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                | JOACHIM LUDWIG (Universität der 
                  Bundeswehr München) |  
               
                |  | Be-online: Lernberatung im Netz |  
 
               
                | Der 
                  folgende Beitrag problematisiert aus einer didaktiktheoretischen 
                  und lerntheoretischen Perspektive Lehr-, Lernverhältnisse 
                  im Internet und stellt das didaktische Konzept einer Online-Lernberatung 
                  für Weiterbildungsprozesse in betrieblichen Modernisierungskontexten 
                  vor. Es wird zunächst die These begründet, dass Weiterbildung 
                  in gesellschaftlich-betrieblichen Modernisierungskontexten in 
                  vielen Fällen eine beratungsorientierte Didaktik - im Unterschied 
                  zu einer vermittlungsorientierten Didaktik - erfordert. Daran 
                  anschließend wird aus einer lerntheoretischen Perspektive 
                  "verstehen/beraten" als zentraler Referenzpunkt didaktischen 
                  Handelns vorgestellt. Schließlich werden am Beispiel des 
                  Forschungs- und Entwicklungsprojektes be-online die Vor- und 
                  Nachteile des Mediums Internet für eine beratungsorientierte 
                  Didaktik dargelegt und zukünftige Forschungsperspektiven 
                  aufgezeigt. Dieser Beitrag konzentriert sich also auf didaktik- 
                  und lerntheoretische Begründungen sowie auf eine Problematisierung 
                  der Umsetzungsmöglichkeiten für eine beratungsorientierte 
                  Didaktik im Internet. Dabei wird der spezifische Charakter dieser 
                  Zeitschrift als Online-Zeitschrift genutzt, um an verschiedenen 
                  Stellen Verbindungen zu bildungspraktischen Darstellungen der 
                  Online-Lernberatung im Internet herzustellen (www.projekt-be-online.de). 
                  Die theoretischen Begründungen und die praktischen Darstellungen 
                  mögen zusammen einen vertieften Einblick in den Versuch 
                  einer Online-Lernberatung geben. |  
 
               
                | 1 Der 
                  Eigensinn des Lerners als Problem der Online-Didaktik |  |   
                | Bildungsangebote im Internet basieren 
                  überwiegend auf einer vermittlungsorientierten Didaktik: 
                  ein von Pädagogen oder Anderen vorbestimmter Stoff wird 
                  Lernenden als Lernanforderung angetragen und methodisch so aufbereitet, 
                  dass seine Aneignung in anschaulicher Weise gelingen mag. Vermittlungsdidaktiken 
                  umfassen ein breites Spektrum: Es reicht von einfacheren Übertragungsmodellen, 
                  denen gemäß Lernende instruiert werden, bis hin zu 
                  anspruchsvollen Entdeckungs- bzw. Verständigungsmodellen 
                  . Immer aber bleibt ein zu vermittelnder Inhalt - meist exemplarisch 
                  ausgewählt - der Ausgangspunkt didaktischen Handelns. Immer 
                  ist die Aneignung des Inhalts Ziel des didaktischen Handelns 
                  - auch wenn dies in individualisierter oder relativierter Weise 
                  geschieht (z.B. in den Verständigungsmodellen). Schul- 
                  und Ausbildungssituationen sind typisch für diese didaktischen 
                  Vermittlungsperspektiven. Der Lehrplan für einen bestimmten 
                  Schul- oder Ausbildungsabschnitt repräsentiert die Lernanforderung 
                  mit den zu vermittelnden Inhalten. 
 Der didaktische Referenzpunkt des Lernens im Netz bleibt der 
                  vom Lehrenden bzw. vom Lehrprogramm zu vermittelnde Inhalt, 
                  den sich möglichst die gesamte Lerngruppe aneignen soll. 
                  Der einzelne Lerner kann dabei nur begrenzt abweichen: auf den 
                  vom Programm vorbedachten und angebotenen Wegen oder über 
                  tutorielle Angebote. Individuelle Lernbesonderheiten können 
                  in der face-to-face-Situation des Präsenzseminars durch 
                  erfahrene Lehrer/innen leichter aufgegriffen werden. Lernen 
                  ist nicht die einfache Kehrseite des Lehrens. Dieser "Lehr-Lern-Kurzschluss" 
                  (Holzkamp 1996) tritt auf, wenn die subjektive Planungsaktivität 
                  des Lehrers mit der subjektiven Lernaktivität des Lerners 
                  in Eins gesetzt wird. Lernhandlungen gehorchen bei aller Lehrplanung 
                  durch Pädagogen dem subjektiven Eigensinn des Lerners und 
                  sind von der Lehrhandlung zu unterschieden.
 
 Diese Differenz von Lehrhandlung und Lernhandlung mag in Schul- 
                  und Ausbildungssituationen oft übersehen werden, weil dort 
                  das Expertenwissen der Lehrenden von allem Beteiligten -zumindest 
                  vordergründig - als sinnvoll akzeptiert wird. Eine Vermittlungsdidaktik 
                  hat in Schul- und Ausbildungssituationen auch ihren festen Ertrag. 
                  Weiterbildungsprozesse in Modernisierungskontexten stellen sich 
                  aber grundlegend anders dar, weil die Weiterbildungsteilnehmer 
                  selbst Experten ihrer spezifischen Handlungssituation sind, 
                  die vorgeplante Lösungen nicht ohne weiteres akzeptieren. 
                  Der Eigensinn des Lerners und das von ihm eingebrachte Wissen 
                  als spezifischer Bedeutungshorizont erhalten einen zentralen 
                  Stellenwert im Weiterbildungsprozess, den Online-Angebote aufzunehmen 
                  haben.
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                | 2 
                  Charakteristika der Weiterbildung in betrieblichen Modernisierungskontexten |  |   
                | Aus lerntheoretischer und didaktischer 
                    Perspektive ist für betriebliche Modernisierungsprojekte 
                    charakteristisch, dass dort Menschen an die Grenzen ihrer 
                    Handlungsfähigkeit stoßen und im Rahmen ihrer bis 
                    dato erworbenen beruflichen Kompetenz problematische Handlungssituationen 
                    erfahren. Gesellschaftlich-betriebliche Modernisierungsprozesse 
                    stellen sich unübersichtlich, offen, gefahrvoll und komplex 
                    dar. Konstitutiv für Komplexität sind beispielsweise 
                    uneindeutige Zielvorgaben, unklare Neben- und Fernwirkungen, 
                    die Eigendynamik von Entwicklungen und unbekannte Handlungsmöglichkeiten. 
                    
 Dies soll mit einem Beispiel aus der Weiterbildungspraxis 
                    kurz illustriert werden: Wilfried ist als Personalratsvorsitzender 
                    einer Kommunalverwaltung ein zentraler Akteur im Rahmen der 
                    Verwaltungsreform. Die Verwaltungsstrukturen sollen durch 
                    Dezentralisierung und Flexibilisierung im Rahmen der Verwaltungsreform 
                    effizienter und bürgerfreundlicher gestaltet werden. 
                    Die Reform soll darüber hinaus den Beschäftigten 
                    der Kommunalverwaltung humanere, interessante und sichere 
                    Arbeitsplätze bringen. Ein Zielbündel, dass in seiner 
                    Komplexität unklar, zum Teil widersprüchlich und 
                    offen ist. Die Akteure handeln in diesem Reformprojekt mit 
                    einem hohen Grad an Unsicherheit. Wilfried entscheidet sich 
                    für eine Weiterbildung mit dem Thema "Gestaltungskompetenz 
                    in Modernisierungsprojekten", nachdem er in einem Reformprojekt 
                    "Wohnungsbörse" in Konflikte gerät, die 
                    er selbst nicht mehr ausreichend zu überblicken glaubt 
                    und aus denen er keinen Ausweg mehr erkennt. Das Projekt "Wohnungsbörse" 
                    des Sozialamts wird sowohl in der Öffentlichkeit, von 
                    der Verwaltungsspitze, vielen Personalräten und auch 
                    von Wilfried selbst sozialpolitisch unterstützt. Es soll 
                    die Wohnungsvermittlung insbesondere für benachteiligte 
                    Bürger verbessern. Allerdings müssen gemäß 
                    dem Projektplan auch Ämter zusammengelegt werden, was 
                    den Interessen einiger Beschäftigtengruppen entgegen 
                    läuft. Diese Modernisierungsverlierer fordern von Wilfried 
                    zur Vertretung ihrer Interessen die Verhinderung bestimmter 
                    Reformmaßnahmen, insbesondere die geplanten Zusammenlegungen. 
                    Wilfried will einerseits das Reformprojekt sozialpolitisch 
                    unterstützen, andererseits aber auch die Interessen dieser 
                    Beschäftigtengruppen vertreten. Diese Rücksichtnahme 
                    auf die Beschäftigteninteressen wird von den Protagonisten 
                    des Projekts nicht geschätzt. Das bringt ihn in ein Dilemma 
                    und in verschiedene Konfliktsituationen. Wie soll er weiter 
                    handeln?
 
 Wilfried bringt vor diesem Hintergrund eine Handlungsproblematik 
                    in die Weiterbildung ein, die unterschiedlichste Aspekte umfasst: 
                    In seiner konfliktgeladenen Handlungssituation treffen Identitätsfragen 
                    als Personalrat, rechtliche Aspekte, Macht- und Beziehungsfragen, 
                    Genderkonflikte, Fragen nach möglichen Interessensvertretungsmodellen 
                    und verschiedene Rollenverständnisse von Interessensvertretern 
                    aufeinander.
 
 Bildungsteilnehmer/innen suchen Orientierung in solchen unübersichtlichen 
                    und komplexen Handlungssituationen. Welcher Weiterbildner 
                    kann für solche Situationen noch Hilfe versprechende 
                    Inhalte planend auswählen und legitim vermitteln? Teilnehmer/innen 
                    an Weiterbildungen stehen Bildungsangeboten skeptisch gegenüber, 
                    die aus der Sicht eines Experten Lösungen anbieten. Dies 
                    hat verschiedene Gründe. Anders als in Ausbildungssituationen 
                    sehen sich mit Expertenrat konfrontierte Weiterbildungsteilnehmer/innen 
                    nicht in ihrem eigenen Expertenstatus anerkannt. Hinzu kommt, 
                    dass von Experten vorbedachte Weiterbildungsinhalte meist 
                    nur einzelne Aspekt der vom Teilnehmer mitgebrachten Handlungsproblematik 
                    tangieren, z.B. den rechtlichen Aspekt, den Beziehungsaspekt 
                    usw. Dies muss aber nicht der Aspekt sein, den der/die Teilnehmer/in 
                    zur Lösung seines/ihres Problems für relevant hält. 
                    Halten Teilnehmer/innen aber das Angebot für sich nicht 
                    relevant, wird weder Lernen noch ein Transfer in den Alltag 
                    möglich.
 
 Weiterbildung allgemein und auch Online-Weiterbildung im Besonderen 
                    haben sich den Relevanzen und dem Eigensinn der Lernenden 
                    zuzuwenden. Erforderlich ist ein didaktischer Paradigmenwechsel, 
                    der dem Eigensinn der Lernenden gerecht wird und nicht bei 
                    seiner Rolle als Adressat oder Teilnehmer stehen bleibt. Lernende 
                    konstituieren den Bildungsprozess in gleicher Weise wie die 
                    Lehrenden und nehmen nicht nur teil . Die Rolle der Lernenden 
                    in Weiterbildungsprozessen lässt sich selbst als Ausdruck 
                    gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse verstehen, an denen 
                    Weiterbildung teil hat und die Weiterbildung als Institution 
                    verändern. Zwei gesellschaftliche Modernisierungsphänomene 
                    treffen in der Weiterbildung aufeinander: zum einen ein erweitertes 
                    Selbstbewusstsein der Lernenden gegenüber pädagogischen 
                    Anforderungen, zum anderen eine verringerte Sicherheit bezüglich 
                    der Geltung und Relevanz zu vermittelnder Wissensbestände. 
                    Expertenwissen wird in der Wissensgesellschaft selbst problematisch 
                    und reflexiv . Der technischen Innovation wäre also - 
                    zumindest für Weiterbildungsprozesse in Modernisierungskontexten 
                    - eine didaktische Innovation an die Seite zu stellen, die 
                    Unübersichtlichkeit, Unsicherheit und Komplexität 
                    sozialer Handlungssituationen angemessen aufgreift und mit 
                    der flexiblen Verfügbarkeit des Internets verbindet.
 
 Ertragreich erscheinen hier didaktische Ansätze, die 
                    als Referenzpunkt ihres didaktischen Handelns nicht "vermitteln", 
                    sondern "verstehen/beraten" wählen. Das pädagogische 
                    Handeln bezieht sich dann verstehend und beratend auf den 
                    Eigensinn des subjektiven Lernhandelns. Wie aber ist der Eigensinn 
                    des Lernenden zu begreifen, damit er im didaktischen Kontext 
                    verstanden werden kann?
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                | 3 
                  Lernen als soziale und begründete Handlung |  |   
                | Lernhandlungen Erwachsener sind 
                  interessensbestimmt. Sie entstehen, wie bei Wilfried, aus einer 
                  subjektiv empfundenen Unzulänglichkeitserfahrung in bestimmten 
                  Handlungssituationen und sind mit dem Interesse verbunden, zukünftig 
                  in solchen oder ähnlichen Situationen wieder handlungsfähig 
                  zu werden oder erfolgreicher zu handeln. Lernen erscheint Erwachsenen 
                  dabei als eine erfolgversprechende Strategie, mit der sie/er 
                  weiterführende Einsichten und Perspektiven antizipieren 
                  kann. 
 Lernen kann als eine spezielle Form sozialen Handelns (vgl. 
                  Holzkamp 1993) verstanden werden. Lernhandlungen oder Lernschleifen 
                  entstehen an jenen Stellen des Alltagshandelns, an denen das 
                  Subjekt ein Handlungsproblem erfährt und sich durch Lernen 
                  eine erweiterte Handlungsfähigkeit verspricht. Die Lernhandlung 
                  des Subjekts basiert also auf einer Irritation als Diskrepanzerfahrung, 
                  aus der heraus es Gründe für eine Lernschleife entwickelt. 
                  Diese subjektiven Lernbegründungen zielen auf eine Erweiterung 
                  der empfundenen gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten 
                  . Wilfried will beispielsweise seinen Konflikt lösen und 
                  Handlungsperspektiven gewinnen, die ihm sowohl die Interessenvertretung 
                  der betroffenen Beschäftigten ermöglichen als auch 
                  sein sozialpolitisches Ziel realisieren.
 
 Lernen ist so betrachtet eine soziale Kategorie, die mit den 
                  Bedürfnissen und Interessen des Weiterbildungsteilnehmers 
                  in seiner Lebenspraxis verbunden ist. Lernende dringen in für 
                  sie noch nicht verfügbare gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten 
                  ein, indem sie sich gesellschaftlich verfügbare, aber noch 
                  nicht subjektiv gegebene Bedeutungshorizonte/Wissen erschließen. 
                  In Wilfrieds Fall wären dies beispielsweise verschiedene 
                  Rollenkonzepte von Gestaltungsakteuren in Modernisierungsprojekten. 
                  Solche Rollenkonzepte könnten sich ihm dann als potentieller 
                  Lerngegenstand darstellen, wenn er mit einem neuen Rollenkonzept 
                  eine Erweiterung seiner Handlungsfähigkeit antizipieren 
                  kann. Inwieweit er diese Potenzialität aufgreift oder verweigert 
                  ist also seinen Interessen geschuldet, die in seiner spezifischen 
                  Diskrepanzerfahrung und seinen Lernbegründungen zum Ausdruck 
                  kommen. Lernen ist so gesehen ein Selbstverständigungsprozess, 
                  den der Lernende zwischen seinen bestehenden Bedeutungshorizonten 
                  und noch nicht verfügbaren gesellschaftlichen Bedeutungshorizonten 
                  vollzieht.
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                | 4 Verstehen/beraten 
                  als didaktischer Referenzpunkt der Lernberatung |  |   
                | Wenn Lernen in der beschriebenen Weise als begründetes 
                    Handeln im sozialen Kontext verstanden werden kann, dann besteht 
                    in Lehr-, Lernverhältnissen die Möglichkeit, Lernhandlungen 
                    als Selbstverständigungsprozess zwischen subjektiv gegebenen 
                    und noch nicht verfügbaren gesellschaftlichen Bedeutungshorizonten 
                    zu verstehen und zu unterstützen. Dies bietet einen Referenzpunkt 
                    für didaktisches Handeln, der beim lernenden Subjekt 
                    und seiner Handlungsproblematik liegt und nicht bei einem 
                    zu vermittelnden Inhalt. 
 Lernberatung zielt auf die Unterstützung des Selbstverständigungsprozesses 
                    des Lernenden in seinem gesellschaftlich-betrieblichen Umfeld. 
                    In Wilfrieds Fall zielte die Lernberatung beispielsweise auf 
                    das erweiterte Verstehen seiner Konfliktsituation mit den 
                    implizierten Handlungsgründen der verschiedenen Akteure 
                    und den spezifischen betrieblichen Strukturen, um daraus neue 
                    Handlungswege ableiten zu können. Lernberatung zielt 
                    - in Abgrenzung zu Konzepten, die Lernberatung als Kompensation 
                    individueller Lerndefizite definieren - nicht nur auf die 
                    Person der/des Lernenden, sondern insbesondere auf das Verhältnis 
                    zwischen Lernendem und gegenständlich-thematischen Problemstellungen.
 
 Der Versuch, den Selbstverständigungsprozess des Lernenden 
                    zu verstehen, ist ein Fremdverständigungsprozess zwischen 
                    Weiterbildner/in und Lernendem. Dieser Versuch beinhaltet 
                    immer zugleich auch die Möglichkeit des Nicht-Verstehens. 
                    Wer als Weiterbildner/in Lernende verstehen will ist selbst 
                    gefordert, auf die erzählte Handlungsproblematik des 
                    Lernenden das eigene mitgebrachte Vorwissen, seine eigene 
                    Sinnperspektive anzulegen. Ein Vorgang in dem bereits Nicht-Verstehen 
                    angelegt ist, wenn das eigene Vorverständnis die Oberhand 
                    gewinnt und den fremden Sinn immer gleich subsumiert. Das 
                    Verstehen des Selbstverständigungsprozesses des Lernenden 
                    als Fremdverstehen durch den/die Weiterbildner/in ist ein 
                    hermeneutischer Prozess, der einerseits handlungshermeneutische 
                    Kompetenz voraussetzt (vgl. Ludwig 2002) und andererseits 
                    einer gewissen Systematik bedarf, die es als didaktisches 
                    Setting abzusichern gilt. Beides soll Verstehen ermöglichen 
                    und verhindern, dass vorschnell die Handlungsproblematik des 
                    Lernenden unter die Sinnperspektive des/der Weiterbildners/in 
                    subsumiert wird.
 
 Das didaktische Handeln mit dem Referenzpunkt verstehen/beraten 
                    ist als hermeneutischer Prozess mit der Fallrekonstruktion 
                    in der qualitativen Sozialforschung vergleichbar und steht 
                    vor ähnlichen Problemen. Verstehen verfolgt in beiden 
                    Fällen das Ziel, Typisches und Verallgemeinerbares in 
                    der besonderen Handlungsproblematik des Lernenden zu finden, 
                    aus dem heraus der Fall/die Handlungsproblematik in neuer 
                    Weise verstanden werden kann. Das Verstehen des Selbstverständigungsprozesses 
                    ist ein abduktiver Prozess , in dem die Sinnperspektiven des 
                    Lernenden mit den Sinnperspektiven des Verstehenden als Gegenhorizont 
                    verschränkt werden. Das im Verstehensprozess Gesuchte 
                    ist ein Begründungs- und Erklärungszusammenhang, 
                    der die Handlungsproblematik in ihren relevanten Aspekten 
                    verstehen lässt. Das Problem dabei ist, dass es einen 
                    prinzipiell unabgeschlossenen Raum von Gegenhorizonten (mögliche 
                    Sinn- und Bedeutungshorizonte/ Erklärungszusammenhänge) 
                    auf den Fall/die Handlungsproblematik gibt und die Relevanz 
                    der einzelnen Bedeutungshorizonte für die Begründung/Erklärung 
                    des Falles im Lehr-, Lernprozess von den Beteiligten unterschiedlich 
                    bewertet wird.
 
 Im Unterschied zur Textrekonstruktion im Rahmen der qualitativen 
                    Sozialforschung ist der Textproduzent, der seine Handlungsproblematik 
                    erzählt, im Weiterbildungsprozess selbst anwesend. Dies 
                    hat zur Folge, dass Gegenhorizonte, also alternative Sinnperspektiven 
                    auf die erzählte Handlungsproblematik, vom Erzähler 
                    schnell als unzulässige Kritik empfunden werden. Ohne 
                    kritische Gegenhorizonte gelingt aber kein Verstehen der eingelagerten 
                    gesellschaftlichen Strukturen im Fall. Es bliebe bei einem 
                    reinen Nachvollzug der erzählten Sinnperspektiven in 
                    der Handlungsproblematik, was schließlich einer intentionalistischen 
                    Verkürzung der Handlungsproblematik gleich käme. 
                    Die Kritik im Verstehensprozess des Lehr-, Lernverhältnisses 
                    ist deshalb im Medium unbedingter Anerkennung des Lernenden 
                    zu leisten, welche die Kritik in der Schwebe lässt (vgl. 
                    Straub 1999, 66). Verstehen, Kritik und Anerkennung bilden 
                    einen untrennbaren Zusammenhang in der Lernberatung.
 Kritik bei gleichzeitiger Anerkennung kann gelingen, wenn 
                    kritische Gegenhorizonte auf die Handlungsproblematik als 
                    mögliche Gegenhorizonte in den Verstehensprozess eingebracht 
                    werden und nicht mit einem Wahrheits- und Durchsetzungsanspruch 
                    verbunden werden. Letzteres behindert Verstehen als Selbst- 
                    und Fremdverständigungsprozess. Die Multiperspektivität, 
                    wie sie in kooperativen Lerngruppen durch die Mitarbeit mehrerer 
                    Interpreten geschaffen wird, kann ein breites Möglichkeitsfeld 
                    an Gegenhorizonten erschließen. Gegenhorizonte auf die 
                    erzählten Sinnhorizonte in der Handlungsproblematik besitzen 
                    für Lernende dann Beratungscharakter: sie können, 
                    müssen aber nicht für die Erklärung der eigenen 
                    Handlungsproblematik herangezogen werden. Das Lernen im Sinne 
                    einer Erweiterung/Ausdifferenzierung bestehender Sinnhorizonte 
                    bleibt als subjektiver Prozess für Andere unverfügbar.
 Lernberatung will ein intersubjektives und kooperatives Lehr-, 
                    Lernverhältnis ermöglichen (vgl. Holzkamp1993, 528), 
                    in dem die Beteiligten versuchen, sich selbst und wechselseitig 
                    zu verstehen, indem sie ihre unterschiedlichen Bedeutungshorizonte 
                    auf eine Handlungsproblematik miteinander vergleichen und 
                    in anerkennender Weise kritisieren. Dies meint, dass die Handlungsgründe 
                    des Lernenden in einer schwierig erlebten Handlungssituation 
                    einerseits anerkannt werden, andererseits aber auch in kritischer 
                    Absicht die Möglichkeit alternativer Bedeutungs-, Begründungshorizonte 
                    als Gegenhorizonte in die Lernberatung eingebracht werden.
 
 
 
                     
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                        Lernberatung online |  |   
                      | Das Projekt be-online (www.projekt-be-online.de) ist 
                          Teil des Forschungs- und Entwicklungsprogramms "Lernen 
                          für den Wandel - Wandel im Lernen: Lernkultur Kompetenzentwicklung" 
                          des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. 
                          Ziel des Projekts be-online ist die Entwicklung eines 
                          beratungsorientierten Bildungszusammenhangs im Internet. 
                          Diese Lernberatung im Netz wird mit Blick auf Weiterbildungsträger 
                          entwickelt, die beratungsorientierte Bildungsprozesse 
                          im Internet als ein neues Angebot in ihr Programm aufnehmen 
                          wollen. Weiterbildungsträger sollen unterstützt 
                          werden, Online-Lernberatung für Akteure in betrieblichen 
                          Modernisierungsprojekten durchführen zu können.
 Das Projekt be-online wird derzeit in Bildungsstätten 
                          der Gewerkschaft ver.di umgesetzt. Bildungsteilnehmer/innen 
                          in diesen Online-Foren sind Betriebs- und Personalräte 
                          aus betrieblichen Modernisierungsprojekten. Die Online-Foren 
                          umfassen ca. 12 Teilnehmer/innen, die in einem Mix aus 
                          Präsenzseminaren und Onlinephasen zusammen arbeiten. 
                          Jedes Online-Forum beginnt mit einem einwöchigen 
                          Präsenzseminar und wird dann online im Internet 
                          weitergeführt. Insgesamt arbeitet ein Online-Forum 
                          zirka ein Jahr zusammen. Die einjährige Onlinephase 
                          wird nochmals von einem dreitägigen Zwischenseminar 
                          unterbrochen. Ziel der Online-Foren ist die zeitnahe 
                          und arbeitsplatznahe Unterstützung der betrieblichen 
                          Gestaltungskompetenz von Betriebs- und Personalräten 
                          bei der Bewältigung des betrieblichen Wandels.
 Das Konzept der Online-Lernberatung hat in zentraler 
                          Weise das Bildungskonzept und Arbeitsmodell "Fallarbeit" 
                          zur Grundlage, wie es von Kurt R. Müller u.a. (1998 
                          u.1997) entwickelt wurde . "Fallarbeit" nimmt 
                          seinen Ausgangspunkt in problematisch erlebten Handlungssituationen/ 
                          Handlungsproblematiken einzelner Bildungsteilnehmer, 
                          die als "Fallerzählung" Eingang ins Seminar 
                          bzw. Online-Forum finden. Diese Handlungsproblematiken 
                          können Aktualität besitzen oder aber auch 
                          länger zurück liegen. Sie sollten in jedem 
                          Fall eine emotionale Befindlichkeit und Diskrepanzerfahrung 
                          des Fallerzählers repräsentieren, die eine 
                          Lernschleife begründen kann. Im Beispielfall Wilfried 
                          (http://www.projekt-be-online.de/projekt/realisierung/beispielfall.php) 
                          ist dies die subjektiv empfundene Konfliktlage im Projekt 
                          Wohnungsbörse zwischen dem sozialpolitischen Ziel 
                          und dem Ziel, die Interessen der betroffenen Beschäftigten 
                          zu vertreten. Wilfried wollte "am liebsten alles 
                          hinwerfen".
 
 Das Arbeitsmodell "Fallarbeit" wurde für 
                          die vernetzte Arbeitssituation im Internet, in der die 
                          einzelnen Forumsteilnehmer/innen einerseits kooperierend, 
                          andererseits aber auch individueller und losgelöster 
                          vom Forum arbeiten können, zu vier Arbeitskomplexen 
                          zusammengefasst (www.projekt-be-online.de/projekt/konzepte/arbeitsmodell.php):
 
 1. Arbeitskomplex: Erzählen der 
                          Fallgeschichte und Nachfragen stellen
 2. Arbeitskomplex: Hineinversetzen in die Akteure der 
                          Fallerzählung
 3. Arbeitskomplex: Spuren suchen und Kernthemen sammeln
 4. Arbeitskomplex: Kernthemen bearbeiten und Handlungsoptionen 
                          eröffnen.
 
 Die Lernberatung beginnt mit der Auswahl eines Falles, 
                          der zunächst vom Fallgeber erzählt und von 
                          den anderen Forumsteilnehmern/innen nachgefragt wird. 
                          In die erzählte Handlungsproblematik - hier von 
                          Wilfried - versetzen sich die anderen Forumsteilnehmer/innen 
                          aus ihren individuell verschiedenen Perspektiven hinein 
                          und eröffnen so neue, vom Fallerzähler bisher 
                          nicht erkannte Sichtweisen auf den Fall. Im dritten 
                          Arbeitskomplex wird die erzählte Handlungsproblematik 
                          unter verschiedenen Aspekten interpretiert (z.B. Handlungsgründe 
                          der Projektleitung und der betroffenen Beschäftigen, 
                          Beziehungen zwischen den Personalratsmitgliedern sowie 
                          zur Verwaltungsleitung und zu den Beschäftigten, 
                          ökonomische und organisatorische Strukturen in 
                          der Verwaltung usw.). Je mehr Perspektiven auf den Fall 
                          möglich werden, um so breiter wird das Spektrum 
                          möglicher Bedeutungshorizonte auf die Handlungsproblematik 
                          aufgedeckt. Bei dieser Suche nach möglichen Lesarten 
                          des Falles ist das Ziel Vielfalt und Differenz - hergestellt 
                          durch die individuellen Perspektiven der einzelnen Forumsteilnehmer/innen, 
                          nicht Einheit und Kosens für eine "richtige" 
                          Lesart. Es sollen möglichst viele, auch für 
                          den Fallerzähler kritische Lesarten erarbeitet 
                          werden, aus denen er später eine für sich 
                          passende Lesart auswählen kann. Die kritischen 
                          Aspekte in den alternativen Lesarten zu den Handlungssituationen 
                          im Fall bleiben in der Schwebe, weil diese kritischen 
                          Lesarten nur mögliche Perspektiven auf den Fall 
                          darstellen.
 Zum Ende des dritten Arbeitskomplexes werden durch den 
                          Fallerzähler zentral erscheinende Kernthemen ausgewählt, 
                          die im vierten Arbeitskomplex mit Hilfe zusätzlich 
                          eingeführten Wissens in abduktiver Weise verknüpft 
                          werden. In Wilfrieds Fall waren dies verschiedene Rollenmodelle 
                          als Gestaltungsakteur in Organisationsentwicklungsprojekten. 
                          Dadurch soll die individuell erlebte, besondere Handlungsproblematik 
                          in ihren allgemeinen typischen Strukturen erkennbar 
                          werden und sich für den Fallerzähler in ihrer 
                          strukturellen Rahmung zeigen, aus der sich neue Handlungswege 
                          ableiten lassen. Durch die Verallgemeinerung der besonderen 
                          Handlungsproblematik können die anderen Teilnehmer/innen 
                          ebenfalls Einsichten in eigene schwierige Handlungssituationen 
                          gewinnen, die ähnliche Strukturen aufweisen. Am 
                          Ende dieses beratungsorientierten Bildungsprozesses 
                          werden vor dem Hintergrund der gewonnen Einsichten in 
                          den Fall und auf den Fall mögliche Handlungsoptionen 
                          gesammelt, die der Fallerzähler Wilfried für 
                          sein Modernisierungsprojekt mitnehmen kann. Durch neue 
                          Einsichten in die Handlungsproblematik und durch praktische 
                          Handlungsoptionen, bezogen auf die konkrete betriebliche 
                          Situation, will die Fallberatung Voraussetzungen für 
                          die Erweiterung von Wilfrieds Handlungsfähigkeit 
                          schaffen.
 |  |  
 
               
                | 5.1 Das Internet als günstige Voraussetzung für eine 
                  beratungsorientierte Didaktik |  |   
                | Die Zusammenarbeit im Internet bietet im Vergleich zum Präsenzseminar 
                    - neben Nachteilen - auch günstige Voraussetzungen für 
                    eine Lernberatung. Zu nennen ist hier zunächst die mögliche 
                    Aktualität in der Bearbeitung von Handlungsproblematiken. 
                    Akteure in betrieblichen Modernisierungsprojekten können 
                    sich langfristig - über ein Jahr hinweg - in einem Online-Forum 
                    als Netzwerk zusammenschließen und vergangene sowie 
                    aktuell entstehende Handlungsproblematiken zum Gegenstand 
                    des Online-Forums machen. Auf diese Weise wird vermieden, 
                    dass jemand für eine aktuell entstehende Lernproblematik, 
                    die in einem Projekt entsteht, ein passendes und zeitnahes 
                    Weiterbildungsangebot suchen muss - was selten gelingt.
 Ein zentraler Vorteil der Online-Lernberatung ist die individualisierte 
                    und zugleich gruppenvernetzte Arbeitsweise im virtuellen Kontext 
                    des Internets. Online-Foren bilden in doppelter Hinsicht ein 
                    Netz. Sie sind technisch über das Internet vernetzt und 
                    bilden zugleich ein Netzwerk individueller Perspektiven auf 
                    eine gemeinsame Fallgeschichte im Forum. Demgegenüber 
                    unterstützt die Gruppensituation im Präsenzseminar 
                    einen "Anschluss-Effekt", in dessen Folge sich Interpretationen 
                    Einzelner an einer Leitinterpretation anschließen können. 
                    Im Online-Forum interpretiert zunächst jedes Mitglied 
                    die Fallerzählung für sich selbst im Austausch mit 
                    dem Fallerzähler. Der/die einzelne Interpret/in hat also 
                    mehr Distanz zu den anderen Forumsmitgliedern. Die Verbindung 
                    zu den anderen Forumsmitgliedern ist zu Beginn der Fallarbeit 
                    nur punktuell gegeben. Dies unterstützt ein möglichst 
                    breites Spektrum an Interpretationen der Fallgeschichte. Erst 
                    wenn die Vielfalt der Interpretationen erarbeitet ist, wird 
                    gemeinsam das Neue und Verallgemeinerungsfähige im Fall 
                    gesucht. Der virtuelle Kontext wird so im Rahmen einer beratungsorientierten 
                    Didaktik zum Vorteil, der mehr Multiperspektivität ermöglicht. 
                    Im Rahmen einer vermittlungsorientierten Didaktik gerät 
                    die Individualisierung im virtuellen Kontext zum Nachteil, 
                    weil ein erhöhter Kontrollaufwand mit Blick auf die Aneignung 
                    der geplanten Lehrziele erforderlich wird.
 
 Für die Lernberater/innen ergeben sich Vorteile aus der 
                    distanzierten und schriftlichen Kommunikation im Online-Forum 
                    . Der verstehende Zugang zu den Lernbegründungen der 
                    einzelnen Seminarteilnehmer/innen ist in Präsenzseminaren 
                    für den/die Fallberater/in aufgrund der alltäglichen 
                    Kommunikationssituation im Seminar begrenzt. Relevante Bedeutungs-/Begründungshorizonte 
                    von Seminarteilnehmer/innen können in der Gruppenkommunikation 
                    verloren gehen. Demgegenüber liegen die Bedeutungs-, 
                    Begründungshorizonte der Forumsteilnehmer/innen in den 
                    asynchronen Forumsbeiträgen schriftlich vor und können 
                    von den Online-Fallberatern/innen immer wieder neu rekonstruiert 
                    werden. Ihre Situation ähnelt hier der von Sozialforschern, 
                    die am Textprotokoll arbeiten. Durch die distanzierte Kommunikationsform 
                    wird auch die abduktive Rekonstruktion des Falles im vierten 
                    Arbeitskomplex unterstützt. Während in Präsenzseminaren 
                    nur solche Erklärungsfolien für die ausgewählten 
                    Kernthemen des Falles herangezogen werden können, die 
                    dem/der Fallberater/in in der Seminarsituation verfügbar 
                    sind, kann der/die Online-Fallberater/in mittels der bestehenden 
                    zeitlichen Distanz geeignete theoretische Folien suchen, die 
                    zur Handlungsproblematik passen.
 
 Ein weiterer wichtiger Vorteil der Lernberatung in Online-Foren 
                    ist die Transferevaluation. Fallorientierte Weiterbildung 
                    ist mit ihrem beratungsorientierten Ansatz grundsätzlich 
                    in hohem Maße transferorientiert, weil Ausgangs- und 
                    Endpunkt des didaktischen Handelns die besondere Handlungssituation 
                    des Fallerzählers ist: die Interpretation bezieht sich 
                    auf die besondere Handlungssituation und auch die Handlungsoptionen 
                    am Ende der Fallbearbeitung beziehen sich auf das weitere 
                    Handeln in der besonderen Situation. Die Transferleistung, 
                    die in vermittlungsorientierten Didaktiken der/die einzelne 
                    Bildungsteilnehmer/in vom allgemeinen Bildungsinhalt hin auf 
                    seine/ihre Praxis zu leisten hat, wird in der beratungsorientierten 
                    Didaktik im Seminar/Forum selbst vollzogen: Dem Fallerzähler 
                    werden mehrere Interpretationen seiner besonderen Situation 
                    angeboten, aus denen er auswählen kann. Im Online-Forum 
                    besteht darüber hinaus die Möglichkeit, den weiteren 
                    Verlauf des Falles zu beobachten und zu reflektieren. Wilfried 
                    kann beispielsweise nach seiner Fallbearbeitung im Forum erzählen, 
                    welche Handlungsoptionen er letztlich ausgewählt hat 
                    und wie sich der Fallverlauf weiter entwickelte. Der Transferprozess 
                    kann auf diese Weise selbst nochmals, ggf. als neuer Fall, 
                    reflektiert werden.
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                | 5.2	
                  Probleme für eine beratungsorientierte Didaktik im Internet |  |   
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 Das Medium Internet bereitet einer beratungsorientierten Didaktik 
                    auch Probleme. Es lassen sich technische und didaktische Probleme 
                    unterscheiden.
 Technische Probleme ergeben sich an jenen Stellen, die eine 
                    synchrone Kommunikation im Forum erfordern. Diese Anforderung 
                    stellt sich vor allem in der Nachfragephase im ersten Arbeitskomplex 
                    und in der Kernthemenbearbeitung im vierten Arbeitskomplex. 
                    Dies sind jeweils Reflexionsphasen, die einen unmittelbaren 
                    und differenzierten Vergleich und Abgleich der eigenen Bedeutungshorizonte 
                    mit den Bedeutungshorizonten des Fallerzählers (Arbeitskomplex 
                    1) bzw. der anderen Forumsteilnehmer/innen (Arbeitskomplex 
                    4) zum Ziel haben. Insbesondere die Kernthemenbearbeitung 
                    im vierten Arbeitskomplex verlangt einen Vergleich der eigenen 
                    Bedeutungshorizonte auf den Fall mit den eingebrachten allgemeinen 
                    Interpretationsfolien des/der Fallberaterin oder anderer Forumsteilnehmer/innen. 
                    In dieser Phase stellt sich für jede/n einzelnen Forumsteilnehmer/in 
                    die Frage, ob die eingebrachte Theoriefolie zur Differenzierung 
                    der eigenen Bedeutungshorizonte beiträgt, ob "ich" 
                    also etwas im Fall lernen kann. Dieser Vergleich lässt 
                    sich asynchron im Forum kaum herstellen, weil er Sinnhorizonte 
                    und feine Nuancen zum Gegenstand hat, die im unmittelbaren 
                    Gespräch in Form wechselseitiger Nachfragen deutlicher 
                    werden als nur in vorbereiteten schriftlichen Ausführungen. 
                    Erforderlich wird an dieser Stelle eine Chat-Software, die 
                    übliche "Plauder-Funktionalitäten" von 
                    Chats überschreitet. Sie sollte beispielsweise Meldelisten 
                    und mehrere Themenfenster umfassen, damit die Wartezeiten 
                    im Chat für themenbezogene Diskussionen in einer 12-köpfigen 
                    Gruppe nicht zu lang werden. Solche Funktionalitäten 
                    finden sich bisher nur bei Client-Server-Software, die für 
                    Online-Foren von Bildungsträgern wenig tauglich ist: 
                    Betriebe sind wegen der Forumsteilnahe einer/s Beschäftigten 
                    nicht bereit, eine gesonderte Software auf den betrieblichen 
                    Server zu legen. Web-basierte Chat-Software weist diese Funktionalitäten 
                    bisher nicht auf.
 
 Ein zentrales didaktisches Problem resultiert aus dem emotional 
                    armen virtuellen Kontext. Die Bereitschaft, dass "ich" 
                    mich auf ein fremdes Handlungsproblem in verstehender Weise 
                    einlasse ist im Internet geringer als in Präsenzsituationen, 
                    wo "ich" zusammen mit dem Fallerzähler körperlich 
                    unmittelbar involviert bin. Im Online-Forum sitze "ich" 
                    allein mit meinen Reflexionen in meinem Arbeitsraum. Die Relevanz 
                    des fremden Handlungsproblems und die Potentialität des 
                    damit verbundenen Nutzens für mich im Online-Forum konkurrieren 
                    mit meinen alltäglichen Anforderungen am Arbeitsplatz. 
                    "Ich" muss also schon einen guten Lerngrund besitzen, 
                    um mich parallel zu meinen drängenden Alltagsanforderungen 
                    an dem kooperativen Lernprozess im Online-Forum engagieren 
                    zu können.
 Ein weiteres Problem resultiert aus der Kehrseite des Aktualitätsvorteils 
                    im Online-Forum. Der Vorteil erhöhter Aktualität 
                    mündet zugleich in einen Nachteil verringerter zeitlicher 
                    Distanz zur Handlungsproblematik. Im Extremfall ist die Handlungsproblematik 
                    so aktuell, dass sie sich während der Fallbearbeitung 
                    im Zeitraum von ca. drei Wochen verändert. Dies bedeutet, 
                    dass die erzählte Handlungsproblematik ggf. plötzlich 
                    nicht mehr existiert, weil sie sich im zwischenzeitlichen 
                    Fallverlauf aufgelöst und ggf. einer anderen Platz gemacht 
                    hat. Bildung kann in ihrer beratungsorientierten Form an dieser 
                    Stelle die Grenze zum Coaching überschreiten. Dem steht 
                    die Verantwortung gegenüber den anderen Forumsteilnehmern/innen 
                    entgegen, die Interpretationen einbringen, um selbst verallgemeinerte 
                    Einsichten aus der Fallbearbeitung gewinnen zu können. 
                    Der kooperative Lernzusammenhang wird nur dann kooperativ 
                    empfunden, wenn Handlungsproblematiken/Lerngegenstände 
                    wechselseitig bearbeitet werden können. Eine nicht abschließbare 
                    und fortlaufende Bearbeitung einer einzelnen fremden Handlungsproblematik 
                    verhindert dies, wenn die anderen Forumsteilnehmern/innen 
                    ihren eigenen Lerngegenstand nicht bearbeiten können.
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                  Forschungsperspektiven |  |   
                | Das Projekt be-online verfolgt einen qualitativen Forschungsansatz, 
                    mit dem die Lernbegründungen und empfundenen Lernbehinderungen 
                    im Rahmen der Online-Lernberatung rekonstruiert werden können 
                    . Die meisten Forschungsprojekte zum Lernen im Internet untersuchen 
                    aus einer kognitionspsychologischen oder sozialpsychologischen 
                    Perspektive Bedingungen für motiviertes Handeln oder 
                    erfolgreiches Lernen im Internet. Dabei werden beispielsweise 
                    verschiedene Kommunikationskanäle oder zeitliche und 
                    örtliche Kommunikationscharakteristika hinsichtlich ihrer 
                    Wirkung auf Motivation, Partizipation und Lernerfolg untersucht.
 Im Projekt be-online stehen statt solcher Bedingungen für 
                    Lernen die subjektiven Lernbegründungen und die von den 
                    Forumsteilnehmer/innen subjektiv empfundenen Lernbehinderungen 
                    im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Erstens wird nach 
                    dem Verhältnis von Alltagshandeln und Lernhandeln gefragt. 
                    Dazu zählen Fragen nach typischen Lernbegründungen 
                    für eine Teilnahme an Online-Foren, Fragen nach der Gestaltung 
                    alltäglicher Anforderungen am Arbeitsplatz in Verbindung 
                    mit Reflexionsanforderungen im Online-Forum und schließlich 
                    Fragen nach dem Transfer in die Organisation hinein: Wie gehen 
                    Forumsteilnehmer/innen mit ihren neu gewonnen Einsichten in 
                    ihren Betrieben um bzw. welche typischen Umgangsweisen lassen 
                    sich rekonstruieren? Ein zweiter Fragenkomplex richtet sich 
                    auf das beratungsorientierte Lehr-, Lernverhältnis im 
                    Online-Forum. Hier wird nach der subjektiven Befindlichkeit 
                    in den jeweiligen Fallbearbeitungen, nach dem individuellen 
                    Lernverlauf und der dabei erreichten Tiefe des Gegenstandsaufschlusses 
                    gefragt. Ein dritter Fragenkomplex zielt auf die pädagogisch-professionellen 
                    Anforderungen und Möglichkeiten für Online-Fallberater/innen. 
                    Im Mittelpunkt stehen hier Fragen nach den Möglichkeiten 
                    und Grenzen des Sinnverstehens in Online-Foren.
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                | Literatur |  |   
                | BENNER, D. (1995): Studien zur Theorie der Erziehung und Bildung. 
                  Pädagogik als Wissenschaft, Handlungstheorie und Reformpraxis. 
                  Weinheim: Beltz.
 FLICK, U. (1990): Fallanalysen: Geltungsbegründung durch 
                    Systematische Perspektiven-Triangulation. In: Jüttemann, 
                    G. (Hrsg.): Komparative Kasuistik. Heidelberg: Asanger, S. 
                    184-203.
 HITZLER, R./REICHERTZ, J./SCHRÖER, N. (Hrsg.) (1999): 
                    Hermeneutische Wissenssoziologie. Konstanz: UVK.
 
 HOLZKAMP, K. (1996): Wider den Lehr-Lern-Kurzschluß: 
                    Interview zum Thema 'Lernen'. In: Arnold, R. (Hrsg.): Lebendiges 
                    Lernen. Baltmannsweiler: Hohengeren, S. 21-30.
 
 HOLZKAMP, K. (1995): Alltägliche Lebensführung als 
                    subjektwissenschaftliches Grundkonzept. In: Das Argument 212, 
                    S. 817-846.
 
 HOLZKAMP, K. (1993): Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. 
                    Frankfurt/New York: Campus.
 
 HOLZKAMP, K. (1987): Lernen und Lernwiderstand. Skizzen zu 
                    einer subjektwissenschaftlichen Lerntheorie. In: Forum Kritische 
                    Psychologie Nr. 20, S. 5-36.
 KELLE, U. (1994): Empirisch begründete Theoriebildung. 
                    Weinheim: Beltz.
 
 KIEL, E. (1999): Erklären als didaktisches Handeln. Würzburg: 
                    Ergon.
 
 LUDWIG, J. (2002): Anforderungen an Lernberatung in Online-Foren. 
                    In: Dewe, B./Wiesner, G./Wittpoth, J. (Hrsg.): Professionswissen 
                    und erwachsenenpädagogisches Handeln. Beiheft zum Literatur- 
                    und Forschungsreport Weiterbildung. Bielefeld: wbv.
 
 LUDWIG, J. (2000): Lernende verstehen. Bielefeld: wbv.
 
 MÜLLER, K. R. (1998): Erfahrung und Reflexion: "Fallarbeit" 
                    als Erwachsenenbildungskonzept. GdWZ H.6, S. 273-277.
 
 MÜLLER, K. R./MECHLER, M./LIPOWSKI, B. (1997): Verstehen 
                    und Handeln im betrieblichen Ausbildungsalltag. Bayer. Staatsmin. 
                    für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit 
                    (Hrsg.). München Eigenverlag.
 
 NASSEHI, A. (2000): Demokratie auf der Datenautobahn. In: 
                    Mandl, H./Reinmann-Rothmeier, G. (Hrsg.): Wissensmanagement. 
                    Informationszuwachs - Wissensschwund? Die strategische Bedeutung 
                    des Wissensmanagements. München/Wien: Oldenbourg, S. 
                    99-113.
 
 RADTKE, F.-O. (1985): Hermeneutik und soziologische Forschung. 
                    In: Bonß, W./Hartmann, H. (Hrsg.): Entzauberte Wissenschaft, 
                    Soziale Welt, Sonderband 3. Göttingen, S. 321-349.
 
 STRAUB, J. (1999): Verstehen, Kritik, Anerkennung. Göttingen: 
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 WITTPOTH, J. (Hrsg.) (2001): Erwachsenenbildung und Zeitdiagnose. 
                    Bielefeld: wbv.
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