wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

KARL WILBERS (Universität St. Gallen)
Guter Wille allein reicht eben doch nicht ...
Didaktisch fokussierte Implementation von E-Learning

Der vorliegende Beitrag ist eine für bwp@ überarbeitete Fassung meines Beitrages
WILBERS, K.: Didaktisch fokussierte Implementation von E-Learning. In: GdWZ - Grundlagen der Weiterbildung,
Vol. 12, Nr. 5, Oktober 2001, 209-212.


1 Das 3x4-Baustein-Modell der didaktischen Gestaltung von E-Learning: Grundidee und Überblick


Die Praxis der Implementation von E-Learning in Unternehmen, bei Weiterbildungsträgern, in Schulen und Hochschulen ist häufig durch mindestens eines der folgenden Merkmale gekennzeichnet:

· Einfache, antiquierte didaktische Strukturen verbunden mit einer modernen didaktischen Rhetorik;

· technische Zentrierung wie z.B. die zu frühe Fokussierung auf eine Lernplattform in Verbindung mit dem gebetsmühlenartig vorgebrachten Credo des ‚Education-first';

· unzureichende Berücksichtigung der Bedingungen des Lernens am Arbeitsplatz;

· mangelnde integrierte Fortentwicklung der Kompetenzen der Trainer, Dozenten, Lehrenden usw.;

· defizitäres Management der Veränderungsprozesse (Change Management);

· Unterschätzung der Notwendigkeit der Entwicklung institutionell-organisatorischer Kompetenzen im Umgang mit E-Learning und des internen Wissensmanagements sowie

· verkürztes Verständnis von Evaluation.

Wenn man es nun nicht bei einem einfachen Bedauern belassen will, kommt es meines Erachtens unter anderem darauf an, Vorgehensmodelle zu entwickeln, die neben dem traditionellen didaktischen Theoriebestand verstärkt Elemente aufnehmen aus dem Change Management, der responsiven Evaluation (vgl. beispielsweise PATTON 1997), dem New Public Management (vgl. z.B. THOM/RITZ 2000) und dem Wissensmanagement (vgl. beispielsweise PROBST u.a. 2000). Das hier vorgestellte 3x4-Baustein-Modell der didaktischen Gestaltung von E-Learning stellt einen solchen Versuch dar. Eine weitergehende Beschreibung dieses Ansatzes findet sich bei WILBERS (2002).

Abb. 1: 3x4-Bausteine der didaktischen Gestaltung von E-Learning



2 Baustein 1: Stakeholderanalyse

Der erste Baustein der didaktischen Gestaltung von E-Learning ist die Stakeholderanalyse. Stakeholder spielen im betriebswirtschaftlichen Ansatz des stakeholder approachs sowie in Konzepten der responsiven Evaluation eine zentrale Rolle. Das Wort "Stakeholder" ist nicht gut in das Deutsche zu übersetzen. Ein "stake" ist in der englischen Sprache ein Spieleinsatz, ein Risiko. Betrachtet man den mikropolitischen Kosmos, in dem sich die Gestaltung von E-Learning bewegt, als ein Spiel, geht es also um die genaue Ermittlung der Betroffenen & Beteiligten, d.h. derjenigen, die in diesem Spiel "E-Learning" etwas zu gewinnen oder zu verlieren haben. In Unternehmen sind es ganz offensichtlich die Lerner oder die Trainer. Hinzu kommen die Praxisausbilder vor Ort, die Vorgesetzten und Kollegen am Arbeitsplatz, die Geschäfts- bzw. Divisionsleitung. Verstärkt sind auch das Marketing, die Informationstechnik (IT), die Treiber des Wissensmanagements mit ihren Knowledge Tools, das Human Resource Management (HR) mit dem Streben nach einem Electronic Human Resource Management (E-HRM) und die Förderer der E-Transformation des Unternehmens (‚E-Transformators') zu berücksichtigen (vgl. FRANKE 2002, BENTZ 2002). In Schulen sind neben den institutionsinternen Stakeholders auch Schulträger, Schulaufsicht usw. zu berücksichtigen. In Hochschulen sind neben der Hochschulgemeinschaft, den diversen Instituten, Abteilungen und Fakultäten, Lehrstühlen, der Verwaltung, den Vertretungsorganen insbesondere die Bibliothek, die IT, die Weiterbildungsabteilung, die PR-Abteilung sowie der Forschungstransfer zu nennen. Die Ansprüche der Stakeholders sind im Rahmen der Anspruchsanalyse zu ermitteln.
Es dürfte klar sein, dass bei einem derartig breit angelegten Scannen die Stakeholder schnell zahlreich werden. Es geht nun allerdings nicht darum, alle möglichen Stakeholders im weiteren Prozess mitarbeiten zu lassen. Bei der Gestaltung des Commitments sind u.a. verschiedene Partizipationslevel festzulegen: Mitarbeit in Projekten, Vetorechte von Stakeholders, Anhörungsrechte und Information der Stakeholders. Die Information der Stakeholder erweist sich selbst wieder als ein didaktisches Problem (KOLLER u.a. 2002). Die Ergebnisse der Stakeholderanalyse fließen in ein Heft der Gestaltungsansprüche ein. Dieses Dokument bildet die Stakeholders, ihre Ansprüche (einschließlich der pains), ihre Erfolgsmaßstäbe sowie ihren Partizipationslevel ab.


1. Das 3x4-Baustein-Modell der didaktischen Gestaltung von E-Learning: Grundidee und Überblick

2. Baustein 1: Stakeholderanalyse

3. Baustein 2: Designn

4. Baustein 3: Evaluation



Literatur








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3 Baustein 2: Design

Die Umsetzung der Gestaltungsansprüche der diversen Stakeholders bedarf meist der Gestaltung ganzer E-Learning-Evolutionspfade, die aus mehreren Projekten bestehen. Die Vorstellung eines E-Learning-Evolutionspfades geht davon aus, dass das Wissen zum adäquaten Umgang mit E-Learning Ergebnis eines mühevollen Lernprozesses ist. Bei der Entwicklung einer solchen organisationalen bzw. institutionellen Kompetenz haben sich strategische Projekte als zwischengelagerte Analyseeinheit herauskristallisiert, wobei die Intra-Projektperspektive und die Inter-Projektperspektive unterschieden werden können (vgl. PROBST u.a. 2000, 74ff.). In der Intra-Projekt-Perspektive geht es um innovative Tätigkeiten einzelner Projekte und die daraus resultierende Kompetenz, aber auch um die Nutzung bereits vorhandenen Wissens im Projekt, das Management der Schnittstellen zum Rest der Organisation usw. In der Inter-Projekt-Perspektive steht das Inter-Projekt-Lernen und die strukturelle Integration auf dem Weg zu einer organisationalen Kompetenz im Vordergrund. Bei der Entwicklung des E-Learning-Evolutionspfades ist außerdem der interinstitutionelle Kompetenzaufbau zu berücksichtigen.
E-Learning-Evolutionspfade bestehen aus mehreren Projekten. Zentrales Moment eines solchen Projekts ist das Design der Lernumgebung (siehe EULER 2002; WILBERS 2002; EULER/WILBERS 2002). Jeder E-Learning-Evolutionspfad und jedes Vorhaben auf diesem Pfad ist an Voraussetzungen gebunden, die es zu sichern gilt. Dabei sind insbesondere die folgenden Einsatzvoraussetzungen angesprochen:
· Voraussetzungen auf Seiten der Zielgruppe: Neben den technischen Voraussetzungen sind in der Regel Vorkehrungen im Hinblick auf die IT-Qualifikationen der Zielgruppe wie z.B. Umgang mit Internetdiensten, Groupware usw. zu treffen.
· Voraussetzungen bei den Trainern, Ausbildern, Dozenten etc.: Häufig wird das Problem einer unzureichenden Qualifikation der Lehrenden erkannt und externalisiert, indem die Lehrenden an einer externen Maßnahme wie z.B. einer Ausbildung zum Tele-Coach teilnehmen. Sinnvoller erscheint jedoch: Die Gewährleistung eines Anwendungsbezuges durch die Kombination von externen und internen Maßnahmen wie z.B. Qualitätszirkeln oder Communities of Practice unter Integration von Anwendungsphasen, die Vermeidung von know-how-Inseln durch den Aufbau interner Multiplikatorenmodelle um die Wissensbasis organisationsintern zu verbreitern, die Sicherung der Nachhaltigkeit durch weitere Flankierung mit Maßnahmen des Wissensmanagements wie z.B. die Erstellung von Expertenlandkarten.
· Kulturelle Voraussetzungen: Auf einer ersten Ebene geht es bei der Sicherung der kulturellen Voraussetzungen erstens um didaktische Maßnahmen, d.h. um die Entwicklung und Anwendung von Lernverträgen, Coaching-Verpflichtungen, Mentoren-Verträge usw., die Personen bi- oder multilateral in die Pflicht nehmen. Andererseits ist die Entwicklung eines Verhaltenskodex bzw. eines Regelwerkes (z.B. Verankerung des Primates des Kundenauftrages vor Lernaktivitäten, Regelungen der Rechte an immateriellen Gütern wie z.B. Urheberrechte) angesprochen. Auf der zweiten, tiefergelegenen Ebene stellt sich die Arbeit an den unternehmenskulturellen Voraussetzungen. Als Teil der Kultur sind hier beispielsweise Grundannahmen, die als selbstverständlich genommen werden, aber unsichtbar und unbewusst sind, zu dynamisieren (vgl. KOLLER u.a. 2002).
· Re-Organisation der Prozesse in der Bildung: Häufig ist E-Learning mit Änderungen der Prozesse des Bildungsbereiches einer Institution verbunden. So ist beispielsweise für technische Fragen ein HelpDesk einzurichten.
· Auswahl der Hard- und Software: Ohne hier die Komplexität dieses Auswahlprozesses unterschätzen zu wollen, ist die Hard- und Software für E-Learning ‚lediglich' eine Einsatzvoraussetzung. Angesprochen sind hier Autorentools, Lernplattformen, Community Software, Portalsoftware usw. (vgl. SEUFERT 2002).
Für den Erfolg einer Maßnahme scheint ein erfolgreicher Transfer, d.h. Übertragung erworbener Kompetenzen vom Lernfeld in ein Anwendungsfeld, die - und zwar stakeholderübergreifend - von zentraler Bedeutung zu sein (vgl. FORTMÜLLER 2002). Es ist erstaunlich wie stiefmütterlich dieses Thema - gerade im Zusammenhang mit E-Learning - immer noch behandelt wird. Ein Transfermanagement fördert den Transfer durch gezielte Maßnahmen vor, während und nach einem Training bzw. einer Schulung.

4 Baustein 3: Evaluation


Im Vergleich zu diesen sehr weitgehenden Systemen des Qualitätsmanagements für E-Learning (vgl. z.B. KIEDROWSKI 2001, 132ff.) wird hier eine pragmatische Konzentration auf vier Punkte - Partner, Instrumente, Konsens, Lessons Learned - nahegelegt. Selbst dies dürfte in manchen Fällen zu aufwendig, in manchen Fällen aber viel zu dürftig sein. Bezüglich der Beteiligung von Partnern existieren die folgenden, durchaus sinnvoll kombinierbaren Möglichkeiten mit je spezifischen Vor- und Nachteilen: Wissenschaftler und Experten, Peers, Selbstevaluation (Stakeholders als Partner der Evaluation).
Bezüglich der Instrumente wird hier die Arbeit mit Einschätzskalen nahegelegt. Diese sind relativ einfach zu erstellen und auszuwerten, wirken meist kommunikationsanregend und ermöglichen einen kennzahlenorientierten Vergleich (Benchmarking). Die Instrumente können mit Bezug auf den Prozess der didaktischen Gestaltung von E-Learning intern oder extern angelegt werden. ‚Intern' bildet das Heft der Gestaltungsansprüche die Grundlage für die Evaluation. Die Ansprüche der Stakeholders werden in Items für die Einschätzskalen transformiert. Die so erhobenen Werte können leicht durch Lagemaße und Streuungsmaße verdichtet werden. Interessant ist der Vergleich der so verdichteten Werte in Form eines Netzes wie es die Abbildung beispielhaft darstellt.

Abb. 2: Beispiel Stakeholderspezifisches Rating in einem Unternehmen im Vergleich

Im ‚externen Modus' werden die Items sowie die ‚dazugehörigen' Skalenwerte (z.B. Reifestadien) aus intern oder extern konzipierten Qualitätsmanagementsystemen ‚importiert'. Beispielsweise kann der Quality Guide der Association of European Correspondence Schools (AECS) bzw. der European Association for Distance Learning (EADL), der den Versuch darstellt, das Konzept der European Foundation for Quality Management (EFQM) auf E-Learning zu übertragen, verwendet werden.
Die Ergebnisse der Arbeit mit Einschätzskalen können für einen kennzahlenorientierten Vergleich benutzt werden. Als Benchmarkingobjekte bieten sich hier verschiedene Projekte aus dem E-Learning-Evolutionspfad, Projekte von Peers oder best practice an. Diese Arbeit mit Einschätzskalen kann erheblich ergänzt werden durch Verfahren, wie sie im Rahmen der klassischen Sozialforschung bekannt sind. E-Learning erweitert dieses klassische Instrumentarium insbesondere im non-reaktiven Bereich wie z.B. die Analyse von Log-Files.
Weniger wichtig als die exakte Ermittlung der numerischen Werte aufgrund der Einschätzskalen erscheint das Schaffen von Kommunikationsanlässen für den nachfolgenden Konsens. Dabei geht es nicht um die diplomatische Verwischung von Gegensätzen, sondern um die kommunikative Aushandlung eines konsistenten, breit getragenen Bildes im Rahmen von Debriefings der Qualitätssicherungsteams untereinander, der Stakeholder sowie der externen Partner.
Die Fassung dieses Bildes wird ergänzt durch die schriftliche Abhandlung der Lessons Learned. Dabei sind Konsequenzen für den zukünftigen Gesamtprozess zu ziehen. Insgesamt kann sich die Abfassung der Lessons Learned an dem 3x4-Baustein-Modell der didaktischen Gestaltung von E-Learning orientieren (z.B. Was sollte bei zukünftigen Ermittlungen der Betroffenen und Beteiligten beachtet werden?).



Literatur

BENTZ, H.-J. (2002): Lernen und Arbeiten in virtuellen Räumen - Bezüge zu Wissensmanagement, E-HRM & E-Business. Aus: HOHENSTEIN, A./WILBERS, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning. Köln (Verlag Deutscher Wirtschaftsdienst) 7.0, 1-22.

EULER, D. (2002): Selbstgesteuertes Lernen mit Multimedia und Telekommunikation gestalten. Aus: HOHENSTEIN, A./WILBERS, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning. Köln (Verlag Deutscher Wirtschaftsdienst) 4.1, 1-20.

EULER, D./WILBERS, K. (2002): Selbstlernen mit neuen Medien didaktisch gestalten. Hochschuldidaktische Schriften. Band 1. St. Gallen (Institut für Wirtschaftspädagogik) (im Druck).

FORTMÜLLER, R. (2002): Lerntransfer mit E-Learning sichern. Aus: HOHENSTEIN, A./WILBERS, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning. Köln (Verlag Deutscher Wirtschaftsdienst) 6.3, 1-16.

FRANKE, J. (2002): Personalentwicklung durch E-Learning unterstützen - eine Herausforderung an das Personalmanagement. Aus: HOHENSTEIN, A./WILBERS, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning. Köln (Verlag Deutscher Wirtschaftsdienst) 6.0, 1-14.

KIEDROWSKI, J. (2001): Lernplattformen für e-Learning-Prozesse beruflicher Weiterbildungsträger. Bewertung und Auswahl mit Methoden des Total Quality Managements. Köln (Botermann & Botermann).

KOLLER, W./FLUM, T./MÜLLER, M./TOCKENBÜRGER, L. (2002): Kulturelle und personelle Bedingungen für E-Learning vor Ort klären. Aus: HOHENSTEIN, A./WILBERS, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning. Köln (Verlag Deutscher Wirtschaftsdienst) 4.9, 1-20.

PATTON, M.Q. (1997): Utilization-Focused Evaluation. The New Century Text Thousand Oaks/London/New Delhi (Sage Publications) Edition 3.

PROBST, G.J.B./DEUSEN, A./EPPLER, M./RAUB, S. (2000): Kompetenz-Management. Wie Individuen und Organisationen Kompetenzen entwickeln. Wiesbaden (Gabler).

SEUFERT, S. (2002): Hard- und Software für E-Learning auswählen. Aus: HOHENSTEIN, A./WILBERS, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning. Köln (Verlag Deutscher Wirtschaftsdienst) 5.0, 1-24.

THOM, N./RITZ, A. (2000): Public Management. Innovative Konzepte zur Führung im öffentlichen Sektor. Wiesbaden (Gabler).

WILBERS, K.: E-Learning didaktisch gestalten. Aus: HOHENSTEIN, A./WILBERS, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning. Köln (Verlag Deutscher Wirtschaftsdienst). 4.0, 1-42.