Partner von bwp@: 
  SAP University Alliances Community (UAC)   giz - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit    Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.    Österr. Konferenz für Berufsbildungsforschung       

bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS03 - Konzept Hauptschuloberstufe
Herausgeber: Wiebke Petersen & Gerald Heidegger


Titel:
Vom Übergangslabyrinth zur arbeits- und kulturorientierten Alternativen Oberstufe – Editorial zur Workshopdokumentation


Vom berufsschulischen Übergangssystem zur „Alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung“

Beitrag von Wiebke PETERSEN (HLA – Die Flensburger Wirtschaftsschule, biat Universität Flensburg)

Abstract

Die vorgeschlagene Alternative (Hauptschul-)Oberstufe soll eine Vielfalt von Institutionen umfassen, die Bildungsangebote offerieren, doch sollten die Berufsbildenden Schulen die Federführung für deren Kooperation und Koordination erhalten, um nachhaltige Bildungswege zu gestalten. Neben dieser Funktion als Clearingstelle sollten sie aufgrund ihrer Ressourcen jedoch auch einen wesentlichen Teil des Bildungsangebots selbst stellen. In diesem Sinne kann die ein- bis zweijährige Berufsfachschule I als Vorstufe zu diesen schulischen Angeboten angesehen werden. Sie kombiniert in ihren gewerblich-technischen, hauswirtschaftlich-sozialen und kaufmännischen Schwerpunkten Berufsorientierung und Allgemeinbildung, Theorie und Praxis in schuleigenen Werkstätten, Küchen und Lernbüros sowie in Betriebspraktika. Sie verbindet das Ziel, für gute Hauptschüler einen mittleren Bildungsabschluss zu vermitteln, mit der Absicht, eher benachteiligten Jugendlichen eine Berufsvorbereitung zu ermöglichen. Dafür werden sozialpädagogische Angebote gemacht, im günstigen Fall in Form eines Case-Managements. Für den Anspruch der arbeits- und kulturorientierten Alternativen Oberstufe sollte einerseits der Praxisanteil, auch in außerschulischen Einrichtungen, deutlich steigen. Vor allem aber müsste das Angebot, sich kulturell zu betätigen, über die jetzt vorhandenen Ansätze hinaus außerordentlich stark ausgeweitet werden. Auch erlebnispädagogische Erfahrungen wie Segeltörns und Kanufahrten müssten zum Normalfall für alle Schülerinnen und Schüler und nicht nur für die Benachteiligten werden.

1 Einleitung

Im vorangehenden Aufsatz von HEIDEGGER/ PETERSEN, wurden die Grundzüge eines Entwurfs für eine „Alternative (Hauptschul-)Oberstufe“ zur Arbeits- und Kulturorientierung vorgestellt.

Einige Grundzüge seien hier noch einmal wiederholt, um Wege aufzuzeigen oder zumindest zu diskutieren, wie man vom gegenwärtigen berufsschulischen Übergangssystem zur Alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung gelangen könnte. Dabei wird die Perspektive eines wichtigen Akteurs aus der Reihe der Institutionen eingenommen, die dazu beitragen sollen, nämlich diejenige der Berufsbildenden Schule. Doch soll auch hier am Anfang noch einmal betont werden, dass die vorgeschlagene Oberstufe eine Vielfalt von Institutionen umfassen soll, die Bildungsangebote offerieren. Alle bereits vorhandenen Angebote zur Berufsorientierung und Berufsvorbereitung, aber auch alle Angebote zur sportlichen und künstlerischen Freizeitgestaltung sollen eingebunden sein.

Die Organisationsform der Alternativen Oberstufe lässt sich damit gut in die Grundidee des lokalen Übergangsmanagements einbinden, dass sich als die Gesamtheit aller Bildungs-, Ausbildungs- und Qualifizierungsgänge und Angebote, Berufsorientierungen und Unterstützungen versteht, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen  in der Region von  der Sekundarstufe I an, für die Integration in das Berufs- und Arbeitsleben zur Verfügung stehen (KRUSE/ EXPERTENGRUPPE 2010, 12). Jedoch gehen die Forderungen der inhaltlichen Ausgestaltung der alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung weit über jene hinaus, die das kommunale Übergangsmanagement formuliert, das sich stark auf den Übergang in die Arbeitswelt konzentriert.

Die Idee der Alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung ist in ihren vier Orientierungen inhaltlich deutlich weiter und will allen Jugendlichen eine Phase der Reifung und der individuellen Interessenverwirklichung ermöglichen. Sie beschränkt sich nicht auf einen Berufswahlprozess im Sinne einer Berufswahlentscheidung.

Dennoch bietet die starke Expansion der Aktivitäten für das kommunale Übergangsmanagement, wie sie zur Zeit durchgeführt wird, ausgezeichnete Anhaltspunkte für Schritte hin zu einer Alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung.

Dazu muss aber das kommunale Übergangsmanagement, das zunächst auf eine Identifizierung aller im Feld aktiven Institutionen und auf das Initiieren von Kooperationen ausgerichtet ist, entscheidend ausgebaut werden. Insbesondere bedarf es dafür einer Clearingstelle.

Im Hinblick auf die Dauer und die Flexibilisierung der Inhalte, der Aktivitäten und der individuellen Förderung bietet die in Schleswig-Holstein im Rahmen des Handlungskonzepts Schule & Arbeitswelt an den allgemeinbildenden Schulen eingeführte „Flexible Übergangsphase“ eine erste sinnvolle Orientierung. Die so genannten FlexKlassen eröffnen die Möglichkeit, die Lernzeit hinsichtlich der Inhalte der Klassenstufen 8 und 9 individuell zu bestimmen und anzupassen sowie mit  einer besonderen Gewichtung des berufsorientierenden Lernens (MINISTERIUM 2007, Handlungskonzept Schule & Arbeitswelt, 33) zu verbinden. Dies stellt einen ersten Anknüpfungspunkt für die schrittweise Einführung der Alternativen Oberstufe dar. Die Öffnung erfolgt allerdings bisher nur im Hinblick auf Betriebe, der Aspekt der Kulturorientierung muss noch aufgenommen werden. Außerdem müsste sich dieses Angebot nicht nur an Jugendliche richten, die „ ohne zusätzliche Hilfsangebote keinen Hauptschulabschluss erreichen würden“ (ebd., 31), sondern sollte allen von uns so genannten Weniger-Bevorzugten offen stehen.

Einen zweiten Anknüpfungspunkt bieten die Berufseingangsklassen (BEK), die an den Berufsbildenden Schulen für berufsschulpflichtige Jugendliche ohne (Aus-)Bildungsgang oder Bildungsmaßnahme eingerichtet worden sind. Ihr Ziel ist die „zügige Abklärung möglicher Alternativen“  für die Betroffenen sowie die Begleitung der Teilnehmenden durch ein auf Ausbildungsreife und Beschäftigungsfähigkeit ausgerichtetes Coaching (ebd., 36). Jedoch ist die Arbeits- und Ausbildungsorientierung aus unserer Sicht durch die Elemente Kompetenzfeststellungsverfahren, Berufsfelderprobungen und Qualifizierungsbausteine zu stark betont. Eine deutliche Erweiterung um nicht-betriebliche Praxis und eventuell auch Theorie sowie nicht berufliche Inhalte ist erforderlich, um den Aspekten der Kulturorientierung, Bewegungsorientierung und sozialer Orientierung sowie deren entsprechendem Ausbalancieren gerecht zu werden.

2 Organisatorische Perspektive der Alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung

Die alternative Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung ist trotz ihres Namens keine Schule, sondern ist als eine Regenbogen-Koalition von Lebens-, Handlungs- und Bildungsgelegenheiten zu verstehen.

Die angestrebte Palette an informellen, aber auch non-formalen und formalen Lern- und Erfahrungsangeboten, die durch die Vielfalt von Institutionen ermöglicht wird,  soll die einzelnen Jugendlichen darin unterstützen, ihre Interessen und Wünsche zu identifizieren, diese praktisch umzusetzen, sich  dabei in ihrer Persönlichkeit zu entfalten und zu reifen, bevor eine Berufsentscheidung getroffen wird. Dazu ist es notwendig, dass eine bunte Mischung von Orten des Lernens mitwirkt, die bisher im Rahmen des Übergangssystems noch nicht berücksichtigt wurden, also neben Schulen, Betrieben (EQJ) und Bildungsträgern auch Sportvereine, Feuerwehr, Wohlfahrtsorganisationen, Musikschulen, freie Musikbands, soziale Einrichtungen, Volkshochschulen, Altenheime, Kindergärten, Schulwerkstatt, „Selbstorganisierte Populärkultur“, Nachbarschaftshilfe und viele andere.

Um dieser Vielfalt aus der Sicht der Jugendlichen und aus der Sicht der Institutionen gerecht zu werden, ist die Einrichtung einer Clearingstelle erforderlich. Clearing heißt hier: klärend ordnen – das heißt eine „Systematik der Vielfalt“ erkennbar zu machen. Die Clearingstelle soll die zentrale Anlaufstelle für die Jugendlichen sein. Aus pragmatischen Gründen einer organisatorischen Kontinuität schlagen wir vor, diese Clearingstelle in der Berufsbildenden Schule einzurichten. Aus einer Verwaltungsperspektive könnte die Alternative Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung dann sogar als „Schulform“ in den beruflichen Schulen anzusehen sein. Dabei ist aber die Perspektive eines genossenschaftlichen Netzwerks, wie es in den „Dialektischen Perspektiven“ (in dieser Workshop-Dokumentation) angesprochen wird, nicht aus dem Auge zu verlieren.

Das Clearing bezieht sich auf drei Bereiche:

Sozial: Es soll eine Bindung an Bildungsberater/-begleiter oder an eine Lehrperson sowie eine Bindung an eine Gruppe ermöglichen und fördern. Dazu ist es notwendig, dass die Jugendlichen dazu angehalten werden, regelmäßig – etwa alle zwei Wochen – zu kommen, um sich in jeder Hinsicht zu beraten und zu orientieren. Besonders für Benachteiligte kann dies die Form eines subjektorientierten Case-Managements annehmen, wie es gegenwärtig vermehrt – außerhalb der Verantwortungsbereiche der Bundesagentur für Arbeit –eingeführt wird. Dies kann in abgeschwächter Form auch ein Vorbild für Nicht-Benachteiligte sein.

Inhaltlich: Angesichts der Vielfalt  ist vor allem auch eine Orientierung über die Wahl der inhaltlichen Aktivitäten erforderlich. Die Jugendlichen sollen sich über Angebote informieren, sich orientieren und ihre Vorhaben vorstellen und begründen. Sie sind verpflichtet, sich an das vereinbarte Aktivitätsprogramm zu halten oder begründet davon abzuweichen.

Organisatorisch: Die Clearingstelle hat die Aufgabe, die Kooperation der Mitglieder des bisherigen und erweiterten Netzwerks aus Bildungs- und Aktivitätsanbietern zu fördern.

Die Federführung für die Kooperation und Koordination, die durch die Clearingstelle repräsentiert wird, sollte die erste von zwei Aufgaben der Berufsbildenden Schule sein.

Die zweite Aufgabe liegt aufgrund ihrer Ressourcen darin, einen wesentlichen Teil des Bildungsangebots selbst zu stellen: Die Angebote sind nach verschiedenen Aspekten zu differenzieren. Zunächst sind die Eingangsvoraussetzungen, besser: Erfahrungen und Vorkenntnisse, zu berücksichtigen. Hier gilt es insbesondere auch auf die Motivations- und Volitionslage (Durchhaltevermögen) der Jugendlichen, die individuellen Lebensumstände sowie die beruflichen, sozialen und persönlichen Lebensziele, also die Aspirationen der Jugendlichen zu achten.

Wie wir in dem Beitrag „Jenseits des Übergangssystems: Alternative Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung“ (in dieser Workshop-Dokumentation) erläutert haben, richtet sich deren Angebot  vor allem an das mittlere Segment der Weniger-Bevorzugten. Aber sie soll zumal auch in der Transformationsphase insbesondere die Benachteiligten einschließen.

Aus Sicht des berufsschulischen Übergangssystems wählen wir dessen Angebote als Ausgangspunkt. Die Alternative Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung bindet mittelfristig länderspezifisch die folgenden Angebote aus dem Bereich der berufsvorbereitenden Bildung (BvB) ein:

Das ausbildungsvorbereitende Jahr ohne Hauptschulabschluss, welches hauptsächlich auf die Vorbereitung auf Ausbildung, die Förderung der Ausbildungsreife und den Erwerb des Hauptschulabschlusses ausgerichtet ist.

Die berufsvorbereitenden Maßnahmen, z.B. in Form der Einstiegsqualifizierung für Jugendliche (EQJ), die einen Schwerpunkt auf das Absolvieren verschiedener Langzeit-Betriebspraktika setzen.

Das kaufmännisch-vorbereitende Jahr, das sich an Schülerinnen und Schüler richtet, die bereits einen Hauptschulabschluss erreicht haben, und das Ziele verfolgt, auf die Berufsfachschule I oder auf eine Ausbildung vorzubereiten.

Die Berufsfachschule I (und II), die die Ziele der beruflichen Orientierung und der Hinführung zum Mittleren Bildungsabschluss miteinander verbinden.

Ferner können auch relativ leicht Angebote aus der vollschulischen Berufsausbildung, also die Berufsfachschule III, integriert werden, in der dann auch der schulische Teil der Fachhochschulreife erworben werden kann.

Wenn man für die Einführung der Alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung – wie oben vorgeschlagen – sich zunächst auf das mittlere Segment der Weniger-Bevorzugten konzentrieren will, ist es sinnvoll, die ein- bis zweijährige Berufsfachschule I (+II) als Ausgangspunkt zur Hinführung zu den schulischen Angeboten der alternativen Oberstufe zu wählen. Sie kombiniert in ihren gewerblich-technischen, hauswirtschaftlich-sozialen und kaufmännischen Schwerpunkten Berufsorientierung und Allgemeinbildung, Theorie und Praxis in schuleigenen Werkstätten, Küchen und Lernbüros. Ferner schließt sie in unterschiedlicher Intensität Betriebspraktika von zwei bis acht Wochen ein.

Sie verbindet das Ziel mittlerer Bildungsabschluss für gute Hauptschüler mit einer Berufsvorbereitung für eher benachteiligte Jugendliche, die dann lediglich das erste Jahr der Berufsfachschule absolvieren.

3 Inhaltliche Perspektiven für die Alternative Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung

Im Hinblick auf die inhaltliche Orientierungen als Perspektiven für die Alternative Oberstufe stellt sich die Frage: „Wie und in welche Richtungen soll die schulische Berufsvorbereitung in all ihren Formen verändert werden?“.

Als Ausgangspunkt sehen wir die Öffnung der Schule, die in ihrem Angebot sehr stark durch eher herkömmliche Unterrichtsinhalte bestimmt ist, hin zu einer offeneren Lernumgebung. Schritt für Schritt sollte sie dann zu einem freien Lern-, Handlungs- und Lebensraum ausgebaut werden. Dieser soll Gelegenheiten für verschiedene lernhaltige und lernförderliche Aktivitäten bieten. Schule und Übergangssystem  sollen sich stärker hin zu den verschiedenen Formen der Lebensgestaltung öffnen. Dabei sollen sie aber im Sinne von Hartmut von HENTIG (1982) bei der preparation for life“ sich dem Ziel „less preparation, more life“ verschreiben. Wichtig ist es damit zunächst, die scharfe Trennung zwischen der Schule und dem außerschulischen Lebensbereich aufzuweichen. Im Weiteren sollte sich die Schule dann hin zu Angeboten anderer Institutionen öffnen, wie es als organisatorische Perspektive skizziert wurde.

Die folgenden vier inhaltlichen Orientierungen, wie sie bei HEIDEGGER/ PETERSEN (a. a. O.) vorgeschlagen wurden, bieten Strukturierungen für diesen Öffnungsprozess der Schule: Arbeitsorientierung, Kulturorientierung, soziale Orientierung, (sportliche) Bewegungsorientierung. Durch die Integration dieser Bereiche wird das Angebot für die Lernenden ganzheitlich und bildet Brücken zu all ihren Lebensbereichen. Sie werden im Folgenden näher beschrieben.

Die Arbeitsorientierung soll sowohl Theorie (in der Schule) als auch Praxis umfassen. Diese kann im Betrieb (auch  in Form von Langzeitpraktika), in Werkstätten (auch in der Küche) in der Schule oder beim Träger, für soziale Aufgaben beispielsweise im Kindergarten oder im Altenheim erlebt werden. Es bietet sich an, die herkömmliche Gliederung in gewerbliche, kaufmännische, hauswirtschaftliche und soziale Felder beizubehalten. Dazu gehört auch eine berufliche Orientierung. Sie kann auch durch Selbstevaluation, also (angeleitetes) Bewusstwerden von Können, Interessen, Wünschen gefördert werden, bis hin zur – zumindest informellen – Anerkennung (Validierung) von nicht-formalem und informellem Lernen (ValNIL).

Für die Entwicklung der  alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung vom Ausgangspunkt der BFS I (+II) aus muss deren Praxisanteil, auch in außerschulischen Einrichtungen, deutlich steigen.

Die Kulturorientierung setzt einen weiten Kulturbegriff voraus und soll sich zunächst in praktischen Aktivitäten verwirklichen. Es geht also um  selbstorganisierte Populärkultur, wie sie sich in (Straßen-)Musik/Theater (-workshops) / Video (-experimenten) realisiert. (Vergl. TITZ 2010.) Dazu sollten ergänzend auch Ansätze von Theorie in Form von (vor allem selbst organisierten) Schulungen angeboten werden. Es bietet sich an, auch Elemente von „Hochkultur“ zu integrieren. Dies lässt sich mit den Inhalten herkömmlicher allgemeinbildender Unterrichtsfächer verknüpfen. Anspruch der alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung muss es sein, Angebote, sich kulturell zu betätigen, über die jetzt vorhandenen Ansätze hinaus außerordentlich stark auszuweiten. Das kann sich ähnlich wie im bereits existierenden Angebot des freiwilligen kulturellen Jahrs zu einer Aktivität verdichten, deren Inhalt einem Erwerbsarbeitsplatz vergleichbar ist.

Die soziale Orientierung soll sich ebenfalls zunächst in praktischem Tun verwirklichen. Es bieten sich für die Öffnung der Schule nach außen vor allem soziale Aktivitäten außerhalb der Schule in Form von Nachbarschaftshilfe, (stundenweiser) Alten- oder Krankenpflege und Kinderbetreuung an. Hier können die Lernenden ihre unmittelbare Nützlichkeit im Kontakt mit anderen erfahren und sich bewähren, wie es HENTIG (2007) in seinem Buch „Bewährung. Von der nützlichen Erfahrung nützlich zu sein.“ anregt.  

Innerhalb der Schule können soziale Aktivitäten wie Hausaufgabenhilfe oder Streitschlichtung verwirklicht werden. Die Theorieanteile zur sozialen Orientierung könnten beispielsweise angelehnt an die Lehrpläne für die Fachschule Sozialpädagogik (MINISTERIUM FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT, FORSCHUNG UND KULTUR DES LANDES SCHLESWIG-HOLSTEIN 1997) ausgewählt werden. Das Führen einer Cafeteria sowie die Renovierung von Klassenräumen oder des Pausenhofes (eventuell unter Auszahlung einer kleinen Anerkennungssumme zur Aufwandsentschädigung) verknüpfen soziales Engagement für die Gemeinschaft mit arbeitsorientierten Aktivitäten.

Zur ganzheitlichen Persönlichkeitsentfaltung gehört es auch, den eigenen Körper zu spüren. Bewegung  kann Jugendliche davon befreien, sich an die Schulbank „festgeschraubt“ zu fühlen. Gerade in der Phase der Postpubertät werden diese Einschränkungen der körperlichen Bewegung häufig als besonders begrenzend und beklemmend empfunden. Zumal in Zeiten von ADHS gilt es damit konstruktiv umzugehen. Andere Jugendliche, die ihren Bewegungsdrang gleichsam vergessen haben, können dabei zu körperlicher Entfaltung angeregt werden. Die Bewegungsorientierung der alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung soll Körpererfahrung durch  herkömmliche und „innovative“ Sportarten wie Break Dance, Akrobatik, Aikido (TITZ 2010), Skateboarden, Kite surfen, Inlineskating oder Jonglieren fördern. Außerdem sind auch erlebnispädagogische Erfahrungen wie Segeltörns, Klettern im Hochseilgarten und Kanufahrten wichtig. Sie sollten zum Normalfall für alle Jugendlichen und nicht nur für die Benachteiligten werden. Auch Ansätze von Theorie sollten zu den verschiedenen Sportarten in (selbst organisierten) Schulungen angeboten werden.

Die alternative Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung verbindet  somit alte und neue Formen von Aktivitäten: Es wird weiterhin systematische Kurse wie in der Schule geben, oder wie bei der berufsvorbereitenden Bildung bei  außerschulischen Trägern oder in der Volkshochschule. Außerdem werden vermehrt Kurzzeitpraktika in verschiedenen inhaltlichen Feldern  angeboten. In wesentlich verstärktem Maße sollten dann Langzeitpraktika ermöglicht werden. Damit werden Betriebserfahrungen ähnlich wie im EQJ geboten, und das kann bis zu einem freiwilligen sozialen oder kulturellen Jahr reichen. Auch die Teilnahme an quasi-beruflichen Ausbildungsgängen in Sport- und Musikschulen kann Teil des Angebots sein. Für die meisten wird es aber eher darum gehen, in freien Kursen Musik zu machen, Sport zu treiben oder  handwerklich etwas zu gestalten.

Wenn es darum geht, diese inhaltlichen Orientierungen mehr und mehr zu verwirklich stellt sich für mich als Lehrerin die Frage „Was wird mit den Schulfächern?“. Gerade für den Übergang ist es wichtig, Schulfächer aufzugreifen und weiterzuführen. Dabei geht es aber darum, die herkömmlichen Schulfächer zu transformieren. So bietet sich natürlich vor allem der Projektunterricht mit einer Praxisorientierung an, was auch für Fächer wie Mathematik vorgesehen werden sollte, wo es bisher wenig üblich ist.

Mehr als bisher sollten Fächer kombiniert werden, etwa Mathematik und Sozialkunde. Auch an eine Flexibilisierung der strenge Sequenzialisierung von Inhalten ist zu denken; dies könnte durch Modularisierung erleichtert werden. Insgesamt wird man anstreben, die strenge Stundenplanstruktur Schritt für Schritt aufzulockern. So können offenere und lebensnähere Lernbedingungen geschaffen werden, die dann zu höherer Motivation und besseren Erfolgen führen sollten. Auf diese Weise erwarten wir eine erhebliche Zeitersparnis, die den größeren Zeitaufwand  durch die erheblich ausgeweiteten Praxisanteile zumindest zu einem großen Teil ausgleichen kann. Mit einem so transformierten Fachunterricht lassen sich „Bildungsbrücken in die Zukunft bauen“, denn wir streben an, die Weniger-Bevorzugten so zu fördern, dass viele von ihnen später in der Ausbildung theoretisch anspruchsvolle Berufe lernen können. In Anlehnung an Alois FISCHER (1979) und die Kollegstufe NW sollten dort die Theorieanteile verstärkt werden, so dass sich auch Möglichkeiten zum Übergang in weiterführende Bildungsgänge ergeben.

Deshalb müssen Wege eröffnet werden, zu Abschlüssen zu kommen, die zur Struktur der Alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung passen. Dies können Modulzertifikate ohne expliziten Arbeitsmarktwert sein, und zwar für alle vier Aktivitätsfelder. Damit erhoffen wir uns, dass die Jugendliche durch Erfolgsrückmeldung Selbstbestätigung erfahren, was für viele (gerade Benachteiligte) eine neue Erfahrung ist. Es sollten aber auch Modulzertifikate mit Ausbildungswert erworben werden können, womit sich ein Anschluss an das Konzept der Qualifizierungsbausteine bilden lässt. Ferner sollten natürlich Teilabschlüsse für  den Haupt- und Realschulabschluss angeboten werden. Wir halten eine relative Öffnung der Abschlüsse für notwendig. Ein Vorbild kann das General Certificate of Secondary Education GCSE (HYLAND 1999; REIBOLD 1998) in Großbritannien sein.

Dies ließe sich dahingehend ausbauen, dass auch Teile der Fachhochschulreife erworben werden können. Im günstigsten Fall sollten sogar Vollabschlüsse ermöglicht werden.

4 Fazit

Für die Transformation des berufsschulischen Übergangssystems zur Alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung ist Folgendes umzusetzen:

In den Berufsbildenden Schulen ist eine Clearingstelle einzurichten. Die Schule wird in eine Vielfalt von Institutionen eingebunden, die dann eine  Regenbogen-Koalition  von Lebens-, Handlungs- und Bildungsgelegenheiten ermöglicht. Der Bildungsauftrag soll im Sinne der vier inhaltlichen Orientierungen transformiert werden, also Arbeitsorientierung, Kulturorientierung, soziale Orientierung und Bewegungsorientierung.

Neben den alten soll es neue Formen von vor allem praktischen Aktivitäten geben, bis hin zu theoretisch angeleiteten Langzeitpraktika. Das System der Abschlüsse soll so geöffnet werden, dass für alle Aktivitätsfelder die Zertifizierung von Teilleistungen möglich wird.

Literatur

FISCHER, A.(1979): Die Krisis der Arbeitsschulbewegung. In: REBLE, A. (Hrsg.): Die Arbeitsschule. 4., verbess. Aufl., Bad Heilbrunn/ Obb.

HENTIG, H. v. (2007): Bewährung. Von der nützlichen Erfahrung nützlich zu sein. Weinheim.

HENTIG, H. v. (1982):”What sort of preparation for life do young people in the 14 to 19 age-group need?” – A plea for less “preparation” and more “life”. Introductory talk to be delivered to the council of Europe at the End-of-Project-Conference on “Preparation for Life”.  Unveröffentlichtes Manuskript.

HYLAND, T. (1999): Vocational studies, lifelong learning and social values, Investigating Education, Training and NVQs under the New Deal. Aldershot.

KRUSE, W./ EXPERTENGRUPPE (2010): Jugend: Von der Schule in die Arbeitswelt. Bildungsmanagement als kommunale Aufgabe. Stuttgart.

MINISTERIUM FÜR JUSTIZ, ARBEIT UND EUROPA/ MINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FRAUEN DES LANDES SCHLESWIG-HOLSTEIN (2007): Handlungskonzept Schule & Arbeitswelt. Präventive und flankierende arbeitsmarkt- und bildungspolitische Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit und für mehr Ausbildungs- und Berufsreife. Kiel. Online: http://www.schleswig-holstein.de/cae/servlet/contentblob/824300/publicationFile/hakoschulearbeitswelt.pdf  (09-06-2011).

MINISTERIUM FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT, FORSCHUNG UND KULTUR DES LANDES SCHLESWIG-HOLSTEIN (Hrsg.)(1997): Lehrplan für die Fachschule Sozialpädagogik. Online: http://lehrplan.lernnetz.de/index.php?wahl=48  (06-06-2011).

REIBOLD, D. K. (1998): Die Berufsbildung in Europa – ein internationaler Vergleich. Renningen-Malsheim.

TITZ, C. (2010): Bildung à la Dänemark. Lerne lieber ungewöhnlich. Spiegelonline 9.6.2010. Online: http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,698141,00.html  (06-06-2011).


Zitieren dieses Beitrages

PETERSEN, W. (2011): Vom berufsschulischen Übergangssystem zur „Alternativen Oberstufe zur Arbeits- und Kulturorientierung“. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 03, hrsg. v. PETERSEN, W./ HEIDEGGER, G., 1-9. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws03/petersen_ws03-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/