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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
FT 17 Sprachen

Sprachkompetenz – Bedeutung und Realität in der Berufsausbildung

 

Abstract

Sprachkompetenz nimmt heute einen wichtigen Stellenwert in der beruflichen Ausbildung ein, denn oftmals ist diese die erste Hürde, an denen die Jugendlichen scheitern. Aufgrund der mangelnden Sprachkompetenz haben viele BerufsschülerInnen Probleme Texte zu verstehen und deren Inhalte darzustellen, was wiederum zur Folge hat, dass sie die berufliche Ausbildung vorzeitig beenden müssen oder in der Abschlussprüfung scheitern.

Sprachkompetenz umfasst in der Lernpsychologie vier Dimensionen, die die Komplexität und Anforderungen an Sprachverstehen widerspiegeln.

Die geforderte berufliche Handlungskompetenz ist mit einer mangelhaften Sprachkompetenz nicht zu erreichen. Ein zentraler Aspekt hierbei ist, dass die Sprachkompetenz, d.h. die Fähigkeit Texte selbstständig lesen und verstehen zu können, bei den Schulabsolventen vorausgesetzt wird. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, vielmehr muss gerade in den berufsbildenden Schulen – fachübergreifend – und auch in den Ausbildungsbetrieben die Förderung der Sprachkompetenz gezielt erfolgen. Damit geht gleichzeitig einher, dass sowohl im Vorschulbereich als auch in allen allgemein bildenden Schulen die Sprachkompetenz mehr und gezielter, d.h. in allen Fächern, gefördert werden muss.

 

Mein heutiges Thema „Sprachkompetenz – Bedeutung und Realität in der Berufsausbildung“ wurde in den letzten Jahren häufig in Verbindung mit den Themen „Fremdsprachen in der Berufsausbildung“ bzw. „Sprachkompetenz von Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ diskutiert.

Beide Aspekte werde ich hier nicht betrachten. Mein Beitrag wird sich auf den vermeintlich langweiligeren „muttersprachlichen“ Bereich, also Sprachkompetenz in Deutsch, beziehen.

Ich möchte Sie auch nicht mit umfassenden wissenschaftlich begründeten Definitionen des Begriffes „Sprachkompetenz“ langweilen. Es ist jedoch notwendig, den Ausführungen einen Definitionsrahmen zu geben, um so einen aussagefähigen Bezug zur Berufsausbildung herzustellen. Ganz simpel ausgedrückt soll Sprachkompetenz ein erfolgreiches Lernen auf Deutsch ermöglichen. Die deutsche Sprache ist u.a. gekennzeichnet durch ein differenziertes Fachvokabular, durch eine komplexe grammatikalische Struktur und durch einen hohen Abstraktionsgrad.

Als Raster, um die Bedeutung von Sprachkompetenz in der Berufsausbildung fest zu machen, greife ich auf die in der Lernpsychologie allgemein benutzten vier Dimensionen der Sprachkompetenz zurück. Das sind:

1. Sprachliche Kompetenz

Darunter versteht man die Verstehensleistung (Hör- und Leseverstehen), die sicht- und hörbare produktive Sprachleistung (Lesen, Schreiben) und Wissensleistung im Sinne von Wortschatz und Grammatik.

Darauf wird Sprachkompetenz fälschlicherweise häufig in der allgemeinen Diskussion reduziert.

 

2. Soziolinguistische Kompetenz

Vereinfacht sprechen wir auch von der Vermittlung allgemein gültiger Normen.

 

3. Sprachlogische Kompetenz

Das ist u.a. die Fähigkeit, komplexe Texte zu lesen und zu verstehen, nachvollziehbar über komplexe Sachverhalte zu sprechen oder Texte zusammenhängend und nachvollziehbar zu schreiben und komplexe Sachverhalte zu verstehen.

 

4. Strategische Kompetenz

Dies ist die Fähigkeit, Probleme bei der sprachlichen Verständigung und dem Sprachlernen zu erkennen und zu lösen.

 

Die Ausbildungsberufe im dualen System waren noch bis Mitte der 1990er Jahre in hohem Maße von der industriellen Produktionswirtschaft der 1960er Jahre geprägt. Der Strukturwandel hin zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft hat sich in den Berufen des dualen Systems lange Zeit nicht bzw. sehr langsam vollzogen. Erst in den letzten 10, 15 Jahren hat dieser Wandel mit über 50 neuen und 100 modernisierten Berufen, zum Leidwesen der Berufsschulen, eingesetzt.

In diesem Zusammenhang trat als Ausbildungsziel die berufliche Handlungskompetenz in den Vordergrund, erstmals bei den neu geordneten Metall- und Elektroberufen. 1997 wurden die Begriffe „selbstständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren“ als Sammelbegriff für die berufliche Handlungskompetenz in eine Verordnung aufgenommen und sind heute zur Standardformulierung in allen Verordnungen für kaufmännische und technische Berufe geworden. Die Folge war, dass die betriebliche Berufsausbildung noch stärker in die komplexen, prozessorientierten Abläufe in den Unternehmen integriert wurde, um so den veränderten Anforderungen an Mitarbeiter / Facharbeiter gerecht zu werden.

Die Priorisierung der beruflichen Handlungskompetenz in der dualen Berufsausbildung hatte zur Folge, dass sich Ausbildungsinhalte, Ausbildungsmethoden und damit die IHK-Berufsabschlussprüfungen veränderten.

Ausbildungsinhalte der Berufe waren bis Mitte / Ende der 1990er Jahre nahezu auf fachliche und berufsbezogene Inhalte beschränkt. Heute werden sie ganz selbstverständlich um Fertigkeiten und Kenntnisse ergänzt. Dazu gehört u.a. auch der Themenkomplex externe und interne Kommunikation bzw. mündliche und schriftliche Kommunikation im Team und in den Arbeitsgruppen.

Daneben werden die Ausbildungsinhalte nicht mehr isoliert voneinander „häppchenweise“ vermittelt, sondern an Prozessen festgemacht, was das Verstehen komplexer Zusammenhänge voraussetzt.

Die stärkere Ausrichtung der Ausbildungsberufe hin zum wachsenden Dienstleistungssektor führte zwangsläufig zu mehr Kundenorientierung. Das führte auch dazu, dass bei Berufen, die bisher nur mit dem Herstellen von Produkten zu tun hatten, wie z.B. beim Koch, heute ein gast- bzw. kundenorientiertes Gespräch Teil der Abschlussprüfung ist. Ein anderes Beispiel sind die Metall- und Elektroberufe, wo der Auszubildende in Verbindung mit seiner Prüfungsarbeit ein Fachgespräch führen muss. Für manche Ausbildungsmeister war das die Abkehr von der qualifizierten Ausbildung, wenn - vereinfacht dargestellt - nur noch über die Arbeit gesprochen wird und das Machen/Tun nicht mehr ausschließlich im Vordergrund steht. Bei Berufen, die bereits einen engen Kundenkontakt hatten, z.B. Berufe im Einzelhandel, wird dieser heute deutlich früher in der Ausbildung realisiert.

Mit der Konsequenz, dass an die sprachliche Kompetenz (im Sinne von Punkt 1 der Definition) von Schulabgängern heute deutlich höhere Anforderungen gestellt werden als in der Vergangenheit.

Die Ausbildungsmethoden haben sich von der klassischen „Meisterlehre“, die gleichzusetzen war mit Vormachen, Üben, Können, zum selbstgesteuerten und selbstständigen Erarbeiten von Ausbildungsinhalten fortentwickelt. Den ersten Schritt machten neben den bereits genannten Metall- und Elektroberufen die IT-Berufe, vor allem im Sinne selbstständigen Erarbeitens von Ausbildungsinhalten in Verbindung mit enger Kundennähe und komplexen Aufgabenstellungen (Projektarbeit).

Solche Aufgabenstellungen erfordern die Kompetenz, selbstständig Texte zu lesen und zu verstehen, Zusammenhänge zu verstehen, diese niederzuschreiben bzw. darüber zu sprechen. Somit wird die Abhängigkeit einer erfolgreichen Berufsausbildung von der Sprachkompetenz - hier die sprachlogische Kompetenz - deutlich.

Die beschriebenen Veränderungen bei den Berufen und der betrieblichen Umsetzung wirkten sich konsequenterweise auch auf die IHK-Berufsabschlussprüfungen aus. Die IHK-Prüfungen wurden über Jahrzehnte ausschließlich mit „Multiple-Choice-Aufgaben“ in Verbindung gebracht. Die damit einhergehende Kritik (auch bzw. vor allem von Berufsschullehrern), dass solche Aufgaben ungeeignet seien, berufliche Handlungskompetenz zu prüfen, führte zu den uns heute allen bekannten Veränderungen - zum einen bei der Struktur der IHK-Berufsabschlussprüfungen zum anderen bei den verwendeten Aufgabentypen -, übrigens ohne ernsthafte wissenschaftliche Untersuchung, welche Aufgabentypen sich denn besonders für die Prüfung beruflicher Handlungskompetenz eignen.

So werden bei den schriftlichen Abschlussprüfungen zunehmend so genannte ungebundene Aufgaben verwendet, die sich in hohem Maße situationsbezogen und fallorientiert auf komplexe Zusammenhänge beziehen und deren Ergebnisse durch den Prüfling frei zu formulieren sind. Bei der Bearbeitung solcher Aufgaben müssen komplexe Informationen aus Texten, Tabellen, Schaubildern, Gesetzen etc. gelesen, analysiert und im Sinne einer Problemlösung verarbeitet werden. Das Ergebnis muss dann kohärent und nachvollziehbar zu Papier gebracht werden (dies gilt auch für gebundene Aufgaben).

Ich erinnere wieder an die eingangs vorgestellten Sprachdimensionen, hier speziell an die Dimension sprachlogischer Kompetenz.

Im zweiten Teil der IHK-Abschlussprüfung (kaufmännische Berufe) steht dann die so genannte „mündliche Prüfung“. Darunter versteht man mittlerweile Begriffe wie Kundengespräch, fallbezogenes Fachgespräch, gastorientiertes Gespräch, Kundenberatungsgespräch, situative Gesprächsphasen etc. Das Ganze ist dann noch eingebettet z.B. in eine praktische Prüfung, Vorbereitungsphasen, Präsentationen, Fachberichte und Projektarbeiten. Die reine hörbare Sprachleistung ist dabei nur eine begrenzte Teilmenge. Auch hier muss ich vorgegebene Situationen durchdringen und verstehen. Oder ich muss ein Thema, das mit einer Projektarbeit bzw. einem Fachbericht dokumentiert wurde, schlüssig und nachvollziehbar erläutern. Neben der dafür notwendigen sprachlichen und sprachlogischen Kompetenz wird hier noch, zumindest bei einigen Berufen, wie z.B. bei den Bankkaufleuten, die soziolinguistische Kompetenz benötigt (Verhalten im Rollenspiel gegenüber einem Kunden).

Die Umsetzung dieser neuen Anforderungen stellt an die Sprachkompetenz der Schüler / Auszubildenden deutlich höhere Anforderungen. Die bei der betrieblichen Ausbildung bzw. bei den IHK-Abschlussprüfungen gemachten Erfahrungen führen zur folgenden (sicher subjektiven) Einschätzung.

SchülerInnen allgemein bildender Schulen - und zwar aller (!) - verfügen nur bedingt über die erforderliche Sprachkompetenz, um den neuen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Offensichtlich haben sich SchülerInnen und LehrerInnen noch nicht bewusst klar gemacht, dass Sprachkompetenz Grundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen und damit auch für eine erfolgreiche Berufsausbildung ist. Diese Defizite wurden von den Ausbildungsbetrieben bereits seit Jahren festgestellt und haben sich in den letzten Jahren weiter verstärkt.

Diese Entwicklung ist schulartunabhängig und trifft nicht nur auf Jugendliche mit Migrationshintergrund zu.

Erst die Ergebnisse von PISA / TIMSS bestätigten die Defizite. Wenn 23 % der SchülerInnen der neunten Jahrgangsstufe bzgl. ihrer Lese- und Verständniskompetenz beim Übergang von Schule in Ausbildung zur Risikogruppe (Kompetenzstufe 1 und schlechter) gezählt werden, ist dies nicht nur alarmierend, es ist nicht akzeptabel.

Dies ist für mich, neben der Erkenntnis vom Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg, die wichtigste Aussage aller PISA / TIMSS-Ergebnisse. Wenn wir diesen Themenkomplex (G 8, dreigliedriges Schulsystem etc. sind dagegen Randthemen) nicht schnellstens in den Griff bekommen, haben unsere SchülerInnen bei ihren beruflichen Entwicklungschancen äußerst schlechte Karten und die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen sind absehbar. Wir können es uns, wie es in den öffentlichen Reden immer so schön heißt, als ein „Land ohne Rohstoffe“ nicht mehr leisten, unseren einzigen Zukunftsfaktor Bildung weiter zu vernachlässigen. Es ist bereits deutlich nach zwölf Uhr! Diskussionen wie z.B. über unser gegliedertes Schulsystem, G 8 oder die Hauptschule lenken vom eigentlichen Problem ab.

Wenn wir der Meinung sind, dass die Sprachkompetenz und hier vor allem die sprachliche Kompetenz (Hörverstehen, Leseverstehen, Sprechen, Schreiben, Wortschatz, Grammatik) und die sprachlogische Kompetenz für das Erlernen eines Berufes und das berufliche Bestehen in der Arbeitswelt unabdingbare Voraussetzungen sind, muss bereits im Vorschulbereich begonnen werden, Sprachkompetenz zu fördern. In der Grundschule muss das Experimentieren, wie man Lesen bzw. Schreiben lernt, aufhören. Stattdessen müssen neueste Ergebnisse der Hirnforschung zum „Lernen lernen“ aufgegriffen werden sowie die Neugier der Kinder nach Neuem einen deutlich höheren Stellenwert erhalten muss.

Wenn die PISA/TIMSS-Ergebnisse verdeutlichen, dass ein großer Teil der fünfzehnjährigen SchülerInnen ein Leseverständnis auf dem Niveau der Grundschule haben, ist dies ein Indiz dafür, dass in den Folgejahren mehr vergessen als Gelerntes gesichert bzw. ausgebaut wurde. Offensichtlich wird nach der Grundschule die Bedeutung der Sprachkompetenz nicht erkannt bzw. steht ausschließlich die Vermittlung von Faktenwissen im Vordergrund. Damit die notwendigen Veränderungen angegangen werden, muss bei Lehrern, Schülern und auch Ausbildungsbetrieben das Bewusstsein geschaffen werden, dass Sprachkompetenz (im Sinne der vier eingangs genannten Dimensionen) in einem engen Bezug zu den Anforderungen der Berufe und damit zur Arbeitswelt steht. Dieser Bezug muss für alle Beteiligten nachvollziehbar und transparent hergestellt werden. Damit darf das Fach Deutsch nicht mehr als ein isoliertes Unterrichtsfach wie andere auch betrachtet werden. Das Aneignen von Sprachkompetenz muss in allen Fächern Bestandteil des Unterrichts sein. Das heißt, es muss u.a. Wert auf vollständigen Satzbau gelegt werden (was im SMS-Zeitalter sicher schwer fällt), es muss darauf geachtet werden, dass Rechtschreibung und Grammatik stimmen, Texte verstanden werden und Normen, die in unserer Gesellschaft gelten, Anwendung finden bzw. trainiert werden.

Auch in den Ausbildungsbetrieben muss das Thema Sprachkompetenz verstärkt Eingang finden und die Auszubildenden müssen dies in ihrer täglichen Ausbildung erleben. Das heißt z.B. mit Kunden sprechen, nicht nur mit vorformulierten Textbausteinen arbeiten und Präsentationen halten. Wenn diese exemplarisch genannten Inhalte von den Auszubildenden nur für die Berufsschule bzw. die IHK-Prüfungen gelernt werden, bleiben wir auf halber Strecke stecken und die Ergebnisse werden nicht besser. Hier besteht auch in der betrieblichen Ausbildung noch Handlungsbedarf.

An den Berufsschulen, wo der Fachbezug traditionell im Vordergrund steht bzw. gestanden hat, besteht jetzt die Chance, aus der Notwendigkeit der Arbeitswelt die Förderung der Sprachkompetenz vorbildhaft in den Unterricht zu integrieren. Wie das gehen kann, wurde im Rahmen dieser Fachtagung diskutiert. Erfolg werden nur die Initiativen haben, die von den beiden dualen Partnern Berufsschule und Ausbildungsbetrieb gemeinsam getragen werden.

 

 

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