: eine stark ausgeprägte Heterogenität in den kognitiven Voraussetzungen der Lernenden, in ihrer Lern- und Leistungsbereitschaft sowie in ihren Leistungen, eine hohe Anzahl von Lernenden mit Migrationshintergrund und Sprachproblemen sowie ein hohes Konfliktpotenzial bei den Lernenden. COOL sollte den Handelsschüler/inne/n trotzdem möglichst gute Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs bieten können. Im Herbst 1997 starteten sie in zwei Klassen den österreichweit ersten Schulversuch im berufsbildenden Bereich, dem ein reformpädagogischer Ansatz zugrunde liegt. Mittlerweile (Stand 2007) wird COOL an mehr als siebzig berufsbildenden Schulen in Österreich umgesetzt. Kooperatives offenes Lernen hat bereits (wie oben erwähnt) Eingang in die Lehrpläne der österreichischen HAK und HAS gefunden. Der nachstehende Lehrplanauszug soll diese Schwerpunktsetzung verdeutlichen:

Allgemeine didaktische Schwerpunkte
(…)
Neue Lernformen befähigen die Schülerinnen und Schüler zur Lösung von Problemen. Auf Kooperation der Schülerinnen und Schüler miteinander und rechtzeitige Aufgabenerfüllung ist zu achten.
Zum Beispiel kann im Sinne der Methodenfreiheit kooperatives, offenes Lernen eingesetzt werden. Ziele des kooperativen, offenen Lernens sind

•  die Schülerinnen und Schüler vermehrt zu eigenständiger und selbstverantwortlicher Arbeitsweise zu erziehen,

•  sie für Einzel- und besonders für Teamarbeit zu befähigen und

•  sie durch gegenseitiges Tutoring zu sozialem und solidarischem Handeln und Lernen zu motivieren.

Kooperatives, offenes Lernen kann

•  arbeitsteilig in der Gruppe,

•  mit fachspezifischen und fächerübergreifenden Themen- und Aufgabenstellungen,

•  unter Verwendung von spezifischen, problemorientierten Unterrichtsmitteln (zB Aufgabenblättern, Fallstudien, Übungsbeispielen und -einheiten),

•  weiters nach Möglichkeit mit Softwareunterstützung oder unter Verwendung moderner informations- und kommunikationstechnologischer Hilfsmittel stattfinden.

Kooperatives Lernen im Sinne von COOL meint Lernarrangements, in denen in Gruppen unterschiedlicher Größe gelernt und an Aufgaben gearbeitet wird. Es umfasst Partnerarbeit (zwei Lernende) ebenso wie das Lernen und Arbeiten in größeren Gruppen. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich beim gemeinsamen Lernen nicht nur Fachwissen aneignen, sondern auch lernen, sich gegenseitig zu helfen, miteinander zu kommunizieren und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Es ist wesentlich, dass sie nicht nur die Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen, sondern auch für das Lernen ihrer Gruppenmitglieder, sodass ein Zusammenhalt in der Gruppe und ein Gemeinschaftssinn entstehen können. Die Lehrkraft beobachtet die Gruppenprozesse und gibt den Lernenden als ihre Beraterin Rückmeldung über ihre Beobachtungen und Eindrücke (vgl. DUBS 1995; WEIDNER 2003).

Die Elemente des selbstorganisierten Lernens kommen insbesondere bei der Komponente des offenen Lernens von COOL zum Tragen. Offenes Lernen besteht beim Konzept COOL darin, dass die Lernenden selbst bestimmen, wann, wo und wie sie welche Aufgabenstellungen erledigen. Sie initiieren ihre Lernprozesse selbst, stellen fest, was sie lernen wollen oder sollen, organisieren die dafür nötigen Unterlagen, legen einen Zeitplan fest und evaluieren ihren Lernprozess- und fortschritt (vgl. KNOWLES 1994; WEINERT 2002). Beim offenen Lernen ist die Arbeit der Schüler/innen geprägt von Wochenarbeitsplänen, von Freiarbeit und Stationenarbeit. In den Wochenarbeitsplänen sind alle Aufgabenstellungen für die kommende Woche zusammengefasst, welche die Schüler/innen selbstständig in einem bestimmten Zeitraum erledigen und bearbeiten müssen. Neben fächerbezogenen Wochenplänen werden nach Möglichkeit auch fächerübergreifende Wochenpläne eingesetzt, bei denen Aufgaben aus unterschiedlichen Unterrichtsfächern gemeinsam gestellt werden.

In den Phasen der Freiarbeit entscheiden die Schüler/innen selbst, welche Aufgaben sie erledigen möchten (vgl. JÜRGENS 1994). Unter Freiarbeit wird eine Unterrichtsform verstanden, „bei der die Schülerinnen und Schüler weitgehend selbständig über die Auswahl ihrer Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsbereiche, die Sozialform und die Planung, Durchführung und Aus­wertung ihres Lern- und Arbeitsablaufs bestimmen können. Dabei stehen die Elemente der Selbststeuerungsfähigkeit und Selbstaktivierungsfähigkeit sowie der Planungsfähigkeit im Mittelpunkt. Daneben geht es vorrangig um die Förderung der Selbsterfahrung und des sozialen Lernens“ (JÜRGENS 1994, 107).

Ein weiteres Element des offenen Unterrichts ist die Stationenarbeit. Hier wird der Lehrstoff einer Unterrichtseinheit in bestimmte Aufgaben unterteilt, die für die Lernenden auf einem Übersichtsblatt festgehalten werden. Für jede Aufgabe wird geeignetes Arbeits- und Lernmaterial zur Verfügung gestellt. Die Aufgabe der Schüler/innen ist es, die einzelnen Aufgaben nach bestimmten Regeln zu bearbeiten und sich somit den Lernstoff möglichst selbstständig anzueignen. Die zu lösenden Aufgaben können sowohl aus einfachen Schulbuchaufgaben als auch aus aufwändigen, problemlösenden Fragestellungen bestehen (vgl. BOHL 2005).

COOL ist jedoch kein starres Konzept, es läuft nicht an allen Schulen in gleicher Weise ab. Die „idealtypische“ Umsetzung – wie etwa an der COOL-„Pionierschule“, der HAS in Steyr – sieht jedoch vor, dass die Unterrichtszeit in der Schule rund ein Drittel freie Arbeitsphasen und rund zwei Drittel gebundenen Unterricht umfasst. In den freien Arbeitsphasen (den so genannten „COOL-Stunden“) sollen die Schüler/innen selbstorganisiert im oben definierten Sinne und eigenverantwortlich lernen und arbeiten. Für diese Stunden bekommen die Lernenden von den COOL-Lehrkräften Arbeitsaufträge, die „Assignments“ genannt werden. Diese enthalten die Lernziele und die Aufgabenstellungen – nach Möglichkeit auch fachübergreifende –, die bis zu einem bestimmten Termin erledigt werden müssen. Mit ihrer Unterschrift auf dem Arbeitsauftrag bestätigen die Lernenden, diesen sorgfältig gelesen und verstanden zu haben und ihn gewissenhaft zu erledigen. Die Lernenden entscheiden dann selbst, welchen Arbeitsauftrag sie in welcher COOL-Stunde erledigen. Das bedeutet, dass ein Teil der Schüler/innen zum Beispiel in einer Biologie-COOL-Stunde an einem Assignment für Betriebswirtschaftslehre arbeitet. Anwesend ist jedoch die Lehrkraft für Biologie.

Auch d ie Wahl der Sozialform steht den Schüler/inne/n vor allem in den ersten Klassen frei, später werden zunehmend Partner- und Gruppenarbeiten angeregt. In die Note für den Unterrichtsgegenstand fließen sowohl die Beurteilung der fachlichen Leistung ein als auch die Beurteilung fachübergreifender Aspekte, die nicht nur auf den Beobachtungen der Lehrkräfte, sondern auch auf den Selbstbeurteilungen (Selbsteinschätzungen) der Schüler/innen beruhen.

Zu Beginn des Schuljahres wird festgelegt, welche Stunden COOL-Stunden sind, wobei es in der Regel an vier Wochentagen je zwei bis drei COOL-Stunden hintereinander gibt. Wenn möglich, werden die Stundenpläne aller COOL-Klassen aufeinander abgestimmt, sodass die Schüler/innen verschiedener Klassen die Möglichkeit haben, gemeinsam Aufgabenstellungen zu bearbeiten und nicht nur die eigenen Lehrkräfte, sondern auch jene der Parallelklassen bei Fragen zu konsultieren (vgl. NEUHAUSER/ WITTWER 2002).

Die Unterrichtsarbeit der COOL-Lehrkräfte ist von intensiver Kooperation und Kommunikation und regelmäßigen gemeinsamen Besprechungen und Arbeitssitzungen geprägt. Die Zusammenarbeit der Lehrkräfte soll den Schüler/inne/n als Vorbild dienen. Sie stimmen ihre Unterrichtsarbeit und die Termine untereinander ab, planen gemeinsame Projekte und besprechen Probleme und die Entwicklung einzelner Schüler/innen sowie der gesamten Klasse. Zu den Arbeitstreffen zählen auch eine mehrtägige Teamklausur zu Beginn des Schuljahres zur Reflexion der bisherigen Erfahrungen und Planung des kommenden Schuljahres und das „COOLzilium“, das mehrmals pro Semester stattfindet, und der laufenden Weiterentwicklung von COOL am Schulstandort dient.

5. Empirische Befunde zu COOL

Tabelle 2 zeigt eine Übersicht über die empirischen Studien, die als Datengrundlage zur Beantwortung der eingangs gestellten Fragen herangezogen werden:

Im Rahmen eines Forschungsprojekts von AFF/ RECHBERGER (2008) zur Evaluierung des HAS-Lehrplans 2003 wurden unter anderem Daten zum Themenbereich COOL erhoben. Insgesamt wurden an vier Schulstandorten 388 Schüler/innen, 227 Eltern schriftlich befragt und 66 qualitative Interviews mit Lehrkräften durchgeführt. An einer dieser vier untersuchten Standorte wurde das COOL-Konzept gänzlich für die Schule übernommen und sehr engagiert in diesem Bereich gearbeitet. Organisatorisch bedeutet dies unter anderem für die Lehrkräfte, dass eine wöchentliche Zusammenkunft des COOL-Lehrerteams erfolgt, um z. B. Absprachen zu treffen, neue Herausforderungen zu diskutieren, Probleme aufzuarbeiten und vieles mehr. Diese Treffen verlangen eine zusätzliche Stunde Anwesenheit pro Woche an der Schule. Die COOL-Lehrer/innen gestalten mindestens eine ihrer Wochenstunden als Einheit kooperativen offenen Lernens.

Im Rahmen von Interviews wurden die Lehrer/innen (n=16) dieser Schule zu einigen Aspekten von COOL befragt. Dabei gaben zwei Drittel an, dass COOL einen Mehraufwand für sie darstelle. Begründet wurde diese Aussage mit erhöhter Vorbereitungs- und Nachbereitungszeit, vor allem Korrekturarbeiten nehmen durch die Anwendung von kooperativem offenem Lernen besonders zu. Auch während der COOL-Stunden sind die Lehrkräfte meist mit der Beantwortung der Schülerfragen beschäftigt.

Zusätzlich zu den Lehrkräften wurden die Schüler/innen zum COOL-Unterricht befragt, wobei eine Fragestellung auf die Art des Feedbacks zu COOL-Arbeitsaufträgen in Rechnungswesen (RW) und Deutsch (D) abzielte. In Rechnungswesen wurden insgesamt 81 Schüler/innen befragt, dies weicht von der Anzahl der Schüler/innen in Deutsch (107 Schüler/innen) ab, da eine Klasse dieser Schule in RW keine COOL-Einheiten hatte.

46% der Schüler/innen gaben an, dass sie in RW zu ihren COOL-Assignments ein schriftliches Feedback von der Lehrkraft erhalten, während dies in Deutsch nur 36% der Schüler/innen anführten. Weiters wurde von 4% (RW) der Schüler/innen angegeben, schriftliches Feedback zu bekommen und weiters durch den Vergleich mit Mitschüler/inne/n Rückmeldungen zu erhalten. In RW gaben also ca. die Hälfte der Schüler/innen an, schriftliches Feedback zu bekommen, während es in Deutsch etwas mehr als ein Drittel war. Diese Art der Rückmeldung stellt einen Mehraufwand für die Lehrkräfte dar, da sie die Korrekturarbeiten in schriftlicher Form leisten und das mehr Zeit (außerhalb des Unterrichts) erfordert als eine mündliche Rückmeldung nach einer Aufgabenbearbeitung unmittelbar im Unterricht.

Weiters nannten 18% (RW) und 27% (D) der Schüler/innen die mündliche Rückmeldung als vorherrschende Feedback-Form zur Auflösung der richtigen Ergebnisse. 18% (RW) und 20% (D) der Schüler/innen gaben an, Feedback in schriftlicher und mündlicher Form zu ihren Assignments zu bekommen. Die vorwiegende Form der Rückmeldung ist also schriftlich, ansonsten mündlich oder abwechselnd schriftlich und mündlich.

Betrachtet man nun die Ergebnisse dieser Erhebung, kann festgehalten werden, dass die Rückmeldung der Qualität der Bearbeitung der Assignments von den meisten Lehrkräften offensichtlich sehr ernst genommen wird und in der Regel auch mit mehr Arbeit verbunden ist, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Im Rahmen der Untersuchung von WANDL und WEISSMANN (2007) wurden wiederum die Lehrkräfte und die Schüler/innen zum COOL-Unterricht befragt. Hervorzuheben ist, dass im Rahmen der Lehrerbefragung einige Fragestellungen bezüglich des Arbeitsaufwands der Lehrkräfte inkludiert wurden. Dabei kamen die beiden Autorinnen dieser Studie zu folgenden Ergebnissen:

Die erste Frage bezog sich darauf festzustellen, ob zu Beginn der Implementierungsphase von COOL ein Mehraufwand zum „normalen“ bzw. konventionellen Unterricht feststellbar war. 21 der 24 befragten Lehrkräfte führten an, dass zu Beginn ein Arbeitsaufwand – im Vergleich zum konventionellen Unterricht – von 150% bzw. 200% für COOL entstand. Dabei teilten sich die Angaben der 21 Lehrkräfte in etwa zur Hälfte auf 1 ½ fachen Arbeitsaufwand und doppelt so hohen Arbeitsaufwand. Die übrigen drei Lehrkräfte gaben an denselben (zwei Lehrer/innen) bzw. nur 50% (ein/e Lehrer/in) des Aufwands zu haben.

Die Autorinnen stellten weiters die Frage, wie hoch der Arbeitsaufwand nach einigen Jahren der Arbeit mit COOL im Vergleich zum konventionellen Unterricht ausfällt. Nachstehende Ergebnisse wurden im Rahmen der Interviews generiert:

Zehn Lehrkräfte führten an, nach einigen Jahren COOL den gleichen Aufwand zu haben wie für den konventionellen Unterricht. Beinahe die Hälfte aller befragten Lehrkräfte gab weiters an, noch immer mehr Aufwand zu haben im Vergleich zum normalen Unterricht. Dies verteilte sich auf neunmalige Nennung von 1½ fachen und zweimalige Nennung von doppeltem Arbeitsaufwand. Drei Lehrkräfte beantworteten die Frage nicht.

Die Untersuchung inkludierte ebenfalls eine Befragung der Schüler/innen. Dabei wurde erhoben, wie die Schüler/innen das Verhalten der Lehrkräfte während einer COOL-Stunde wahrnehmen (Mehrfachantworten waren möglich). Nachstehende Beobachtungen wurden von den Schüler/innen sehr häufig oder häufig gemacht: Jede/r zweite/r Schüler/in führte an, Hilfe bei der Lehrkraft während der COOL-Stunde zu suchen. 61% der Jugendlichen gaben an, dass die Lehrer/innen schwächeren Schüler/inne/n helfen. Zwei Drittel führten an, dass schwierige Sachverhalte von der Lehrkraft im Plenum erklärt werden und 60%, dass die Lehrkräfte Hausübungen während der COOL Stunden korrigieren.

Fasst man die obigen Werte zusammen, setzt sich die Tätigkeit der Lehrkräfte während der COOL-Stunden aus einem Sammelsurium von Aufgaben zusammen: Hilfestellung für (schwächere) Schüler/innen, Beantwortung von Fragen und Erklärung schwieriger Sachverhalte im Plenum und Korrektur von Hausübungen während der COOL-Arbeit der Schüler/innen.

Eine weitere Fragestellung dieser Studie bezog sich, wie schon zuvor in der Befragung von AFF/ RECHBERGER (2008), auf die Art des Feedbacks zu Arbeitsaufträgen. Wiederum war es möglich Mehrfachantworten zu geben. Jene Aussagen, die mit sehr häufig oder häufig bewertet wurden, sollen wiederum kumuliert dargestellt werden: 94% der Schüler/innen gaben an (zumindest einen Teil ihrer Assignments) schriftlich korrigiert retourniert zu bekommen. 80% gaben an, die Rückmeldung auch durch gemeinsames Vergleichen zu erhalten. Weitere genannte Arten von Feedback teilten sich in: die Lösungen werden einfach ausgeteilt (34%), die Lösung liegt zur Selbstkontrolle auf (20%) oder die Lösungen werden einfach zu den Arbeitsaufträgen (24%) ausgeteilt (vgl. WANDL/ WEISSMANN 2007, 163). Diese (weniger aufwendigen) Formen der Rückmeldung sind offensichtlich nicht vorherrschend. Dieses Ergebnis ist konsistent mit dem Ergebnis der Befragungen von AFF/ RECHBERGER (2008): Die schriftliche Korrektur der Schülerarbeiten und die individuelle schriftliche Rückmeldung der Leistungsergebnisse sind die Regel.

Die Untersuchung von ROITHER (2006) kann die bereits genannten Ergebnisse noch um ein paar zusätzliche Aspekte ergänzen. Sie hat in ihrer Untersuchung qualitative (Interviews mit Lehrkräften) und quantitative (Fragebögen für Schüler/innen) Befragungselemente kombiniert, um möglichst viele Daten über die Umsetzung von COOL an österreichischen Handelsschulen aus verschiedenen Blickwinkeln zu erheben. Die beiden Perspektiven „Lehrkräfte“ und „Lernende“ werden durch eine dritte Perspektive ergänzt: durch die der Analyse einer Auswahl von im COOL- Unterricht eingesetzten Materialien, insbesondere der Assignments.

ROITHERS (2006) Ergebnisse belegen zunächst die hohe Akzeptanz von COOL bei den Lernenden und insbesondere bei den Lehrkräften. Rund 23% der befragten Schüler/innen sind COOL gegenüber sehr positiv und rund 47% eher positiv eingestellt, etwa 19% der Schüler/innen haben eine eher negative oder sogar deutlich negative Einstellung zu COOL. Als Gründe für die positive Einstellung wird vor allem die Möglichkeit, sowohl selbstständig als auch im Team mit anderen Schüler/inne/n an Aufgabenstellungen arbeiten zu können, genannt. Die Aussagen der befragten Schüler/innen zeigen aber auch, warum ein Teil der Schüler/innen dem Konzept COOL skeptisch gegenüber steht. Rund ein Drittel der Befragten beklagt sich, dass sie zu wenig Zeit für die Erfüllung der Aufträge haben, den Zeitdruck als sehr stressig und unangenehm erleben und lieber kürzere Aufträge hätten. Ein Teil dieser Schüler/innen würde COOL gern nur zur Übung und Festigung des Lernstoffes einsetzen, nicht aber zur Erarbeitung des Lernstoffs, hier würden sie die Erklärungen ihrer Lehrkräfte bevorzugen. Rund 16% empfinden den Schwierigkeitsgrad der Aufträge als (zu) hoch, für rund 24% ist er (zu) gering. Rund 12% fühlen sich zu wenig betreut, rund die Hälfte der Schüler/innen ist bei diesem Aspekt aber durchaus zufrieden. Diese Ergebnisse decken sich mit den Ergebnissen der beiden anderen Studien, aus denen hervorging, dass die Lehrkräfte im COOL-Unterricht häufig Schülerfragen beantworten, schwächeren Schüler/inne/n bei der Aufgabenlösung helfen und schwierige Sachverhalte dann überhaupt selbst erklären. Warum sie das tun und wie das aus pädagogischer Sicht beurteilt werden kann, wird im folgenden Abschnitt des Aufsatzes diskutiert.

Die Lehrkräfte beurteilten COOL im Schnitt noch besser als die Schüler/innen. Rund 55% habe eine sehr positive Einstellung zu COOL, weitere fast 30% zumindest eine überwiegend positive. Mit der Motivation der Schüler/innen sind fast alle befragten Lehrkräfte sehr zufrieden, sie schätzen ihr Verhältnis zu den COOL-Schüler/inne/n als besser ein als das zu ihren „sonstigen“ Schüler/inne/n. Rund 65% der befragten Lehrkräfte meinen, sie können etwa gleich viel Stoff machen, rund 20% meinen, durch den COOL-Unterricht könne vergleichsweise weniger Stoff abgedeckt werden. Rund 40% der Befragten empfinden COOL-Unterricht weniger anstrengend, rund 37% gleich anstrengend. Je zur Hälfte fühlen sich die Lehrkräfte im COOL-Unterricht gleich wohl wie im herkömmlichen Unterricht oder sogar wohler. Jede/r dritte Lehrer/in beklagt allerdings den hohen zeitlichen Aufwand für Vor- und Nachbereitungen sowie für die Gruppenbesprechungen und Verwaltungsaufwand (vgl. ROITHER 2006).

Die Analyse der Wochenarbeitspläne und der Assignments hat ergeben, dass in rund ein Drittel der vorliegenden Dokumente fachübergreifende Aufgabenstellungen enthalten sind, die sich in der Regel auf zwei Unterrichtsgegenstände, in einigen Fällen sogar auf drei Unterrichtsgegenstände beziehen. Der Großteil der Assignments enthält allerdings nur Pflichtaufgaben, nur auf zwei Assignments sind auch Wahlaufgaben angegeben, die die Schüler/innen auf freiwilliger Basis bearbeiten können.

Weiters zeigen sich beim Vergleich der Assignments große qualitative Unterschiede. Sie enthalten zwar alle eine Zuordnung zu Unterrichtsgegenständen, zu erreichende Lernziele, die Aufgaben selbst und einen Zeitrahmen, innerhalb dessen die Aufgaben zu erledigen sind. Die meisten enthalten darüber hinaus die Unterschrift der Schüler/innen, dass sie die Arbeitsanweisung verstanden haben, akzeptieren und die Aufgaben gewissenhaft erledigen werden sowie eine Möglichkeit für die Schüler/innen, den Grad der Erreichung der Lernziele selbst einschätzen zu können. Große Unterschiede sind jedoch bei zwei Dimensionen festzustellen: das Anspruchsniveau der Aufgaben und der Detaillierungsgrad, in dem der Weg der Aufgabenlösung vorgegeben ist. Einige Assignments enthalten ausschließlich Aufgabenstellungen aus den Schulbüchern, die meisten Assignments beziehen sich zumindest teilweise auf Aufgaben aus den Schulbüchern und ergänzen zusätzliche Aufgabenstellungen, die zu erledigen sind (z. B. Sachverhalte oder Belege verbuchen für Rechnungswesen, bestimmte Dateien entwickeln für Wirtschaftsinformatik oder einen Text verfassen für Englisch). Nur in Einzelfällen werden von den Schüler/inne/n komplexere Aufgabenstellungen verlangt, bei denen sie selbst recherchieren, Informationen sammeln und bewerten und eine selbstständige, kreative Lösung entwickeln müssen. Dementsprechend sind in rund drei Viertel der Assignments die einzelnen Arbeitsschritte bzw. Lösungswege ziemlich genau vorgegeben, nur beim verbleibenden Viertel der Aufträge werden den Schüler/inne/n mehr „Freiheitsgrade“ bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben zugestanden. Dieses Ergebnis zeigt, dass offenes Lernen ein ganzes Kontinuum von stärker gelenkten als auch weniger gelenkten Arbeitsformen und Lernarrangements umfassen kann und damit einmal mehr und einmal weniger „offen“ ist.

Die meisten Assignments sind jedoch sehr aufwendig gestaltet und verständlich und nachvollziehbar formuliert, nur in einzelnen Fällen hat man den Eindruck, dass man die Lehrkraft gut kennen muss, um ihre stichwortartigen Angaben eindeutig interpretieren zu können.

6.  Anforderungen an die Lehrkräfte – Diskussion und theoretische Reflexion der empirischen Ergebnisse

Die genannten empirischen Befunde erlauben einen Einblick in die Unterrichtsgestaltung und damit die konkrete Umsetzung von COOL an verschiedenen österreichischen Schulen. Bei der Darstellung der Ergebnisse wurde der Fokus auf die Arbeit der Lehrkräfte gelegt. Ein mit den Befunden aus allen Studien konsistentes Ergebnis besteht darin, dass die (meisten) Lehrkräfte gegenüber der konventionellen Unterrichtsgestaltung einen Mehraufwand konstatieren – dies geht aus Lehrer- uns Schülerbefragungen gleichermaßen hervor –, und zwar sowohl in der Vorbereitung als auch zum Teil in der Durchführung wie auch in der Nachbereitung des Unterricht. Dieser Mehraufwand wird von einem Teil der Lehrkräfte trotz ihrer grundsätzlichen positiven Einstellung zu COOL deutlich beklagt. Die umfangreichsten Daten dazu waren in der Studie von WANDL/ WEISSMANN 2007 enthalten, in der die Lehrkräfte insbesondere zu Beginn der Arbeit mit COOL, aber auch noch nach einigen Jahren anführten, dass COOL zumindest denselben Aufwand und teilweise mehr Aufwand als eine konventionelle Unterrichtseinheit für sie bedeutet. Es kann also nicht grundsätzlich der Schluss gezogen werden, dass Lehrkräfte im Unterricht nichts mehr zu tun haben, wenn Schüler/innen selbstorganisiert lernen. Vielmehr scheint sich die Unterrichtsarbeit ganz wesentlich in die Vorbereitung und Nachbereitung zu verlagern, und selbst während des Unterrichts sind die Lehrkräfte durch verschiedene Aufgaben gefordert, die teilweise auch ganz „gewöhnliche“ Lehraktivitäten betreffen: erklären, Fragen beantworten und helfen.

Bei der Vorbereitung spielen vor allem die Erstellung der Assignments und anderer Unterlagen für den COOL-Unterricht, die Abstimmung mit den Lehrerkolleg/inn/en und die laufende Arbeit am Gesamtkonzept von COOL eine Rolle. Die Lehrkräfte müssen ihr Einzelkämpfertum in der Klasse zumindest teilweise aufgeben und sich verstärkt mit ihren Lehrerkolleg/inn/en austauschen. Dieser Austausch bezieht sich sowohl auf das Unterrichtskonzept COOL als Ganzes, als auch auf die jeweilige Klasse, ihre Schüler/innen und auf die Abstimmung der Unterrichtsarbeit und Planung gemeinsamer Projekte. An einem der untersuchten Schulstandorte finden Treffen und Absprachen dieser Art zum Beispiel wöchentlich statt, was einen Mehraufwand von mindestens einer Stunde pro Woche bedeutet, bei der Koordination von gemeinsamen Projekten noch viel mehr.

Bei den Assignments ist zu berücksichtigen, dass sie stets nicht nur die Aufgabenstellungen an die Lernenden beinhalten (sollten), sondern auch Ziele, Bezug zu den Unterrichtsgegenständen, Verweise bzw. Hinweise auf zu verwendendes Material, Möglichkeiten für Schüler/innen, ihren Lernprozess und/oder ihren Lernerfolg selbst einzuschätzen usw. Diese schriftliche Vorbereitungsarbeit geht je nach Assignment – insbesondere wohl bei fachübergreifenden Aufgabenstellungen – weit über den gewöhnlichen Vorbereitungsaufwand für eine konventionelle Schulstunde hinaus.

Auch der COOL-Unterricht stellt die Lehrkräfte sowohl vor neue als auch vor gewohnte Herausforderungen und erlaubt ihnen grundsätzlich nicht, die selbstständige Arbeit der Schüler/innen für eigene Ruhepausen zu nutzen. Die Lehrkräfte setzen sich offensichtlich in vielen Fällen mit ihren Schüler/innen intensiv auseinander, da sie sie bei Fragen unterstützen, schwierige Sachverhalte erklären und sie darüber hinaus laufend beobachten und auch deren Leistungen nicht nur in fachlicher, sondern auch in fachübergreifender Hinsicht beurteilen müssen. Schließlich zielen viele Assignments nicht nur auf den Erwerb und die Anwendung von Fachwissen, sondern auch auf die Entwicklung und Förderung von fachübergreifenden Fähigkeiten ab. Und diese können die Lehrkräfte nicht durch schriftliche Tests abfragen, sondern müssen sie im Unterrichtsprozess in der Abwicklung und Bewältigung der gestellten Aufgaben beobachten und erfassen.

Natürlich kann eingewendet werden, dass die Lehrkräfte den Schüler/inne/n im Unterricht nicht helfen müssten, da sie ja selbstständig bzw. kooperativ mit ihren Kolleg/inn/en lernen und arbeiten sollen. Abgesehen davon, dass die Lehrkräfte es unter Umständen einfach nicht gewohnt sind, ihre Lernenden im Unterricht „los zu lassen“ und selbstständig bzw. im Team arbeiten zulassen, wird das unterstützende Eingreifen der Lehrkräfte sehr plausibel, wenn man sich zwei Tatsachen vor Augen hält: 1) Viele Assignments enthalten komplexe Aufgabenstellungen, die Kenntnisse aus verschiedenen Unterrichtsgegenständen kombinieren und darüber hinaus auf fachübergreifende Lehrziele abzielen. Manche Schüler/innen könnten daher tatsächlich überfordert sein. 2) Gerade in den Handelsschulen sind die Eingangsvoraussetzungen, die kognitiven Fähigkeiten und die sozialen Kompetenzen der Schüler/innen sehr heterogen. Jedes Unterrichtskonzept stößt an seine Grenzen, wenn die notwendigen Eingangsvoraussetzungen auf Seiten der Schüler/innen nur mangelhaft sind. Im Fall von COOL an HAS sind bei einem Teil der Schüler/innen jedenfalls mangelnde Eingangsvoraussetzungen im fachlichen wie auch im sozial-interaktiven Bereich zu befürchten. Gewisse soziale und personale Kompetenz gilt aber als Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten im Team (vgl. BRÜNING 2004). Solche Kompetenzen können nicht einfach vorausgesetzt werden, sie entstehen auch nicht von selbst, sondern bedürfen der aktiven Förderung durch die intensive Reflexion des Lernprozesses und das Erarbeiten von Maßnahmen und Strategien für die nächste Lernsequenz. Und hier müssen wohl die Lehrkräfte unterstützend eingreifen, weil diese Förderung und die Anregung zu Reflexion und Weiterentwicklung die Lernenden alleine überfordern würden. In diesem Sinne wird das Unterstützen der Lehrkräfte im Unterricht selbst nicht nur plausibel, sondern auch pädagogisch notwendig und wünschenswert. Der in der Schülerbefragung von ROITHER (2006) geäußerte Zeitdruck bei der Erarbeitung der Assignments lässt befürchten, dass die Schüler/innen nicht nur für die Erfüllung ihrer Aufgaben zu wenig Zeit haben, sondern auch für die gründliche Reflexion ihrer Lernprozesse und Lernergebnisse.

Unterstützen die Lehrkräfte Schüler/innen mit Lernschwierigkeiten nicht, riskieren sie, dass sich der Erwerb des fachlichen Wissens verschlechtern oder zumindest verlangsamen könnte, insbesondere wenn es sich um komplizierte Inhalte handelt, die für die Schüler/inne/n schwer zu verstehen sind. Darüber hinaus besteht auch die Gefahr, dass es zu Missinterpretationen des Lernstoffes kommt und die Lernenden sich Inhalte falsch aneignen. Kommt es zu keiner Korrektur, perfektionieren sie durch die Übung ihre Fehler. Es ist empirisch belegt, dass selbstständig gelernte Fehler besonders korrekturresistent sind (vgl. WEINERT 2002).

Außerdem müssten die Lehrkräfte befürchten, dass die individuellen Unterschiede zwischen den Lernenden sich nicht verkleinern, wie es pädagogisch wünschenswert wäre, sondern sich sogar zu vergrößern drohen, da gut vorgeförderte Lernende mit günstigen kognitiven Voraussetzungen die Möglichkeiten des offenen Unterrichts und der selbstständigen Auseinandersetzung mit den Lerninhalten (auf Grund ihrer besseren Voraussetzungen) viel besser nutzen können als schlecht vorgeförderte Lernende mit ungünstigen kognitiven Voraussetzungen. Die Leistungsunterschiede zwischen „guten“ und „schlechten“ Schülerinnen und Schülern könnten sich daher vergrößern anstatt sich zu reduzieren (vgl. WEINERT 1998).

Zuletzt ist der Unterricht noch nachzubereiten. Die Nachbereitung besteht zumindest darin, die von den Lernenden abgegebenen Assignments zu korrigieren, ihnen in geeigneter Form die richtigen Ergebnisse und ihre Fehler rückzumelden (meist erfolgt dies entsprechend den Untersuchungsergebnissen schriftlich), und den Lernfortschritt der Lernenden zu beurteilen. Darüber hinaus sollten bzw. müssten die Lehrkräfte auf der Grundlage der absolvierten Assignments analysieren, wo die Schüler/innen in ihrer selbstständigen Arbeit noch Schwächen oder Probleme haben und mit welchen Maßnahmen man diesen begegnen könnte, sowie überlegen, welche Aufgabenstellungen in den nächsten Assignments pädagogisch sinnvoll wären, um die Schüler/innen noch weiter zu fordern und zu fördern.

Aus diesen Überlegungen wird klar, dass die Vorzüge des kooperativen, offenen Unterrichts nur dann zum Tragen kommen können, wenn die Lernprozesse durch sehr engagierte und kompetente Lehrkräfte unterstützt werden, die bereit sind, einen Mehraufwand auf sich zu nehmen, der sich in der Regel gegenüber einer konventionellen Unterrichtsgestaltung ergibt. Sie müssen insbesondere rechtzeitig erkennen, wenn das selbstständige Lernen der Gruppe auf Grund inhaltlicher und/oder persönlicher Schwierigkeiten zu Fehlannahmen über die Inhalte oder zu ineffektivem Arbeiten führt, und den Lernenden dann die nötigen Hilfestellungen im pädagogisch sinnvollen Ausmaß geben können. Sie sollten so wenig in den Lernprozess eingreifen, wie möglich, und nur so viel, wie nötig, um die Grundidee des selbst organisierten Lernens nicht ad absurdum zu führen. Darüber hinaus sollen sie die Lernprozesse beobachten, damit sie die Weiterentwicklung der Schüler/innen in fachlicher wie auch fachübergreifender Hinsicht feststellen und beurteilen können. Auch die Qualität der Aufgabenstellungen (Assignments) spielt eine große Rolle für die Qualität des selbstorganisierten Lernens. Diese sind in der Erstellung und Abstimmung auf das Niveau einer Klasse ein wesentlicher und anspruchsvoller Bestandteil der Unterrichtsvorbereitung und in der Korrektur, Benotung und Rückmeldung ein wesentlicher und aufwendiger Bestandteil der Unterrichtsnachbereitung der Lehrenden.

 

Literatur

AFF, J. (2005): Ein Blick über den Tellerrand. In: Wissenplus 1-05/06, 19-21.

AFF, J./ RECHBERGER, J. (2008): Explorative Studie zur Evaluierung des HAS-Lehrplans 2003. Studie im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Kunst und Kultur, Wien.

BANNACH, M. (2002): Selbstbestimmtes Lernen. Baltmannsweiler.

BOHL, T. (2005): Prüfen und Bewerten im Offenen Unterricht. Weinheim und Basel.

Bundesministerium für Bildung, Kunst und Kultur Österreich. Online: http://www.bmukk.gv.at/ (29-10-2007).

DUBS, R. (1995): Lehrerverhalten. Zürich.

EICHELBERGER, H. (2002): Der Daltonplan – ein Überblick. In: EICHELBERGER, H. (Hrsg.): Eine Einführung in die Daltonplan-Pädagogik. Innsbruck, 15-32.

EULER, D./ SEVERING, E. (2007) : Flexible Ausbildungswege in der Berufsbildung. Bielefeld.

FROMMBERGER, D. (2007): Berufsbildung in Deutschland und in Europa. In: Die berufsbildende Schule, 59, H. 2, 43-51. Online: www.blbs.de/home/8/vzeitschrift/2007/2007-pdf/2- frommberger .pdf (26-01-2008) .

JÜRGENS, E. (1994): Die "neue" Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht: Theorie, Praxis und Forschungslage. Sankt Augustin.

KNOWLES, M. (1994): Self-directed-learning. A Guide for Teachers and Learners. New York.

Lehrpläne HAK und HAS 2004. Online: www.hak.cc (15-11-2007).

NEUHAUSER, G./ WITTWER, H. (2002): Das COOL-Projekt. In: EICHELBERGER, H. (Hrsg.): Eine Einführung in die Daltonplan-Pädagogik. Innsbruck, 161-203.

NEUHAUSER, G./ WITTWER, H. (1999): Dalton an der österreichischen Handelsschule. In: POPP, S. (Hrsg.): Der Daltonplan in Theorie und Praxis. Innsbruck, 205-216.

ROITHER, N. (2006): Cooperatives Offenes Lernen (COOL) an österreichischen Handelsschulen. Diplomarbeit an der Wirtschaftsuniversität Wien.

SCHIEFELE, U./ PEKRUN, R. (1996): Psychologische Modelle des selbstgesteuerten und fremdgesteuerten Lernens. In: WEINERT, F.E. (Hrsg.): Psychologie des Lernens und der Instruktion (Enzyklopädie der Psychologie, Serie Pädagogische Psychologie, Bd. 2) Göttingen, 249-278.

STATISTIK AUSTRIA. Online: www.statistik.at (29-10-2007).

WANDL, R./ WEISSMANN, S. (2007): Cooperatives Offenes Lernen an Berufsbildenden Höheren Schulen. Explorative Studie auf Basis der empirischen Daten von zwei Impulsschulen in Niederösterreich. Diplomarbeit an der Wirtschaftsuniversität Wien.

WEIDNER, M. (2003): Kooperatives Lernen im Unterricht. Das Arbeitsbuch. Seelze-Velber.

WEINERT, F.E. (1998): Guter Unterricht ist ein Unterricht, in dem mehr gelernt als gelehrt wird. In: FREUND, J./ GRUBER, H./ WEIDINGER, W. (Hrsg.): Guter Unterricht – Was ist das? Aspekte von Unterrichtsqualität. Wien, 7-18.

WEINERT, F.E. (2002): Gute Lehrer und neue Lerntheorien – ein kritischer Überblick. In: FORTMÜLLER, R. (Hrsg.): Komplexe Methoden Neue Medien. Festschrift Wilfried Schneider. Wien, 11-30.

 

online seit 25.2.2008