ULRIKE BUCHMANN
(Universität Siegen) |
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Kooperation als erster Schritt zur Wissensintegration.
Die pädagogische Herausforderung moderner Gesellschaften? |
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Das Problem |
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Ein Charakteristikum moderner Gesellschaften
sind Kontradiktionen, die Unsicherheiten und Ängste nach
sich ziehen, mit denen auf individueller Ebene umzugehen ist,
die bewältigt, mindestens aber ausgehalten werden müssen.
Die Antinomien der Moderne stellen eine beachtliche gesellschaftliche
Herausforderung an individuelle Bewältigungsstrategien
dar, die in angemessener Weise in den unterschiedlichen Sozialisations-
und Erziehungsphasen angelegt bzw. gefördert werden müssen.
Mit der Formulierung eines solchen Anspruchs kommt der Erziehungswissenschaft
eine spezifische Vermittlungsfunktion zu, die angesichts jüngster
gesellschaftlicher Veränderungen zusätzliche Bedeutung
erhält: Die aktuelle Umbruchs- und Reorganisationsphase
ist u. a. durch Entmischungsprozesse (Am Beispiel Call Center
haben wir die Systematik von Entmischungsprozessen unter der
Perspektive beruflicher Bildung aufgezeigt (HUISINGA/BUCHMANN
2002).)gekennzeichnet, die im Gegenstandsbereich berufs-
und wirtschaftspädagogischer Forschung zur Auflösung
traditioneller Betriebstypen und der darauf gegründeten
kaufmännischen und gewerblichen Sacharbeit führen.
Die Formen gesellschaftlicher Arbeitsteilung und ihre Kombinatoriken
verändern sich auf multidisziplinärem Niveau und stellen
damit die traditionelle Berufsstruktur sowie nachfolgend die
ihr zugrunde liegende spezifische monostrukturelle Fachlichkeit
in ihrer bestehenden Konstellation in Frage. Realempirisch beobachtbare
Phänomene der Entkopplung von Beruf und Tätigkeit
sowie erworbener Zertifikate und Entlohnung verstärken
gesellschaftliche Unübersichtlichkeit und die Intransparenz
von Strukturen und Prozessen ebenso wie reorganisierte Zeit-,
Quantitäts-, Qualitäts-, Entlohnungs- und Verfügungsstrukturen
und die zahlreichen Varianten zur Freisetzung von Arbeitskraft.
Die Veränderungen der Erwerbsarbeit in der Moderne werden
als Gegenstand industrie- und dienstleistungssoziologischer
Forschung (vgl. z. B. KERN/SCHUMANN 1970, 1984; BAETGHE/OBERBECK
1986) seit etwa 50 Jahren vor allem unter Polarisierungs- und
Segmentationsgesichtspunkten sowie als Paradigmenwechsel in
der Arbeitsorganisation und den damit veränderten Handlungsoptionen
der Beteiligten diskutiert. Das hat zur Folge, dass auf individueller
Ebene Ängste und Unsicherheiten entstehen bzw. weiter verstärkt
werden. Solchen Unsicherheiten kann nur mit Aufklärung
und Schaffung von Transparenz begegnet werden, die an die Zusammenführung,
Integration und Aufbereitung unterschiedlichster Wissensbestände
in Bildungsprozessen gebunden sind. Damit ist eine anspruchsvolle
curriculare Aufgabe an die Erziehungswissenschaft formuliert,
die es im Kontext interdisziplinärer Fragestellungen und
Forschungsansätze zu bewältigen gilt.
Fakt ist allerdings, dass erziehungswissenschaftliches Handeln
bei routinemäßig anstehenden curricularen Gestaltungsaufgaben
- aufgrund nicht vorhandenen wissenschaftlich fundierten Regelwissens
- überwiegend auf Erfahrungswissen beruht. Damit entsteht
die paradoxe Situation, dass den Anforderungen einer hochkomplexen
und -differenzierten Gesellschaft der Moderne von wissenschaftlicher
Seite aus mit vorindustriellen Lösungsmöglichkeiten
begegnet wird.
Auf dem Weg zur Realisierung von Wissensintegration als langfristige
Perspektive einer neuen Vergesellschaftung von Arbeit scheint
mir die Kooperation - speziell auch mit Bezug zu beruflichen
Bildungsprozessen - ein erster notwendiger wie auch möglicherweise
kurzfristig praktikabler Schritt zu sein. Kooperationen in diesem
Sinne können allerdings nur dann gelingen, wenn allen Beteiligten
das grundsätzliche Anliegen bewusst und dieses in eine
wissenschaftliche Theoriebildung eingebettet ist.
Im ersten Teil dieses Beitrags werden die zentralen Eckpunkte
eines qualifikations- und curriculumorientierten Ansatzes in
der Berufs- und Wirtschaftspädagogik umrissen, während
Teil zwei den empirischen Ergebnissen zu Kooperationen in der
universitären Berufsbildungsforschung gewidmet ist, die
als erste Hinweise auf die erfolgte bzw. kurzfristig mögliche
Implementierung von Kooperationsstrukturen auf Forschungsebene
gewertet werden können. |
2 Zu den Charakteristika moderner Gesellschaften |
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Die Moderne - von Max Weber als
"Zeitalter des okzidentalen Rationalisierungsprozesses"
bezeichnet (HORSTER 2000, 351) - ist vor allem durch eine Auflösung
der Vorstellung von einer Einheitlichkeit der Welt gekennzeichnet,
in der geschlossene Weltdeutungen ihre Verbindlichkeit und damit
ihre soziale Integrationskraft eingebüßt haben. Unter
den Bedingungen einer zunehmenden Ausdifferenzierung gesellschaftlicher
Teilbereiche, insbesondere von Wissenschaft, Ethik/Moral und
Kunst und eines fortschreitenden Industrialisierungsprozesses
diagnostiziert BECK (1989) die Moderne als Risikogesellschaft,
in der sich das Verhältnis Individuum und Gesellschaft
paradox und kompliziert entwickle, da es parallel zu individualisierten
und standardisierten Lebenslagen und Biographien käme (ebd.,
205).
Bei Verlust traditioneller Einbindungen und Verpflichtungen
stellt die gewonnene individuelle Freiheit des Einzelnen, seine
Stellung in der Gesellschaft durch eigene Leistung zu bestimmen,
nach einer anfänglichen Phase technischen Fortschritts
zur Mehrung des Reichtums bei kalkulierbarem Risiko für
den Einzelnen, nun ein erhebliches Risiko dar. "Risiken
und Selbstbedrohungspotentiale" (25) sind individuell immer
weniger durchschau- und damit kalkulierbar, was zu erheblichen
Angst- und Unsicherheitspotenzialen führt, für die
- mangels alternativer Vergesellschaftungsformen - individuelle
Bewältigungsstrategien entwickelt werden müssen. |
3.
Zur Aufgabe der Erziehungswissenschaft in der Moderne |
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Die angedeuteten Veränderungen
im Prozess der Moderne stellen auch veränderte Anforderungen
an die Erziehungswissenschaft allgemein und die Berufs- und
Wirtschaftspädagogik speziell. Obwohl die Erziehungswissenschaft
deren Risiken nicht explizit zum Gegenstand ihrer Forschungen
gemacht hat, lassen sich folgende Spannungsfelder ausmachen,
in bzw. mit Bezug zu welchen pädagogisches Handeln stattfindet:
Moderne Gesellschaften sind durch vier Grundantinomien gekennzeichnet,
wie sie HELSPER (2000, 15) beispielsweise "als konstitutive
Spannungen pädagogischen Handelns" mit Freiheit und
Zwang, Organisation und Interaktion, pädagogische Einheitsentwürfe
und kulturelle Vielfalt sowie als Nähe und Distanz deutet:
Man kann diese Spektrum weiter ausdifferenzieren mit den Gegensatzpaaren
Institutionalisierung und Auflösung (z. B. Outsourcing),
Utilitarismus und Zweckfreiheit, Förderung und Auslese,
Integration und Separation, Individualisierung und Pluralisierung,
Differenz und Einheit, Gleichheit und Ungleichheit sowie Normalität
und Abweichung. Mit Bezug zu diesen Gegensätzlichkeiten
sind moderne Gesellschaften vor allem gekennzeichnet durch
o ein hohes und weiter zunehmendes Maß an Komplexität,
o eine stetig wachsende "neue Unübersichtlichkeit"
(vgl. z. B. HABERMAS 1985),
o allgegenwärtige Intransparenz und
o permanente Ungleichzeitigkeiten,
was unweigerlich zu gesellschaftlichen und individuellen Unsicherheiten,
Widersprüchen und Brüchen führt. Angesichts solcher
- zunächst unaufhebbarer - gesellschaftlicher Widersprüche
hat die Pädagogik allgemein und speziell die Berufs- und
Wirtschaftspädagogik über Bildungsprozesse eine Vermittlungsaufgabe
zu erfüllen:
die Befähigung der nachwachsenden Generation zum Aushalten,
zum Umgang mit und nicht zuletzt zur gestaltenden Beeinflussung
dieser Antinomien. Berufliche Bildungsprozesse - als ein Gegenstandsbereich
der Berufs- und Wirtschaftspädagogik - sind in unmittelbarer
Nähe und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Prozesse
und Strukturen zu organisieren, die aktuell erhebliche Umbrüche
erfahren. Neue distributive Agglomerationen im Welthandelsverkehr
(z. B. Warenwirtschaftssysteme, Data-Ware-House ), electronic
banking, Telematik oder das Outsourcing ganzer Unternehmensbereiche
brechen traditionelle Strukturen auf und erfordern zunehmend
die Besetzung sogenannter "Schnittstellen"funktionen
(z. B. Case-Management), die durch ein hohes Maß an Wissensintegrationsleistungen
im Spannungsfeld unterschiedlicher (Wissenschafts-) Disziplinen
(z. B. Recht, Medizin, Psychologie, Verwaltungswesen und Ökonomie)
und zwar sowohl bezüglich traditioneller Wissensbestände,
als auch im Hinblick auf Einstellungen, Verhaltensweisen, Werthaltungen
etc. gekennzeichnet sind.
Mit Blick auf das Berufsausbildungssystem verschärfen sich
damit nicht nur die Übergänge in den so genannten
Statuspassagen, sondern diese weitreichenden Veränderungen
lassen eine permanente Um-, Nach- oder Weiterqualifizierung
aller Erwerbstätigen notwendig erscheinen und geben dem
Schlagwort vom lebenslangen Lernen Kultstatus. Damit sind zum
Teil auch gravierende Veränderungen in den Beziehungen
zwischen den verschiedenen Berufsausbildungsbereichen von der
vorberuflichen Bildung in den Sekundarstufen I und II über
die nichtakademische Berufsausbildung im Sekundarbereich II
und die akademische Berufsausbildung im Tertiärbereich
bis hin zur beruflichen und wissenschaftlichen Weiterbildung
im Quartärbereich intendiert, die sich u. a. auf ein neues
Verhältnis von allgemeiner und spezieller/beruflicher Bildung
beziehen und somit u. a. erheblichen Forschungsbedarf im Rahmen
der Berufsbildungsforschung induzieren.
In einem weiteren Schritt erfordern die gravierenden gesellschaftlich-ökonomischen
Strukturveränderungen die Entwicklung und Implementierung
angemessener Curricula, die die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit
der nachwachsenden Generationen im Spannungsfeld divergierender
Anspruchskonstellationen sichern und einem ökonomischen
Primat im Bildungssystem entgegenwirken. Mit Bezug zu den (curriculum)theoretischen
Überlegungen der Bildungsreformära ist Curriculumentwicklung
im Spannungsfeld mindestens folgender sechs Bezugspunkte (vgl.
BLANKERTZ 1967; KELL 1970; BUCHMANN 1999, 89) zu leisten:
o des gesellschaftlich präferierten Bildungsideals,
o pädagogischer Theorien,
o den Lernvoraussetzungen und -bedürfnissen der Klientel,
o den Partikularinteressen aller Beteiligten,
o den vorhandenen Ressourcen sowie
o fachwissenschaftlicher Prämissen.
Zur Klärung der genannten sechs Bezugspunkte und deren
Beziehungen sind auch (Qualifikations-)Forschungsarbeiten intendiert,
die u.a. im Rahmen einer sich multidisziplinär verstehenden
Berufsbildungsforschung zu leisten wären. Berufsbildungsforschung
wird hier mit Bezug auf folgende Definition in der DFG-Denkschrift
(1990) verstanden:
"Berufsbildungsforschung untersucht die Bedingungen, Abläufe
und Folgen des Erwerbs fachlicher Qualifikationen sowie personaler
und sozialer Einstellungen und Orientierungen, die für
den Vollzug beruflich organisierter Arbeitsprozesse bedeutsam
erscheinen" (DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT 1990, 1).
Unter einer qualifikations- und curriculumorientierten (Forschungs-)Perspektive
sind die wissenschaftsspezifische Organisation sowie bereits
bestehenden Kooperationsbeziehungen der Berufsbildungsforschung
von besonderem Interesse, weil auf der Basis diesbezüglicher
empirischer Daten das kurz- mindestens jedoch mittelfristige
Gelingen (oder auch Nichtgelingen) einer Zusammenarbeit in der
universitären Berufsbildungsforschung eingeschätzt
werden kann. Deshalb soll im Folgenden die Berufsbildungsforschung
als Aufgabenfeld unterschiedlicher Wissenschaften, deren Verflechtungen
und Kooperationen auf der Basis einiger empirischer Forschungsergebnisse
zur universitären Berufsbildungsforschung genauer betrachtet
werden. |
4.
Sichten von Kooperationen in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik
als universitärer Disziplin |
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Die folgenden empirischen Ergebnisse sind im Rahmen des BMBF-geförderten
Forschungsprojektes "Berichterstattung über Berufsbildungsforschung"
erarbeitet worden (vgl. BUER/KELL 1999), das in Kooperation
der Lehrstühle für Berufs- und Wirtschaftspädagogik
an der Humboldt Universität Berlin und an der Universität
Siegen im Auftrag der AG BFN (Arbeitsgemeinschaft Berufsbildungsforschungsnetz)
von 1996 - 1999 durchgeführt wurde. Diese Studie zur
bundesdeutschen Berufsbildungsforschung basiert sowohl auf
Primär- wie Sekundärdatenanalysen, die hier insbesondere
für die universitäre Disziplin Berufs- und Wirtschaftspädagogik
in den Blick genommen werden, um deren disziplinäres
Kooperationspotenzial einschätzen zu können.
Zur (additiven) wissenschaftsdisziplinären Zuordnung
der Berufsbildungsforschung an der Berufsbildungsforschung
beteiligen sich verschiedene Wissenschaften und sie ist mit
vielen anderen Forschungsbereichen verflochten. Denn die Komplexität
des Gegenstandsbereichs Berufsbildung erfordert eine Bearbeitung
durch unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen mit ihren
je spezifischen Modellen, Theorien und Methoden.
Abb. 1: Wissenschaftsbezogene Verflechtungen in der Berufsbildungs-forschung
Quelle: BUER/KELL (1999, 27)
Die Berufsbildung als wichtiges gesellschaftliches Subsystem
ist vor allem von der Erziehungswissenschaft (einschließlich
der Berufs- und Wirtschaftspädagogik), der Psychologie,
den Humanwissenschaften und der Anthropologie als Forschungsgegenstand
bearbeitet worden. Aber auch Soziologie, Rechtswissenschaft,
Politikwissenschaft sowie Wirtschafts- (hier vor allem die
Bildungsökonomie) und Ingenieurwissenschaften haben die
Bedeutung der Berufsbildung für gesellschaftliche Strukturen
und Entwicklungen thematisiert (s. Abb. 1). Damit ist zunächst
nur der additive Aspekt der wissenschaftsdisziplinären
Zuordnung der Berufsbildungsforschung in den Blick genommen.
Wissensintegration ist aber darüber hinaus an das Vorhandensein
und die Bearbeitung gemeinsamer Fragestellungen gebunden.
In diesem Sinne ist die additive Zuordnung unterschiedlicher
Disziplinen zur Berufsbildungsforschung als notwendiger aber
keinesfalls hinreichender Schritt auf dem Weg zur Wissensintegration
zu betrachten.
Zur sozialwissenschaftlich orientierten Berufsbildungsforschung
Der Forschungsbereich Berufsbildungsforschung ist aufgrund
neuerer Ansätze in der Wissenschaftsorganisation, die
den Negativfolgen der Spezialisierung in den Wissenschaften
durch die Schaffung multidisziplinärer Forschungsbereiche
zu begegnen versuchen, mit verschiedenen anderen Forschungsbereichen
verflochten. Diese Forschungsbereiche können unter dem
Oberbegriff "Sozialwissenschaftliche Forschung"
zusammengefasst werden und sollten dementsprechend als gemeinsames
Merkmal eine multidisziplinäre Organisation von Forschung
aufweisen. Der komplexe Gegenstandsbereich Berufsbildung ist
in der gesellschaftlichen Praxis mit vielen anderen Praxisbereichen
verflochten (z B. Bildung, Berufsbildung, Beruf, Arbeitsmarkt,
Erwachsenenbildung etc.). Dementsprechend sind auch diese
Forschungsbereiche miteinander verflochten, die benachbarte
Gegenstandsbereiche untersuchen.
In Abbildung 2 sind die wichtigsten forschungsbereichsbezogenen
Verflechtungen ausgewiesen. In dieser Betrachtung ist eine
qualifikations- und curriculumorientierte Forschung innerhalb
der Berufsbildungsforschung mindestens im Schnittbereich von
Arbeitsmarkt- und Berufs-, Hochschul-, Berufs-; (Berufs)Biographie-,
Bildungs-, Jugend-, Erwachsenenbildungs-, und Frauenforschung
anzusiedeln, die Schnittmengen sind jedoch je nach zentralem
Forschungsgegenstand (z. B. vorberufliche Bildung, akademische
Berufsausbildung oder auch wissenschaftliche Weiterbildung)
unterschiedlich bedeutsam. Von den an Berufsbildungsforschung
beteiligten Wissenschaften nimmt die Berufs- und Wirtschaftspädagogik
eine besondere Stellung ein, weil ihre Forschungstätigkeit
nur auf die Berufsbildung konzentriert ist und weil die zentralen
Begriffe Beruf und Bildung in ihrem spezifischen Spannungsverhältnis
für sie konstitutiv sind. Von hier aus wären dann
beispielsweise auch durchaus gemeinsame Fragestellungen zu
formulieren als Voraussetzung für eine Integration des
jeweils in den verschiedenen Forschungsbereichen relevanten
Wissens, das für den Gegenstandsbereich Berufsbildung
von Interesse ist.
Unter Berücksichtigung dieser Bedeutung der Berufs- und
Wirtschaftspädagogik für die Berufsbildungsforschung
sind die wissenschaftsbezogenen Verflechtungen in der Berufsbildungsforschung
in der folgenden Abbildung (Abb. 2) dargestellt worden. Ergänzend
zu dieser eindimensionalen Darstellung ist hinzuzufügen,
dass es zwischen jeder Wissenschaft mit jeder anderen Wissenschaft
Schnittmengen geben kann bzw. gibt. Diese Schnittmengen und
die mit der Berufs- und Wirtschaftspädagogik sind zudem
qualitativ und quantitativ von unterschiedlicher Bedeutung,
was in der Abbildung ebenfalls nicht visualisiert worden ist.
Abb. 2: Bereichsbezogene Verflechtungen in der Berufsbildungsforschung
Quelle: BUER/KELL (1999, 32).
Zur Datenbasis
Als Konsequenz aus einer Erweiterung des ursprünglichen
Auftrages (vgl. BUER/KELL 1999, 4/5) wurde die Befragung zur
universitären Berufsbildungsforschung über den 'inneren'
Kreis der berufs- und wirtschaftspädagogischen Institute
hinaus ausgeweitet. Insgesamt wurden ab 1997 Fragebogen an
die folgenden Institute, Seminare etc. in Deutschland versandt:
o an Institute, an denen Berufsschullehrerinnen und ?lehrer
ausgebildet werden;
o an Institute, die im Kontext der Ausbildung von Diplom-Pädagoginnen
und Pädagogen Lehrveranstaltungen für einen Studienschwerpunkt
"Betriebliches Ausbildungswesen" (nach der KMK-Rahmenordnung
für diesen Studiengang von 1969) bzw. mit davon abweichenden
Bezeichnungen anbieten, wie Berufs- und Wirtschaftspädagogik
oder Betriebspädagogik;
o an Personen, die aufgrund ihres wissenschaftlichen Werdegangs
und persönlicher Interessen auch Berufsbildungsforschung
durchführen und sich an den Diskussionen in der Kommission
BWP beteiligen;
o an solche Institutionen und Personen (mittels zweier modifizierter
Fragebögen), die im Bereich der vorberuflichen Bildung
und im Bereich der Erwachsenenbildung mit dem Schwerpunkt
"berufliche/betriebliche Weiterbildung" oder mit
Bezügen dazu tätig sind;
o an exemplarisch ausgewählte Institute, die Berufsbildungsforschung
mit anderen wissenschaftlichen Orientierungen durchführen
(Arbeitswissenschaft; Betriebswirtschaftslehre; Arbeits- und
Sozialrecht; Bildungsökonomie/Bildungsplanung; Psychologie;
Hochschulforschung).
Der Rücklauf gestaltete sich durchaus unterschiedlich:
Nur mittels intensiver telefonischer sowie weiterer schriftlicher
Nachfragen war es möglich, einen relativ vollständigen
Datenkorpus zu erzeugen. Dieser Datenkorpus ist aus der Befragung
von 45 Universitäten mit Berufsschullehrerausbildung und
von 6 Universitäten ohne Berufsschullehrerausbildung, aber
mit Berufsbildungsforschung gewonnen. Von diesen 51 liegen Rückmeldungen
aus 44 Standorten vor (86%). Da von einigen Standorten mehrere
Fragebogen vorliegen (10), setzt sich dieser Datenkorpus aus
insgesamt 73 Einzeldateien zusammen.
Die Struktur der Befragung hat zu fünf Datenkorpi geführt,
die getrennt ausgewertet werden (können):
o Gesamtdatei mit insgesamt 108 Eintragungen;
o Daten zur berufs- und wirtschaftspädagogisch orientierten
Berufsbild-
ungsforschung mit insgesamt 73 Eintragungen;
o Daten zur Berufsbildungsforschung im Bereich der vorberuflichen
Bildung mit insgesamt 9 Eintragungen;
o Daten zur Berufsbildungsforschung im Bereich der beruflichen
Weiterbildung mit insgesamt 5 Eintragungen.
Da nur der Datenkorpus zur Berufs- und Wirtschaftspädagogik
als systematisch erhoben angesehen werden kann, geht auch nur
dieser in die im Folgenden vorgelegten Datenanalysen ein.
Ergebnisse zur Kooperation und Kommunikation in der universitären
Berufsbildungsforschung Kooperation und Kommunikation der universitären
Berufsbildungsforschung wird hier unter drei Gesichtspunkten
betrachtet:
o Hochschulintern als Kooperation mit anderen Fächern/Instituten
o Hochschulextern als Kooperation
a) mit den berufs- und wirtschaftspädagogischen Instituten
anderer Hochschulen in Deutschland,
b) mit außeruniversitären Instituten in Deutschland,
c) mit Institutionen im Ausland.
Die folgenden Auswertungen zeigen, in welchem Ausmaß
Kooperationen der Forschungs- und Arbeitseinheiten über
den eigenen internen Zusammenhang hinaus vorliegen. Insgesamt
zeigen die Analysen, dass in der außeruniversitären
Berufsbildungsforschung Kooperationen eher selten sind. In
den Abbildungen 3 und 4 werden die intra- und interuniversitären
Kooperationen sichtbar.
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Abb. 3: Kooperationen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik
innerhalb der eigenen Universität/Hochschule
Abbildung 3 zeigt eine verhältnismäßig
geringe Ausprägung der Kooperation innerhalb der eigenen
Universität: Fast 40% der berufs- und wirtschaftspädagogischen
Forschungseinheiten pflegen keine Kooperation innerhalb ihrer
Universität oder Hochschule, weitere 28% mit nur einer
anderen Abteilung. Das lässt auf eine nur marginale interdisziplinäre
Eingebundenheit berufs- und wirtschaftspädagogischer
Berufsbildungsforschung in der eigenen Hochschule schließen.

Abb. 4: Kooperationen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik
zwischen den Universitäten und Hochschulen in Deutschland
Die Kooperation mit anderen Universitäten und Hochschulen
in Deutschland (Abbildung 4) hingegen ist deutlich intensiver
ausgeprägt; so pflegt fast ein Drittel aller Forschungs-
und Arbeitseinheiten intensivere Kontakte mit 2-3, weitere
29% mit mehr als 3 Universitäten. Hier handelt es sich
überwiegend um Kontakte zu berufs- und wirtschaftspädagogischen
Instituten bzw. Forschern an anderen Hochschulen.

Abb. 5: Kooperationen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik
mit außeruniversitären Institutionen in Deutschland
Hier wird ein deutlicher Schnitt' zwischen der universitären
Berufs- und Wirtschaftspädagogik und den außeruniversitären
Institutionen sichtbar, vor allem auch den Institutionen,
die Berufsbildungsforschung betreiben oder fördern. 44%
der Arbeitseinheiten pflegen keinerlei Kooperationen, weitere
31% mit nur einer Institution. Allerdings kooperieren 11%
der Hochschulinstitute mit mehr als drei außeruniversitären
Institutionen.
Abb. 6: Kooperationen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik
mit Institutionen im Ausland
Vervollständigt wird dieses Bild eher starker Zurückhaltung
in der Kooperation mit anderen Institutionen und Organisationen
durch das Ausmaß intensiver Kontakte mit Institutionen
im Ausland: Mehr als die Hälfte der berufs- und wirtschaftspädagogischen
Arbeitseinheiten pflegt keine Kooperationen mit dem Ausland,
lediglich 18% pflegen einen intensiven Kontakt mit einer ausländischen
Institution. Nur 10% können auf regelmäßige
Kontakte mit mehr als drei Institutionen im Ausland verweisen.
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5.
Zusammenfassender Ausblick |
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Mit Bezug zu diesen Ergebnissen lässt sich hinsichtlich
der Kooperation zwischen den an Berufsbildungsforschung Beteiligten
eine nur schwach ausgeprägte Struktur konstatieren, die
sich im Wesentlichen über die Kooperation innerhalb der
universitären Disziplin, also zwischen berufs- und wirtschaftspädagogischen
Forscherinnen und Forschern gestaltet und somit überwiegend
nicht interdisziplinär angelegt (und darüber hinaus
auch nicht international ausgerichtet) ist.
Angesichts der spezifischen Konstellationen in der Moderne
wurde eingangs eine Notwendigkeit zur disziplinen- und fachübergreifenden
Wissensintegration allgemein und hier speziell für den
Bereich der universitären Berufsbildungsforschung festgestellt.
Ausgehend von der Annahme, dass Kooperationen ein erster Schritt
zur Integration sein können, sollten deren sukzessive
Etablierungschancen über die Betrachtung bestehender
Kooperationsbeziehungen geprüft werden.
Legt man nun die vorliegenden Ergebnisse zu Grunde, so bleibt
wenig Raum für Optimismus: Die Implementation tragfähiger
interdisziplinärer Kooperationsstrukturen innerhalb der
Berufsbildungsforschung an den deutschen Hochschulen weist
angesichts der Tatsache, dass fast die Hälfte der befragten
Institute keine inneruniversitären Kooperationen pflegt,
erheblichen Nachholbedarf auf.
Hier wäre also eine Weiterentwicklung in der Organisation
der wissenschaftlichen Disziplinen in den Hochschulen gefragt,
die das fragile Netz bisher bestehender Kooperationen stärken
und ausbauen. Könnten in diesem Sinne z. B. die mit der
Einführung gestufter Studiengänge (Bachelor und
Master) wie derzeit in NRW zwingend notwendig werdenden Abstimmungsprozesse
unter günstigen Bedingungen inneruniversitär zum
Auf- bzw. Ausbau interdisziplinärer Kooperationsstrukturen
beitragen bzw. systematisch genutzt werden? Unter den gegebenen
Bedingungen ist einer solchen Erwartung gegenüber wohl
eher Skepsis angebracht, denn Voraussetzung dafür wäre
m. E. mindestens die Implementierung verbindlicher Verfahrensregeln
für die curriculare Gestaltung, die die Frage der Beteiligten
aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen
ebenso verpflichtend regeln wie die maßgebenden Kriterien
und Ansprüche.
Insgesamt ist und bleibt Kooperationsauf- und -ausbau bis
auf weiteres eine zentrale Herausforderung speziell auch in
der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Denn so ließen
sich zunächst die notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen
für eine sozialwissenschaftlich-interdisziplinäre
Qualifikations- und Curriculumforschung implementieren, die
den Anforderungen der Subjektbildung unter den Bedingungen
der Moderne gerecht werden kann.
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Literatur |
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