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 bwp@ Ausgabe Nr. 14 | Juni 2008
Berufliche Lehr-/ Lernprozesse - Zur Vermessung der Berufsbildungslandschaft
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 14 sind H.-Hugo Kremer, Karin Büchter und Franz Gramlinger

Erweiterung beruflicher Handlungskompetenzen durch förderdiagnostische Bestimmung von Lese- und Schreibkompetenzen benachteiligter Jugendlicher und junger Erwachsener

       


1. Ausgangspunkte

Bei der ersten PISA- Studie (vgl. DEUTSCHES PISA-KONSORTIUM 2001) wurden die Lesekompetenzen von 15-Jährigen im internationalen Vergleich ermittelt. Dabei ergab sich in Deutschland im Besonderen eine mangelnde oder geringe Herausbildung von Lesekompetenzen: Über ein Zehntel der 15-jährigen blieben unter dem Leselevel eins, womit ein sehr begrenztes Textverständnis der Zielgruppe nachgewiesen wurde. Auch in weiteren Kompetenzbereichen der mathematischen und naturwissenschaftlichen Grundbildung sowie in der Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen wurden in den PISA- Folgestudien erhebliche Defizite der Schüler- und Schülerinnenleistungen festgestellt. Je nach Kompetenzart wurde im Rahmen der Pisaerhebung eine „Risikogruppe“ von einem Anteil zwischen 10 und 25% eines Altersjahrganges ermittelt, „die allenfalls nicht in der Lage (waren) einfachste Texte zu verstehen und deutlich erkennbare Informationen daraus zu nutzen“ ( STRANAT 2004, 243). Die dargestellten Ergebnisse rekurrieren auf Lücken im Bildungssystem und weisen Handlungsbedarfe in den Bereichen Schule aber auch in den Breichen Erstausbildung und Weiterbildung aus, in die junge Menschen nach dem Ausscheiden aus dem Schulsystem einmünden sollen. Das PISA- Konsortium definiert das Leistungsniveau der Schüler/innen auf der Lesekompetenzstufe eins als „Risikogruppe“, wodurch die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten einschränkt werden. Der Begriff der „Risikogruppe“ birgt die Gefahr, die Problemlage der fehlenden Literalität aus der gesellschaftlichen Verantwortung zu nehmen und an die Individuen zu delegieren, wodurch strukturelle Ursachen aus dem Blick geraten (vgl. DEMMER 2008, 14; STRANAT 2004, 243 ff.).

Es kann davon ausgegangen werden, dass die „Risikogruppe“ nach der allgemeinbildenden Schulzeit überwiegend in Erwerbslosigkeit oder ins Übergangssystem der Berufsbildung einmündet . Die Bildungsangebote des Übergangssystems sind zwischen 1995 und 2006 gerade in dem Bereich der Maßnahmen für gering qualifizierte Jugendliche erheblich ausgebaut worden (vgl. Bildungsbericht 2008, Abb. E1-2, S. 97). Ungeklärt ist aber die Größe und das differenzierte Leistungsvermögen der „Risikogruppe“ im dualen oder vollzeitschulischen Ausbildungssystem.

Durch steigende Anforderungen in unterschiedlichen Arbeitsfeldern und damit auch in Ausbildungsberufen werden höhere Ansprüche an Erwerbstätige und Auszubildende als Ausgangsbasis gestellt (vgl. EFING 2006). Dies zeigt sich beim Zugang in das berufliche Bildungssystem. Junge Menschen mit nur geringen Kenntnissen in den Kernfächern Deutsch und Mathematik haben oft keine Chancen einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Andererseits steigt der Fachkräftebedarf, wodurch die Nachfrage an diesen Auszubildenden zunimmt und somit junge Erwachsene mit niedrigeren Eingangsvoraussetzungen stärker in den Fokus der Betriebe geraten. Ohne qualifizierende Fördersysteme ist diese Gruppe aber auf lange Sicht nicht in der Lage, den Ausbildungsanforderungen gerecht zu werden. Zu diesen gehört auch die Steigerung der Literalität. Die OECD definiert Literalität als „die Verwendung von gedruckten oder geschriebenen Informationen, um in der Gesellschaft zurechtzukommen, eigene Ziele zu erreichen und eigenes Wissen sowie individuelle Möglichkeiten zu entwickeln“ (OECD/ STATISTICS CANADA 1995, 16). Diese prozess- und lebenslagenorientierte Sicht auf Literalität geht von einem Kontinuum aus und nicht von einer Dichotomie literater und illiterater Menschen.

Aufgrund der Diskrepanz zwischen unzureichenden Kenntnissen in den Kernfächern Deutsch und Mathematik, wie sie die Zahlen der PISA-Studie belegen, und den jungen Erwachsenen, die ohne Schulabschlüsse die Schule verlassen, ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen trotz eines Schulabschlusses mangelnde Kenntnisse insbesondere im Lesen und Schreiben aufweist (BAUMERT 2008), wodurch ihre dauerhafte Integration in das Ausbildungssystem gefährdet ist: „Zunächst erreicht ein erheblicher Teil der Hauptschüler/innen nicht das Bildungsminimum. Das heißt, diesen jungen Menschen fehlen schon die Kulturtechniken -Rechnen, Schreiben und Lesen- auf dem notwendigen Niveau“ (TENORTH 2008, 10).

Eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung verdeutlicht, dass „die Beherrschung der elementaren Kulturtechniken (Lesen, Rechnen, Schreiben) […] als eine wichtige Voraussetzung für den Eintritt in das Berufsleben und somit als Merkmal der Ausbildungsreife verstanden“ (EBERHARD 2006, 31) wird. Mangelnde Grundbildungskenntnisse haben nach den Ergebnissen einer Unternehmensbefragung der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) erkennbare Folgen für eine Berufsausbildung. Vor allem die Unternehmen übten starke Kritik an den mangelnden Lese- und Schreibkenntnissen der Jugendlichen: 82,5% der Befragten sahen hier erhebliche Defizite bei den Auszubildenden. Unabhängig ihrer Berufsgruppenzugehörigkeit waren sich die Unternehmen einig, dass sich im Vergleich zu den 1980er Jahren die Beherrschung der Kulturtechniken durch die Ausbildungsstellenbewerber/innen deutlich verschlechtert habe“ (vgl. ebd.).

Münden junge Erwachsene mit schwachen Literalitätskompetenzen dennoch in das berufliche Bildungssystem ein, müssten die Defizite üblicher Weise im Deutschunterricht der Berufsschulen bearbeitet werden. Nach GRUNDMANN verliert jedoch insbesondere der Sprach- und Literaturunterricht an den Berufsschulen mehr und mehr an Bedeutung, so dass Spielräume für nachträgliche Bildungsprozesse zur Stärkung der Sprachkompetenzen im institutionellen Kontext der Berufsschule kaum vorhanden sind (vgl. GRUNDMANN 2005, 155). Auszubildende können lediglich einzelfallbezogene Stützsysteme (abH) bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen. Wird in der allgemeinbildenden Schule das Fach Deutsch noch als „Superfach“ bezeichnet mit der Begründung, dass das Fach zur Erziehung, Emanzipation und Mündigkeit im Rahmen von Sozialisationsprozessen diene, scheint dies für den Erwerb der Berufsfähigkeit von jungen Erwachsenen im Übergangssystem der Berufsbildung und in Ausbildung nicht mehr zu gelten. Vor allem Betriebe und Kammern beanstanden einerseits den Deutschunterricht an Berufsschulen, da dort der direkte Berufsbezug nicht deutlich werden würde (vgl. ebd., 157). Andererseits bemängeln diese Institutionen - Betriebe und Kammern - gleichzeitig die fehlende Ausbildungsreife von Schulabgängerinnen und Schulabgängern und zwar nicht nur in sozialisatorischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf deren Grundkenntnisse in den Fächern Deutsch und Mathematik (s. o.). Verbindet man die beiden Positionen, bedeutet dies, dass junge Erwachsene an der ersten Schwelle oft über unzureichende Kenntnisse im Lesen- und Schreiben verfügen, aber die Berufsschule zurzeit keinen Ort darstellt, um systematisch mangelnde Kenntnisse in den Grundfächern zu beheben. Junge Erwachsene mit Förderbedarf, die an einer beruflichen und betrieblichen Integration festhalten, geraten damit in eine Situation, in der sie aufgrund von fehlender Abstimmung zwischen den allgemeinen und beruflichen Bildungsinstitutionen ohne systematische Unterstützung bleiben und somit bei ihnen ein Scheitern an der ersten Schwelle begünstigt wird.

2.  Projektverbund lea

Das Forschungsprojekt Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften (lea) (Das diesem Artikel zugrunde liegende Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01AB072905 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen.) an der Universität Bremen wird in der Zeit vom 01.01.2008 bis 31.12.2010 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Der Verbund „lea“ besteht aus fünf Teilprojekten und einer Verbundleitung sowie Kooperationspartnern aus dem Praxisfeld (weitere Informationen unter www.workforce.uni-bremen.de ). An der Projektarbeit beteiligt sind des Weiteren die Bremer Volkshochschule, WISOAK, bfw, Haus der Zukunft e.V., bras e.V., Allgemeine Berufsschule etc. Im Projekt werden unterschiedliche Expertisen aus der Sonderpädagogik, der Erwachsenenbildung, Berufs- und Wirtschaftspädagogik und des E-learnings gebündelt. Teilprojekt 1 bringt Arbeitsergebnisse und Erfahrungen mit curriculumbezogener und prozessorientierter Diagnostik aus Arbeitsfeldern der Sonderpädagogik ein, die für die Zielgruppe und Altersgruppe weiterentwickelt werden. Teilprojekt 2 entwickelt ein Verfahren für förderdiagnostische Kompetenzmessungen, das Niveaustufen im unteren Kompetenzbereich ausdifferenziert. Das Forschungsdesign ist partizipativ, denn es bindet die Alphabetisierungsteilnehmer/innen in die Itementwicklung mit ein. Durch elektronische Prüfverfahren (Softwaremodule) erhebt und erfasst Teilprojekt 3 die Literalität von Erwachsenen. Dabei werden die im Verbundprojekt entwickelten Instrumente in entsprechende Online-Verfahren übersetzt. Teilprojekt 4 entwickelt prozessorientierte und individuelle Fördermodule, die sich an arbeitsweltbezogenen Themen orientieren, bei gleichzeitiger Förderung der Literalität. Die Entwicklung der Materialien und die Gestaltung des förderdiagnostischen Prozesses werden mit den Teilnehmenden und Lehrenden dialogorientiert umgesetzt. Die im Land Bremen angewandten Prüfungs- (und Diagnostik-)Verfahren für Lernprozesse Erwachsener außerhalb des formalen Bildungssystems werden von Teilprojekt 5 systematisiert. Es entsteht ein „Lotsensystem“ zur Verzahnung von Prüfungs- und Zertifizierungsinstrumenten. Ziel ist die Entwicklung einer berufsbezogenen, sonderpädagogisch, erwachsenengerecht aufgebauten Förderdiagnostik (Formative Assessment). Das System wird als Self- und Peer-Assessment eingesetzt, zur Breitennutzung digital aufbereitet und soll in eine Beratungsstruktur integriert werden.

Abb.1: Projektverbund „lea“: Eigene Darstellung

Das zu entwickelnde förderdiagnostische Instrument (Die Konstruktion und Entwicklung des adaptiven Literalitätsdiagnostikinstruments für junge Erwachsene und Erwachsene in der Arbeitswelt erfolgt im Projektverbund im partizipativen Austausch und berücksichtigt die unterschiedlichen Erfahrungen und Professionen der Teammitglieder. Am Projekt beteiligt sind folgende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (geordnet nach Teilprojekten): TP 1 - Rudolf Kretschmann, Petra Wieken; TP 2 - Anke Grotlüschen, Yvonne Dessinger, Claudia Dluzak, Alisha Heinemann, Monika Wagner-Drecoll; TP 3 - Michael Gessler, Karsten Wolf, Lisa Lüdders, Kai Schwedes; TP 4 - Eva Quante-Brandt, Eva Anslinger, Theda Grabow, Regina Simoleit; TP 5 - Hans-Werner Steinhaus, Steffanie Schügl.) berücksichtigt die Dimensionen Hörverstehen, Sprachproduktion, Leseverständnis einschließlich Lesetechnik, Schreiben (Rechtschreibung), Schreiben (Gestaltung) sowie Sprachempfinden. Zur Förderung von Lese- und Schreibkompetenzen werden diese Dimensionen im Sinne eines Kontinuums ausdifferenziert. Damit kann das Instrument als adaptives Diagnostikum genutzt werden. Zur Ermittlung des Status Quo der zu testenden Lernenden werden die Dimensionen auf unterschiedliche Niveaustufen abgebildet. Zur Anschlussfähigkeit der Niveaustufen an nationale und internationale Vergleichsstudien und Referenzsysteme wie beispielsweise PISA, Bildungsstandards, IALS/ALL oder den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen, ist eine Erweiterung nach unten erforderlich. Daraus entwickelt das Projekt „lea“ ein eigenes Referenzsystem, das sich von einer sozialnormbezogenen Diagnostik insofern unterscheidet, als dass Teilfertigkeiten von Literalität einer Person (Stärken und Schwächen) aufgezeigt werden. Anhand der diagnostischen Ergebnisse können dann zielgerichtet Förderbedarfe auf unterschiedlichen Dimensionen und Niveaustufen abgeleitet werden. Das diagnostische Instrument ist aufgrund seiner Itemauswahl durch einen Lebens- und Arbeitsweltbezug gekennzeichnet.

3.  Teilprojekt Prozessbegleitende Diagnostik am Übergang Schule-Beruf

Aus den aufgezeigten Defiziten der Literalität bzw. Grundbildung Jugendlicher und junger Erwachsener leitet sich der Ausgangspunkt des hier vorgestellten Projekts ab. Das Teilprojekt „Prozessbegleitende Diagnostik am Übergang Schule-Beruf“ fokussiert einerseits auf Nachlernprozesse der Sprachkompetenz Jugendlicher und junger Erwachsener und andererseits auf die Integration der Jugendlichen in Ausbildung und Erwerbsarbeit. Junge Erwachsene befinden sich noch in der Nähe von Bildungsinstitutionen und haben eine Orientierung auf Erwerbsarbeit noch nicht aufgegeben. Trotz wachsender Ängste hinsichtlich einer fehlenden Einmündung in Ausbildung und Erwerbsarbeit, wie es die Shell-Jugendstudie belegt (SHELL DEUTSCHLAND HOLDING 2006, 74 ff.), halten junge Erwachsene am Ziel der Einmündung in Erwerbsarbeit weiterhin fest. Die Blessuren der „beschädigten Lernbiographie“ beziehen sich im Wesentlichen auf negative Schulerfahrungen und sind noch nicht durch zusätzliche Ausgrenzungserfahrungen an der ersten Schwelle verfestigt worden.

Untersuchungen (IALS/ALL) belegen, dass mit zunehmendem Alter die Lese- und Schreibfähigkeiten z.B. durch die fehlenden Routinen der Schrift- und Sprachverwendung abnehmen und das Lernen wird subjektiv belastender empfunden. Da die Literalitätsentwicklung im Kindesalter einsetzt und die Bedingungen des Nachlernens von versäumten Entwicklungsschritten im Erwachsenenalter noch nicht hinreichend erforscht sind, ergibt sich die Notwendigkeit eines speziellen Diagnostikinstruments für die Zielgruppe, denn bisher sind die Instrumente der Literalitätsentwicklung vor allem für das Kindes- und nicht für das Jugendalter konzipiert worden. Mit diesen Bedingungsfaktoren richtet sich die Projektarbeit auf spezifische Lerninhalte und -prozesse, die im Jugend- und jungen Erwachsenenalter nachgeholt werden müssen, wie auf die Bedeutung der Integration von Lernprozessen bei der Einmündung in Ausbildung und/oder Erwerbsarbeit. Dabei sind die KMK-Bildungsstandards Klasse 10 und der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife zu berücksichtigen.

Anhand explorativer Fallstudien (LAMNEK 2005, 303) werden empirische Daten zur Fremd- und Selbsteinschätzung der Literalität der Lernenden erhoben und ausgewertet. Dafür werden Jugendliche und Lehrende, die in schulischen und außerschulischen Bildungsangeboten des Übergangssystems lernen und arbeiten, sowie Teilnehmende von Weiterbildungsmaßnahmen und Auszubildende und LehrerInnen des dualen Systems befragt. Die Teilnehmendenperspektive eröffnet Einblicke in das Selbstkonzept der Befragten und in die möglicherweise gestörten Bildungsbiografien. Damit werden Muster von Hemmnissen und förderlichen Konstellationen sowie Motivationen sich auf Nachlernprozesse einzulassen aufgedeckt. Darüber hinaus können mit Hilfe des förderdiagnostischen Instruments Leistungsstände der Befragten in den unterschiedlichen Bildungsangeboten festgestellt werden.

Einerseits wird zwar die Feststellung individueller Kompetenzausprägungen von Literalität als erforderlich angesehen, andererseits zielt die hier entwickelte Diagnostik aber nicht unmittelbar auf einen standardisierten Vergleich, sondern auf die differenzierten Leistungsstände der Zielgruppe, aus der eine Förderplanung abgeleitet werden kann. Die Ausdifferenzierung der Niveaustufen der „Risikogruppe“ sowie deren Förderung stehen also im Mittelpunkt des Forschungsinteresses des Teilprojektes „Prozessbegleitende Diagnostik am Übergang Schule- Beruf“. Es wird davon ausgegangen, dass Nachlernprozesse zur Literalität im Kontext der beruflichen Förderpädagogik (vgl. BOJANOWSKI 2005) initiiert werden müssen, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen eröffnen somit ein differenziertes Bild um die „Risikogruppe“ präziser zu beschreiben.

Ausgehend von diesen Ergebnissen wird das förderdiagnostische Instrument weiterentwickelt und erprobt. Dieses Herangehen erscheint sinnvoll, da es sich um ein adaptives Instrument handelt, das möglichst passgenau platziert werden soll. Darüber hinaus werden im Kontext der untersuchten Bildungsmaßnahmen, die eingeführten und erprobten Kompetenzfeststellungsverfahren gesichtet und auf die systematische Feststellung der Literalität ausgewertet (vgl. Kapitel 5).

Die Förderung der Literalität der Zielgruppe ist damit in einer zweifachen Perspektive angesprochen: Zum einen werden Sprachkompetenzen im direkten Verwertungszusammenhang erweitert und mit einem besseren Verständnis der Anforderungen aus der Arbeitswelt verbunden, um die Chancen auf eine berufliche Integration zu steigern. Zum anderen bietet die Arbeitswelt einen Handlungsrahmen, in dem die jungen Erwachsenen nicht nur abstrakt ihre Sprachkompetenz erweitern, sondern im Sinne einer vollständigen Handlung diese mit dem praktischen Handlungsvollzug verbinden. Sie „begreifen“ im aktiven Tun den Bedeutungsgehalt der Sprache womit der Lernprozess motivational unterstützt wird. Denn es wird davon ausgegangen, dass die Verknüpfung von nachholender Sprachkompetenzentwicklung mit einem Bezug zur Arbeits- und Lebenswelt die Motivation junger Erwachsener sich auf Lernprozesse einzulassen, gestärkt wird. Motivation in einer pädagogischen Perspektive bezieht sich unter anderem auf die Leistungsbereitschaft. WEINER formuliert dazu: „Was wir zu erreichen suchen und wie sehr wir uns darum bemühen, hängt davon ab, was uns das angestrebte Ziel bedeutet und für wie wahrscheinlich wir es halten, das wir es erreichen können“ (WEINER 1984, 144 zit. n. KRETSCHMANN/ ROSE 2002, 12). Lernen mit dem Ziel von Handlungskompetenzentwicklung bedeutet, die kompetente Bewältigung von Problemen, die aus der Praxis generiert werden und in einen vollständigen Rahmen des Zyklus von Planung, Durchführung und Kontrolle gestellt werden. Dabei wird auf das pädagogische Paradigma des ganzheitlichen Lernens mit „Kopf, Hand und Herz“ zurückgegriffen und in Verbindung mit kognitiven, affektiven, psychomotorischen und sozial kommunikativen Schwerpunkten gebracht (vgl. EULER/ HAHN 2004, 59). Ausgehend von diesem ganzheitlichen Menschenbild wird der Motivationsgedanke aufgegriffen und in den Handlungszusammenhang integriert.

4. Zum Zusammenhang von Literalität und beruflicher Handlungskompetenz

Bei der Betrachtung des Kompetenzbegriffs aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, werden unterschiedliche Blickwinkel eingenommen. KLIEME und HARTIG (2007) benennen die Positionen in der sozial- und erziehungswissenschaftlichen Diskussion und stellen gleichzeitig die Modellierung der Messbarkeit von Kompetenzen in den Mittelpunkt. Dieses ist angelehnt an die PISA-Untersuchungen, in denen unter anderem ein Leistungsvergleich der Schulsysteme fokussiert wird. Die Debatte zur Messbarkeit von Kompetenzen und die daran anknüpfende wissenschaftliche Diskussion werden in dem hier vorliegenden Aufsatz lediglich als Ausgangspunkt aufgegriffen (s.o.). In den Sozial- und Erziehungswissenschaften wurde die Kompetenzdebatte angeregt durch den Sprachwissenschaftler CHOMSKY. Ausgehend von seiner Kritik an behavioristischen Lerntheorien zum Spracherwerb, unterscheidet CHOMSKY in seiner Analyse zwischen „Sprach-Kompetenz“ und „Sprach-Verwendung“ (Performanz). Definiert wird Kompetenz als „die Kenntnis des Sprechers-Hörers von seiner Sprache, während Performanz „der aktuelle Gebrauch der Sprache in konkreten Situationen“ ist“ (CHOMSKY 1970, 14 zit. n. VONKEN 2005, 20).

Vor allem die sozialwissenschaftliche Dimension des Kompetenzbegriffes geht darüber hinaus auf die Ausführungen von HABERMAS zurück. Mit seiner Theorie zum kommunikativen Handeln schließt er sich dem Kompetenzbegriff von CHOMSKY an, erweitert diesen aber um einen gesellschaftskritischen und emanzipatorischen Bedeutungsgehalt und stellt damit die Kompetenzen der Individuen in einen direkten Bezug zu den Bedingungen des sozialen Systems (vgl. KLIEME/ HARTIG 2007). Die Handlung von Individuen ist gleich zu setzen mit dem Performanzbegriff von CHOMSKY, allerdings schließt kommunikatives Handeln den Kontext, also die Lebenswelt der Handelnden mit ein. Dabei ist die Lebenswelt die Grundlage für eine kommunikative Interaktion. Des Weiteren wird von HABERMAS einerseits auf den Raum verwiesen, in dem sich die soziale Interaktion vollzieht und andererseits wird auf das soziale Klima Bezug genommen, da damit die Voraussetzungen für Identitätsbildung eröffnet werden. Das verdeutlicht, dass die Lebenswelt keine Zustandsbeschreibung ist, sondern einen kontinuierlichen Prozess intersubjektiver Verfahren charakterisiert (vgl. HABERMAS 1981), durch die eine autonome und individuelle Lebensgestaltung ermöglicht wird und die zugleich Voraussetzung für Bildungsprozesse ist. Die von HABERMAS entwickelte Begrifflichkeit verdeutlicht, vor welchen Herausforderungen Individuen stehen. Sie bedürfen der Möglichkeiten, kulturellen Kontext zu erkennen und diesen auf ihren Lebens- und Arbeitszusammenhang zu beziehen, womit soziale Kompetenzen, die Fähigkeit zur Kommunikation und Selbstreflexion angesprochen sind. Ein entscheidender Aspekt ist dabei der besondere Stellenwert der wirkungsvollen Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt. Hiermit ist die Motivation und Volitation des Individuums berührt und es rücken das Wechselverhältnis zwischen den Wirkungen des Kontextes und das Subjekt in den Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. WEINERT 2001).

WEINERT (2001) differenziert darüber hinaus die Begriffe der Schlüssel- und Metakompetenzen aus, die in unterschiedlichen lebensweltlichen Situationen erforderlich sind. Schlüsselkompetenzen können mit einer „besonderen Transferbreite charakterisiert werden wie etwa sprachliche Kompetenzen sowie „Metakompetenzen“, welche sowohl den Erwerb als auch die Anwendung spezifischer Kompetenzen erleichtern (vgl. WEINERT 2001, 80ff). Zu den Metakompetenzen gehören einerseits Denk-, Lern-, Planungs- und Steuerungsstrategien, andererseits gehört dazu das Wissen um Aufgaben, Strategien und um die eigenen Stärken und Schwächen. Ein grundlegender Aspekt dieses Kompetenzkonzeptes ist, dass Kompetenzen erlernbar sind.

Der Kompetenzbegriff nach ROTH (1971) verknüpft die Kompetenzdiskussion mit einem emanzipatorischen Erziehungsbegriff. Er verbindet den Kompetenzbegriff mit Mündigkeit und Handlungsfähigkeit, die bei ihm zu zentralen Erziehungszielen werden (vgl. ROTH 1971, 180). Er beschreibt Kompetenzen als individuelle Fähigkeiten im Sinne einer Urteilskraft für das eigene Handeln: als Selbstkompetenz, das bedeutet, dass die Individuen die Fähigkeit herausgebildet haben selbstverantwortlich handeln zu können, als Sachkompetenz, also die Fähigkeit für Sachbereiche urteils- und handlungsfähig zuständig sein zu können und als Sozialkompetenz, die die beiden ersten Kompetenzbereiche mit einer gesellschaftlich und politischen Perspektive verbindet (vgl. REETZ 1999, 35). Die bildungspolitischen Diskussionen der 1970er Jahre wurden von ROTH deutlich geprägt und führten dazu, dass eine Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung in der Kommission des Bildungsrates erfolgte. Im Mittelpunkt standen die sozialen Kompetenzen und das gesellschaftlich verantwortliche Handeln, aber auch „die Bewältigung von Lebenssituationen sowie die Urteils- und Handlungsfähigkeit in den verschiedenen Bereichen des Lebens“ (DEUTSCHER BILDUNGSRAT 1974, 49). In diesem Sinne entwickelt REETZ in Anlehnung an ROTHS Theorie ein Konzept, das die Dimensionen des Kompetenzerwerbs und der Entwicklung der Persönlichkeit in einen interdependenten Zusammenhang stellen. Dem Individuum sollen „Sachkompetenz und individuelle Mündigkeit, Sozialkompetenz und soziale Mündigkeit sowie Selbstkompetenz und moralische Mündigkeit“ vermittelt werden (vgl. ebd.). Nach ARNOLD erweitert die Konzeption von REETZ den beruflichen Kompetenzbegriff um einen Persönlichkeitsbegriff und steht somit in der Tradition der klassischen Bildungstheorie (vgl. ARNOLD 1994, 143).

Die kommunikative Verständigung in der Lebenswelt zum Erwerb von Kompetenzen zählt zur elementaren Voraussetzung von Handlungskompetenz, die in der beruflichen Bildung nach Kompetenzbereichen der Fach-, Methoden-, Sozial- und personale (Mitwirkungs-) Kompetenzen unterteilt werden (vgl. BUNK 1994, 11). Die Diskussion zur beruflichen Handlungskompetenz ist unter anderem auf das Konzept des Berufs zurück zu führen (vgl. BECK/ BRATER/ DAHEIM 1980). Den Ansätzen zur beruflichen Handlungskompetenz ist gemeinsam, dass sie sich immer auf die Bewältigung von Arbeitsaufgaben und um die Gestaltung von berufsbezogenen Anforderungen beziehen. Für die Umsetzung von Arbeitsanforderungen werden die unterschiedlichen Kompetenzbereiche aktiviert und zur Realisierung eingesetzt.

Konzepte der beruflichen Handlungskompetenz verdeutlichen, dass Literalität in der Berufsbildung implizit immer vorausgesetzt wird, in Form der Meta- bzw. Schlüsselkompetenzen. Das bisher verwendete Konzept beruflicher Handlungskompetenz in der Berufsbildung muss also vor dem Hintergrund der „Risikogruppe“ erweitert werden und es erfordert eine stärkere Gewichtung des Subjektes (vgl. BRATER 1997). Die sprachlichen Kompetenzen sind den von WEINERT (2001) entwickelten Meta- und Schlüsselkompetenzen eindeutig zuzuordnen, womit ein Literalitätsbezug zur beruflichen Handlungskompetenz hergestellt werden und im Sinne eines lebenslagenorientierten Bildungskonzeptes umgesetzt werden können (vgl. QUANTE-BRANDT 2003, 75).

Eine Differenzierung der Kompetenzbereiche (s. o.) ermöglicht die Operationalisierung der Arbeitsanforderungen und erleichtert eine angemessene Einschätzung dessen, was das Individuum zur Bewältigung der Arbeitsaufgaben an Kompetenzen mitbringt. Das Konzept der beruflichen Handlungskompetenz eröffnet somit eine relativ präzise Beschreibung der beruflichen Anforderungen und zeigt den Weg für notwendige Lernprozesse auf. Gerade die Operationalisierung beruflicher Anforderungen bietet günstige Anknüpfungspunkte für die Integration der Literalitätsentwicklung. Entsprechend der Arbeitsaufgaben und entlang der Kompetenzbereiche können Fördersequenzen in den Arbeits- und Lernprozess integriert werden, die sich auf die unterschiedlichen Dimensionen der Sprachentwicklung beziehen. Dabei kann auch auf die individuellen Voraussetzungen der Lernenden eingegangen werden, indem die Fördersequenzen dem didaktischen Prinzip vom Leichten zum Schweren folgen. Anknüpfend an die Shell-Jugendstudie ist davon auszugehen, dass junge Erwachsene an der Erlangung eines Berufsabschlusses interessiert sind und durch die enge Verknüpfung von beruflicher Handlungskompetenz und Literalitätsentwicklung eher bereit sind, Nachlernprozesse in neuer Weise anzugehen. Dabei ist die Integration in die Arbeitswelt ein Motivationsfaktor der anschließt an zwei Voraussetzungen, die in der Motivationstheorie herausgearbeitet wurden: „Zum einen von der subjektiven Bedeutung, dem Anreiz (Ae), den die Tätigkeit hat, dem Gewinn, den wir uns von unseren Bemühungen versprechen, dem Interesse, das wir der Sache entgegenbringen zum anderen von der subjektiv eingeschätzten Wahrscheinlichkeit (We) das gewünschte Ziel zu erreichen, auch Erfolgszuversicht genannt, wobei We selbst ein zusammengesetzter Wert ist, zusammengesetzt aus der Einschätzung des eigenen Könnens und den geäußerten Möglichkeiten (…)“ (KRETSCHMANN/ ROSE 2002, 12). Durch diese Setzung werden an das Konzept der beruflichen Handlungskompetenz zugleich hohe Erwartungen gerichtet, die über das Modell der vollständigen Handlung berücksichtigt werden können.

Mit WEINERTS Schlüsselkompetenzbegriff und HABERMAS Lebensweltausrichtung kann sprachliche Kompetenzentwicklung in einen direkten Bezug zur Arbeitswelt gestellt werden und bezieht somit die Entwicklungen der Kompetenzen auf das jeweilige Anforderungsprofil des Arbeitsgegenstandes mit ein. Dies führt zu einem erweiterten Verständnis von Handlungskompetenz. Das Teilprojekt Prozessbegleitende Diagnostik am Übergang Schule-Beruf geht davon aus, dass Lese- und Schreibkenntnisse wesentliche Bedingungen sind, um an Bildungsprozessen jeglicher Art zu partizipieren (vgl. WEINERT 2001, 82). Sie sind Grundlage für den Erwerb weiterer Kompetenzen, die in Bildungsinstitutionen vermittelt werden.

5.  Kompetenzfeststellungsverfahren & Literalität

Zur Feststellung individueller Förderbedarfe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sich im System der beruflichen Förderpädagogik in den letzten Jahren ein umfangreicher Markt von Kompetenzfeststellungsverfahren mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Ausrichtungen etabliert. Die entwickelten Ansätze rücken dabei vorwiegend die Feststellung sozialer und personaler Kompetenzen in den Mittelpunkt.

Die Kompetenzfeststellungsverfahren sollen die bekannten und oftmals noch verborgenen Kompetenzen und Potenziale der Jugendlichen hervorrufen und sichtbar machen. Am Übergang Schule - Beruf werden drei verschiedene diagnostischen Verfahrensarten zur Kompetenzfeststellung eingesetzt: Standardisierte Test- sowie Selbst- und Fremdbeschreibungsverfahren (z.B. Berufseignungstests), biographieorientierte Verfahren (z.B. Interviews, Portfolioverfahren oder Kompetenzbilanzen) und simulations- bzw. handlungsorientierte Verfahren (z.B. Assessment- Center). Letztere sind für die Arbeit des Projektes lea aufgrund der mangelnden Sprachfähigkeiten und der gering vermuteten Motivation der Jugendlichen von besonderem Interesse.

Die Assessment Center-Verfahren (AC) bieten einen geeigneten Ansatzpunkt, um im Verfahren bei den Ressourcen und Potentialen der Teilnehmenden anzuknüpfen, Erfolgserlebnisse zu schaffen und sie so für die weitere Förderung zu motivieren.

Assessmnet Center ist definiert als ein Verfahren, dass in einer Gruppe und durch mehrere Beobachter und Beobachterinnen in einer Vielzahl von Beobachtungssituationen durchgeführt wird. Es wird nach festen Regeln das Verhalten der Teilnehmenden hinsichtlich der Kompetenzen beurteilt (vgl. SARGES 1995, 729 zit. n. Handbuch Kompetenzcheck Ausbildung NRW 2006, 34). Standards für diese Verfahrensart sind im Jahr 2004 vom Arbeitskreises Assessment Center e.V. entwickelt worden, um eine zeitgemäße Grundlage der AC- Praxis zu schaffen und um mehr Einheitlichkeit in der Durchführung, Entwicklung sowie Einordnung von Assessment Center-Verfahren herzustellen. Zusätzlich zu den üblichen Gütekriterien für wissenschaftlich fundierte Testverfahren (Validität, Objektivität, Reliabilität) ermöglichen sie eine Überprüfung der Güte vielfältiger Angebote und ermöglichen Transparenz für Anwender/innen (NEUBAUER/ HÖFT 2006, 78). DRUCKREY (2007) entwickelt in Anlehnung an die Qualitätsstandards der Assessment Center Technik des Arbeitskreises Assessment Center e.V. zwanzig Qualitätsstandards für die Kompetenzfeststellung bei Jugendlichen am Übergang Schule-Beruf ( DRUCKREY 2007, 26ff. ). Sie ordnet diese Standards drei Kategorien zu .

Ein Kompetenzfeststellungsverfahren am Übergang Schule-Beruf sollte die Standards der Kategorie pädagogischer Prinzipien berücksichtigen . Zu diesen zählt sie die Subjektorientierung, Managing Diversity, Lebens- und Arbeitsweltbezug, den Kompetenzansatz und das Transparenzprinzip.

Die Standards der zweiten Kategorie beziehen sich auf die professionelle Umsetzung von AC- Verfahren. Sie bestimmen die Ziel- und Prozessorientierung, garantieren die professionelle Vorbereitung und Durchführung sowie den Einsatz von geschultem Personal und sie sichern ein Feedback- Gespräch mit den Teilnehmern/innen ab. In der schriftlichen Ergebnisdokumentation zeigen sich ebenfalls Kriterien für eine professionelle Umsetzung. AC- Verfahren zeichnen sich durch eine systematische Beobachtung aus. Diese Standards beziehen sich auf die Verhaltensorientierung, kriteriengeleitete Dokumentation während der Beobachtung, Mehrfachbeobachtung, Trennung von Beobachtung und Bewertung, den Personalschlüssel und die Rotation der Beobachterinnen und Beobachter (DRUCKREY 2007, 26). Gemäß diesen Qualitätsstandards baut ein AC- Verfahren auf der Grundlage der systematischen Verhaltensbeobachtung auf.

Einleitend erfolgt die Ermittlung eines Anforderungsprofils mit den erforderlichen Tätigkeits- oder Verhaltensmerkmalen. Anhand von kritischen Situationen werden die Verhaltesindikatoren abgeleitet und aufgelistet. In der Umsetzung müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter Simulation der Anforderungssituation Einzel- und Gruppenaufgaben lösen. Sie werden dabei von geschulten Beobachterinnen und Beobachtern gezielt in den Blick genommen. Die beobachteten Ausprägungen eines bestimmten Merkmals werden notiert und in einem Beurteilungsbogen zusammengetragen. In der Beobachterkonferenz gleichen die Beobachterinnen und Beobachter ihre Ergebnisse ab und im Anschluss wird für jeden Teilnehmenden ein Fähigkeitsprofil erstellt, das mit dem Anforderungsprofil verglichen wird. In einem Auswertungsgespräch werden den einzelnen Teilnehmenden die Ergebnisse zurückgemeldet. In diesem Auswertungsgespräch werden Empfehlungen zur Optimierung des Verhaltens und der Zielgruppe gemäß individueller Förderempfehlungen ausgesprochen (vgl. Handbuch für Kompetenzcheck Ausbildung NRW 2006 2006,34ff). Eine systematische Förderung der Literalität wird in der Regel nicht aus den Verfahren abgeleitet.

Jungen Menschen haben aber aufgrund negativer Schulerfahrungen, die häufig durch soziale Faktoren verstärkt werden, ihre Literalität nicht altersgemäß entwickelt. Es wird daher davon ausgegangen, dass die Bereitschaft für Nachlernprozesse im Jugend- und Erwachsenenalter eng an die Entwicklung von Motivation gekoppelt ist. In der Motivationstheorie nach ATKINSON werden die (generalisierte) Motivation erfolgreich zu sein (Me) und die generalisierte Misserfolgsmotivation (Mm) unterschieden. Me bezieht sich auf Bereitschaft einer Person, Erfolge zu erwarten und Anstrengungen zu erbringen, um (weitere) Erfolge zu erzielen. Mm bezieht sich auf die Bereitschaft einer Person, (weitere) Misserfolge zu erwarten und potenzielle Misserfolgserlebnisse durch Vermeidungsstrategien zu minimieren (vgl. KRETSCHMANN/ ROSE 2002, 88). Gerade im Umgang mit Risiken sind Unterschiede zwischen erfolgsmotivierten und misserfolgsmotivierten Personen festzustellen. „Erfolgsmotivierte gehen Risiken ein, um zu dem, was sie haben, etwas hinzu zu gewinnen. Misserfolgsmotivierte meiden Risiken, um keine weiteren Verluste zu erleiden. Daher meiden misserfolgsorientierte Lernende, wenn sie denn können, Anforderungs- und Bewährungssituationen. So können sie keine Fehler machen. Sie können jedoch auch nichts hinzu lernen, sich nicht weiterentwickeln“ (ebd., 90). Die dargestellten Ausgangspositionen von Motivation müssen in der Entwicklung der Aufgabenformate zur Literalitätsförderung berücksichtigt werden. Somit können Erfolgserlebnisse hergestellt und Muster der Vermeidung ausgeschlossen werden. Dieser Baustein soll so konzipiert werden, dass eine Anschlussfähigkeit an bestehende Kompetenzfeststellungsverfahren möglich werden kann.

Zwar sind die Verfahren zur Feststellung überfachlicher Kompetenzen, wie z.B. soziale Kompetenzen, gut geeignet um Jugendliche zu motivieren diese zu testen und weiterzuentwickeln, dennoch sollten Probleme der Literalität dabei nicht ausgeblendet werden, da damit Vermeidungsstrategien gestärkt werden könnten (s.o.). Zur Diagnose und Förderung der Literalität von jungen Erwachsenen finden im Teilprojekt 4 deshalb folgende vier Dimensionen (s. o.) besondere Beachtung:

1.  Sprachproduktion ist für eine reibungslose Kommunikation in Schule und Unternehmen und Lebenswelt elementar. In mündlichen Prüfungen werden die Fertigkeiten junger Erwachsener geprüft und bewertet (Dimension Sprachproduktion).

2.  Das Lesen von Fachtexten sowie deren Interpretation und Weiterbearbeitung sind in Berufsschulen aber auch in der betrieblichen Ausbildung zentrale Vermittlungsmethoden. Daher ist insbesondere das Lesen und Verstehen von längeren Texten sowie von Fachtexten Bedingung, um einen (Aus)Bildungsabschluss erzielen zu können (Dimension Lesen).

3.  Von Schülerinnen und Schülern sowie von Auszubildenden wird die Produktion von handschriftlichen Texten/Klassenarbeiten als Methode genutzt, um gelernte Inhalte zu überprüfen. Können die Inhalte schriftlich nicht dargestellt werden, sind sie auch von den Lehrkräften und Ausbilder/innen nicht zu bewerten (Dimension Schreiben/Gestaltung).

4. Jugendliche und junge Erwachsene haben häufig Schwierigkeiten Fach- und Fremdwörter aber auch Wörter aus dem täglichen Sprachgebrauch regelkonform zu verschriftlichen. Hier ist auch eine Verbindung zum Lesen von schwierigen Wörtern zu erkennen. Auch im Betrieb wird von Auszubildenden die regelkonforme Schreibweise benötigt, beispielsweise beim Anfertigen des Berichtsheftes oder beim Ausfüllen von Lieferscheinen (Dimension Schreiben/Rechtschreibung).

Förderdiagnostik bedeutet einerseits den aktuellen Sprachstand festzustellen und anderseits die Gründe für den Entwicklungsstand biographisch zu erschließen. Bei der Förderdiagnostik stehen das Individuum, die Zielsetzung der Bildungsmaßnahme und die daraus zu entwickelnde einzelne Förderperspektive im Vordergrund. Weniger bedeutend ist dabei die vergleichende Betrachtung der einzelnen Sprachstände bei den Teilnehmenden. Ressourcenorientierung bedeutet in diesem Zusammenhang, über ein adaptives Instrumentarium zu verfügen, dass sich trotz Heterogenität der Zielgruppe diagnostisch und förderpädagogisch einsetzen lässt.

Die Anschlussmöglichkeiten eines förderdiagnostischen Instruments an verschiedene berufsorientierte Assessment Center-Verfahren wird in der Gestaltung der Arbeitsaufgaben gesehen, sofern diese Verfahren an der spezifischen Zielgruppe orientiert sind. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen könnten z.B. Arbeitsaufträge erhalten, die sich nach unterschiedlichen sprachlichen Niveaustufen und Dimensionen unterscheiden. Die Differenzierungen sollen gezielt die Teilkompetenzen der Teilnehmenden aufzeigen. Die Dimensionen orientieren sich deshalb an Kann-Kriterien, um die Lernenden dort abzuholen, wo sie stehen. Auch schriftliche Verständnisfragen oder schriftliche Auswertungen der Bewältigung von Aufgaben bieten Möglichkeiten, um schriftsprachliche Kompetenzen festzustellen, stets mit dem Ziel der Entwicklung von Förderplänen.

6.  Ausblick

Es ist deutlich geworden, dass der Stellenwert von Literalitätsentwicklung für die Integration auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zugenommen hat und die Gruppe der so genannten Bildungsverlierer und Bildungsverliererinnen wesentlich stärker als bisher auch in Grundbildungskompetenzen gefördert werden muss, denn das Leistungsniveau vieler Lernenden schließt den Übergang in eine Berufsausbildung nahezu aus (vgl. TENORTH 2008, 10). Bis jetzt wird dieses Thema noch zu wenig systematisch im Kontext der beruflichen Bildung bearbeitet, vermutlich aufgrund der Einschätzung, dass nachholenden Bildungsprozesse im Kontext der Arbeitswelt keinen Platz haben. Das bedeutet, es besteht eine große Diskrepanz zwischen der Anforderung der Arbeitswelt und der „Risikogruppe“. Dies wird mit dem Begriff der fehlenden Ausbildungsreife umschrieben. Deshalb sind Nachlernprozesse in das berufsbildende System und in die berufliche Förderpädagogik zu implementieren, wenn an dem Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe von allen Gesellschaftsmitgliedern festgehalten werden soll. Wenn man die berufliche Handlungskompetenz mit Schlüssel- und Metakompetenzen sowie der Theorie des kommunikativen Handelns in der Lebenswelt verbindet, werden vielfältige Anknüpfungspunkte für das Nachlernen von Literalität ermöglicht.

Mit Hilfe geeigneter Diagnostik und anschließender Förderung werden Bildungsprozesse aufgezeigt die Literalitätsentwicklung mit der Integration auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verbinden. Anhand einer berufsrelevanten Diagnostik sowie in der Entwicklung von Materialien, die einen Lebens- und Arbeitsweltbezug aufweisen, sollen Lese- und Schreibkompetenzen der Lernenden unmittelbar im Arbeits- und Ausbildungsprozess gefördert werden. Dadurch wird die Entwicklung der Ausbildungsreife benachteiligter Zielgruppen unterstützt und die Ausbildungs- und Beschäftigungsfähigkeit ermöglicht. Darüber hinaus geben die qualitativen Befunde Einblicke in das Selbstkonzept und Leistungsstände der in den PISA-Studien definierten „Risikogruppe“.

Zur Realisierung dieser Aufgaben, werden in einem gemeinsamen Vorhaben mit dem Haus der Zukunft Lüssum e.V., Sprachkurse im Betrieb und lea TP4 unter anderem ein Konzept zur Förderung der Lese- und Schreibkompetenzen von Menschen in einem sozial benachteiligten Stadtteil entwickelt, die eine Integration ins Erwerbssystem anstreben. Das gemeinsame Projekt „Berufe erkunden, Lesen, Schreiben und Rechnen be-greifen“ stellt Literalitätsentwicklung in den direkten Bezug von Ausbildung und Erwerbsarbeit. Die Teilnehmenden erhalten die Möglichkeit, unterschiedlichste Berufsfelder kennen zu lernen und ihre Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen nah an den Inhalten und Arbeitsaufgaben der einzelnen Berufsfelder zu verbessern. Darüber hinaus wird zur Integration in Ausbildung oder Erwerbsarbeit ein Bewerbungstraining durchgeführt. Abgerundet wird das Angebot durch Betriebsbesichtigungen und Praktika, die den Bezug zur regionalen Wirtschaft und damit zum ersten Arbeitsmarkt herstellen sollen. Das in kooperativer Zusammenarbeit entwickelte Material für schwache Leser und Leserinnen sowie Schreiber und Schreiberinnen wird in unterschiedlichen Niveaustufen ausgewiesen, um den Anschluss an das im Projektverbund entwickelte Diagnostikinstrument herzustellen.

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