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 bwp@ Ausgabe Nr. 9 | Dezember 2005
Betrieb als Lernort

Zur berufspädagogischen Bedeutung des Betriebs als Lernort – oder: Warum ein Krankenhaus kein Lernort im Sinne des berufspädagogischen Diskurses ist


 

 

 

Die Frage nach der berufspädagogischen Bedeutung des „Betriebs als Lernort“ muss vor dem Hintergrund der Transformation der Ausbildung im Kontext der Industrialisierung und ihrer spezifischen Bedingungen in Deutschland gesehen werden: die handwerklich geprägte und kooperativ regulierte Ausbildung im Betrieb wurde zum Gegenstand staatlicher Regulierung, wenngleich sie weiterhin weitgehend in Selbstverwaltung der Wirtschaft blieb; der Staat – das heißt vor allem das Deutsche Reich in den ersten Jahren nach seiner Gründung sowie zu Beginn des 20. Jahrhunderts – schuf mit den (beruflichen) Fortbildungsschulen eigene Institutionen in Ergänzung der betrieblichen Ausbildung; und nicht zuletzt legte die Berufsbildungstheorie in dieser Zeit die Grundlage für die bildungstheoretische Verknüpfung von schulischem und praktischem bzw. betrieblichem Lernen in der Form des Berufs. Der „Betrieb als Lernort“ in Kombination mit der Schule hat in diesem Kontext als „symbolhafte Mitte“ der Berufsbildung quasi das „Erbe“ des Handwerks - und damit der Figur des klassischen Lehrmeisters - angetreten. Der „Betrieb als Lernort“ steht daher bis heute auch als Chiffre für die Besonderheit des „Dualen Systems“, das sich einerseits in der Funktion des Betriebs als Lernort im Kern von schulbasierten Ausbildungsgängen und -systemen unterscheidet, diesen Lernort aber auch systematisch in ein System beruflicher Bildung einbindet und sich hierüber von rein betriebsbasierten Ausbildungsformen abhebt.

Aufgrund dieser, über die einfache Tatsache, dass in Betrieben etwas Ausbildungsrelevantes gelernt wird, hinausgehenden Bedeutung des „Betriebs als Lernort“ für die Berufsbildung stellt sich die Frage, wie dieser Lernort innerhalb anderer, nicht-dualer Ausbildungen wahrgenommen wird. Im Rahmen des Beitrags soll dies entlang der Leitfrage diskutiert werden, ob das Krankenhaus im Sinne des berufspädagogischen Diskurses ein „betrieblicher Lernort“ ist. De facto kommt ihm zwar in der Ausbildung in verschiedenen Gesundheitsberufen eine wichtige Bedeutung zu, doch gibt es sowohl in seiner historischen Entwicklung und Bedeutung für die Herausbildung der Berufe und ihrer Ausbildungsformen als auch in seiner aktuellen Stellung in der Berufsbildung Unterschiede zu der Rolle des Betriebs für dual ausgebildete Berufe. Ausgehend von einer Auseinandersetzung mit der Bedeutung des „Betriebs als Lernort“ im aktuellen berufspädagogischen Diskurs werden daher zur Beantwortung der Frage, ob es sich beim Krankenhaus um einen solchen Lernort handelt, eine historische und eine aktuelle Perspektive auf die Bedeutung dieses Lernorts für die Krankenpflege-Ausbildung eingenommen.

1. Was wird unter „Lernorten“ im berufspädagogischen Diskurs verstanden?

Die Phase intensiver Bildungsreformen in den 1960/70er Jahren – maßgeblich geprägt durch den Deutschen Ausschuss und den Bildungsrat – hat auch zu einer Reihe von Wortschöpfungen geführt, die zwar keineswegs von Beginn an auf breite Zustimmung stießen, aber mittlerweile im allgemeinen pädagogischen Wortschatz fest etabliert sind: Weiterbildung sollte Erwachsenenbildung ablösen, die Ausbildung wurde als „duales System“ bezeichnet (PÄTZOLD/WAHLE 2003, 471 f.) und der Begriff des Lernortes im Zusammenhang mit der beruflichen Bildung eingeführt (DEHNBOSTEL 2002, 356 ff). Bei der bildungspolitischen Bestimmung dieser Begriffe wird der starke Akzent auf dem organisierten Lernen deutlich: wurde doch Weiterbildung definiert als „Wiederaufnahme organisierten Lernens“ und der Lernort als eine Einrichtung, die Bildungsangebote organisiert und im Rahmen des öffentlichen Bildungswesens anerkannt ist (ebd., 358). Im Bezug auf Duales System und Lernorte zeigt sich der Fokus auf organisierte Lehr-Lern-Prozesse bis heute, wenngleich beim Lernort ähnlich wie bei der Weiterbildung im Zuge der Aufwertung von informellem Lernen und der Aufmerksamkeit für Lernen außerhalb von Bildungsinstitutionen die Bezugnahme auf Orte des organisierten Lernens an Ausschließlichkeit verloren hat.

Die enge Verbindung zwischen den organisierten und anerkannten Lernorten und der Identität des Dualen Systems ist allerdings bis heute erhalten geblieben. Dieser Zusammenhang ergibt sich aber nicht nur vor ihrem gemeinsamen Hintergrund in der bildungsreformerischen Phase der 1970er Jahre, sondern auch aus der systematischen Bedeutung von klar bestimmten Lernorten und ihrer Zusammenarbeit im Rahmen des Ausbildungssystems. Es verwundert daher nicht, dass sowohl DEHNBOSTEL (2002) wie auch GONON (2004) in einer rückblickenden Betrachtung der Lernortdiskussion und -forschung darauf hinweisen, dass sich das Themenfeld „Lernort Betrieb“ und „Lernortkooperation“ zwar innerhalb der Berufspädagogik als wichtiges Thema etabliert hat, dort allerdings eindeutig in der Ausbildung verankert ist und in der Weiterbildungsdebatte deutlich schwerer Fuß zu fassen scheint. In der betrieblichen Politik und Praxis spielt zwar die Weiterbildung – und damit auch der Betrieb als Lernort – ebenfalls bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle (vgl. BÜCHTER 2002), da aber dieser Bildungsbereich nicht in gleicher Weise institutionalisierte Formen eines Teilbereichs des Bildungssystems angenommen hat wie die Ausbildung, konnte auch die Definition und Zusammenarbeit unterschiedlicher Lernorte hier dennoch kein vordringliches Thema werden. Die Lernortforschung richtet folglich ihren „Fokus auf die Zusammenarbeit bzw. Kooperation von Berufsschule und Betrieb“ (GONON 2004, 251) und widmet sich nur gelegentlich der Kooperation anderer Lernorte, beispielsweise mit Blick auf die überbetrieblichen Ausbildungsstätten, in Form der Verbundausbildung oder im Rahmen vernetzter Lernortstrukturen (DEHNBOSTEL 2002, 357 ff.).

Die Verankerung der Lernortdiskussion in der Ausbildung gilt auch umgekehrt: Das Duale System der Ausbildung wird über das „Zusammenwirken“ (SCHELTEN 2004, 65 und PÄTZOLD 2001, 195) der beiden Lernorte Betrieb und Schule identifiziert und hieran die Feststellung zur Besonderheit des Dualen System angeschlossen, dass es „sowohl in das Bildungs- als auch in das Beschäftigungssystem eingebunden“ (PÄTZOLD 2001, 195) ist. Diese Verbindungsfunktion zeichnet auch das dem Dualen System zugrunde liegende Berufskonzept aus, als dessen Hauptkennzeichen die Betonung seiner Funktionalität in verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen sowie insbesondere ihre Verknüpfung miteinander hervorgehoben wird (vgl. KRAUS 2006). Die strukturelle Verbindung von Bildungs- und Beschäftigungssystem durch die Berufsbildung nimmt somit sowohl konzeptionell wie pragmatisch eine wichtige Stellung ein, die für das Duale System grundlegend ist, da diese Beziehung es von anderen Systemen beruflicher Bildung unterscheidet: Qualifizierung ist zwar auch – aber nicht ausschließlich – Aufgabe der Wirtschaft und berufliches Lernen findet auch – aber nicht ausschließlich – in der Schule statt. Gerade in der Kombination beider wird vielmehr die spezifische Stärke des Dualen Systems der Berufsbildung ausgemacht (PÄTZOLD/WAHLE 2004, 479). Die positiv hervorgehobene Spezifität des Dualen Systems ist konzeptionell im Berufskonzept verankert und wird in den beiden miteinander verbundenen Lernorten Schule und Betrieb sichtbar. Dass die Kooperation der Lernorte als pragmatischer Ausdruck für das Duale System gesehen werden kann, liegt darin begründet, dass beide Orte jeweils prototypisch für einen gesellschaftlichen Teilbereich stehen: die Schule für das Bildungssystem und der Betrieb für die Privatwirtschaft. Das Duale System ist als Bindeglied zwischen Beschäftigungs- und Bildungssystem konzipiert, was sich in der Frage der Kooperation der beiden prototypischen Lernorte Schule und Betrieb konkretisiert. Die intensive Beschäftigung mit der Lernortkooperation kann somit auch als eine symbolische Auseinandersetzung mit der strukturellen Funktion des Dualen System gesehen werden.

Der Lernortfrage kommt somit für den berufspädagogischen Diskurs eine zentrale Bedeutung in Hinblick auf die Identifizierung des Systems als „dual“ zu, die sowohl in der spezifischen Ausgestaltung der beiden Lernorte sowie in ihrer Kooperation zu suchen ist: Mit Blick auf die Berufschule wird vor allem ihre „Eigenständigkeit“ (SCHANZ 2001, 158) als Lernort im Rahmen der Ausbildung betont, sowie gleichzeitig ihre Nachrangigkeit im Dualen System problematisiert (PÄTZOLD 2001, PÄTZOLD/WAHLE 2004). Hier steht also die Stärkung desjenigen Lernortes, der die Einbindung ins Bildungssystem repräsentiert, im Mittelpunkt. Mit Blick auf den Betrieb wird einerseits die Frage nach den Bedingungen von Lernen am Arbeitsplatz (vgl. DEHNBOSTEL 2003) bzw. nach dem „Lernpotential im Betrieb“ (GONON 2004, 251) gestellt sowie andererseits seine über die privatwirtschaftliche Grundfunktion hinausgehende Einbindung über das Berufsbildungsgesetz (SCHELTEN 2004) bzw. sogar seine pädagogische Funktionalisierung (vgl. HARNEY 1998) thematisiert. Beim beschäftigungsseitigen Lernort steht somit die Identifizierung als Lern ort im Vordergrund, die sich über die ökonomische Funktion hinaus als „pädagogische Doppelfunktion“ darstellt.

Die Kooperation auf der Ebene der prototypischen Lernorte steht im berufspädagogischen Diskurs insgesamt als Ausdruck dafür, dass die duale Berufsbildung ihre Funktion in der Verbindung von Bildungs- und Beschäftigungssystem (weiterhin) erfüllt. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Beobachtung, dass „die Zusammenarbeit der Lernorte in der beruflichen Bildung (...) in der Diskussion zur Modernisierung der dualen Berufsausbildung eine zentrale Stellung“ (BAU/MEERTEN 2005, 3) einnimmt und in der Verbesserung des „Zusammenwirkens“ beider Lernorte eine wichtige Reformperspektive gesehen wird. GONON formuliert hier als Beobachtung, dass in der Frage der Lernorte eine Kooperation generell als „wünschbar und effizienter“ erscheint (2004, 252). PÄTZOLD/WAHLE heben sogar als „Kulminationspunkt dieses Modernisierungsprozesses (...) die innovative Zusammenarbeit von Berufsschule und Betrieb“ (2003, 480) hervor und betonen zugleich die Notwendigkeit von Autonomie und Stärkung der Berufsschule (ebd., 479). DEHNBOSTEL wiederum stellt die Forderung ins Zentrum, den „Arbeitsplatz als Lernort (zu) erschliessen und (zu) gestalten (2003, 5). Feller hingegen formuliert den Anspruch einer inhaltlichen Vernetzung von „fachtheoretische(m) Wissen in der Berufsschule mit der fachpraktischen Arbeit im Betrieb (1998, 376) als Reformperspektive. Die Perspektive einer Kooperation der Lernorte, die den Betrieb in das Bildungssystem einbezieht und die Bildungsinstitution Schule nicht untergehen lässt, wird somit übergreifend als zentraler Aspekt für die Weiterentwicklung des Dualen Ausbildungssystems gesehen. Dies sieht man nicht zuletzt auch daran, dass die Lernorte nicht nur im Berufsbildungsgesetz weit vorne platziert sind, sondern die „Lernortkooperation“ in das neue Berufsbildungsgesetz explizit Eingang gefunden hat. Die berufspädagogische Diskussion um den Lernort Betrieb thematisiert also mehr, als nur die Frage nach geeigneten Orten für das berufliche Lernen: Lernortkooperation wird hier zum pragmatischen Indikator für das Duale System: Gelingt es, den Betrieb strukturell als Lernort einzubinden, die Schule in ihrer Eigenständigkeit zur Geltung zu bringen und kooperieren schließlich diese beiden prototypischen (Lern)-Orte des Bildungs- und Beschäftigungssystems, dann lässt sich dies auch als Zeichen dafür lesen, dass es dem Dualen System der Ausbildung gelingt, sein konzeptionelles Versprechen einer Vermittlung von Bildungs- und Beschäftigungssystem einzulösen.

Die Bedeutung der Lernort-Diskussion ergibt sich also aus dem Zusammenhang von konzeptioneller Grundlage (Beruf), strukturellem Rahmen (Duales System) und pragmatischer Zusammenarbeit, die alle auf der Spezifität der Verbindung von Bildungs- und Beschäftigungssystem basieren. In der Auseinandersetzung mit der konkretesten Ebene, d.h. der pragmatischen Zusammenarbeit der Lernorte, werden daher stets auch die anderen beiden Aspekte implizit mit-thematisiert. Die große Aufmerksamkeit für die Kooperation zwischen diesen beiden Orten des Lernens, der Berufsschule und dem Betrieb, kann somit auch symbolisch als Zeichen der Sorge um das Fortbestehen des Dualen Systems in seiner Spezifität der „doppelten Verankerung“ verstanden werden und geht damit in ihrer Bedeutung über die Frage der Bedingungen von beruflichen Lernprozessen weit hinaus.

2. Zur historischen Entwicklung und aktuellen Struktur der Krankenpflege-Ausbildung

Die Krankenpflege hat sich in Deutschland ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts als Tätigkeitsfeld entwickelt, ein markantes Datum ist hier die Gründung der Bildungsanstalt für Diakonissen in Kaiserswerth im Jahr 1836 (KRUSE 1995, 32). Vorläufer dieser Entwicklung war das so genannte „Wartsystem“ unqualifizierter Krankenpflege und die konfessionelle Fürsorge (vgl. SCHAPER 1987). Für die Entstehung der modernen Krankenpflege als „bürgerlicher Frauenberuf“ (DARMANN u. a. 1998) im Laufe des 19. Jahrhunderts war ein Zusammentreffen von verschiedenen Bedarfslagen und sozial-strategischen Interessen an der Krankenpflege ausschlaggebend (vgl. KRAUS u .a. 2004, 31 ff.), denn „noch in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war die Krankenpflege kein Beruf, geschweige denn ein Frauenberuf“ (BISCHOFF-WANNER 2000, 24). Dies änderte sich zum einen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen – beginnende Industrialisierung, Bedarf an gesunden Arbeitskräften und Rekruten, Verstädterung, Bevölkerungswachstum, Aufstieg des Bürgertums, Verarmung – und zum anderen als Folgeentwicklung einer Professionalisierung, Akademisierung und Spezialisierung der Medizin (vgl. WOLFF/WOLFF 1994, 10).

Im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelte sich auch die Funktion der Krankenhäuser von „Verwahranstalten“ für Randfiguren der Gesellschaft, die von den in einfachen Lohnarbeitsverhältnissen stehenden „Wärter/innen“ versorgt wurden, zu Krankenhäusern mit einem medizinisch-pflegerischen Auftrag. Es entstanden damit sowohl ein allgemeiner gesellschaftlicher Bedarf an medizinisch-pflegerischer Versorgung wie auch ein spezifischer Personalbedarf an qualifizierten Pflegekräften in den Krankenhäusern. Damit eröffnete sich für die Frauen des Bürgertums ein respektables außerhäusliches Betätigungsfeld, das ihnen ausgehend von der ehrenamtlichen Betätigung in der Fürsorge auch als Erwerbsquelle und alternatives Lebensmodell neue Möglichkeiten bot (vgl. FRITSCHI 1990). Am Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich im Ringen um das Betätigungsfeld der Krankenpflege zwischen proletarischem Wartsystem, traditioneller Ordenspflege und bürgerlicher Krankenpflege (vgl. DARMANN u. a. 1998) letztere sowohl hinsichtlich der ideellen Berufskonstitution sowie in Bezug auf die Besetzung und soziale Schließung dieses Tätigkeitsfeldes durchsetzen (vgl. KRAUS u. a. 2004 31 ff.).

Vor diesem Hintergrund entstand die moderne Krankenpflege als „unvollständiges Lohnarbeitsverhältnis“ (VOGES 2002, 27), da sie sich zunächst in den „Schwesternschaften“ und ihren „Mutterhäusern“ entfaltete und vor dort den Weg der Verberuflichung nahm. Das Prinzip der „Mutterhäuser“ für die Pflegekräfte stammt aus der Tradition der Ordensgemeinschaften und wurde für Deutschland zunächst zum hauptsächlichen Modell für die Organisation der Pflegekräfte, das zugleich eine streng geregelte „Lebens- und Arbeitsform der weiblichen Arbeitskräfte“ darstellte (SCHAPER 1987, 123). Der Titel der „Schwester“ hängt mit dem Mutterhausprinzip aufs Engste zusammen, da diese Bezeichnung zunächst nicht auf der Ausbildung basierte, sondern die Mitgliedschaft in einer Schwesternschaft, d.h. die Zugehörigkeit zu einem Mutterhaus, anzeigte (DARMANN u. a. 1998, 89 f.). Ausgangspunkt für die Verbreitung des Mutterhauses in der Krankenpflege war die Gründung der Kaiserswerther Diakonissenanstalt durch den Pastor Theodor Flieder (1836), der dieses Prinzip als Grundlage seiner Institution für die Ausbildung der Pflegekräfte übernahm. Die Kaiserswerther Anstalt erreichte aufgrund ihrer erfolgreichen Arbeit bald Modellcharakter für die Krankenpflegeausbildung in Deutschland und ebnete dem Mutterhausprinzip als Organisationsform für die Qualifizierung und Rekrutierung von Arbeitkräften in der Pflege damit den Weg.

Die Mutterhäuser entschieden nach strengen Regeln über die Aufnahme und bestimmten das Leben der Schwestern in hohem Masse. Diese waren nach ihrem Eintritt einem Mutterhaus zugeordnet und daher nicht selbstständig, sondern in der Qualifizierung und dem Zugang zum „Arbeitsmarkt“ von diesem abhängig. Qualifizierte Pflegerinnen, die ihre Tätigkeit selbstständig ausüben wollten, wurden gleichzeitig als „wilde Schwestern“ (RÜBENSTAHL 2003) diffamiert. Denn das Mutterhaus bildete nicht nur aus, sondern entsandte bei Bedarf „seine Schwestern“ gegen Entgelt in andere Krankenhäuser, es organisierte damit nicht nur die Ausbildung, sondern auch den Zugang zum Betätigungsfeld der Pflege. Die Diakonissen erhielten somit durch die Mutterhäuser nicht nur den Zugang zum einem anerkannten Betätigungsfeld, sondern - ebenfalls durch Fliedner mit nachhaltiger Wirkung begründet - auch eine qualifizierte Ausbildung, eine einheitliche Tracht und die privilegierte Anrede als „Schwester“ (vgl. KRUSE 1995, 35), die auch für die verberuflichte Krankenpflege ihre Bedeutung behielten.

Die Krankenpflege entwickelte sich im 19. Jahrhundert im Spannungsverhältnis von religiös-klerikaler Tradition, gesellschaftlicher und ökonomischer Modernisierung, medizinischer Professionalisierung und bürgerlichem Geschlechtermodell. Die Schaffung eines bürgerlichen Berufsbilds der Krankenschwester vereinte dabei eine Allianz verschiedener Interessen: zum einen die Frauen des Bürgertums selbst: im Kontext von Frauenbewegung, Frauenerwerbs- und -bildungsvereinen sahen sie hierin eine Möglichkeit, ihren Tätigkeitskreis über die Sphäre des Haushaltes hinaus auszudehnen; zum zweiten die Ärzteschaft , die sich von dieser Gruppe zum einen eine qualifizierte Arbeit in der Pflege erwartete, sich hier aber zum anderen auch einer klar dienenden Einstellung zu dieser Tätigkeit sicher sein konnte, die sie vor unliebsamer Konkurrenz schützte; zum dritten die Krankenhäuser mit ihrem Bedarf an kostengünstigen, qualifizierten und einsatzbereiten Arbeitskräften wie auch die Mutterhäuser , die für den eigenen Bedarf Schwestern ausbildeten, aber über die Entsendung in andere Krankenhäuser auch eine lukrative Einnahme erzielen konnten.

Das im Kontext dieser Interessenallianz herausgebildete Berufsbild vereint daher qualifizierte und dienende Tätigkeit und wurde maßgeblich von den ausbildenden Institutionen des Gesundheitswesens geprägt, die auch die soziale Schließung durchsetzten, sowie den Pflegeberuf in Abgrenzung zur Akademisierung der Ärzteschaft profilierten. Die Krankenhäuser spielten daher nicht nur als Einsatz- und „Lernorte“ für die angehenden Schwestern eine wichtige Rolle, sondern waren auch bei der Konstitution und Etablierung des Berufs sowie als Träger der Ausbildungsinstitutionen beteiligt. Man kann also in der Entstehungsphase des Krankenpflegeberufs von einer hohen Einflussnahme der Krankenhäuser ausgehen: in der Schaffung des Berufsbildes und den Ausbildungsmöglichkeiten sowie in der Ausweitung und zugleich Regulierung der Beschäftigung in der Pflege.

Dieser starke Einfluss zeigt sich teilweise noch heute in den Strukturen der Pflegeausbildung. Ein deutlicher Ausdruck davon ist die etablierte Verankerung der Berufsbildung in der Pflege im Praxisfeld der Gesundheit und damit weitgehend außerhalb des (Berufs)Bildungssystems. Die Ausbildungsinstitutionen sind als so genannte „Schulen des Gesundheitswesens“ häufig an eine große Institution des Gesundheitswesens, in der Regel an ein Krankenhaus, angegliedert. Sie gehören zum selben Träger und gewährleisten den praktischen Anteil der Ausbildung indem sie die Schüler/innen mit einem Ausbildungsvertrag beschäftigten. Obwohl die Ausbildung an den „Schulen des Gesundheitswesens“ als eine schulbasierte Ausbildung gilt, werden 55 % der Ausbildungszeit in der praktischen Ausbildung und 45% in der Schule absolviert (vgl. KRAUS u. a. 2004, 126 ff.). Trotz der Bedeutung des Krankenhauses in der Entstehung des Berufes und im Rahmen der heutigen Ausbildung stellt sich allerdings die Frage, ob es sich beim Krankenhaus um einen Lernort im Sinne der zuvor beschriebenen berufspädagogischen Diskussion handelt.

3. Das Krankenhaus: Ein Lernort im Sinne der berufspädagogischen Lernortdiskussion?

Das Krankenhaus kann trotz seiner wichtigen Bedeutung für die Entstehung des Krankenpflegeberufs und seiner heutigen Funktion im Rahmen der Pflegeausbildung nicht als Lernort im Sinne des berufspädagogischen Diskurses bezeichnet werden. Die Gründe dafür liegen sowohl in der dominierenden Form der „Schulen des Gesundheitswesens“ als auch in der spezifischen Einbindung des „Lernortes Krankenhaus“ in die Ausbildung.

Der Beruf der Gesundheits- und Krankenpfleger/in ist zwar in einigen Bundesländern an (Berufs-)fachschulen angesiedelt, allerdings wird er überwiegend an eigenen „Schulen des Gesundheitswesens“ ausgebildet, die einer Institution des Gesundheitswesens angegliedert sind (meistens einem Krankenhaus) und sich mit dieser in der gleichen Trägerschaft befinden. Die „Schulen des Gesundheitswesens“ sind damit strukturell direkt im Gesundheitssystem verankert, nicht im Bildungssystem. Sie unterstehen in der Regel der Fachaufsicht der Gesundheitsministerien der Länder – nicht der Kultushoheit und Schulaufsicht der Bildungsministerien –, was nicht nur zu einer „Regelungslücke“ (vgl. BALS 2002) führt, sondern auch zu Problemen bei der Anschlussfähigkeit der Abschlüsse im Bildungssystem (vgl. bspw. MEIFORT 1999, BRENDEL/DIELMANN 2000, BECKER 2002). Der Lernort Schule in Form der am häufigsten anzutreffenden „Schule des Gesundheitswesens“ kann trotz seiner Bedeutung in der Pflegeausbildung also der prototypischen Funktion für das Bildungssystem nicht nachkommen, da er selbst – im Gegensatz zur Berufsschule des Dualen Systems – außerhalb des Bildungssystems liegt.

Der zweite Grund für die Feststellung, dass es sich beim Krankenhaus nicht um einen betrieblichen Lernort im Sinne des berufspädagogischen Diskurses handelt, liegt in der Funktion, die die Praxis als Lernort hier einnimmt. Zwar ist sie wie die betriebliche Ausbildung auf der Grundlage des Dualen Systems eindeutig dem Beschäftigungssystem zuzuordnen, wenngleich die meisten Krankenhäuser nicht der Privatwirtschaft zuzurechnen sind. Auch verfügen die Auszubildenden über einen Arbeitsvertrag mit dem Krankenhaus bzw. der Institution, in der sie ausgebildet werden und absolvieren einen großen Anteil ihrer Ausbildung im realen Arbeitsalltag auf den Stationen. Der Unterschied in der Funktion dieses Lernortes zum Lernort, wie er in der berufspädagogischen Diskussion vorherrscht, besteht damit nicht in der Frage, wie und was dort von den Auszubildenden gelernt wird, sondern in seiner spezifischen Einbindung. Denn in der Krankenpflege ist es die Schule, die beim Nachweis bestimmter Voraussetzungen durch die Gesundheitsministerien der Länder eine Anerkennung für die Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege erhält: Sie muss unter anderem ein Curriculum einreichen, das die Vorgaben des Berufszulassungsgesetzes erfüllt und nachweisen, dass die praktische Ausbildung durch Angliederung oder Kooperation mit einem Krankenhaus gewährleistet ist. Weder das Bildungs- noch das Gesundheitsministerium haben also einen direkten regulierenden Zugriff auf den Lernort Praxis in der Pflegeausbildung, dieser wird vielmehr mittelbar durch die Fachaufsicht über die „Schulen des Gesundheitswesens“ realisiert.

Das Krankenhaus ist zwar Teil des Beschäftigungssystems und stellt als solches Lernmöglichkeiten für Auszubildende zur Verfügung, es ist aber nicht direkt regulativ in das Ausbildungssystem eingebunden. Da die Ausbildung der Krankenpflege nicht auf der Grundlage des Berufsbildungsgesetzes, sondern basierend auf einem Berufszulassungsgesetz geregelt ist und eigene Schulformen jenseits der Kultushoheit der Länder ausgebildet hat, fehlt trotz der Kombination von Lernort Schule und Lernort Praxis beiden Lernorten die Einbindung ins Bildungssystem. Diese Einbindung ist aber gerade für das berufspädagogische Verständnis sowohl für den Lernort Betrieb als auch für die Lernortkooperation von Betrieb und Berufsschule im Dualen System ausschlaggebend, da nur so die Verknüpfungsfunktion von Bildungs- und Beschäftigungssystem realisiert werden kann. Wenngleich für die Krankenpflege ebenfalls die Abstimmung von theoretischem und praktischem Lernen eine wichtige Frage darstellt, ist sie strukturell doch zu eindeutig im Gesundheitssystem verankert, um die Lernortfrage in gleicher Weise thematisieren zu können wie die berufspädagogische Diskussion um die Lernorte der Dualen Ausbildung. Daher ist die Praxis im Krankenhausbetrieb zwar ein Ort, an dem im Rahmen einer Ausbildung gelernt wird, aber kein betrieblicher Lernort im Sinne des berufspädagogischen Diskurses.

4. Fazit

Das Krankenhaus nimmt nicht nur aktuell im Rahmen der Ausbildung eine bedeutende Funktion ein, sondern war auch für die Konzeption des Berufs und den Aufbau der Ausbildungsstrukturen in der Krankenpflege ein wichtiger Einflussfaktor. Dem „Betrieb Krankenhaus“ kann also zunächst eine hohe Relevanz für die Berufsbildung im Pflegebereich zugesprochen werden. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um einen Lernort im Sinne des berufspädagogischen Diskurses. Denn nicht Tatsache, dass im Betrieb gelernt wird - dass der Betrieb also ein Lernort ist und auch ansonsten einflussreich für die Ausbildung - ist für das Duale System entscheidend, sondern die dualen unterscheiden sich von anderen Ausbildungen in der Frage der Einbindung dieses Lernortes und seiner Kombination mit der Schule als Institution des Bildungssystems. Funktioniert die Zusammenarbeit der beiden Lernorte, wird dies als ein sicheres Zeichen genommen für die Legitimation und das Funktionieren des Dualen Systems. Diese „Indikator-Funktion“ kommt der Frage nach den Lernorten im Kontext anderer Ausbildungen nicht zu. Bei der Frage nach dem „Lernort“ muss somit zunächst unterschieden werden zwischen dem Betrieb als Lernort in seiner pädagogischen Funktion - d. h. als Ort, an dem etwas Ausbildungsrelevantes gelernt wird - und der Thematisierung dieses Lernortes und seiner Kooperation mit der Schule als Chiffre für die strukturelle Besonderheit und das Funktionieren des Dualen Systems .

Eine pädagogische Funktion übernimmt der jeweilige Lernort auch im Rahmen von nicht-dualen Ausbildungen, wie am Beispiel der Krankenpflege aufgezeigt wurde, bei der über die Hälfte der Ausbildungszeit in der Praxis absolviert wird. Seine Bedeutung sollte jedoch nicht auf diese Funktion reduziert werden. Denn auch wenn er hier nicht die Funktion der Chiffre erfüllt, hat das Beispiel Krankenhaus doch gezeigt, dass dieser Lernort nicht nur eine pädagogische Funktion übernimmt, sondern auch einen erheblichen strukturierenden Einfluss auf die historische Entwicklung des Berufs, die Strukturen sowie die aktuelle Form der Ausbildung ausübt, ohne dass er in den Rahmen des Dualen Systems eingebunden ist. Bezieht man die Frage der Lernorte entweder nur auf ihre pädagogische Funktion oder thematisiert sie als Chiffre des Dualen Systems gerät dieser Aspekt jedoch aus dem Blick.

5. Ausblick: Beruflichkeit und Entgrenzung: Chancen für neue Lernorte?

Das klassische Berufskonzept – orientiert am Handwerks-Modell des beruflichen Lernens – löste die vorherige Vorstellung der Berufung ab. Es wurde zu einer Zeit berufspädagogisch konzipiert, in der die Industrie im Zuge war, das Handwerk auch in Deutschland als führenden Produktionssektor abzulösen, d. h. am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Das klassische Berufskonzept wird später im Kontext der wirtschaftlichen Prosperität nach dem zweiten Weltkrieg zum „industriellen Berufskonzept“ – orientiert am Facharbeitertum der industriellen Produktion und dem Betrieb als Lernort – modifiziert und gerät mit der Diskussion um die Krise der Arbeitsgesellschaft ab den 1980er Jahren ebenfalls in die Kritik.

In Weiterentwicklung des Berufskonzepts liegt mit der „Beruflichkeit“ heute eine konzeptionelle Reaktion auf Tendenzen der Entgrenzung von Erwerbsarbeit und Flexibilisierungsanforderungen gegenüber der beruflichen Qualifizierung vor. Der Übergang vom „industriellen Berufskonzept“ zur „post-industriellen Beruflichkeit“ findet in einer Zeit statt, in der die Industrie ihre Rolle als Leitsektor eingebüsst hat und vor allem Dienstleistungen – speziell sekundäre Dienstleistungen – zum führenden Wirtschaftssektor geworden sind.

Beruflichkeit als konzeptionelle Weiterentwicklung ist zur Zeit noch nicht stringent ausformuliert, es herrschen vielmehr innerhalb des berufspädagogischen Diskurses verschiedene Annahmen dessen vor, was den Kern des Beruflichen ausmacht und für ein „post-industrielles“ Verständnis von Beruflichkeit ausschlaggebend sein sollte. Gemeinsam ist diesen Positionen jedoch die Reaktion auf veränderte ökonomische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die auch eine stärkere Berücksichtigung von Flexibilität und der Schaffung von Optionenvielfalt erfordern. Damit geraten neben dem Betrieb (und der Berufsschule) auch andere Lernorte stärker in den Blick, wie die (Vollzeit)Schule beispielsweise durch die Aufwertung der schulischen Bildungsgänge im neuen Berufsbildungsgesetz. Darüber hinaus ist insgesamt eine deutliche Ausweitung des institutionell fokussierten Blicks der 1970er Jahre um informelle Aspekte zu beobachten. Dies ist in der Weiterbildung sehr deutlich, aber auch die Diskussion um Beruflichkeit, Anerkennung von Kompetenzen und dezentrale Lernorte lässt sich in dieser Richtung verstehen.

Angesichts einer „Entgrenzung des Pädagogischen“ (LÜDERS u .a. 2000) verliert vielleicht der Aspekt der Lernorte insgesamt an Gewicht, es bleibt aber die Frage nach der pädagogischen Bedeutung und strukturierenden Funktion von Orten des Lernens auf die jeweiligen Lernprozesse. Diese Perspektive sollte einer „Entgrenzung“, die sowohl zeitlich wie auch örtlich zu verstehen ist, nicht „geopfert“ werden, da sie zu den wichtigen Grundbedingungen beruflicher Lernprozesse gehört, in welcher Form auch immer sie strukturiert sind.

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