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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Die unterrichtliche Verzahnung von Prozess und Systematik im Kontext der Integration von ERP- Software in kaufmännische Curricula


 

 


1. Problemstellung

Nur qualifizierte Mitarbeiter können unter Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechniken selbständig, eigenverantwortlich und kundenorientiert arbeiten. Das Denken in Prozessen und unter ganzheitlicher Betrachtung der Auswirkungen auf das Unternehmen wird immer wichtiger. Es ist in der Berufsausbildung notwendig, den zukünftigen Mitarbeitern, Führungskräften und auch Unternehmern Kompetenzen zu vermitteln, die den neuen Herausforderungen und Ansprüchen einer sich wandelnden Arbeits- und Wirtschaftswelt entsprechen. Durch die Gestaltung neuer Rahmenlehrpläne mit schwerpunktmäßigem Bezug auf eine geschäftsprozessorientierte Ausbildung (vgl. KMK 2000, 14; KMK 2002, 6) im Rahmen von Lernfeldern wird dieser Entwicklung Rechnung getragen.

Ebenso wie Lernfelder nicht einfach aus der Analyse von Handlungsfeldern abgeleitet werden können (vgl. Tramm 2004, 136), legitimiert sich die Integration von ERP in kaufmännische Curricula nicht allein aus dem pragmatischen Grund, dass die Schüler die Programme auch in ihren Ausbildungsbetrieben nutzen. Diese Argumentation greift zu kurz. Vielmehr müssen sowohl auf curricularer wie auch auf didaktischer Ebene die Notwendigkeit und der Nutzen einer ERP-Integration gerechtfertigt sein. Beobachtungen und Analysen zeigen, in welchem Umfang und in welcher Qualität ERP (Enterprise Resource Planning) einen Beitrag zur Reflexion und Systematisierung betriebswirtschaftlicher Konzepte zu leisten im Stande ist. Aus pädagogischer Sicht ist es notwendig durch ERP Sachzusam­menhänge aus der betriebswirtschaftlichen Praxis aufzubereiten und verständlich machen. Der Lehrer ist damit in der Lage, dahinter stehende theoretische Konzepte sichtbar zu machen und ein systematisches wie auch systemisches Verständnis des Unternehmens und seiner Umwelt zu verdeutlichen (vgl. PFÄNDER 2000, Geleitwort V; vgl. TRAMM 2004, 138). Dabei ist nicht in Frage zu stellen, dass ERP Gegenstand der schulischen Berufsausbildung werden muss. Es geht bei der Integration vielmehr um die mögliche Unterstützung der Lernprozesse, Lernerfahrungen und Erkenntnisschritte.

Die Integration von ERP in die Ausbildung hat sowohl in der universitären Ausbildung als auch in dem berufsbildenden Bereich Einzug gehalten. Allerdings ist ERP von der Struktur her nicht darauf ausgerichtet Lernhandlungen zu unterstützen, sondern dient als Werkzeug bei Arbeitshandlungen (vgl. PFÄNDER 2000, 69). Es stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise die Potentiale und die Eigenschaften, die ERP bietet, in kaufmännische Curricula integriert werden können, um ein Lernhandeln in komplexen Situationen zu unterstützen und Prozesse mit Fachsystematik zu verzahnen.

Vor diesem Hintergrund leistet dieser Aufsatz die Möglichkeit aus einer lerntheoretischen Perspektive auf den Transfer zwischen Prozess und Systematik näher einzugehen. Dies geschieht im Hinblick auf den durch den ERP-Einsatz beeinflussten Lernprozess von Schülern. Es wird dabei das Konzept einer Berufsschule in Bezug auf die Qualität der Einbindung von ERP in kaufmännische Curricula beschrieben und analysiert. Die Qualitätsdimensionen beziehen sich neben einer inhaltlich-gegenständlichen Darstellung im Wesentlichen auf das Reflexions- und Systematisierungsniveau der Einbindung.

Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist dabei das Konzept zur Integration von ERP in den Unterricht im Oberstufenzentrum für Bürowirtschaft und Dienstleistungen, Berlin, (OSZ B+D). Hier wird im Rahmen einer vollzeitschulischen Ausbildung zum Büro- und Kommunikationskaufmann ERP eingesetzt. Der betriebliche Teil der Ausbildung findet dabei in einem Modellunternehmen statt, das im Verlauf der Ausbildung mit der ERP-Software SAP R/3® unterstützt wird. Die SAP R/3® Integration bleibt nicht auf das Modellunternehmen reduziert, sondern sie wird mit in den „systematisierenden“ Unterricht integriert.

2.  Systemische Verzahnung von Prozess und Systematik

Wie bereits aus den Handreichungen der KMK deutlich wird, ist die Verbindung zwischen dem Prozess auf der einen Seite und der Fachsystematik auf der anderen von bildungspolitischer Seite nicht nur gewollt sondern auch notwendig. Es soll bei Schülern vernetztes und ganzheitliches Denken und Handeln entwickeln. Aus kognitions- und lerntheoretischer Sicht bedarf es eines zyklischen Denkprozesses aufbauend auf einem Wissensbestand, um Handlungen planen, steuern und kontrollieren zu können und durch Reflexionen veränderbar zu machen (vgl. DUBS 2000, 16; vgl. TRAMM/ REBMANN 1997, 16; vgl. EDELMANN 2000, 113; vgl. SEEL 2000, 141 ff.). Die systemische Sicht legt den Fokus auf eine ganzheitliche Betrachtungsweise. VESTER betont, dass „komplexe Vorgänge […] zu ihrem Verständnis ein Denken in Zusammenhängen, das sich an der Struktur organisierter Systeme und ihrer speziellen Dynamik orientiert“ (VESTER 2003, 16), benötigen. Ohne ein Systemverständnis ist es nicht möglich Entscheidungen zu treffen, die weitreichende Neben- oder Folgeeffekte vermeiden (vgl. VESTER 2003, 16). Das Wirkungsgefüge von Geschäftsprozessen in den elementaren Schritten, vor allem aber im Zusammenhang des ganzen Unternehmens kann nur erkannt werden, wenn die verbindende Struktur eine Orientierungshilfe bietet.

2.1  Geschäftsprozessdefinition

Eine klare und eindeutige Definition für den Begriff Prozess geht aus der Literatur nicht hervor. Erst die Summe der Eigenschaften, die für einen Unternehmensprozess charakteristisch sind, ergeben eine nicht abschließende, aber umfassende Definition. Wichtigstes und bei allen Beschreibungen feststehendes Merkmal ist der funktions­übergreifende Aspekt eines Prozesses (vgl. GAITANIDES 1998, 371). Die Geschäftsprozessdefinition, die dem Anspruch der untersuchten Schule am ehesten entspricht wird von GEHRING beschrieben:

„Ein Geschäftsprozess ist eine zielgerichtete, zeitlich-logische Abfolge von Aufgaben, die arbeitsteilig von mehreren Organisationen oder Organisationseinheiten unter Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien ausgeführt werden können. Er dient der Erstellung von Leistungen entsprechend den vorgegebenen, aus der Unternehmensstrategie abgeleiteten Prozesszielen. Ein Prozess kann formal auf unterschiedlichen Detaillierungsebenen und aus mehreren Sichten beschrieben werden. Ein maximaler Detaillierungsgrad der Beschreibung ist dann erreicht, wenn die ausgewiesenen Aufgaben je in einem Zug von einem Mitarbeiter ohne Wechsel des Arbeitsplatzes ausgeführt werden.“

(GEHRING zit. von GADATSCH 2003, 29)

Die folgende Abbildung macht am Beispiel der Auftragsabwicklung die unterschiedlichen Detaillierungsebenen deutlich (vgl. GADATSCH 2003, 31).

 

2.2  Perspektiven aus Geschäftsprozessen

Dimension des Handlungs- und Entscheidungsspielraums

Die Definition erlaubt es, den Geschäftsprozess aus verschiedenen Sichtweisen zu beschreiben. Die Perspektive, wie sie die Abb. 1, darstellt geht vom Geschäftsprozess aus und zerlegt diesen in die kleinstmöglichen Teilprozessschritte. Diese Perspektive durch die einzelnen Funktionseinheiten bzw. Abteilungen eines Unternehmens beeinflusst in erster Linie die operative Ebene einer oder mehrerer handelnder Personen (Es wird an dieser Stelle bewusst nicht auf den Begriff des Arbeitsprozesses Bezug genommen. Nach dem o.a. Geschäftsprozessverständnis geht dieser in die Zerlegung des Prozesses in seine elementaren Einzelheiten mit ein.) (vgl. GADATSCH 2003, 31 f. u. 51 f.). Der Einfluss kann soweit gehen, dass jeder einzelne elementare Prozessschritt mit manuellen und automatischen Handlungsschritten im Rahmen eines Workflow (Ein Workflow ist ein formal beschriebener, ganz oder teilweise automatisierter Geschäftsprozess. Er beinhaltet die zeitlichen, fachlichen und ressourcenbezogenen Spezifikationen, die für eine automatische Steuerung des Arbeitsablaufs auf der operationalen Eben erforderlich sind. Die hierbei anzustoßenden Arbeitsschritte sind zur Ausführung durch Mitarbeiter oder durch Anwendungsprogramme vorgesehen (GEHRING zit. v. GADATSCH 2003, 33)) beschrieben und vorgegeben wird (vgl. GADATSCH 2003, 33 f.).

Neben der Perspektive vom Geschäftsprozess auf die einzelnen operativen Einzelschritte kann die Betrachtung auch auf den Geschäftsprozess gerichtet sein. Die Abbildung 2 zeigt eine von „oben“ gerichtete Sicht auf den Geschäftsprozess. Diese wird für unternehmerisch handelnde Personen vor allem dann notwendig, wenn Geschäftsprozesse aus einer umfassenden Unternehmenssicht heraus zu kontrollieren und zu analysieren sind.

 

Im Hinblick auf die Analyse eines Prozessverlaufes wird in diesem Fall die „Auftragsabwicklung“ im Rahmen eines Prozessmanagements zur Optimierung oder Reorganisation von Prozessabläufen in ihren einzelnen (elementaren) Geschäfts­prozess-Schritten untersucht und im Aufbau analysiert. Diese fachlich-strukturelle Analyse kann dazu führen, Geschäftsprozesse neu zu ordnen oder zu entfernen (vgl. GADATSCH 2003, 51). Wichtig ist dabei, dass zwar der eine Geschäftsprozess analysiert wird, aber damit verbundene Geschäftsprozesse und die Unternehmensprozesse als Gesamtheit berücksichtig werden.

Die höchste Ebene wird durch ein Geschäftsprozess-Controlling dargestellt. Aus dieser Perspektive heraus werden die kumulierten Auftragsabwicklungsprozesse auf monetäre sowie reale und nominale Güterflüsse analysiert. Die damit verbundene Steuerung und Kontrolle veranlasst unternehmerisch handelnde Personen dazu, lang- und mittelfristig strategische Planungen und Entscheidungen treffen zu können. Dabei bedarf es einer Orientierung bzw. Abstimmung mit den in der Unternehmensstrategie festgelegten Prozesszielen (vgl. GADATSCH 2003, 31 f. u. 51 f.; vgl. SCHEER 1994, 4 f., vgl. TRAMM 2003, 21).

Dimension des betrieblichen Handelns

Eine weitere Perspektive ist die von TRAMM (2003, 18) beschriebene Dimensionen des betrieblichen Handelns geschehen (vgl. Abb. 3).

 

Qualifikatorische Dimension

Eine weitere Unterscheidung in der Geschäftsprozess-Betrachtung kann in Anlehnung an RIECKHOFF (zit. von GADATSCH 2003, 29 f.) dadurch vorgenommen werden, dass das Maß der Komplexität eines Geschäftsprozesses in Abhängigkeit gestellt wird von dessen Wiederholungsgrad. Dies beinhaltet, dass Geschäftsprozesse von unterschiedlich qualifizierten Mitarbeitern durchgeführt werden. Anders ausgedrückt bekommen Mitarbeiter, die die benötigten Kompetenzen für die Bearbeitung von hoch komplexen und selten wiederkehrenden Geschäftsprozessen nicht besitzen, nicht die Verantwortung für die Bearbeitung (vgl. GADATSCH 2003, 30).

Umso wichtiger ist es ein mehrdimensionales Geschäftsprozessverständnis aufzubauen, das das Verständnis von Prozessen und die Vernetztheit des Unternehmenssystems erhöht. Dies muss auf ein qualifikatorisches Niveau gelangen, das über der eigentlichen Sachbearbeitertätigkeit liegt und den Grundstein dafür legt, zukünftig komplexere Geschäftsprozesse bearbeiten zu können.

 

2.3  Curricularer Rahmen in der beruflichen Erstausbildung

Die Einbindung von ERP in unterrichtliche Curricula schließt die Orientierung an den Ebenen der Handlungsorientierung nicht aus. ERP kann nicht als Individuallösung im Unterricht eingesetzt werden, sondern wird in den Datenkranz eines Modellunternehmens integriert. Es ist somit möglich mit ERP komplexe Lernumwelten zu schaffen, die ein problem- und handlungsorientiertes Verständnis beruflichen Lernens zugrunde legen und durch induktives problemlösendes Lernen systematisch Wissensstrukturen schaffen (vgl. TRAMM 2003, 10f.; vgl. TRAMM / REBMANN 1988, 86). Je nach Maß und Integration der Funktionalitäten von ERP und des Umfanges des Datenkranzes lassen sich mehrdimensionale Unternehmensperspektiven und multiple Kontexte gestalten. Das Handeln in Geschäftsprozessen mit ERP eröffnet die Chance, die operative Perspektive auf eine gesamtunternehmerische Sicht zu erweitern. Aus curricularer Sicht ist eine ERP-Integration sinnvoll, da es den handlungs- und problemorientierten Lernprozess auf allen Ebenen – Ziel-, Aktions- und Kontextebene – unterstützen kann.

2.4  Handeln und Lernhandeln mit ERP

Bezug nehmend auf die Strukturelemente des Lernhandelns (vgl. TRAMM 1996a, 206 ff., ACHTENHAGEN et al 1992, 79 ff.) soll im Folgenden das Handeln und Lernhandeln mit ERP auf Grundlage eines kognitionstheoretischen Verständnisses dargestellt werden. Die Zieldimension des Lernhandelns ist dabei die „finale Orientierung am Wissens- und Kompetenzerwerb zum Zwecke der Erweiterung künftiger Orientierungs- und Handlungsmöglichkeiten“ (TRAMM 1996a, 231).

 

Die Erreichung dieser Zieldimension soll zusammenfassend als „Können i.w.S.“ aufgefasst und ausgehend von Daten und Informationen erreicht werden. Abbildung 5 verdeutlicht das Vorgehen im Rahmen eines Lernzirkels.

Die Tätigkeiten von Schülern in Modellunternehmen mit integriertem ERP Einsatz sind dem Grunde nach auf Lernhandeln angelegt, wodurch der Wissens- und Kompetenzerwerb eindeutiges Ziel ist. Durch die Orientierung an betrieblichen Handlungs- und Erfahrungsfeldern besteht neben dem Lernhandeln ein arbeitsanaloges Lernhandeln als eine Dimension, die in kaufmännischen Curricula zwingend Anwendung findet. Hier steht die in einer künstlich geschaffenen Umgebung von Modellunternehmen entwickelte Erzeugung und Bereitstellung wirtschaftlicher Güter im Vordergrund. Die Freiheitsgrade der individuellen Tätigkeiten sind stark eingeschränkt (vgl. TRAMM 1996a, 304 f.).

Die Erweiterung von Denkstrukturen und Wissen hängt davon ab, in welchem Maße spezifische Kompetenzen in einem Geschäftsprozess gefordert und gefördert werden (vgl. TRAMM 1996a, 306). In diesem Zusammenhang soll von der Erweiterung qualitativen Wissens gesprochen werden, wenn Kompetenzen durch Lernhandeln entwickelt werden. Im Gegensatz dazu trägt operatives Wissen dazu bei im Sinne eines arbeitsanalogen Lernhandelns Kompetenzen zu erweitern. Die Abbildung 5 verdeutlicht diese Zusammenhänge.

Die Dimension des arbeitsanalogen Lernhandelns (dunkel dargestellt) führt durch die Erweiterung operativen Wissens zu Kompetenzen, die in erster Linie einer Methodenkompetenz zugeschrieben werden können (z.B. Anwenderwissen von ERP, Kenntnis der operativen Abfolgen von Prozessschritten). Das Lernhandeln (grau dargestellt) führt durch die Entwicklung qualitativen Wissens zu Kompetenzerweiterungen auf höherem Niveau.

Ausgangspunkte beider Dimensionen sind Daten, basierend auf einer Problemsituation. Zur Lösung des Problems bedarf es der Aufbereitung dieser Daten, um sie zu einer oder mehreren Informationen zu verarbeiten. Die Daten können aus dem ERP-System gewonnen werden. ERP ist durch die spezifische Konstruktion in der Lage, Daten über Ressourcen wie z.B. Maschinen oder Mitarbeiter sowie von Aktionen wie z.B. Projekten oder Prozessen zu speichern. Diese Daten sind zielgerichtet auf das Problem zu Informationen zusammenzufassen, um nach einer Analyse Handlungen vornehmen zu können. An dieser Stelle (vgl. Abbildung 5) trennen sich die zwei verschiedenen Ergebnisdimensionen. Entweder wird ein reflexives Handeln ermöglicht, das Tiefendimensionen des kognitiven Prozesses erreicht und qualitatives Wissen entwickeln kann, oder das Handeln bleibt auf einer Oberflächendimension (vgl. TRAMM 1996a, 305). In diesem Zusammenhang ist deutlich zu machen, dass auch im arbeitsanalogen Lernhandeln ein Lernprozess, wenn auch auf einer anderen Ebene, initiiert wird. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Aussagekraft wurde jedoch auf weitere Verbindungen innerhalb der Abbildung verzichtet.

Um dies zu gewährleisten, ist das dazu notwendige Wissen aufzubauen. Die Unterscheidung von qualitativem und operativem Wissen ist an dieser Stelle notwendig. Operatives Wissen ist im kaufmännischen Bereich auf die operative, pragmatisch-routinierte Sachbearbeitertätigkeit ausgerichtet und fordert keine großen mentalen Ansprüche (z.B. Verarbeitung von Mengen an Wareneingangs- und -ausgangsrechnungen in der EDV, Routinierter Umgang mit ERP). Dennoch sind diese Arbeiten als notwendig anzusehen, um anspruchsvollere Tätigkeiten und die damit verbundenen kognitiven Aktivitäten zu gewährleisten.

ERP kann in zweifacher Weise als Lerngegenstand im Unterricht repräsentiert werden. Steht das Wissen über das ERP-Programm und seine Funktionsweise im Vordergrund und nimmt das System selber die Stellung eines Lerngegenstandes ein, so wird für den Verlauf dieser Arbeit von ERP als Lernobjekt gesprochen. Sollen Lernziele, die vom System unabhängig sind, sich also auf kauf­männische, gesellschaftliche, soziale oder kompetenzorientierte Dimensionen bezie­hen, erreicht werden, dann stellt ERP ein Lernmittel dar (vgl. PFÄNDER 2000, 66 f.). Es ist eine Form der Repräsentation des eigentlichen Lerngegenstandes. Die Einbindung von ERP erfolgt integrativ in ein Modellunternehmen. Die Lernhandlungen von Schülern werden im Rahmen dieses wirtschaftlichen Modellunternehmens durchgeführt.

ERP ist von der Struktur her nicht darauf ausgerichtet Lernhandlungen zu unterstützen, sondern dient als Werkzeug bei Arbeitshandlungen (vgl. Pfänder 2000, 69). Es stellt sich die Frage, welche qualitativen Möglichkeiten damit verbunden sind, die Eigenschaften, die ERP bietet, in kaufmännische Curricula zu integrieren, um ein Lernhandeln in komplexen Situationen zu unterstützen und den Prozess mit der Systematik zu verzahnen.

Daraus entwickeln sich unter Bezugnahme des Lernkreises folgende Schwerpunkte, die qualitativ zu beobachten sind:

•  Wie können Daten, Informationen und das Handeln unter Berücksichtigung der Strukturkomponenten des Lernhandelns mit ERP verbunden werden und in welche Lernumwelt wird ERP integriert. Dies impliziert die Frage nach der inhaltlich-gegenständlichen Qualität des Lernhandelns mit ERP und die Frage nach den Handlungs- und Entdeckungsfreiheiten für die Schüler durch und mit Nutzung von ERP (vgl. ACHTENHAGEN et al. 1992, 85; vgl. TRAMM 1996a, 266 ff.).

•  Im weiteren Verlauf des Lernkreises bedarf es aus handlungsorientierter und kognitionstheoretischer Sicht der Sicherstellung, dass die Handlungserfahrungen und Problemsituationen mit ERP durch Reflexionen und Systematisierungen analysiert werden, um aus dem Handeln eine Lernerkenntnis oder -erfahrung zu erzielen. Es stellt sich die Frage, inwieweit und in welcher zeitlichen Abfolge ERP als Mittler zwischen problem- und handlungsbezogenen Erfahrungen und der begrifflich-abstrakten Reflexion und Systematisierung eingesetzt werden kann (vgl. ACHTENHAGEN et al. 1992, 85; vgl. TRAMM 1996a, 266 ff.).

3.  Praktische ERP-Einbindung in die vollzeitschulische Berufsausbildung

(Die Ausführungen basieren auf einer Analyse, die im Rahmen einer Examensarbeit durchgeführt wurde. Es wurde folgende Literatur hinzugezogen (SCHOLZ 2004, SCHOLZ 2003a, SCHOLZ 2003b). Des Weiteren beruhen die Analysen auf Interviews und eigenen Beobachtungen, die hier im Einzelnen nicht dargestellt werden können.)

3.1  Inhaltlich-gegenständliche Darstellung

Der Aspekt der vollzeitschulischen Ausbildung ist für die ERP-Integration nach Schulkonzept sehr wichtig. Im Rahmen der vollzeitschulischen Ausbildung wird ein Konzept entwickelt, das durch die analytische Unterscheidung zweier Ebenen geprägt ist. Dabei wird auf der einen Seite das Lernen im Modellunternehmen (LiM) unterschieden vom Lernen am Modellunternehmen (LaM). Ergänzt werden diese Blöcke durch die Bereiche „Wirtschaft und Soziales“ sowie „Sprache und Kommunikation“ und einen Block, der durch Wahlpflichtkurse belegt ist. Verschiedene Lernsituationen, die auf die Abläufe und Prozesse im Unternehmen abgestimmt sind, finden dann übergreifend in den Bereichen Anwendung. Die Lernfelder, wie sie aus dem Rahmenlehrplan vorgegeben werden, lassen sich in den verschiedenen Bereichen und Lernsituationen wieder finden. (vgl. Abb. 6). Der Einsatz von ERP ist in das Konzept integriert.

 

Das Konzept wird geprägt von den zwei großen Blöcken: Lernen im Modellunternehmen (LiM) und Lernen am Modellunternehmen (LaM). Diese geben den Rahmen und die Ausrichtung des gesamten Curriculums und der damit verbundenen ERP-Integration vor (siehe Abb. 6). ERP wird in alle Teilbereiche des Curriculums integriert, d.h. es wird nicht nur für die Tätigkeiten im Modellunternehmen genutzt, sondern dient auch der Reflexion von Inhalten, die aus dem Modellunternehmen hervorgehen. Die Schule nutzt dazu als Software das Produkt SAP R/3®. Kernelement ist das dafür entwickelte Modellunternehmen, ein Großhandelsunternehmen im Bereich von Büroartikeln und Papier sowie einem ausgewählten Möbelsortiment für die Einrichtung von Konferenzräumen.

Das Modellunternehmen ist dynamisch aufgebaut. Dynamik bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich der Datenkranz im Verlauf der Ausbildung entwickelt und der Verlauf nicht im Vorwege fixiert ist. Die Schüler können in einem gewissen Rahmen durch eigene Entscheidungen die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens bestimmen. Durch eine Außensteuerung ist es der Lehrkraft möglich auf die Entwicklung des Unternehmens Einfluss zu nehmen und auf belegorientierte Weise Informationen, Kundenanfragen und- Bestellungen oder Problemsituationen einzuspielen. Je nach Entscheidung der Lehrkraft kann dadurch auf die Probleme und Entwicklungen einzelner Filialen im Unternehmen reagiert werden. Dadurch wird gewährleistet, dass sich das Unternehmen wirtschaftlich (weiter-)entwickelt.

Im ersten Jahr ist das Modellunternehmen so strukturiert, dass es aus Filialen besteht. In dieser Phase der Ausbildung werden die Daten und Informationen noch ohne den ERP-Einsatz aufbereitet. Erst im Anschluss beginnen die Schüler mit der ERP-Software SAP R/3® zu arbeiten. Das bis dahin aufgebaute Wissen über Prozessabläufe und -strukturen ist für den ERP-Einsatz notwendig. Im zweiten Ausbildungsjahr arbeiten die Schüler in einem Modellunternehmen, das spartenorientiert strukturiert ist. In diesem prozessorientierten Unternehmensaufbau vollziehen die Schüler die Auftragsabwicklung und das Bestellwesen vollständig prozessorientiert nach. Ferner sind im Unternehmen noch die Personalabteilung, das Sekretariat und eine in SAP R/3 vollständig integrierte Außensteuerung vorhanden.

Das Arbeiten im Modellunternehmen sowie die Arbeit mit ERP fordert ein hohes Maß an Eigenverantwortung der Schüler. Sie werden befähigt ERP als Informationssystem einzusetzen, um komplexe Arbeiten bzw. Aufgaben bewältigen zu können. ERP wird als Lernmittel eingesetzt, um Prozessabläufe, -analysen darzustellen. Zudem können auch betriebswirtschaftliche Zusammenhänge hergestellt werden, um mit Hilfe der gewonnenen Informationen Entscheidungen abgeleiten zu können. ERP kann mit diesem Verständnis als Cognitiv Tool bezeichnet werden.

Durch die Dynamik des Modellunternehmens tritt das Controlling in den Vordergrund. Dies erfordert von den Schülern, dass sie Entscheidungen treffen, die über das operative Moment hinausgehen und sowohl strategische als auch unternehmenspolitische Unternehmensbereiche berücksichtigen. Somit werden mehrdimensionale Perspektiven nicht nur zugelassen, sondern für den Fortbestand einzelner Sparten des Unternehmens zwingend benötigt. Dadurch erweitern sich die Möglichkeiten verschiedene Problemsituationen oder Prozesse in einem systematisierenden Unterricht aufzunehmen und zu vertiefen. Außerdem wird durch eine derartige Konzeption die integrative Informationsverarbeitung, die ERP bietet, ermöglicht.

3.2  Makrosequentielle Curriculumgestaltung

3.2.1  Theoretischer Rahmen

Bei der Makrosequenzierung ist ausschlaggebend, in welchen zeitlichen Anordnungen Lerngegenstände und die damit verbundenen Handlungsformen in eine angemessene Reihenfolge zur Erschließung komplexer Lerngegenstände gebracht werden können (vgl. ACHTENHAGEN et al. 1992, 86; vgl. TRAMM 1996a, 286).

Basierend auf dem von BRUNER entwickelten Konzept der Curriculumspirale kann ERP als Lernmittel in einem spiraligen Curriculum auf verschiedene Weise eingebunden werden. Nachfolgend werden zwei Alternativen aufgeführt, die durch die grafische Aufbereitung in Abb. 7 ergänzt werden.

 

ERP kann als Alternative A im Rahmen eines Curriculums als Lernmittel über den ganzen Zeitraum einer Ausbildung Informationsgegenstand sein. Aus einem zunächst nur grundlegenden Verständnis des Nutzens und der Funktion aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive entwickeln sich höhere Komplexitäten. So kann ERP als ein eigenes Themengebiet bearbeitet werden, wie z.B. die Geschäftsprozessanalyse mit ERP oder Bearbeitung verschiedener Kundenaufträge mit ERP. Dieses Thema wird über den Verlauf der Ausbildung, aufbauend auf einem operativen Verständnis eines Geschäftsprozesses in ERP, auf strategische und normative Ebenen in der Komplexität erweitert.

Wird ERP in ein oder mehrere Themen auf einer höheren Komplexitätsstufe eingebunden, so ist dies als eine weitere Alternative (Alternative B) zu verstehen. Hierbei stellt die ERP-Nutzung eine Variation, eine weitere Teilinformation oder eine neue Perspektive eines oder mehrerer spezifischer Themen dar. Vorstellbar ist dies, wenn z.B. im Rahmen der Thematik „Leistungserstellungsprozesse planen, steuern und kontrollieren“ oder „Den Beschaffungsprozess planen, steuern und kontrollieren“ ERP auf einer höheren, komplexeren Ebene analytisch-reflexiv zum Einsatz kommt.

3.2.2  Umsetzung der Makrosequenzierung

Das Curriculum sieht vor, dass zahlreiche Lernsituationen in eine inhaltliche und zeitliche Abfolge gebracht werden. Die einzelnen Lernsituationen stellen Themenbereiche dar, die über die Ebenen LiM und LaM, Wirtschaft und Gesellschaft sowie Sprache und Kommunikation hinweg in das Curriculum einfließen. Nachfolgend wird am Beispiel der Lernsituationen, die sich inhaltlich mit dem Absatz- und Beschaffungsprozess befassen, deut­lich, wie das makrosequentielle Curriculum mit einer ERP Einbindung aufgebaut ist.

Es bauen sechs Lernsituationen aufeinander auf. Im Vordergrund steht dabei ein spiraliger Aufbau (siehe Abb. 8).

 

Grundlegende Lernsituationen befassen sich am Anfang der Ausbildung mit dem Umfeld der Schüler, dem Modellunternehmen, der Umwelt und dem Prozessgedanken. In den Lernsituation 5 und 7 werden zunächst einfache und später komplexere, durch Störungen beeinflusste Absatz- und Beschaffungsprozesse geplant, durchgeführt und kontrolliert. Erst nach der Lernsituation 7 erfolgt eine Integration von ERP in den Unterricht. Es wird von Seiten der Schule deutlich gemacht, dass für den Einsatz von ERP ein gewisses Vorverständnis notwendig ist, da sich die Schüler ansonsten mit ERP als System und nicht mit den kaufmännischen Problemen beschäftigen. So gehen die Schüler mit einem Grundverständnis über Geschäftsprozesse, deren Abläufe und Entwicklungen an den Umgang mit ERP heran. Dann erfahren die Schüler, wie sich ein Geschäftsprozess in ERP abwickelt. Problematiken wie z.B. Störungen, das Auftrags- und Bestellwesen und qualitative Angebotsvergleiche können wiederholt und auf höherer Ebene neu durchdrungen werden. Der in Abbildung 8 grau markierte Bereich deutet den Einsatz der Software im Rahmen der Makrosequenzierung des Curriculums an. Es werden daraus drei Aspekte deutlich.

(1) ERP wird erst nach einer gewissen Vorbereitungszeit in das Curriculum integriert. Dies ermöglicht einen auf unternehmerische Probleme und Prozesse zielgerichteten Einsatz der Software.

(2) Mit der Einbindung von ERP in den Lernbereich von Absatz- und Beschaffungsprozessen wiederholen sich bereits in einem früheren Stadium bearbeitete Geschäftsprozesse auf einer neuen, höheren Komplexitätsstufe. Die Lernsituation 9 sieht inhaltlich den Aufbau eines grundlegenden Verständnisses für ERP vor, bevor in den darauf folgenden Lernsituationen ERP eingesetzt wird. Im Rahmen des spiraligen Curriculums stellt ERP für den Absatz- und Beschaffungsprozess eine eigene Komplexitätsebene dar.

(3) ERP wird nicht nur in bestimmte Themen oder Lernsituationen eingebunden sondern wird zur Gewinnung von Informationen und Analysen übergreifend im ganzen Curriculum eingesetzt.

Es wird deutlich, dass sich dieser Aufbau an das Prinzip vom Einfachen zum Komplexen hält und von einem ganzheitlich-analytischen Verständnis heraus betrachtet wird. Auch wenn ERP eine eigene Komplexitätsebene darstellt, soll nochmals betont werden, dass ERP als Instrument zur Reflexion betriebswirtschaftlicher Inhalte dient und nicht das System im Vordergrund steht. Der spiralige Aufbau mit dem Wechselspiel zwischen LiM und LaM ist die grundlegende Sequenzierung im Curriculum. Im Vordergrund steht dabei eine zeitlich enge Verzahnung vom LiM und LaM. Neben dem spiraligen Aufbau von Lernsituationen sind im Curriculum noch zwei weitere Sequenzierungsmethoden vorhanden.

Zum einen erbringen das LiM und das LaM wechselseitige Vorleistungen, d.h. neue Inhalte wie z.B. Personal werden im Rahmen des Lernens am Modellunternehmen entwickelt. Dies geschieht nicht nur theoretisch, sondern auch im Hinblick auf eine ERP-Integration. Erst nach Abschluss dieser Arbeiten wird das Personal ins Modellunternehmen übernommen. So lassen sich Theorie und Praxis miteinander verbinden und die Ebenen des LiM und LaM erbringen einander vorleistende oder nachbereitende Tätigkeiten. Zum anderen laufen d as LiM und das LaM parallel ab. Es bestehen Phasen, in denen auf den beiden Ebenen keine enge Verzahnung durchgeführt werden kann. Dies führt zu einem parallelen Ablauf auf den Ebenen.

3.3  Reflexionsniveau

3.3.1 Theoretischer Rahmen

Dieses Niveaukriterium bezieht sich auf die Erfahrungen eines Schülers mit sich selbst. „Also die Erfahrung damit, ob eigenes Wissen und Können sich in der handelnden Auseinandersetzung mit der Umwelt bewähren. Indem der Mensch sich selbst, seine Kompetenzen, sein Handeln, aber auch seine Emotionen zum Gegenstand seines (Nach-) Denkens macht, entfaltet er seine spezifische Möglichkeit der Reflexivität“ (ACHTENHAGEN et al. 1992, 127 f.).

Beim Lernen im Modell mit ERP soll durch Reflexion eine Verbesserung des funktionalen Handelns als auch individueller kognitiver Grundlagen ermöglicht werden (vgl. ACHTENHAGEN et al. 1992, 128). Bei ERP kann es sich zum einen auf die Fertigkeit im Umgang mit dem System beziehen, d.h. der Anwendungskompetenz. Zum anderen – und dies ist der für die kaufmännische Ausbildung relevantere Aspekt – sollte die Handlungskompetenz in dem Sinne verbessert werden, dass der Schüler sein Wissen über die Informationsgewinnung, die Analyse, die Umsetzung seiner Entscheidungen im System sowie dessen Kontrolle verbessert hat. Damit verbunden sind auch systemunabhängige Kompetenz- und Wissenserweiterungen in ökonomischer wie auch sozialer Hinsicht wie z. B. Geschäftsprozessanalysen.

Die Reflexion beim Lernen am Modell dient der Prüfung, inwieweit die bei der Auseinandersetzung mit der komplexen Problemsituation gemachten Erfahrungen sowie das erworbene Wissen und Können auf die außerschulischen Bedingungen übertragbar sind. Gegenstand der systematischen Wahrnehmung, Deutung und Bewertung sind die Modellstrukturen und Arbeitsprozesse in Bezug auf die modellierte Lernumwelt in ihrer Gesamtheit als Erkenntnis- und Erfahrungsmodell. Dabei sollten Unterschiede und Analogien des Modellunternehmens und der darin bestehenden Tätigkeiten zu realwirtschaftlichen Gegebenheiten herausgearbeitet werden. Dies impliziert die spezifische Qualität einer Selbstreflexion (vgl. ACHTENHAGEN et al. 1992, 129).

Es stellt sich die grundlegende Frage wie das Konzept der ERP-Einbindung ein Reflexionsniveau berücksichtigt, das sich sowohl auf das funktionale Handeln und die kognitiven Grundlagen als auch auf die damit verbundenen Bezüge zu theoretischen Modellen und realwirtschaftlichen Gegebenheiten bezieht.

3.3.2  Umsetzung des Reflexionsniveau

Geprägt wird das Reflexionsniveau durch die Verzahnung der Ebenen LiM und LaM. Dabei ist das LaM wesentliche Reflexionsebene. Sie wird geleitet von der Frage, wie Inhalte mit ERP so aufbereitet werden können, dass eine Verzahnung zwischen den Ebenen möglich ist und diese auf der Geschäftsprozess-Controlling-Ebene reflektiert werden können.

Ansatzpunkt der Reflexion ist das LiM, denn im Wesentlichen wird aus der Erfahrung des Handels reflektiert, systematisiert und gelernt. Es liefert die thematischen Einheiten, die aufbereitet werden müssen. Die Schüler haben die Datenbestände selber erarbeitet und kennen die damit verbundenen Probleme inhaltlich. Bezugspunkt jeder Reflexion des Handelns im Modellunternehmen ist der Geschäftsprozess. Man erfährt einen Prozess, einen Gegenstand, den man sich erarbeitet hat, und fängt an darüber nachzudenken. Fehler in einem Prozess können mit einer Analyse nur aufgedeckt werden, wenn sich der Schüler in dem Prozess gedanklich bewegen kann. Es bedarf einer „Rückwärtsplanung“. Das ist die Problematik, für die ERP notwendig ist. Fehler im System zu finden ist sehr wertvoll für ERP-Unterricht.

Diese auf den Erfahrungen des Handelns basierende Reflexion und Systematisierung ist die bevorzugte Vorgehensweise im Unterricht. Für eine nachhaltige Festigung des Wissens ist eine enge zeitliche Verbindung notwendig. Die Reflexion kann sich beim LaM auf verschiedene Ausgangspunkte beziehen. Schwerpunktmäßig lassen sich für das Schulkonzept dabei zwei hervorheben: (1) Die Reflexion des Geschäftsprozesses in Bezug auf die elementaren Prozessschritte und (2) in Bezug auf ein mehrdimensionales Controlling aus gesamtunternehmerischer Sicht. ERP liefert die für eine Analyse notwendigen Datenbestände und Infosysteme.

(1) Die Reflexion auf Ebene der elementaren Geschäftsprozessschritte erfolgt mit engem Bezug zu ARIS®. Unter Berücksichtigung der Ablauforganisation werden alle Prozesse des Modellunternehmens als EPK aufgenommen und in ARIS® übernommen. Dies läuft während der Ausbildung parallel zu den Tätigkeiten im Modellunternehmen. Außerdem wird damit die Thematik des Workflows in den Unterricht integriert. Nach Planungen der Schule soll nach erfolgreicher Integration einer Produktionsabteilung der Aspekt des Workflows aufgenommen werden. Die Folge wäre, dass die Schüler vorgefertigte und vorgegebene Workflows bekommen, die sie zu bearbeiten haben. Bestimmte Schüler dürfen als Mitarbeiter des Unternehmens dann auch nur zugewiesene Workflows ausführen. Die Außensteuerung kann dabei lenkend eingreifen. Für eine Reflexion bietet ein derartiger Themenbereich umfassende Möglichkeiten. Es können Aspekte wie Aufbau- und Ablauforganisation aber auch soziale Themen wie Kontrollierbarkeit, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretung aufgegriffen werden.

(2) Ein weiterer Ausgangspunkt für die Reflexion ist der Geschäftsprozess im Hinblick auf ein mehrdimensionales Controlling aus gesamtunternehmerischer Sicht. Da das Modellunternehmen zurzeit noch einen reinen Handelsbetrieb darstellt, ist das Controlling relativ einfach. Es geht über den Roherfolg und Betriebserfolg sowie Umsätze und Differenzen nicht hinaus. Deshalb wird für den Ausbildungsberuf des Bürokaufmanns, der auch Kosten- und Leistungsrechung behandeln soll, das Modellunternehmen zum Produktionsbetrieb ummodelliert. Dies beinhaltet die Produktion verschiedener Artikel und die damit verbundene Umlage der Gemeinkosten. Das eigentliche Controlling kann nur durch eine Produktion vermittelt werden. Dies soll im Rahmen des neuen Konzeptes umgesetzt und in ein dynamisches Modellunternehmen integriert werden.

Ein weiterer Aspekt der Reflexion über das Geschäftsprozess-Controlling ist, dass damit strategische und normative Überlegungen, Problematiken und Entscheidungen verbunden werden, mit denen die Schüler sich auseinandersetzen müssen. ERP bietet dafür alle Möglichkeiten. Beispielhaft dafür wäre, dass im Unternehmen ein großer Kundenauftrag aquiriert wurde, aber das Geld fehlt, um die für die Produktion oder den Handel notwendigen Waren und Rohstoffe zu kaufen. Darauf aufbauend sind kurzfristige aber auch langfristige strategische Entscheidungen notwendig. Die Lehrkraft hat durch die Außensteuerung zu entscheiden, wie in diesem Fall weiter vorzugehen ist. Sie wählt die Themen aus, die weiter zu analysieren sind. Steht der Prozess der Illiquidität im Vordergrund, so werden Themen wie „Bankkredite aufnehmen“ oder „Bilanzabschluss“ wichtig. Soll der Prozess zur Bearbeitung des Kundenauftrages im Mittelpunkt stehen, dann besteht die Möglichkeit den Schülern über die Außensteuerung einen Kunden einzuspielen, der genau das nachfragt, was auf Lager ist, so dass die Liquidität für den gefährdeten Auftrag gewahrt bleibt. In diesem Fall könnten in Bezug auf die Warenbeschaffung die Konditionen beim Lieferanten zu prüfen sein. Dies ermöglicht einen Einstieg in die Konditionenpolitik oder auch in den Angebotsvergleich. Es besteht für die Lehrkraft die Möglichkeit, den Prozess bzw. das Problem im Modellunternehmen zu analysieren oder in den Bereich des Lernens am Modellunternehmen zu transferieren. Mit Hilfe eines Klassensatzes Laptops kann der Lehrer flexibel handeln und beschränkt die Tätigkeit mit ERP nicht auf das LiM.

Dieses Reflexionsniveau macht deutlich, dass neben dem funktionalen Handeln vor allem die mehrdimensionale Betrachtung eine wesentliche Rolle spielt. Es können komplexe und vielfältige Situationen geschaffen werden, die den Schülern ein hohes Maß an Eigenverantwortung und selbstgesteuertem Handeln abverlangen. Die vielfältigen und vor allem flexiblen Möglichkeiten der Steuerung und Reflexion des Handelns schaffen weitreichendes Verständnis für das komplexe System Unternehmen. Darüber hinaus ermöglichen die mehrdimensionalen Betrachtungen des Geschäftsprozesses in Bezug auf Informations-, Wert- und logistische Flüsse sowie in Bezug auf strategische und normative Ebenen den Aufbau von Wissen, das nach den Prinzipien des Lernhandelns ausgeprägte Handlungskompetenzen ermöglicht. Wird mit dem Konzept der geplante Workflow-Gedanke umgesetzt, so stellt dies eine weitere Dimension des Handelns mit ERP dar, in der die Schüler zwingend prozessorientiert arbeiten müssen.

4.  Schlussbetrachtung und Ausblick

Die zentrale Frage des Beitrages ist, wie die Einbindung von ERP zur Verzahnung von Prozess und Systematik in kaufmännischen Ausbildungsberufen erfolgen kann. Die Notwendigkeit einer Einbindung in den Unterricht lässt sich über den Begriff des Geschäftsprozesses rechtfertigen.

ERP als Lernmittel

ERP wird für den Unterricht in erster Linie als Lernmittel eingesetzt. Nur unter dieser Zielsetzung ist es möglich, die Einbindung im Hinblick auf die Verzahnung von Prozess und Systematik zu gewährleisten. Dennoch ist es notwendig, den Umgang mit dem System zu erlernen, um bei komplexeren Problemen nicht der großen Funktionalität und Komplexität zu erliegen. Damit verbunden ergibt sich die Gefahr, dass Schüler vom Umgang mit ERP überfordert werden.

Das vorgestellte Konzept hat den Anspruch, nicht die Komplexität des ERP-Programmes in den Vordergrund zu stellen, sondern die Komplexität von Unternehmensprozessen und betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen. ERP nimmt dabei die Stellung eines Übungssystems, eines Problemlösungssystems oder eines Cognitv-Tool ein und eröffnet Möglichkeiten sich auf fachsystematische Lerninhalte zu beziehen. Allein der Einsatz als Lernmittel reicht jedoch nicht aus eine Verzahnung von Prozess und Systematik sicherzustellen. Dem Ansatz des Lernhandelns folgend bedarf es einer Reflexion, um aus dem Handeln zu lernen und dieses in handlungskompetentes Wissen zu transferieren.

ERP im Rahmen eines ganzheitlich-analytischen Spiralcurriculums

ERP kann auf verschiedene Weise Bestandteil des makrosequentiellen Curriculums sein. Die Orientierung an einem ganzheitlich-analytischen Ansatz ist für beide Konzepte erfüllt. Aufbauend auf einem ganzheitlichen Verständnis für Geschäftsprozesse in Unternehmen wird ERP in den Unterricht eingebunden.

Wie bereits festgestellt, ist die Ausrichtung an einem spiralig aufgebauten Curriculum wesentlicher Bestandteil der Konzeptes am OSZ B+D. ERP wird in diesem Konzept umfassend in den kaufmännischen Unterricht sowohl im Modellunternehmen als auch zur Reflexion integriert. Das System wird genutzt, um kaufmännisches Denken zu schulen.

ERP und das Reflexionsniveau

Zur qualitativen Verzahnung von Geschäftsprozess und Systematik ist das Reflexionsniveau das wesentliche Element, das zum Gelingen beiträgt. Es hat sich herausgestellt, dass es zum einen in hohem Maße von der Qualität des Modellunternehmens und der darin repräsentierten Inhalte abhängt. Zum anderen wird es durch das Maß der genutzten Funktionalität und der Integration von Daten in der ERP-Software bestimmt. ERP bietet die Möglichkeit, vielfältige und mehrdimensionale Anknüpfungspunkte zu fachsystematischen Inhalten herzustellen. Bleibt die Reflexion des Arbeitens mit ERP auf dem Niveau des arbeitsanalogen Lernhandelns, so bezieht sich das Reflexionsniveau in erster Linie auf das funktionale Handeln der Schüler. Damit verbundene fachsystematische Inhalte können im systematisierenden Unterricht aufgegriffen werden. Anders verhält es sich, wenn die Reflexion neben den elementaren Geschäftsprozessschritten auch auf Ebene der gesamtunternehmerischen Geschäftsprozesssicht Bezug nimmt. Durch ERP und die in diesem Programm abrufbaren Informationssätze können umfassende Analysen und Kontrollen der Tätigkeiten im Modellunternehmen durchgeführt werden, die Entscheidungen auf strategischer und normativer Ebene nach sich ziehen. Die damit verbundenen Potentiale sind noch nicht ausgeschöpft.

Für die Entwicklung eines Konzeptes zur Integration von ERP-Programmen in kaufmännische Curricula zur Verzahnung von Prozess und Systematik sind besondere Aspekte zu berücksichtigen.

(1) Der Umfang der ERP-Integration kann und wird bereits durch den begrenzten Zeithorizont bestimmt, den eine duale Ausbildung im Gegensatz zu einer vollzeitschulischen Ausbildung aufweist. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Zeit ein Fixum darstellt oder innerhalb des Zeitguthabens für eine Ausbildung eine ERP-Integration eine größere Zeitzuteilung bekommt.

(2) Die ERP-Integration in kaufmännische Curricula wird nur von der Akzeptanz der Lehrkräfte getragen. Die darin integrierten Lehrkräfte müssen eine entsprechende Ausbildung bekommen haben. Entweder wird das Maß der Integration an die Bereitschaft und Motivation der Lehrer bewusst angepasst oder das Curriculum überzeugt die Lehrkräfte und führt zu einer gewissen Eigendynamik der weiteren Entwicklung.

(3) Der letzte Ausblick ist auf das Reflexionsniveau gerichtet sein. Die Verzahnung von Geschäftsprozessen und der Fachsystematik hängt vor allem von der Qualität der Reflexionen zwischen den beiden Ebenen ab. Es wird deutlich, dass es Schwierigkeiten bereitet, ERP und die darin enthaltenen Potentiale in vollem Umfang in den Unterricht zu integrieren. Das OSZ B+D ist durch das große Zeitkontingent in diese Richtung weit vorangeschritten, aber auch hier liegt die meiste Arbeit in der Gewährleistung einer qualitativen und schlüssigen Reflexion der im Modellunternehmen entstandenen Problemsituationen auf Geschäftsprozessebene. In diesem Bereich liegt ein wesentlicher Teil der curricularen Arbeit bei der ERP-Integration.

 

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