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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Unternehmerischen Erfolg planen und umsetzen – Einsichten in ein Wirtschaft-live-Projekt


 

 


1. Organisatorischer Rahmen

Schüler sollen durch sinnhaftes Handeln erarbeitetes Wissen verstehen und anwenden. Dadurch sollen sie ein Können erlangen, das sie reif für die Ausbildung macht. Soweit das Selbstverständnis vieler Kolleginnen und Kollegen an den BBSen des Landkreises Oldenburg in Wildeshausen. Allein die Realität im Unterricht gerade lernschwacher Klassen sah und sieht anders aus. Um nun berufsnahe Handlungen mit hohem Realitätsbezug in den Unterricht einzubinden, fanden sich 2001 Kollegen aus den Berufsfeldern Holz, Metall sowie Wirtschaft und Verwaltung zusammen, um anhand eines Wirtschaft-live-Projektes inhaltlich relevantes Vorwissen, die Sachverhalte der einzelnen Lernumgebungen und die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler in den Berufsfeldern miteinander zu verbinden. Ausgehend vom Wirtschaftspraxisunterricht einer zweijährigen BFS-Wirtschaft wurde eine Zusammenarbeit mit BVJ- und BGJ-Klassen in den Feldern Holz und Metall aufgebaut.

Neben der realitätsbezogenen Anwendung fachspezifischer Inhalte steht vor allem die Weiterentwicklung der Handlungs- und Sozialkompetenzen der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt der berufsfeldübergreifenden Kooperation (siehe Grafik). Um Unterrichtsinhalte erlebbar zu gestalten, stand daher von Beginn an die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler in möglichst allen gewerblichen und kaufmännischen Entscheidungsbereichen im Vordergrund der pädagogischen Planungen. Ein steter Austausch zwischen Lehrern und Schülern der Berufsfelder wurde vereinbart. Probleme zwischen den Schulformen werden dabei nicht von den Lehrern gelöst, sondern gemäß den von den Schülerinnen und Schülern erarbeiteten Grundsätzen des miteinander Arbeitens angegangen.


2. Von der Planung bis zur Gründung

2.1 Das Schülerunternehmen BBS Power AG als Unterrichtskonzept

Um den Ansprüchen des schüleraktiven und selbstverantwortlichen Unterrichts durch ein Schülerunternehmen gerecht zu werden, wurde von den Kollegen unter Mithilfe ortsansässiger Banken und der Wirtschaftsförderung des Landkreises Oldenburg ein inhaltlicher Rahmen gesteckt (siehe Grafik), der das unternehmerische Denken der Schülerinnen und Schüler fördert. Die wesentlichen Inhalte wurden dabei in insgesamt zehn Lerneinheiten unterteilt, an deren Ende die Gründung der Schülerunternehmung BBS Power steht. Damit ist die Gründungsveranstaltung in jedem Jahr ein wichtiger Bestandteil der Arbeit in der Schülerunternehmung.

Schnell wurde ersichtlich, dass die Ideen und das geplante Vorgehen nur dann sinnhaft und nachhaltig wirken können, wenn diese ausformuliert und damit jederzeit überprüfbar gemacht werden. In Zusammenarbeit mit dem Oldenburger Offis-Institut wurde eine Anwendung entwickelt, die es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, die gewonnenen Ideen, Entscheidungen und Informationen übersichtlich zu sichern.

2.2  Fächerverzahnung

Die komplexe Ausrichtung unternehmerischer Tätigkeiten findet sich in Schülerunternehmen wieder. Daher ist es wichtig, die Schülerinnen und Schüler aktiv einzubinden, damit die gewonnenen Informationen und Ideen in einem schülerbezogenen und gleichfalls strukturierten Verarbeitungsprozess vom Schüler durchdrungen werden können. Dieses setzt eine fächerübergreifende Vernetzung der Lerninhalte voraus.

In der BBS Power AG werden die für die Schülerinnen und Schüler teils abstrakten Fachinhalte der Fächer AWL und Rechnungswesen innerhalb des Bezugsrahmens der Schülerunternehmung integriert und dadurch realitätsnah und erfahrbar in geordnete Wissensstrukturen übertragen. Am Beispiel der dauerhaft ausgerichteten Kundenorientierung der BBS Power AG wird von Seiten der Unternehmung der Bedarf an Marktinformationen deutlich, um die eigenen Produkte an den Wünschen der potenziellen Kunden ausrichten zu können. So wird, nachdem in Wirtschaftspraxis (WP) die Produktideen definiert sind sowie die Prototypen gebaut sind, in AWL der Kundennutzen der Produkte definiert. Darauf aufbauend wird eine Marktforschung geplant und in WP durchgeführt sowie ausgewertet. Die Ergebnisse geben Informationen über die Kundenprofile und konkrete Kundenwünsche zu den jeweiligen Produkten. Diese Ergebnisse werden mit den Schülern aus dem gewerblichen Bereich besprochen. Die aus der Marktforschung gewonnenen Daten werden dann wiederum in AWL genutzt, um einen Marketingmix für die einzelnen Produkte zu gestalten. Die Entscheidungen des Marketingmix werden im Businessplan gesichert und dem laufenden Geschäft ggf. angepasst.

Im belegorientierten Rechnungswesen findet die Überwachung aller geschäftlichen Prozesse statt. Mit dem Warenwirtschaftssystem von Lexware werden die Ein- und Ausgänge sowie die Lager- und Kundendaten geführt und ausgewertet.


3.  Kooperation der Berufsfelder

3.1 Tätigkeiten erkunden – Prozesse beschreiben

Kooperationen haben ein Ziel: Einen gemeinsamen Nutzen aus der Arbeit und den Fähigkeiten des Partners zu ziehen. Bei der Kooperation zwischen Handel und Gewerbe bedeutet dieses, dass das handwerkliche Können und die technischen Fertigkeiten der gewerblichen Schüler in den Bereichen Holz und Metall mit dem kaufmännischen Know-how der Handelsschülerinnen und -schüler verknüpft werden muss, um ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen zu können. Doch um eine klare Zweiteilung in Produktion und kaufmännische Abteilung zu verhindern, sind von Schuljahresbeginn an Austauschtage eingeplant. Am Beispiel der Kooperation mit dem BVJ Holz sieht dieses wie folgt aus: Nach drei Schulwochen findet eine erste Kontaktaufnahme zwischen den Abteilungen statt. Die Schülerinnen und Schüler der Berufsfachschule Wirtschaft erhalten einen Einblick in die Produktionsräume. Für die folgenden Wochen wird ein Austausch vereinbart, bei dem jeweils die Hälfte der beiden beteiligten Klassen die Schulform wechselt. Für vier Stunden werden die Wirtschafts-Schüler von der Hälfte der BVJ-Klasse und dem Fachpraxislehrer im Werkraum betreut und arbeiten dort an einem Produkt der Schülerunternehmung.

Währenddessen erarbeiten die beiden anderen Hälften der Klassen im Wirtschaftspraxis-Raum eine Prozesskette zur Darstellung der gemeinsamen Arbeitsabläufe (siehe Bild). Diese reicht von der Produktion über die Lagerung bis hin zum Verkauf. Die Schnittstellen, bei denen beide Klassen beteiligt sind, werden definiert und ein gemeinsames Handeln vereinbart. In der kommenden Woche findet ein Wechsel statt, sodass jede Schülerin/jeder Schüler einmal den gewerblichen bzw. den kaufmännischen Bereich durchlaufen hat. Dieses erste Zusammenarbeiten über die Berufsfeldgrenze hinaus garantiert den weiteren schülerverantwortlichen Austausch zwischen den Klassen. Fachbezogen werden nach Effizienz und Effektivität die wesentlichen Prozesse von den Schülerinnen und Schülern am Kunden und den unternehmerischen Zielen ausgerichtet.

3.2  „Dürfen wir einmal kurz stören“ – Ein Erfahrungsbericht

Donnerstag, den 19. Januar 2006, 5. Stunde (11.55 Uhr), BBS des Landkreises Oldenburg in Wildeshausen, Raum B 207, Klasse BVHB (Berufsvorbereitungsjahr Holztechnik):

Im Unterrichtsfach Fachtheorie Holztechnik zeichnen die Schüler gerade an der Drei-Tafel-Projektion der Königsfigur des Wikingerspiels. Da klopft es. „Herein“, rufe ich. Es treten vier Schüler der Klasse B8W2b ein. „Moin, dürfen wir mal kurz stören?“, fragen Sie höflich. „Moin!“, entgegne ich, „ihr stört doch nie.“ Ich ziehe mich auf einen freien Schülersitzplatz zurück und überlasse Alaattin (Geschäftsführer der BBS Power AG), Viola (Geschäftsführerin der BBS Power AG), Dirk (Abteilungsleiter Holztechnik der BBS Power AG) und Rina (Abteilung Holztechnik) das Feld. Alaattin richtet sich an die Schüler meiner Klasse: „Wir möchten euch über den Zeitpunkt der Gründungsveranstaltung unseres Schülerunternehmens informieren. Am Donnerstag, den 2. März 2006, ist Gründung. Die Veranstaltung beginnt um 11.00 Uhr. Wir laden hierzu den Landrat, den Bürgermeister, den Schulleiter und Vertreter von Banken und Wirtschaft ein.“ Viola verteilt währenddessen selbst erstellte Einladungsschreiben an meine Schüler.

„Wir wollten fragen, ob ihr dort eure Holz-Produkte vorstellen könnt? Das sollte etwa fünf Minuten dauern“, führt Dirk aus und blickt in die Runde. Stille. Alle gucken Manfred an. Manfred ist Werkstattleiter der Klasse und damit Sprecher der Klasse innerhalb des Schülerunternehmens. „Was müssen wir denn sagen?“ möchte Manfred wissen. „Ihr stellt eure Produkte vor, woraus ihr sie hergestellt habt, wie ihr sie gebaut habt und was so dazu gehört. Ihr kennt euch schließlich mit den Produkten am besten aus!“ entgegnet Dirk. Manfred guckt sich um und stößt auf ein zaghaftes Nicken bei seinen Mitschülern. „Klar, das kriegen wir hin!“ sagt er mit kräftiger Stimme und einer großen Portion Optimismus. Ich mache mir eine Notiz „Rede Holzprodukte“ und damit ist der Inhalt für die kommende(n) Unterrichtsstunde(n) im Fach Deutsch/Kommunikation klar: Rede schreiben. Alle Schüler sollen gemeinsam die Vorstellung der Produkte aus Holz vorbereiten, die Klasse wählt ein oder zwei Schüler aus, die die Produkte dann präsentieren.

„Ach ja, Herr Franz, wir dachten, vielleicht könnten Sie als Vertreter der betreuenden Lehrkräfte für die produzierenden Abteilungen Holztechnik und Metalltechnik eine kleine Rede halten!?“ Mir schießt es durch den Kopf – Landrat – Bürgermeister – Schulleiter - Vertreter von Banken und Wirtschaft – das wird nicht einfach… Kurz bevor mir das Herz in die Hose rutscht sage ich: „Das ist aber eine große Herausforderung, auch für mich, die ich aber gerne annehme. Wie lang soll denn die Rede sein?“ „Wir haben fünf Minuten eingeplant für Sie, Herr Franz.“, weiß Alaattin.

Nun richtet sich Viola an die Klasse: „Wir wollen uns zur Gründungsveranstaltung etwas Schickes anziehen, weil die Gründung ist schließlich etwas Feierliches. Wollt ihr euch auch schick machen?“ „Muss ich da etwa einen Anzug anziehen?“ platzt es da aus Roman heraus und er guckt mich erwartungsvoll an. Ich halte mich heraus und Viola antwortet: „Eine ordentliche Hose und ein Hemd wäre doch nicht schlecht, oder? Ihr könnt das ja in der Klasse miteinander besprechen.“

Zum Schluss stellt Dirk noch die Frage: „Wie weit seid ihr denn mit der Produktion? Wir wollen bei der Gründungsveranstaltung schließlich auch viele fertige Produkte präsentieren!“ Manfred überlegt kurz und sagt: „Wir haben schon acht Pflanzkästen fertig, jetzt arbeiten wir gerade an den Nistkästen. Wenn wir die Zeichnung fertig haben, dann beginnen wir mit dem Wikingerspiel.“

„Das war's für heute!“, sagt Alaattin, „Habt ihr noch Fragen?“. Meine Schüler haben keine mehr. Die Vier der B8W2b verabschieden sich mit einem freundlichen „Tschüss“. Meine Schüler rufen wie aus einem Munde „Tschühüss!“ und kaum sind die Vier aus der Tür verschwunden beugen sich meine Schüler über ihre Zeichnung der Königsfigur und zeichnen weiter. Denn in fünf Wochen ist Gründungsveranstaltung.

3.3  Gründungsveranstaltung beendet die Planungsphase

Nachdem die Schülerinnen und Schüler der BBS Power AG wochenlang Produktideen, Marktanalysen, Personalplanungen und Rechtsformentscheidungen in den Klassenräumen besprochen und entwickelt haben, steht der erste Meilenstein der Schülerunternehmung an: Die Unternehmensgründung. Jedes Jahr wird das Unternehmen BBS Power AG neu gegründet. Dazu werden neben Eltern, Kollegen und Schülern auch Vertreter der Wirtschaft und der Verwaltung eingeladen. In einer ca. 90 Minuten umfassenden Veranstaltung halten zunächst der Schulleiter, der Landrat, der Bürgermeister der Stadt Wildeshausen und ein Aufsichtsratsmitglied der Schülerunternehmung eine kurze Rede. Dann folgt die Vorstellung der beiden Schülerunternehmen der Schule. Bei der BBS Power AG treten dabei die Geschäftsführer auf, die einen Rückblick auf die bisherigen Tätigkeiten und einen Ausblick auf die anstehenden Aktionen und Planungen geben. Die Werkstattleiter aus den Bereichen Holz und Metall stellen daraufhin die Produktionsweisen der Produkte dar. Bei Kaffee und Kuchen werden abschließend die Produkte und die dazu gehörigen Planungen mit den interessierten Gästen diskutiert. Die ersten Bestellungen werden hier bereits angenommen.

Die Mitarbeiter der Abteilung Rechnungswesen verkaufen derweil die Aktien der BBS Power AG mit dem Hinweis, dass in den vergangenen Jahren stets eine Rendite für die Aktionäre erzielt wurde, die ihre Aktien am Schuljahresende wieder eintauschen können.

Weitere Informationen unter: www.bbspower.de