wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 

Beitrag von THOMAS VOLLMER (Universität Hamburg)

Humanzentrierte und wirtschaftliche Gestaltung des fertigungstechnologischen Wandels als Ziel beruflicher Bildungsprozesse

1. Einleitung und Überblick

Die letzten 10 Jahre sind durch eine zunehmende Dynamik des technologischen und organisatorischen Wandels in den Fertigungen mit gravierenden Veränderungen der Arbeitsbedingungen gezeichnet. Organisationsstrukturen sind zunehmend flacher geworden, die Verantwortungsübernahme wurde dezentralisiert. Die Vereinbarung von verbindlichen Qualitäts- und Produktivitätszielen gehört heute schon teilweise ebenso zum Arbeitsalltag wie die Beteiligung an kontinuierlichen Verbesserungsprozessen. Die Entwicklung der Fertigungstechnologien zeigt sich in beträchtlichen Fortschritten bezüglich der datentechnischen Vernetzung der Prozessketten, der Erhöhung der Produktqualitäten, der Verringerung der Bearbeitungszeiten und der Reduktion der Fertigungskosten. Die Handhabung dieser Technologien stellt aber auch neue Anforderungen an die Facharbeit. So ist auf der einen Seite ein gewandeltes Arbeitsprozesswissen erforderlich, auf der anderen Seite haben sich die Möglichkeiten der Prozesswahrnehmung und der situativ erforderlichen Prozesseingriffe in die programmgesteuerten Abläufe verändert, wodurch die Bedingungen für die Aneignung dieses Arbeitsprozesswissens modifiziert wurden. Vernetzte Steuerungs-, Informations- und Kommunikationstechnologien stellen mittlerweile die wichtigsten Mensch-Maschine-Schnittstellen dar, die zudem häufig die einzigen Zugänge sind für die notwendige Prozessverfolgung und ?beeinflussung. Arbeitshandeln bezieht sich demnach nicht mehr unmittelbar auf die technischen Bearbeitungsvorgänge selbst, sondern auf die Interaktion mit solchen Informationstechnologien. Derartige Veränderungen sind bereits bei der Planung von technologischen Innovationen und organisatorischen Umgestaltungen zu berücksichtigen, schließlich wirken die Investitionsentscheidungen langfristig und sind nur mit Aufwand zu korrigieren. Die Realisierung der angestrebten Produktivitätsverbesserungen setzt allerdings voraus, dass bereits bei den Investitions? und Beschaffungsplanungen nicht nur technologische Aspekte und Kostengesichtspunkte eine zentrale Rolle spielen, sondern alle damit einhergehenden Veränderungen möglichst umfassend berücksichtig werden. Erfolgreiche Innovationen setzen voraus, dass alle im Unternehmen dafür dienlichen Kompetenzen einbezogen werden - gerade auch diejenigen der Betroffenen.

Die Beteiligung an betrieblichen Verbesserungsprozessen ist mit der Einführung des Lernfeldkonzeptes auch Gegenstand der Berufausbildung geworden. Für die industriellen Metallberufe, die sich aktuell in einem Neuordnungsverfahren befinden, ist zu erwarten, dass gestaltungsrelevante Inhalte und Kompetenzen einen erheblichen Stellenwert in den künftig gültigen Lehrplänen haben werden. Eingebettet in zwei Fallbeispiele der betrieblichen Beschaffung von modernen Fertigungsmaschinen werden nachfolgend grundlegende Gesichtspunkte einer humanzentrierten und wirtschaftlichen Gestaltung des fertigungstechnologischen Wandels beleuchtet, um daran anknüpfend einen Blick auf die sich abzeichnende Reform der industriellen Fertigungsberufe zu werfen und der Frage nachzugehen, in welcher Weise die vorgenannten Aspekte in die künftige Ausbildung einfließen können.

2. Fallbeispiel I: Korrektive Arbeitssystemgestaltung durch Intervention

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre hat sich die Praxistauglichkeit der Hochgeschwindigkeitsbearbeitung erwiesen. In zahlreichen Fertigungsbetrieben, zunächst insbesondere im Werkzeug- und Formenbau, wurden entsprechende Maschinen beschafft. Durch die Weiterentwicklung der herkömmlichen CNC-Bearbeitung zum High Speed Cutting (HSC) konnten die Fertigungshauptzeiten auf ein Zehntel verringert oder Qualitäten schon beim Schlichten gefertigt werden, die bis dahin als nicht erreichbar galten. Im Rahmen einer Betriebsfallstudie in einem mittelständischen Unternehmen wurde von der Beschaffung einer modernen, auf einer Messe präsentierten HSC-Maschine wie folgt berichtet:

Während eines Messebesuchs hatte der Unternehmensleiter eine "Schnellfräse" zur Fertigung von Aluminium-Formwerkzeugen für die Herstellung von Lebensmittelverpackungen geordert. Die neue Maschine sollte eine vorhandene CNC-Maschine der gleichen Größe ersetzen und dieser gegenüber erhebliche Produktivitätsgewinne bringen. Der bis dahin nicht beteiligte, für die Fertigung der Formwerkzeuge verantwortliche Facharbeiter musste dann bemängeln, dass nicht gleich eine wesentliche größere HSC-Maschine beschafft wurde, weil bisher aufgrund der Maschinengröße die Formwerkzeuge geteilt, die Formhälften nacheinander bearbeitet und anschließend wieder zusammengesetzt werden mussten. Infolge der Intervention des Maschinenarbeiters wurde dann die Maschine beim gleichen Hersteller eingewechselt gegen eine andere mit größerer Arbeitsfläche. Immerhin wurde damit nun die Komplettbearbeitung der Formen in einer Aufspannung möglich - in Kombination mit den höheren Bearbeitungsgeschwindigkeiten ein deutlicher Produktivitätsfortschritt. Problemlos war die neue Maschine in der gelieferten Ausführung dennoch nicht.
Die Art der filigranen Kapselungskonstruktion hatte gravierende Nachteile, wie die betriebliche Anwendungspraxis dann offenbarte. Aufgrund von etwa fünf Millimeter breiten Fugen zwischen den Scheiben und den sie umgebenden Stahlrahmen werden wegfliegende Späne und verspritzte Kühlschmierstoffe nur unzureichend zurückgehalten und gelangten stattdessen in die Maschinenumgebung. Der an den Sichtscheiben niedergeschlagene Kühlschmierstoff tropfte ungehindert auf den Hallenboden, da die Maschine über keinerlei keine Auffangeinrichtungen verfügt. Um die Arbeitsplatzverschmutzung zumindest etwas einzudämmen, wurden vom Maschinenarbeiter dann Bleche und U-Profile zur Ableitung bzw. zum Auffangen der Kühlschmierstoffe an die Kapselung montiert. Mit dieser Maßnahme konnte zwar die Bodenverschmutzung reduziert, aber nicht vollständig vermieden werden, zumal weiterhin Späne und Kühlschmierstoff durch die Schlitze der Kapselung in die Maschinenumgebung gelangten. Gravierend an diesem Beispiel ist, dass mit den vorgenommenen Maßnahmen die Arbeitssicherheit beeinträchtigt wurde. Die Bohrungen in den Scheiben für die Verschraubung der Bleche und die dadurch verursachten Risse bilden Sollbruchstellen und haben die Rückhaltefähigkeit der Kapselung erheblich herabgesetzt (vgl. VOLLMER u.a. 1998, S. 167 ff).

Abb. 1: Die filigrane Gestaltung der Kapslung dieser HSC-Maschine (u. r.) vermag nicht die Späne und Kühlschmierstoffe zurückzuhalten, so dass zusätzliche Ableitbleche (u. l.), Auffangrinnen (o. r) und ?schalen (o. l) erforderlich wurden, um die Verschmutzung des Arbeitsbereichs zu begrenzen (VOLLMER u.a. 1998, S. 168 ff)

3. Sozio-technische Systemgestaltung

Das vorgenannte, vielleicht etwas drastische Beispiel erinnert an Fälle, die bereits vor Jahren im Zusammenhang mit der Einführung von CNC-Maschinen kritisiert wurden. Ein Betroffener beschreibt solche Erfahrungen mit folgendem Bild: "Die Einführung der neuen Technologien ist zu vergleichen mit einem Panzer, der durch ein Gelände fährt und dort vieles zerstört. Erst dann kommt ein Sanitätszug hinzu, um den entstandenen Schaden zu beheben" (WUPPERTALER KREIS 1990, S. 48). Auch in dem Fallsbeispiel musste nachträglich Schadensbegrenzung betrieben werden. Sicherlich sind solche Situationen nicht der Regelfall, eine einzelne Ausnahme aber wohl auch nicht. "Tatsächlich werden die mit den Investitionen in moderne Technik intendierten Verbesserungen häufig nicht einmal näherungsweise erreicht", ist das Fazit des renommierten Arbeitspsychologen Eberhard ULICH (1997, S. 13), das er aus den Ergebnissen einer Studie in der Investitionsgüterindustrie zieht. Demnach ist keines der als "sehr wichtig" eingestuften Ziele (Als sehr wichtige Ziele wurden in den Unternehmen genannt: Steigerung der Termintreue, Verringerung der Durchlaufzeiten, Erhöhung der Flexibilität am Markt, Reduzierung der Lagerbestände, Erhöhung der Produktqualität, verbesserte Kapazitätsauslastung, verbesserte Kalkulationsgrundlagen und Erhöhung der innerbetrieblichen Flexibilität.) beim Einsatz rechnerunterstützter integrierter Produktionssysteme von den Befragten als erreicht angegeben worden. Ursache für solch eine unzureichende Zielereichung ist offensichtlich, dass auch bei weitreichenden Investitionsentscheidungen die Nutzung des Potentials qualifizierter Arbeitskräfte viel zu wenig berücksichtigt wird, sondern der Schwerpunkt viel zu sehr auf Technik, z. T. auf hochkomplexer Automatisierung liegt.

3.1 Beziehungen zwischen Menschen, Technik und Organisation

Solch problematischen technikzentrierten Ansätzen werden schon seit längerem arbeitsorientierte Gestaltungskonzepte gegenübergestellt, in denen die arbeitenden Menschen im Mittelpunkt der Fabrikgestaltung stehen. "Anstatt nahezu alles Wissen und die Arbeitsabläufe so weit wie möglich zu objektivieren und im Rechnersystem zu verkörpern, dient hier das lokal verteilte Rechnersystem als allgemeines, aktuelles und konsistentes Informationssystem, mit dem vor Ort auch Routineoperationen durchgeführt werden können, das aber Planung und Entscheidung der qualifizierten Arbeit überlässt" (BRÖDNER 1986, S. 151). Erfahrungen und Qualifikationen menschlicher Arbeit und Automatisierung werden hier als einander ergänzende Produktivkräfte gesehen. Indem Mensch, Technik und Organisation (MTO) in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und in ihrem optimalen Zusammenwirken verstanden und berücksichtigt werden, wird überhaupt erst die Voraussetzung geschaffen für eine optimale Nutzung der Technik sowie für eine Erreichung der angestrebten Investitionsziele. Bei Planungsmodellen, die MTO-Beziehungen in ihrer Gesamtheit erfassen, steht die Arbeitsaufgabe im Mittelpunkt, die das soziale mit dem technischen Teilsystem verknüpft und den einzelnen Menschen mit den Organisationsstrukturen verbindet. Hinsichtlich des Beschreiten des technik- oder des arbeitsorientierten Rationalisierungspfades kommt der Mensch-Maschinen-Funktionsteilung eine entscheidende Rolle für die Gestaltung von Produktionssystemen zu, weil damit bestimmt wird, ob die Menschen Restfunktionen einer Automatisierungslücke übernehmen oder die rechnergesteuerte Anlage die menschlichen Fähigkeiten und Kompetenzen unterstützt. Insofern ist die Buchstabenfolge MTO hier keineswegs zufällig.

Diesem Konzept liegt ein sozio-technischer Ansatz zugrunde, wie er in den verschiedenen Disziplinen, die sich mit Arbeits- und Geschäftsprozessen auseinandersetzen, etabliert ist, wenngleich in jeweils spezifischen Akzentuierungen. Im Arbeits- und Gesundheitsschutz beispielsweise ist das TOP-Modell verbreitet, mit dem die technischen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen aufeinander bezogen werden. Hier steht die Technik in der Buchstabenfolge vorn, da Gefährdungen und Erschwernisse möglichst an der Quelle mit einer gefahrlosen, an den Menschen angepassten Technik höchster Zuverlässigkeit und Wirksamkeit auszuschalten, ohne aber organisatorische und personelle Unfallursachen auszuschließen (vgl. SKIBA 1997, S. 28f). In der beruflichen Bildung werden Arbeitsorganisation, Technik und Bildung (ATB) als konstituierende Elemente berufsförmig organisierter Facharbeit zueinander in Beziehung gesetzt. Dieses Modell fokussiert auf Bildung und Qualifizierung für und durch die Arbeit und bezieht dabei auch individuelle, betriebliche und gesellschaftliche Wechselwirkungen mit ein (vgl. MARTIN/PANGALOS 1993, S. 78 ff). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie die arbeitenden Menschen, die technischen Gegenstände und die Organisation der Abläufe und Prozesse zu einander in Beziehung setzen - unter jeweils besonderen Blickwinkeln.
Für die Gestaltung von rechnergestützten Produktionssystemen sind Planungsmodelle wie das MTO-Konzept insofern sehr weitreichend, als sie arbeitenden Menschen im ganzheitlichen Sinne in die Innovationsplanung einbeziehen. Im Zentrum stehen dabei zunächst die Arbeitsaufgaben, die Arbeitsorganisation und die Mensch-Maschinen-Funktionsteilung. Im Hinblick auf die Kompetenzanwendung und ?entwicklung spielt in diesem Zusammenhang das Prinzip der vollständigen Aufgabe eine zentrale Rolle:
· selbständiges Setzen von Zielen, die in übergeordnete Ziele eingebettet werden können,
· selbständige Handlungsvorbereitung im Sinne der Wahrnehmung von Planungsfunktionen,
· Auswahl der Mittel einschließlich der erforderlichen Interaktionen zur angemessenen Zielerreichung,
· Ausführung der Aufgaben mit Rückmeldungen zur ggf. notwendigen Handlungskorrektur und schließlich
· Kontrolle der Arbeitsergebnisse und Überprüfung der Übereinstimmung der Handlungen mit den gesetzten Zielen (vgl. ULICH 1992, S. 163).

Darüber hinaus können mit einem solchen, die Menschen ganzheitlich erfassenden Planungsmodell aber auch die Qualität die sozialen Beziehungen und der gegenständlichen Arbeitsumwelt (Arbeitsgegenstände, Arbeitsmittel und der Arbeitsumgebung) im Hinblick auf die Arbeitszufriedenheit und die Belastungen der Beschäftigten auf der einen Seite sowie die Optimierung der Prozessabläufe bezüglich der Produktqualität und der Wirtschaftlichkeit der Produktionssysteme auf der anderen Seite erfasst werden.

Eine optimale Beziehungen zwischen Menschen, Arbeitsorganisation und Technik ist eine wesentliche Voraussetzung für die Realisierung der erwarteten Wertschöpfung, weil dann die Produktionsmittel die Aufgabenausführung weitgehend unterstützen, die Menschen ihre Fähigkeiten und Kompetenzen - insbesondere in unvorhersehbaren Situationen - entfalten können und die Arbeit Erfahrungen und Lernchancen eröffnet, die wiederum in die Verbesserung der Prozesse einfließen können. Beeinträchtigungen der MTO-Beziehungen haben hingegen sowohl negative Folgen für die Arbeitsbedingungen der hier tätigen Menschen als für auch für die Erreichung der mit den Investitionen angestrebten Rentabilitätsziele. Humanzentrierte und wirtschaftliche Fertigungsgestaltung sind kein Widerspruch, sondern sie bedingen einander.

Abb. 2: Unterschiedliche Qualitäten der Beziehungen zwischen Menschen (M), Technik (T) und Arbeitsorganisation (O) in Arbeitssystemen
(in Anlehnung an ROPOHL 1999; SKIBA 1997; ULICH 1997)

3.2 Erweiterte Wirtschaftlichkeitsbetrachtung in Beteiligungsprozessen

Angesichts der Dynamik technologischer Entwicklungen lässt sich eine optimale MTO-Beziehung ohne die Beteiligung der von den Innovationsmaßnahmen unmittelbar Betroffenen kaum mehr realisieren. Im Unterschied zur früheren Arbeit mit manuell gesteuerten Maschinen können selbst maschinennahe Führungskräfte wie die Meister, die ursprünglich durch ihre fachliche Überlegenheit in diese Position gekommen waren, den sich zunehmend beschleunigenden Innovationen der Fertigungs? und Steuerungstechnologien nicht immer schnell genug folgen. Eine Tendenz, die sich bereits mit der Anwendung der CNC-Maschinen in den 1980er Jahren anbahnte, wie die Aussage eines Meisters verdeutlicht: "Wir kennen die CNC-Steuerung nicht im Detail, wir können in Störfällen nicht mehr helfen, oftmals sind wir überfragt. … Im Unterschied zu früher kann der Vorgesetzte es jetzt nicht selbst in die Hand nehmen und seinem Mitarbeiter etwas vormachen. Der Meister ist im Grunde auf Gedeih und Verderb auf seine Leute angewiesen. Der Meister muss sich deshalb voll auf den Programmierer verlassen, in welchem Ausmaß er die CNC-Steuerung ausnutzt. Die Meister wurden in den letzten Jahren durch die neue Technik regelrecht überfahren. Man kommt mit den Füßen gar nicht mehr auf die Erde, ein so rasantes Tempo herrscht in der Entwicklung der neuen Technik" (WUPPERTALER KREIS 1990, S. 43). Durch diese Veränderungen verfügen Maschinenarbeiter mittlerweile in vielen Betrieben über ein einzigartiges Erfahrungspotential, das sich für die Gestaltung der Innovationsprozesse nutzen lässt und genutzt werden sollte.

Die Entwicklung einer guten MTO-Beziehung beginnt bereits in den frühen Planungsphasen, indem die Erfahrungen der Betroffenen in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Solche Gedanken sind nicht neu. Bereits zu Beginn der 1990er Jahre hat die "Deutsche Vereinigung zur Förderung der Weiterbildung von Führungskräften" hervorgehoben, das "Traditionsmodell" der zentralen Innovationsentscheidungen zu überdenken und für eine frühzeitige Beteiligung gerade beim Einsatz neuer Techniken plädiert: "Innovative Prozesse lassen sich nicht nur auf Grundlage rationaler Strategien entwickeln. Bedürfnisse und mögliche Ängste der Mitarbeiter müssen mitbedacht werden. Dazu gehört auch, Betroffene in allen Phasen der Innovationsprozesses zu beteiligen und nicht erst bei der Inbetriebnahme einer Anlage. Die beabsichtigten Änderungen müssen mit allen erkennbaren Konsequenzen und Perspektiven transparent sein" (a. a. O., S. 54f). Wenn solche Überlegungen auch nicht neu sind, so sind sie allerdings längst nicht in allen Betrieben Selbstverständlichkeit, wie das o. g. Fallbeispiel zeigt. "Gerade das Fachwissen der Basis darf bei Neu? und Umplanungen nicht unterschätzt werden. Wer kennt denn am besten die Tücken seiner Maschine und die täglichen Hindernisse im Arbeitsablauf besser als derjenige, der die Arbeit ausführt? Wer hat denn nicht längst schon Verbesserungen im kleinen vorgenommen, um sich das Leben zu erleichtern, wenn nicht der Werkstattmeister, der Einrichter oder Facharbeiter?" ist eine grundlegende Erkenntnis, die GROB (1990, S. 9, Hervorh. i. Orig.) dem Konzept einer "Erweiterten Wirtschaftlichkeits- und Nutzenrechnung" zugrundelegt.

Verfahren erweiterter Wirtschaftlichkeits- und Nutzenrechnung zur Arbeitssystembewertung (vgl. ZANGEMEISTER 2000; HOFFMEISTER 2000) sind geeignet für Investitionsentscheidungen, denen ein MTO-Ansatz zugrunde liegt, da hier in einer ganzheitlichen Betrachtung monetär bewertbare und nicht bewertbare Kriterien unter Beteiligung der Betroffenen systematisch erfasst und beurteilt werden. Da es immer mehrere theoretisch mögliche und praktisch sinnvolle Varianten für jedes Planungsvorhaben gibt, ist es das Ziel

1. alle entscheidungsrelevanten Gesichtpunkte zu definieren, die sich zum Zeitpunkt der Planungen noch nicht monetär ausdrücken lassen, aber künftig kostenrelevant sind,

2. diese Gesichtspunkte als sogenannte Systemkriterien in eine gewichtete Rangreihe zu bringen,

3. bei der Auswahl und Definition dieser Systemkriterien eine weitgehende Übereinstimmung der verschiedenen Planungsbeteiligten zu erzielen, die die Systemgestaltung und die damit verbundenen Investitionen aus ihrer jeweiligen Fachperspektive bewerten und

4. zu prüfen, inwieweit die ermittelten Lösungsvarianten die eingangs festgelegten Systemkriterien insgesamt erfüllen.
Der so ermittelte Arbeitssystemwert bildet ein Maß für den Vergleich nicht monetär quantifizierbarer Kriterien der jeweiligen Planungsvarianten. Im Unterschied zu zentralen Entscheidungen liegt ein wesentlicher Vorteil solch partzipativer Planungs? und Entscheidungsprozesse darin, dass die erforderlichen Diskussionen schon sehr früh kriteriengeleitet in Gang kommen, die im Unternehmen vorhandenen Kompetenzen zielorientiert zur Entscheidungsabsicherung genutzt werden und nicht zuletzt "alle Mitarbeiter im Betrieb die Gewissheit haben können, dass auch ihre Belange in ausreichendem Maße Berücksichtigung gefunden haben" (GROB 1993, S. 9, Hervorh. i. Orig.). Dies gilt insbesondere, wenn die Betroffenen in der Werkstatt Gelegenheit bekommen, ihre Arbeitsplätze zu analysieren und Vorschläge zur Verbesserung zu machen. Um die Mitwirkung schon sehr früh auf eine breite Basis zu stellen ist es zweckmäßig, der Zieldefinition eine Situationsanalyse voranzustellen, bei der all diejenigen zu Wort kommen, die einen sachlichen Beitrag leisten können. Somit können unter den nicht-monetären Zielen auch Aspekte der Technikgestaltung zum Tragen kommen, die für das spätere Arbeitshandeln und für die Wertschöpfung eine große Bedeutung haben, die aber von werkstattfernen Planern häufig nicht in Erwägung gezogen werden (können).

Abb. 3: Planungsprinzip erweiterter Wirtschaflichkeits? und Nutzenrechnung (n. GROB 1990, S. 12 u. 22 ff)

3.3 Erfahrungsgeleitetes Handeln in der rechnergesteuerten Fertigung

Wenn der Mensch-Maschinen-Funktionsteilung eine entscheidende Rolle für die Gestaltung von Produktionssystemen zukommt und "die Maschine als verlängerter Arm des Menschen … Werkzeugfunktion zur Unterstützung die menschlichen Fähigkeiten und Kompetenzen" (ULICH 1997, S. 16) haben soll, so ist zunächst zu klären, welcher Art diese Fähigkeiten und Kompetenzen in der Interaktion zwischen Mensch und Maschine sind und welche Anforderungen sich daraus für die Maschinengestaltung ergeben. Zur Beantwortung solcher Fragen ist das Expertenwissen aus der Fertigung von großer Bedeutung.
Gerade wegen der Komplexität hochtechnisierter Prozesse und der Fülle von Einflussfaktoren, die in ihrer Gesamtheit kaum vollständig berechenbar und allein durch Steuerungsprogramme beherrschbar sind, haben in der rechnergesteuerten Fertigung neben fundiertem theoretischen Fachwissen und planmäßig systematischen Handlungen der Beschäftigten auch subjektive Empfindungen und emotionale Beziehungen zu den Maschinen und Anlagen eine große Bedeutung. Der besondere Wert menschlicher Arbeit liegt vor allen Dingen in der Fähigkeit, zweckrationales (objektivierendes) und erfahrungsgeleitetes (subjektivierendes) Handeln kombiniert in Arbeitssituationen zur Entfaltung zu bringen; beides bedingt sich gegenseitig, um Unwägbarkeiten zu beherrschen (vgl. BÖHLE 2001; BÖHLE u.a. 2001). Erfahrungsgeleitetes Arbeitshandeln ist nicht als zielloses Ausprobieren zu verstehen, sondern rückgebunden an Gedachtes, in Beziehung gesetzt zu theoretischem Fachwissen. Die Einheit von objektivierendem und subjektivierendem Handeln ist eine wesentliche Grundlage für den Erfolg arbeitsorientierter Rationalisierung in dezentralisierten Organisationsstrukturen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Maschinengestaltung den handelnden Menschen im Rahmen ihrer Arbeitshandlungen ermöglicht, Erfahrungen zu sammeln und anzuwenden.
Mit dem Übergang von manuell zu programmgesteuerten CNC-Werkzeugmaschinen und vor allen Dingen mit deren Weiterentwicklung zu High-Speed-Maschinen haben sich gerade die Bedingungen bezüglich der für erfahrungsgeleitetes Arbeitshandeln wichtigen Möglichkeiten der sinnlichen Prozesswahrnehmung und der situativen Prozesseingriffe grundlegend verändert. Konventionelle Werkzeugmaschinen ließen noch nahezu uneingeschränkt die akustische, optische und taktile Wahrnehmung von Prozessindikatoren zu. Das Hören der Zerspanungsgeräusche, das Sehen der Späneform und ?farbe sowie das Spüren der Zerspanugskräfte in den Handrädern, dass erfahrenen Facharbeiter/-innen die Beurteilung der Fertigungsqualität bereits während der laufenden Bearbeitung gestattete, sind heute ohne technische Hilfsmittel kaum mehr gegeben (vgl. BÖHLE/MILKAU 1988, S. 104ff; MARTIN 1995).

Die aus Sicherheitsgründen notwendige Verkapselung der Maschinen und die Loslösung der Bearbeitung von der direkten manuellen Steuerung führt zu einer Einschränkung der Prozesstransparenz und der Eingriffsmöglichkeiten; dies gilt für moderne HSC-Maschinen mehr noch als für die bisherigen CNC-Maschinen. Zur Gewährleitung der Sicherheit darf eine HSC-Maschine nur bei geschlossenem Arbeitsraum laufen. In bestimmten Bearbeitungssituationen, etwa beim Anfahren an die Werkstückkontur, beim Eintauchen des Fräsers in das Werkstück, beim Zerspanen radialer Werkstückprofile oder bei der Bearbeitung von Abschnitten mit besonderen Anforderungen an die Oberflächenqualität ist die Beobachtung des Fertigungsprozesses und die mögliche manuelle Veränderung z.B. des im Programm festgelegten Vorschubs mittels der Overridefunktion unabdingbar für qualitativ und wirtschaftlich optimale Arbeitsergebnisse. Ein Problem besteht nach Aussage von befragten Facharbeitern in der HSC-Fertigung darin, dass durch die Sicherheitstechnik die Prozesskontrolle erheblich eingeschränkt wird, weshalb diese im unter Umständen sogar - entgegen den Vorschriften - außer Funktion gesetzt wird. Auf diese Problematik angesprochen, schildert ein Interviewpartner die Situation folgendermaßen (VOLLMER u. a. 1998, S. 174 f):


"Das ist ein großes Problem, für die Maschinenleute ist das eigentlich praktisch nicht zu realisieren. Es ist sehr schlecht bei geschlossener Tür zu fahren, wenn sie ihre Bearbeitungsaufgabe richtig erfüllen wollen. Wenn das Programm einmal sicher läuft, dann machen die auch die Tür zu. Aber sobald es Schwierigkeiten gibt oder beim Anfahren an die Kontur, das sind eben immer die Situationen, da bleibt die Tür offen. Und wenn man aus irgendwelchen Gründen vielleicht auch in den Arbeitsraum 'reingeht, dann wird das auch bei laufender Maschinenbearbeitung gemacht. Also, ist eher selten, das kommt nicht oft vor, aber es ist einfach so."
Nach den Gründen befragt, fährt er fort:

"Das ist wirklich die Wahrnehmbarkeit des Prozesses. Also insbesondere, wenn neue, unbekannte technologische Situationen auftreten; vielleicht ein neuer Werkstoff, bei dem man die günstigen Schnittwerte noch nicht kennt. Oder auch ein neues Werkzeug oder Problembereiche, wenn man in Bereichen großer Umschlingungswinkel arbeiten muss. Situationen, in denen also unter Umständen auch während des Prozesses der Vorschub reduziert wird am Override. Das sind so die Sachen, da sagen die Maschinenleute: Ich kann das einfach nicht sehen. Ich muss es aber sehen, wann der Fräser da 'reinfährt, damit ich den Override vorher runterdrehen kann ? zumindest eben in der Testphase, in der Anlaufphase. Und das ist so, wegen der verringerten sinnlichen Wahrnehmbarkeit des technologischen Prozesses, das ist es eigentlich, was die Leute verführt, die Tür offen zu lassen und 'reinzugehen."


Die freimütige Schilderung verdeutlicht den Widerspruch zwischen Prozessbeherrschung und Arbeitssicherheit, zwischen der Notwendigkeit des Arbeitsraumzuganges und dem damit verbundenen Verstoß gegen bestehende Vorschriften. Die Umgehung von Sicherheitsvorschriften erfolgte allerdings nicht aus Leichtfertigkeit, sondern den Gesprächspartnern waren die damit verbundenen Gefahren durchaus bewusst. Sie sahen sich aber außerstande, in bestimmten Situationen auf die sinnliche Prozesswahrnehmung gänzlich zu verzichten. Fragen einer auf die Unterstützung der menschlichen Fähigkeiten und Kompetenzen abgestimmten Maschinengestaltung können von werkstattfernen Planern kaum zufriedenstellend beantwortet werden, hier können nur die Experten vor Ort weiterhelfen.

4. Fallbeispiel II: Innovative Arbeitssystemgestaltung durch Partizipation

In einem Großwerkzeugbau der Kfz-Industrie wurde der Widerspruch zwischen Arbeitssicherheit und Prozesstransparenz bei der Beschaffung zweier HSC-Bearbeitungszentren durch gemeinsame Planungsbeteiligung des Werkstattpersonals und des leitenden Sicherheitsingenieurs gelöst, die zu einer Weiterentwicklung durch den Maschinenhersteller führte. Diese Fertigungsanlagen wurden mit einem Körperschallsensor am Werkstückträger und einer Elektronik zur Signalaufbereitung ausgerüstet, die es ermöglichen, dass die Zerspanungsgeräusche trotz Maschinenkapselung und umgebendem Werkstattlärm mit einem Kopfhörer deutlich wahrgenommen werden können. Außerdem ist im Arbeitsraum eine von außen verstellbare Videoanlage installiert worden, mit der sich sonst nicht einsehbare Werkstückabschnitte auf einen zusätzlichen Bildschirm übertragen lassen. Für solche Fertigungssituationen, in denen diese Einrichtungen für die Prozessbeobachtung nicht ausreichen, ist die Anlage mit einer zusätzlichen Sonderbetriebsart ausgestattet, die einen Zugang des Arbeitsraumes bei reduzierten Spindeldrehzahlen und Vorschüben gestattet, ohne dass gegen bestehende Sicherheitsvorschriften verstoßen wird, da die Anlage dann einer herkömmlichen CNC-Maschine entspricht (vgl. NOTZON 1998, S. 59 ff). Die zusätzlichen Investitionen in die technische Sonderausstattung unterstützen die Beschäftigten darin, Kollisionen, die zu kostspieligen Werkstück- oder Maschinenschäden führen können, zu vermieden.

Abb. 4: HSC-Bearbeitungszentrum im Großwerkzeugbau (o. l.) mit integrierter Videokamera im Arbeitsraum (o. r.) zur Wiedergabe des Bearbeitungsvorganges auf einem separaten Bildschirm (u. l.); Maschinenarbeiter mit Kopfhörer zur akustischen Kontrolle der Zerspanungsvorgänge während der Prozessbeobachtung am Bildschirm (u. r.) (VOLLMER u. a. 1998, S. 177 ff)

Über die Zusammenarbeit mit dem Maschinenhersteller und der Berufsgenossenschaft bei der Realisierung der Konzeption berichtet der leitende Sicherheitsingenieur des Unternehmens in einem Interview (VOLLMER u. a. 1998, S. 180):
"Der Maschinenhersteller wollte uns in der Phase der Planung die Anlage nicht öffnen. Das heißt, er wollte uns da (in den Arbeitsraum bei laufender Maschine) nicht 'reingehen lassen und hat sich mit Händen und Füßen gewehrt, hat also den Hausjuristen geholt und gesagt: "Wir dürfen das nicht; nach den gültigen Rechtsvorschriften des Arbeitsschutzes darf da niemand 'rein". Da haben wir gesagt: "Tut uns leid, aber wir müssen 'rein", und sie haben sich gewundert, dass ein Arbeitsschützer gesagt hat: "Und das geht, Leute. Und das muss gehen. Und wir werden 'ne Lösung finden." Und wir haben dann zusammen mit der Metall?BG gemeinsam eine Lösung gesucht. ... Das war natürlich 'nen Kampf, und ich muss Ihnen ehrlich sagen, wenn wir damals nicht hart geblieben wären gegenüber dem Hersteller, gäbe es das nicht. Also, wir hätten nicht arbeiten können mit den Anlagen, wenn wir keinen Zugang zum Arbeitsraum bekommen hätten. Wir haben trotzdem alle technischen Möglichkeiten ausgenutzt, das heißt, wir haben dort eine Videokamera zur Beobachtung des Schnittes und wir haben eine akustische Einrichtung, also einen Kopfhörer, womit man das Ankratzen verfolgen kann. Das wird benutzt, und zwar gut benutzt, vor allen Dingen die akustische Sache."
Die mit diesen Bearbeitungszentren gefertigten Presswerkzeuge für den Karosseriebau haben Ausmaße von etwa 2.000 x 5.000 mm und eine Masse von max. 20 t. Sie werden in der Regel in Einzelfertigung (Losgröße 1) hergestellt; die Bearbeitung eines Werkzeugs kann länger als eine oder sogar zwei Arbeitsschichten dauern. Nach der HSC-Bearbeitung haben sie einen Wert von bis zu 250.000 € (Preisstand 1997). Bei diesen Summen sind die mit der Beschaffung der Bearbeitungszentren erzielten Kosteneinsparungen von ca. 50 % ökonomisch von großer Bedeutung (vgl. NOTZON 1998, S. 60).

5. Befähigung zur Mitgestaltung in der Ausbildung von Fertigungsberufen

Die beiden gegensätzlichen Fallbeispiele verdeutlichen den Stellenwert der Beteiligung der Betroffenen für die Absicherung von Investitionsentscheidungen und die Optimierung der Produktionssysteme, sie weisen aber auch auf diesbezügliche Defizite in der betrieblichen Praxis hin und auf die daraus resultierenden Folgen. Mit der Ausrichtung der Produktionssystemgestaltung auf kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsprozesse und auf verbindliche Erreichung vereinbarter Qualitäts? und Kostenziele mit weitgehender Verantwortungsübernahme durch Arbeitsgruppen haben sich die Anforderungen an die Beschäftigten im Hinblick auf fachlichen und überfachlichen Qualifikationen in den letzten Jahren deutlich ausdifferenziert (vgl. LACHER 2002). Mit der Neuformulierung des Bildungsauftrages der Berufsschule in der "Rahmenvereinbarung über die Berufsschule" (1991) und deren Übernahme in die "Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen" (1996) durch die KMK wird mit den neuen Ausbildungsplänen systematisch auf Förderung der Gestaltungskompetenz künftiger Facharbeiter/-innen hingewirkt. In den Vorbemerkungen der auf dieser Grundlage verabschiedeten Rahmenlehrpläne heißt es, die Berufsschule "erweitert die vorher erworbene allgemeine Bildung" und soll "zur Erfüllung der Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung befähigen" (HANDREICHUNGEN 2000, S. 8; VERORDNUNG 1997, S. 17).
Da für die industriellen Metallberufe aktuell gerade ein Neuordnungsverfahren eröffnet wurde, kann an dieser Stelle noch nicht auf Vorgaben aus Rahmenlehrplänen bspw. für die Ausbildung der Berufe Industriemechaniker/-in, Werkzeugmechaniker/-in oder Zerspanungsmechaniker/-in zurückgegriffen ( Im Vorgriff auf die Neuordnung wurden im Modellversuch "GAB - Geschäfts- und arbeitsprozessorientierte, dual-kooperative Ausbildung in ausgewählten Industrieberufen mit optionaler Fachhochschulreife" für die Berufe Industriemechaniker/-in und Werkzeugmechaniker/-in Berufsbildungspläne entwickelt, in denen unter Bezugnahme auf berufliche Arbeitsaufgaben komplementäre lernortspezifische Qualifizierungs- und Bildungsziele für Ausbildungsbetriebe und Berufsschule formuliert wurden, die jeweils gestaltungsorientierte Inhalte beinhalten (vgl. RAUNER/HAASLER 2001; RAUNER u.a. 2001). ) werden. Als offizielle Rahmenlehrpläne und Ausbildungsrahmenpläne, die Anhaltspunkte geben können für die Umsetzung des gestaltungsorientierten Bildungsziels in den konkreten Lernfeldzielen und ?inhalten auch der übrigen industriellen Fertigungsberufe, liegen die des 1997 im Vorfeld der Neuordnung eingeführten Berufs Fertigungsmechaniker/-in vor.

Abb. 5: Überblick über die Lernfelder des 1997 eingeführten industriellen Ausbildungsberufs Fertigungsmechaniker/in (VERORDNUNG 1997, S. 20)

Dort heißt es beispielsweise in der Zielformulierung des Lernfeldes 10 "In verschiedenen Arbeitsorganisationsformen arbeiten und prozessoptimierend mitwirken" (2. Ausbildungsjahr) u. a.: "Die Schülerinnen und Schüler analysieren Organisationsstrukturen der Betriebe und vergleichen unterschiedliche Formen der Betriebs? und Arbeitsorganisation. Sie untersuchen Arbeitsorganisationsformen und Arbeitsplätze und bewerten diese hinsichtlich sozialer, ergonomischer, ökonomischer und ökologischer Anforderungen. Die Arbeitsergebnisse werden in Gruppengesprächen moderiert und präsentiert. Die Schülerinnen und Schüler gestalten anhand betrieblicher Fertigungsaufgaben unter Berücksichtigung von Arbeitsorganisationsprinzipien und der Leistungs- und Bewertungssysteme Arbeitsplätze mit" (VERORDNUNG 1997, S. 26). Und die Zielformulierung im Lernfeld 16 "Automatisierte Anlagen bedienen, ihre Betriebsbereitschaft sicherstellen und bei der Prozessoptimierung mitwirken" (3. Ausbildungsjahr) gibt u. a. vor: "Die Schülerinnen und Schüler entwickeln an einfachen berufsbezogenen Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Automatisierungstechnik Verständnis für die Notwendigkeit von flexiblen Fertigungssystemen und die Fähigkeiten für einen eigenverantwortlichen Umgang mit im Betrieb befindlichen Anlagen in der Fertigung. Die Analyse des Zweckes, der Funktion und des Aufbaus von bestehenden automatisierten technischen Systemen führt zu einer allgemeinen Auseinadersetzung mit der gegenwärtigen Technik vor dem Hintergrund ökologischer, ökonomischer, sicherheitstechnischer und sozialkritischer Aspekte" (a. a. O., S. 29). In den übrigen Lernfeldern befinden sich ebenfalls gestaltungsorientierte Ziele und Inhalte. Desgleichen ist die betriebliche Ausbildung auf die aktive Mitwirkung bei der kontinuierlichen Verbesserung der Arbeitsprozesse ausgerichtet (vgl. a. a. O., S. 14 f) .

Um den Auszubildenden die Zusammenhänge der für die Gestaltung der Arbeitwelt bedeutsamen komplexen Beziehungen zwischen Menschen, Technik und Organisation nachvollziehbar zu machen, ist es konsequent der Ausbildung einen entsprechenden sozio-technischen Ansatz zugrunde zu legen, der es künftigen Facherbeiter/-innen ermöglicht erkenntnisförderliche Modellvorstellungen der Systemzusammenhänge zu entwickeln. Für die theoretische Konzeptualisierung der Konstruktion von Lernfeldern etwa für Elektro- und Metallberufe erachtet BADER ein sozio-technisches Handlungssystem als geeignet, das in seiner Ablaufstruktur "das Ergebnis einer systematischen Rekonstruktion des Denkens und Handelns des Menschen in Bezug auf Technik, verstanden als zielorientierte Gestaltung der Umwelt mit materiellen Mitteln", darstellt (2000, S. 37). Ein solches Modell, das auf den Konzepten der Allgemeinen Technologie und der Konstruktionswissenschaft basiert, ist geeignet, die Veränderung der Umwelt durch Technik, von der Gestaltungsidee über die Konstruktion, die Herstellung und den Gebrauch von Apparaten, Maschinen und Geräten bis hin zu ihrer Entsorgung, nachzuvollziehen. Es ist hilfreich, um die Wechselwirkungen zwischen Technik, Umwelt und Gesellschaft zu erkennen und - mit Blick auf das eigene Arbeitshandeln - als gestaltbar zu begreifen. Dies gilt auch insofern, als in dieser Modellvorstellung angenommen wird, "dass berufliche Handlungskompetenz sich im denkenden und handelnden Umgang mit Technik in den Phasen Planen, Entwickeln, Fertigen ... Beseitigen entfaltet und dass diese Handlungskompetenz sich insbesondere im Prozess theoretischer Aufklärung und Anleitung von Praxis entwickelt" (ebd.).

Damit werden jedoch die inneren Zusammenhänge der Beziehungen zwischen Menschen, Technik und Organisation hinsichtlich der Gestaltbarkeit der Arbeitswelt nicht deutlich genug hervorgehoben (vgl. SCHWERES 1988). Arbeitsprozesse bringen nicht nur Produkte und Dienstleitungen hervor, die mit der Umwelt in einer Wechselbeziehung stehen, sondern sie sind immer auch "ein Mittel zur Erzeugung von Persönlichkeitseigenschaften", denn "neben dem erzeugten Produkt als Arbeitsergebnis und in Wechselbeziehung mit ihm entstehen als gleichwertige Arbeitsergebnisse zahlreiche Veränderungen beim arbeitenden Menschen" (HACKER 1986, S. 40; Hervorh. d. d. Verf.). Das Resultat menschlicher Arbeit beschränkt sich demnach nicht auf die entstandenen Produkte und Dienstleitungen, sondern damit verbunden sind immer persönlichkeitsverändernde Rückwirkungen unterschiedlicher Qualität auf den arbeitenden Menschen, je nach dem wie die Beziehung zwischen Mensch, Technik und Organisation gestaltet ist. Deshalb erscheint es im Hinblick auf das Berufsbildungsziel "Befähigung zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft" notwendig, die beiden Modelle - die Ablaufstruktur eines sozio-technischen Handlungssystems und das MTO-Modell - mit einander zu verknüpfen, da beide Ansätze komplementäre Momente enthalten, die nach außen und die nach innen gerichteten Wechselwirkungen von Arbeits- und Geschäftsprozessen.

6. Schlussbemerkung

Eine zeitgemäße Ausbildung in industriellen Fertigungsberufen muss das Begreifen der komplexen MTO-Beziehungen und Einsicht in ihre Gestaltbarkeit ermöglichen, wenn die Betroffenen zu Mitwirkenden in den sich zunehmend dynamisierenden Innovationsprozessen werden sollen. Neben der Fähigkeit, moderne fertigungstechnologische Prozesse zu beherrschen, benötigen künftige Facharbeiter auch vermehrt arbeitswissenschaftliche und ökonomische Kenntnisse - und zwar anwendungsbezogen und nicht als träges "Lehrbuchwissen". Die Anwendung der erweiterten Wirtschaftlichkeits? und Nutzenrechnung in der metalltechnischen Berufsausbildung kann das Verständnis für die Bedeutung der einzelnen MTO-Elemente sowie deren Wechselbeziehungen im Kontext betrieblicher Geschäftsprozesse fördern. Die kriteriengeleitete und systematische Bewertung monetärer und nicht-monetärer Ziele kann dazu beitragen, die Komplexität betrieblicher Leistungsprozesse zu begreifen, in denen das produzierende und mitgestaltende Handeln des Einzelnen bzw. der Arbeitsgruppen in Beziehung gesetzt wird zu übergeordneten betrieblichen Abläufen und zum Marktgeschehen einerseits wie auch zur bewussten Gestaltung der eigenen Arbeits- und Lebenssituation andererseits. Lernsituationen, die den Auszubildenden das Erkennen der Mitverantwortung für eine humanzentrierte und wirtschaftliche Gestaltung der Arbeitswelt ermöglichen, fördern ihre Fähigkeiten zur Selbstbestimmung, zur Mitbestimmung und zur Solidarität mit anderen im Sinne allgemeiner Bildung (vgl. KLAFKI 1996, S. 52). Insofern ist mit dem formulierten Anspruch des Lernfeldkonzeptes, Gestaltungskompetenz gezielt anzubahnen und berufliches Handeln mit gesellschaftlichen und individuellen Problemstellungen in Lernprozessen zu verknüpfen, Allgemeinbildung ein stärker akzentuierter Bestandteil beruflicher Bildung geworden.


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