wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 
SANDRA STEINEMANN & FRANZ GRAMLINGER (Universität Hamburg)
Die Umsetzung des Lernfeldkonzepts - (k)ein Lernprozess?

0 Abstract
Seit dem 09.05.1996, dem Zeitpunkt, zu dem das Lernfeldkonzept in den Handreichungen der KMK erstmalig Erwähnung fand, halten die Diskussionen um dieses Konzept an - wie auch der Themenschwerpunkt der aktuellen bwp@-Ausgabe zeigt.

Dieser Beitrag schaut zurück auf die Umsetzung des Lernfeldkonzepts im Bankenbereich in Hamburg und skizziert Probleme und Schwierigkeiten, die sich aus der curriculum-strategischen Entscheidung für ein offenes Curriculum, das es schulnah zu konkretisieren galt, aus Sicht der betroffenen Lehrer ergeben haben. Zurückgegriffen wird dabei auf ausgewählte Ergebnisse einer Lehrerbefragung im Jahr 2000 zu diesem Thema. Anschließend wird unter Rückgriff auf den Modellversuch CULIK betrachtet, ob diese Probleme noch heute eine Rolle spielen oder inwieweit für einzelne Probleme bereits Lösungskonzepte entwickelt wurden. In diesem Zusammenhang wird auch die Rolle und die Bedeutung der Geschäftsprozessperspektive in Bezug auf die Ausgestaltung der Lernfelder thematisiert.

Die Gegenüberstellung der Erfahrungen, die den Anfangs- und Endpunkt einer 4-jährigen Umsetzungsphase markieren, soll eine Antwort auf die im Titel aufgeworfene Frage liefern.


1. Das Lernfeldkonzept als Innovation

1995 haben REETZ und SEYD herausgestellt, dass sich auf der Mikroebene, also dem Ort des unterrichtlichen Handelns, seit etwa 15 Jahren Veränderungsbestrebungen in Richtung Situations- und Handlungsorientierung verzeichnen lassen, während auf der Makroebene (zum Begriff: KREMER/SLOANE 1999, 11), der Ebene der Lehrplanentwicklung und -gestaltung, an der Wissenschaftsorientierung festgehalten wird (REETZ/SEYD 1995, 204). Nur ein Jahr später findet das Lernfeldkonzept erstmalig Erwähnung. Die Bemühungen, eine engere Verbindung von Lernen und Arbeiten auf der mikrodidaktischen Ebene herzustellen, wurden von der KMK durch die Aufnahme der Lernfeldkonzeption in die neuen Rahmenlehrpläne, die sich dem Bildungsziel der Handlungskompetenz verschrieben haben, auf makrodidaktischer Ebene unterstützt. Der Dualismus auf Makro- und Mikroebene wurde aufgehoben, wodurch eine nicht unwesentliche Voraussetzung für Veränderungen von Schule und Unterricht geschaffen worden ist. Tatsächlich kann dem Lernfeldkonzept innovatives Potenzial zugesprochen werden, wobei darauf hinzuweisen ist, dass das Lernfeldkonzept nicht per se als fest definierte Innovation interpretiert werden kann, sondern das Ergebnis des Veränderungsprozesses liegt im jeweiligen schulischen /didaktischen Feld. Die Implementation an den Schulen entscheidet, ob mit der Lernfeldkonzeption Innovationen in Schule und Unterricht verbunden sind oder ob weiterhin die alten Konzepte den Schulalltag bestimmen werden. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage nach der Alltagstauglichkeit dieses Konzepts auf. Wovon hängt aber ab, ob die Innovationen wirksam werden, und welche Probleme oder Schwierigkeiten sind im Rahmen der Umsetzung zu erwarten? Hinweise hierzu lassen sich u. a. der seit mittlerweile 30 Jahre währenden Curriculumdiskussion entnehmen. Aus diesem Grunde wird in das Feld der Curriculumtheorie eingeführt, um das Konzept curriculumstrategisch einzuordnen zu können und darauf aufbauend Konsequenzen für die schulpraktische Umsetzung abzuleiten.


2. Curriculumstrategische Einordnung des Lernfeldkonzepts


HAMEYER et al. haben versucht die Curriculumtheorie zu systematisieren und die außerordentliche Weite dieses Forschungsfeldes aufgezeigt. Die sog. Strategiekonzeptionen, die sich mit den Verfahren zur Entwicklung von Curricula beschäftigen, nehmen dabei eine bedeutende Stellung ein. In Erweiterung zu traditionellen didaktischen Fragestellungen werden dabei die Prozesse der Hervorbringung und Umsetzung curricularer Innovationen thematisiert. (HAMEYER/FREY/HAFT 1983, 21 f.). Die Strategiekonzeptionen haben im Verlauf der Curriculumdiskussion eine bedeutende Rolle eingenommen, weil die Curriculumentwicklung nicht nur auf die Erstellung des Produkts "Curriculum" abzielt, sondern darüber hinaus die entscheidende Aufgabe hat, das Produkt zu legitimieren. "Mit der Produktion von Curricula soll zugleich ihre Legitimität begründet werden."(RÜLCKER 1976, 175). Die Frage nach der Legitimation von Curricula kann grundsätzlich an zwei Punkten ansetzen: bei der Legitimation des Produktes, also dem Curriculum selbst, und bei der Legitimation des Verfahrens, durch die es produziert worden ist (vgl. WESTPHALEN 1985, 31). Neben diesen Komplex tritt der Motivationsaspekt, bei dem es darum geht, die Akzeptanz für das Curriculum sicherzustellen, sodass gemäß der Vorgaben gehandelt wird. Dieses ist nur dann gewährleistet, wenn die angestrebten Neuerungen subjektiv, d.h. aus der Sicht der Betroffenen (Lehrer, Schüler und Eltern), anerkannt werden (vgl. RÜLCKER 1976, 25). Damit ist die Leistungsfähigkeit und Funktion curricularer Legitimationsprozesse in praktisch-gesellschaftlichen Zusammenhängen angesprochen (vgl. MEERTEN 1980, 216 ff.). Die Legitimation erhält also ihre hervorzuhebende Bedeutung dadurch, dass sie als Mittel zur Erzeugung von Anerkennungsbereitschaft gegenüber Konstruktionsentscheidungen als wesentliche Voraussetzung für die Implementation angesehen werden kann (vgl. LENZEN/MEYER 1975, 198. Oder, wie Taylor bemerkt, dass je weniger die Betroffenen "die Kompetenz und Legitimität von Curriculumentscheidungen akzeptieren, desto mehr sind dessen Ziele gefährdet." (TAYLOR 1971, 148)

ROBINSOHN hat in diesem Zusammenhang einen neuen Denk- und Forschungsansatz zur Lösung der Legitimation von Schulzielen und -inhalten geprägt, indem er wissenschaftliche Rationalität der Produkte einerseits und Demokratisierung der curricularen Entwicklungsverfahren anderseits einforderte, um auf diese Weise einen "rational gesellschaftlichen Konsens" (ROBINSOHN 1975, 31) zu erwirken (vgl. RÜLCKER 1976, 25; TRAMM 2000, 3). Diese zwei konstituierenden Bezugspunkte von Legitimität stehen allerdings im Spannungsverhältnis zueinander. Insofern zerfällt der angestrebte rational gesellschaftliche Konsens in zwei eigenständige Operationslinien, wobei das Prinzip der Rationalität zunächst in den Vordergrund tritt (vgl. TRAMM 1996, 3).
Nach Maßgabe wissenschaftlicher Kriterien und Verfahrensstandards sollen zum einen Begründungszusammenhänge für die Auswahl der Ziele und Inhalte hergestellt und zum anderen die Entwicklungsverfahren objektiviert werden. Der Wissenschaft wird die legitimative Verantwortung, den Betroffenen nur eine Randrolle zugewiesen, oder so wie es SCHULTE ausdrückt, ein "nachgeordneter Status von Rand-, Realisierungs- oder Innovationsbedingungen" (SCHULTE 1983, 377). Ein derartiges Vorgehen trifft bei den Betroffenen auf Widerstand (vgl. GERBAULET et al. 1972, 15). Die Objektivierung von Curriculumentwicklung stößt in der praktisch-gesellschaftlichen Legitimationspraxis auf Grenzen und Hemmnisse. An diesem Punkt scheitern viele Reformpläne, es kommt nicht zu der erwünschten Veränderung von Schule und / oder Unterricht. Eine Untersuchung von HAMEYER im Jahr 1983 belegt den Zusammenhang, dass Innovationen, die top-down an die Schulen herangetragen werden, von den Betroffenen lediglich an die traditionellen Unterrichtserfahrungen angepasst werden. De facto kommt es nicht zu der angestrebten Veränderung (vgl. HAMEYER 1983).

Zu Beginn der 1970er Jahre treten die Strategiekonzeptionen einer zweiten Phase, der "curricularen Wende" von der Grundlagenproblematik zu einer curricularen, schul- und praxisnah verstandenen Alternativprogrammatik (MEERTEN 1980, 13 f.) in den Vordergrund. Hier wird zu der einseitigen Orientierung an der Wissenschaft eine kritische Position bezogen und offene Curricula postuliert. Offene Curricula stehen als Sammelbezeichnung für die zweite Phase der Curriculumforschung. Darunter subsumieren sich schulnahe, praxisnahe und handlungsorientierte Curriculumeinwicklung (vertiefend SCHMACK 1978, 33). Die Prozesse und Produkte der Curriculumentwicklung werden unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrages zu einer wirksamen Verbesserung der Schulpraxis kritisch analysiert. Einige Vertreter offener Curricula deuten das angesprochene Innovationsproblem als Folgewirkung der Produkte wissenschaftlicher Tätigkeit, sog. geschlossenen oder teacher-proof-curricula. (vgl. SACHS/SCHEILKE 1973, 378; GERBAULET et al. 1972, 15 ff.; BRÜGELMANN 1972, 103 ff.). Ausgehend von den Umsetzungsschwierigkeiten und der negativen Rolle der Betroffenen, die den historischen Vorläufern anhaften, postulieren die Vertreter offener Curricula die Partizipation der Betroffenen an der Curriculumentwicklung. Die Beteiligung der Betroffenen, insbesondere die Partizipation der Lehrerschaft, wird zu einem wichtigen Strategieelement bei der Planung und Realisierung von Curricula (vgl. HESSE/MANZ 1974, 99). Die offene Curriculumentwicklung orientiert sich am Modell des offenen Entscheidungsverhaltens und wird als wechselseitiger Lernprozess zwischen allen Beteiligten definiert (vgl. KLAFKI 1975, 50). Die einzelnen Ansätze zur schulnahen Curriculumentwicklung richten sich demnach gegen die Ansätze zur Darstellung und Planung von Unterricht, in denen Unterricht behavioristisch verplant und über die Köpfe der Lehrer und Schüler hinweg wissenschaftlich objektiviert wird (vgl. MOSER 1973, 113). Über den Gedanken der Partizipation soll der Aspekt der Legitimation und der Motivation, Berücksichtigung finden, "in dem Sinne, dass sich die Betroffenen die Entwürfe der didaktischen Theorie zur Herstellung oder Veränderung ihrer konkreten Praxis in kritischer Auseinandersetzung zu Eigen machen können oder eine Aneignung durch die Anlage des Entwicklungsprozesses zumindest theoretisch gesichert ist." (vgl. HEIPCKE/MESSNER 1973, 143). Die Wirksamkeit der Innovationen soll derart verbessert werden. Wenn die Möglichkeit gewährt wird, sich während der Curriculumentwicklung kritisch einzubringen und sich Konstruktionen zu Eigen zu machen, resultiert daraus eine stärkere Identifizierung mit dem Innovationsprozess. Dies wiederum erhöht die Wirksamkeit der Umsetzung, da die Betroffenen Einsicht in die Veränderungen genommen haben, diese i.d.R. als eigene wieder erkennen und sich dies positiv auf die Bereitschaft zur Umsetzung auswirkt (vgl. GERBAULET 1975, 101 f.). Der Wissenschaft wird eine veränderte Rolle zugewiesen. Sie übt ihren Einfluss nicht über die Produktion von teacher-proof-curricula aus, sondern über die wissenschaftliche Kritik und Beratung sowie die Qualifizierung der Lehrer (vgl. GERBAULET et al. 1972, 18).

Die KMK folgt dem Ansatz der schulnahen Curriculumentwicklung. Die Lernfeldkonzeption steht in der Tradition offener Curricula und schulnaher Curriculumentwicklung. Der Ansatz der schulnahen Curriculumentwicklung fordert eine offene Entwicklung. Vorgaben in Richtlinien und Lehrplänen werden nicht unmittelbar konkretisiert, sondern schaffen lediglich begründete, überprüfbare Rahmenbedingungen für die Konkretisierung auf der Schulebene (vgl. KLAFKI 1975, 54) Es handelt sich bei den Ordnungsmitteln auf Bundes- und Landesebene um offene Arrangements. Durch die KMK ist ein Rahmen vorgegeben worden, der durch die Leitideen der Handlungsorientierung mit dem Ziel der Handlungskompetenz und der Lernfeldstruktur abgesteckt wird. Innerhalb dieses Rahmens sind die Vorgaben offen für die Gestaltung von Lehrenden und Lernenden. Die Rahmenbedingungen sind von den Betroffenen zu interpretieren und zu konkretisieren. Durch diese Verlagerung curricularer Arbeit an die Basis kann die Curriculumentwicklung kontextbezogen erfolgen, d.h. die spezifischen Bedingungen des jeweiligen schulischen und unterrichtlichen Umfeldes finden Berücksichtigung. Der Handlungs- und Entscheidungsspielraum wurde erweitert, damit das Curriculum optimal an die jeweiligen Schulen angepasst werden kann. Darüber hinaus führt diese Verlagerung zu einem neuen Verhältnis von Zentralisierung und Dezentralisierung der Curriculumentwicklung: Lernfelder sind didaktisch aufbereitete Tätigkeitsfelder. Die Aufbereitung ist Bestandteil zentraler Curriculumentwicklung, die von Rahmenlehrplankommissionen übernommen wird. Auf der Grundlage der Lernfelder sind Lernsituationen zu entwickeln. Diese curriculare Arbeit wird dezentral von den Schulen übernommen. Damit kommt es innovationsstrategisch betrachtet auch zu einem Wechselverhältnis von top-down-Strategie und bottom-up-Strategie. Hiermit sind bereits fünf Merkmalsausprägungen beschrieben, wie sie charakteristisch für die schulnahe Curriculumentwicklung sind (vgl. BECKER et al. 1974, 242). Die Curriculumstrategie im vorliegenden Fall folgt den Vorstellungen, dass erst durch die Konkretisierung von Rahmenrichtlinien ein Curriculum entsteht. Der Erfolg dieser Strategie hängt davon ab, inwieweit es gelingt, das Legitimationsverständnis im Sinne ROBINSOHNs zu lösen. Es wird die Gefahr einer "Curriculumhandwerkelei ohne wissenschaftliche Fundierung" gesehen (BECKER et al.1974, 243). An dieser Stelle ist anzumerken, dass der Gedanke der Partizipation die theoretischen und normativen Orientierungen nicht ersetzen kann, sondern lediglich als Ergänzung zu sehen ist. Aus dieser Orientierung heraus und über eine entsprechende Qualifikation der Lehrer hinaus können curriculare Rationalitätsstandards gesichert werden (vgl. TRAMM 2000, 3). Wenn Lehrer als Curriculumentwickler auftreten sollen, dann müssen diese in der Lage sein, das Berufsfeld aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu durchdringen und Entwicklungen in der Praxis und der Wissenschaft zu verfolgen und zu beurteilen. Hier erkennt TRAMM den Bedarf an "einer fundierten wissenschaftlichen Lehrerbildung sowohl im fachwissenschaftlichen als auch im wirtschaftspädagogisch-fachdidaktischen Bereich" (TRAMM 1996, 11).

Die Perspektiven des Ansatzes der schulnahen Curriculumentwicklung sind damit aus curriculumstrategischer Perspektive angesprochen. Doch welche Schwierigkeiten ergeben sich damit für die Lehrer. Nachfolgend soll an zwei Beispielen gezeigt werden, welche Probleme und Schwierigkeiten aus Lehrersicht in Bezug auf die schulnahe Curriculumentwicklung bestanden und bestehen.

 


3. Umsetzung des Rahmenlehrplans in Hamburg

Bekanntermaßen unterscheiden sich die Strategien auf Landesebne hinsichtlich der Übernahme des Rahmenlehrplans in den Landeslehrplan (vgl. EMBACHER/GRAVERT 2000, 139). Einige Länder wirken entscheidend auf die Rahmenvorgaben der KMK ein, andere nehmen sich zurück, so auch Hamburg. In Hamburg werden die Lernfelder aus dem Rahmenlehrplan unverändert in den Landeslehrplan übernommen. Damit wird auch die Offenheit der Vorgaben beibehalten. In der Stundentafel werden die Lernfelder drei neuen Fächern zugeordnet, d.h. die Fächer bilden die übergreifende Struktur und werden durch die Lernfelder konkretisiert. Dabei sind die neuen Fächer an die traditionelle Fächerordnung angelehnt, haben allerdings eine neue Bezeichnung erhalten, um den veränderten curricularen Ansatz darzustellen. Die Hamburger Behörde fordert Zeugnisse mit Fächerausweis, d.h. Noten sind Fächern zuzuordnen. Weitere Konkretisierungen werden auf Landesebene in Hamburg nicht vorgenommen. Es obliegt der Berufsschule, in ihren Stoffverteilungsplänen die entscheidenden Konkretisierungen vorzunehmen und Entscheidungen hinsichtlich der Realisierung des Rahmenlehrplans zu treffen, d.h. diese Arbeiten sind vor Ort von den Lehrern zu leisten.

Das Lernfeldkonzept ist mit Wirkung 01.08.1998 von allen Berufsschulen des Bankenbereichs verbindlich umzusetzen gewesen. Damit gehört der Ausbildungsgang mit zu den ersten, die sich mit der Umsetzung des Lernfeldkonzepts auseinander zu setzen hatten. Sie markieren damit den Anfangspunkt der schulischen Curriculumarbeit im Rahmen der Umsetzung. Die Industriekaufleute sind erst mit Wirkung 01.08.2002 dazu aufgefordert worden, das Lernfeldkonzept zu implementieren. Zwischenzeitlich sind vier Jahre vergangen und es bietet sich an, im Hinblick auf die Umsetzung ein erstes Zwischenresümee zu ziehen.

 

3.1 Untersuchung der Umsetzung im Bankenbereich


Im Jahr 2000 wurden Lehrer an der Berufsschule für das Kreditgewerbe in Hamburg befragt, mit dem Ziel, Probleme im Hinblick auf die schulpraktische Umsetzung des Lernfeldkonzepts zu identifizieren (vgl. dazu und zum Folgenden STEINEMANN 2001, 43 ff).

Dabei ging es um drei zentrale Fragestellungen: 1) Wie haben die Lehrer Curriculumstrategie und Curriculummaterial im Fall der Lernfeldkonzeption subjektiv wahrgenommen und bewertet? 2) Wie setzen die Lehrer die Vorgaben an ihrer Schule um? Dabei ist sowohl die Strategie der Umsetzung, d.h. die Organisation der Umsetzung, betrachtet worden als auch die curriculare Konkretisierungsarbeit, die von den Lehrern geleistet wurde. Und 3) war von Interesse, welche Erfahrungen die Lehrer mit der Umsetzung gemacht haben, d.h. welche Einflussfaktoren sich in dem untersuchten Fall als günstig oder ungünstig auf die Umsetzung erwiesen und welche Veränderungen sie in ihrem beruflichen Alltag erfahren haben. Für die Untersuchung war das Geschehen auf der Mikroebene von nachrangiger Bedeutung. Im Zentrum stand die Auseinandersetzung der innovatorisch tätigen Lehrer mit der Lernfeldkonzeption. Andere Situationsbedingungen - in Form von Vorgaben, Vorgesetztenverhalten, schulischen Rahmenbedingungen, theoretischem Vorverständnis u. a. - wurden in die Interpretation der Betroffenen mit einbezogen. Die Befragung wurde mittels eines leitfadengestützten, qualitativen Interviews durchgeführt. Entsprechend den Grundannahmen der qualitativen Sozialforschung sollte diese Methode dazu dienen, die Wirklichkeitsdeutung der Handelnden zu erfassen und offen zu legen.

Die Interviews wurden mittels der zusammenfassenden Inhaltsanalyse von Mayring ausgewertet (vgl. MAYRING 1988). Die Analyseeinheiten wurden gemäß der thematischen Verläufe der Interviews abgegrenzt. Jede Analyseeinheit wurde auf drei Dimensionen hin untersucht:

1. Dimension: Verhältnis der Lehrer zum Lernfeldkonzept als Reformversuch

2. Dimension: Schulpraktische Umsetzung der Lernfeldkonzeption

3. Dimension: Auf die Umsetzung einwirkende Faktoren

Nachstehend sollen einige ausgewählte Ergebnisse der Befragung vorgestellt werden.

Im Rahmen der curriculumstrategischen Einordnung des Lernfeldkonzepts wurde aufgezeigt, wie wichtig es für eine erfolgreiche Curriculumreform ist, dass sowohl das Produkt als auch das Verfahren seiner Entwicklung legitimiert wird. Die Legitimation erzeugt Anerkennungsbereitschaft bei den Betroffenen und damit Motivation für eine intentionsgerechte Umsetzung. Es wurde allerdings auch festgestellt, dass die Legitimation weder durch einseitige Rationalität noch durch Demokratisierung allein erzielt werden kann, sondern nur durch die Verlagerung curricularer Verantwortung an die Schulen, um auf diese Weise beide Kriterien miteinander zu verbinden. Die Lehrer müssen bereit sein, curriculare Aufgaben mitzutragen. Dafür ist es notwendig, dass sie die Leitideen der Reform durchdringen und akzeptieren. Die Befragten haben in der Kategorie "Verhältnis der Lehrer zur Lernfeldkonzeption als Reformversuch" eine durchweg positive Einschätzung der Lernfelder als Reformversuch vorgenommen. Die Reform wurde von allen Befragten als notwendig angesehen und der Lernfeldkonzeption wird das Potenzial für die notwendigen Veränderungen zugeschrieben. Die Ziele erscheinen allen Lehrern als richtig gesetzt, wobei diese durchaus kritisch durchleuchtet werden. Kritisiert wird z.B., dass die Aspekte der Handlungsorientierung und der Begriff des Lernfeldes nicht näher erläutert werden. Des Weiteren sehen sie aufgrund der Orientierung an den betrieblichen Abläufen respektive den Geschäftsprozessen die tendenzielle Gefahr einer Verengung der beruflichen Ausbildung.. Grundsätzlich sprechen die Aussagen der Lehrer aber dafür, dass die Leitidee der Curriculumreform Akzeptanz erzeugt hat und damit die Lehrer die Umsetzung der Lernfeldkonzeption nicht aus einem Zwang heraus, sondern aus Überzeugung umzusetzen bereit waren. Allerdings gibt es Hinweise, dass die Leitidee nicht vollständig durchdrungen wurde. Dies ist auf die mangelnde Begründung und Darlegung der Leitideen zurückzuführen.

Während sich die Lehrer hinsichtlich der Reformabsicht KMK und des Lernfeldkonzepts als Reformversuch überwiegend positiv äußerten, beziehen sie zur Umsetzung der Lernfeldkonzeption im Rahmenlehrplan eine überwiegend kritische Position. Sie sind an der Entwicklung der Lernfelder nicht beteiligt worden oder zumindest nur indirekt über den damaligen Schulleiter. Generell sind die Lehrer mit der Umsetzung der Lernfeldkonzeption im Rahmenlehrplan nicht sonderlich zufrieden, da sie an einigen Stellen die Inhalte der Lernfelder anders platziert bzw. Handlungszusammenhänge konsequenter hergestellt hätten. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang das fehlende Mitspracherecht ihrerseits und die mangelnde wissenschaftliche Begleitung bei der Entwicklung der Lernfelder. Darüber hinaus scheint sich in dem untersuchten Fall zu bestätigen, dass sich der Rahmenlehrplan nicht ausreichend selbst kommuniziert. Im Rahmenlehrplan wird die Handlungsorientierung als Konzept dargestellt, das fach- und handlungssystematische Strukturen miteinander verschränkt (vgl. KMK 1997, 14). Allerdings wird nicht aufgezeigt, wie diese Verschränkung zu realisieren ist. Es werden zwar Orientierungspunkte für die Gestaltung handlungsorientierten Unterrichts genannt, aus denen aber nicht hervorgeht, im welchem Verhältnis fachsystematische Anteile einfließen. Im Zuge dessen befürchten einige der Befragten die vollständige Aufgabe der Fachsystematik und Strukturbildung zugunsten einer engen Orientierung an Arbeitsprozessen und dem in diesen integrierten Arbeitsprozesswissen (vgl. RAUNER 1995; FISCHER 2000). Der Hinweis auf die Strukturbildung bzw. die Angst vor dem Verlust derselben zeigt auf, dass den Ordnungsmitteln nicht zu entnehmen ist, wie man entlang von Arbeits- und Geschäftsprozessen Erkenntnisse systematisch gewinnen kann. An dieser Stelle sei angedeutet, dass den Arbeitsprozessen ein anderes Verständnis zu Grunde liegt als den Geschäftsprozessen. TRAMM (2000 und 2003) weist auf unterschiedliche Deutungsvarianten hin und problematisiert sie zugleich. Die Handreichungen der KMK konkretisieren diesen Aspekt aber nicht weiter, so dass ein willkürlicher Ermessensspielraum für die Interpretation aufgespannt wird. Diese Interpretation der Lehrer zeigt, dass aus dem Rahmenlehrplan selbst nicht deutlich wird, dass nicht ein "Entweder-oder" intendiert wird, sondern eine systematische Erarbeitung von Wissen innerhalb praktischer Handlungs- und Problemzusammenhänge und damit eine Aufhebung der Gegensatzpaare "Handlung versus Fach" und "Kasuistik versus Systematik." Diese Aufhebung hätte die KMK stärker konkretisieren müssen, zumal historische Auseinandersetzungen gezeigt haben, dass es sich um ein viel diskutiertes und nicht einfach zu lösendes Kernproblem handelt (vgl. PUKAS 1999, 87; REINISCH 1999, 92 ff.). Wie die aktuelle Ausgabe von bwp@ zeigt, kann auch die didaktische Theorie hier bislang keine akzeptable Lösung anbieten. Wenn man dieses bislang noch ungelöste Konstruktionsproblem an die Schulen abgibt, so entzieht man sich der Möglichkeit, die schulnahe Curriculumentwicklung an curricularen Rationalitätsstandards auszurichten, zumal und das wird ebenfalls von den Lehrern unter dem Aspekt "auf die Umsetzung einwirkende Faktoren" kritisiert, die Lehrer mit der Umsetzung weitestgehend alleine gelassen wurden. Eine Begleitung des Umsetzungsprozesses seitens der Schulbehörde oder eine wissenschaftliche Beratung hat es nicht gegeben. Auch im Bereich der Fortbildungsmaßnahmen wurden keine hilfreichen Angebote unterbreitet.

Kontraproduktiv wirkt sich in diesem Zusammenhang aus, dass die Lernfelder im Banken-Rahmenlehrplan eine stark fachsystematische Struktur aufweisen (vgl. ETTMANN/WURM 2002, 116; MOHR 1999, 262) und diese in Hamburg dann auch noch zu Fächern gebündelt werden. Der Wissenschaftsbezug nimmt damit nach wie vor einen hohen Stellenwert als Kriterium für die Inhaltsauswahl und -strukturierung ein. Die Problematik einer solchen Vorgehensweise besteht darin, dass sie dazu einlädt, den altbekannten, traditionellen Weg zu gehen, auch wenn dies ausdrücklich nicht intendiert ist. Die befragten Lehrer waren sich dieser Problematik durchaus bewusst und suchen nach konstruktiven Lösungen, immer wieder zeigt sich aber die Schwierigkeit wie Lernen entlang von Geschäftsprozessen in Verknüpfung mit fachlicher Systematik konkret ausgestaltet werden kann.

Problematisiert wurden ferner die Vorgaben, die sich auf die Leistungsbewertung beziehen. Es erscheint den Lehrern u. E. zu Recht widersprüchlich, dass auf der einen Seite Lernfelder eingeführt werden und zum anderen an der Fächerorientierung im Fall der Zeugnisse und der Abschlussprüfung festgehalten wird. Das Lernfeldkonzept intendiert eine Reorganisation fachlichen Wissens und ließe sich am Prinzip der Handlungsorientierung auch durchaus realisieren. In der Praxis stößt dieser Aspekt in Bezug auf die Zeugnisgestaltung und Abschlussprüfung auf Grenzen. Will man eine Reorganisation der Fächerstrukturen erzielen, so ist nicht nachvollziehbar, warum man in Teilbereichen an dieser Struktur festhält. Nun könnte man sagen, dass, nur weil die Zeugnisse und Prüfungen fächerorientiert erfolgen, dies noch lange keinen Fächerunterricht zur Folge haben muss, aber man darf u. E. die drei Bereiche nicht getrennt voneinander betrachten. Wenn z.B. Noten für die Leistungen in komplexen Lehr-Lern-Arrangements fachorientiert vergeben werden sollen, dann kann die Leistung nicht ganzheitlich abgebildet werden, sondern muss aus einer Fachperspektive heraus vorgenommen werden. Wenn eine Abschlussprüfung vorliegt, die fächerorientiert und programmiert ausgerichtet ist, so hat auch dies Auswirkungen auf den Unterricht. Es besteht die Gefahr, dass sich die Inhalte als heimlicher Lehrplan auf die Inhalte und das Vorgehen im Unterricht legen und damit das übergreifende Unterrichtsziel der Handlungskompetenz gefährden. Aus diesem Grund ist eine Revision anzumahnen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Bundeseinheitlichkeit der Prüfung im Widerspruch zu der Intention des Lernfeldkonzepts steht, Anpassungen an spezielle und regionale Bedürfnisse vornehmen zu lassen (vgl. KMK 1999, 22).


3.2 Umsetzung im Industriebereich


Am 01.11.2002 wurde der Modellversuch CULIK offiziell ins Leben gerufen. CULIK steht für "Curriculumentwicklungs- und Qualifizierungsnetzwerk Lernfeldinnovation für Lehrkräfte in Berufsschulfachklassen für IndustrieKaufleute" und ist ein BLK-Modellversuch innerhalb des Programms "innovelle-bs" - Innovative Konzepte der Lehrerbildung (2. und 3. Phase) für berufsbildende Schulen (vgl. INNOVELLE-BS 2003). Das Projekt ist als länderübergreifendes Verbundprojekt von Niedersachsen und Hamburg konzipiert, wissenschaftlich begleitet wird es vom Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Hamburg. Ausgangspunkt für CULIK war die zum Antragszeitpunkt bevorstehende Neuordnung des Ausbildungsberufs Industriekaufmann/Industriekauffrau zum 01.08.2002 (vgl. KMK 2002) und die damit verbundene Implementation des Lernfeldkonzepts (vgl. KMK 1996/2000) in den betroffenen Berufsschulen. Zentrale Ziele von CULIK sind

· die gemeinsame Erarbeitung von Lehr-Lern-Arrangements für die Umsetzung des Lernfeldkonzepts zur Konkretisierung und Umsetzung des neuen Rahmenlehrplans;

· die Entwicklung eines Konzeptes zur kooperativen Qualifizierung von Lehrkräften im Kontext curricularer Entwicklungsprozesse;

· der Aufbau und die Weiterentwicklung einer dauerhaften Kommunikations- und Kooperationsplattform unter Nutzung des Internets sowie die Entwicklung dafür geeigneter Arbeitsformen und Konventionen (verwiesen sei hierzu auf die Projekt-Homepage www.culik.de und BÜCHTER/GRAMLINGER 2002).

Erste empirische Ergebnisse liegen seit März diesen Jahres vor. Im Rahmen einer Lehrerbefragung, die leitfadengestützt an der Berufsschule für Industriekaufleute in Hamburg durchgeführt wurde, und einer Fragebogenerhebung sind Aussagen hinsichtlich der schulpraktischen Umsetzung des Lernfeldkonzepts erhoben worden. Im Zentrum der Befragung standen die Dimensionen:

1. Dimension: Verhältnis der Lehrer zum Lernfeldkonzept als Reformversuch

2. Dimension: Teamorientierte Umsetzung des Lernfeldkonzepts

3. Dimension: Qualifizierungsbedarf

4. Dimension: Die Umsetzung beeinflussende Faktoren

Auch hier sollen wieder einige ausgewählte Ergebnisse in Analogie zum Abschnitt 3.1 vorgestellt werden.

Ganz ähnlich wie im voran gegangenen Abschnitt haben die Lehrer im Hinblick auf das Lernfeldkonzept als Reformversuch eine durchweg positive Einschätzung vorgenommen. Eine Reform wurde auch hier von allen Lehrern als notwendig erachtet und das Lernfeldkonzept als Möglichkeit gesehen, die Reform auf den Weg zu bringen. Besonders positiv hervorgehoben wird die Ausrichtung des Bildungsauftrages auf die Handlungskompetenz und der darauf ausgerichtete handlungsorientierte Unterricht. Die Leitidee erzeugt damit bei den Befragten Akzeptanz. Vereinzelt werden aber auch hier Bedenken geäußert, dass die Fachsystematik nicht zu kurz kommen dürfe. Es wird zwar betont, dass bei der didaktischen Aufbereitung der Lernfelder auch fachwissenschaftliche Anteile in den Erklärungszusammenhang mit einbezogen werden sollen. Liest man allerdings in der Handreichung der KMK nach, so heißt es dort: "In besonderen Fällen können innerhalb der Lernfelder thematische Einheiten unter fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten vorgesehen werden. In jedem Fall ist auch für solche Einheiten der Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess deutlich zu machen" (KMK 2000, 14). Darüber hinaus wird nicht geklärt, wie und nach welchen Kriterien in betrieblichen Arbeitsprozessen bildungsrelevante Strukturen analysiert und legitimiert werden können. Diese fehlende Konkretisierung birgt die Gefahr, dass die Orientierung an den Tätigkeitsfeldern im Sinne einer linearen Ableitung missverstanden wird und sich demnach eng am operativen Prozesswissen des Praktikers orientiert (TRAMM 2000, 9; LISOP 1999, 28f.; SLOANE 2000, 332f.; DUBS 2000, 21). Das Problem der fehlenden Klarheit in den Vorgaben, wie es für den Bankenbereich skizziert wurde, findet sich demnach auch im Industriebereich.

In CULIK wurden im Wissen um dieses Problem 22 Gestaltungskriterien für die Erarbeitung von Lernsituationen erarbeitet (vgl. CULIK 2002). Zwei dieser Gestaltungskriterien beziehen sich auf das Zusammenspiel von Geschäftsprozessorientierung und systematisierende Lernphasen. Als grundlegender konzeptueller Rahmen für die Modellierung von Lernsituationen sollen demnach die Geschäftsprozesse dienen. Das Hinzuziehen bzw. die Erarbeitung einer stimmigen Systematik dieser Geschäftsprozesse wird dabei als notwendig erachtet. Zudem ist darauf zu achten, dass die Geschäftsprozesse in einen systematischen Zusammenhang gestellt werden. Bezogen auf die Geschäftsprozesse sind charakteristische und empirisch relevante Konzepte und Probleme zu identifizieren und in umgekehrter Blickrichtung wäre zu fragen, in welchen Geschäftsprozessen sich zentrale Konzepte, wie z. B. das ökonomische Prinzip, am besten abbilden lassen. Für die Gestaltung der Lernprozesse bleibt dabei Raum für systematisierende Ergänzungen, Vertiefungen oder Ausweitungen. Die Gestaltungskriterien stellen damit noch nicht die Lösung des Problems dar, sind aber aus unserer Sicht ein erster Schritt hin zu mehr Orientierung. Die Ergebnisse aus der ersten Fragebogenerhebung bestätigen diesen Eindruck: Die Gestaltungskriterien als Ganzes sind als hilfreich empfunden worden und die Mehrheit der Befragten äußerte, dass die Gestaltungskriterien in deren Arbeitsergebnissen Berücksichtigung fänden. Zudem gaben die Befragten an, dass es Ihnen eine große Hilfe sei, sich über die Probleme mit den Kollegen auszutauschen und unter Berücksichtung der wissenschaftlichen Begleitung das Gefühl zu haben, mit dem Problem nicht alleine gelassen zu werden.

Wie auch im Bankenbereich sind in der Bildungsgangtafel für den Ausbildungsgang Industriekauffrau/Industriekaufmann die Lernfelder zu neuen Fächern zusammengefasst. Damit stellt sich wiederum die Frage, inwieweit die Struktur zur fächerorientierten Inhaltsauswahl und -strukturierung einlädt. Die Fächer verleiten u. E. dazu, Lernsituationen von den Inhalten her anzugehen und nicht, wie intendiert, von den Zielsetzungen. Die Kompetenzorientierung und die darauf ausgerichtete Modellierung der Inhalte geraten dabei allzu schnell aus den Augen. Dies geschieht zum Beispiel wenn man die Inhalte alter Rahmenlehrpläne auflistet, diese den neuen Fächern zuordnet und dabei abschließend noch auf eine vollständige Bearbeitung aller Inhalte besteht. Dies widerspricht u. E. der Intention des Lernfeldkonzepts im vollem Umfang, da ja gerade Abstand genommen werden soll von den detaillierten Kenntnis- und Fertigkeitskatalogen, die durch ihre hohe Inhaltsdichte beeindrucken. Trotz dieser negativen Einschätzung wird die Möglichkeit gesehen, innerhalb der Fächerstruktur lernfeldorientiert zu denken und zu unterrichten, wenn die Bereitschaft an der Schule dafür vorhanden ist.

Die Befragung im Bankenbereich hat gezeigt, dass sich die programmierte Abschlussprüfung negativ auf den lernfeldorientierten Unterricht auswirkt und das Innovationspotential des Konzepts damit in enge Bahnen gelenkt wird. Zum einen wirkt eine solche Prüfung negativ auf die Motivation der Lehrer und zum anderen steigt auch die Unzufriedenheit unter den Schülern, da laut Aussagen der Lehrer für die Schüler die Prüfung ganz zentral ist und das Bestehen derselben für viele das eigentliche Ausbildungsziel darstellt. Für die Abschlussprüfung der Industriekaufleute ist bislang noch keine Entscheidung über die Ausgestaltung der Prüfung gefallen - auch wenn schon Eckwerte beschlossen wurden. Fest steht beispielsweise, dass es sich um eine gedehnte Prüfung handeln wird, die folgende Prüfungsbereiche umfasst: a) Geschäftsprozesse b) Kaufmännische Steuerung c) Wirtschafts- und Sozialkunde und d) Prüfung in einem Einsatzgebiet. Als gedehnt wird die Prüfung deswegen bezeichnet, weil der schriftliche Prüfungsteil zu Beginn des letzten Ausbildungshalbjahres durchgeführt wird (März) und der praktische Prüfungsteil auf das Ende des letzten Ausbildungsjahres (Juni/Juli) gelegt wird. Die Prüfungsaufgaben liegen aber derzeit noch nicht vor. Die befragten Lehrer hoffen für ihre Lernfeldarbeit, dass sich die Prüfungsaufgaben am Konzept der Handlungsorientierung orientieren und sich gegen z. B. ökonomischere oder organisatorisch leichter handhabbare Konzepte durchsetzen.


4. Fazit


Die Gegenüberstellung der Erfahrungen im Banken- und im Industriebereich wird nun abschließend verdichtet werden zu einer Antwort auf die im Titel aufgeworfene Fragestellung. Und ein erstes Zwischenergebnis sieht so schlecht nicht aus:

Die tendenzielle Aufhebung der Trennung von Entwicklern und Anwendern ist eine aus curriculumtheoretischer Perspektive folgerichtige Entscheidung, da auf diesem Wege Lehrer und Schüler zu Subjekten des Curriculumprozesses werden können und die Wirksamkeit des Curriculums im schulpraktischen Feld gesteigert wird. Damit hat unserer Ansicht nach curriculumstrategisch auf der Ebene der Lehrplangestalter ein Lernprozess stattgefunden. Die Lernfeldkonzeption bietet über den Ansatz der schulnahen Curriculumentwicklung eine ernstzunehmende Chance, dem Legitimations- und Motivationsproblem eine Lösung zuzuführen und stellt damit die Weichen für eine Veränderung von Berufsschule, wenn die Vorgaben intelligent interpretiert werden. Wesentlich ist, dass Erfahrungen, die über die Umsetzung gesammelt und u. U. zu Erkenntnissen verdichtet werden können, im Rahmen einer Curriculumrevision in die Handreichungen bzw. Rahmenlehrpläne einfließen, damit die identifizierten Schwächen der Vorgaben abgebaut werden. Hier müssen sich u. E. die Lehrplangestalter lernbereit zeigen.

Wenn durch das Lernfeldkonzept sichergestellt werden soll, dass die Lehrer vor Ort aus dem Verständnis und der Akzeptanz der Leitideen heraus Curricula entwickeln und umsetzen, dann kommt aber auch der wissenschaftlichen Lehrerbildung und der Lehrerfortbildung eine bedeutende Rolle zu. Sie muss sicherstellen, dass Kompetenzen ausgebildet werden, die für das Verständnis dieser Leitideen und der Umsetzung notwendig sind. Im Vergleich der beiden Umsetzungsbeispiele hat sich im Zeitablauf in diesem Bereich bereits einiges getan. So war innerhalb des Modellversuchs CULIK von Beginn an eine wichtige Gestaltungsdeterminante, dass nicht alleine der Aspekt der "Curriculumentwicklung vor Ort" wichtig und notwendig ist. Vielmehr gehen damit parallel einher die Forderung nach (Weiter-) Qualifizierung aller beteiligten Lehrer (Personalentwicklung) und die Notwendigkeit, dass diese Qualifizierungs- und Lernprozesse und die veränderte Zusammenarbeit in Lehrerteams von Seiten der Institution (Berufs-)Schule begleitet, gelenkt und v. a. unterstützt werden (Organisationsentwicklung). Dieses Wechselwirkungsverhältnis wird dargestellt in Abbildung 1.



Abb. 1: Intrainstitutionelles Interdependenzverhältnis von CE, PE und OE

Auch wenn die Gestaltung der handlungsorientierten Prüfung sicherlich keine einfach zu lösende Aufgabe darstellt, bleibt zu hoffen, dass auch auf der Ebene der Prüfungsausschüsse Lernprozesse ablaufen und sich die neue Prüfung den Namen auch verdient. Bislang zeichnen sich unterschiedliche Vorgehensweisen ab.

Aus unserer Sicht hat ein Lernprozess stattgefunden, aber zugleich gibt es noch viele offene Fragen zu klären, Probleme zu lösen, Ideen zu erproben. Kurz gesagt, es gibt noch viel zu lernen - und das auf allen Handlungsebenen. Damit aber nicht überall immer wieder von (fast) Null begonnen werden muss und auch unter dem Aspekt, dass im Miteinander- und Voneinander-Lernen bisher faktisch kaum genutzte Potenziale stecken, gilt es, entwickelte Konzepte, gemachte Erfahrungen, auftretende Probleme und Schwierigkeiten mit ge-, aber auch mit misslungenen Lösungsversuchen transparent zu machen, zu kommunizieren, und über diesen Kommunikationsprozess zu neuen Formen der Zusammenarbeit zu kommen. Dass das nicht nur für die Entwicklung und Implementation von Curricula, sondern auch für die damit verbundenen personalen und institutionellen Entwicklungsprozesse gelten kann und soll, ist in Abbildung 2 dargestellt.



Abb. 2: Angestrebte Interdependenz von CE, PE und OE - interinstitutionell

Abschließend kommen wir zu dem - vorläufigen - Ergebnis, dass sehr wohl Lernprozesse stattgefunden haben, aber damit die Chance auf eine nachhaltige Reform nicht verschenkt wird, sollten diese Lernprozesse auch zukünftig als kontinuierliche Prozesse angelegt sein. In diesem Zusammenhang wird die Wirksamkeit der Lernfeldinnovation im Hinblick auf die Reform von Berufsschulen davon abhängen, wie Transfer gesichert werden kann und Transferergebnisse kommuniziert werden können. CULIK versucht hier einen möglichen Weg aufzuzeigen.




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