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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
WS 26 Flexibilisierungsansätze

Bedarf an zertifizierten Teilqualifikationen in ausgewählten Branchen und Beschäftigungsfeldern

   

Abstract

Auf der Basis von empirischen Daten aus dem IAB-Betriebspanel 2005 wird dargestellt, in welchen Branchen Einfacharbeitsplätze vorrangig vertreten sind, wie sich die Entwicklung bei diesen Arbeitsplätzen darstellt und ob sich aus den Aussagen der befragten Unternehmen Hinweise auf Stellenbesetzungsprobleme und einen Bedarf an Arbeitskräften mit zertifizierten Teilqualifikationen ableiten lassen. Die Ergebnisse zeigen, dass es typische Branchen für Einfacharbeit gibt, darunter vor allem der Handel, unternehmensbezogene und sonstige Dienstleistungen sowie Teilbereiche der Investitionsgüterindustrie. Es finden sich sowohl Hinweise auf einen Stellenabbau im Bereich der Einfacharbeitsplätze als auch gegenläufige Entwicklungen. Nicht selten werden Teilaufgaben von Einfacharbeitsplätzen in Fachtätigkeiten integriert und umgekehrt Fachtätigkeiten in Einfacharbeitsplätze verlagert mit der Folge, dass sich Fachkräfte z. T. unterfordert und Ungelernte z. T. überfordert fühlen . Es ergeben sich deutliche Hinweise auf Stellenbesetzungsprobleme bei Einfachtätigkeiten, so dass zu vermuten ist, dass Arbeitskräfte, die über anerkannte, betriebsübergreifend zertifizierte Teilqualifikationen verfügen, auf einen durchaus aufnahmefähigen Arbeitsmarkt treffen könnten. Zudem würden ihre individuellen Mobilitätschancen deutlich erhöht.

1.  Einleitung

Das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), Nürnberg, hat in den letzten Jahren verschiedene Untersuchung von Tätigkeitsanforderungen in der Metall- und Elektroindustrie, der Textilindustrie, der Recyclingbranche, im Einzelhandel, in Reinigungsdiensten, in Callcentern, im Logistikbereich und im Handwerk durchgeführt, die zeigen, dass sich Hilfs- und einfache Tätigkeiten nicht mehr dadurch charakterisieren lassen, dass für ihre Ausführung keine besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind (vgl. ZELLER 2007, 51). „Im Bereich der Einfacharbeit treten neben einfach strukturierten Hilfstätigkeiten Tätigkeiten, die komplexere Fähigkeiten und erweitertes Wissen voraussetzen, ohne dass dabei das an Facharbeitsplätzen geforderten Wissens- und Könnensniveau erreicht wird.“ (ZELLER 2007, 61). Zur Gruppe der An- und Ungelernten gehören an den vom f-bb untersuchten Arbeitsplätzen nicht nur formal gering Qualifizierte, sondern auch qualifizierte Facharbeiter, die unterhalb ihres Qualifikationsniveaus, also eigentlich qualifikationsinadäquat beschäftigt werden.

Interessanterweise hat das f-bb im Bereich der Facharbeit neben der Tendenz zu steigenden Anforderungsniveaus eine Tendenz zur Rückführung von Facharbeitertätigkeiten in Tätigkeiten mit weniger komplexen Anforderungen beobachtet. Insofern finden sich Segmentierungsprozesse sowohl in der Fach- als auch in der Einfacharbeit. Außerdem liegen in beiden Bereichen Qualifikationen brach und veralten mit der Folge einer Frustration und Demotivation von Facharbeitern wegen ihrer „Unterforderung“.

Die f-bb–Untersuchungen in der Elektroindustrie zeigen, dass es immer mehr Arbeitsplätze auch ohne formale Qualifikationsanforderungen gibt, an denen Mitarbeiter sach- und fachgerechte Entscheidungen treffen müssen, die einen Überblick über den gesamten Ablauf der Arbeiten in der Prozesskette erfordern. Ähnliches gilt für die Kommunikations- und Koordinationsprozesse in Teams.

Wie sieht es mit der Besetzung der Arbeitsplätze im Bereich der Einfacharbeit aus? Wenn aufgrund der beschriebenen Entwicklungsprozesse eine zunehmende Nachfrage nach Beschäftigten ohne Berufsabschluss besteht, die aber über bestimmte Kompetenzen oder Teilqualifikationen verfügen müssen, ist aus Sicht der Betriebe von Interesse, wie dieser zusätzliche betriebliche Bedarf gedeckt werden kann. Infrage kommt nicht nur die Gruppe der Arbeitslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, sondern auch Jugendliche, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgegangen sind und deshalb Warteschleifen drehen müssen oder auf andere „Notlösungen“ angewiesen sind. Nach aktuellen Berechnungen ist der Anteil der Altbewerber an allen Bewerbern um einen Ausbildungsplatz in den vergangenen acht Jahren von 40 auf 52,4% gestiegen. Im Vermittlungsjahr 2006/07 lag der Schulabschluss bei rund 160.000 Bewerbern mindestens ein Jahr zurück, bei etwa 220.000 Personen waren bereits mehr als ein Jahr seit Schulabschluss vergangen. Die oben beschriebenen Entwicklungsprozesse im Bereich der Facharbeiten zeigen deutlich das Interesse der Betriebe an bestimmten Teilqualifikationen bei Beschäftigten auf Einfacharbeitsplätzen. Insofern würden sich die Chancen der Arbeitslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und Altbewerber am Arbeitsmarkt durch den Erwerb von Teilqualifikationen deutlich verbessern, vor allem wenn durch ihre Zertifizierung bei einem Betriebswechsel der Nachweis gegenüber anderen Betrieben erleichtert wird.

In diesem Beitrag sollen drei Fragen anhand von Daten des IAB-Betriebspanels 2005 beantwortet werden. Wie groß ist insgesamt die Anzahl der Arbeitsplätze im Bereich der Einfacharbeit? Gibt es Probleme bei der Besetzung von Arbeitsplätzen ohne formale Qualifikationsanforderungen? Wie entwickelt sich die Anzahl der Einfacharbeitsplätze und was sind die Gründe dafür?

2.  Das IAB-Betriebspanel

Seit 1993 führt TNS Infratest Sozialforschung, München im Auftrag des IAB das IAB-Betriebspanel als Betriebserhebung in Westdeutschland und seit 1996 auch in Ostdeutschland durch (vgl. BELLMANN 2002). Die Zahl der in persönlich-mündlichen Interviews befragten Betriebe liegt auch aufgrund der finanziellen Beteiligung fast aller Bundesländer und des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) mittlerweile bei 16.000 Betrieben. Die Ziehung der Stichprobe erfolgt auf der Basis der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit, die auch zur Hochrechnung der Ergebnisse dient. Auch aufgrund der Empfehlungsschreiben des Präsidenten der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und des Vorsitzenden des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit konnten Rücklaufquoten deutlich über 80% bei den wiederholt befragten Betrieben erreicht werden. Neben Fragen zur Beschäftigungsentwicklung und -struktur, zur Berufsausbildung, der Umsatz- und Geschäftsentwicklung, die jedes Jahr gestellt werden, gab es im Jahre 2005 Sonderfragen zur Einfacharbeit. Gefragt wurde danach, ob und wie viele Personen im 1. Halbjahr 2005 für einfache Tätigkeiten eingestellt wurden, ebenso, ob es im 1. Halbjahr 2005 Stellen für einfache Tätigkeiten gab, die nicht besetzt werden konnten. Außerdem wurden die Betriebe gebeten anzugeben, ob Stellen für einfache Tätigkeiten abgebaut wurden. Schließlich wurde eine Frage nach den Gründen des Stellenabbaus gestellt.

3.  Einfacharbeit: Restgröße der Beschäftigung?

Wenn die Personengruppe benannt werden soll, um die es in der Untersuchung der Entwicklung im Bereich der Einfacharbeit geht, ist sorgfältig zwischen Un- und Angelernten und Nicht-Formal-Qualifizierten (oder auch: „Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung“), also Personen einerseits und „einfacher Arbeit“, „Anlerntätigkeiten“ und „Hilfstätigkeiten“, also Tätigkeiten andererseits zu unterscheiden. Letzteres, der Tätigkeitsbezug, ist das entscheidende Kriterium im IAB-Betriebspanel.

Die in der Abbildung 1 dargestellten Beschäftigtengruppen sind dabei v.a. über das Kriterium des Tätigkeitsbezugs entwickelt. Als „einfache Arbeit“ werden die Beschäftigtengruppen der Un- und Angelernten sowie die Beschäftigten für einfache Tätigkeiten bezeichnet. Ebenfalls zusammengefasst ist die Gruppe der Qualifizierten und die der Auszubildenden. Nicht weiter verfolgt werden Inhaber, Vorstände usw. Mit einem Anteil von knapp 24% erreicht die einfache Arbeit eine ansehnliche Größenordnung, die eine Bezeichnung dieser Gruppe als Restgröße verbietet.

In der Abbildung 2 ist die Verteilung der einfachen Arbeit auf die Betriebe unterschiedlicher Größe dargestellt. Dabei wird deutlich, dass rund dreiviertel der Beschäftigten in einfacher Arbeit im Bereich der KMU, also in den kleinen und mittleren Unternehmen zu finden sind.

Bei einer Betrachtung nach Branchen (Abbildung 3) ergibt sich dagegen ein differenziertes Bild: Mehr als die Hälfte der Beschäftigten verteilen sich auf vier Branchen. Dies sind der Handel mit knapp 16%, die sonstigen und unternehmensbezogenen Dienste sowie der Bereich der Investitionsgüter erzeugenden Industrie. Besonders niedrig sind die Anteile der einfachen Arbeit bei den Organisationen ohne Erwerbszweck sowie den Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung. Anzumerken ist, dass die Anteile an einfacher Arbeit weitgehend beschäftigungsproportional ausfallen, allerdings ist der Anteil bei den Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung nur halb so groß wie der Anteil an der Gesamtbeschäftigung.

4.  Besetzungsprobleme bei Stellen im Bereich einfacher Arbeit?

Einleitend war bereits der zunehmende betriebliche Bedarf an Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung mit bestimmten Kompetenzen oder Teilqualifikationen angesprochen worden. Die Abbildung 4 zeigt auf der Basis des IAB-Betriebspanels 2005, dass im 1. Halbjahr 2005 insgesamt ungefähr 10% aller Stellen im Bereich einfacher Arbeit nicht besetzt werden konnten.

Darüber hinaus ist in dieser Abbildung zu sehen, dass der Anteil der unbesetzten Stellen gerade bei den KMU und hier besonders bei den Betrieben mit 1-9 Beschäftigten, also im kleinstbetrieblichen Segment, relativ hoch ist. Da wir an anderer Stelle dargestellt haben (vgl. BELLMANN/STEGMAIER 2007), dass der Anteil der Einstellungen auf Stellen im Bereich einfacher Arbeit bei den KMU einen relativ großen Teil an allen Einstellungen ausmacht, bedeutet dieses Ergebnis, dass ein großer Teil der Arbeitsplätze für einfache Tätigkeiten nicht besetzt werden kann. Schließlich ist anzumerken, dass der Anteil der nicht besetzten Stellen besonders hoch in der Landwirtschaft, im Bereich Verkehr/Nachrichten/Kredit und Versicherungen sowie unternehmensnahen Dienstleistungen ausfällt. Damit ist ein zusätzlicher Bedarf in diesen Bereichen erkennbar (ohne Abbildung).

5.  Warum werden Stellen im Bereich einfacher Arbeit abgebaut?

Die Darstellung der Entwicklungsdynamik im Bereich einfacher Arbeit wäre unvollständig, wenn nicht auch auf den massiven Abbau von Stellen vor allem bei den größeren Betrieben hingewiesen werden würde. Die Abbildung 5 zeigt aber auch, dass diesem Stellenabbau ein sehr bedeutender Stellenaufbau gegenübersteht. Anzumerken ist aber, dass die betreffende Frage im IAB-Betriebspanel nicht so gestellt wurde, dass die Anzahl der jeweils betroffenen Stellen quantifiziert werden könnte. Aus Abbildung 5 wird aber auch die geringere Entwicklungsdynamik im Bereich einfacher Arbeit bei den KMU im Vergleich zu größeren Betrieben deutlich. Des Weiteren ist der Anteil der KMU mit Stellenaufbau zwar kleiner als in Großbetrieben, aber er überwiegt durchgehend den Anteil der KMU, die Stellen abbauen – in KMU ist damit ein positiver Saldo zu finden.

Schließlich werden in der Abbildung 6 die Ergebnisse des IAB-Betriebspanels 2005 zu den Gründen für den Stellenabbau dargestellt. Dabei waren Mehrfachantworten möglich. Als wichtigste Gründe wurden die ersatzlose Streichung von Stellen mit 44% der Nennungen und ihre Integration in das Tätigkeitsprofil anderer Arbeitsplätze mit 27% der Nennungen angegeben. Deutlich seltener fand dagegen eine Auslagerung oder Automatisierung im Bereich einfacher Arbeit statt. Diese Ergebnisse sind vor dem Hintergrund der Berichterstattung in den Medien durchaus überraschend.

6.  Zusammenfassung

Die Ergebnisse aus dem IAB-Betriebspanel 2005 haben die Bedeutung des Bereichs einfacher Arbeit auch in Zeiten steigender Qualifikationsanforderungen gezeigt. Bei der Betrachtung der Binnenstruktur zeigt sich eine Konzentration auf vier Branchen – Handel, sonstige und unternehmensbezogene Dienste sowie der Bereich der Investitionsgüter erzeugenden Industrie – und das Segment der KMU. Während mehr Großbetriebe Stellen ab- als aufbauen, ist dies bei den KMU umgekehrt. Beim Stellenabbau erfolgt zumeist ein ersatzloses Streichen oder eine Integration der Tätigkeiten in andere Arbeitsplätze. Die Tätigkeiten werden eher selten automatisiert oder ausgelagert.

Die Untersuchung der offenen Stellen und ihre Besetzung zeigt, dass die Betriebe Schwierigkeiten haben bei der Rekrutierung geeigneter Arbeitkräfte für Einfacharbeitsplätze. Die Studien des f-bb belegen, dass Facharbeiter oftmals an Einfacharbeitplätzen unterfordert werden, während Geringqualifizierte überfordert sind. Ausbildungsgänge unterhalb des Facharbeiterniveaus erscheinen deshalb für die kompetente Bewältigung komplexer Aufgaben geeignet. Dabei verbessert die Zertifizierung von Teilqualifikationen die Chancen von Geringqualifizierten im Rahmen von Mobilitätsprozessen.

 

Literatur

BELLMANN, L. (2002): Das IAB-Betriebspanel: Konzeption und Anwendungsbereiche. Allgemeines Statistisches Archiv 86 (2), 177-188.

BELLMANN, L./ STEGMAIER, J. (2007): Einfache Arbeit in Deutschland – Restgröße oder relevanter Beschäftigungsbereich? WISO-Diskurs, Bad Godesberg, 10-24.

ZELLER, B. (2007): Neue Qualifikationsanforderungen an der Schnittstelle von einfacher Arbeit und Facharbeit am Beispiel der Elektroindustrie. In: DIETRICH, H./ SEVERING, E. (Hrsg.): Zukunft der dualen Berufsausbildung – Wettbewerb der Bildungsgänge. Schriften zur Berufsbildungsforschung der Arbeitsgemeinschaft Berufsbildungsforschungsnetz (AG BFN), Bielefeld, 61-82.

 

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