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 bwp@ Ausgabe Nr. 9 | Dezember 2005
Betrieb als Lernort

Lernprozesse im Betrieb zwischen Subjektivierung und Kollektivierung – Dilemmasituation oder Potential ?


 

 

 

1.  Problemstellung

Die Veränderung der modernen Arbeitwelt und der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft wird mindestens seit zwanzig Jahren beschrieben und diskutiert. Zu ihren für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik zentralen Folgeerscheinungen gehören z.B. die Veränderung der arbeitsorganisatorischen Bedingungen, die Entgrenzung des Beruflichen oder diskontinuierliche Erwerbsbiographien der Beschäftigten und somit auch ein Wandel der Rahmenbedingungen für betriebspädagogisches Handeln. Dies hat dazu geführt, dass der Gegenstandsbereich der Betriebspädagogik entsprechend weiter gefasst werden muss. So sind nach Tilch (1998, 210 ff.) neben dem angestammten Bereich des betrieblichen Bildungswesens die Bereiche der Implementierung und des Einsatzes neuer Technologien, der Arbeitsorganisation und der betrieblichen Restrukturierung und der sozialen Beziehungen im Betrieb in den Blick der Betriebspädagogik zu nehmen.

Deutlich zeigt sich jedoch in der dahinter liegenden Debatte, dass sich die Ambivalenz des betrieblichen Wandels zwischen ökonomischer Zweckorientierung und individueller Entwicklung immer weiter verschärft und somit das Spannungsfeld zwischen betrieblichen und individuellen Beweggründen, Interessen und Bedarfen ständig neu ausgelotet und reflektiert werden muss ( Dehnbostel/ Pätzold 2004b, 19). Zwar wurde in den vergangenen Jahren die Beziehung von pädagogischer und ökonomischer Vernunft immer wieder thematisiert ( Harteis/ Heid/ Bauer/ Festner 2001; Heid/ Harteis 2004 ; Achtenhagen 1990 ), allerdings erfolgte diese Auseinandersetzung in der Regel auf einer übergeordneten Ebene der unterschiedlichen Grundauffassungen bzw. der Kulminationspunkte pädagogischen und ökonomischen Denkens und führte zu einer Gegenüberstellung von Subjekt- und Unternehmensorientierung. E s liegt jedoch derzeit u.E. nur in Ansätzen eine konstruktive Verknüpfung dieser Diskussion mit Fragen der konkreten Gestaltung betrieblicher Lernformen und -methoden, d. h. einer untergeordneten, eher anwendungsorientierten Ebene im Lernort Betrieb vor. Somit ist zwar die grundsätzliche Problematik der Beziehung zwischen Pädagogik und Ökonomie Gegenstand der Diskussion, nicht aber ein konstruktiver Umgang damit bezüglich des Lern- und Arbeitsortes Betrieb. Analysiert man diesbezüglich die derzeit relevanten Praxisphänomene der betrieblichen Bildungsarbeit, so stellt man fest, dass sich sowohl aus der betrieblichen bzw. ökonomischen Perspektive als auch aus der subjektorientierten bzw. pädagogischen Perspektive heraus gemeinsame Begriffe identifizieren lassen, die sich im Wesentlichen an den Kategorien des Lernens und des Wissens orientieren. Diese Schlüsselbegriffe (vgl. Abschnitt 2) entstammen dem Sprachgebrauch der (Betriebs-)Pädagogik und der Personal- und Organisationsentwicklung und suggerieren u. U. ein gemeinsames Verständnis bzw. eine ‚stillschweigende Übereinkunft‘ beider Perspektiven und vielleicht etwas vorschnell eine neue Harmonisierungswelle (vgl. zum „Harmoniemodell“ kritisch Arnold 1997, 164 ff.), zumindest aber eine komplementäre Beziehung zwischen Pädagogik und Ökonomie. Auf den zweiten Blick allerdings zeigt sich, dass sich trotz semantischer Übereinstimmung in Abhängigkeit der Perspektive zwei unterschiedliche Deutungen nachweisen lassen: Neue Trends der betrieblichen Weiterbildung zielen einerseits auf eine Individualisierung des Lernens und des Wissenserwerbs ab und führen so zu stärkerer Subjektivierung, andererseits findet sich auch die Tendenz zur Verbindung individueller und organisatorischer Entwicklungen und damit zur Kollektivierung von Lernprozessen im Betrieb.

Deshalb werden im Abschnitt 3 anhand ausgewählter zentraler Begriffe diese unterschiedlichen Positionen und Zielsetzungen herausgearbeitet und sowohl Konfliktlinien als auch Gemeinsamkeiten verdeutlicht. Dazu werden die Begriffe aus individueller sowie aus betrieblicher Perspektive diskutiert. Im Abschnitt 4 können dann die unterschiedlichen Perspektiven auf die Begriffe aufeinander bezogen werden und sich widersprechende Aspekte sowie mögliche gemeinsame Anknüpfungspunkte herausgearbeitet und konstruktiv in Form konkreter Ansätze für die betriebliche Bildungsarbeit gewendet werden. Ziel des Beitrags ist es also, die Ambivalenz des betrieblichen Wandels aufzugreifen und für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik und damit auch für den Lernort Betrieb und seine betriebspädagogische Gestaltung eine erste Analyse zu erarbeiten, mit der diese Ambivalenz und der Gesamtkontext des Lernens im Betrieb differenziert betrachtet werden kann. Somit ist unser Anliegen eine begriffsorientierte Klärung und konstruktive Bearbeitung des Verhältnisses von betrieblicher Arbeit und betrieblichem Lernen, ein Verhältnis „das zwischen den Polen einer reinen Anpassung an die technische und organisatorische Entwicklung im Betrieb und einer distanzierten Bewertung der sozialen betrieblichen Verhältnisse aus einem kritischen Bildungsverständnis anzusiedeln ist“ ( Tilch 1999, 141).

2. Trends und zentrale Begriffe der betrieblichen Weiterbildung

Ausgehend von der zentralen Zielsetzung des vorliegenden Beitrags erscheint es zunächst sinnvoll, das Verhältnis zwischen betrieblichen und individuellen Interessen im Unternehmen und insbesondere in der betrieblichen Weiterbildung zu beleuchten und somit das ambivalente Verhältnis auf einer allgemeinen Ebene zu umreißen: Wie bereits angedeutet, scheint der Trend zur Überschneidung individueller und betrieblicher Interessen vorzuherrschen, der sich zum Beispiel in der Förderung sozialer Kompetenzen wie Zuverlässigkeit, Teamfähigkeit, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung oder größeren Handlungsspielräumen für den Einzelnen ( Gonon 2002; Harteis 2000, 213) dokumentiert. Es ist jedoch zugleich davon auszugehen, dass z. B. erweiterte Handlungsspielräume im Rahmen veränderter Arbeitsprozesse nicht automatisch eine Beseitigung bestehender Konfliktlinien zwischen den ökonomischen Zielen und den Interessen der Beschäftigten bewirken. So wird z. B. der Zerfall sozialer Bindungen und eine Abnahme von Identifikationsmöglichkeiten in der Arbeit konstatiert (vgl. Rützel 1998, 33). Unter dem Begriff der „Landnahme des Selbst“ ( Harney 1992) wird die zunehmende Vereinnahmung des Subjekts in modernen Arbeitsverhältnissen problematisiert. Die Problematik ist dabei insbesondere in der Besitzstandskontrolle des Subjektes und seiner arbeitsbezogenen Sozialbeziehungen, Lebensgewohnheiten, Erfahrungen und Aneignungsformen durch das Management und damit auch durch die betriebliche Weiterbildung zu sehen. Sie verschleiert Harney zufolge, dass „die Diffusion der Humanwissenschaften in das betriebliche Rationalisierungswissen nicht notwendigerweise auf mehr Humanität hinauslaufen“ ( Harney 1992, 324) muss. Dieses Argument weist darauf hin, dass auch dem Anschein nach zunächst an der Entwicklung der Persönlichkeit orientierte betriebliche Prozesse nicht unbedingt den tatsächlichen individuellen Interessen dienlich sein müssen, weil Persönlichkeitsentwicklung durch Arbeit immer einem ökonomischen Kalkül technologischer und ökonomischer Rationalisierung verhaftet bleibt. Auf der Handlungsebene äußert sich diese Diskrepanz z. B. darin, dass die Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung unter den gegenwärtigen Arbeitsmarktbedingungen kein Angebot, sondern ein Gebot für die Beschäftigten darstellt und damit als Weiterbildungsdruck empfunden werden kann, der wohl nicht im Sinne einer pädagogisch intendierten Persönlichkeitsentwicklung wirken kann.

Eine weitere Problematik des Verhältnisses betrieblicher und individueller Interessen in der betrieblichen Weiterbildung ist darin zu sehen, dass Unternehmen nicht alle Bildungsbedürfnisse der Beschäftigten befriedigen können, weil betriebliche Weiterbildung durch personalwirtschaftliche Zielsetzungen bzw. den betrieblich notwendigen und finanzierbaren Qualifikationsbedarf determiniert wird. Eine mögliche Bearbeitung dieser Problematik wird in der Einführung einer „adressatengerechten Weiterbildung“ ( Becker 1997, 9) gesehen, die es ermöglicht, „ausgehend von der individuellen Bildungsbiographie der persönlichen Weiterbildungs- und Berufsplanung Qualifizierungsmaßnahmen nach individueller Breite und Tiefe zu planen und zu realisieren“ ( Becker 1997, 9). Diese Neuorientierung der Weiterbildung müsste ökonomische und individuelle Bedarfe in der Weiterbildung gleichermaßen berücksichtigen, um eine Verknüpfung beider Interessenlagen zu ermöglichen. Allerdings ist zuerst einmal zu konstatieren, dass sich der oben angedeutete Dissens zwischen Pädagogik und Ökonomie auch hinsichtlich der Ausgestaltung betrieblicher Weiterbildung bzw. betrieblicher Bildungsarbeit zeigt, d.h. es existieren aufgrund unterschiedlicher Ausgangspunkte und Ziele (weiterhin) unterschiedliche individuelle und betriebliche Interessenlagen bei Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung:

Vor diesem Hintergrund wird in der Diskussion beruflich-betrieblicher Bildung die Thematik des Lernens – und korrespondierend des Wissenserwerbs – im Betrieb zur Zeit unter verschiedenen Schwerpunkten und Perspektiven thematisiert. Auffällig ist dabei, dass einige zentrale Begriffe und Diskussionsaspekte diese inhaltliche Debatte bestimmen und zugleich die Folgen des oben skizzierten Wandels für das betriebliche Lernen charakterisieren. Als solche zentrale Begriffe in der derzeitigen Debatte der Betriebspädagogik und ihrer Nachbardisziplinen (z. B. AG QUEM 2001, Arnold 1995, Dehnbostel/ Pätzold 2004a, Geißler 2000, Witthaus/ Wittwer 1997) lassen sich u. a. nennen:

•  Kompetenzentwicklung

•  die Verbindung von Arbeiten und Lernen

•  Selbststeuerung und Selbstorganisation

•  implizites und explizites Erfahrungswissen

•  Organisationslernen und Lernende Organisation

•  Vernetzung bzw. Netzwerke

Diese Begriffe haben in Bezug auf die betriebliche Weiterbildung eine Akzentuierung sowohl auf der individuellen Ebene und korrelieren so im Wesentlichen mit der pädagogischen Perspektive als auch auf der betrieblichen Ebene und stehen somit im Kontext der ökonomischen bzw. betriebswirtschaftlichen Perspektive. Zudem verfügen alle Begriffe derzeit über ein erhebliches gesellschaftliches und damit auch bildungspolitisches Potential, das sich z. B. anhand des Netzwerkbegriffs in der Vorstellung einer ‚Netzwerkgesellschaft‘ ( Castells 2001) und entsprechend umfassender öffentlicher Förderprogramme für die Implementation von Netzwerken in der Berufsbildung und Regionalentwicklung (vgl. z. B. Diettrich/ Jäger 2002) dokumentiert. Allerdings soll die Ebene gesellschaftlicher Implikationen in den folgenden Ausführungen nicht weiter berücksichtigt werden, da der Fokus hier auf der betrieblichen Weiterbildung und dem Lernort Betrieb liegt.

Auch wenn die hier aufgrund von Relevanzüberlegungen der Verfasser, also ohne Anspruch auf Vollständigkeit bzw. wissenschaftliche Stringenz, exemplarisch ausgewählten zentralen Begriffe nicht alle drei genannten Ebenen in gleicher Intensität betreffen, stehen sie doch im Zentrum der betrieblichen Weiterbildung bzw. sind von elementarer Bedeutung für den Lernort Betrieb, sowohl aus einer anwendungs- und gestaltungsorientierten Perspektive heraus als auch im Rahmen wissenschaftlicher Analyse und Theoriebildung. Demzufolge werden im folgenden Abschnitt 3 diese Begriffe zuerst aus einer individuums- bzw. subjektorientierten Perspektive erläutert und kurz analysiert, anschließend erfolgt jeweils eine Analyse und Einordnung aus einer betrieblichen Perspektive, um danach entsprechende Konfliktlinien als auch Gemeinsamkeiten herausarbeiten zu können.

3.  Die individuelle und die betriebliche Perspektive auf das Lernen im Betrieb

3.1 Kompetenzentwicklung

Der Begriff der Kompetenz ist einer der populärsten Begriffe der jüngeren berufspädagogischen Diskussion. Auch wenn er bereits in den 1970er Jahren vom Deutschen Bildungsrat (vgl. 1974) eingeführt wurde, werden besonders in den letzten Jahren vielfältige Definitionsversuche unternommen und Konnotationen herausgearbeitet, die den Kompetenzbegriff zu klären suchen. Die Konjunktur der Begriffe Kompetenz und Kompetenzentwicklung in der aktuellen Diskussion geht auf einen grundlegenden Wandel im Wirtschafts- und Beschäftigungssystem zurück, der auch zu einer Erweiterung und Veränderung der betrieblichen Weiterbildung geführt hat, und zwar hin zur Orientierung an offenen Zielsituationen und zur Begründung im Individuum. Beide Begriffe stellen deswegen ein wesentliches Charakteristikum moderner betrieblicher Weiterbildung dar. Kompetenzentwicklung – so lässt sich der Begriff fassen (vgl. Gillen 2004, 82) – ist als lebensbegleitender Prozess anzusehen. Sie findet im beruflichen Kontext durch die Auseinandersetzung mit Arbeit und die Arbeitsaufgaben statt und wird durch sie veranlasst. Reflexion kann als ein wesentliches Medium der Kompetenzentwicklung angesehen werden. Kompetenz stellt die zentrale Kategorie von Kompetenzentwicklung dar. Sie ist an das Individuum gebunden und kann nur von ihm selbst entwickelt werden.

Aus der Subjektperspektive wird die grundsätzliche Bedeutung eines an der Kompetenzentwicklung orientierten betrieblichen Lernens im Wesentlichen darin gesehen, dass Kompetenzorientierung betrieblicher Weiterbildung zu subjektorientierten Lernansätzen und Lernformen führt (vgl. Dehnbostel 2001, 77). Geißler/ Orthey (2002) sehen in der Kompetenzentwicklung einen Ansatz biographischer Weiterentwicklung und verweisen darauf, dass die Biographie des Lerners zum Referenzpunkt beruflicher Weiterbildung gemacht wird. Diesen Ansatz halten sie für anschlussfähig an den Kompetenzbegriff der Berufspädagogik der 1970er Jahre, da er das Subjekt und seine Persönlichkeitsentwicklung ins Zentrum rückt. Zudem bietet er die Möglichkeit zur Förderung von Reflexionsfähigkeit, deren ökonomische Akzeptanz sie allerdings in Frage stellen (vgl. Geißler/ Orthey 2002, 76). Auch Wittwer schlägt über den Begriff der „biographieorientierten Kompetenzentwicklung“ einen Bogen zur verstärkten Anerkennung biographischer Entwicklungsprozesse durch die betriebliche Weiterbildung. Er formuliert: „Sie muss diesen [den Beschäftigten] helfen, ihre individuellen Kompetenzen zu entdecken und zu entwickeln, die neuerworbenen Qualifikationen in der Berufsbiographie zu integrieren und Wechsel und Veränderungen (berufs-)biographisch zu verarbeiten“ (2002, 118). Mit einer auf die Kompetenzentwicklung ausgerichteten betrieblichen Weiterbildung ist somit eine stärkere Subjektorientierung verbunden.

Aus der betrieblichen Perspektive ist die Konjunktur von Kompetenzentwicklung auf Grund neuer Unternehmenskonzepte und Lern- und Arbeitsformen entstanden. In diesen neuen Lern- und Arbeitsformen finden sowohl Prozesse der Kompetenzentwicklung als auch Verbesserungs- und Innovationsprozesse statt, für die die Unternehmen erhebliche finanzielle Mittel bereitstellen. Das Beispiel der wöchentlichen Gruppensitzungen in mittleren und großen Unternehmen zeigt dies deutlich. Die in diesen Lern- und Arbeitsformen ablaufenden – zumeist kontinuierlichen – Kompetenzentwicklungsprozesse unterscheiden sich erheblich vom überkommenen betrieblichen Lernen, das hauptsächlich auf eine enge Anpassungsqualifizierung gerichtet ist. Im Mittelpunkt dieser neuen Arbeits- und Lernformen steht der gleichwertige Erwerb von fachlichen, sozialen und personalen Kompetenzen. Die betriebliche Orientierung am Begriff der Kompetenz bzw. der Kompetenzentwicklung setzt also daran an, dass die „alte Qualifizierungslogik“ ( Wittwer 2002, 114) betrieblicher Weiterbildung nur noch bedingt angemessen ist. Vielmehr erweist es sich als notwendig, betriebliche Prozesse durch eine Orientierung an offenen Zielsituationen zu erweitern. Andererseits impliziert eine Orientierung am Kompetenzbegriff aber auch, dass die Beschäftigten nicht nur als Arbeitnehmer i. e. S., sondern als „ganze Person“ eingebunden werden. Damit können, sollen oder müssen gar die Kompetenzen, die im privaten Kontext oder im Rahmen informellen Lernens erworben wurden, in den Arbeitsprozess integriert werden – ohne jedoch z. B. in einem betrieblichen oder tariflichen Entgeltsystem vergütet zu werden.

Diesbezüglich werden zunehmend Verfahren und Instrumente zur Kompetenzerfassung in Betrieben eingeführt. Ihr betrieblicher Nutzen wird darin gesehen, dass nachvollziehbare und innerbetrieblich legitimierte Entscheidungen ermöglicht werden, dass die Eignung von Personen zur Erfüllung aktueller oder zukünftiger Aufgaben eingeschätzt werden kann und dass die Personalentwicklung Informationen über den aktuellen und zukünftigen Bildungsbedarf erhält (vgl. Jung 2000, 200). Das Interesse der Unternehmen zielt dabei allerdings stärker auf die Erfassung von Kompetenzen zur Einbeziehung in betriebliche Prozesse und insofern auf die Erfassung der „ganzen Person“ ab als auf eine Zertifizierung oder Anerkennung der Kompetenzen, was für die Beschäftigten auch über die betrieblichen Grenzen hinaus eine Arbeitsmarktrelevanz hätte.

3.2 Verbindung von Arbeiten und Lernen

Die Verbindung von Arbeiten und Lernen ist ein weiterer zentraler Diskussionsaspekt der jüngeren betriebspädagogischen Debatte. Er geht auf die zunehmende Bedeutung der Erwerbsarbeit für die Kompetenzentwicklung der Beschäftigten zurück. Die Verbindung von Arbeiten und Lernen und ihre jeweilige Schwerpunktsetzung in einzelnen Situationen des betrieblichen Alltags ist ein stetiger Abwägungsprozess. Dabei zeigt ein genauerer Blick auf die Formen der Verbindung zwischen Arbeiten und Lernen, dass prinzipiell zwischen „Lernformen“ und „Arbeitsformen“ zu unterscheiden ist (vgl. Dehnbostel/ Gillen 2005): Lernformen wie z. B. Qualitätszirkel, Lernstatt, Lerninsel und Lernstationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie gezielt formelles bzw. organisiertes Lernen einbeziehen und mit Erfahrungslernen in der Arbeit verbinden. Ihnen ist gemeinsam, dass Arbeitsplätze und Arbeitsprozesse unter lernsystematischen und arbeitspädagogischen Gesichtspunkten erweitert und angereichert werden. Es wird ein bewusster Rahmen geschaffen, der das Lernen – unter organisationalen, personalen und didaktisch-methodischen Gesichtspunkten – unterstützt, vernetzt, fordert und fördert. Moderne betriebliche Arbeitsformen wie Gruppenarbeit, Rotation, Projektarbeit und strategische Netzwerke stellen demgegenüber einen anderen Typus betrieblichen Lernens dar. Lernen erfolgt vor allem als Erfahrungslernen, ein formelles, organisiertes Lernen findet in diesen Arbeitsformen nur in Ausnahmefällen statt. Das Lernen über und mit Erfahrungen erfolgt u. a. in der Aufgabenbearbeitung, in der Kommunikation am Arbeitsplatz, in der Qualitätssicherung und dem Qualitätsmanagement sowie bei kontinuierlichen Verbesserungs- und Optimierungsprozessen. Dieses Lernen kann zwar als informell bezeichnet werden, es wird in seinen Wirkungen jedoch eingeplant, und zwar vorwiegend aus Gründen betriebswirtschaftlicher Effizienz und Optimierung, weil es mit formalisierten Formen betrieblicher Weiterbildung nicht erreicht werden kann und diese insofern in ihrer Bedeutung schmälert.

Aus der Subjektperspektive ist die Bedeutung der Verbindung von Arbeiten und Lernen insbesondere darin zu sehen, dass betrieblichen Arbeitshandlungen eine neue Qualität zukommt, wie sie mit bisherigen Formen der betrieblichen Bildungsarbeit nicht realisiert werden konnte. „Lernen ist Handeln in der betrieblichen Wirklichkeit“ ( Dehnbostel/ Pätzold 2004b, 26) und damit eingebunden in soziale Systeme bzw. Praxisgemeinschaften und „mit dem Prozess der Identitätsentwicklung verbunden“ (ebd.). Diese Qualität ermöglicht es, dass subjektive Interessen aufgenommen werden können und eine Differenzierung von Lebensmustern und Bildungswegen ermöglicht wird. Zudem besteht infolge der zunehmenden Verbindung von Arbeiten und Lernen die Möglichkeit, die Programmatik lebenslangen Lernens auch im betrieblichen Kontext zu realisieren. Das setzt allerdings voraus, dass die durch neue Lern- und Arbeitsformen erworbenen Kompetenzen erfasst und selbstgesteuerte Lernprozesse unterstützt werden.

Die Bedeutung, die der Verbindung von Arbeiten und Lernen aus betrieblicher Perspektive zukommt, ist darin zu sehen, dass sie eine Möglichkeit darstellt, Wertschöpfungsprozesse nicht oder nur in geringem Maß aufgrund von Lernprozessen unterbrechen zu müssen und zudem eine direkte Verwertbarkeit des Lernens für die Arbeit zu gewährleisten. Insofern orientiert sich aus betrieblicher Perspektive die Verbindung von Arbeiten und Lernen zum einen an einer Verlagerung von notwendigen Lernprozessen in den betrieblichen Ablauf auf Grund von Rationalisierung und Ökonomisierung. Zum anderen werden durch die neuen Lern- und Arbeitsformen Lernprozesse initiiert, wie sie durch bisherige Formen betrieblicher Bildungsarbeit jenseits des betrieblichen Arbeitsalltags nicht stattfinden können. Allerdings erfolgt die Weiterbildung „just in time“, d. h. sie folgt streng der Rationalität betrieblicher Arbeitsprozesse und orientiert sich weniger an individuellen Entwicklungs- und Bildungszielen.

3.3 Selbststeuerung und Selbstorganisation

Die Begriffe der Selbststeuerung und Selbstorganisation werden z. T. synonym verwendet, es werden aber auch Unterscheidungen bzw. Hierarchisierungen zwischen den Begriffen vorgenommen. Grundsätzlich geht es darum, einer Fremdsteuerung des Lernprozesses bzw. der Rahmenbedingungen des Lernens entgegenzuwirken und dem Lernenden mehr Autonomie bei der Gestaltung des Lernprozesses zu ermöglichen. Somit können die Lernenden selbstbestimmt entscheiden, was und wie sie lernen – didaktisch gewendet bedeutet dies, dass die Lernenden Intention, Inhalte, Methoden und Medien autonom festlegen, ebenso Lernzeiten und Lernorte. Nach der Terminologie von GREIF/ KURTZ (1996, 27), die den Begriff des selbstorganisierten Lernens verwenden, betrifft dies im Einzelnen Lernaufgaben und Lernschritte, Regeln der Aufgabenbearbeitung (Individuum und Gruppe), Lernmittel, Lernmethoden oder Lernwerkzeuge, zeitliche Investitionen und Wiederholungen bei der Bearbeitung der Aufgaben, die Form des Feedbacks und der Expertenhilfe sowie die soziale Unterstützung durch Kollegen und Lernpartner. Nach KNOWLES (1975, 18) beschreibt selbstgesteuertes Lernen einen Prozess, in dem der Lernende Maßnahmen ergreift, um mit oder ohne Hilfe Wissensdefizite zu diagnostizieren, eigene Lernziele zu formulieren, benötigte Ressourcen (materiell oder personell) zu beschaffen, Lernstrategien auszuwählen und den Lernerfolg zu evaluieren.

Damit wird deutlich, dass neben metakognitiven und kognitiven Fähigkeiten auch motivationalen und emotionalen Aspekten eine entscheidende Bedeutung zukommt: Der Lernende darf und muss selbst aktiv werden, sich zur Weiterentwicklung motivieren, auf entsprechende Bewältigungs- und kognitive Verarbeitungsstrategien zurückgreifen können und über ein entsprechendes Selbstvertrauen sowie Ausdauerbereitschaft verfügen. Somit setzt selbstgesteuertes Lernen die Fähigkeit zur Selbstbestimmung in allen lernrelevanten Fragen voraus (NEBER 1978, 22). Bezüglich der betrieblichen Weiterbildung ist die Förderung des selbstgesteuerten bzw. selbstorganisierten Lernens bzw. die damit verbundene Individualisierung des Lernens eine Antwort auf die zunehmende Heterogenität und kurzfristige Veränderung von Arbeitsorganisationsformen, Arbeitsplätzen und -anforderungen, d. h. eine Dezentralisierungs- und Individualisierungsstrategie betrieblichen Lernens.

Aus der Subjektperspektive wirken die Begriffe der Autonomie und Selbststeuerung zuerst einmal positiv. Die Möglichkeit, die Determinanten der Lernorganisation (wie z. B. Zeit, Ort), der didaktischen Strukturierung (z. B. Sequenzierung, Reduktion) oder der sozialen Situation eigenständig festlegen zu können, befördert Weiterbildungsstrategien, die den subjektiv empfundenen Bedürfnissen und der Leistungsfähigkeit entsprechen. Somit entspricht die „Motivierung und Befähigung der Menschen zu selbstgesteuertem Lernen [...] humanistischen Zielvorstellungen der Bildung zu mündigen, verantwortungsbewussten und aktiven Bürgerinnen und Bürgern. Für die persönliche Weiterentwicklung des Einzelnen und für die Zukunft unseres Landes gehören deshalb die Unterstützung des lebenslangen, selbstgesteuerten Lernens zu den gesamtgesellschaftlichen Schwerpunktaufgaben“ (DOHMEN 1999, 3). Im betrieblichen Kontext besteht die Chance, sich für den eigenen Tätigkeitsbereich bzw. entsprechend eigener Präferenzen weiterzubilden und entsprechende Zeitkorridore zu nutzen bzw. Arbeiten und Lernen miteinander zu verbinden. Somit ist der Lernende nicht an standardisierte und formalisierte Weiterbildungsangebote und -programme gebunden und hat die Möglichkeit weitgehender Selbstbestimmung.

Allerdings gibt es zwei bedeutsame Einschränkungen: Zum einen ist es in der Regel mit einer ökonomischen Entscheidungslogik im betrieblichen Kontext nur begrenzt vereinbar, dass der Lernende die Lernziele autonom setzen kann. Die Einbindung des Einzelnen in eine unter ökonomisch-technologischen Kriterien gestaltete Arbeitsorganisation bedingt zumindest häufig eine Fremdbestimmung von Lern- und Bildungszielen, d. h. hier reduziert sich die Entscheidungsfreiheit maximal auf die Aspekte der Inhalte bzw. vor allem auf die Methoden und Medien (vgl. zur Taxonomie selbstgesteuerten Lernens SCHWEETZ 1997, 165 ff.). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Lernen am Arbeitsplatz und somit – in der Terminologie von MÜNCH – an einem sekundären Lernort (die vorrangige Funktion des Lernorts ist außerpädagogisch bestimmt; Lernen ist jedoch möglich) erfolgt (SEVERING 1994, 24). Zwar verfügen insbesondere Großbetriebe heutzutage über entsprechende Selbstlernzentren im Sinne primärer Lernorte, ihre Nutzung dürfte jedoch im Wesentlichen außerhalb der Arbeitszeit und fern von konkreten Arbeitszusammenhängen erfolgen, so dass die Rationalität der Arbeitsprozesse nicht „gestört“ wird.

Zum anderen müssen die Lernenden über eine entsprechende Motivation zum selbstgesteuerten bzw. selbstorganisierten Lernen verfügen – eine diesbezügliche soziale Erwünschtheit und (oberflächliche) Kontrolle findet im Gegensatz zu eher fremdorganisierten, formalisierten Weiterbildungsangeboten (z. B. in Seminarform) nicht statt. Zudem müssen die Lernenden in der Lage sein, Lerndefizite zu erkennen, eigene Lernziele zu bestimmen, Lernmedien, Lernzeit und Lernorte selbst festzulegen, über geeignete Lernstrategien zu verfügen, den eigenen Lernweg kritisch zu reflektieren und letztendlich das Ergebnis des Lernprozesses im Hinblick auf die eingangs gesetzten Ziele evaluieren zu können. Dies stellt erhebliche Anforderungen an die Lernenden, denen in der Regel nur lernerfahrene und -gewohnte Individuen entsprechen können. Somit kann eine sehr starke Akzentuierung selbstorganisierten Lernens – analog zur Einführung anderer neuer Lernformen – im Betrieb auch zu verstärkter Polarisierung der Belegschaft führen (vgl. DIETTRICH/ ELSHOLZ 2005).

Demzufolge sind Unterstützungsstrategien seitens des Betriebes bzw. seitens des Weiterbildungspersonals notwendig, z.B. hinsichtlich der Bereitstellung von Lernmaterialien und Medien oder der gemeinsamen Identifikation von Lernbedürfnissen und -zielen im Rahmen von Kompetenzanalysen (vgl. GILLEN 2004). Weiterbildner erfüllen im Rahmen eines solchen Lernprozesses Beratungs- und Unterstützungsfunktionen in ihrer Rolle als Coach oder Lernberater mit dem Ziel, die Selbstbestimmungsfähigkeit zu fördern, d.h. es „geht um ein sukzessives Abbauen der Anleitung, da gleichzeitig die Selbständigkeit der Lernenden erreicht wird, mit einem höheren Niveau an Selbstanalyse, -planung, -organisation und -kontrolle“ (DEITERING 1995, 20). Somit ist das Lernen im Betrieb entsprechend der Eingrenzung von DEITERING „meistens sowohl fremd- als auch selbstgesteuert“ (ebd., 19).

Aus betrieblicher Perspektive soll selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen auch dazu beitragen, benötigte Qualifikationen schneller und effektiver bereitzustellen, indem die Verantwortung für den Lernprozess und die Lernorganisation an den Einzelnen delegiert wird, d.h. die Beschäftigten fungieren nicht nur als Experten ihres Arbeitsplatzes sondern auch als Experten für die Organisation korrespondierender Lernerfordernisse. Dies bedeutet ein stärker ergänzendes, nachfrageorientiertes Weiterbildungsprogramm, das individualisierte Lernwege unterstützt und fördert, eine neue Rolle von Trainern und Weiterbildern und letztendlich eine Didaktisierung des Betriebes ( Diettrich 2000, 292 ff.; s. u.), d.h. die konzeptionelle Schaffung von Anreizen und Möglichkeiten für selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen – der Betrieb wird zur Lernumgebung.

3.4 Implizites und explizites Erfahrungswissen

Der Prozess der Entformalisierung bisheriger Weiterbildungsformen und der Anerkennung informeller Lernformen macht eine Bedeutungszunahme informellen Lernens innerhalb des beruflich-betrieblichen Lernens deutlich. Die Formen non-formalen und informellen Lernens gelten dabei „als besonders geeignet, nicht objektivierbares Wissen zu vermitteln, ergebnisoffenes Suchhandeln, Eigeninitiative und damit jene nicht-fachlichen Kompetenzen zu stärken, denen große Bedeutung für die Bewältigung der Anforderungen im Betrieb und auf dem Arbeitsmarkt beigemessen wird“ ( Baethge/ Baethge-Kinsky/ Holm/ Tullius 2003, 11). Über die Bedeutungszunahme informellen Lernens wird auch die Kategorie der Erfahrung bzw. des Erfahrungswissens in die Betrachtung betrieblichen Lernens eingebunden. Dieser Bedeutungszuwachs liegt in den zu engen Grenzen organisierter und intentionaler Lernprozesse begründet. Über pädagogisch organisierte Lernprozesse kann nur ein Teil beruflicher Handlungskompetenz erworben werden. Untersuchungen zeigen, dass die Lern- und Entwicklungsprozesse, die dem tatsächlichen Arbeits- und Berufswissen von Fachkräften zugrunde liegen, überwiegend durch informelle Lernprozesse in der Arbeit bestimmt sind ( GrünEwald/ Moraal 2001).

Die Bedeutungszunahme informeller Lernprozesse ist jedoch auch von kritischen Stimmen begleitet. So sieht Kühnlein es als problematisch an, „das gesamte betriebliche Arbeitshandeln als einen Beitrag zur beruflichen Kompetenzentwicklung zu interpretieren“ (1997, 277) und den Begriff der betrieblichen Weiterbildung so inflationär zu verwenden, da damit zwar nicht generell aber partiell das ursprünglich umfassende Bildungsverständnis besonders in Lernformen jenseits des organisierten Lernens verengt werde. Diese Kritik setzt daran an, dass sich mit einer Erweiterung des Gegenstandsbereichs auch die betriebliche Weiterbildung als ein eigenständiger Teilbereich von Bildung verändert und dabei möglicherweise auf die innerbetriebliche Funktion reduziert und die gesellschaftliche Funktion ausgeblendet wird. Dieser Kritik kann zugestanden werden, dass eine begriffliche Entgrenzung betrieblicher Weiterbildung in Bezug auf informelles Lernen zwar durchaus sinnvoll ist, aber nur insoweit sie die inhaltliche Dimension und die Zielsetzung des Begriffes Weiter bildung nicht unterwandert.

Die Differenzierung zwischen implizitem und explizitem Erfahrungswissens wurde z.B. im Rahmen eines Modellversuchs zur „Ausbildung der Kompetenzen für erfahrungsgeleitetes Arbeiten in der Chemischen Industrie“ bearbeitet und dabei das Konzept zum „subjektivierenden Arbeitshandeln“ (vgl. Bauer 2002) bearbeitet. Die Grundlagen für das Konzept des subjektivierenden Arbeitshandelns sind Ende der 1980er Jahre entstanden, als deutlich wurde, dass trotz fortschreitender Technisierung der Arbeit die Fähigkeiten kompetenter und qualifizierter Fachkräfte unverzichtbar sind. Insbesondere die Erkenntnis der Grenzen von Automatisierbarkeit führte zu einer zunehmenden Wertschätzung qualifizierter Fachkräfte. So wurde deutlich, dass das Erfahrungswissen der Facharbeiter in der Produktion neben wissenschaftlich begründetem Fachwissen unersetzlich ist und nicht, wie angenommen, im Sinne eines sachgerechten Umgangs mit technischen Systemen ersetzt werden kann oder sogar muss. Die dort getroffene Unterscheidung von subjektivierendem und objektivierendem Arbeitshandeln verdeutlicht den Unterschied zwischen implizitem (subjektivierendem) und explizierbarem (objektivierendem) Erfahrungswissen. Objektivierendes Handeln beruht demnach auf vorher erworbenem und anderweitig bereitgestelltem Wissen und wird „durch logisch-rationales Denken unter weitgehender Ausschaltung von Gefühl und subjektivem Empfinden“ ( Bauer 2002, 41) geplant und reguliert und kann expliziert werden. Als konstitutiv für subjektivierendes Arbeitshandeln wird demgegenüber das Erfahrungswissen angesehen, das sich als Intuition bzw. Gefühl für technische Anlagen beschreiben lässt und in dieser Form nicht explizierbar ist. Diese Wissensform kann nicht ohne Substanzverlust expliziert und in ein objektivierendes Wissen transformiert werden.

Die Bedeutung von implizitem und explizitem Erfahrungswissen ist aus der individuellen Perspektive zum einen darin zu sehen, dass es eine zur Förderung beruflicher Handlungsfähigkeit notwendige Ergänzung zu Theoriewissen darstellt (vgl. Dehnbostel 2001, 59). Die Integration von theoretisch erworbenem Wissen einerseits mit informell erworbenem Erfahrungswissen andererseits bilden die beiden wesentlichen Faktoren für Arbeitshandeln. Relevanz erhalten Erfahrung und Erfahrungswissen auch durch ihre orientierende Wirkung. Durch Erfahrung werden vom Subjekt orientierende Zusammenhänge generiert und damit wird der Fragmentierung von Arbeitsabläufen entgegen gewirkt. Insbesondere explizites Erfahrungswissen ist auf der individuellen Ebene jedoch auch mit der Frage der Individualität von Wissensbeständen und einem vertraulichen Umgang damit verbunden. So wurde festgestellt, dass Wissen als unternehmerischer Faktor von Beschäftigten in interaktions- und lernförderlichen Systemen als Innovation begriffen und entsprechend eingebracht wird, in restriktiven und kontrollorientierten Unternehmenskulturen hingegen, nutzen Beschäftigte ihr Wissen, um ihre eigene Entscheidungssicherheit zu garantieren und ihrerseits Machtpositionen auf- und auszubauen ( Wilkesmann/ RaScher 2004, 147).

Ein anderer Fokus auf das Erfahrungswissen ergibt sich aus der betrieblichen Perspektive. Nachdem in tayloristisch organisierten Arbeitsprozessen durch eine extreme Teilung von Arbeitsvorgängen das individuelle Erfahrungswissen von Beschäftigten weitgehend ausgeschlossen war, verstärken moderne Arbeitsvorgänge und die damit verbundene Komplexität die Bedeutung von Erfahrungswissen. Damit rückt die Person als Ganzes ins unternehmerische Blickfeld, da Erfahrungswissen und Eigeninitiative in komplexen Arbeitsabläufen besondere Bedeutung erhalten. Es zeigt sich, dass es in betriebswirtschaftlich ausgerichteten, evolutorischen Konzepten der Lernenden Organisation vor allem um die Objektivierung und Transparenz von Wissen und die ‚Loslösung‘ vom wissensgenerierenden Individuum, die Erhaltung bzw. Speicherung und Vernetzung von Wissen und dessen Anwendung und die Regelung des Zugriffs geht. Insofern haben betriebliche Wissensmanagement- und Dokumentationssysteme in den letzten Jahren eine besondere Konjunktur erfahren (vgl. Güldenberg 1997; Reinmann-Rothmeier, G./ Mandl, H. 2000).

3.5 Organisationslernen und Lernende Organisation

Die Begriffe Organisationslernen und Lernende Organisation gehen auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Theorieansätzen aus unterschiedlichen Bezugswissenschaften und interdisziplinären Entwürfen, aber auch auf stark anwendungsorientierte Konzepte z.B. aus der Management- und Beratungsliteratur zurück. Obwohl mit dem Begriff des „Lernens“ eine primär pädagogische Kategorie im Zentrum des Organisationslernens steht, wird der Begriff recht wenig von der Berufs- und Wirtschaftspädagogik adaptiert. Eine Ausnahme ist hier H. GEIßLER, der dem Organisationslernen den Status eines betriebspädagogischen Grundbegriffs zuordnet (GEIßLER 1995, 45). Unter Rückgriff auf drei zentrale Ansätze zeichnet sich nach OSTENDORF (1997, 24 f.) eine Lernende Organisation durch

•  eine evolutionäre Ausrichtung des Gesamtunternehmens,

•  Änderungen in den Denkweisen der Beschäftigten, von Gruppen und in der Organisationskultur in Richtung Selbstverantwortung und Offenheit für kontinuierliche Veränderungsprozesse als Ausdruck einer verinnerlichten Lernkultur,

•  eine besondere Bedeutung der Generierung und Transformation von Wissen sowie

•  eine Fokussierung ganzheitlichen-systemischen Denkens auf allen Ebenen der Organisation (Individuen, Kollektive, Systemebene)

aus. Im Ansatz der Lernenden Organisation wird der Dualismus von pädagogischer und ökonomischer Perspektive „zugespitzt“, d.h. es stellt sich Frage, durch welche (pädagogischen) Interventionen eine systematische, gewollte Veränderung von Organisationen herbeigeführt werden kann – der Betrieb wird in diesem Verständnis als durch betriebspädagogische Interventionen zu gestaltendes Objekt betrachtet (vgl. TILCH 1998).

Die Frage der Gestaltung von Lernenden Organisationen kann auch als ein didaktisches Verhältnis interpretiert werden. Dies impliziert zwei Perspektiven, und zwar zum einen die Veränderung des Subjekts durch Lernen und zum anderen die Veränderung der Organisation. Dabei stehen die Maßstäbe des sozialökonomischen Systems neben denen des pädagogischen Systems. Diese Betrachtung der Lernenden Organisation aus didaktischer Perspektive führt zur konzeptionellen Entwicklung des Zusammenhangs „zwischen der Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an externe Veränderungen und dem individuellen Lernen von Menschen im Betrieb“ (SLOANE 1997, 107) vor dem Fokus, wie, d. h. durch welche organisatorischen Bedingungen und Regelungen bzw. individuellen Verhaltensweisen, Lernprozesse so initiiert werden können, dass sowohl ein ökonomisches als auch ein pädagogisches Interesse berücksichtigt wird. SLOANE verweist darauf, dass man in einer pädagogischen Perspektive der Lernenden Organisation fragt, „ob und in welchem Umfang betriebliche Umwelten die menschliche Persönlichkeit prägen und ob diese Prägung i. S. einer bildungstheoretischen Konzeption gewollt ist (Sicht auf das Erziehungssubjekt), [dagegen] geht man in einer ökonomischen Betrachtung davon aus, dass das Lernen von Menschen im Betrieb sich in ökonomischen Erfolgen manifestieren soll (Sicht auf das Wirtschaftssubjekt)“ (ebd., 108).

Der didaktische Anspruch zielt „auf die Frage des Entstehens und Stabilisierens der Handlungsfähigkeit des Subjekts“ (ebd., 112) ab. Zentrale Ziele einer Lernenden Organisation aus einer erweiterten didaktischen Perspektive (DIETTRICH 2000, 292 ff.) sind somit die Förderung des individuellen Lernens (Lernen in der Organisation), die Fortentwicklung betrieblicher Strukturen (Lernen der Organisation) und eine Förderung des Lernens in Netzwerken (interorganisationales Lernen). Vor diesem Hintergrund sind die Umsetzung der Vorstellung eines didaktisch organisierten Betriebes, die Sicherung eines pädagogischen Konzepts jedes Beschäftigten als potentiell „Lehrendem“ und der Aufbau nutzerorientierter, handlungsrelevanter Wissensstrukturen die zentralen Aufgabenbereiche. Somit steht die Lernende Organisation für eine besondere Qualität der Lernumwelt, die „Organisation muß ein System sein, das zum Lernen befähigt, motiviert bzw. das Lernen fördert“ (WITTWER 1995, 74), d. h. aus Sicht des Individuums bietet die Lernende Organisation besonders günstige Bedingungen für das Lernen und die persönliche Weiterentwicklung. Besondere Bedeutung kommt in diesem Verständnis der Didaktisierung der Führungsfunktion zu. Führungskräfte haben als Fach- und Machtpromotoren bei der Gestaltung Lernender Organisationen, insbesondere bei der lernförderlichen Arbeitsgestaltung und der Implementierung eines Wissensmanagements eine zentrale Rolle und müssen sich (auch) als Berater und Weiterbildner wahrnehmen (ARNOLD 1997, 95 f.).

Aus betrieblicher Perspektive geht es allerdings eher um Fragen der Optimierung von Arbeitsstrukturen und -prozessen, d.h. eine schnelle Anpassung an sich wandelnde Umweltbedingungen und das Hervorbringen kreativer Strategien. Zudem kann die Lernende Organisation auch als Instrument der betrieblichen Rationalisierung und der Loslösung des Lernens und Wissens vom Subjekt interpretiert werden (vgl. z. B. WITTWER 1995), d.h. das (lernende) Individuum wird lediglich zum Instrument der Organisation. So stellen GEIßLER/ ORTHEY heraus: „Wenn Organisationen mehr Subjektivität zulassen, dann nicht, um sie zu entwickeln (das kann als Beiprodukt anfallen), sondern um sie stärker für die Unternehmensziele zu nutzen“ (GEIßLER/ ORTHEY 1997, 13).

3.6 Vernetzung bzw. Netzwerke

Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels werden soziale Netzwerke als gesellschaftliche Organisationsform bezeichnet, die sich zwischen den klassischen Polen ‚Regulierung über Märkte‘ und ‚Regulierung durch Bürokratie‘, verorten lässt. Netzwerke bestehen „aus Interaktionen und Kooperationen zwischen Personen, Gruppen und Organisationen. Anlass und Ziel von Netzwerkarbeit sind es, gemeinsame Interessen zu verfolgen und gemeinsame Aufgaben zu bearbeiten“ (DEHNBOSTEL 2003, 184). Das Vorliegen interdependenter Beziehungen zwischen den Akteuren, keine alleinige Entscheidungs- und Kontrollfunktion, lose Kopplung der Akteure mit geringer Formalisierung, relative Autonomie der Akteure, das Vorhandensein eines Regelungssystems sowie die Existenz einer thematischen Ausrichtung gelten als konstituierende Merkmale für Netzwerke (vgl. GRAMLINGER 2002).

Für die berufliche Bildung und Weiterbildung ist zu unterscheiden zwischen Netzwerken mit dem vorrangigen Zweck der Kompetenzentwicklung und Qualifizierung sowie Netzwerken mit überwiegend sozialer und ökonomischer Zielsetzung (vgl. DEHNBOSTEL 2001). Nach diesem Verständnis sind „Qualifizierungsnetzwerke durch ihre Lern-, Qualifizierungs- und Bildungsausrichtung geprägt. Die Qualität des Lernens wird wesentlich durch neue Lernarrangements und Lernkulturen gestützt“ (DEHNBOSTEL u. a. 2003, 49). WILBERS dagegen vertritt eine eher institutionsbezogene Abgrenzung und orientiert sich am Begriff des Berufsbildungsnetzwerks, das „aus einer Menge von Institutionen aus der Region, die mit Bildung befasst sind und zwischen denen eine Reihe von Relationen wie z. B. politischer Einfluss, Austausch von Wissen, Freundschaft oder informationstechnische Beziehungen, besteht“ (WILBERS 2002, 55).

In Abhängigkeit vom jeweiligen Netzwerktyp kann und wird in Netzwerken gelernt, z. T. informell im Rahmen von Interaktionsprozessen, z. T. ergänzt durch formalisierte Angebote. Die Organisation beruflicher bzw. betrieblicher Bildungsprozesse in Form von internen oder betriebsübergreifenden Netzwerken ermöglicht Lernortpluralität und institutionsübergreifende Zusammenarbeit, die Erstellung neuer und attraktiver Lernangebote (hinsichtlich Flexibilität, Effizienz, Differenzierung) sowie die Individualisierung von Lernen (hinsichtlich Zeit, Ort, Tempo) und Kommunikation. Darüber hinaus liegt ein wesentlicher Vorteil von Netzwerken in der „kreativen Zusammenarbeit“ der Akteure, aber auch in der Arbeitsteilung und Spezialisierung, d. h. Netzwerke sind geeignete Instrumente für die Initiierung von Lernprozessen, für die Verbesserung von Rahmenbedingen für das Lernen und für die Ermöglichung neuer Lern- und Kommunikationsformen (vgl. DIETTRICH 2004).

Aus individueller Sicht bieten Qualifizierungs- und Kompetenzentwicklungsnetzwerke (vgl. z. B. ELSHOLZ/ DEHNBOSTEL 2004) eine Vielzahl von Kommunikations- und Kooperationsgelegenheiten und damit Ansatzpunkte für informelles, aber auch für selbstgesteuertes respektive selbstorganisiertes Lernen. So ermöglicht z. B. ein strukturierter Erfahrungsaustausch im Netzwerk die Reflexion eigenen Verhaltens und die Entwicklung und Erprobung neuer Verhaltensmodelle. Allerdings müssen auch hier die Individuen über entsprechende Dispositionen bzw. sozial-kommunikative Kompetenzen verfügen, um die zur Verfügung stehenden Lernangebote tatsächlich nutzen zu können – die Gefahr der Polarisierung bleibt immanent (DIETTRICH/ ELSHOLZ 2005).

Aus betrieblicher Perspektive führt die Verlagerung von Bildungsarbeit in Netzwerke zuerst einmal zu einem Komplexitätszuwachs, da die Weiterbildungsfunktion sowohl innerbetrieblich als auch außerbetrieblich verortet ist und entsprechende Schnittstellen existieren (DIETTRICH 2004). Betriebliche Akteure sind in langfristige Netzwerkkontexte eingebunden und können einerseits vom Know-how der Netzwerkpartner profitieren und anschließend z. B. innerbetriebliche Multiplikatorenfunktionen übernehmen. Andererseits führen Netzwerke aber auch zu einem Autonomieverlust bzw. zu einer Verbreitung spezifischen Wissens. Somit werden Betriebe – im Gegensatz zur Intention vieler Förderprogramme – auch weniger allein Lernen bzw. Weiterbildung ihrer Beschäftigten institutionalisieren, sondern im Sinne von Berufsbildungsnetzwerken zur Schaffung eines effizienten kooperativen Weiterbildungsangebots unter Ausnutzung komparativer Kostenvorteile, z. B. im Rahmen von Weiterbildungsverbünden oder strategischen Allianzen beitragen.

4.  Zusammenführung und Ausblick

Der Blick auf die Trends betrieblichen Lernens und die damit verbundenen Begriffe zeigt zusammenfassend folgendes Spannungsfeld auf: Aus der individuellen Perspektive lässt sich die übergreifende Logik der Veränderungen betrieblichen Lernens darin charakterisieren, dass der Einzelne zunehmend mehr Verantwortung und Handlungsspielraum bezüglich seiner Arbeits- und Lernprozesse im Betrieb erfährt. Es zeigt sich die Tendenz einer Abkehr von formalisierten Ausbildungen und generalisierten Mitarbeiterschulungen im Sinne klassischer Arrangements und Situationen. Abgelöst wird die Form des betrieblichen Lernens von der Organisation spezifischer, individualisierter Lernprozesse und Lernwege, die Orientierung an einer individuellen Kompetenzentwicklung und Begünstigung spezifischer Bildungswege und Lernmuster. Somit kann aus dieser Blickrichtung betrachtet von einer Subjektivierung betrieblicher Lernprozesse ausgegangen werden.

Aus betrieblicher Perspektive steht demgegenüber die Tendenz zur Kollektivierung betrieblichen Lernens. Das Bestreben der Objektivierung und Transparenz individueller Wissensbestände, die Initiierung von Netzwerken und das Leitbild der Lernenden Organisation stützen diesen Trend. „Aus betrieblicher Sicht geht es vorrangig darum, Verbesserungen und Optimierungen von Arbeitsstrukturen und Arbeitsergebnissen zu fördern und voranzutreiben. Lernen steht dabei im Kontext betrieblicher Reorganisations- und Umstrukturierungsprozesse, von Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und einer zunehmend kundenorientierten und globalisierten Ökonomie“ ( Dehnbostel / Pätzold 2004b, 19). Die übergreifende Logik der Veränderungen betrieblichen Lernens aus dieser Perspektive lässt sich darin charakterisieren, dass eine gemeinsame Wissensbasis geschaffen werden muss und Wissen entpersonalisiert werden muss, um es im Unternehmen zu halten und um damit im Wertschöpfungsprozess auch personenunabhängig arbeiten zu können. Aus Sicht des Unternehmens muss somit Wissen und Lernen getrennt werden, so dass zunehmend angestrebt wird, Wissen von einzelnen Personen zu lösen und zu kollektivieren.

Der wesentliche Konflikt, der sich aus diesem Spannungsfeld ergibt, ist darin zu sehen, dass sich die beiden Trends der Individualisierung und Kollektivierung unvereinbar gegenüber stehen, was in der betrieblichen Praxis z. B. zu Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bei der Einführung von Wissensmanagementsystemen führt oder sich darin dokumentiert, dass Beschäftigte ihr Erfahrungswissen nicht in diese Systeme einspeisen. Neben anderen Faktoren ist die Frage des Besitzes von Erfahrungswissen und damit der Individualität von Wissen einer der größten Scheiterfaktoren für diese Systeme ( WILKESMANN/ Rascher 2004). Zudem liegt ein Konfliktpunkt darin, dass Individualität in betrieblichen Lernprozessen – wie beschrieben – zunächst gefördert und angestrebt wird und später durch andere betriebliche Maßnahmen wie Netzwerke oder Wissensdatenbanken wieder aufgelöst werden soll, was der Logik betrieblicher Zweckorientierung entspricht, nicht aber zwangsläufig auch individuellen Entwicklungsbedürfnissen.

Ausgehend von diesen Konfliktlinien müssen gemeinsame Anknüpfungspunkte im Spannungsfeld zwischen der individuellen und der betrieblichen Perspektive in einer Anerkennung der Nicht-Austauschbarkeit des Einzelnen und seines Erfahrungs- und Wissensschatzes liegen sowie in der Erkenntnis, dass Erfahrungswissen und seine individuelle Bindung auch konstruktiv durch betriebliche Lernprozesse erschlossen werden können. Eine konstruktive Wendung der beschriebenen Konfliktsituation liegt somit in der Veränderung des Fokus, womit die beschriebenen Widersprüche nicht aufgelöst werden können, aber gestaltbar werden.

Erste Ansätze einer solchen Perspektivveränderung stellen neue, betriebspädagogisch relevante Konzepte z. B. des innerbetrieblichen generationenübergreifenden Lernens, der individuellen Förderung in Lerntandems, des Lernens in Netzwerken und Communities of Practice oder zu einer Neubestimmung zwischen den Rollen von ‚Lernenden‘ und ‚Lehrenden‘ durch Mentoring- oder Coachingkonzepte im Lernort Betrieb dar. Diese Konzepte bearbeiten die beschriebenen Konfliktlinien einerseits dadurch, dass sie die Weitergabe von Wissen auf der operativen Ebene fördern und den Einzelnen und sein Erfahrungswissen anerkennen. Andererseits setzt ihr Einsatz lernförderliche Rahmenbedingungen voraus, die den Erfolg dieser Konzepte bestimmen und auf diese Weise eine Verbindung individueller und betrieblicher Zielsetzungen ermöglichen. So ist diesen Lern- und Arbeitskonzepten gemein, dass sie einen vertrauensvollen und partnerschaftlichen Kontext erfordern, dass sie ein gemeinsames Interesse und eine intrinsische Motivation für Aufgabenbearbeitung und -lösung voraussetzen und auf ein stark selbstbestimmtes Vorgehen aufbauen. Durch die individuellen und kollektiven Lernprozesse innerhalb dieser Konzepte entsteht ein Wissens- und Erfahrungsbestand, der den Beteiligten eine gemeinsame Aufgabenbearbeitung ermöglicht. Die intensive Kommunikation und das gemeinsame Interesse innerhalb dieser Konzepte fördern zudem die Entstehung eines identitätsstiftenden Beziehungsgeflechts. Diese Aspekte werden z. B. für Communities of Practice ausgewiesen (vgl. Wenger 2002, North/ Franz/ Lembke 2004), sie gelten aber auch für Coachingkonzepte (vgl. Geßner 2000) oder Mentoringprogramme (vgl. Diettrich/ Koch 2005; KRAM 1985). Neben diesen Ansätzen wäre das beschriebene Spannungsfeld auch dadurch konstruktiv zu wenden, dass eine betrieblich anerkannte Form der Kompetenzerfassung erfolgt, mit der Lernprozesse dieser neuen Konzepte sichtbar gemacht werden und mit der sich Beschäftigte auch jenseits betrieblicher Grenzen im Bildungs- und Beschäftigungssystem bewegen können.

Somit ermöglichen die genannten Ansätze für die subjektorientierte Perspektive eine Förderung von beruflicher Handlungsfähigkeit, Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsstiftung und für die betriebliche Perspektive, die Realisierung von Verbesserungs- und Innovationsprozessen. Durch diese Verfasstheit können Konfliktlinien, die zwischen subjektiven und betrieblichen Perspektiven und Zielsetzungen auf der allgemeinen Ebene bestehen und nicht lösbar scheinen, auf der operativen Ebene gestaltet werden. Auch wenn noch weiter empirisch zu belegen ist, welchen Grenzen auch diese Konzepte unterliegen und von welchen neuen oder bisher nicht genannten Spannungsfeldern sie abhängig sind, da auch sie sich dem Gegensatz zwischen subjektiven und betrieblichen Zielsetzungen nicht gänzlich entziehen, können sie als Ansätze einer konstruktiven Bearbeitung des Gegensatzes gelten und die hier herausgearbeiteten ersten Strukturierungen und gemeinsamen Aspekte einen möglichen Ausgangspunkt für ihre weiter wissenschaftliche Untersuchung darstellen.

Insofern ist die im Titel dieses Beitrags formulierte Frage, ob das Spannungsfeld zwischen Subjektivierung und Kollektivierung als Dilemmasituation oder Potential anzusehen ist, dahingehend zu beantworten, dass sich das Spannungsfeld betrieblicher und individueller Perspektive am Lernort Betrieb auf Konfliktlinien gründet, die ihrerseits aufgrund unterschiedlicher Perspektiven und Zielsetzungen nicht aufzulösen sind, wohl aber konstruktiv zu bearbeiten sind und auf der Ebene der betrieblichen Umsetzung zu verbindenden Konzepten betrieblichen Lernens führen.

 

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