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 bwp@ Ausgabe Nr. 11 | November 2006
Qualifikationsentwicklung und -forschung für die berufliche Bildung

Kompetenzstandards als Grundlage beruflicher Zertifikate


 

 


1. Ziele europäischer Berufsbildung

Die Diskussion über den Vorschlag zum Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) findet zurzeit überwiegend nur auf fachlicher Ebene statt. Gleichwohl sind alle Bürgerinnen und Bürger Europas betroffen, die sich im Prozess des lebenslangen Lernens befinden, und dies sollten möglichst alle sein. Ein europäisches Ziel ist die Verwirklichung eines gemeinsamen Bildungsraumes (vgl. KOPENHAGEN-DEKLARATION 2002), in dem jeder Einzelne gefordert ist kontinuierlich zu lernen. Der Europäische Rat weißt darauf hin, „…, dass die Zukunft der europäischen Wirtschaft (und Gesellschaft) von den Fertigkeiten ihrer Bürger abhänge und dass diese wiederum ständig aktualisiert werden müssten, was für Wissensgesellschaften kennzeichnend sei.“ (EU KOMMISSION 2003, 5). Lernprozesse können dabei überall stattfinden, ob im Arbeitsalltag oder explizit durch Weiterbildung. Dabei stellt sich die Frage, wie eine Lernende oder ein Lernender eine Qualifikation belegen kann, wenn diese nicht auf einem formal anerkannten Zertifikat basiert. Sollen berufliche Zertifikate für eine Karriere genutzt werden können, so muss auf nationaler Ebene geregelt sein, welche Qualifikationen potenziell anerkannt, geprüft und zertifiziert werden können.

Nach dem Willen der Europäischen Kommission soll durch den EQR die Transparenz von Qualifikationen verbessert werden. Ein anspruchsvolles Vorhaben, wenn man die unterschiedlichen Bildungssysteme in Europa berücksichtigt. Bislang regelt eine Vielzahl von bilateralen Abkommen die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen und beruflichen Qualifikationen. Dieser Umstand trägt eher zur Undurchsichtigkeit bei und behindert die Mobilität von Arbeitskräften. Ein gemeinsamer Bezugspunkt ist jetzt durch den EQR entstanden. Mit ihm können Qualifikationen verglichen und in Beziehung gesetzt werden. Darüber hinaus sollen sich mit Hilfe des EQR individuelle Kompetenzen einordnen lassen, die durch informelles Lernen erworben wurden (vgl. EU KOMMISSION 2006).

Der Europäische Qualifikationsrahmen beinhaltet acht Referenzniveaus, die über Deskriptoren näher definiert sind. Mit diesen acht Niveaustufen soll es möglich sein, alle Qualifikationen einzuordnen. D.h. sowohl schulisch-akademische als auch berufliche Bildung kann mit dem EQR gleichwertig eingestuft werden. Der Qualifizierungsstand einer Person lässt sich dadurch einfach darstellen. Mit dem EQR wird ein durchgängiges Referenzsystem zur Verfügung gestellt, das es ermöglicht, Qualifikationen von der beruflichen Erstausbildung über Weiterbildung bis zur höheren Bildung unabhängig vom Bildungssystem zu vergleichen. Die Beschreibung der Niveaustufen wird im aktuellen Entwurf des EQR über die drei Kategorien Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen vorgenommen. Mit notwendigerweise abstrakten Deskriptoren – da der EQR als Meta-Rahmen fungieren soll – wird für jede Niveaustufe beschrieben, welche Arbeits- bzw. Lernergebnisse erwartet werden. Allgemein wird damit formuliert, „was eine Lernende/ein Lernender nach Abschluss eines Lernprozesses weiß, versteht und in der Lage ist zu tun“ (EU KOMMISSION 2006, 11).

Aus der Perspektive der deutschen Akteure im Bereich der beruflichen Bildung besteht ein breiter Konsens über die Ziele höhere Transparenz und kompetenzorientierte Beschreibung von Qualifikationen. Dies wird aus den deutschen Stellungnahmen zum Konsultationsprozess deutlich. Verzichtbar halten das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Kultusministerkonferenz in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum Entwurf des EQR die Zuordnung von Bildungsabschlüssen zu den Niveaustufen des EQR (vgl. BMBF/KMK 2005), wie es in Tabelle 2 des Entwurfs zum EQR vorgenommen wurde (EU KOMMISSION 2005a, 28-30). Die Hinweise auf Bildungsabschlüsse, Lernorte oder Lernzeiten widersprechen der Absicht, eine outcome-orientierte Beschreibung von Lernergebnissen zu verfolgen. In der aktuellen Version des EQR-Entwurfs (vgl. EU KOMMISSION 2006) wurde, wohl nicht zuletzt wegen der deutschen Kritik, deshalb auf die zusätzlichen Informationen zu den Niveaustufen verzichtet.

2. Nationale Umsetzung europäischer Bildungsziele

In ihrer Pressenotiz „Der Europäische Qualifikationsrahmen: Qualifikationen aus ganz Europa verständlich gemacht“ vom 5. September 2006 empfiehlt die Europäische Kommission, „dass die Mitgliedstaaten ihre nationalen Qualifikationssysteme (bis 2009) an den EQR koppeln“ ( EU KOMMISSION 2006b ). Um den Europäischen Qualifikationsrahmen als Referenzinstrument nutzen zu können, sind die verantwortlichen nationalen Institutionen gefordert, Qualifikationen in adäquater Weise darzustellen. Ein Klassifizierungsschema liefern Nationale Qualifikationsrahmen. In Deutschland müsste ein Nationaler Qualifikationsrahmen (NQR) noch entwickelt werden. Die Bereitschaft hierzu wurde bereits von politischer Seite signalisiert. Im Berufsbildungsbericht 2006 heißt es, „ …, hat die Bundesregierung ihre Absicht bekräftigt, in Deutschland die Entwicklung eines bildungsbereichsübergreifenden Nationalen Qualifikationsrahmen zu prüfen.“ (BMBF 2006, 12).

Vorarbeiten zum deutschen NQR werden vom Bundesinstitut für Berufsbildung unternommen. Von dieser autorisierten Stelle aus sieht man die Entwicklung eines NQR eng an den Entwurf des Europäischen Qualifikationsrahmens geknüpft, mit dem Ziel: „ … von vornhinein die transnationale Anschlussfähigkeit von in Deutschland erworbenen Qualifikationen zu gewährleisten.“ (vgl. HANF/ REIN 2006). Neben der europäischen Intention bestehen nationale Ziele, die sich auf die denkbare Anerkennung von Lernleistungen auf höhere Qualifizierungsmöglichkeiten beziehen. Beispielsweise die Anerkennung erworbener Kompetenzen aus der Berufvorbereitung auf eine Berufsausbildung oder von Qualifikationen der beruflichen Aus- und Weiterbildung auf ein Hochschulstudium. Die Durchlässigkeit würde sich dadurch im deutschen Bildungssystem erhöhen. So könnten Schülerinnen und Schüler, die sich in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen befinden, mit einer Anerkennung ihrer Lernleistungen auf eine Berufsausbildung rechnen. Dadurch könnten Dopplungen korrespondierender Lerninhalte vermieden und somit auch Kosten für unnötige Warteschleifen reduziert werden. Darüber hinaus könnten gut qualifizierte Facharbeiter zu einem Hochschulstudium zugelassen werden, ohne in einer Bildungssackgasse zu landen, weil ihnen der formale Bildungsabschluss für die Zulassung fehlt.

3. Optionen kompetenzorientierter Zertifizierungssysteme

Dicht verbunden mit der Realisierung eines Nationalen Qualifikationsrahmens in Deutschland ist die Frage nach einer kompetenzorientierten Zertifizierung von beruflichen Qualifikationen. Die Extension und Relevanz solcher beruflichen Zertifikate, im Sinne der europäischen Bildungsziele, würde über den bisherigen Rahmen hinausgehen. Arbeitsmarktrelevante Zertifikate wie der Facharbeiterbrief setzen einen durch Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen geregelten Bildungsgang voraus, der mit einer Kammerprüfung abschließt. Diese auf formalen Abschlüssen beruhende berufliche Qualifizierung hat in Deutschland in Form der dualen Ausbildung eine lange Tradition und genießt in der Gesellschaft hohes Ansehen. Inhaber entsprechender Zertifikate identifizieren sich – meist ein Leben lang – mit dem dadurch verknüpften Berufsbild.

Einen Bildungsabschluss als Einheit für eine individuelle berufliche Karriereplanung zu nutzen wird jedoch für jene problematisch, deren Ausbildung lange zurück liegt, die nicht in dem erlernten Beruf tätig waren, die ihren angestrebten Ausbildungsabschluss vorzeitig abgebrochen haben oder deren Qualifikation in einem anderen Land erworben wurde und auf dem lokalen Arbeitsmarkt nicht bekannt ist. Um den Anforderungen globaler werdender Arbeitsmärkte gerecht zu werden, sind Bildungszertifikate gefordert, die den aktuellen Stand der Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Arbeitnehmers abbilden. Ein kompetenzorientiertes Zertifizierungssystem mit Bezug auf den Europäischen Qualifikationsrahmen würde für alle Arbeitnehmer im In- und Ausland Vorteile bringen, die „aufsteigen, umsteigen, oder sich neu positionieren wollen“ (BLÖTZ et al. 2005, 1). Sie erhielten die Möglichkeit „aktuelle Kompetenzen, die über den formal zertifizierten liegen, angemessen zu berücksichtigen und anzuerkennen, etwa bei beruflichen Ausgebildeten mit komplexer Berufserfahrung“ (ebenda).

Der Wert eines beruflichen Zertifikats ist diffizil zu bestimmen, wenn es sich um ein Arrangement von Bildungsinhalten handelt, die formal nicht einer anerkannten Qualifikation entsprechen. Solange dem Inhaber des Zertifikats lediglich die Teilnahme an einem Bildungsgang bescheinigt wird, ohne dass eine anerkannte Überprüfung der neu erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten einhergeht, ist die Verwertbarkeit für den Arbeitsmarkt eher gering. Die Bemühungen müssen soweit gelenkt werden, dass für alle Nutzer der Bildungssysteme die Qualifikationswege transparent sind, wobei die Nutzung und arbeitsmarktliche Verwertung der Bildungsangebote durch einfach handhabbare Prozedere gekennzeichnet sein sollten. Im Kontext des Europäischen Qualifikationsrahmens wird eine Beschreibung der Lernergebnisse gefordert, die unabhängig von Lernort und Zeit die erlangte berufliche Kompetenz vergleichbar darstellt. Da die Umsetzung freiwillig ist und die Anrechenbarkeit kompetenzbasierter Bildungszertifikate auf nationaler Ebene geregelt werden muss, ist es meines Erachtens notwendig die Form der Zertifikate zu standardisieren. Das heißt die Inhalte entsprechender Zertifikate nach einer einheitlichen Methode zu identifizieren und darzustellen.

Dies bedeutet aber nicht, dass Bildungsinhalte standardisiert werden müssen. Vergleicht man eine berufliche Ausbildung auf nationaler Ebene, so sind die inhaltlichen Schwerpunkte an verschiedenen Lernorten durchaus unterschiedlich gesetzt. Bezogen auf Deutschland wird dies deutlich, wenn man beispielsweise eine Ausbildung eines bestimmten Berufes in verschiedenen Betrieben untersucht, so wird je nach Branche ein bestimmtes Berufsbild mit individuellen Nuancen ausgebildet. Dennoch verbindet man mit dem Beruf eine bestimmte Vorstellung, was jemand mit dieser Qualifikation für Fähigkeiten haben sollte, unabhängig davon ob die Ausbildung in einem großen Industrieunternehmen oder in einem Kleinbetrieb absolviert wurde. Wird berufliche Qualifizierung europaweit betrachtet, können Qualifikationen in den einzelnen Ländern durch ganz unterschiedliche und sehr vielfältige Ausbildungswege erworben werden. Auch hier sind trotz unterschiedlicher Bildungsmöglichkeiten Kompetenzen ausgebildet, die es Unternehmen ermöglichen ein bestimmtes Produkt zu fertigen oder eine Dienstleistung auszuführen, egal in welchem Land.

Neben dem Ordnungsaspekt geht es um den konkreten Wert der beruflichen Zertifikate. Die „Bildungs-Währung“ soll ein Leistungspunktesystem in Form einer bestimmten Anzahl von Credits für eine Qualifikation darstellen. Die Vorstellung einer gemeinsamen europäischen „Bildungs-Währung“ wird dadurch erschwert, dass in den einzelnen Ländern ein unterschiedliches Verständnis zu einer Einheit im Sinne einer beruflichen Qualifikation vorherrscht. In Großbritannien (vgl. PILZ 1999) bestehen schon langjährige Erfahrungen mit einem eher kleingliedrigen System nationaler Qualifikationen, während in Deutschland mit dem dualen System beruflicher Bildung ein traditionell größer geschnittenes und ganzheitliches Modell gegenübersteht. Sucht man nun den kleinsten gemeinsamen Nenner, um Arbeitnehmer die notwendige Flexibilität und Mobilität zu ermöglichen, so muss es meiner Meinung nach nicht zwangsweise zu einer Anpassung der Bildungssysteme an kleingliedrige Modelle kommen. Kritiker verbinden mit der Einführung von kompetenzbasierten Zertifizierungssystemen eine Tendenz zu kleineren Bildungseinheiten bzw. modularisierten Bildungsgängen. In einer Streitschrift, vorgelegt vom Wissenschaftlichen Beraterkreis der Gewerkschaften IG Metall und ver.di, nehmen mehrere Wissenschaftler zum Reformbedarf in der beruflichen Bildung und den europäischen bildungspolitischen Zielen Stellung. „Mit der Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) und dem Europäischen Kredittransfer und -akkumulationssystem für berufliche Bildung (ECVET) käme es zu einer „outcome“-Orientierung der beruflichen Bildung, zu einer Ablösung breiter gesellschaftlich normierter Qualifikationen durch schmale betriebsspezifische Kenntnisse und Fertigkeiten und zu einer Modularisierung der Bildungsgänge“ (BOLDER et al. 2006, 10). So stehen damit verbunden auf der einen Seite Befürchtungen, die eine Abkehr von Beruflichkeit (vgl. DREXEL 2005) und das Ende für duale Berufsbildungssysteme prophezeien, auf der anderen Seite stehen Chancen und Vorteile, die es zu nutzen gilt.

4. Akteure und Funktionen

In Deutschland spielen neben den staatlichen Institutionen eine Reihe von Akteuren eine wichtige Rolle in der beruflichen Bildung. Bei der Umsetzung von europäischen Zielen in der Berufsbildungspolitik sind auf nationaler Ebene gewachsene Gefüge zu berücksichtigen. Um ein kompetenzbasiertes Zertifizierungssystem in Deutschland zu implementieren, sind klare Strukturen und Zuständigkeiten erforderlich. Im aktuellen Entwurf des Europäischen Qualifikationsrahmens wird von der EU Kommission empfohlen, als zentrale Koordinierungsstelle für alle nationalen und transnationale Angelegenheiten im Kontext des EQRs, ein nationales Zentrum zu benennen ( EU KOMMISSION 2006a, 15). Die Aufgaben des nationalen EQR Zentrums beziehen sich insbesondere auf die Koppelung der nationalen Qualifikationen an die Niveaustufen des EQRs.

Beim gegenseitigen Anerkennen von beruflichen Qualifikationen geht es nicht nur um eine Angelegenheit auf europäischer Ebene. Ein erheblicher Teil der Umsetzung wird auf nationaler Ebene geschehen. Auch wenn in Zukunft die Mobilität von Arbeitskräften über die Ländergrenzen hinweg stärker gefördert werden soll, finden Bildungsprozesse und Anerkennungsszenarien en gros auf nationaler Ebene statt. Ausgehend von den föderalen Strukturen, einer Vielzahl von Akteuren und einer geringen regulativen Kraft des Staates, ist – und wird auch in Zukunft – in Deutschland wohl eher ein Netzwerk an Partnern für berufliche Bildung verantwortlich sein. Ein nationales EQR-Zentrum unter alleiniger Regie des Staates ist in Deutschland schwer denkbar. EULER und SEVERING bewerten die politischen Einflussmöglichkeiten in ihrem Gutachten, welches für das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Zuge der Umsetzung der europäischen Bildungsziele erstellt wurde, wie folgt: „Weil in Deutschland nicht der Staat die zentrale Rolle bei der Planung, Durchführung und Kontrolle der Berufsbildung spielt, verfügt die Berufsbildungspolitik [...] kaum über direkte Durchsetzungsmöglichkeiten in die Bildungspraxis.“ (EULER/ SEVERING 2006, 131).

Unter der Berücksichtigung der vorhandenen Strukturen wäre ein System mit Nationalen Qualifikationsrahmen und kompetenzbasierter Zertifizierung in Deutschland möglich. In folgendem Modell soll das Zusammenspiel der Akteure und der Funktionen, die ein kompetenzbasiertes Zertifizierungssystem erfordert, skizziert werden (siehe Abbildung 1: Akteure und Funktionen). Ausgangspunkt ist der Arbeitsmarkt mit der Nachfrage an qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Der Bedarf an bestimmten Qualifikationen ist branchenabhängig und kann unter einem Berufsbild subsumiert werden. Der Beruf als Ordnungsgröße erweist sich als phlegmatisch, wenn er auf die berufliche Erstausbildung reduziert wird. Im Sinne des lebenslangen Lernens muss berufliche Bildung in einem flexibleren Rahmen möglich sein.

Der Zuschnitt einer Qualifikation ist auf der administrativen Ebene zu definieren. Fachministerien, Sozialpartner und Institutionen der beruflichen Bildung müssen klare Rahmenvorgaben setzen, die von allen Beteiligten im komplexen System der beruflichen Bildung einfach zu nutzen sind. Insbesondere in der dualen Berufsausbildung wird man entscheiden müssen, ob als Einheit die Vollqualifikation gesetzt wird. Wenn Qualifikationen international vergleichbar sein sollen, ist es vorteilhaft einen kleineren gemeinsamen Nenner – im Sinne von Einheiten – zu finden. Wird der Versuch unternommen, Qualifikationen unterhalb der Facharbeiterebene zu beschreiben, so implizieren Kritiker (u.a. DREXEL 2005 ) eine Modularisierung der Berufsausbildung in Deutschland. Kontroverse Debatten wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder um das Thema Modularisierung geführt und dabei Vor- und Nachteile im internationalen Vergleich untersucht (FISCH 2005; FULST-BLEI 2003 ). In einem aktuellen Gutachten über flexiblere Ausbildungswege in der Berufsbildung (EULER / SEVERING 2006, 44 ) beschreiben die Autoren zwei Modelle für die berufliche Erstausbildung, die als Einheit fünf bis acht Bildungsbausteine beinhalten. Die beiden Modelle enthalten gleichermaßen als Strukturgröße Grund-, Spezial und Wahlbausteine. Sie unterscheiden sich lediglich in der Art der Prüfung. Während im ersten Modell alle Bausteine durch eine Abschlussprüfung zertifiziert werden sollen, finden im zweiten Modell die Prüfungen nach jedem Baustein statt. Bei dem ersten Modell würde der Status quo bezüglich des Prüfungsverhaltens beibehalten und nur für den Fall eines vorzeitigen Ausbildungsabbruchs eine Überprüfung der absolvierten Bausteine erfolgen.

Wie auch immer auf der administrativen Ebene über einen Zuschnitt und Größe von Qualifikationen entschieden wird, um die notwendige Transparenz zu erreichen, sind die Qualifizierungsmöglichkeiten und -wege in einem nationalen Qualifikationsrahmen darzustellen. Als Grundlage für die Beschreibung von beruflichen Kompetenzen können so genannte Kompetenzstandards dienen. Sie beschreiben berufliche Kompetenzen anhand des erwarteten Lernergebnisses, unabhängig von Lernort und Dauer der Kompetenzentwicklung. So ist es innerhalb eines Berufsbildes – der gesamten beruflichen Karriere – üblich, das individuell unterschiedliche Kompetenzen entwickelt werden. Anhand der Standards kann dokumentiert werden, in welchem Umfang Kompetenzen vorhanden sind und auf welcher Niveaustufe des Qualifikationsrahmens sie einzuordnen sind. Kompetenzstandards bilden das Regulativ für eine kompetenzbasierte Zertifizierung. Gekoppelt mit einem Leistungspunktesystem eröffnen sie neue Wege der Anerkennung von beruflichen Kompetenzen. Neben Zertifikaten die über formale Bildungsgänge erworben werden, liefern Kompetenzstandards eine Orientierung zur Zertifizierung von informell erworbenen Kompetenzen.

Anforderungen an beruflichen Kompetenzen ändern sich permanent. Für innovative Gesellschaften ist es erforderlich entsprechende Bildungsmöglichkeiten anzubieten, die sich an den Bedarfen eines wettbewerbsfähigen Beschäftigungssystems orientieren. Ohne Berufsbilder ständig neu ordnen zu müssen, können Kompetenzstandards aktuell und kontinuierlich an Veränderungen am Arbeitsmarkt angepasst werden. Ist auf der administrativen Ebene von den Entwicklungspartnern ein Standard definiert, können Curricula auf dieser Grundlage entwickelt werden. Wo bislang die Anforderungen einer Abschlussprüfung als heimlicher Lehrplan fungierten, weil Ausbildungsordnungen offen und allgemein formuliert sind (vgl. BREUER 2005 ), beinhalten Kompetenzstandards eine konkrete Beschreibung der erwarteten beruflichen Kompetenz und sind daher potenziell für die Curriculumentwicklung und Gestaltung von Lernarrangements nutzbar. Über die operative Ebene können Erfahrungen aus einem kompetenzbasierten Zertifizierungssystem Indikatoren für die Verbesserung von Kompetenzstandards hervorbringen. Insbesondere während der Implementierungsphase sollten durch kontinuierliche Evaluierung die Standards und das Zertifizierungssystem verbessert werden.

Die Aufgaben auf der operativen Ebene lassen sich von etablierten Institutionen bewerkstelligen, bieten aber auch Platz für neue Betätigungsfelder auf dem Bildungsmarkt. Entscheidend ist eine staatliche Akkreditierung sowohl für Bildungsanbieter als auch für Institutionen die prüfen und zertifizieren. Die Dokumentation beruflicher Kompetenzen kann im Europass erfolgen, wenn dieser als Portfoliomappe für Bildungszertifikate modifiziert wird (siehe dazu auch den Abschnitt „Kompetenzdokumentation“ weiter unten in diesem Artikel). Für den Erfolg bei der Umsetzung des skizzierten Systems ist eine kontinuierliche Qualitätssicherung über alle Ebenen unter staatlicher Kontrolle relevant. Falls ein kompetenzbasiertes Zertifizierungssystem in Deutschland eingeführt werden sollte, bleibt zu klären wer welche Rolle übernimmt. Allerdings wird sich nur dann ein Erfolg im Reformprozess verzeichnen lassen, wenn die notwendige Akzeptanz bei den Nutzern eines solchen Systems vorhanden ist.

5. Aktuelle Forschungsprojekte

Um innerhalb des ständig sich verändernden Politikflusses ein wenig mehr empirisch begründete Sicherheit anzubieten, begeben sich einige Forschungsprojekte inmitten des laufenden Entscheidungsprozesses bewusst auf die Umsetzungsebene und versuchen am Beispiel verschiedener Ausbildungsberufe herauszuarbeiten, wie sich die Vorgaben des Europäischen Qualifikationsrahmens in die Praxis umsetzen lassen. Beispielhaft sind drei Projekte hier kurz skizziert.

„In dem Leonardo-Projekt ‚ECTS für Chemiearbeiter' ( www.ects-chemie.de ) werden Grundlagen eines europäischen Referenzmodells für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Operators (Bediener und Instandhalter) in automatisierten Anlagen der petrochemischen, chemischen und der Pharmaindustrie einschließlich der Attestierung/Zertifizierung der Bildungsergebnisse erarbeitet, angewendet und erprobt.“ Mit unterschiedlichen Partnern aus neun europäischen Ländern wurde ein so genanntes „Job Competence Profile“ für Chemiearbeiter erstellt. Dazu wurden 14 Hauptkompetenzen identifiziert, die detaillierte Beschreibungen enthalten, was ein Arbeitnehmer in dem jeweiligen Bereich können sollte.

Während in dem ECTS für Chemiearbeiter Projekt ein Schwerpunkt auf dem Identifizieren gemeinsamer Kompetenzen lag, wird in einem weiteren Leonardo da Vinci Pilotprojekt stärker die Entwicklung eines Systems zum Transfer beruflicher Qualifikationen untersucht. Für die Entwicklung und Erprobung des Vocational Qualification Transfer Systems (VQTS) wurde als Modellbeispiel der Beruf des Mechatronikers ausgewählt (www.vocationalqualification.net). Mit Projektpartnern aus acht Ländern wird die Kompetenzentwicklung in einer Kompetenzmatrix dargestellt (vgl. http://www.vocationalqualification.net:8080/vq/
servlet/GetFile?id=242&typ=0&intern=0
06-10-2006). Damit möchte man eine größere Transparenz von Qualifikationen ermöglichen, um so den Transfer bei Anrechnung von beruflichen Kompetenzen zu erleichtern. Vergleichbar wie in dem Leistungspunktesystem des Hochschulbereichs (European Credit Transfer System) werden bei dem VQTS Modell Leistungspunkte mit dem Kompetenzerwerb verknüpft und in der Matrix dargestellt. Mit dem Transferverfahren erhalten Auszubildende die Möglichkeit, ihre schulisch oder betrieblich erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten als „gemeinsame Währung“ in ganz Europa einzusetzen.

Bei dem Dritten der hier vorgestellten Forschungsprojekte handelt es sich um das Projekt „Europäisierung der Berufsbildung“ (EuroB) der Volkswagen Coaching GmbH (siehe auch unter: www.vw-eurob.com ). In Kooperation mit dem Institut für Berufsbildung der Universität Kassel werden Verfahren entwickelt, um Berufsaus- und Weiterbildungsangebote in Form von so genannten Kompetenzstandards abzubilden. Aus dem Interesse der Volkswagen Coaching heraus, die eigenen Bildungsangebote an europäischen Vorgaben auszurichten, versucht man berufliche Kompetenzen - exemplarisch die Ausbildung zum Industriemechaniker und einen Weiterbildungsgang aus dem Bereich Robotertechnik – in Standards zu beschreiben. Den Schwerpunkt des Forschungsprojektes bildet die Entwicklung von Verfahren zur Definition und Validierung EQR-konformer Kompetenzstandards. Mit Hilfe solcher Standards können berufliche Kompetenzen dokumentiert und im Sinne von lebenslangem Lernen für individuelle Bildungskarrieren genutzt werden. Der Unterschied zu den in Deutschland bislang üblichen Bildungszertifikaten liegt in der Abbildung der Lernergebnisse: Die inhaltliche Beschreibung wechselt von input-orientierten zu outcome-orientierten Zertifikaten. Bei der Definition von Inhalten der Kompetenzstandards findet eine Orientierung an den curricularen Vorgaben statt. Neben der nationalen Ausbildungsordnung und dem Rahmenlehrpan werden auch international vorhandene Kompetenzstandards berücksichtigt. Im Rahmen einer Leonardo da Vinci Mobilitätsmaßnahme für Ausbilder werden mit vier europäischen Partnern des Volkswagen Konzerns aus Portugal, Spanien, Tschechien und der Slowakei gemeinsam Kompetenzstandards entwickelt, um die Bedingungen für gegenseitige Anrechnung beruflicher Qualifikationen zu erörtern.

6. Entwicklung von Kompetenzstandards

Der hier vorgestellte Ansatz zur Entwicklung von Kompetenzstandards beruht auf den Erfahrungen aus dem Projekt EuroB der Volkswagen Coaching GmbH (vgl. EUROB 2006). Auf der Suche nach einem geeigneten Zugangsweg zum Identifizieren der Inhalte von Kompetenzstandards stehen grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Ein Bezugssystem ist der Arbeitsmarkt, an dem ein Bedarf an qualifizierten Fachkräften besteht. Die Verwendung und Einsetzbarkeit von entsprechenden Kompetenznachweisen müsste für die zertifizierte Person in hohem Maß möglich sein, wenn sich Kompetenzstandards an Qualifikationsanforderungen der Betriebe orientieren. Eine andere Möglichkeit beruht auf der Abbildung von Ausbildungsinhalten, die in der schulischen und betrieblichen Ausbildung vermittelt werden. Der Vorteil bei der Orientierung an vorhandenen Curricula der Facharbeiterausbildung besteht darin, dass Kompetenzen innerhalb gesicherter und arbeitskulturell eingeführter Grenzen identifiziert werden.

Bezogen auf den ersten Vorschlag können für die Formulierung arbeitsmarktrelevanter Standards arbeitswissenschaftliche Verfahren wie Tätigkeits- und Funktionsanalysen genutzt werden. Diese Methoden haben allerdings den Nachteil, dass sie ausgesprochen aufwändig und kostenintensiv sind. Außerdem besteht tendenziell dabei die Gefahr berufliche Kompetenzen in relativ kleinen Einheiten zu strukturieren, die zwar eine hohe Branchen- und Betriebsspezifik aufweisen aber sich nur schwer zu einem beruflichen Zuschnitt zusammenfügen lassen. In dem Projekt EuroB werden daher die Kompetenzstandards auf der Grundlage vorhandener Ausbildungscurricula formuliert. Der Vorzug dieses Vorgehens besteht darin, dass bereits geleistete Anstrengungen beispielsweise Erfahrungen aus der Neuordnung der Berufe in die Entwicklungsarbeit einfließen. Bei der Bezugnahme auf existente Ausbildungsstrukturen besteht dagegen das Manko, dass auch defizitäre Inhalte aus den Curricula übernommen werden. Um dieser Problematik aus dem Weg zu gehen, können zusätzliche Methoden wie Expertengespräche oder aktuelle Fachliteraturanalysen über den Tätigkeitsbereich herangezogen werden.

Der Aufbau eines Kompetenzstandards sollte mit einem klar formulierten Titel beginnen. Aus dem Titel muss deutlich hervorgehen, auf welche berufstypische Handlung sich die Tätigkeit bezieht. Der Titel setzt sich aus der Nennung eines Gegenstandes und dem Tun zusammen, z.B.: Produkt XY erzeugen oder bearbeiten. Um den Zuschnitt des Kompetenzstandards möglichst eindeutig zu umgrenzen, kann der Titel zusätzlich eine Spezifizierung enthalten. Die berufliche Handlung bezieht sich auf eine Tätigkeit im Arbeitsprozess, die von einer Person verrichtet wird. Da die Kompetenzstandards als Grundlage für individuelle Zertifizierung dienen sollen, das heißt eine persönliche Beherrschung einer beruflichen Handlung bescheinigen, können die Standards keine Tätigkeiten beschreiben, wo mehrere Personen in einem Arbeitsprozess erforderlich sind. Beim Identifizieren der Handlungsfelder und der Verankerung der Standards in einem Nationalen Qualifikationsrahmen sollten vorzugsweise nur Handlungen erfasst werden, die an einer breiten Palette von Arbeitsplätzen benötigt werden. Kompetenzstandards, die sich auf betriebs-produktspezifische Beschreibungen – beispielsweise den Umgang mit einer bestimmten Maschine oder Software – beziehen, sind zu vermeiden. Wenn spezielle Technologien für eine Handlung unumgänglich sind, sollten sie unter der Prämisse, dass sie der Beschäftigungsfähigkeit dienen, genannt werden.

Wenn Kompetenzstandards auf bestehende Curricula Bezug nehmen, sollten Querverweise auf die dazugehörenden Berufsbildpositionen der Ausbildungsordnung sowie die Lernfelder des Rahmenlehrplans hindeuten. Der Versuch aus den vorhandenen Curricula direkt 1:1 Kompetenzstandards zu erstellen, gestaltet sich dagegen aus mehreren Gründen schwierig. Die deutschen Curricula enthalten tendenziell eher abstrakte Inhalte. Auch wenn in neueren Lehrplänen stärker Lernergebnisse beschrieben sind, genügen sie nicht dem Anspruch europäischer Vorgaben nach einer outcome-orientierten Beschreibung. Die zugrunde liegende Struktur bei Rahmenlehrplan und Ausbildungsordnung unterscheiden sich deutlich in Dauer und Inhalten, so dass Ausbildungsinhalte aus einem Handlungszusammenhang an den Lernorten Betrieb und Schule zeitlich versetzt stattfinden und nicht zwangsweise aufeinander aufbauen. EQR-konforme Kompetenzbeschreibungen sollten eindeutig erkennbar machen, welche Kompetenzen zu prüfen sind. Gegenüber den allgemein formulierten Curricula hätten die Prüflinge durch die Standards den Hinweis, welche konkreten beruflichen Handlungen abverlangt werden.

Die Struktur der Kompetenzstandards basiert auf den Kategorien des Europäischen Qualifikationsrahmens. In den Termini von Lernergebnissen werden Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen beschrieben. Neben der inhaltlichen Definition erfolgt die Zuordnung der Standards in eine der acht Hierarchiestufen des EQR. Der EQR stellt dabei das Übersetzungsinstrument dar, innerhalb dessen die beruflichen Zertifikate zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Eine wesentliche Schwierigkeit beim Entwickeln solcher Kompetenzstandards liegt dabei im Konkretisierungsgrad der Beschreibung. Ein Tätigkeitsfeld soll auf der einen Seite so allgemein beschrieben sein, dass es auf eine Vielzahl von Ausbildungsbetrieben passt, auf der anderen Seite ist aber das Spezifische des Arbeitsprozesses hervorzuheben. Letztendlich muss dem Betrachter eines Kompetenzstandards eindeutig klar sein, über welche berufliche Kompetenz der Inhaber des Zertifikats verfügt.

Neben dem Konkretisierungsgrad der einzelnen Tätigkeitsmerkmale im Arbeitsprozess ist der Umfang eines Kompetenzstandards eine ganz zentrale Frage. Beim Zuschnitt der Standards ist u.a. zu klären, wie mit Kompetenzen umzugehen ist, die in einer breiten Anzahl von Arbeitsprozessen immer wieder vorkommen. Beispielsweise die Kommunikation mit Vorgesetzten oder Kunden. Dies sind Kompetenzen, die in einer Vielzahl von Arbeitsprozessen notwendig sind. Die gleiche Problematik stellt sich bei allen Sozialkompetenzen. Ist es etwa notwendig in mehreren Standards Teamfähigkeit zu zertifizieren oder reicht es, dies für die entsprechende Niveaustufe zu beschreiben?

In Abbildung 2 ist eine schematische Anordnung von Kompetenzstandards für einen Branchensektor dargestellt. Die inhaltliche Breite und die Tiefe eines Berufsfeldes wird zusätzlich in Kern-, Fach- und Spezialqualifikationen untergliedert. Über die Abgrenzung des Berufsbildes wird die Vollqualifikation definiert. Da sich Überschneidungsbereiche zu benachbarten Berufsbildern ergeben, besteht prinzipiell die Möglichkeit bei einem Wechsel des Tätigkeitsbereichs einen Teil der Qualifikation einzubringen. Fehlen bei einem Tätigkeitswechsel Qualifikationen, können mit Hilfe der Kompetenzstandards die Lücken einfach erkannt und eine weiterführende Qualifizierung zusammengestellt werden.

Kritiker von kompetenzorientierten Zertifizierungssystemen bemängeln die hohe Anzahl an Kompetenzbündel, die sich aus einer Differenzierung der Qualifikationen ergeben. Die deutschen Gewerkschaften verbinden hiermit eine Steigerung des Bürokratismus (vgl. GÖRNER 2005). Schaut man in Länder mit Qualifikationsrahmen, so ist festzustellen, dass die Anzahl der Units einen Umfang von 10.000 und mehr erreicht haben (z.B: Nationaler Qualifikationsrahmen von Neuseeland, http://www.nzqa.govt.nz/framework/index.html 06-10-2006). Bezogen auf Deutschland würde sich bei einer angenommenen Zahl von 20 Lerneinheiten pro Ausbildungsgang bei den etwa 350 Berufen eine theoretische Anzahl von 7000 Einheiten ergeben. Diese Rechnung ist aber so nicht zulässig, da sich Lerneinheiten in den einzelnen Berufen überschneiden (wie in Abbildung 2 schraffiert dargestellt).

Bei der Diskussion um den EQF und ECVET geht es auch um die Frage wie die Ausbildungsberufe zueinander in Beziehung stehen und welche Lerneinheiten interferieren. Reinhold WEISS vom Bundesinstitut für Berufsbildung prognostiziert eine Veränderung der bestehenden Struktur von Ausbildungsberufen in den nächsten Jahren. Mit Blick auf die beruflichen Schulen dürfte durch den Rückgang der Auszubildendenzahlen, „eine Fachklassenbildung, die bereits heute in vielen Berufen kaum möglich ist, […] dann erst recht schwierig werden.“ (WEISS 2006, 4) resümiert er in seinem Kommentar zur Beruflichkeit und Modularisierung in der Schweiz bzw. Österreich. Orientiert an Kompetenzstandards lassen sich bei äquivalenten Lerneinheiten Auszubildende einfacher gemeinsam unterrichten.

7.  Kompetenzdokumentation

Mit Hilfe der Kompetenzstandards können individuelle Lernwege dokumentiert werden. In einem weiteren Entwicklungsschritt müsste versucht werden, diese mit vorhandenen Instrumenten wie den Europass zusammenzuführen. Mit dem Europass wurde eine Grundlage für Europas Bürgerinnen und Bürger geschaffen, ihre Qualifikationen und Kompetenzen in einem Dokument in verständlicher Form darzustellen. Wie es in einem Beschluss der Europäischen Union heißt, ist man bemüht, „mit den Europass-Werkzeugen (Lebenslauf, Sprachenpass, Mobilität, Diplomzusatz und Zeugniserläuterung) einen Standard für eine bessere Vergleichbarkeit von Abschlüssen aus Studium und Beruf zu sorgen“ (EUROPÄISCHE UNION 2004). Mit dem Europass steht ein Portfolio zur Verfügung, das europaweit einheitlich aus den fünf Werkzeugen besteht. Nicht alle Teile dieser Transparenzwerkzeuge lassen eine individuelle Kompetenzdarstellung zu. So wird mit den Zeugniserläuterungen das komplette Profil eines Ausbildungsberufes allgemein beschrieben.

Besteht der Anspruch individuelle Fähigkeiten mit dem Europass hervorzuheben, müsste dieser meiner Ansicht nach um einen Bereich erweitert werden, in dem die Kompetenzstandards gesammelt werden können. Eine klar verständliche und einfach nachvollziehbare Übersicht bietet die im Rahmen des VQTS-Modell entwickelte Kompetenzmatrix (MARKOWITSCH/ MESSERER 2005). Ein allgemeines Beispiel ist in der Abbildung 3 skizziert. Ein Berufsbild lässt sich demnach in Kompetenzfelder nach Kern- und Fachqualifikationen gliedern. Während die Kernqualifikation als fester Bestandteil einer Berufsausbildung zu sehen ist, können in der Fachqualifikation betriebsspezifische Schwerpunkte gelegt werden. Übertragen auf neu geordnete Berufsbilder wie beispielsweise im Metall- oder Elektrobereich lassen sich so die Kernberufe mit den verschiedenen Fachvertiefungen darstellen.

Im Bereich der Kompetenzentwicklungsstufen findet sich die Sammlung aller absolvierten Kompetenzstandards wieder. Die gesamte Qualifikation lässt sich somit in einer Übersicht erkennen. Die Reihenfolge der dargestellten Kompetenzstandards ist nicht gleichzusetzen mit der tatsächlichen Reihenfolge von Ausbildungsstufen. Da Berufsausbildung in Deutschland an unterschiedlichen Lernorten stattfindet und Lernen in ganzheitlichen Prozessen gefördert werden soll, können Inhalte aus verschiedenen Kompetenzstandards parallel vermittelt werden. Den individuellen Charakter zeigt die Kompetenzmatrix in ihrem Bewertungssystem. Mit der Bewertung durch Leistungspunkte (Credit Points, CP) und der Einordnung auf einer Stufe des Qualifikationsrahmens kann der Professionalisierungsgrad einer Person ermittelt werden. Die Bewertung mit Leistungspunkten kann zurzeit nur als fiktive Annahme gelten, da die Vorgaben eines Leistungspunktesystems für die berufliche Bildung (European Credit System for Vocational Education and Training, ECVET) noch in Entwicklung sind (vgl. EU KOMMISSION 2005b).

Kompetenzen, die für ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten relevant sind, lassen sich kompetenzfeldübergreifend darstellen. Eine weitere Strukturierungsgröße macht eine farbliche Unterscheidung der Kompetenzstandards möglich. Geht man von derzeitigen Prüfungsmodalitäten aus, spiegeln die grün markierten Kompetenzstandards die Prüfungsinhalte bis Teil 1 einer gestreckten Abschlussprüfung und die blau markierten die Inhalte bis Teil 2 wieder. Die Auszubildenden einer Berufsschulklasse sind in der Regel in verschiedenen Ausbildungsbetrieben und entwickeln somit auch ein heterogenes Fachwissen. Die rot markierten Kompetenzstandards stehen stellvertretend für eine Spezialisierung in einem Kompetenzfeld.

Ein Problem bei der inhaltlichen Beschreibung von Kompetenzstandards bilden Kenntnisse und Fertigkeiten, die für alle Standards gleichermaßen gelten. Solche Querschnittskompetenzen sind beispielsweise in Bereichen, die mit Qualität, Arbeitssicherheit, Umweltschutz oder Kundenorientierung zu tun haben. Um Redundanzen zu vermeiden könnten sie in der hier gewählten Rubrik „Global“ beschrieben werden. Wie ausgeprägt solche Kompetenzen vorliegen, ist aus der Niveaustufe der einzelnen Kompetenzstandards rückzuschließen.

Die Matrix liefert die Möglichkeit in den einzelnen Kompetenzentwicklungsstufen je nach Leistungsfähigkeit der Auszubildenden eine Kompetenz mit unterschiedlicher Niveaustufe zu bewerten. Die Kompetenzmatrix kann im Sinne von lebenslangem Lernen auch über die berufliche Erstausbildung hinaus genutzt und mit Kompetenzstandards aus der Weiterbildung ergänzt werden. Durch die berufliche Facharbeit besteht auch potenziell die Möglichkeit einzelne Standards auf einer höheren Stufe bewerten zu lassen. Mit der Kompetenzmatrix können die Leistungspunkte zu Anerkennungszwecken einfach akkumuliert werden.

8. Resümee

Kompetenzstandards können die Grundlage für die Beschreibung von Bildungszertifikaten liefern. Die Definition und Struktur solcher Standards müsste einheitlich und gemeinsam nach einem Leitfaden auf europäischer Ebene vorgenommen werden. Eine erfolgreiche Umsetzung der europäischen bildungspolitischen Ziele ist nur möglich, wenn von allen Beteiligten die notwendige Akzeptanz für ein kompetenzbasiertes Zertifizierungssystem aufgebracht wird. Mit dem Europass und dem Europäischen Qualifikationsrahmen sind die ersten Entwicklungsschritte für die Umsetzungswerkzeuge gemacht, während bei dem Leistungspunktesystem noch entsprechende Vorgaben erstellt werden müssen. Solange noch nicht alle Instrumente entwickelt und zu einem Gesamtsystem gekoppelt sind, wird es bei der praktischen Umsetzung vorerst bei Modellversuchen bleiben.

Dabei besteht besonders in Deutschland ein Handlungsbedarf. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird der Bedarf an ausländischen Arbeitnehmern in den nächsten Jahren steigen. Die Diskussion vor einigen Jahren um die Einführung einer Green Card für IT-Spezialisten war nur der Anfang. Nach Angaben des VDI Direktors Willi Fuchs fehlen gegenwärtig mindestens 15.000 Ingenieure in Deutschland. Eine Weiterbildungsoffensive, wie sie von Gewerkschaftsseite (siehe unter: http://www.verdi.de/mti/bildung/fehlende_ingenieure_bremsen_Aufschwung 06-10-2006) gefordert wird, mag dabei sicherlich ein Lösungsansatz sein. Durch anerkannte Kompetenzstandards, die auf einer gemeinsamen Basis zur Beschreibung der Qualifikationen beruhen, wäre eine effizientere Integration von ausländischen Arbeitskräften möglich. Mobilität von Facharbeitern könnte stärker, auch über die nationalen Grenzen hinaus, gefördert werden.

Die Entwicklung eines Nationalen Qualifikationsrahmens muss eng an den Reformprozess im Bildungsbereich geknüpft werden. Da die Verabschiedung des Europäischen Qualifikationsrahmens sehr wahrscheinlich in den Zeitraum der deutschen Ratspräsidentschaft Anfang 2007 fällt, wächst auch der Handlungsdruck für die Umsetzung im eigenen Land.

 

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