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 bwp@ Ausgabe Nr. 15 | Dezember 2008
Medien in der beruflichen Bildung – Mit Web 2.0, ERP & Co. zu neuen Lernwelten?
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 15 sind H.-Hugo Kremer, Jens Siemon und Tade Tramm

Medien als bedeutungsgenerierende Instanz – Herausforderungen für die Berufsbildungsforschung in Theorie und Praxis

    
 

Dieser Beitrag zielt darauf, Erkenntnisse der Medientheorie für die Thematisierung neuer Lernformen in der beruflichen Weiterbildung zu nutzen. Konkret geht es um die Frage, inwiefern die Veränderung des beruflichen Lernens unter den Bedingungen neuer Leitmedien erfolgt und welche Herausforderungen sich daraus in theoretischer und auch in praktischer Hinsicht für die Berufsbildungsforschung ergeben.

In dem Verständnis der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung liegt der Focus wissenschaftlicher Analysen bisher eher auf dem Lernen mit neuen Medien. Eine untergeordnete Rolle spielt dabei die Frage, wie sich das Lernen unter den Bedingungen neuer Medien gestaltet. Dieses Verständnis wird in dem Beitrag kritisch hinterfragt und es werden theoretische Ansätze aus den Medienwissenschaften darauf hin geprüft, inwiefern sie einen Beitrag dazu leisten können, die bisher eher enge erziehungswissenschaftliche Perspektive zu erweitern und moderne Lernformen angemessen zu thematisieren. Als Beispiel wird die Weiterbildung im IT-Sektor fokussiert, denn an diesem Sektor lässt sich exemplarisch zeigen, wie sich unter den Bedingungen neuer Medien eine neue Lernkultur entwickelt hat.

1.  Ausgangssituation

Es ist aus der Sicht der Bildungsforschung unbestritten, dass neue Medien als Instrumente des Lernens Potenziale für das berufliche Lernen in der Aus- und Weiterbildung bieten. Dazu gehören neben den Vorteilen der Orts- und Zeitflexibilität die Vielfalt von Lernressourcen und Zugängen zum Lerngegenstand, Differenzierungen von Lern- und Lehrhandlungen unter der Partizipation der Lernenden sowie das Entstehen neuer sozialer Kontexte und Kooperationsformen (vgl. ARNOLD 2005). Allerdings liegen darin auch neue Herausforderungen: die Vielfalt und die Ausdifferenzierung von Lern- und Lehrhandlungen erzeugen Unsicherheiten auf der Seite der Lehrenden und der Lernenden. Diese Unsicherheit erfordert Orientierungshilfen und erzeugt Beratungsbedarf.

Gelungenes Lernen mit neuen Medien hängt im Wesentlichen davon ab, inwieweit sich Restriktion und technische Determination, die häufig durch den Computereinsatz erst erzeugt werden, mit Partizipation und Selbstbestimmung verbinden. Ein Problem in der Erforschung der Qualität von Bildungsprozessen (nicht nur mit neuen Medien) besteht darin, dass Bildung nicht durch äußere Rahmenbedingungen erzeugt werden kann, sondern sie stellt sich erst im Prozess des Lernens durch den Lernenden selbst her. Der Lerner produziert in seinem Lernprozess die Qualität selbst, er ist nicht nur Ko-Produzent (vgl. EHLERS 2005), sondern er ist der Produzent der Produkte Wissen, Bildung und Kompetenz.

Das Medienverständnis berufspädagogischer Bildungsforschung greift zur Thematisierung dieser Prozesse zu kurz: hier werden Medien explizit als Lehr- und Lernmittel betrachtet. Die Medien werden dabei über den Einsatz in der beruflichen Erstausbildung hinaus verstanden als Medien für lebensbegleitendes Lernen und als Medium der Wissenspräsentation (vgl. FOGOLIN/ ZINKE 2005). In diesem Verständnis liegt der Focus der Bildungsforschung auf dem Lernen mit neuen Medien. Eine bisher eher untergeordnete Rolle spielt dabei die Frage, wie sich das Lernen unter den Bedingungen neuer Medien gestaltet. In der erziehungswissenschaftlichen Forschung wird dieser Ansatz zunehmend kritisiert (vgl. RÜCKRIEM 2004, ERDMANN 2006, MANSKI 2008).

Es lassen sich nach RÜCKRIEM (2004) zwei Medienkonzepte gegenüberstellen. Auf der einen Seite steht das Medienkonzept, das in der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung zum Einsatz kommt. Es ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

•  Medien werden verstanden als Instrument und Mittel zur Vermittlung von Information und Wissen

•  Medien erzeugen Wirkursachen, sie determinieren den Vermittlungsprozess und erzeugen Verhaltensveränderungen

•  Medien übernehmen eine Vermittlungsfunktion, wobei es sich um personale und apersonale Medien handeln kann

•  Es wird eine Unterscheidung getroffen in allgemeine Kommunikationsmedien und didaktische Medien, wobei den didaktischen Medien eine bestimmte Funktion in Lehr-Lernprozessen zugeschrieben wird

•  Die Mediendidaktik erforscht den Beitrag von Medien zur Lehroptimierung

•  Der Medienpädagogik kommt damit auch die Funktion pädagogischer Kontrolle zu (z.B. bezogen auf Fernsehkonsum und Computerspiele)

Diesem eher engen, auf Lehr-Lernprozesse bezogenen Medienkonzept, das der Bildungsforschung in erster Linie zugrunde liegt, stellt RÜCKRIEM (2004) ein erweitertes Medienkonzept gegenüber. Dieses ist:

•  Allgemein – es erfolgt eine Integration traditioneller und moderner Kommunikationsmedien

•  Umfassend – es betrifft alle Lebensbereiche, beruflicher und privater Umgang mit den Medien lässt sich nicht eindeutig voneinander trennen

•  Universell – die Medien sind nicht regional begrenzt, sie haben eine weltweite Verbreitung

•  Interaktiv – sie erzeugen neue mediale und soziale Kommunikationsräume

•  „Rhizomatisch“ – sie erfordern Netzwerkstrukturen, die weder Linearität noch Hierarchie aufweisen

•  Irreversibel und flexibel– Konstanz besteht lediglich in der permanenten Veränderung

Die letzten beiden Aspekte führen bzgl. der Erforschung neuer Medien zu dem Problem, dass die Lernprozesse sich einer didaktischen Gestaltung weitgehend entziehen und dass die Ergebnisse unter Umständen der Time-Lag-Problematik unterliegen. Hier wird im Folgenden die These vertreten, dass die Berufsbildungsforschung gefordert ist, Medien über die Lehr-Lernforschung hinaus als ein neues kulturelles und soziales Leitmedium zu begreifen, das gesellschaftliche Veränderungsprozesse herbeiführt und gesellschaftliche Strukturen erzeugt.

2.  Medien? Medientheorien!

Eine kleine (wahre) Anekdote zum Einstieg in das Thema, die deutlich macht, mit welcher Herausforderung jede wissenschaftliche Auseinandersetzung im Umfeld von Medien umgehen muss:

Der Organisationssoziologe Peter Drucker traf nach einer Konferenz Marshall McLuhan, einen der bedeutendsten zeitgenössischen Medientheoretiker. Er fragte ihn, worum es auf der Konferenz inhaltlich ging. Die Antwort lautete: „Ach, über die Automation. Weißt du“, sagte der Medienexperte „es war geradeso, als ob die Pferdekutscher um 1905 eine Versammlung einberufen hätten, um über die gesellschaftlichen Folgen des Automobils zu diskutieren. Ein Professor hält eine sehr gelehrte Vorlesung über die Umschulung von Pferden. Ein anderer legt statistische Unterlagen vor, um nachzuweisen, dass durch das Automobil die Nachfrage nach Pferden und ihr Wert stark steigen werden; man werde ja soviel mehr als bisher brauchen, um Automobile aus dem Graben zu ziehen.“ (DRUCKER 1995, 12).

MCLUHAN weist uns mit seiner Analogie darauf hin, dass eine instrumentelle Betrachtung von Medien und der aktuelle Einsatz von Medien zwar wichtig ist, dass aber wissenschaftliche Aussagen über Medien und Mediennutzung angesichts permanent fortschreitender Technikentwicklung schnell ihre Aussagekraft verlieren können.

Vor diesem Hintergrund ist auffällig, dass im Verständnis der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung der Focus der wissenschaftlichen Arbeiten bisher auf dem Lernen mit neuen Medien liegt, dass also die neuen Instrumente des Lernens im Vordergrund der Betrachtung stehen. Eine eher untergeordnete Rolle spielt dagegen die Frage, wie sich das Lernen unter den Bedingungen neuer Medien gestaltet. Dieses Verständnis wird hier kritisch hinterfragt und es werden theoretische Ansätze aus den Medienwissenschaften darauf hin geprüft, inwiefern sie einen Beitrag dazu leisten können, die bisher enge erziehungswissenschaftliche Perspektive zu erweitern.

Die Grundlage der folgenden Ausführungen bilden die so genannten „Neuen Medientheorien“, die Medien nicht als innovative Werkzeuge, sondern als Bestimmungsgröße epochaler Veränderungen – als ein gesellschaftliches Leitmedium – beschreiben. Neue mediale Instrumente, wie sie z.B. im elektronisch gestützten Arbeiten und Lernen eingesetzt werden, künden demnach von einem neuen Leitmedium „Netz“, das das alte Leitmedium „Buchdruck“ ablöst. Aus einer solchen Betrachtungsweise (RÜCKRIEM 2004, ERDMANN 2006, MANSKI 2008) liegt auch für die Berufsbildungsforschung die Schlussfolgerung nahe, dass für die Beschreibung und Analyse der aktuellen Veränderungen des beruflichen und betrieblichen Lernens nicht in erster Linie die neuen medialen Instrumente, sondern das neue Leitmedium als Bedingung für die Veränderung des Lernens thematisiert werden muss.

Die unter dem Begriff „Neue Medientheorien“ zusammengefassten theoretischen Erkenntnisse aus den Medienwissenschaften umfassen eine Vielzahl an Positionen. In der Summe dieser unterschiedlichen Interpretationen und ihrer (oft auch kritischen) Rezeption kulminiert jedoch insgesamt ein neues Verständnis von Medien, das deutlich macht, dass Medien zu einem „Paradigma der Welterklärung“ (HICKETHIER 1999, 146) geworden sind. Die neuen Medientheorien lassen sich in drei Diskurssträngen zusammenfassen (WEBER 2003, 30ff.):

•  Postmoderne Medientheorien beschäftigen sich mit Transformationsphänomenen beim Übergang von der Moderne in die Postmoderne und dem medialen Wandel während dieses Übergangs (z.B. DERRIDA, FLUSSER, BOLZ, RÖTZER).

•  Mit den Techniktheorien wird der Forschungsfokus der postmodernen Medientheorien ergänzt durch die Beschreibung technologischer (Eigen-)Dynamik der Medialisierung (z.B. KITTLER, WINKLER, COY).

•  Medienphilosophische Ansätze untersuchen den Zusammenhang von medientechnologischer, medienkultureller und menschlicher Evolution. Es geht ihnen im Wesentlichen darum, Medien anknüpfend an sprach- und symbolphilosophisches Denken als expliziten Forschungsgegenstand der Philosophie auszuweisen (z.B. HARTMANN, SANDBOTHE, MARGREITER, KRÄMER).

2.1  Medien als Wirklichkeitsgeneratoren

Die Neuen Medientheorien beschreiben Medien als „bedeutungsgenerierend“ (HARTMANN 2000, 19). Diese Aussage beruht auf der Grundannahme, dass Medien zum einen auf unsere Sinne und ihr Verhältnis zueinander wirken und somit bestimmen, wie wir die Welt wahrnehmen. Zum anderen prägen Medien die Form des Wissens und führen damit zur Erzeugung eigener Welten. Darüber hinaus haben Medien, weil mit ihnen Werte und Normen verbunden sind, Einfluss auf unsere gesellschaftlichen und individuellen kulturellen Selbstbilder.

Ausgangspunkt der in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen ist die (nicht neue) Überzeugung, dass die Welt dem Menschen stets „über einen sinnlichen Wahrnehmungs- und einen vernünftigen Erkenntnisapparat, über zwischengeschaltete Symbolsysteme wie die Sprache bis hin zu kulturellen und technischen Programmierungen“ (HARTMANN 2003, 296) vermittelt wird. Die menschliche Kommunikation unterscheidet sich durch ihren Rückgriff auf Codes und Symbole von allen in der Natur existierenden Kommunikationsformen als ein künstlicher Vorgang: „Sie beruht auf Kunstgriffen, auf Erfindungen, auf Werkzeugen und Instrumenten, nämlich auf zu Codes geordneten Symbolen. Menschen verständigen sich untereinander nicht auf ‚natürliche' Weise: Beim Sprechen kommen nicht ‚natürliche' Töne heraus wie beim Vogelgesang, und das Schreiben ist keine ‚natürliche' Geste wie der Bienentanz.“ (FLUSSER 1998, 9). Symbole und Codes sind „Brücken“ zwischen dem Menschen und der Welt: „sie ‚bedeuten' die Welt“ (FLUSSER 1998, 76). Uncodierte Erfahrungen sind in der Kommunikation grundsätzlich nicht möglich.

Medien verstärken diesen Effekt, weil wir „diese vermittelte Welt nur durch Medien (zunächst die Sprache, die Wahrnehmungsorgane und deren technische Prothesen) kennen und unsere Erkenntnisse über sie nur durch Medien mitteilen können.“ (HARTMANN 2000, 27). Weil Medien „Ausweitungen“ unserer Sinne sind, führen die jeweils neuen Medien zur Verlagerung des Schwergewichts in unserer Sinnesorganisation und damit den Gesetzmäßigkeiten unserer Wahrnehmung (MCLUHAN 1995, 39). Der Gebrauch eines bestimmten Kommunikationsmediums über einen langen Zeitraum hinweg prägt die Gestalt des übermittelten Wissens (INNIS 1997, 96). Von diesen beiden Aussagen ausgehend leitet MCLUHAN seine These von dem Medium als Botschaft ab. Es geht dabei nicht nur um die individuelle Kommunikation, sondern vielmehr um gesellschaftliche Kommunikationsprozesse: „Was wir jedoch hier betrachten, sind die psychischen und sozialen Auswirkungen der Muster und Formen, wie sie schon bestehende Prozesse verstärken und beschleunigen. Denn die ‚Botschaft' jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.“ (MCLUHAN 1995, 22f.).

Mit diesem Ansatz einer neuen Medientheorie haben INNIS und MCLUHAN die wissenschaftliche Position geprägt, dass die Art und Weise des Einsatzes von Medien einen entscheidenden Einfluss auf die Subjekte hat. Angesichts des materiellen Eigensinns der in einer Kultur eingesetzten Medien „ist eine gänzlich frei handelnde Subjektivität nicht möglich“ (HARTMANN 2003, 309). KRÄMER beschreibt daran anknüpfend Medien als Mittel der „Welterzeugung“: „Apparate – so meine Vermutung – effektivieren nicht einfach das, was Menschen auch ohne Apparate schon tun, sondern erschließen etwas, für das es im menschlichen Tun kein Vorbild gibt und das an diesem Tun vielleicht auch gar keinen Maßstab findet. Die Technik als Zeug erspart Arbeit; die Technik als Apparat aber erzeugt künstliche Welten, sie ermöglicht Erfahrungen und Verfahren, die es ohne Apparaturen nicht etwa abgeschwächt, sondern überhaupt nicht gibt. Nicht Leistungssteigerung, sondern Welterzeugung ist der produktive Sinn von Medientechnologien.“ (KRÄMER 1998).

Medien generieren nach diesem Verständnis die soziale Wirklichkeit. Mit dem Begriff des „Wirklichkeitsgenerator“ (THIEDEKE 1999, 31) ist die Vorstellung verbunden, dass Medien nicht nur individuelle Erfahrungsmodalitäten bestimmen, sondern die gesamte gesellschaftliche Semantik. Dabei geht es um ein komplexes Gefüge von Wirklichkeitsbeschreibungen, Ideen, Werten, Normen, kulturellen Symbolen und Kommunikationsformen (vgl. THIEDEKE 1999, 31). TURKLE beschreibt in ihrer viel beachteten Untersuchung über Computer als „Wunschmaschinen“, wie sehr Medien das Denken über uns selbst beeinflussen und deutet auch eine Schlussfolgerung für die erziehungswissenschaftliche Forschung an: „Technologie katalysiert Veränderungen – Veränderungen in dem, was wir tun, und in unserer Denkweise. Sie verändert das Bewusstsein des Menschen von sich selbst, von anderen und von seinen Beziehungen zur Welt. [...] Die meisten Überlegungen hinsichtlich des Computers konzentrieren sich auf den ‚Computer als Instrument', auf die Frage also, welche Aufgaben der Computer wird übernehmen können. Ich interessiere mich dagegen […] für den ‚Computer als Subjekt'. Das ist die Maschine, die in das gesellschaftliche Leben und die seelische Entwicklung des einzelnen eintritt und unser Denken beeinflusst, vor allem das Denken über uns selbst. [...] Es geht mir nicht um die Frage, wie der Computer zukünftig sein wird, sondern wie wir sein werden.“ (TURKLE 1984, 9f.). Diese Frage gilt es – sowohl aus der Perspektive erziehungswissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung wie auch bildungspolitischer und didaktischer Praxisgestaltung – in den Blick zu nehmen.

Als bedeutungsgenerierende Instanz eröffnen Medien neue Möglichkeitshorizonte: sie bestimmen nicht nur, was wir über uns selber denken, sondern was überhaupt gedacht werden kann. Die Wirkung von Medien bezieht sich damit auch auf kollektive Weltbilder. Der Mensch und die Gesellschaft verändern sich unter den Bedingungen von Medien. Insofern bilden Medien einen wichtigen Rahmen der Ermöglichungsbedingungen gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse und kulturellen Wandels.

2.2  Kulturwandel als Medienwandel

Schon in den 1950er Jahren etablierte MCLUHAN an der Universität Toronto unabhängig und im Gegensatz zur damals vorherrschenden Forschungspraxis ein neues Konzept der Betrachtung von Medien, in dem die Rolle der Medien im Kulturwandel beschrieben und analysiert wurde. Die historische Orientierung ist im Diskurs der neuen Medientheorien essentiell. Methodisch wird in diesem Zusammenhang auf der Grundlage medienhistorischer Analogien argumentiert.

Zunächst vollzieht sich die Orientierung an der Geschichte nur als eine mögliche Gegenstandswahl. Es werden dabei nicht nur die aktuelle Mediensituation, sondern auch vergangene Mediensituationen reflektiert. Als Bezugspunkt wird nicht nur die Geschichte von Einzelmedien, sondern die Mediengeschichte in ihrer Gesamtheit gewählt. Vor allem aber wird den Medien im Kulturwandel eine herausragende Stellung zugeschrieben, Kulturwandel wird als Medienwandel beschrieben. Die einzelnen Medienwechsel dienen in dieser Form der Betrachtung als ein Vehikel formationstheoretischer Konstruktionen.

Ein Ergebnis dieser historischen Betrachtungsweise ist, dass in den jeweiligen Kulturen niemals alle Kommunikationsformen und Medien gleichermaßen Berücksichtigung finden. Zwar ist jede Kultur grundsätzlich ein multisensuelles und multimediales Gebilde, aber es gab schon immer Disproportionen in der Nutzung verschiedener Medien (GIESECKE 2002, 32f.). Diese Disproportionen haben sich im Laufe der Geschichte verändert. Alle Kulturen hatten ihr bevorzugtes Wahrnehmungs- und Erkenntnismodell (MCLUHAN 1995, 18), indem jeweils eigene Vorstellungen darüber entwickelt wurden, „was informativ ist und welche Formen der Speicherung und Verbreitung von Informationen bevorzugt werden sollen“ (GIESECKE 2002, 78). Medien bilden somit „kein unverrückbares, sondern ein historisch kontingentes Gefüge“ (HARTMANN 2003, 309).

Die neuen Medientheorien gehen allerdings nicht nur allgemein von Disproportionen aus, sondern vielmehr davon, dass in einer bestimmten Kultur jeweils ein Medium allen anderen vorgezogen wurde: „Wie viele Medien das Geschehen in einer bestimmten Kultur bestimmen mögen, immer hat in der Vergangenheit diese Kultur in einem Akt der Selbstimplifikation ein bestimmtes Medium prämiert und zur Identitätsstiftung herangezogen.“ (GIESECKE 2002, 46). Das jeweils prämierte Medium einer bestimmten Kultur wird als Leitmedium beschrieben. Es muss die Ansprüche der Gesellschaft (im Bereich der Kommunikation, der Wissensspeicherung, der Welterkennung etc.) vollkommen abdecken, um seine dominierende Stellung zu erlangen und zu behalten. Dadurch prägt das Leitmedium eine Kultur, d.h. es dominiert und es determiniert die Gesellschaft zugleich (GIESECKE 1994, 56).

Die oben beschriebenen Disproportionen in der Nutzung von Medien sind ein wichtiger Motor für die Veränderung menschlicher Kulturen. Ein neues Leitmedium wird darüber hinaus so universell wahrgenommen und genutzt, „dass es eine neue Ära des menschlichen Lebens markiert“ (TURKLE 1984, 76). Die neuen Medientheorien beschreiben die Mediengeschichte als „eine Kette sich ablösender ‚Leitmedien'“ (WINKLER 1997, 188). Aus der Prämierung eines Mediums und entsprechender Kommunikationsformen folgt eine relative Abwertung anderer Medien und Kommunikationsformen. Allerdings ersetzt ein neues Leitmedium die alten Medien nicht notwendigerweise. Es dominiert vielmehr vorhandene Medien bzw. tendiert es dazu, „die vorhandenen Informationssysteme als Subsysteme zu funktionalisieren“ (GIESECKE 1994, 506).

Der Begriff des Leitmediums taucht allerdings in den neuen Medientheorien eher am Rande auf. Dennoch liegt den meisten Konstruktionen zur Mediengeschichte explizit oder implizit die Vorstellung von einander ablösenden Leitmedien zu Grunde. Winkler schlägt in diesem Zusammenhang den Begriff „Medienkonstellation“ vor, um den Begriff Leitmedium zu vermeiden, weil „die Rede vom Leitmedium allzu leicht den Blick auf die Tatsache [verstellt], dass es grundsätzlich Medienkonstellationen sind, ein Konzert verschiedener ineinander verwobener Medien, die eine medienhistorische Situation bestimmen“ (WINKLER 1997, 189).

Mit den sich ablösenden Leitmedien bzw. den sich jeweils ändernden Medienkonstellationen sind aufeinander folgende Medienepochen verbunden. Üblicherweise werden in der Theorie vier Medienepochen unterschieden: die Epoche der menschlichen Sprache (1), die Epoche der Schrift (2), die Epoche des Buchdrucks (3) und die Epoche der elektronischen Medien (4). Über die jeweils zentralen Begriffe einer Epoche herrscht allerdings nur bedingt Einigkeit. Abweichungen von dieser Systematik ergeben sich, wenn „Schrift“ und „Buchdruck“ als eine Epoche beschrieben oder wenn die Epoche des „Fernsehens“ von der Epoche des „Netzes“ abgegrenzt werden.

Wir befinden uns – das steht außer Frage – im Umbruch von der Epoche des „Buchdrucks“ in die zuletzt definierte Epoche der elektronischen Medien oder des Netzes. Wie lange das Leitmedium Internet bzw. World Wide Web unsere Gesellschaft dominieren und konstituieren wird, steht nicht fest. Genauso wenig ist abzusehen, welche technische Entwicklung ein neues, bahnbrechendes Medium hervorbringen wird, das eine neue Epoche mit einer neuen Medienkonstellation einleiten wird. Hier soll am Beispiel der Einführung des IT-Weiterbildungssystems und den damit verbundenen neuen Lernformen analysiert werden, wie sich Transformationsprozesse im Kontext des Lernens mit neuen Medien vollziehen (vgl. Kapitel 3). Zugrunde gelegt wird dabei ein theoretisches Modell des Medienumbruchs.

2.3  Modell des Medienumbruchs

Die Kernaussage der neuen Medientheorien wird hier übernommen: Es müssen zwei logische Typen (BATESON) von „Medium“ unterschieden werden, das technische Substrat auf der einen und die bedeutungsgenerierende Instanz auf der anderen Seite. Die jeweils dominierenden Medien einer historisch gegebenen Medienkonstellation, so genannte Leitmedien, bedingen demnach eine eigene Weltsicht mit dazugehörigen semantischen Beschreibungen. Ein neues Leitmedium als bedeutungsgenerierende Instanz hat dabei seine materielle Entsprechung in technischen Substraten in Form von neuen medialen Instrumenten. Daraus folgt für jede Beschreibung und Analyse von Medien und Mediennutzung: Die Auswirkungen von neuen Leitmedien können nicht allein auf der Ebene der technischen Substrate beschrieben werden.

Die aktuellen gesellschaftlichen Transformationsprozesse müssen insofern immer als ein Prozess, d.h. als ein Umbruch von einem alten zu einem neuen Leitmedium gesehen werden. In diesem Sinne künden die neuen Medien von einem gesellschaftlichen Formationswechsel, der mit der Entwicklung völlig neuer gesellschaftlicher Strukturen verbunden ist. Mit einem neuen Leitmedium verändert sich die Gesellschaft mittelfristig gravierend. Die Medien verlangen diese Veränderung einerseits, sie geben aber andererseits die konkrete Veränderung nicht vor. Sie sind nur die Bedingung und Voraussetzung der Veränderung. Nicht der Einsatz der neuen medialen Instrumente, sondern die Wirkung des neuen Leitmediums auf das, was wir denken und überhaupt denken können, führt zur Veränderung.

Durch den Blick auf die Mediengeschichte, das wurde oben angedeutet, lassen sich die mit einem neuen Leitmedium verbundenen Transformationsprozesse reflektieren. Der Vorzug besteht darin, dass aus vergangenen Medienumbrüchen Muster abgeleitet werden können, die auf den aktuellen Medienumbruch anwendbar sind.

Als besonders konsistentes und auch im Kontext erziehungswissenschaftlicher Fragestellungen relevantes Modell kann das Umbruchmodell von GIESECKE gelten. Seine Habilitationsschrift „Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien“ (GIESECKE 1994) ist in erster Linie ein detailreiches Werk zur Einführung des Buchdrucks. Es geht GIESECKE aber nicht nur darum, den Medienwandel in der frühen Neuzeit kleinteilig zu beschreiben, sondern gleichzeitig durch ein verallgemeinerbares Modell Vergleiche zwischen älteren sowie dem aktuellen Medienumbruch zu ermöglichen. In dem Nachfolgewerk „Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft. Trendforschungen zur kulturellen Medienökologie“ (GIESECKE 2002) hat Giesecke seine Erklärungsmuster nicht nur ergänzt, sondern auch auf den aktuellen Medienumbruch angewendet. Sein Modell lässt sich in acht Phasen zusammenfassen:

•  Ein neues mediales Instrument wird zur Lösung eines Detailproblems erfunden. Mit seiner Erfindung ist zunächst nicht die Vorstellung eines Medienumbruchs intendiert. Das neue mediale Instrument wird zur Lösung dieses Detailproblems eingesetzt und es werden aufgrund der Funktionalität weitere (ähnliche) neue Instrumente entwickelt. Das neue Medium, das erst viel später zum Leitmedium werden wird, kann so überhaupt wahrgenommen werden.

•  Mit den neuen medialen Instrumenten werden Hoffnungen verbunden, weitere Probleme zu lösen. Diese Hoffnungen sind die Voraussetzung für die Fortsetzung der Einführung des neuen Leitmediums.

•  Die neuen medialen Instrumente werden zur Lösung von bedeutsamen Problemen eingesetzt. Nur wenn ein Leitmedium Lösungen für gesellschaftlich relevante Probleme anbietet, kann es sich gegen das alte Leitmedium durchsetzen. Zunächst lösen die neuen medialen Instrumente dabei alte Probleme mit neuen Mitteln.

•  Das neue Leitmedium führt zu ersten unbewussten Veränderungen kommunikativer Verhältnisse. Es wird den Bedürfnissen der Gesellschaft angepasst und legt selbst Veränderungen nahe. Diese Veränderungen sind anfangs weder gewollt noch werden sie auch nur zur Kenntnis genommen. Zu diesem Zeitpunkt existieren das alte Leitmedium und das neue Leitmedium nebeneinander.

•  Durch die erfolgreiche Lösung alter Probleme erobert das neue Leitmedium einen festen Platz in der Gesellschaft. Es wird nach und nach dem alten Leitmedium vorgezogen.

•  Wenn der Eindruck entsteht, dass es bestimmte Informationen nur noch innerhalb des neuen Informationssystems gibt, hat sich das neue Leitmedium gegenüber dem alten Leitmedium durchgesetzt. Es wird damit zur gesellschaftlichen Norm und es entsteht ein Nutzungszwang und signalisiert damit Inklusion und Exklusion: Wer den Zugang zu den neuen Kommunikationssystemen nicht nutzt oder nicht nutzen kann, kann dafür keine Entschuldigung vorbringen.

•  Das neue Leitmedium führt zur bewussten Neugestaltung kommunikativer Prozesse. Nicht mehr die Verbesserung der Informationsversorgung traditioneller Kommunikationssysteme, sondern neue Kommunikationsformen rücken in das Feld der Aufmerksamkeit. Die Neugestaltung kommunikativer Prozesse führt zum Entstehen völlig neuer Kommunikationssysteme.

•  Wenn das neue Leitmedium nicht mehr nur einzelne Kommunikationssysteme erweitert und verändert, sondern die gesamte gesellschaftliche Kommunikation nach den neuen Regeln funktioniert, hat das neue Leitmedium das alte endgültig abgelöst. Die Einführung des neuen Leitmediums ist mit der Etablierung eines neuen gesellschaftlichen Informationssystems abgeschlossen.

Dieser Makroprozess – immerhin beschreibt GIESECKE in seiner Untersuchung einen Zeitraum von fast 200 Jahren und untersucht umfassende Bereiche der Gesellschaft – soll im Folgenden am Beispiel der Einführung neuer, medial gestützter Lernformen im Rahmen der Implementierung des IT-Weiterbildungssystems nachvollzogen werden (vgl. MANSKI 2008). Dabei wird sich zeigen, dass das Modell von GIESECKE sich auch eignet, um Mikroprozesse – Gegenstand der Untersuchung ist ein Zeitraum von acht Jahren – zu beschreiben.

3.  Medien und die IT-Weiterbildung

Im Frühjahr 2002 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) der Öffentlichkeit das so genannte IT-Weiterbildungssystem vorgestellt. Dieses bietet mit 35 Abschlüssen auf drei Ebenen IT-Fachkräften attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten, um ihre Beschäftigungsfähigkeit zu sichern und den beruflichen Aufstieg vorzubereiten. Die Ebenen und Profile des Systems wurden in einem 1999 durch das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit initiierten und durch das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) koordinierten Neuordnungsverfahren festgelegt.

Parallel zum Neuordnungsverfahren und zeitlich darüber hinausgehend hat das BMBF dem Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST) den Auftrag erteilt, ein mediengestütztes didaktisches Konzept für die Umsetzung des IT-Weiterbildungssystems zu entwickeln und zu erproben. Im Rahmen des Projekts „Arbeitsprozessorientierte Weiterbildung in der IT-Branche“ (kurz: APO-IT-Projekt) wurde dieser Auftrag realisiert (vgl. z.B. LOROFF et al. 2006, WEBER/ MANSKI 2005). Als gefördertes Modellprojekt hatte das APO-IT-Projekt die Aufgabe, Veränderungsprozesse in der beruflichen Bildung mitzugestalten und wissenschaftlich zu begleiten.

Das APO-IT-Projekt gilt als erfolgreiches Modellprojekt in der beruflichen Bildung. Es wurde im Programm „Neue Medien in der Bildung“ gefördert und realisierte in Übereinstimmung mit den Zielen des Förderprogramms E-Learning-Lösungen. Deren Bedeutung für das Lernen in der Weiterbildung wurde im Projektverlauf allerdings zunehmend geringer eingeschätzt. Stattdessen wurde ein innovatives Lernkonzept entwickelt, das Arbeiten und Lernen integriert und auch ohne den Einsatz von E-Learning-Lösungen umgesetzt werden kann. Erst nachdem vielfältige Erfahrungen mit dem neuen Lernkonzept gemacht wurden, entstanden daraus auch Impulse für ein neues „Prozessorientiertes E-Learning“ (vgl. Kapitel 3.3).

An diesem Beispiel kann gezeigt werden, dass auf der Basis der Rezeption neuer Medientheorien (s.o.) die aktuellen Veränderungen des Lernens als Bedingungen eines neuen Leitmediums interpretiert werden müssen und mit der im Medienbildungsdiskurs üblichen Vorstellung des Lernens mit neuen Medien nicht angemessen thematisiert werden können. Verdeutlicht werden soll an dem Beispiel, dass das APO-IT Projekt überhaupt nur deshalb auf die Herausforderungen des neuen Leitmediums reagieren konnte, weil die Entwicklung von E-Learning-Lösungen gerade nicht im Fokus des Projektes stand.

3.1  Medien im APO-IT-Projekt

Wendet man die Erkenntnisse aus der Auseinandersetzung mit den medienwissenschaftlichen Ansätzen auf die Implementierung des APO-IT Projektes an, so lassen sich anhand der Veröffentlichungen aus dem Projektumfeld folgende Entwicklungen nachvollziehen (vgl. für die detaillierte Beschreibung aller sechs Phasen MANSKI 2008, 122ff.):

•  Erste Hoffnungen: Mit dem Einsatz der „Neuen Medien“ sowohl im Förderprogramm „Neue Medien in der Bildung“ als auch im APO-IT-Projekt waren weit reichende Hoffnungen in Bezug auf den Einsatz neuer Medien in der Berufsbildung verbunden. Die Überzeugung von der Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit den „Neuen Medien“ und ihre Integration in das Bildungssystem waren Anlass eines mit finanziellen Mitteln großzügig ausgestatteten Förderprogramms. In der Beschreibung des Programms wurde dezidiert ausgeführt, welche aktuellen Probleme des Bildungssystems mit E-Learning-Lösungen gelöst werden sollten (vgl. BMBF 2000, 6). Der Entwicklung von Lernmaterialien, Werkzeugen und Infrastrukturen wurde auch bei der Entwicklung des IT-Weiterbildungssystems eine immens wichtige Rolle zugesprochen. Das APO-IT-Projekt wurde initiiert, um solche E-Learning-Lösungen zu entwickeln und zu erproben. Dabei wurde von Anfang an das Ziel verfolgt, Arbeiten und Lernen ineinander zu integrieren. Zu Beginn des Projektes war diese Integration nur durch den Einsatz neuer medialer Instrumente vorstellbar.

•  Erste Lösungen: Am Anfang der Medienentwicklungen im APO-IT-Projekt stand die Entscheidung, die ursprünglich als IuK-gestützt geplanten Referenzprojekte nicht zu realisieren, sondern die Referenzprojekte ausschließlich als Curriculum zu konzipieren. Die Weiterbildung wurde dann auch nicht mehr als eine primär auf Nutzung von E-Learning-Lösungen beruhende Weiterbildung geplant, sondern ein Lernen in realen betrieblichen Projekten vorgesehen. Dieses Lernen sollte durch E-Learning-Lösungen nur noch unterstützt werden. Der Entwicklung von E-Learning-Lösungen wurde dennoch weiterhin ein breiter Raum eingeräumt. Dabei waren die konkreten Ansätze in hohem Maße durch bewährte Lernmethoden bestimmt, wobei das Vorhandensein von elektronischen Lernmaterialien als wichtig angesehen und entsprechende Anstrengungen zu ihrer Erstellung und Bereitstellung unternommen wurden. Von Seiten des Auftraggebers wurden außerdem über das APO-IT-Projekt hinausgehend so genannte „Content-Projekte“ zur Erstellung und Bereitstellung von elektronischen Lernmaterialien gefördert.

•  Enttäuschung der Hoffnungen: In Pilotumsetzungen wurden die entwickelten neuen medialen Instrumente eingesetzt und evaluiert. Dabei wurde festgestellt, dass die E-Learning-Lösungen kaum von den Teilnehmern genutzt wurden (vgl. für einen Überblick der Evaluationsergebnisse MANSKI 2008, 171f.). Schon zu Beginn der Umsetzungen waren die anfangs formulierten Ansprüche an den Einsatz der „Neuen Medien“ erheblich relativiert worden, aber auch die geringeren Erwartungen bzgl. der Mediennutzung konnten kaum bestätigt werden. Im Ergebnis ist festzustellen, dass der Versuch der Integration der entwickelten neuen medialen Instrumente in die Arbeitsprozessorientierte Weiterbildung fehlgeschlagen ist. Gleichzeitig deutete sich aber an, dass eine neue Form des Lernens mit den neuen Medien viel wichtiger war, als zu Beginn des Projekts angenommen. Das zunächst als „informell“ charakterisierte E-Learning, also insbesondere die selbst organisierte Recherche im Internet, stellte sich als effektive und passende Form der Informationsgewinnung für die Teilnehmer der Weiterbildung heraus (vgl. MATTAUCH et al. 2005, 77f.).

•  Die „Neuen Medien“ als Hoffnungsträger: Obwohl die Erfahrungen mit dem Einsatz der entwickelten E-Learning-Lösungen so enttäuschend waren, blieb die Beschäftigung mit den „Neuen Medien“ ein wichtiges Anliegen im APO-IT-Projekt. Der APO-Pilot (FUCHS-KITTOWSKI et al. 2003) wurde sogar als Symbol der Weiterbildung genutzt, mit dem die Prinzipien des APO-IT-Konzepts veranschaulicht wurden. Den neuen medialen Instrumenten wurde auch generell eine wichtige Funktion bei der Einführung der Arbeitsprozessorientierten Weiterbildung in ein Unternehmen zugeschrieben, weil sie das neue Konzept sichtbar in der Organisation verankern. Die Bemühungen des Projektteams verdeutlichen, dass man davon überzeugt war, ein innovatives Lernkonzept nicht ohne Antworten auf die Frage nach dem Medieneinsatz präsentieren zu können. Es wurden immer neue Lösungen entwickelt. Nach und nach entstanden in den Diskussionen des APO-IT-Projektteams neue Vorstellungen darüber, was mit dem Einsatz sinnvoller E-Learning-Lösungen erreicht werden könnte. Insbesondere hoffte man, durch entsprechende Werkzeuge, Aktivitäten aus dem Umfeld der Weiterbildung mit Aktivitäten aus dem Umfeld des Wissensmanagements miteinander verbinden und Synergieeffekte nutzen zu können.

•  Innovationen ohne die „Neuen Medien“? Bei der Analyse der Innovationen, die mit dem APO-IT-Konzept umgesetzt wurden, zeigte sich, dass zwar einerseits die konkreten Innovationen mit dem Einsatz von E-Learning-Lösungen nichts zu tun hatten, andererseits aber dennoch genau jene Innovationen realisiert wurden, die man sich vom Einsatz der neuen medialen Instrumente versprochen hat. Das APO-IT-Konzept hat zweifellos Innovationen ohne die „Neuen Medien“ realisiert. Ausgehend von den konkreten Erfahrungen mit den Veränderungen der Lernprozesse in der arbeitsprozessorientierten Weiterbildung konnten erst dann und unmittelbar daran anknüpfend auch neue Überlegungen für die technischen Substrate des neuen Leitmediums präsentiert werden. Diese lassen die Vorstellung von E-Learning-Lösungen, die primär Lernmaterialien zur Verfügung stellen, weit hinter sich. E-Learning wurde im nächsten Schritt zunehmend als informell, prozessorientiert, integriert in Arbeitsmittel und fokussiert auf den Erfahrungsaustausch von Experten beschrieben.

•  Innovationen unter den Bedingungen des neuen Leitmediums: Auch wenn die mit dem APO-IT-Konzept angestrebten und auch realisierten Innovationen nichts mit dem Einsatz von E-Learning-Lösungen zu tun hatten, so sind sie doch unmittelbar eine Folge der neuen Medienkonstellation. Das APO-IT-Projekt stellt einen Transformationsprozess unter den Bedingungen eines neuen Leitmediums dar. Es wurde ein Lernkonzept realisiert, das mit Eigenschaften wie informell , prozessorientiert und vernetzt in Übereinstimmung mit der Logik des neuen Leitmediums steht. In der neuen Form des Lernens kündigt sich darüber hinaus ein neues System des betrieblichen Lernens an, das als Verbindung von betrieblichem Wissensmanagement und betrieblicher Weiterbildung beschrieben werden konnte. In diesem Lernen werden aller Voraussicht nach auch die neuen medialen Instrumente die Rolle spielen, die sie in den bisherigen Pilotumsetzungen des APO-IT-Konzepts nicht spielten.

In dem APO-IT-Projekt lag bezogen auf das Lernen mit Neuen Medien in der Konzeptionierung offensichtlich ein doppeltes Missverständnis vor: Zum einen sollten Medien als Lerninstrumente entwickelt werden, um auf die aktuellen gesellschaftlichen Transformationsprozesse und die zunehmende Bedeutung der „Neuen Medien“ zu reagieren. Hierin liegt das erste Missverständnis. Auf die Veränderungen und die zunehmende Bedeutung eines neuen Leitmediums muss nicht primär mit der Entwicklung von E-Learning-Lösungen reagiert werden. Anders ausgedrückt: Die Förderziele des Programms „Neue Medien in der Bildung“ waren von vornherein zu eng angelegt, genauso wie die Versprechungen in der Anfangsphase des Projekts zu sehr von dem materiellen Substrat der elektronischen Lernmedien geprägt waren. Die Entscheidung, auf diese Medienentwicklungen im Verlauf des Projektes nicht mehr den primären Fokus zu setzen, war also aus der Perspektive der neuen Medientheorien die einzig sinnvolle Konsequenz.

Das zweite Missverständnis bestand darin, dass in dem Projektteam diese Entscheidung zunächst als eine Abkehr von den „Neuen Medien“ interpretiert wurde. Ein Bewusstsein darüber, dass das Konzept der Arbeitsprozessorientierten Weiterbildung ein Lernkonzept unter den Bedingungen eines neuen Leitmediums ist, fehlte.

Der Widerspruch zwischen den kontinuierlichen Medienentwicklungen einerseits und den enttäuschenden Ergebnissen beim Einsatz der entwickelten Lösungen andererseits hätte nur aufgelöst werden können, wenn das Anliegen, Medien zu entwickeln, frühzeitig hinterfragt worden wäre. Es lässt sich die These formulieren: Das APO-IT-Projekt konnte nur deswegen erfolgreich sein, weil im Projekt über das ursprüngliche Anliegen, neue Medien zu entwickeln, weit hinausgegangen wurde. Nicht E-Learning-Lösungen wurden entwickelt, sondern das Lernen unter den Bedingungen des neuen Leitmediums gestaltet.

3.2  Veränderungen des Lernens in der IT-Weiterbildung

Die Erfahrungen aus der IT-Weiterbildung zeigen, dass sich unter den Bedingungen eines neuen Leitmediums das Lernen verändert (vgl. MEYER 2006, 122ff; MANSKI 2008, 221ff.): Diese Veränderung findet vor allem in einem neuen Verhältnis von Lernen und Arbeiten ihren Ausdruck. Das Lernen erfolgt zunehmend in der Arbeit, wobei sowohl die Arbeit als auch das Lernen sich ihrerseits deutlich verändern. Die Bewältigung wissensbasierter Arbeit erfordert einerseits kontinuierliche Lernprozesse, andererseits können die dafür notwendigen Kompetenzen überhaupt nur noch in der Arbeit selbst erlangt werden.

Bezogen auf den Medieneinsatz hat die Evaluation des APO-IT-Konzeptes deutlich gezeigt, dass von den Teilnehmern im Rahmen der Qualifizierung kaum auf die zur Verfügung gestellte rechnergestützte Medieninfrastruktur (APO-Pilot) zugegriffen wurde. Stattdessen stand die eigenständige Recherche der Teilnehmer im Vordergrund. Offensichtlich erschien den Weiterbildungsteilnehmern dieses Instrument nicht angemessen für ihren Kompetenzerwerb. Dessen ungeachtet empfiehlt der Autor der ISST-Evaluation für die weitere Umsetzung „eine stringentere Integration des Pilot in das Weiterbildungsangebot [und] die Optimierung der Usability“ (MATTAUCH 2003, S. 96).

Dieser Lösungsansatz ist aber nicht zuletzt auf Grund vorliegender Forschungsergebnisse von DEHNBOSTEL, MOLZBERGER und OVERWIEN (2003) infrage zu stellen: dort ist deutlich geworden, dass sich das informelle Lernen im Arbeitsprozess als eine äußerst erfolgreiche Lernstrategie von IT-Spezialisten erwiesen hat. Insofern liegt, bezogen auf das APO-IT-Projekt der Schluss nahe, dass die Teilnehmer dort – ungeachtet der methodischen Konzeption – auf ihre gewohnten Selbststeuerungs- und Lernpotenziale, z.B. das informelle Lernen, zurückgegriffen haben. Somit kann die methodische Angemessenheit des Instruments APO-Pilot insgesamt infrage gestellt werden. Im weiteren Verlauf des APO-IT-Projekts wird deswegen der Ansatz des „Prozessorientierten E-Learnings“(siehe Kapitel 3.3) entwickelt, der Konzepte des informellen Lernens mit E-Learning-Konzepten verbindet (vgl. MATTAUCH et al. 2005, 81). Der APO-Pilot hat darin nur deswegen eine Berechtigung, weil er das informelle Lernen unterstützt. In der Konsequenz würde das heißen, dass auf die Entwicklung spezieller E-Learning-Instrumente für IT-Fachkräfte ganz verzichtet werden kann und stattdessen Ansätze des Wissensmanagements verfolgt werden müssen.

Selbstgesteuertes Lernen löst das ursprüngliche Lehr-/Lernverhältnis ab: es geht nicht mehr darum, Wissen zu vermitteln, das sich der Lernende aneignet, sondern was, wie und wo gelernt wird, ist zunehmend ausschließlich Entscheidung des Lernenden. Darüber hinaus liegt die Gesamtheit des Lebensbegleitenden Lernens, die individuelle Lernbiographie, in der Verantwortung des Einzelnen. Das selbstgesteuerte Lernen erfolgt vernetzt im Zusammenspiel mit anderen Lernenden. Die Vielfältigkeit der dafür in Frage kommenden Personengruppen und Beziehungsmöglichkeiten lässt sich dabei durch das Konzept der Lerngruppe nicht mehr abbilden, es liegt vielmehr nahe, von individuellen Lernnetzwerken zu sprechen. Insbesondere der Austausch von Wissen im Unternehmen hat dabei eine wichtige Bedeutung für die Bewältigung der Herausforderungen der Arbeit und die Realisierung von arbeitsprozessintegriertem Lernen.

3.3  Prozessorientiertes E-Learning

Auf der Basis der Erfahrungen, die in dem APO-IT Projekt gemacht wurden und den neuen Lernformen, die in diesem Prozess identifiziert wurden, deutet sich ein neues Konzept zum „Prozessorientierten E-Learning“ an, das dem Lernen unter den Bedingungen neuer Medien Rechnung tragen könnte. Die folgenden Eckpfeiler des „Prozessorientierten E-Learnings“ fassen aus heutiger Sicht die langjährigen Bemühungen und Erfahrungen im APO-IT-Projekt in Zusammenhang mit den neuen medialen Instrumenten zusammen und zeigen Perspektiven für die Weiterentwicklung arbeitsprozessorientierten E-Learnings in der Praxis und der Theorie beruflicher Lernprozesse auf (vgl. MANSKI 2008, 200ff.):

•  Informelles E-Learning : Für das arbeitsintegrierte Lernen erweist sich in der IT-Branche das informelle E-Learning als deutlich wichtiger als das formelle E-Learning. Während formelle E-Learning-Lösungen speziell für die Weiterbildung entwickelt bzw. bereitgestellt werden, dann aber oft von den Teilnehmern wenig genutzt werden, ist das informelle E-Learning zumindest für IT-Fachkräfte durchweg Alltag. Insofern gilt es, bei den eingeübten Strategien zur Informationsbeschaffung anzusetzen. Ähnlich wie in der Weiterbildung stellt sich dann die Frage, ob und wie man informelles Lernen bzw. hier das informelle Lernen mit den neuen medialen Instrumenten fördern kann.

•  In Arbeitsmittel integriertes E-Learning : Die enge Verbindung von Arbeiten und Lernen legt nahe, dass Teilnehmern zum Lernen nicht zusätzliche Infrastrukturen zur Verfügung gestellt, sondern vorhandene Infrastrukturen genutzt werden. Das Arbeiten von IT-Fachkräften geht ohnehin mit der Nutzung der neuen medialen Instrumente einher, wobei dieser Befund zunehmend auch für andere Berufsgruppen gilt. Daher ist es sinnvoll zu fragen, ob und wie E-Learning-Angebote in die im Alltag sowieso benutzten technischen Werkzeuge integrierbar sind.

•  E-Learning mit prozessorientierten Werkzeugen : Der APO-Pilot, die Lernplattform des APO-IT Konzeptes, versucht hier einen innovativen Ansatz, der weiter diskutiert werden muss. Eine prozessorientierte Navigation, wie sie im APO-Pilot durch die Strukturierung der Informationsinhalte und Kommunikationsangebote über Ereignis-Prozess-Ketten realisiert wurde, scheint eine mögliche Lösung zu sein und setzt die Prozessorientierung der Weiterbildung zumindest symbolisch auch auf der technischen Ebene um.

•  Kommunikationsorientiertes E-Learning: Aktuelles unternehmensspezifisches Wissen distribuiert sich vor allem im kollegialen Austausch. Neues Wissen zu erarbeiten gelingt gemeinsam mit anderen Experten. Viel zu wenig Wissen kann in Dokumenten expliziert werden, als dass auf Personen als Wissensträger in der Arbeitsprozessorientierten Weiterbildung verzichtet werden könnte. Auch wenn die ersten Erfahrungen in dem Projekt nicht vielversprechend waren, sollte daher an der Unterstützung des Erfahrungsaustauschs durch elektronische Werkzeuge weitergearbeitet werden.

Das Verfolgen dieser Entwicklung ist vor allem auch deswegen gerechtfertigt, weil es einer möglichen Verbindung von Weiterbildung und Wissensmanagement Rechnung trägt. Es kann die These formuliert werden, dass das Lernen, um eine Aufgabe im Arbeitsprozess zu lösen, und das Lernen, um die persönliche Kompetenz weiter auszubauen, im Unternehmensalltag kaum voneinander zu trennen sind. Gleichzeitig ist individuelles Lernen kaum noch von organisationalem Lernen zu unterscheiden. In den Unternehmen wird zunehmend in allen Arbeits- und Geschäftsprozessen kooperativ gelernt werden und individuelle Lernprozesse werden sich zukünftig auf diese kooperativen Lernprozesse beziehen. Angesichts dieser Entwicklung wäre ein Festhalten an traditionellen E-Learning-Konzepten mehr als kontraproduktiv.

4.  Fazit und Ausblick

Mit dem aktuellen Medienumbruch vom Leitmedium „Buchdruck“ zum Leitmedium „Netz“ gehen irreversiblen Änderungen in allen Systemen der Gesellschaft einher. In der Berufsbildungsforschung müssen diese Prozesse angemessen thematisiert werden. Bisher wurden Medien als Instrumente betrachtet, die in Lehr- und Lernprozessen eingesetzt werden und damit Gegenstand mediendidaktischer oder medienerzieherischer Überlegungen sind. Der bisherige Diskurs konnte eine Analyse der Bedeutung des neuen Leitmediums des elektronischen Lernens für die Konstitution von Lernen und Bildung kaum leisten. Hier wurde gezeigt, dass das bisherige, mediendidaktisch oder medienerzieherisch geprägte Medienverständnis zu kurz greift und dass ein aus den neuen Medientheorien abgeleitetes Verständnis von Medien als Bedingung von gesellschaftlichen Transformationsprozessen für die Beschreibung und Analyse aktueller Entwicklungen geeignet ist.

Im Mittelpunkt der Untersuchung stand hier das Modellprojekt APO-IT bzw. die Zielsetzungen, Kursänderungen und die Erkenntnisse, die sich aus der Evaluation dieses Projektes im Rahmen von Teilnehmerbefragungen ergeben haben. Damit sollte verdeutlicht werden, dass die Durchsetzung eines neuen Leitmediums irreversibel systemische Konsequenzen für das Lernen und das Bildungssystem hat. Nicht nur Lernformen verändern sich, sondern der Begriff des Lernens selbst wandelt sich tief greifender und nachhaltiger, als es die bisherige Diskussion um das Lernen mit neuen Medien abbildet. Zwar können Modellprojekte, wie das APO-IT-Projekt in der Regel auf euphorische Ziele verweisen, aber gerade sie müssen sich außerdem zu der Erkenntnis durchringen, dass neue Kategorien zur Beschreibung und Analyse des veränderten Lernens entwickelt werden müssen.

Es deutet sich an – und das ist angesichts des bisherigen Umgangs mit dem Thema wirklich eine überraschende Erkenntnis, die die Bildungspolitik wie auch die Erziehungswissenschaft verstören müsste – dass eine angemessene Reaktion auf die Medienentwicklung auch ohne die Entwicklung neuer medialer Instrumente stattfinden kann. Auch wenn die neuen Instrumente bei der Gestaltung der Arbeitsprozessorientierten Weiterbildung fast keine Rolle gespielt haben, so ist doch das neue Leitmedium prägend gewesen und hat deutliche Auswirkungen auf das erfolgreiche Lernen der Weiterbildungsteilnehmer gehabt. In der hier entwickelten Perspektive ist es daher geradezu irrational und kaum zielführend, zu glauben, man könne allein mit der Entwicklung medialer Instrumente den Medienwandel bewältigen.

Die Entwicklung von E-Learning-Lösungen verbleibt in der Regel auf der Ebene der technischen Substrate und verkennt Medien als bedeutungsgenerierende Instanz. Insofern ist mit Blick auf die neuen Medientheorien Bescheidenheit im Hinblick auf die Erwartung, das Lernen in der Mediengesellschaft mit neuen medialen Instrumenten gestalten zu wollen, angebracht. Mehr Aufmerksamkeit der Bildungsforschung sollte demgegenüber das neue Leitmedium als essentielle Bedingung jedes Gestaltens erhalten.

Für die Theorieentwicklung gilt, dass medientheoretische Erkenntnisse zu vergangenen, dem aktuellen und zukünftigen Medienumbrüchen für die Klärung aktueller Fragestellungen hochgradig relevant sind. Die Methoden der Analyse „neuer Medien“ müssten für die Berufsbildungsforschung angesichts der präsentierten Aussagen aus der Medienwissenschaft überdacht werden: Ein wichtiger erster Schritt müsste die Unterscheidung von zwei logischen Typen von „Medium“, des technischen Substrats auf der einen und der bedeutungsgenerierenden Instanz auf der anderen Seite, sein. Medien sind demnach immer beides, Lehr-/Lernmittel und Bedingung des Lernens. Erst mit einem solchen Verständnis wäre sowohl in der Bildungspraxis als auch in der Reflexion ein analytischer Umgang mit Medien und Medienentwicklungen möglich.

Darum liegt es auch für die Berufsbildungsforschung nahe, auf der Basis eines neuen, erweiterten Medienverständnisses, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Die Orientierung an einem Mehrebenenkonzept, wie es BUER und KELL (2000) für die Berufsbildungsforschung vorgeschlagen haben, bietet sich in diesem Zusammenhang an. In diesem Verständnis – quasi einem neuen Modus des Medienverständnisses – ergeben sich für die Berufsbildungsforschung Forschungsfelder und -fragen auf unterschiedlichen Ebenen:

Auf der Makroebene geht es dabei in erster Linie um die Gestaltung bildungspolitischer Rahmenbedingungen. Ziel ist z.B. die Herstellung von Medienkompetenz zur Vermeidung von sozialer Spaltung durch die Teilhabe bzw. Nicht-Teilhabe am Umgang mit neuen Medien. Analog zu dem Programm der Alphabetisierung geht es hier um „Computerliteracy“ der Gesellschaft. Angesichts der Tatsache, dass der Einsatz von Medien heute in der Arbeitswelt selbstverständlich und nicht mehr wegzudenken ist – die Medien also die Kultur der Arbeitswelt prägen – besteht eine besondere Herausforderung darin, die Bereiche, die nicht explizit zu den modernen Branchen gehören (höhere Traditionsbestände finden wir im Handwerk und in KMU als in Großunternehmen und in den technologischen Leitbranchen wie IT) darin zu unterstützen, Medien als kulturellen Bestandteil ihrer Arbeitswelt zu akzeptieren und sie in der Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu nutzen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass zum einen auch in KMU die wissensbasierte Arbeit zunimmt und zum anderen die neuen Technologien vor diesen Unternehmen nicht Halt machen, sondern im Gegenteil ihre Akzeptanz und Nutzung strategische Wettbewerbsvorteile bieten kann.

Auf der Mesoebene geht es um die Gestaltung der Lernumgebung. Der Umgang mit neuen Medien im Sinne eines nachhaltigen Bildungsangebots – und das ist die Voraussetzung für Qualitätsentwicklung – erfordert: lernförderliche Zeitstrukturen, die Gestaltung lernförderlicher und benutzerfreundlicher Module, aufgabenorientierte didaktische Konzepte, die Förderung von Selbstlern- und Medienkompetenzen sowie die Professionalisierung des Personals.

Auf der Mikroebene ist der Lernprozess des Subjektes zentral. Die Qualifikationsforschung hat die Interessen und Lernbedürfnisse der Bildungsteilnehmer bisher nicht in den Mittelpunkt ihrer Forschung gestellt, sondern ist eher von den Anforderungen des Arbeitsplatzes und der Arbeitsprozesse ausgegangen. Diese Fokussierung gilt insbesondere für die berufspädagogische Qualifikations- und Curriculumforschung, die sich zwar verstärkt an konkreten beruflichen Handlungssituationen orientiert, aber selten das Subjekt zum Ausgangspunkt ihrer Forschungen macht. Es wäre im Rahmen einer berufs- und lebensweltorientierten Biographieforschung danach zu fragen, welche Erfahrungen in der Nutzung neuer Medien bereits vorliegen, die es zu reflektieren und zu analysieren gilt. Gerade in Bezug auf das Lernen mit neuen Medien ist hier relevant, ob durch den Lerngegenstand „Medien“ Lernwiderstände erzeugt werden (vgl. GROTLÜSCHEN 2006) und wie diesen Lernwiderständen organisatorischstrukturell und didaktisch-methodisch begegnet werden könnte. Zu klären wäre auch, welche Rolle in diesem Prozess Lernprozessbegleitung und -beratung spielen.

Die Bewältigung der medialen Veränderungen – auch das haben die Erfahrungen aus dem APO-IT Projekt gezeigt, muss in erster Linie durch die Lernenden selbst erfolgen. Dabei geht es nicht nur um den Erwerb einer wie auch immer definierten Medienkompetenz, sondern vor allem um die Kompetenz, das Lernen unter den Bedingungen des neuen Leitmediums selbst zu gestalten. Das erfordert bei den Lernenden ein Bewusstsein sowohl für den Medienumbruch als auch für die Anforderung, lebensbegleitend in selbstorganisierten Lernnetzwerken in der Arbeit lernen zu müssen. Die Unterstützung dieser individuellen Anpassungsprozesse, sei es z.B. durch die Schaffung lernförderlicher Rahmenbedingungen in den Unternehmen oder Lernprozessbegleitung, könnte Schwerpunkt von zukünftigen Modellprojekten zur Veränderung des Lernens sein.

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online seit: 15.12.2008