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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
FT 12 Berufliche Rehabilitation

Hans im Glück – Zur Qualifizierung schwer lernbehinderter junger Menschen

 

Abstract

Nach einer themenbezogenen Interpretation des Grimm'schen Märchens und der Charakterisierung des Personenkreises junger Menschen mit schwerer Lernbehinderung wird ein bewährtes Konzept ihrer beruflichen Rehabilitation vorgestellt und begründet. Die Darstellung schließt mit einer gegengleichen Fortsetzung als (neues) Märchen „Glück für Hans“.

1.  Das Märchen

Der Titel mag gewisse kognitive Dissonanzen auslösen. „Hans im Glück“ und „schwer lernbehinderte junge Menschen“ – passt das zusammen? Jene hatten bei ihrem Start ins Leben doch eher Pech? Eine mehr allegorische Verbindung erschließt sich über die Deutung von „Glück“. Bei Hans geht es weniger um „Glück haben“, sondern mehr um „glücklich sein“ oder - besser - „glücklich werden“, ein durchaus unbestimmter Begriff, der wahrscheinlich für jeden etwas anderes meint. Nähern wir uns dem Thema also zunächst aus Sicht des Märchens.

„Hans im Glück“ gehört zur Sammlung der Grimm'schen Kinder- und Hausmärchen . Hans war ein offensichtlich fleißiger junger Handwerker, Müllerbursche vielleicht. Aber „im Glück“? Ist nicht Pech und vor allem Einfalt im Spiel, wenn Hans mit einem kopfgroßen Goldklumpen im Handgepäck den selbst gewählten Nachhauseweg zur Mutter antritt? Er tauscht diesen Lohn für sieben Jahre Arbeit – eine „wahre“ Last und schwer zu transportieren, wie er meint - gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein, das Schwein gegen eine Gans, die Gans gegen einen Schleifstein mitsamt einem einfachen Feldstein - und glaubt jedes Mal, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, weil das neue Gut weniger Schwierigkeiten zu machen scheint als das weggegebene. Das vermeintlich Bessere ist aber jedes Mal von geringerem Wert. Zuletzt fallen ihm noch die beiden schweren Steine in einen Brunnen, als er trinken will. Am Ende des Tages steht er mit leeren Händen, aber glücklich da. Und die Moral der Geschichte? Die Brüder Grimm – ein Privileg der Märchenschreiber – formulieren sie scheinbar unmissverständlich: „‚ So glücklich wie ich', rief er aus, ‚gibt es keinen Menschen unter der Sonne'. Mit leichtem Herzen und frei von aller Last ging er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter angekommen war. “ Hans fand das Glück – sein Erfolgsrezept ist freilich nicht jedermanns Sache.

„Hans im Glück" ist eines der Märchen, das nicht mit dem traditionellen „ Es war einmal ... " beginnt – es könnte sich also immer noch so oder ähnlich ereignen. Zur Erheiterung der Zuhörer ist eine Reihe von Reden geeignet, mit denen jedermann Hans über den Tisch zu ziehen versteht, und die jedes Mal ein realistischer Lobgesang auf die angepriesenen Alltagsgüter sind. Hans durchschaut weder Habgier noch Geschwätz und geht allen auf den Leim. Ist Hans nun weise und klug, oder ist er ein dummer Narr und Verlierer? Wir lassen es offen.

Der „Goldklumpen“ symbolisiert zweifelsohne als Kugel (die dreidimensionale Variante des „Rades der Fortuna“ mit seinem ewigem Auf und Ab) die Güter des Glücks, die Hans bedenkenlos und freigiebig verschenkt. Mehrere volkstümliche „Lehren“ sind ablesbar: „Nur die Einfalt findet das Glück“ oder „Frei zu sein, ist mehr als Gut und Geld“, d.h. alles Hab und Gut der Welt reicht nicht aus, um einen Menschen glücklich zu machen, oder auch „ mundus vult decipi “, die Welt will betrogen sein. Jedenfalls, für Hans ist das Glück leicht wie eine Feder und am Ende des Märchens hat er nichts mehr. Das, will uns die Geschichte scheinbar sagen, ist Glück – oder?

Daran hat natürlich niemand jemals so richtig geglaubt, weder zu den Zeiten vor den Brüdern Grimm, im 18. und im 17. Jahrhundert, als die meisten Menschen in Mitteleuropa entsetzlich arm waren, noch im 19. Jahrhundert, als die gesammelten Hausmärchen vorzugsweise in den Kinderzimmern des fleißigen und materiell aufstrebenden Bürgertums vorgelesen wurden. Die Lehre war damals: „Wer aus Bequemlichkeit verprasst, was er sich zuvor in saurem Schweiß erworben hat, ist ein Dummkopf. Dabei kann einer glücklich sein. Aber das ist ein Märchen.“

Unser Märchen ist vielleicht deshalb besonders interessant, weil es Aussagen über den Wert der Dinge macht, die bei uns Erstaunen hervorrufen und uns zugleich in einer gewissen Unsicherheit belässt. Die Dinge in der Welt von Hans sind solche, die direkt aus dem Leben gegriffen sind. Gerade weil es sich um bekannte Dinge handelt, versetzt uns sein Verhalten in Erstaunen. Die Tauschgeschäfte bestätigen keinesfalls unsere Vorstellungen über den Wert der Dinge, es ist vielmehr eine gewisse Verunsicherung und ein Befremden, die wir ihnen entgegen bringen. Hans setzt dadurch seine Güter in Beziehung, und er bildet eine Ordnung der Dinge, die mit unserem Verständnis kollidiert. Das Märchen führt somit direkt zur Frage nach dem Wert der Dinge:

- Woher kommt dieser Wert?

- Woher kommen unsere Vorstellungen über diesen Wert?

- Woher beziehen wir Maßstäbe und Kriterien, die den Dingen einen Wert verleihen?

- Welche Aussagen können wir (überhaupt) über den Wert der Dinge machen?

Bezieht man die Frage nach dem Wert allein auf das Individuum und den dort (kurzfristig) gestifteten Nutzen, so ist das Verhalten von Hans unmittelbar verständlich. Er hat seine Tauschbereitschaft zum jeweiligen Zeitpunkt am aktuellen subjektiven Wert der Dinge gemessen, ihrem (situativen) Gebrauchswert. Mit der „subjektiven Werttheorie“ beispielsweise der Utilitaristen ist das Verhalten von Hans unmittelbar einzusehen und erklärbar. Nicht zu klären ist allerdings das Erstaunen und Befremden, das uns überkommt, wenn wir Hans auf seiner Reise begleiten. Wo liegt das Problem, und warum können wir ihn nicht so richtig verstehen? Wahrscheinlich an unserer Verinnerlichung des „objektiven“ Tauschwertes und Einigem mehr, aber das ist ein anderes Thema.

Mit der gleichen Sache wird bekanntlich der eine unzufrieden sein, der andere aber ruht in seiner strukturellen Harmonie. Erlebe ich die Welt als bedrückend oder als aufregend, hängt es auch von meiner (unbewussten) Auslegung ab. Hans ist womöglich nicht einfach dumm, er legt die Welt nur etwas anders aus. Wir mögen über ihn lachen, weil er dabei nicht auf Geldwerte achtet, aber „arm und glücklich“ scheint durchaus ein (spiritueller) Weg zu sein, wenn auch nicht im „mainstream“ unserer Zeit. Materielle Güter sind ihm zwar zeitweise nützlich - so als er den Esel eintauscht, auf dem er eine Weile reiten kann - aber sie sind irgendwann auch hinderlich. Hans im Glück ist auf seinem Weg des Lebens. Er hält nicht an irgendeinem Besitz und auch nicht am materiellen Leben als solchem fest, sondern geht spielerisch damit um, spontan darüber entscheidend und bestimmend, so wie ein Kind, und erhält – wie wunderbar und märchenhaft - immer das, was er gerade braucht. Er traut dem Leben unbekümmert und macht sein Glück wahr. Beneidenswert!

Das thematische Komplement nähert sich aus Sicht einer schweren Lernbehinderung. Wer betroffene junge Menschen wirklich kennt, wird an der einen oder anderen vorgenannten Passage „Resonanzen“ erlebt haben, um es einmal physikalisch zu sagen. Etwas holzschnittartig wird die Vorstellung eines „Toren“ (männlich oder weiblich) lebendig: töricht, unwissend, leicht verwirrt, naiv, einfältig, gut- oder leichtgläubig, hilflos und irgendwie „rein“ mit „kurzem“ (eindimensionalem) Urteil, mehr wahrnehmungs- als denkzentriert, mit groben oder wenig erkennbaren Urteilskriterien - besonders in neuen, unbekannten Situationen - und Vieles in unbekümmert positiver Deutung, die vielleicht glücklich sein lässt.

Hält man die historische Definition intelligenten Verhaltens von Binet und Simon (1905) dagegen, fehlt es unserer Zielgruppe massiv bei der Bewältigung aktueller und schon gar neuer, unbekannter Situationen an „gutem“ Verstehen (Begreifen, Begriffe bilden), Urteilen (Schlussfolgern) und Denken (Erfassen von Zusammenhängen und logischen Beziehungen), ohne es selbst so richtig und vollgültig zu bemerken. Das ist ganz anders als bei „nur“ neurotisch, beispielsweise phobisch reagierenden Menschen, die ihre situative Auffälligkeit sehr wohl wach registrieren, darunter leiden und diesen Abläufen ohne Therapie in der Regel machtlos ausgeliefert sind. Was ist also bei der Qualifizierung junger Menschen mit schwerer Lernbehinderung vor diesem Hintergrund zu bedenken, zu planen und umzusetzen? Zuerst geht es um eine saubere Klassifikation.

2.  Lernbehinderung

„Lernbehinderung“ bedeutet schwerwiegende, umfängliche und langfristige Defizite (schwerwiegend : mehr als ein Fünftel unter dem Regelbereich, umfänglich : mehrere Lernbereiche betreffend, langfristig : in zwei Jahren voraussichtlich nicht dem Regelbereich anzugleichen) bei der Bewältigung von intellektuell gebundenen Leistungsanforderungen. Sie gilt als „eine besonders ausgeprägte Form einer Lernstörung“ (Grünke 2004, 65). Im Rahmen dieses Störungsbildes ist die gesamte intellektuelle Entwicklung beeinträchtigt. (Lauth/ Brack 2000). „Das Lernen (ist) ‚auf breiter Front‘, d.h. in den meisten schulischen und teilweise auch in außerschulischen Bereichen deutlich beeinträchtigt. Oft sind die intellektuellen Fähigkeiten begrenzt (etwa bei Lernbehinderung)“ (Lauth/ Brunstein/ Grünke 2004, 13-14). Betroffene (junge) Menschen fallen v.a. als Schüler zunächst durch ihre Bildungsrückstände, häufig aber auch durch Verhaltensschwierigkeiten auf. Diese Rückstände:

•  betragen mindestens zwei bis drei Schuljahre,

•  betreffen mehrere Unterrichtsfächer, vor allem Deutsch und Mathematik,

•  dauern über mehrere Jahre an,

•  sind nicht Folge eines unzureichenden Lernangebotes,

•  gehen nicht auf eine Sinnesschädigung zurück und

•  stehen in Zusammenhang mit Defiziten der allgemeinen Intelligenz (IQ ca. 55 bis 85)

Die typische Symptomatik bezieht sich grundsätzlich nicht nur auf junge Menschen im schulpflichtigen Alter, sondern durchaus auch auf Heranwachsende und Erwachsene.
Primär- bzw. Leitsymptome beziehen sich alle auf das Lernen und betreffen nach Lauth/ Brunstein/ Grünke (2004) vier Lern komponenten :

•  Unzureichende Basisfertigkeiten , die den Erwerb höherwertiger Leistungen behindern, z.B. den Erwerb von Regel- und Begriffssystemen: grundlegende Fertigkeiten der Informationsverarbeitung (Informationen identifizieren und zielgerichtet isolieren, akustische Informationen aufnehmen, visuelle Vorlagen analysieren usw.)

•  Wenig ausgearbeitete Wissens- und Begriffssysteme :

•  fehlendes oder unzulängliches Vorwissen und begriffliche Schemata im Sinne einer reduzierten Wissensbasis; das behindert den Erwerb neuer Kompetenzen.

•  Defizite im strategischen Wissen, d.h. der Aneignung und Beherrschung von Lernstrategien für den Erwerb neuen Wissens; das sind z.B. kognitive Strategien zur Aufnahme, Speicherung und Abruf sprachlicher Informationen.

•  Gravierende Defizite in metakognitiven Fertigkeiten : Wissen über eigenes Handeln, z.B. über die Planung, Überwachung und Steuerung komplexer Lernhandlungen (Reflexion und bewusste Steuerung eigenen Lernens, das ist „exekutive Kontrolle“) mit z.B. der Registrierung des Verlaufs und Erfolgs eigenen Lernens, dem gezielten und geplanten Einsatz aufgabenspezifischer Strategien, der Analyse von Fehlern usw.

•  Individuell geringe Lern- und Leistungsmotivation : Lern- und Anstrengungsbereitschaft sowie Interesse am Lerngegenstand fördern die Überwindung von Lernproblemen. Diese Faktoren hängen oft von der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit ab, d.h. von dem Selbstvertrauen, die Lernergebnisse durch eigenes Bemühen (eventuell auch mit Unterstützung) zu erreichen.

Diese Primär- bzw. Leitsymptome bestehen nach Bleidick (1998) konkret darin, dass lernbehinderte Menschen zum Beispiel:

•  wesentlich langsamer lernen

•  insgesamt weniger lernen

•  gelernte Inhalte schneller vergessen

•  größere Schwierigkeiten insbesondere beim Lernen abstrakter Begriffe (anschauliche, konkrete, motorische und bedürfnisorientierte Sachverhalte eher zugänglich) haben

•  gelernte Inhalte schlechter auf neue Situationen (erschwerter Lerntransfer) übertragen

•  usw.

Sekundär- bzw. Begleitsymptome beziehen sich – je nach Sichtweise – auf Bedingungs- oder Folgefaktoren, zum Beispiel auf:

•  Sprache : schlechtere Sprachleistungen

•  Wahrnehmung, Vorstellung : weniger gegliederte Wahrnehmungs- und Sprachfähigkeiten

•  Aufmerksamkeit : leichter ablenkbar

•  Emotionen : emotional instabiler, schlechtere Differenzierung des Gefühls- und Willenserlebens

•  Verhalten : neigen zu extremem Verhalten, z.B. Aggressionen, gehemmter Zurückgezogenheit, Distanzlosigkeit, erschwerter soziale Anpassung usw.

Das Erscheinungsbild der Lernbehinderung mit vermindertem Intelligenzniveau und erschwerter Anpassung an die Anforderungen des täglichen Lebens findet sich auch in internationalen Klassifikationen – DSM-IV der American Psychiatric Associaton (APA) oder ICD-10 der World Health Organisation (WHO) – im Rahmen zweier Kategorien geistiger Störungen (mental disorders): „Borderline intellectual functioning“ und „Mild mental retardation“.

Borderline intellectual functioning “ (DSM-IV, V62.89; ICD-10, grenzwertige Intelligenz)

•  IQ 70 ± 5 bis 85 ± 5 (Kernbereich: 70 bis 85)

•  Epidemiologie (Häufigkeit) in den USA: theoretisch 14,1%, empirisch 12,4% (Neisser, 1998), soviel wie in allen anderen speziellen Förderkategorien außer Sprech- und Sprachstörungen zusammen (geistige Behinderung, Lernstörungen, Sehbehinderung, Hörbehinderung, andere Gesundheitsschädigungen, Körperbehinderungen, Autismus, traumatische Hirnschädigungen und emotionale Auffälligkeiten = 12,3% der US-Schüler nach MacMillan, Gresham/ Siperstein/ Bocian, 1996)

•  „slow learners“ (Kaznowski 2004; Shaw/ Grimes/ Bulman 2005)

Der Personenkreis des bis 2004 so genannten „ Förderungslehrgang, Zielgruppe 1 “ (F1) dürfte sich weitgehend aus jungen Menschen mit diesen intellektuellen (und anderen) Voraussetzungen rekrutiert haben.

„ ... Langsam wächst die Erkenntnis über das, was sich als ‚graue Zone‘ entlang des Spektrums der intellektuellen und kognitiven Entwicklung abzeichnet. Wenn man standardisierte Intelligenztests anwendet, gelten IQ-Werte von 85 und mehr als normal, während solche unter 71 als Anzeichen bedeutsamer kognitiver Einschränkungen oder Verzögerungen betrachtet werden. Kinder und Jugendliche, deren Werte zwischen 71 und 85 liegen und deren Anpassungsverhalten dürftig ist, werden fachlich im Bereich grenzwertiger intellektueller Fähigkeiten angesiedelt. Das ‚Diagnostische und statistische Manual geistiger Störungen (4. Auflage)‘ der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) bezeichnet sie als Gruppe mit ‚grenzwertigen intellektuellen Fähigkeiten‘.

Grenzwertige intellektuelle Fähigkeiten können sowohl durch eine Reihe von Standardmaßen angezeigt werden als auch durch kognitive, emotionale und verhaltenswirksame Zeichen und Symptome. Außer einem IQ zwischen 71 und 85 erfolgt das Lernen überall langsamer und ungleichmäßiger als nach dem Lebens- und Schulalter zu erwarten wäre. Noten können schlecht und von Misserfolgen geprägt sein. Das Verhalten kann von schwacher Aufmerksamkeit und Konzentration zeugen, langsamem Antworten, der Neigung, Aufgaben aus dem Weg zu gehen, allgemeiner Desorganisation, Vorliebe für konkrete Tätigkeiten, Überaktivität oder Passivität, geringer Frustrationstoleranz, Stimmungsschwankungen, Albernheit, Furchtsamkeit, Missstimmung, Ärger, wenig gesundem Menschenverstand und Unbedarftheit. Daraus resultiert üblicherweise ein herabgesetztes Selbstwertgefühl.

Von Experten, einschließlich Lehrern, werden Schüler mit aktueller grenzwertiger Intelligenz oft nicht ausdrücklich erkannt. Häufig können Kinder, bei denen AD(H)S oder Lernstörungen diagnostiziert werden, primär tatsächlich eine grenzwertige Intelligenz haben, die sich in Aufmerksamkeitsproblemen, intellektuellen Blockaden und schulischen Schwierigkeiten ausdrückt. Verhaltens- und emotionale Merkmale begleiten sie normalerweise. Wenn die primäre Bedingung der grenzwertigen Intelligenz wie so oft nicht erkannt wird, werden Fehldiagnosen gestellt, und angestrebte Hilfen enden mit wenig Erfolg, manchmal mit weiterer Verschlechterung. Der unangemessene Gebrauch von erlebens- und verhaltenswirksamen Medikamenten kann dabei eine Rolle spielen und bringt zusätzliche Komplikationen. ...“ (Ninivaggi 2005).

Mild mental retardation (DSM-IV, 317; ICD-10, F70: schwere Lernbehinderung bzw. leichte Intelligenzminderung)

Die schwere Lernbehinderung bzw. leichte Intelligenzminderung ist durch eine unvollständige Entwicklung der geistigen Fähigkeiten mit erschwerter Anpassung an die Anforderungen des täglichen Lebens (ggf. mit Verhaltensstörungen) gekennzeichnet. Ihre drei Kriterien sind:

•  IQ 55 ± 5 bis 70 ± 5 (Kernbereich: 50 bis 69) nach z.B. HAWIVA, HAWIK III, HAWIE, BIS-T, SPM oder K-ABC

•  Leichte Schädigungen bzw. Einschränkungen im aktuellen Anpassungsverhalten, d.h. in der effektiven alterstypischen und (sub-)kulturspezifischen Bewältigung von Alltagsaufgaben bzw. Standardsituationen, in mindestens zwei Fertigkeitsbereichen (adaptive skill areas): Selbstbestimmung, schulische Fertigkeiten, Arbeit, Freizeit, Gesundheit, Sicherheit, Kommunikation, soziale Fertigkeiten, häusliches Leben (Wohnen), Selbstversorgung sowie Teilnahme am öffentlichen Leben und Nutzung seiner Hilfen (Luckasson et al., 1992). Dieses Kriterium wird mit Skalen zur Beurteilung der adaptiven Fähigkeiten bzw. sozialen Anpassung im Alltagsleben (Alltagsfertigkeiten) gemessen (Daraus läßt sich womöglich ein Sozialquotient (SQ) als verwandtes und den IQ ergänzendes Maß ableiten, in dem sich die Wichtigkeit des Erwerbs sozial bedeutsamer Fertigkeiten ausdrückt.), z.B. mit dem VFHK (Verhaltensfragebogen für geistig- und lernbehinderte Kinder), der DAS-M, Erwachsene (Mannheimer Skala zur Einschätzung der sozialen Behinderung) oder der VABS (Vineland Anpassungsverhalten Skala).

•  Beginn vor dem 18. Lebensjahr

Häufige Begleitmerkmale sind unterentwickelte motorische, sprachliche und selbst aktivierende Fertigkeiten sowie eine starke Entwicklungsverzögerung.

Der Personenkreis des bis 2004 so genannten „ Förderungslehrgang, Zielgruppe 2 “ (F2/3) dürfte sich weitgehend aus jungen Menschen mit diesen intellektuellen (und anderen) Voraussetzungen rekrutiert haben. (Die fünf unten stehenden Kriterien des Entscheidungskonzeptes „BvB-Reha-2“ erlauben eine klare berufsberaterische Entscheidung über die Zugehörigkeit von Rehabilitanden/innen zum Personenkreis schwer lernbehinderter junger Menschen.)

Diese „leichte Intelligenzminderung“ (leichte geistige Behinderung) ist ein Zustand von verzögerter oder unvollständiger Entwicklung der geistigen Fähigkeiten. Besonders beeinträchtigt sind Fertigkeiten, die sich in der Entwicklungsperiode manifestieren und zum Intelligenzniveau beitragen, wie beispielsweise Kognition, Sprache oder motorische und soziale Fertigkeiten. Eine Intelligenzminderung kann allein oder zusammen mit jeder anderen psychischen oder körperlichen Störung auftreten. Intellektuelle Fähigkeiten und soziale Anpassung können sich verändern. Sie lassen sich durch Übung und Rehabilitation in der Regel funktional verbessern. Ihre Diagnose sollte sich immer auf das gegenwärtige Funktionsniveau beziehen.

Wegen der Rolle des Messfehlers merkt das DSM-IV an, dass „die Unterscheidung von leichter Intelligenzminderung und grenzwertiger Intelligenz einer sorgfältigen Abwägung aller verfügbaren Informationen bedarf“ (APA 1994, 45) und „besonders schwierig ist, wenn bestimmte Geistesstörungen, z.B. Schizophrenie, beteiligt sind“ (APA 1994, 684).

Zur Abgrenzung der Lernbehinderung von ähnlichen, aber graduell verschiedenen Konstrukten, z.B. der Lernstörung, muss ihrer Eigenschaft als Entwicklungsstörung, die sich in der Regel lebensgeschichtlich interaktiv und kumulativ „aufbaut“ und z.B. nach dem „Diathese- Stress-Modell“ (s.u.) beschreibbar ist, mehr Gewicht als bisher beigemessen werden. Dadurch gewinnen auch anamnestische Kategorien eine besondere Bedeutung.

Entwicklungsstörungen sind durch Bedingungen gekennzeichnet, in denen sich ein bedeutsamer Mangel oder eine Verzögerung in der Entwicklung vielfältiger geistiger Funktionen seit der frühen Kindheit offenbart. Man kann in Abhängigkeit von Art und Anzahl betroffener Funktionen und der Ausdehnung von Einschränkungen bzw. Grenzen mehrere Typen von Entwicklungsstörungen unterscheiden. Die leichte geistige Behinderung ist z.B. durch eine Verzögerung oder Mängel in allen Entwicklungsaspekten charakterisierbar, das heißt, es liegen umfängliche und schwere Mängel in der Entwicklung von motorischen, kognitiven, sozialen und sprachlichen Funktionen vor.

3.  Sozialrechtlich fundierte Diagnose von Lernbehinderung

Seit dem 1. Juli 2001 sind (junge) Menschen mit Lernbehinderung nach der Änderung des § 19 SGB III durch Art. 3 SGB IX zum ersten Mal explizit in einem Bundesgesetz als behinderte Menschen anerkannt und zählen zur Zielgruppe der beruflichen Rehabilitation.

Bei der gutachtlichen Einstufung von „nicht sichtbaren Behinderungen“, wie z.B. der Lernbehinderung oder von Teilleistungsstörungen, gab es immer wieder Unsicherheiten.

Die sozialrechtliche Anerkennung spricht nun seit den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht in der Fassung von 1997“ (Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, 2004) nicht mehr von Lernbehinderung, sondern von einer „Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit (im Schul- und Jugendalter)“. In Ziffer 26.3 (Nervensystem und Psyche) werden zur Beurteilung des GdB/MdE-Grad folgende grundsätzliche Kriterien genannt:

•  Ausmaß der Intelligenzminderung (Nota bene: Testergebnisse erfassen immer nur Teile der Behinderung zu einem bestimmten Zeitpunkt!)

•  Persönlichkeitsentwicklung: affektiv und emotional, antriebsbezogen, Umwelteinflüsse („Prägung“), Auswirkungen für die sozialen Einordnungsmöglichkeiten

•  erreichbarer Schulabschluss

•  erzielbare berufliche Qualifikation

Die Lernbehinderung wird im Unterschied zu früher etwas weniger global in zwei Abstufungen dargestellt:

Stufe 1 : GdB/MdE-Grad 30-40 (Gleichstellung möglich)

Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit mit einem Intelligenzrückstand entsprechend einem Intelligenzalter von 10 bis 12 Jahren ... Bei einem typischen Adressaten der Berufsvorbereitung (Lebensalter: 15 bis 17 Jahre) entspricht das einem IQ von etwa 65 ± 5 bis 80 ± 5,

•  wenn während des Schulbesuchs nur geringe Störungen, insbesondere

•  der Auffassung

•  der Merkfähigkeit

•  der psychischen Belastbarkeit

•  der sozialen Einordnung

•  des Sprechens

•  der Sprache

•  oder anderer kognitiver Teilleistungen vorliegen, oder

•  wenn sich nach Abschluss der Schule

•  noch eine weitere Bildungsfähigkeit gezeigt hat und

•  keine wesentlichen, die soziale Einordnung erschwerenden Persönlichkeitsstörungen bestehen, oder

•  wenn ein Ausbildungsberuf unter Nutzung der Sonderregelungen für Behinderte (§ 66 BBiG, § 42 m HwO) erreicht werden kann („Ein GdB von 30 bis 40 kann festgestellt werden, wenn nach Abschluss der Schule noch weitere Bildungsfähigkeit besteht und ein Ausbildungsberuf unter Nutzung der Sonderregelungen für Behinderte erreicht werden kann. ...“ (Schneider 2004, 4) ).

Stufe 2 : GdB/MdE-Grad 50-70 (Schwerbehinderung)

Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit mit einem Intelligenzrückstand entsprechend einem Intelligenzalter von 10 bis 12 Jahren ... Bei einem typischen Adressaten der Berufsvorbereitung (Lebensalter: 15 bis 17 Jahre) entspricht das einem IQ von etwa 65 ± 5 bis 80 ± 5,

•  wenn während des Schulbesuchs

•  die oben genannten Störungen stark ausgeprägt sind

•  mit einem Schulversagen zu rechnen ist, oder

•  wenn nach Abschluss der Schule

•  auf eine Beeinträchtigung der Fähigkeit zu selbstständiger Lebensführung oder

•  auf eine Beeinträchtigung der Fähigkeit zu sozialer Einordnung geschlossen werden kann, oder

•  wenn der Behinderte wegen seiner Behinderung trotz beruflicher Fördermöglichkeiten (z.B. in besonderen Rehabilitationseinrichtungen) nicht in der Lage ist, sich auch unter Nutzung der Sonderregelungen für Behinderte beruflich zu qualifizieren. („... ein GdB von 50 bis 70 und damit eine Schwerbehinderung (kann) unterstellt werden, wenn der behinderte nicht in der Lage ist, sich in anerkannten Ausbildungsgängen – auch unter Nutzung dieser Sonderregelungen für behinderte – beruflich zu qualifizieren. Diese Regelung trifft etwa für diejenigen lernbehinderten Menschen zu, welche nach der (Sonder-)Schule den Förderungslehrgang der Arbeitsverwaltung besuchen, der für die sog. Zielgruppe Nr.2 (FZ-2) angeboten wird. Der Großteil der Teilnehmer an den sog. FZ-2-Lehrgängen mündet nicht in Ausbildungsgänge, sondern wird auf einfache Anlerntätigkeiten vorbereitet.“ (Schneider, 2004, S. 4) )

Über diese Kriterien der Stufen 1 und 2 hinaus gelten weiterhin die oben bereits genannten Merkmale, die sich auf die „allgemeine geistige Leistungsfähigkeit“ oder „entwicklungspsychologische Tatbestände“ beziehen.

Zur Begutachtung ist die medizinisch-diagnostische Befundlage oft dürftig, wenn neben den geistigen Beeinträchtigungen keine offensichtlichen organisch-körperlichen Schädigungen vorliegen, da Lernbehinderung keine Krankheit ist, sondern eine „quantitative Extremvariation normal strukturierten Lernens“. Art, Umfang und Schwere der Behinderung müssen deshalb aus weiteren Datenquellen hervorgehen. Für BvB resultieren Befunde v.a. aus:

•  Pädagogischen Beurteilungen, z.B. einem geeigneten Sonderschulgutachten

•  Schul- und Abschlusszeugnissen

•  Beurteilungen aus Praktika, Lehrgängen oder Förder-Assessment-Centern (FAC) zur beruflichen Bildung

•  Fachpsychologischen Stellungnahmen, z.B. PSU des Psychologischen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit

•  Beurteilungen durch Beratungsfachkräfte (Reha-Berater/innen) der Arbeitsagenturen

Für die Ausbildung resultieren zusätzliche Befunde aus:

•  BvB

•  Arbeitserprobung

•  Abklärung der beruflichen Eignung (Berufsfindung)

4.  Ursachen von Lernbehinderung

Die Verursachung von Lernbehinderung lässt sich in geeigneter Weise an dem „Diathese- Stress-Modell“ in Anlehnung an Grünke (2004 67 f.) darstellen. Ein multifaktorieller Entwicklungsprozess mit seinem Zusammenspiel biologischer Prädispositionen und psychosozialen Faktoren führt zu einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Lernbehinderung:

Eine Verbalisierung dieser Abbildung beschreibt die zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Lernbehinderung beitragenden Hauptkomponenten und deren Wechselwirkung:

Neurologische Lernvoraussetzungen

„Lernen geht immer mit bestimmten Vorgängen im Zentralnervensystem einher und ist vom Funktionieren der neurophysiologischen Strukturen abhängig. Sind die hirnorganischen Prozesse beeinträchtigt ( z. B. durch diverse Stoffwechselstörungen, Störungen des Hormon- oder Elektrolythaushalts, Fehlbildungen des Zentralnervensystems, perinatale Komplikationen, Schädel-Hirn-Verletzungen usw.), so äußert sich dies in der Regel auch in einer eingeschränkten Lernfähigkeit. Jungen weisen insgesamt eine höhere (genetisch bedingte) Vulnerabilität des Zentralnervensystems auf als Mädchen. Dies kann als eine wichtige Erklärung für das Überwiegen des männlichen Geschlechts unter lernbehinderten Schülern betrachtet werden (Marcus/ Schmidt 1993). Obwohl es unbestritten ist, dass zentralnervöse Belastungen einen bedeutenden Risikofaktor für die Entstehung intellektueller Leistungsrückstände darstellen, lassen sich auf neurologischer Ebene keine durchgängigen Unterschiede zwischen lernbehinderten und unauffälligen Kindern identifizieren (Klauer/ Lauth 1997).“

Sozialisationsfaktoren

„Zahlreiche Studien belegen, dass die zentralnervösen Voraussetzungen für Intelligenz in hohem Maße erblich determiniert sind. Ein ungünstiges familiäres Milieu kann eine entsprechende genetische Vorbelastung wiederum sekundär verstärken. Dies ist v. a. in anregungsarmen Elternhäusern der Fall, in denen bestimmte Sozialisationsfaktoren wie Leistungsorientierung, Sprachverhalten, Denk- und Arbeitsstil oder Stetigkeit relativ wenig kultiviert werden. Derartige Bedingungen finden sich häufig in Familien aus der sozialen Grundschicht, in denen ungünstige sozioökonomische Bedingungen (wie niedriges Einkommen, niedriger Berufsstatus der Eltern oder beengte Wohnverhältnisse) vorherrschen. Auch Kinder, die wegen ihres Migrationshintergrundes nicht über ausreichende Kenntnisse in der deutschen Sprache verfügen, sind normalerweise stark benachteiligt (Bleidick 1998; Kanter/ Scharff 2002).“

Folgen auf der Ausführungs- und motivationalen Ebene

„Eine gestörte Gehirnentwicklung, verbunden mit einer unzureichenden Förderung im familiären Umfeld, kann im Laufe der ersten Lebensjahre zu punktuellen Entwicklungsverzögerungen führen, die sich in relativen Minderleistungen in einem oder mehreren Funktionsbereichen äußern (z. B. im Hinblick auf Sprachkompetenz, semantisches oder Arbeitsgedächtnis, selektive Aufmerksamkeit usw.). Werden diese Defizite nicht frühzeitig und in ausreichendem Maße kompensiert, so haben die entsprechenden Kinder häufig Schwierigkeiten, ihre Lernwege zu optimieren bzw. zielführende Lernstrategien auszubilden (z. B. weil sie weniger gut als durchschnittlich Begabte in der Lage sind, ihr Lernen zu über-wachen und Fehler zu entdecken). Sie eignen sich deswegen im Laufe ihrer Entwicklung vergleichsweise wenig Wissen an und verfügen somit nur über eine recht schmale Lernbasis, um neue Erfahrungen einzuordnen bzw. strukturieren zu können. Die Folge ist ein zunehmender Mangel an zielgerichteten Aktivitäten (z. B. Formulierung von Lernzielen, Evaluation des Lernprozesses oder Verknüpfung des Lernverhaltens mit den Lernergebnissen) und ein Überschuss an ungeeigneten Aktivitäten (z. B. raten, kaspern oder aggressive Übergriffe gegen Mitschüler). Ein derart ungünstiges Lernverhalten führt zu zahlreichen Misserfolgs- und Versagenserlebnissen. Der Motivation und der Anstrengungsbereitschaft sind derartige Erfahrungen kaum zuträglich. Das Begabungsselbstbild entwickelt sich im Zuge dieses „Teufelskreises“ entsprechend negativ und die schulische Kausalattribuierung ist entsprechend misserfolgsorientiert (Klauer/ Lauth 1997). Diese motivationalen Faktoren gewinnen mit zunehmendem Schweregrad mehr und mehr an Bedeutung.“

5.  Erprobtes Förderkonzept für schwer lernbehinderte junge Menschen in der Berufsvorbereitung

(Uwe Knödler (2000) beschreibt das erprobte Förderkonzept des Modellversuches 1994-2000.)

Erfolgreiche Lehrgangscurricula (s. Anhang) berücksichtigen bei diesem Personenkreis von Anfang an die starke Individualisierung und die Anpassung der Inhalte an Anforderungen des regionalen Arbeitsmarktes. Eines der Hauptmerkmale einer schweren Lernbehinderung besteht darin, dass Lernfortschritte nur langsam und durch häufige Wiederholungen zu erreichen sind. Kommt diese Übung zu kurz, wird das ursprünglich Gelernte schnell wieder vergessen. Die Orientierung auf modulare Unterweisungs- und Schulungseinheiten ist genau aus diesem Grunde wenig hilfreich, da Modulsysteme davon ausgehen, dass nach dem Lernvorgang und seiner Zertifizierung bestimmte Module im Handlungsrepertoire relativ sicher verfügbar sind und auf das Lernergebnis später zurückgegriffen werden kann. Schwer lernbehinderte junge Menschen wären dadurch hoffnungslos überfordert.

Sinnvoll ist dagegen ein Curriculum, das die berufliche Hinführung in eine „Grundqualifizierung“ und eine „Aufbauqualifizierung“ anhand individueller Förderpläne gliedert:

•  Grundqualifizierung : Die Grundqualifizierung in einem bestimmten Berufsfeld umfasst die fachlichen und übergreifenden Qualifikationen, die erforderlich sind, um einen einfachen Arbeitsplatz auszufüllen. Die Dauer dieser Lehrgangsphase hängt vor allem vom individuellen Lernfortschritt der Teilnehmenden ab. Sie kann von sechs bis maximal 30 Monate variieren. Schulische Inhalte werden in unterschiedlichen Lernkontexten angeboten, um die Anwendung des Gelernten zu üben. Dabei wird der meist deutlich unterschiedliche Kenntnisstand der Teilnehmenden in den verschiedenen Themenbereichen berücksichtigt. Die Heterogenität der Leistungspotenziale verhindert letztlich, alle Teilnehmen den an ein vorgegebenes Leistungsniveau heranzuführen. Ziel ist vielmehr, die individuellen Leistungsmöglichkeiten auszuschöpfen.

•  Aufbauqualifizierung : Die Aufbauqualifizierung schließt an die Grundqualifizierung an und orientiert sich sowohl an den individuellen beruflichen Fähigkeiten und Interessen als auch an dem relevanten regionalen Arbeitsmarkt. Die Dauer ist ebenfalls individuell bestimmt und liegt in der Regel zwischen sechs und zwölf Monaten. Je nach individueller Situation sind Varianten denkbar:

•  Vermittlungsorientierte Qualifizierung im gleichen oder einem anderen Berufsfeld, z.B. durch ein Betriebspraktikum in der Heimatregion. Danach werden erkannte Qualifikationsdefizite aufgearbeitet.

•  Ausbildungsvorbereitende Qualifizierung für einen Werkerberuf im gleichen oder einem anderen Berufsfeld

Berufsschulisch werden zusätzlich besonders die schulischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten gefördert, die für den Wechsel in eine Werkerausbildung oder für die Vermittlung in Arbeit wesentlich sind.

Parallel zu beiden Phasen werden erprobte Lehrpläne an einer Förderberufsschule als auch Lernziele und -inhalte für die sozialpädagogisch-psychologische Unterstützung im Alltag einzelfallorientiert umgesetzt. Der Unterricht bezieht sich nicht auf den üblichen Fächerkanon, da die meist „schulmüden“ Teilnehmenden wenig darauf ansprechen, sondern ist projektorientiert und fächerübergreifend angelegt.

Eingliederung

Eine anschließend erfolgreiche Integration in Beruf und Gesellschaft hat viele Voraussetzungen. Einige wichtige davon sind:

•  Kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagentur und qualifizierender Einrichtung

•  Verstärkte betriebliche bzw. betriebsnahe Qualifizierung mit Partnerfirmen (langjährige Beziehungen sind hier sehr förderlich)

•  Vermittlungsorientierte Kooperation mit Angehörigen

•  Vermittlungspraktikum als Eingliederungsinstrument mit flexiblem Lehrgangsende

•  Stabilisierungshilfen im ersten Jahr nach Beendigung des Lehrganges, u.a. durch berufsbegleitende Assistenz eines Integrationsfachdienstes

•  Ergebnisse einer Nachuntersuchung der Entlassjahrgänge 1994-1999

Vor dem Hintergrund des beschriebenen Curriculums wurden N = 140 Teilnehmende zu ihrem Verbleib befragt:

•  64 Absolventen (45,7%) arbeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt, darunter auch 14 Absolventen, die sich nach erfolgreicher Werkerausbildung in der Regel in ihrem erlernten Berufsfeld integrieren konnten.

•  35 Absolventen (25%) sind in einer höher qualifizierenden Maßnahme (F1-Lehrgang/ Ausbildung), meist in einer Werkerausbildung im Berufsbildungswerk (17,9%).

•  2 Absolventen (1,4%) arbeiten in einer Integrationsfirma (zweiter Arbeitsmarkt).

•  15 Absolventen (10,7%) arbeiten in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), davon haben 2 Absolventen ausgelagerte Arbeitsplätze.

•  12 Absolventen (8,4%) sind arbeitslos; 9 davon wurden nach Beschäftigung wieder arbeitslos.

•  6 Absolventen (4,2%) stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung: Zwei sind in einer Qualifizierungsmaßnahme (Arbeitsamt), zwei junge Frauen leben mit ihren Kindern als Hausfrauen, zwei Absolventen leiden unter einer chronischen Erkrankung und sind nicht erwerbstätig.

•  1 Absolvent (0,7%) ist verstorben, der dauerhaft auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt war.

•  5 Absolventen (3,5%) sind in ihrem Verbleib inzwischen unbekannt

Fazit : Schwere Lernbehinderung bedeutet auf keinen Fall „einfache Arbeit in Ausbildungsräumlichkeiten mit einfacher Ausstattung“. Die Teilnehmenden vereinen vielfach mehrere Behinderungsmomente und Zusatzstörungen in sich, die besonders geschultes Personal erfordern. Der Lehrgang ist nicht in erster Linie Hinführung zu bzw. Vorbereitung einer Ausbildung, sondern Ersatz für eine Ausbildung. Deshalb werden Werkstätten mit berufstypischer Ausstattung nötig.

Über 70 Prozent der untersuchten Lehrgangsteilnehmenden erreichten den ersten Arbeitsmarkt (Nach derzeitiger Berechnungsgrundlage der Bundesagentur für Arbeit entspricht dieser Wert sogar einer Integrationsquote (ein Jahr nach Maßnahmeende) von 86,5%.). Das belegt die Möglichkeiten und den Erfolg dieser gründlichen Qualifizierung, sowohl im Hinblick auf allgemein gültige Wertevorstellungen unserer Gesellschaft, z.B. der Chancengleichheit, Selbstbestimmung und Teilhabe, als auch volkswirtschaftlich.

Berufsbildungswerke sind geeignete Einrichtungen für schwer lernbehinderte Jugendliche. Die Ergebnisse des Modellversuches mit bewährten Konzepten und Plänen sind so ermutigend und aktuell, dass sie für den Einzelfall jederzeit mit entsprechenden Anpassungen und Ergänzungen ohne großen Aufwand in das Fachkonzept BvB übernommen werden können. Diese Maßnahme sollte jedoch von den übrigen abgegrenzt und unverwechselbar benannt werden, z.B. BvB-Reha-2, da der Lernort anders konfiguriert ist.

Legende : § 4 Berufsbildungsgesetz (BBiG): Regelausbildung, § 66 Berufsbildungsgesetz (BBiG): besonders geregelte, anerkannt Ausbildung mit reduzierten theoretischen und praktischen Anforderungen, abH: ausbildungsbegleitende Hilfen, BaE: Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen, WfbM: Werkstatt für behinderte Menschen, 1. Schwelle: Übergang allgemeinbildende Schule – berufliche Qualifizierung, 2. Schwelle: Übergang berufliche Qualifizierung – Arbeitsmarkt

Einzelnen geistig behinderten Menschen war bzw. ist sicher auch der Besuch eines F2/3- Lehrganges möglich. Absolventen von F2/3-Lehrgängen münden v.a. in den 1. Arbeitsmarkt (s.o.), aber auch in den 2. Arbeitsmarkt oder in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Dabei sind die unterschiedlichen Arbeitsmärkte prinzipiell durchlässig.

6.  Fünf berufsberaterisch relevante Förderkriterien für schwer lernbehinderte junge Menschen in Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen bis zu 24 Monaten (BvB-Reha-2)

Unter bestimmten Voraussetzungen ist es sinnvoll, junge Menschen mit schwerer Lernbehinderung in einer auf sie zugeschnittenen Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme mit dem Ziel der Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt oder der Berufsausbildung in einem einfachen Werkerberuf zu qualifizieren:

•  Personmerkmale : Die Teilnehmer/innen an BvB-Reha2 sind junge Menschen mit Behinderungen. Sie sind mit den bisher so bezeichneten F 2/3-Teilnehmern/innen identisch und deutlich schwächer als die Mehrheit aller übrigen BvB-Teilnehmenden hinsichtlich:

•  Intelligenz (IQ = ca. 75, schwere Lernbehinderung)

•  Schulleistung

•  Handwerklich-motorischen Fertigkeiten

•  Psycho-sozialem Entwicklungsstand

•  Lebenspraktischer Kompetenz

Mindestens drei dieser fünf Personmerkmale müssen diagnostisch in der Eignungsanalyse (EA) als besonders defizitär nachweisbar sein. Eine sichere Zuordnung verlangt aber auch Erfahrungswerte in der Förderung dieses Personenkreises.

Es empfiehlt sich, die Grenzen für eine Förderung weder nach unten noch nach oben zu eng zu ziehen, da sowohl einzelne gute Absolventen/innen von „Schulen zur individuellen Lebensbewältigung“ die Maßnahme erfolgreich bewältigen können als auch ein Anteil von Teilnehmern/innen anschließend in eine besonders geregelte Ausbildung wechseln kann, bei dem dies zu Maßnahmebeginn nicht erkennbar ist.

In der förderdiagnostischen Fragestellung kommt es darauf an, sich auf die Ressourcen und das bisher nicht genutzte Fähigkeitspotenzial dieser Teilnehmer/innen zu konzentrieren.

•  Schwerbehinderung : Der Grad der Behinderung dieser jungen Menschen muss die Kriterien der Schwerbehinderung erfüllen: GdB = 50. Diese müssen durch einen Schwerbehindertenausweis oder Erfüllung der Kriterien für die Ersatztatbestände in der aktuellen Fassung nachgewiesen werden.

•  Mehrfachbehinderung : Eine Mehrfachbehinderung im Sinne von mindestens einer Zusatzbehinderung muss nachweisbar sein. Oft sind dies Probleme aus dem Bereich der Psychischen Behinderung, z.B. besondere Kommunikationsprobleme oder psychomotorische Einschränkungen.

•  Teilhabekriterium : Nach dem Urteil des Reha-Beraters muss eine erfolgreiche Eingliederung in Arbeit oder eine einfache Ausbildung zu etwa 70 Prozent wahrscheinlich sein, wenn eine individuell angemessene Anzahl weiterer Fördermonate (maximal: 6) über die Übergangsqualifizierung hinaus gewährt wird.

•  Abgrenzung zur Förderung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) : Unter den förderlichen Bedingungen der BvB muss durch die Verlaufsdiagnostik an den Schnittstellen der Maßnahmestufen eine positive Entwicklungstendenz nachweisbar sein, die das Teilhabekriterium (Kriterium 4) sukzessive wahrscheinlich werden lässt. Insbesondere entwicklungsverzögerte, infantile junge Menschen mit einem Rückstand von ca. 4 Jahren auf den altersgemäßen Entwicklungsstand erhalten durch die BvB-Reha-2 Chancen, unter förderlichen Bedingungen nachzureifen und sich langsam dem Verhalten und den Leistungen ihres Altersniveaus so anzunähern, dass das Teilhabekriterium erfüllt wird.

7.  Zur Notwendigkeit einer individuellen und angemessenen Förderdauer für schwer lernbehinderte Jugendliche in Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BvB-Reha-2)

(Gerhard Pfeiffer (2006) argumentiert zum Aspekt der Förderdauer. )

Förderdauer : Im BA-Runderlass 42/96 war für den Personenkreis der schwer lernbehinderten jungen Menschen eine Förderungsdauer von zwei, in Einzelfällen bis zu drei Jahren vorgesehen. Die Ergebnisse des entsprechenden Modellversuches (1994-2000) bestätigten diese Förderungsdauer: Sie orientiert sich an die Dauer einer einfachen beruflichen Erstausbildung und stellt den notwendigen Zeitrahmen für eine fundierte berufliche Bildung und Eingliederung dieses Personenkreises dar.
Im Konzept der neuen Förderstruktur wird die Förderung „für junge Menschen mit Behinderung, die ausschließlich das Ziel der Arbeitsaufnahme haben“ (BA 2004, 15) auf 18 Monate begrenzt. Für diese Grenze gibt es keine empirischen Belege; offensichtlich hier sind Kostengesichtspunkte maßgebend.

Selbsternannte Experten der BA erdachten offensichtlich in vorrangiger Kenntnis und Favorisierung des Personenkreises lernbeeinträchtigter und sozial benachteiligter junger Menschen ein überreguliertes Curriculum, das die 6 (mindestens) fehlenden Fördermonate für schwer lernbehinderte junge Menschen durch den anschließenden Eintritt in betriebliche EQJ- Maßnahmen (Einstiegs- und Qualifizierungsjahr) (EQJ-Maßnahmen, die nunmehr auslaufen, wurden tatsächlich in erster Linie von jungen Menschen mit „Überschussqualifikationen“ nicht selten oberhalb des qualifizierten Hauptschulabschlusses genutzt. ) oder ausgedehnte Betriebspraktika erfüllt sahen, wie erst am 27. Oktober 2006 in einem Gespräch mit der BA bekannt wurde.

Damit wird ein Rückschritt in der Förderung dieses Personenkreises eingeleitet, und es werden – „rücksichtslos und unerfahren“ - jahrelange Bemühungen (u.a. zwei Modellversuche in und außerhalb von BBW) negiert, dem Förderungsbedarf dieses Personenkreises gerecht zu werden: Ein sechszehnjähriger Jugendlicher, der schwer lernbehindert oder leicht geistig behindert ist, soll nach 18 Monaten Förderung mit siebzehneinhalb Jahren auf dem Arbeitsmarkt bestehen und eine vollwertige Leistung erbringen, während z.B. ein Jugendlicher gleichen Alters – auf Kosten der Allgemeinheit - noch die Schule besucht, studiert und dann vielleicht mit 27 Jahren eine erste Arbeitsstelle antritt.

Durchlässigkeit : Auch die Durchlässigkeit der beruflichen Bildungsmaßnahmen im neuen Förderkonzept wird eingeschränkt. Spätestens nach elf Monaten muss bei jungen Menschen mit Behinderung der Übergang in eine Ausbildung erfolgen. Im Modellversuch konnte aber gezeigt werden, dass eine erhebliche Anzahl - ein gutes Drittel! - schwer lernbehinderter junger Menschen eine bis zu zweijährige Vorförderung benötigt, um den Wechsel in eine Berufsausbildung (in der Regel im Berufsbildungswerk) zu bewältigen. Erst die Erfolgserlebnisse im F2/3-Lehrgang führen bei einem Teil der jungen Menschen zu einer ausgesprochen positiven persönlichen Entwicklung, die sie nach angemessener Förderungszeit die Stabilität und Erfolgzuversichtlichkeit entwickeln lässt, die für eine Ausbildung benötigt werden. Mit der Begrenzung der Vorförderung auf elf Monate wird vielen schwer lernbehinderten Jugendlichen diese Möglichkeit genommen.

Die Ergebnisse des Modellversuchs 1994–2000 in vier Berufsbildungswerken, der u.a. von der BA initiiert, finanziert und wissenschaftlich begleitet wurde, weisen als ein zentrales Ergebnis aus: „Die Förderungsdauer ist vom individuellen Lern- und Entwicklungstempo der schwer lernbehinderten jungen Menschen abhängig zu machen. Für junge Menschen, deren Entwicklungsfortschritte eine anschließende einfache Ausbildung ermöglichen, sind 12–24 Monate Förderungsdauer erforderlich. Für junge Menschen, die direkt in den Arbeitsmark t einmünden, sind 24-36 Monate Förderungsdauer erforderlich.“

Die ausgesprochene Heterogenität des Personenkreises macht eine Individualisierung der Förderung und auch der Förderungsdauer notwendig. Diese Individualisierung kann aber nicht bedeuten, dass schwer lernbehinderte Jugendliche von allen Behinderungsgruppen die geringste Förderungszeit benötigen, um sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten zu können.

Die Entwicklung von Arbeitsreife und persönlicher Reife benötigen Zeit, die in Auseinandersetzung mit den – für die jungen Menschen häufig erstmals erfolgreich zu bewältigenden – Anforderungen in der Maßnahme und in den Betriebspraktika erfolgt.

Häufig werden die Fortschritte im zweiten Förderungsjahr greifbar. Stabilisieren sich diese Fortschritte, dann ist eine Vermittlung nach zwei Jahren möglich. Junge Menschen, die im Modellversuch den Lehrgang vor Erreichen der zweijährigen Förderungsdauer verlassen haben, waren entweder zu schwach (Wechsel in WfbM) oder krank (hier stand die medizinische Betreuung oder Rehabilitation im Vordergrund. Sind die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten im zweiten Jahr nicht erreicht, weil der behinderte junge Mensch ein geringeres Lerntempo aufweist, ist eine entsprechende weitere Förderung notwendig.

Kriterien für Lernfortschritte

•  Leistungsfähigkeit im Vergleich zu einer nicht behinderten Arbeitskraft

•  Lernzuwachs dieser Leistung in einem bestimmten Zeitraum

•  Fortschritte in Belastbarkeit, Konzentration, Ausdauer

•  Fortschritte in Selbstständigkeit und Selbstverantwortung

•  Fortschritte in lebenspraktischer Aufgabenbewältigung (Orientierung, Umgang mit Behörden, ...)

•  Erfolgreiches Bewältigen von Betriebspraktika hinsichtlich Leistung und sozialer Kompetenz

In den letzten Jahren wurde deutlich, dass die finanziellen Ressourcen unserer Gesellschaft begrenzt sind und die Verteilungskämpfe schärfer werden. Auch die Rehabilitation behinderter Menschen ist von Einsparungen betroffen. Bezeichnend ist aber, dass vorrangig die beruflichen Chancen eines Personenkreises gemindert werden, der traditionell durch alle „Förderungsmaschen“ fiel und dem durch vielfältige Bemühungen endlich eine ausreichende berufliche Bildung über den F2/3-Lehrgang eröffnet wurde. Das sollte auch unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten erneut korrigiert werden.

8.  Weitere Argumente für eine individuelle Förderdauer bis zu 24 Monaten bei schwer lernbehinderten jungen Menschen

(Siegfried Weiler protokolliert 2004 ein Expertenrating im BBW Waiblingen. )

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat das Fachkonzept BvB auf eine maximale Förderdauer von 18 Monaten begrenzt und diese starre Zeitvorgabe bis jetzt bestätigt, allerdings soll es angeblich ein „lernendes“, d.h. novellierungsfähiges Konzept sein. Von Mitarbeitenden in Berufsbildungswerken (Schule, Betrieb, Internat, Fachdienste) wurden sechs Argumente festgehalten, die für eine individuell zu verlängernde Maßnahme sprechen. Der Personenkreis in gegenwärtigen BvB ist nicht homogen. Eine Reihe der aktuell Teilnehmenden sind solche im Sinne der bisherigen Förderlehrgänge 2 bzw. 3:

•  Sie sind stark entwicklungsverzögert und benötigen eine längere Zeit und Förderung für ihre persönliche Entwicklung, um einen Lernzuwachs zu realisieren. Unsere langjährige Erfahrung zeigt, dass mit den Faktoren Zeit, Kontinuität, Bezugspersonen und einer entsprechenden Förderung ein Lernzuwachs realisierbar ist.

•  Angesichts der begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten dieser Absolventen kommt es weniger auf Lern- und Übungsprogramme mit dem Ziel der Selbständigkeit an, sondern auf die Schaffung günstiger personeller, sozialer und arbeitsplatzbezogener Bedingungen. Ein wichtiges Lehrgangsziel ist die Findung bzw. Schaffung von Kompensationsinstanzen. D.h. beispielsweise, dass die Eltern mit eingebunden werden müssen, um mit ihnen gemeinsam eine beruflichen Lösung zu finden.

•  Diese Jugendlichen sind fast immer schwerbehindert, oft mehrfach behindert und haben geringere Ressourcen als Jugendliche andere Teilnehmenden der BvB-Maßnahme. Auch hier spielt der Faktor Zeit eine gewichtige Rolle.

•  Sie benötigen ein individuelles Integrationsmanagement und als heterogener Personenkreis individuell gestaltete Integrationswege, die auf Grund der vielen relevanten Kooperationspartner eine hohe Koordination erfordern:

•  Aktivierung und Orientierung der Eltern/ des Familiensystems, um deren Ressourcen für die Integration nutzen zu können.

•  Sicherung der Integration durch Beantragung von Schwerbehindertenausweisen

•  Beantragung von Fördermitteln für die Integration beim Arbeitsamt

•  Beratung und Dienstleistung für einstellungsbereite Firmen, um die Einstellungsschwelle möglichst niedrig zu setzen und geeignete Arbeitsbedingungen zu konstruieren.

•  Konzept der Integration im laufenden Lehrgang, um entsprechend den konkreten Bedingungen einen möglichst passgenauen und fließenden Übergang in Arbeit (oder Ausbildung) zu gestalten - zum Nutzen aller Beteiligten. (Bei den anderen rehaspezifischen BvB Teilnehmenden ist in der Regel die Anschlussmaßnahme gesichert, da der größte Teil der Jugendlichen in eine Ausbildung mündet – meistens im BBW)

•  Der Weg zu einem Arbeitsplatz führt bei schwer lernbehinderten BvB Teilnehmenden fast ausschließlich über ein gelungenes Praktikum. Dabei benötigen sie auch hier einen längeren Zeitraum, um auf ihre persönliche Leistung zu kommen und ihr Wissen und Können zu zeigen. Die Erfahrung zeigt, dass in der Vergangenheit mehrere längerfristige Praktika durchgeführt werden mussten, wenn eine erfolgreiche Übernahme gelingen sollte. Hier ist es ebenso wichtig, dass die Mitarbeitenden des BBW gemeinsam mit den Jugendlichen für eine Passung von „Anforderungsprofil Arbeitsplatz“ und „Fähigkeitsprofil Jugendlicher“ sorgen. Ist der Jugendliche nach Maßnahmeende bei der Arbeitsplatzsuche auf sich alleine gestellt, ist die Erfolgsquote in eine erfolgreiche Vermittlung längst nicht mehr so hoch.

•  Bei nicht existenten Eltern, die aufgrund verschiedener Ursachen ihrer Erziehungs- und Mitwirkungspflicht nicht nachkommen (können), wird ebenfalls vermehrt Zeit benötigt, um passende Anschlussmaßnahmen wie Wohnen und ein sozialen Netz zu finden.

Fazit : Eine Förderdauer von maximal 18 Monaten für alle Teilnehmenden in den BvB- Maßnahmen wird dem Personenkreis schwer lernbehinderter junger Menschen nicht gerecht. Die Förderdauer sollte bei diesen Jugendlichen, bei denen eine Integration innerhalb der 18 Monate nicht gelungen ist und nicht gelingen kann, um bis zu weitere 6 Monate verlängert werden dürfen. Ein entsprechender Antrag müsste individuell für jeden Jugendlichen rechtzeitig, d.h. mindestens zwei Monate vor Ablauf der bewilligten Maßnahme, gestellt werden und sollte bestimmten nachvollziehbaren Förderkriterien genügen, z.B. den oben genannten Förderkriterien BvB-Reha-2.

9.  Repräsentative Ergebnisse 1998 bis 2003 aus verstetigten Modellversuchen zur Integration schwer Lernbehinderter junger Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt

(Jürgen Tress beschreibt 2004 im Rahmen der Selbstevaluation des Fachkonzeptes BvB durch ausgewählte Berufsbildungswerke die Erfolgsstatistik des BBW Waiblingen. )

Der Modellversuch „Berufliche Qualifizierung von schwer lernbehinderten Jugendlichen an vier Berufsbildungswerken“ hat gezeigt, dass auch für stark lernbehinderte Förderschüler im Grenzbereich zu geistiger Behinderung entsprechende Bildungsmaßnahmen und Förderdauer zu einer Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt (außerhalb einer WfbM) führen können.

Die Verbindung Praktikum, Fördermittel, Feststellung einer Behinderung (SB-Ausweis) ist nach wie vor ein wirkungsvoller Weg, Beschäftigungschancen der jungen Leute zu fördern. Der Elternarbeit müssen wir weiter einen hohen Stellenwert bei, diese Ressourcen sind vielfach entscheidend für die Vermittlungsarbeit.

Alle Absolventen des F2-Entlassjahrganges 2003 haben über den Zeitraum „ein Jahr nach Beendigung“ eine Zeit lang gearbeitet. Dies ist wieder umso überraschender, als der Arbeitsmarkt weiterhin sehr angespannt ist. Sie fanden Beschäftigungsverhältnisse im Bauhof, bei Zeitarbeitsfirmen, im Sanitätshaus und in einer Umzugsfirma. Vermittlungen gab es auch in den Branchen Garten- und Landschaftsbau, Reiterhöfe sowie in der Metallverarbeitung.

Insgesamt gesehen befanden sich ein Jahr nach Ende der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme F2 75 % der Teilnehmenden in Ausbildung und in Arbeit. Die nach aktueller Vorgabe der Bundesagentur für Arbeit (BA) berechnete „Integrationsquote“ (nach einem Jahr) beläuft sich sogar auf 84,4% .

10.  „Hans und junge Menschen mit schwerer Lernbehinderung im Glück“?

Als wir Hans kennen lernen, ist er schon weit jenseits der „zweiten Schwelle“ am Übergang zwischen Ausbildung und Berufstätigkeit. Er war als Handwerksbursche auf „Wanderschaft“ und wortwörtlich „erfahren“. Er hat sich in der Fremde bewährt und all das bewältigt, was jungen Menschen mit schwerer Lernbehinderung erst mühevoll bevorsteht. Für langjährige gute Arbeit erhält er reichen Lohn, und es ist zu vermuten, dass er mit Familienanschluss bei seinem Meister sozusagen „stationär“ und „betriebsnah“ untergebracht war und Beziehung und Kontinuität erlebte. Berufliche und gesellschaftliche Teilhabe nennt man das heute ein wenig hölzern. Und er macht von seinem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch, wenn er nach Jahren in dieser Fremde wieder nach Hause „zur Mutter“ will; ob zu seinem Besten, wissen wir nicht. Vertrautheit, sozialer Rückhalt und Geborgenheit kommen eben menschlichen Grundbedürfnissen sehr entgegen und mit ihrer Einlösung erleben Menschen eine innere Balance, die guten Boden für persönliches Wachstum legt. Maslow (1999) visualisiert das in seiner Motivationspyramide auf den Ebenen „Soziale Beziehungen“ und „Soziale Anerkennung“ qualitativ sicher nicht falsch. Das erwanderte Herannahen seines Zieles lässt Hans dann auch „leicht“ und „glücklich“ sein. Für ihn kann die Frage der Kapitelüberschrift offensichtlich zustimmend beantwortet werden: „Hans im Glück“!

Aber um welchen Preis? Mancher wird Hans als „Toren“ begreifen, der nicht von dieser Welt ist. Es scheint schon einfältig, mit Wertverlust zu tauschen und nur vom momentanen Gebrauchswert her zu urteilen, der wenig abgeglichen und weitsichtig erwogen ist. Längerfristige Vor- und Nachteile spielen offensichtlich keine Rolle, und übervorteilende Interessenten wittern Hans' Gutgläubigkeit und Naivität und handeln - eigennützig. Ein wehrloses, williges Opfer!? Und das Schöne daran ist das ausbleibende schlechte Gewissen, das Hans mit seiner Erwerbsfreude selbst entlastet „Die Welt will betrogen sein“. Natürlich ist die Nachhaltigkeit seiner Tauschgeschäfte äußerst begrenzt. Bereits an der nächsten Ecke lauert die nächste Versuchung und wird prompt wahrgenommen. Und trotzdem: Je näher die „Mutter“, desto größer das Glücksempfinden. Hier sind sozial-emotionale Prozesse und Erwartungen das alles entscheidende Lebenselexier und urteilsprägend und nicht die von uns erwartete materielle Wertsicherung oder gar Wertschöpfung.

Was verbindet Hans mit heutigen jungen Menschen mit schwerer Lernbehinderung? Die Märchenfigur ist dieser Kategorie geistiger (und seelischer) Einschränkung keinesfalls unbefragt zuzuordnen, schließlich stand sie schon mehr oder weniger auf sich alleine gestellt lange und erfolgreich im Berufsleben. Es ist vor allem diese lebenspraktische Kurzsicht, das „kurze“ Urteil, vielleicht die Suggestibilität und Leichtgläubigkeit, die Hans und unsere Zielgruppe schnell zum Spielball fremder Interessen macht, und die Gutgläubigkeit, die personal abhängig und fremdbestimmt sein lässt. Das ruft geradezu nach Stärkung personaler und sozialer Kompetenzen.

Junge Menschen mit schwerer Lernbehinderung sind jedoch im Kontrast zu Hans erst mit umfassender beruflicher Rehabilitation, z.B. in einem Berufsbildungswerk, auf einem möglichen Glücksweg hin zu dem, was Hans gerade hinter sich gelassen hat: Arbeit und Beruf als Inbegriff von Nützlichkeit und Zugehörigkeit zur modernen Leistungsgesellschaft (mit der Gefahr, Menschen nur noch unter Kriterien der Verwertbarkeit oder Funktionalität zu sehen). Sie haben regelrecht Glück, wenn Ihnen heute durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) der Weg in Beruf und Arbeit trotz ungünstiger persönlicher Voraussetzungen frei gemacht wird, da die Praxis der Leistungsgewährung trotz des Rechtsanspruches nach SGB IX nach unserer Erfahrung durchaus ein Glücksspiel ist, dessen Regeln trotz aller Beteuerungen letztlich die Haushaltslage und betriebswirtschaftliche Erwägungen diktieren. Die Feststellung des Förderbedarfes und ableitbarer Leistungen wird nicht selten mit Assistenz der „Psychologischen Sonderuntersuchung“ (PSU) „elastisch“ gehandhabt, schließlich muss auf Agenturebene das „benchmarking“ stimmen.

Berufsvorbereitende Förderwege, die für diesen Personenkreis einzig und allein einen ersten Zugang zur Teilhabe sichern, wurden beispielsweise im Rahmen des so genannten „Fachkonzeptes Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen“ (BvB) schlicht und einfach und – Expertentum vorausgesetzt - wider besseres Wissen so beschnitten, dass sie für diesen Personenkreis unzureichend sind. Das ist zwar alles ein bisschen unmenschlich und unsozial, aber ansonsten zu teuer, hört man aus den Kulissen: „Schlechtes Verhältnis von Aufwand und Ertrag“, McKinsey lässt grüßen. In der Konsequenz heißt das für viele betroffene junge Menschen Hartz-IV und Arbeitslosigkeit ohne jede Perspektive oder – ganz einfach unnötige, im Einzelfall womöglich sogar katastrophale Fehlentscheidung mit haushaltstechnischem Hintergrund – „Werkstatt für behinderte Menschen“ (WfbM).

In Abwandlung eines alten Sponti-Spruches könnte es in unserer „Zivilgesellschaft“ an dieser Stelle durchaus proaktiv heißen „Glück ist machbar, Herr Nachbar“, man muss es nur politisch und administrativ wollen (und können). An bewährter, modellerprobter und förderrechtlich bereits einmal verstetigter Erfahrung mangelt es nicht, und die Erfolge garantierenden Einrichtungen, z.B. Berufsbildungswerke, gibt es auch (noch) genügend. Also müsste das „gegengleiche“ Märchen „Glück für Hans“ nicht länger Märchen bleiben, das eine Entwicklung von der „Mutter“ über eine passende Berufsvorbereitung (nicht nur BvB, sondern BvB-Reha-2) hin zu Chancengleichheit, Selbstbestimmung und Teilhabe durch Beruf und Arbeit komponiert. „Glück“, wie es unser Märchen-Hans erlebt, wäre dann nicht ausgeschlossen, und es müsste nicht mehr wehmütig unter Betroffenen und Eltern heißen: „Es war einmal - ein Förderlehrgang 2/3 …“.

 

Literatur

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Anhang : Beispiele aus den Curricula zur Grundqualifizierung im Berufsfeld Metall (vgl. Pfeiffer, 2006)

Aus: Fachliche Inhalte und Qualifizierungsschwerpunkte

-  Metallbearbeitung:

•  Einfache Handhabung von Stahlmaßstab und Messschieber

•  Anreißen, Kennzeichnen und Prüfen der Werkstücke

•  Manuelles Spanen (feilen und sägen mit Handbügelsäge)

•  Maschinelles Spanen (bohren, reiben, senken und Gewinde schneiden nach Anriss an Tisch-, Reihen-, Ständer- und Säulenbohrmaschine)

•  Selbständiges Bohren und Sägen an eingestellten Maschinen

In Abhängigkeit von individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten steigert sich der Schwierigkeitsgrad der einzelnen Aufgabenstellungen. Beispielsweise ist beim Bohren ein gewisses Maß an Kraft erforderlich, jedoch nicht zu viel, da sonst die Gefahr besteht, den Bohrer abzubrechen.

-  Serienarbeiten:

•  Selbständiges Drehen von Serienteilen mit Anschlägen an eingestellten Leit- und Zugspindeldrehmaschinen

•  Wechseln von Werkzeugen

•  Einlegen von Werkstücken in Vorrichtung, Vermeidung von Beschädigungen

•  Bedienen von Bohr-, Fräs und Drehmaschinen mittels Handrad und Automatikvorschub bei Serienteilen

•  Bedienen von voreingestellten CNC-Maschinen

Aus: Berufsübergreifende Inhalte und Qualifizierungsschwerpunkte

-  Motorische Fertigkeiten: Verbesserung von

•  Motorik

•  Gleichgewicht

•  Beweglichkeit

•  Kraft

Zur Förderung dieser Fertigkeiten gibt es bestimmte Angebote: morgendliche Gymnastik im Betrieb, wöchentliche Teilnahme am Betriebssport, bedarfsorientierte Motopädagogik usw.

-  Belastbarkeit:

•  Ausdauer

•  Konzentration

•  Aufmerksamkeit bei abwechslungsarmen Tätigkeiten

Diese Fähigkeiten werden u.a. bei Serientätigkeiten trainiert.

Aus: Schulische Inhalte und Qualifizierungsschwerpunkte

-  Mathematik: Einfaches Grundrechnen und angewandtes Rechnen

•  Einfache Aufgaben zum Grundrechnen

•  Zahlbegriff, Zahlenstrahl, Zehnerübergang

•  Kommarechnen in Euro und Zentimeter, Millimeter usw.

•  Umwandeln von Einheiten

•  Grundrechenformen aus dem text herausfinden

•  Rechnen mit Spielgeld

•  Längenmaße und Gewichte (mm, 1/10 mm)

-  Deutsch: Lesen, Zeichenverständnis, Schreiben

•  Leseförderung und Textverständnis in Verbindung mit lebenspraktischen Aufgaben

•  Hinweisschilder aus der Arbeits- und Verkehrssicherheit lesen und deuten, z.B. Giftgefahr, Hochspannung, roter „Notaus“-Knopf usw.

•  Einfache schriftliche Mitteilungen verfassen oder entsprechende Schwächen durch Symbole, Zeichnungen oder Erfragen von Hilfen ausgleichen

•  Realistische Selbsteinschätzung und Kompensationsmöglichkeiten

•  Teilnehmende werden behutsam an ihre Leistungsgrenzen geführt

•  Sie lernen zu unterscheiden, welche Denkoperationen verstanden wurden und wo nur Verstehen vorgetäuscht wurde.

•  Unterstützung beim Einsatz vorhandener geistiger Fähigkeiten und beim Eingestehen von Unverständnis: lernen, gezielt nachzufragen, um Lösungen näher zu kommen, oder lernen, persönliche Grenzen zu akzeptieren und Ausgleichsmöglichkeiten zu finden (z.B. einen Taschenrechner zu bemühen)

•  Stärkung des Selbstvertrauens, um sich gegen Druck oder Spott zu wehren

Aus: Inhalte und Qualifizierungsschwerpunkte des Internates

- Kommunikationsfähigkeit

•  Auf andere zugehen, Fragen stellen

•  Zuhören, mitreden, ausreden lassen, Rücksicht nehmen

•  Absprachen treffen und einhalten

- Umgang mit Kritik

•  Argumentieren, sich etwas sagen lassen

•  Eigene Verhaltensmuster reflektieren und verändern

•  Einzel- und Gruppengespräche durchstehen

- Anpassung

•  Regeln einhalten, z.B. Hausordnung, Dienstpläne usw.

•  Rangordnungen kennen und anerkennen

-  Telefonieren

•  Sich melden

•  Konkretes Training: Terminabsprache, Tisch im Restaurant bestellen usw.

- Lebenspraxis

•  Haushalt, Ordnung

•  Freizeitgestaltung

•  Körperbewusstsein

•  Partnerschaft und Sexualität

•  Finanzen

•  Umgang mit öffentlichen Einrichtungen

- Orientierungsfähigkeit: in

•  Internat, Berufsbildungswerk

•  Stadt: Läden, Bahnhof, Haltestelle, ins BBW zurück finden

•  Bahnhof: zurechtfinden

•  Öffentliche Verkehrsmittel benutzen: Fahrplan lesen, Fahrkarten lösen usw.

-  Projekte: realitätsnahe sozialpädagogische Übungsfelder

•  Klettern, Paddeln, Wandern

•  Theaterbesuch

•  Schullandheimaufenthalt

 

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