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 bwp@ Ausgabe Nr. 14 | Juni 2008
Berufliche Lehr-/ Lernprozesse - Zur Vermessung der Berufsbildungslandschaft
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 14 sind H.-Hugo Kremer, Karin Büchter und Franz Gramlinger

EDITORIAL

    


Berufliche Lehr-/Lernprozesse sind ein zentraler Gegenstand berufs- und wirtschaftspädagogischer Diskussion und Forschung. Vor dem Hintergrund politischer, curricularer und didaktischer Reformen in der beruflichen Bildung während der letzten 10 bis 15 Jahre haben theoretische Ansätze und empirische Untersuchungen sowohl zu Kontexten, Bedingungen, Strukturen als auch zu Prozessen und Strategien beruflichen Lehrens und Lernens an Bedeutung gewonnen.

Das Themengebiet berufliche Lehr-/Lernprozesse umfasst demnach weit mehr als das Lehren und Lernen im unmittelbaren beruflichen Unterricht. Darüber hinaus kann berufliches Lehren und Lernen immer weniger sektoral abgegrenzt werden. Berufliche Bildung erhält zunehmend in anderen Bildungssektoren an Bedeutung. Ebenso ist zu beobachten, dass im berufsbildenden Sektor allgemeinbildende Fächer bzw. Themengebiete an Bedeutung gewinnen.

Die Gestaltung der Berufsbildungslandschaft, die Erfassung, Übertragung und Anrechnung von Lernergebnissen, Aspekte der Professionalität von Lehrerhandeln sowie die Frage der Beruflichkeit und Kompetenzbildung, insbesondere auch aus der Sicht bestimmter Zielgruppen, sind einige Facetten auf der Landkarte beruflicher Lehr-/Lernprozesse, um die es in dieser dieser Ausgabe geht.

Vor diesem Hintergrund ist die Ausgangsüberlegung für diese Ausgabe von bwp@ zu sehen, Beiträge versammeln, die diesen weit gespannten Bogen verdeutlichen – auch auf die Gefahr hin, dass diese Ausgabe zu breit angelegt sein würde. Das Ziel, verschiedene Perspektiven auf berufliche Lehr-/Lernprozesse einzufangen, ist uns in etwa gelungen. So belegen die Artikel, die wir publizieren, insgesamt die Vielfalt an Fragestellungen zu beruflichen Lehr-/Lernprozesse in der beruflichen Bildung. Im Gegensatz zur Aktualität beruflicher Lehr-/Lernforschung in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist jedoch die Anzahl der Beiträge, die uns diesmal zugegangen sind, klein.

Insgesamt haben wir die theoretischen und empirischen Beiträge zwei thematischen Rubriken zugeordnet.

Teil I: Vermessung und Professionalität der Berufsbildung

GERHOLZ/ SLOANE gehen in ihrem Beitrag der Frage der curricularen und hochschuldidaktischen Gestaltung von Bachelor-Studiengängen nach, deren Ziel in der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit von Studierenden liegt. Die Autoren fokussieren dabei insbesondere die Frage, inwieweit die duale Berufsausbildung hierfür Orientierungen liefern kann. Daran anknüpfend werden Forschungsdesiderata aufgezeigt.

WEBER beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit den Veränderungen am oberen Rand des mittleren Qualifikationssegments, die eine mögliche Konkurrenz zwischen dualen Ausbildungs- und hochschulischen Studiengängen beträfen. Beschrieben werden die Faktoren, die einen Wettbewerb der Bildungssysteme begünstigen, die Veränderungen des Bildungsverhaltens studienberechtigter Jugendlicher seit der Einführung der Bachelorstudiengänge sowie die Akzeptanz der neuen Studiengänge in der Wirtschaft.

Der Aufsatz von MILOLAZA/ FROMMBERGER/ SCHILLER/ REINISCH/ DIETTRICH/ MEERTEN ist im Kontext der BMBF-Pilotinitiative „Entwicklung eines Leistungspunktsystems in der beruflichen Bildung“ in Deutschland (DECVET) angesiedelt. Diese Initiative zielt darauf, Möglichkeiten zu schaffen, in anderen Bildungskontexten erworbene Kompetenzen auf den jeweils angestrebten Bildungsabschluss anzurechnen. Skizziert werden die Pilotinitiative und die beteiligten Projekte, berufsbildungspolitische Hintergründe sowie Forschungsperspektiven.

Ein Perspektivwechsel erfolgt in diesem Teil der Ausgabe durch die folgenden zwei Beiträge, die Lehrerinnen und Lehrer mit ihren subjektiven Theorien in den Blick nehmen und damit die aktuelle Frage nach der Professionalität in der beruflichen Bildung durch einen in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik bislang unterbelichteten Aspekt anreichern.

MÜLLER/ PAECHTER/ REBMANN geben einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu epistemologischen Überzeugungen, gehen auf verschiedene Theorien und Modelle ein, die international diskutiert werden, stellen Instrumente zur Erfassung epistemologischer Überzeugungen vor und reflektieren abschließend die Bedeutung epistemologischer Überzeugungen für die Akteure in beruflichen Lehr-/Lernprozessen.

Ergänzend zu diesem Beitrag stellen MÜLLER/ SULIMMA Ergebnisse einer Pilotstudie vor, die mit 185 Lehrenden an berufsbildenden Schulen Niedersachsens durchgeführt wurde. Mittels Fragebögen wurden ihre Überzeugungen zu Wissen und Lernen erhoben. Deutlich wird auch in diesem Beitrag, dass im Hinblick auf epistemologische Überzeugungen von Lehrenden an berufsbildenden Schulen noch ein erheblicher Forschungsbedarf besteht.

Teil II: Beruflichkeit und Kompetenzbildung

Beruflichkeit und Kompetenzbildung sind zentrale Bezugsmomente beruflicher Lehr-/Lernprozesse.

KUTSCHA unternimmt in seinem Aufsatz den Versuch, in kritisch-konstruktivem Anschluss an den bildungstheoretischen Legitimationsdiskurs von Herwig Blankertz das Prinzip der Beruflichkeit auch im Modus flexibler Formen subjektiver Kompetenzentwicklung zur Geltung zu bringen. Dabei wird die kulturelle Dimension der Verberuflichung von Arbeit betont, weil nach Auffassung des Autors nur so der verfassungsrechtlich postulierte und bildungstheoretisch begündungsfähige Anspruch aufrecht zu erhalten sei.

Ausgehend davon, dass die Förderung allgemeiner Grundfähigkeiten in die Gestaltung beruflicher Lehr-/Lernprozesse integriert werden soll, stellen PETSCH/ ZIEGLER/ GSCHWENDTNER/ ABELE/ NICKOLAUS Ergebnisse einer Interventionsstudie im Programm Bildungsforschung der Landesstiftung Baden-Württemberg zum Thema „Lesekompetenzförderung in der beruflichen Erstausbildung mittels reciprocal teaching“ vor. Anhand der Ergebnisse wird diskutiert, welche Umsetzungsbedingungen sich für eine gelingende Lesestrategieinstruktion als relevant erwiesen haben bzw. welche adressatenspezifischen Kontextfaktoren zu beachten sind.

Auf berufliche Lehr-/Lernprozesse im engeren Sinne gehen BÜNNING/ JENEWEIN in ihrem Artikel zum experimentierenden Lernen ein. Die Grundlage bildet eine an einer berufsbildenden Schule durchgeführte Studie, mit der grundlegende Aussagen über die Bedeutung handlungsorientierter und instruktionaler Lernformen für die Kompetenzentwicklung herausgearbeitet werden. Von besonderer Bedeutung sind Fragen der differenzierten Förderung leistungsstarker und förderungsbedürftiger Schüler in unterschiedlichen Lernsettings.

Auf die Zielgruppe Benachteiligter fokussiert der Beitrag von KOHL/ KRAMER, der die Entwicklungslinien und Schnittmengen einer verstärkt Grundbildungsthemen aufgreifenden beruflichen Bildung und einer zunehmend auf Arbeitsmarktorientierung und berufliche Verwertbarkeit setzenden Alphabetisierungsarbeit skizziert und die Notwendigkeit einer weiteren Annäherung unter Bezugnahme auf die aktuelle bildungspolitische Debatte dargelegt.

HEISLER untersucht in seinem Beitrag die Frage, wohin sich die Förderstruktur zur Integration Benachteiligter entwickelt hat. Insbesondere die arbeitsmarktpolitischen Reformen der vergangenen Jahre haben hier die pädagogische Arbeit erheblich verändert. Am Beispiel der Untersuchung von Maßnahmeabbrüchen wird diese These genauer erörtert. Bei genauerer Betrachtung der Abbruchursachen werden verschiedene Problemfelder erkennbar, deren Ursachen möglicherweise in einer unzulässigen Verkürzung pädagogischer Grundsätze in den Maßnahmen liegen.

Bei den Autorinnen und Autoren möchten wir uns recht herzlich bedanken. Sie haben dazu beigetragen, dass die Ausgabe zustande kommen konnte, die sich als ein Angebot für weitere Diskussionen und Forschungen auf dem Gebiet beruflicher Lehr-/ Lernprozesse versteht. Weitere Beiträge zu dieser Ausgabe sind in Arbeit und werden in Form von updates im Herbst veröffentlicht werden.

H.-Hugo Kremer, Karin Büchter & Franz Gramlinger