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Lernfeldarbeit
im Bildungsgang Automobilkaufmann/Automobil-kauffrau an der Staatlichen
Handelsschule Holzdamm (H 11)
Der Bildungsgang Automobilkaufmann/Automobilkauffrau wurde Mitte der 1990er
Jahre im Rahmen der Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums "Zwanzig
neue Berufe" entwickelt. Die Ausbildung startete an der H 11 erstmalig
zum 1. August 1998. Heute bestehen in den drei Jahrgängen insgesamt
9 Klassen mit 210 Auszubildenden.
In Hamburg war die Ausbildung im Kraftfahrzeughandel bereits seit Mitte
der 1950er Jahre im Unterricht und auch in der Prüfung besonders
branchenbezogen ausgerichtet. Die Einrichtung des Fachbereichs 8 (Kraftfahrzeuge,
Teile und Zubehör) war ein wichtiger Schritt bei der Neuordnung der
Ausbildung im Einzelhandel 1987. Bei der Ausarbeitung des Rahmenlehrplans
für den Bildungsgang Automobilkaufmann/Automobilkauffrau sind wesentliche
Erfahrungen aus dem bereits sehr branchenbezogenen Unterricht für
Auszubildende aus Autohäusern durch eine Lehrkraft der Schule eingebracht
worden. Bei der Umsetzung der Lernfelder konnten die Ergebnisse des Modellversuchs
"Schlüsselqualifikationen im Einzelhandel" sowie die langjährigen
Erfahrungen mit dem konkurrenzorientierten Simulationsmodell STRATEGE
eingebracht werden.
Der Beschluss der KMK zum Rahmenlehrplan für die Ausbildung von Automobilkaufleuten
empfiehlt den Ländern, den Rahmenlehrplan (vgl. www.hh.schule.de/h11/
) unmittelbar zu übernehmen oder in eigene Lehrpläne zu integrieren.
Die Umsetzung in Hamburg folgte dem Modell "Bündelung".
Die Stundentafel ordnet die zwölf Lernfelder sieben neuen Fächern
zu.
1. Ausgangslage
Im Rahmen des Modellversuches "Schlüsselqualifikationen im Einzelhandel"
wurde an der H 11 bereits seit Anfang der neunziger Jahre fächerübergreifendes
Unterrichten in Lernarrangements geplant und in Fachklassen des Kraftfahrzeughandels
durchgeführt und ständig weiterentwickelt. Daher blicken die
meisten Kollegen auf eine gewisse Tradition auf dem Gebiet des Lernens
in Handlungszusammenhängen zurück, so dass zwar die Begrifflichkeit,
nicht aber die Inhalte der Lernfeldkonzeption wirklich als Neuland betrachtet
werden. Ein Vergleich mit dem bis dahin praktizierten Arbeiten in "Handlungssträngen"
zeigt tatsächlich eine Reihe von Gemeinsamkeiten.
2. Grundüberlegungen zur Umsetzung des Lernfeldkonzeptes
Die zunächst von der KMK vorgegebene einheitliche Anzahl von Lernfeldern
in den unterschiedlichen Ausbildungsberufen und die anfängliche Behördenvorgabe
einer Mindestanzahl von Unterrichtsfächern erschwerten die Umsetzung
des Lernfeld-Konzeptes in der Schule. Diese Probleme können als unvermeidbare
Begleiterscheinungen einer Neuentwicklung betrachtet werden, zumal sich
bei näherer Betrachtung der neuen Lernfeldkonzeptionen eine Reihe
von Vorteilen offenbaren.
Da die - in der Regel vernünftig formulierten - Rahmenlehrpläne
nicht mehr auf Landesebene in Lehrplänen konkretisiert werden, sondern
vor Ort an der Schule - im Idealfall unter Einbeziehung der Lernortkooperation
- konkretisiert werden, bieten sich den Lehrkräften wesentlich mehr
Möglichkeiten, den Unterricht auf die aktuellen Anforderungen der
Betriebe oder auch der Schüler abzustellen. Die Gefahr veraltender
Lehrpläne besteht nicht mehr. Nach fünf Jahren Erfahrung im
neuen Bildungsgang bleibt festzustellen, dass das Unterrichten nach dem
Rahmenlehrplan inhaltlich befriedigender ist, als nach den ursprünglichen
Lehrplänen.
Als nachhaltiges Problem erweist sich bei den bundesweiten Prüfungen
in diesem Bildungsgang auf der Basis von AKA-Aufgaben aber die verstärkte
Ausrichtung auf den Katalog der Prüfungsinhalte. Der Katalog der
Prüfungsinhalte für Automobilkaufleute konkretisiert zwangsläufig
den Rahmenlehrplan - und zementiert gleichzeitig aufgrund der Dauerhaftigkeit
dieses Kataloges die Inhalte - wenn man die Auszubildenden auf die Prüfung
vorbereiten will und im bundesweiten Prüfungsranking vorne mitmischen
will.
Die mit der Lernfeldkonzeption verbundene Absicht, aus betrieblichen Handlungsabläufen
Lernfelder zu schneiden, ist sinnvoll und wird - sofern die Lernfelder
handwerklich sauber geschnitten sind - nicht in Frage gestellt. Ein entsprechender
Unterricht wird aufgrund der geforderten Praxisorientierung nicht umhin
kommen, betriebliche Wirklichkeit in der Berufsschule darzustellen. Wenn
dieser Anspruch ernst genommen wird, gelingt dies in unterrichtsalltäglicher,
also standardisierter Form nur durch die Simulation einer oder mehrerer
Firmen.
In den größeren Autohäusern, die in Hamburg die überwiegende
Zahl von Auszubildenden stellen, finden die betrieblichen Tätigkeiten
von Auszubildenden überwiegend in wenigen betrieblichen Stationen/Abteilungen
statt und lassen in ihren praktischen Handlungen in ihrer Summe/im Zeitablauf
nicht immer einen größeren Zusammenhang erkennen. Ausgehend
von diesem Problem, muss eine Firmensimulation dem Anspruch gerecht werden,
betriebliche Handlungsabläufe umfassend - also "ganzheitlich"
- abzubilden und - verzahnt mit den Handlungsabläufen - die dafür
erforderlichen fachlichen und sozialen Kompetenzen zu vermitteln. Genau
hier liegt die Existenzberechtigung der Berufsschule, nicht in einer reinen
Wissensvermittlung und nicht in einer reinen Übernahme von Praxis
in Realprojekten.
Der simulierte Betrieb muss sich nun in einem Szenario bewegen, das von
den Schülern die Identifizierung und Durchführung aller kaufmännischer
Tätigkeiten verlangt, die für die Ausbildung wichtig sind. Unterstellt
sei dabei, dass der Rahmenlehrplan und damit die Lernfelder genau die
dafür notwendigen Kompetenzen auch einfordern. Existieren zusätzliche
Lernfeldinhalte, die also nicht durch kaufmännische Tätigkeiten
abgebildet werden können, ist zu prüfen, ob ein handwerklich
sauberer Rahmenlehrplan vorliegt. Angesichts der noch jungen Geschichte
von Lernfeldern sind Kinderkrankheiten zu erwarten und kein Beinbruch,
sofern man die bestehenden Rahmenlehrpläne nicht zum Dogma erhebt.
Die Simulation einer Firma wird seit vielen Jahren in den Lernbüros
der Berufsfachschule durchgeführt und mag dort, wo die betriebliche
Praxis als Anschauungsobjekt fehlt, ein probates Mittel sein. Das Lernbüro
wird aber immer dann als Lernfeldträger scheitern, wenn als Vergleichsmaßstab
die Realität zur Verfügung steht.
3. Die Grundbausteine des H 11-Konzeptes
Einen eigenen Weg geht die H 11 im Bereich der Lernfeldumsetzung im Bildungsgang
Automobilkaufmann/Automobilkauffrau. Hier kommt über einen Großteil
der Ausbildungszeit das Unterrichtskonzept STRATEGE zum Einsatz:
· Unterricht in Handlungszusammenhängen und nicht in Fachsystematiken.
· Die Schüler arbeiten in Kleingruppen, die jeweils einen
Betrieb darstellen. Alle Betriebe konkurrieren auf einem simulierten Markt.
· Ein PC-gestütztes Firmenverwaltungsprogramm (STRATEGE) simuliert
die Außenbeziehungen durch betriebswirtschaftlich aufbereitetes
Zahlen- und Datenmaterial: Jede Firma erzielt so unterschiedliche Absätze,
erhält Belege wie Rechnungen, Lieferscheine, Kontoauszüge, Quittungen
und Schriftverkehr. Dadurch erfahren die Schüler realitätsnahe
Auswirkungen ihres Handelns.
· In Rollenspielen via Telefon oder in persönlichem Kontakt
müssen sich die Schüler gegenüber Kreditgebern und Geschäftspartnern
sowie Kunden behaupten oder durchsetzen.
· Unverzichtbarer Bestandteil des Konzeptes sind einem Lernbüro
vergleichbare Raumgrößen und Ausstattungen mit einem zusätzlichen
Nebenraum für Besprechungen, Materialsammlungen und der Hardware
für das Firmenverwaltungsprogramm. Entsprechend der Anzahl der teilnehmenden
Auszubildenden können bis zu acht Betriebe gebildet werden. Die Raumgestaltung
ermöglicht pro Firma eine Schreibtischinsel mit 3 bis 4 Arbeitsplätzen,
Haustelefonanschluss und EDV-Ausstattung. Die Schreibtischinseln sind
so angeordnet, dass die Kommunikation in den einzelnen Unternehmen möglich
ist, ohne andere zu stören.
Nach 5 Jahren Lernfeldarbeit fand jetzt eine umfassende Evaluation statt.
Für den Automobilkaufmann wurde diese von der Universität Hamburg
begleitet und in deren Rahmen eine Reihe von Interviews mit Lehrern und
Schülern durchgeführt. Folgende Ergebnisse sind festzuhalten:
4. Analyse des Lernfeld-Unterrichts
STRATEGE wird als Lehr-Lern-Arrangement im Fach Unternehmensführung
und Verwaltung eingesetzt, dem die Lernfelder 2, 4, 6 und 10 zugeordnet
sind. Im Verlaufe des Betrachtungszeitraums der Analyse - dem ersten Ausbildungsjahr
des laufenden Schuljahres - wurden die Inhalte der Lernfelder 2 (Bestände
und Wertströme erfassen und dokumentieren) und 4 (Teile und Zuberhöraufträge
bearbeiten) vollständig und die Inhalte der Lernfelder 6 (Am Jahresabschluss
und an der Kosten- und Leistungsrechnung mitwirken) und 10 (Erfolgskontrollen
durchführen und Kennzahlen für betriebliche Entscheidungen aufbereiten)
in Teilen behandelt.
Der Fächer übergreifende und Lernfeld übergreifende Unterricht
(Modell "Bündelung") fand beispielsweise bei den Präsentationen
zur Rechtsform eines Unternehmens statt oder auch bei der Ausarbeitung
von Stellenbeschreibungen. Inhaltlich sind beide Sachverhalte dem Lernfeld
1 und damit dem Fach Wirtschaft und Gesellschaft zuzuordnen. Unter Berücksichtigung
methodischer und sprachlicher Aspekte der Präsentation vor dem Plenum
ist auch eine Zuordnung zum Fach Sprache und Kommunikation möglich.
Durch das Einbringen einer fremdsprachigen Komponente bei der Bestellabwicklung
mit einem englischen Großhändler war der Bezug zum Fach Fachenglisch
hergestellt.
Die Analyse des STRATEGE-Szenarios zeigt den handlungsorientierten Ansatz
des Lehr-Lern-Arrangements. Damit kann die Kompatibilität zu den
didaktischen Grundsätzen des lernfeldorientierten Rahmenlehrplans
mit Hilfe der dort aufgeführten Orientierungspunkte für die
Gestaltung eines handlungsorientierten Unterrichts nachgewiesen werden.
Als didaktische Bezugspunkte gelten dort Situationen, die für die
Berufsausübung relevant sind und ein Lernen für Handeln ermöglichen
sollen. Eine solche Situation stellt bei STRATEGE beispielsweise die Bestellung
von Autozubehörteilen beim Großhändler dar.
Bei der Konzipierung der Handlungsprozesse durch die Lehrer sollte ein
ganzheitliches Erfassen der beruflichen Wirklichkeit im Vordergrund stehen.
Um beim Beispiel des Bestellvorgangs zu bleiben: hier wird die ganzheitliche
Betrachtung beispielsweise durch Integration von rechtlichen oder technischen
Aspekten im Verlauf der fünf Perioden gefördert.
Des Weiteren wird in den didaktischen Grundsätzen empfohlen, dass
die Handlungen in die Erfahrungen der Lernenden integriert und in Bezug
auf ihre gesellschaftlichen Auswirkungen reflektiert werden. Auch hier
bietet STRATEGE als Lehr-Lern-Arrangement auf Grund seiner marktorientierten
Konzeption Lösungen an, da die Schüler die Bezüge zwischen
realer Firmenarbeit in ihrem Ausbildungsbetrieb und der Darstellung in
STRATEGE durchaus wahrnehmen.
Dass Handlungen der Auslöser für soziale Prozesse sind, wurde
bei STRATEGE in zweifacher Weise erkennbar und erlebbar: Zum einen wurden
Konfliktsituationen im Rahmen der eigentlichen simulierten Firmenarbeit
konstruiert, wenn es z.B. um simulierte Auseinandersetzungen mit Marktteilnehmern
im rechtlichen Bereich ging. Zum anderen entwickelten sich solche sozialen
Prozesse innerhalb der Schülergruppen, die die Einzelhandelsbetriebe
repräsentierten. Dies äußerte sich z.B. in der Art und
Weise wie die Schüler als Team agierten und wie sie innerhalb des
Teams miteinander umgingen.
5. Die Meinung der Lehrer über die Lernfeldarbeit
Die Ansätze bzw. Intentionen, die den Lernfeldansatz ausmachen -
insbesondere die Handlungsorientierung - werden von den Lehrern insgesamt
positiv bewertet. Auf der Unterrichtsebene stellt es für sie deshalb
kein Problem dar, STRATEGE als didaktische Methode in einen lernfeldorientierten
Rahmenlehrplan einzubetten. Allerdings sehen sie eine konsequente und
dauerhafte Umsetzung des lernfeldorientierten Rahmenlehrplans angesichts
der im Hamburger Bildungssystem geplanten Einsparungen gefährdet.
Darüber hinaus ist für sie die besondere Struktur des lernfeldorientierten
Lehrplans nur schwer an Schüler und Ausbilder zu vermitteln, da er
nicht mit dem Stoffkatalog der bundesweiten Prüfungen identisch ist.
Die Lehrer sehen sich bei STRATEGE nicht in ihrer tradierten Rolle, die
lehrerzentrierten Unterricht impliziert, sondern vor allem als Koordinatoren
und Gestalter, die den Schülern in ihrem Lernfortschritt Impulse
geben. Dennoch finden auch prüfende und kontrollierende Aktivitäten
von Seiten der Lehrer statt.
Die Schüler erfahren sich im STRATEGE-Unterricht in einer neuen Rolle.
Diese Rolle verlangt von ihnen vor allem selbstständiges Lernen und
die Bereitschaft zur Teamarbeit. Die Rollenverständnisse bei Lehrern
und Schülern sind im STRATEGE-Konzept so authentisch, dass das eigene
Rollenverständnis auch jeweils vom Gegenüber so gesehen wird.
6. Die Meinung der Auszubildenden über die Lernfeldarbeit
Die Reflexion von STRATEGE durch die Schüler bestätigt in der
Mehrheit die Realisierung der Intentionen, die die Lehrer mit dem Einsatz
von STRATEGE verbinden. In den Interviews waren aber auch Schülermeinungen
zu vernehmen, die nach wie vor den Frontalunterricht als Unterrichtsform
präferieren. Das hat nach Meinung der Lehrer durchaus seine Berechtigung,
da die Lernprozesse der Schüler nicht alle auf die gleiche Art und
Weise strukturiert sind.
Eine seit 2002 regelmäßig durchgeführte Befragung von
Auszubildenden zum Lernfeldlernen erbrachte in der aktuellen Klasse mit
dreijährigen Auszubildenden am Ende des ersten Ausbildungsjahres
folgendes Ergebnis:
Tabelle 1: Ergebnisse aus der Befragung von Auszubildenden
7. Schlussbetrachtung und Perspektiven
Das Unterrichtskonzept im neuen Bildungsgang findet bei den dualen Partnern,
den Verbänden und zuständigen Stellen große Anerkennung.
Innerhalb der Schule ist ein Klima gefördert worden, in dem Kollegen
die inhaltlichen Gestaltungsräume als Bereicherung empfinden und
der kollegiale Austausch zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Handlungsorientierte Abschlussprüfungen würden nicht nur einen
separaten Stoffkatalog der Prüfungsinhalte überflüssig
machen, sondern vielleicht auch das Interesse an der Lernfeldarbeit bei
Betrieben und Auszubildenden wecken können.
Im Zuge der bestehenden intensiven Lernortkooperation besteht seitens
der ausbildenden Betriebe bisher nur geringes Interesse, sich mit Lernfeldlernen
intensiver zu beschäftigen. Eine Erklärung dafür mag die
große Zufriedenheit der Ausbildungsbetriebe (und der Auszubildenden)
mit dem Berufsschulunterricht sein. Eine gemeinsame inhaltliche Verknüpfung
der schulischen Lernfelder mit der betrieblichen Ausbildung könnte
zukünftig die Qualität der Berufsausbildung verbessern.
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