wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

THOMAS BERBEN (TU-Hamburg-Harburg)

Der Modellversuch "Berufliche Qualifizierung 2000" und die Umsetzung der Neuordnung in den Elektroberufen


Auch bei der ab August 2003 zu realisierenden Neuordnung der elektrotechnischen Berufe werden in den Berufsschulen lernfeldstrukturierte Rahmenlehrpläne umzusetzen sein. Wie in vielen anderen Bereichen, so stehen auch die Lehrenden dieses Berufsfeldes vor den Anforderungen, die der vielschichtige Paradigmenwechsel dieser Lehrpläne mit sich bringt. Von der Fachwissenschaft zur Arbeitsprozess- bzw. Handlungsorientierung und von der Lehrerzentrierung zur Individualisierung der Lernprozesse, um zwei der wesentlichen Leitlinien zu nennen. Dieser Beitrag stellt in knapper Form die Erfahrungen des Modellversuchs "Berufliche Qualifizierung 2000" dar, in dem basierend auf den herkömmlichen Ordnungsmitteln die schulische Umsetzung des Lernfeldkonzepts erprobt wurde (Dieses Projekt mit der Laufzeit von November 1998 bis Juni 2001 war im BLK-Programm "Neue Lernkonzepte in der dualen Berufsbildung" angesiedelt. Weitere Informationen, die Veröffentlichungsliste sowie der Abschlussbericht finden sich unter www.pbb.tu-harburg.de/proj-b2t/ber2000.htm ). Das Projekt wurde an der Staatlichen Gewerbeschule Energietechnik (G10) in Hamburg durchgeführt und vom Arbeitsbereich Prozesstechnik und Berufliche Bildung der TU-Hamburg-Harburg (TUHH) wissenschaftlich begleitet.


1. Ausgangspunkt, Ziele und Gestaltungsprinzipien des Modellversuchs

Die Projektidee entstand Anfang 1994 auf Initiative einer Gruppe von Lehrern, die in ihrer täglichen Arbeit eine Reihe von Defiziten feststellten, diese analysierten und gemeinsam Wege zur Abhilfe ergründeten. So wurden die mangelnde Motivation vieler Schüler, die in einigen Berufsgruppen hohe Abbrecherquote, die unzureichend praktizierte Leistungsdifferenzierung und die unbefriedigende Umsetzung des Bildungsauftrages des Hamburger Schulgesetzes zum Ausgangspunkt der Bemühungen. Die Bestandsaufnahme führte zur Formulierung von Zielen und Gestaltungsprinzipien, welche die tragenden Säulen des Modellversuchs bildeten (siehe Abb. 1).


Abb. 1: Ziele, Gestaltungsprinzipien und Ergebnisse des Modellversuchs

Unter einem modularisierten Lernangebot sind nach dem Verständnis des Modellversuchs Lernsituationen zu verstehen, die arbeitsprozessorientiertes, fächerübergreifendes und handlungsorientiertes Lernen ermöglichen und dabei Strukturen für individuelles Lernen bieten. Als ganzheitliche Lernumgebung wurden für das Projekt zwei "Integrierte Fachraumkomplexe" eingerichtet. Dabei entsprechen unseres Erachtens die skizzierten Ziele und Gestaltungsprinzipien sowie die Vorgehensweise einer "Bottom-up-Implementation" des Lernfeldansatzes (Mit dem darüber hinaus gehenden modularen Konzept kann durch die Ausgestaltung der Lernsituationen als Pflicht-, Wahl- und Spezialisierungsmodule eine flexible Gestaltung im Bereich der fachlichen Spezialisierung sowie die Nutzung für mehrere Berufe ermöglicht werden. Dies wird aber erst im Rahmen der Umsetzung der neuen Rahmenlehrpläne zu realisieren sein.), da ausgehend von der zielgerichteten Umsetzung des Unterrichts sowohl Schulorganisation und -entwicklung betrieben als auch die Folgen für die Gestaltung der Ordnungsmittel diskutiert wurden. Ausgehend von diesen Implementationsebenen werden die Ergebnisse des Projektes dargestellt.

2. Die schulische Gestaltung von Lernsituationen (Mikroebene)

Die Konzeption wurde mit insgesamt rund 300 Schülern der Berufe Energieelektroniker (Industrie) und Elektroinstallateur (Handwerk) in zwei Durchgängen von jeweils einem Jahr erprobt. In diesem Rahmen absolvierten die Schüler in jeweils 3-4 Wochen Blockunterricht vier komplexe Lernsituationen.


Abb. 2: Übersicht über die in beiden Berufen realisierten Lernsituationen


Ein wesentliches Gestaltungsmerkmal der Lernsituationen ist die Orientierung an berufsrelevanten, exemplarischen Arbeitsprozessen. Im Projekt ergab sich ein Unterrichtsablauf, der aus einer Verschränkung von Schülerselbstständigkeit sowie Instruktions- und Moderationsphasen durch die Lehrer geprägt ist und sich entlang der Handlungsschritte des Arbeitsprozesses bewegt, wie z. B. in der ersten Lernsituation der Energieelektroniker Planen, Durchführen, Kontrollieren und Bewerten der Veränderung einer automatisierten Produktionsanlage. Für die nachhaltige Kompetenzentwicklung bei den Schülern haben sich dabei vor allem die Abschnitte der gezielten Unterstützung einzelner Kompetenzbereiche sowie die Phasen der Reflexion und Systematisierung des Erlernten als förderlich erwiesen (vgl. Abb. 3).


Abb. 3: Vereinfachtes Ablaufschema einer Lernsituation (vgl. Berben 2003)

Ein wesentliches Gestaltungsmerkmal des Projektes war die integrierte Bearbeitung der in der Aufgabenstellung bzw. dem Arbeitsprozess immanenten politischen, ökonomischen, ökologischen oder ökonomischen Zusammenhänge durch die Einbindung der allgemeinbildenden Fächer. Die Ergebnisse des Projektes belegen eine positive Wirkung des Ansatzes in Bezug auf die ganzheitliche Förderung der Handlungskompetenz, die Motivation der Lernenden und die Schülerorientierung, was sich u. a. in der Steigerung des Verwertungsbezuges aus Sicht der Schüler niederschlug . Diese Form des Lehr-Lern-Arrangements läuft jedoch Gefahr, durch das ausschließliche Abarbeiten der Arbeitsprozessschritte zur reinen Anpassungsqualifizierung zu verkommen. Auch das zu erstellende Produkt droht wichtige Phasen der Reflexion und des Transfers zu dominieren bzw. auf ein Minimum zu reduzieren. Die wesentliche Qualitätssteigerung im Sinne der Förderung von Kompetenzentwicklung und der Erfüllung des Bildungsauftrages stellt sich erst mit der bewussten Reflexion der vollzogenen Handlungen, der Systematisierung und Verallgemeinerung der Ergebnisse, der Phasen des Methodenlernens und der ganzheitlichen Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung und deren Gestaltungspotenzialen ein.

3. Entwicklung der Schulorganisation (Mesoebene) *Dieser Bereich der Projektarbeit wird von BERBEN/BÄNSCH/KLÜVER (2001) ausführlich beschrieben

Zur Umsetzung des skizzierten Konzeptes bildeten sich eng kooperierende Lehrerteams, die gemeinsam die Planung, Durchführung und Kontrolle der Lernsituationen und der komplexen Lernumgebung realisierten. Im Projekt haben sich Teamgrößen von vier Lehrern mit nahezu gleichen Stundenanteilen (10-12 Stunden) bewährt. Die Teams hatten feste, im Stundenplan verankerte Teamsitzungen sowie ein finanzielles Budget zur Gestaltung der Lernumgebung. In diesem Kontext waren Maßnahmen zum Projektmanagement sowie zur Teamfindung und Entwicklung notwendig, da die meisten Lehrer aufgrund ihrer Sozialisation als Einzelkämpfer i. d. R. über wenig Teamerfahrung verfügten. Die Erstellung von "Integrierten Fachraumkomplexen" hat sich inzwischen als ein wesentlicher Faktor der Schulentwicklung heraus kristallisiert, weil deren durchgängige Einrichtung im Kontrast zum bisher üblichen Labor- und Klassenraumprinzip eine weitgehende Neuorientierung und -gestaltung der Schule zur Folge haben wird. Bei der Ausweitung der Konzeption auf die volle Ausbildungsdauer und die in der Schule unterrichteten Berufe sollten die Lehrerteams und Fachgruppen eine zentrale Rolle übernehmen und ausgehend vom Profil der Schule und in Abstimmung mit den dualen Partnern (Zu diesem Zweck wurde der Modellversuch von einem Beirat mit Vertretern aus Kammern, Innung, Betrieben und den Behörden begleitet.) die schulischen Lernsituationen erarbeiten. Die Motivation für diese zum Teil sehr aufwendige Arbeit, deren positive Wirkungen auf die Lehrtätigkeit sich in der Regel erst nach mehrmaligem Durchführen einstellen, kann u. E. nur aufgebracht werden, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen. Lehrende sollten nach Möglichkeit in maximal zwei Bildungsgängen aktiv sein, die selbst erarbeiteten Lernsituationen auch auf Dauer unterrichten und weiter entwickeln, in dauerhaften Lehrerteams arbeiten und mit diesen über weitgehende Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheiten verfügen können.

4. Modellversuchsergebnisse und Lehrplangestaltung (Makroebene)

Modellversuchsbegleitend wurde an der TUHH ein Konzept zur Analyse beruflicher Handlungssysteme im Handwerk erarbeitet und am Beispiel des Elektroinstallateurs umgesetzt (vgl. HÄGELE 2002). Mit Hilfe dieser Studie konnten die Lernangebote evaluiert und weiter entwickelt werden. Weiterhin wurden die Ergebnisse und die Modellversuchserfahrungen in die Arbeit der Rahmenlehrplankommission eingespeist (vgl. BERBEN/BÄNSCH 2002), in die ein projektbeteiligter Lehrer maßgeblich involviert war. Die Produkte der Handlungssystemanalyse dienen weiterhin als Grundlage für die Gestaltung der Lernsituationen bei der Weiterführung des Konzepts (Aktuelle Diskussionen um die Ausweitung der Arbeitsbelastung, z. B. durch neue Arbeitszeitmodelle oder die massive Umstrukturierung der Berufsschulen wirken da eher kontraproduktiv.).

5. Weiterführung des Konzeptes

Seit Abschluss des Projektes wurden die Lernsituationen mit weiteren Schülern umgesetzt und durch die Arbeit der Lehrerteams kontinuierlich weiter entwickelt. Zurzeit arbeiten zwei Arbeitskreise an der Abstimmung mit den inzwischen vorliegenden lernfeldorientierten Rahmenlehrplänen und der Ausweitung auf die gesamte Ausbildungsdauer. In Zusammenarbeit mit einem Lehrerteam im Handwerk wird am Beispiel des Elektronikers für Energie- und Gebäudetechnik (den ehemaligen Elektroinstallateuren) von der TUHH ein fachdidaktisches Konzept für die Gestaltung von Lernsituationen erarbeitet.


Literatur:

BERBEN, T. (2003): Arbeitsprozessorientierte Gestaltung von Lernsituationen. Erscheint in: lernen & lehren. 18. Jg., H. 70.

BERBEN, T./BÄNSCH, R./KLÜVER, J. (2001): Das Lernfeldkonzept und die Entwicklung der Schulorganisation dargestellt am Modellversuch Berufliche Qualifizierung 2000. In: GERDS, P./ZOELLER, A. (Hrsg.): Das Lernfeldkonzept der Kultusministerkonferenz. W. Bielefeld: Bertelsmann, 181-205.

BERBEN, T./BÄNSCH, R. (2002): Der Modellversuch Berufliche Qualifizierung 2000 vor dem Hintergrund der Neuordnung der Elektroberufe. In: lernen & lehren. 17. Jg., H. 67, 109-115.

BERBEN, T./KLÜVER, J. (2002): Was können Berufsschulen gegen Ausbildungsabbruch bewirken? In: JENEWEIN, K./BOHLINGER, S. (Hrsg.): Ausbildungsabbrecher - Verlierer der Wissensgesellschaft? Bielefeld, 97-109.

HÄGELE, T. (2002): Identifizierung und Strukturierung handwerklicher Arbeitsprozesse. Dissertation. Universität Hamburg. Online unter:
http://www.sub.uni-hamburg.de/disse/787/dissertation.pdf  (05-05-03)