wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 

Andrea Hinsch
(Staatliche Schule Gesundheitspflege W 4 in Hamburg)

Auf dem Weg zum Lernfeld



Die W 4

Die Staatliche Schule Gesundheitspflege – W 4 (Internet : www.schule-w4.de , email: w4@bbs.hamburg.de) – ist die zentrale Berufs­schule in Hamburg für die Berufe der Arzt-, Tierarzthelferin und Zahnmedizinischen Fachangestellten (früher: Zahnarzthelferin). Die Auszubildenden werden in Teilzeitform an zwei Tagen in der Woche mit je sechs Stunden beschult. Die reguläre Aus­bildungszeit beträgt drei Jahre.

Im Vollzeitschulbereich stellt die Berufsfachschule Gesundheit (BFS) die größte Schülergruppe. Die Berufsfachschule Gesundheit vermittelt Hauptschülern und Hauptschülerinnen in zwei Jahren eine berufliche Teilqualifikation und erteilt einen Abschluss, der in seinen Berechtigungen dem Realschulabschluss entspricht.

Die Jugendlichen mit Behinderungen im Berufsschulbereich aus dem Arbeitstrainingsbereich der Elbe-Werkstätten werden an zwei Wochentagen im Berufsschulzentrum Wilhelmsburg unterrichtet. Die reguläre Berufsschulzeit beträgt 2 Jahre.

Eine Besonderheit der W 4 ist die Bewirtschaftung des schuleigenen Pausenladens mit Schülerinnen und Schülern des Berufsvorbereitungsjahres Verkauf (BVJ) und der Berufsschule für VerkäuferInnen im Lebensmitteleinzelhandel Berufsschule für Arzthelferinnen.

Die Abteilung Arzthelferinnen an der W 4

Die Auszubildenden zur Arzthelferin erhalten in z. Zt. 38 Klassen an zwei Tagen insgesamt 12 Stunden Berufsschulunterricht, in dem alle berufsrelevanten Inhalte vermittelt werden. Neben dem üblichen Unterricht findet eine Vielzahl von Projekten statt.

Hier eine kleine Auswahl:

•  Projekt: Berufserkundung
Zu Beginn der Ausbildung erarbeiten die Schülerinnen selbständig Grundlagen der Ausbildung. Sie er­kunden verschiedene Arztpraxen und deren spezifische Fachrich­tungen. Dabei befassen sie sich mit ihrer Stellung im Gesund­heitswesen.

•  Projekt: Eine Welt der Vielfalt
Ein Projekt zum Erkennen und Überwinden von Vorurteilen und zum Einüben von Toleranz. Speziell ausgebildete Kollegen und Kolleginnen führen dieses Projekt auf freiwilliger Basis durch.

Erste Schritte zur Entwicklung einer Schulpartnerschaft („sister's agreement“) zwischen der W 4 und dem Robert Morris College in Chicago sind getan. Wir hoffen auf einen Schüleraustausch von Arzthelferinnen und Studierenden des R.M.C.

Der Wandel des Berufsbildes der Arzthelferin hat dazu geführt, im Fach Abrechnung neue inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Die veränderten Arbeitsbedingungen der Schülerinnen in den Praxen haben Auswirkungen auf die Unterrichtsorganisation und Auswahl der Unterrichtsmethoden. In der Lernpraxis „Dr. Wilhelm S. Burg wird mit der Branchensoftware Quincy - WIN von Firma Frey gearbeitet. Jede Schülerin hat eine eigene Praxis und verwaltet ihren eigenen Datenbestand mit ca. 100 repräsentativen Patienten.

Um realistische Praxisbedingungen herzustellen, wurden entsprechende Behandlungsfälle konzipiert und Krankenversichertenkarten für die „Schulpatienten“ beschafft. An ausgewählten Beispielen werden typische Aufgabenstellungen, die sich bei der Praxisorganisation und im täglichen Sprechstundenablauf bei unterschiedlichen Patientengruppen ergeben, erprobt.

Seit August 2003 gibt es an der W 4 eine bilinguale Klasse (siehe unter: www.schule-w4.de), in der die Schülerinnen einen Teil des Fachunterrichts auf Englisch erhalten.

Der Workshop

Wie in anderen Berufen, so soll auch der Beruf der Arzthelferin neu geregelt werden. Diese Neuordnung wird auch Auswirkungen auf den Berufsschulunterricht haben. Es ist vorgesehen, dass die klassischen Unterrichtsfächer durch Lernfelder mit handlungsorientierten Lernsituationen konzipiert werden und die Vermittlung von Handlungskompetenzen in den Vordergrund rücken. Diese Arbeit wird bundesweit in den Berufsschulen erfolgen müssen.

•  Wie sieht es aber an anderen Berufsschulen aus, die im Rahmen des dualen Ausbildungssystems diese Berufe schulisch begleiten?

•  Welche Ansätze bestehen in anderen Berufsschulen in den anderen Bundesländern? „Sind diese schon weiter?“ Gibt es andere Ansätze?

•  Arbeiten andere Berufschulen an den gleichen Schwerpunkten?

•  Welche Formen der Lernortkooperation finden in anderen Bundesländern statt?

Diese und weitere Fragen werden immer wieder auf Lehrer- und Fachkonferenzen diskutiert. Informationen und Austausch mit anderen Schulen ist ein Wunsch vieler Kolleginnen.

Was wäre da nahe liegender, als schon jetzt

•  Kontakte aufzubauen und einen

•  Austausch über den Stand der Dinge zu ermöglichen? Sich über

•  Ansätze für fächerübergreifenden Unterricht, handlungsorientierte Projekte oder der Aufbau von Lernbüros / Lernpraxen zu informieren?

Dies herauszufinden, war das Ziel des Workshops zur schulübergreifenden Vorbereitung auf die Neuordnung der Arzthelferinnen-Ausbildung, der am 09.04.2003 an der W 4 stattfand.

Erste Kontakte mit Herrn Prof. Tramm, der für die wissenschaftliche Leitung des BLK-Modellversuchs CULIK zuständig ist, nahm Frau Marder (stellvertretende Schulleiterin der W 4 ) auf. Dies führte zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen der W 4 und den Beteiligten des CULIK-Projektes, aus der sich viele Anregungen und Ideen für eine mögliche länderübergreifende Zusammenarbeit von Schulen, die Arzthelferinnen ausbilden, ergaben.

Kontakte zu Schulen anderer Bundesländer wurden wieder aufgefrischt, neue Kontakte ergaben sich über das CULIK-Projekt. Das Interesse an einem Austausch war an allen Schulen groß und führte zu dem Workshop an der W 4 , der VertreterInnen aller Schulen zum ersten Mal zusammenbringen sollte.

Am 09.04.2003 empfing die Arzthelferinnen-Abteilung der W 4 als Gäste die Abgesandten folgender Schulen:

Berlin

OSZ I

Schweizer Straße 6 – 8

13349 Berlin

OSZ II

Peterweissgasse 8

12627 Berlin

Nordrhein Westfalen

Berufskolleg 5

Niehler Kirchweg 118

50733 Köln

Niedersachsen

BBS 3

Am Schwalbenberg 26

21337 Lüneburg

Schleswig- Holstein

Dorothea – Schlözer Schule

Jerusalemsberg 1 – 3

23568 Lübeck

Berufliche Schule des Kreises Pinneberg
in Pinneberg

Bahnhofstraße 6 b

25421 Pinneberg

Aus der Schweiz

Herr Beat Keller

Leiter Abteilung Entwicklung

Bildungszentrum für Gesundheitsberufe Kanton Solothurn

Areal Kantonsspital

CH-4601 Olten

In Form einer fishbowl wurde zunächst eine Bestandsaufnahme u. a. zu den Themenbereichen Teambildung und Unterrichtsorganisation vorgenommen. Dabei stellte sich heraus, dass eine strukturierte Teambildung bisher an keiner der teilnehmenden Berufsschulen erfolgt ist. Eine kollegiale Zusammenarbeit in Teams wird von vielen Lehrkräften gewünscht und geplant und erfolgt meist aus individueller Initiative; z. T. werden von den zuständigen Behörden externe Moderatorinnen zur Verfügung gestellt, die diese Teambildung unterstützen. In NRW hat eine kollegiale Zusammenarbeit eine lange Tradition, die Absprachen in den Lehrerteams wirken sich auch positiv auf die Unterrichtsorganisation aus.

In allen vertretenen Berufsschulen ist ein handlungsorientierter Ansatz verbreitet, es findet fächerübergreifender Unterricht zum Teil in Modellpraxen statt. Dabei werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.

In der Schweiz, so berichteten Herr Keller und Herr Kaiser aus Solothurn, erfolgt die Ausbildung zur „Fachangestellten Gesundheit“ in themenorientierten Modulen, die stark an die beruflichen Kompetenzen angebunden sind.

Der Vortrag von Herrn Prof. Dr. TRAMM „Zwischen beruflichem Handlungsfeld, Fachsystematik und Persönlichkeitsentwicklung – Überlegungen und Empfehlungen zur didaktischen Umsetzung von Lernfeldern“ ging zunächst von einer

•  Definition von Lernfeldern aus; stellte eine

•  Zusammenfassung von Postulaten und Kontexten vor und gab Hinweise zur

•  Gestaltung von Lernfeldern und

•  Gestaltung von Lehr- Lern-Arrangements

Ausgehend von der Definition von Lernfeldern gemäß den KMK-HANDREICHUNGEN (1996/1999, S. 14): „Lernfelder sind durch Zielformulierungen, Inhalte und Zeitrichtwerte beschriebene thematische Einheiten, die an beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen orientiert sind…“ und „In den Lernfeldern sind die beruflichen Tätigkeiten didaktisch aufzuarbeiten, dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass der Bildungsauftrag der Berufsschule … umgesetzt wird“ stellte Herr Prof. TRAMM unter der Überschrift „Lernfeldansatz – eine Kopfgeburt der KMK“ vor, in welchen Kontexten der Lernfeldansatz zu sehen ist:

•  Berufsbildungspolitischer Kontext (Stärkung der Berufsschule – Lernortkooperation)

•  Curriculumstrategischer Kontext (Verbesserung der Anpassungsfähigkeit, Dezentralisierung, Profilierung)

•  Curriculumtheoretischer und fachdidaktischer Kontext (Handlungsorientierung, Schlüsselqualifikationen, komplexe Lehr-Lern-Arrangements)

Laut Prof. TRAMM sind die folgenden curricularen und didaktischen Postulate bei der Entwicklung von Lernfeldern zu bedenken:

•  Kompetenzorientierung statt Stofforientierung

•  Überwindung von Zerfächerung des Lernens

•  Abkehr von der Schreib- und Ladentischperspektive

•  Prozessorientierung statt Dominanz der Fachsystematik

•  Situative Einbindung gegen ‚träges Wissen'

•  Arbeitsanaloges Lernhandeln in komplexen Lernumwelten vs. rezeptives Lernen

•  Verknüpfung von Kasuistik und Systematik

Prof. TRAMM befasste sich u. a auch dem scheinbaren Gegensatz von Fachwissen und Lernfeldern: „Die Vermittlung von Orientierungswissen, systemorientiertes Denken und Handeln, das Lösen komplexer Aufgaben sowie vernetzter und exemplarischer Aufgabenstellung sowie vernetztes Denken werden mit einem handlungsorientierten Unterricht in besonderem Maße gefördert. Deshalb ist es unverzichtbar, die jeweiligen Arbeits- und Geschäftsprozesse in den Erklärungszusammenhang zugehöriger Fachwissenschaften zu stellen.“

Für die Gestaltung von Lehr-Lern-Sitationen gibt Herr Prof. TRAMM folgende Hinweise: „Die zentrale didaktische Herausforderung besteht darin, relevante Lerngegenstände so in sinnvolle situative Kontexte zu (re)integrieren, dass sie

•  den Lernenden Anlässe zum aktiv problemlösenden Lernen bieten

•  im Zuge dieses problemlösenden Handelns orientierungs- und handlungsrelevant werden

•  und so von den Lernenden aktiv angeeignet werden können.

Die Umsetzung des Lernfeld-Konzeptes stellt laut Prof. TRAMM an Lehrer und Schule die folgenden Anforderungen:

•  Fächerung und Stundentafeln überdenken

•  Teambildung und Teamarbeit fördern

•  Teilautonome Lehrerteams

•  Flexible Arbeitszeitmodelle

•  Ressourcen und Strukturen verbessern

•  Intensivere Kooperation mit den Betrieben

•  Weiterbildung als organisationales Lernen

Nach der Mittagspause stellte Frau Dierks, eine Kollegin der W 4 und Dozentin des Hamburger Instituts für Lehrerfortbildung ein Planungsraster zur Erstellung von Lernsituationen vor. Dies ermöglichte den TeilnehmerInnen des Workshops einen Einblick in die Gestaltung einer Lernsituation, die für das Unterrichten in Lernfeldern unabdingbar ist. Das Eindenken in dieses Raster machte die Klärung von Begriffen und auch die Zuordnung der zu erwerbenden Kompetenzen erforderlich. Dabei wurden auch die Unterschiede in der Curriculumarbeit für fachbezogenen und lernfeldorientierten Unterricht deutlich.

In der sich anschließenden Gruppenarbeitsphase wurde heftig diskutiert, es wurden Erfahrungen ausgetauscht und Ansätze möglicher Lernsituationen und Lernfelder formuliert. Ziel dieser Arbeitsphase war nicht, ein Planungsraster vollständig zu erstellen, sondern der Austausch und das Ausprobieren. Dies schien insofern am sinnvollsten, da die Ergebnissicherung im Hinblick auf Ideenaustausch, Veränderungsvorschläge und Unterstützungsbedarf als Basis für eine weitere Arbeit angesehen wird. So konnten Probleme diskutiert und nach Lösungsansätzen gesucht werden. Es stellte sich heraus, dass der Bedarf an externer Unterstützung von vielen Kolleginnen als wichtig angesehen wird. Unterstützung wird gewünscht bei:

•  der Verbesserung der Rahmenbedingungen

•  der Bereitstellung von Ressourcen für die weitere Entwicklung von Lernfeldern und Lernsituationen

•  zeitliche Entlastung für die Erarbeitung von Lernsituationen, Zeit für Erfahrungsaustausch

•  der Kommunikation der Schulen in den einzelnen Bundesländern um arbeitsteilig zu arbeiten

•  der Finanzierung von Experten /Moderatoren z. B. im Hinblick auf Begriffsdefinitionen und Umsetzung der Lernfelder

•  der Teambildung und beim Teammanagement

Resümee

Als Konsequenz ergibt sich u. a., dass eine team-, schul- und bundesländerübergreifende Zusammenarbeit sinnvoll wird, die Erstellung eines Infopools könnte diesem Ziele dienlich sein. Mit den teilnehmenden Schulen könnte z. B. über eine Internetplattform eine Informations-, Ideen- und Austauschbörse eingerichtet werden.

Alle Beteiligten waren sich einig, dass bereits während des Neuordnungsverfahrens, mit dessen Beginn im Sommer 2004 gerechnet wird, ein intensiver Austausch unter den Schulen über die geplanten Veränderungen erfolgen soll.