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 bwp@ Ausgabe Nr. 11 | November 2006
Qualifikationsentwicklung und -forschung für die berufliche Bildung

EQR - Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und Rates, Bewertung und Fragen im Zusammenhang mit seiner Anwendung


 

 


1. Erwartungen an den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR)

In einem Europa, das von einer rasanten Entwicklung in Technik und Wirtschaft sowie Überalterung geprägt ist, nimmt lebenslanges Lernen enorm an Bedeutung zu. Für die Wahrung und den Ausbau von Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Zusammenhalt ist es notwendig, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen laufend auf den neuesten Stand bringen, um einen stabilen und ausbaufähigen Arbeitsplatz bzw. Beruf zu erreichen und zu erhalten.

Lebenslanges Lernen wird jedoch durch mangelnde Kommunikation und Kooperation zwischen Bildungsanbietern und zuständigen Stellen in der allgemeinen und beruflichen Bildung auf den verschiedenen Ebenen innerhalb und zwischen den Ländern erheblich erschwert. Das führt zu unnötigen Barrieren, die den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Aus- und Weiterbildung erschweren und behindern. Sie können kaum die Qualifikationen und Bildungsgänge bzw. Lerneinheiten verschiedener Einrichtungen miteinander kombinieren und noch seltener nationale Grenzen überschreitend geltend machen. Dies erschwert ihre Entfaltungsmöglichkeiten und erlaubt ihnen nicht ihr Leben selbst aktiv (mit) zugestalten. Fehlende Bestimmungen für die Übertragung von Qualifikationen oder Lernleistungen – von einem Lernkontext auf einen anderen – sind unnötige Hürden. Sie schränken die Mobilität von Arbeitskräften und Lernenden innerhalb des europäischen Arbeitsmarktes ein und erschweren eine effektive Zusammenarbeit zwischen Bildungsträgern und zuständigen Stellen. Die internationale Zusammenarbeit Europas mit anderen Weltregionen bleibt ebenfalls schwierig.

Die Erwartungen, die an den EQR von Seiten der Europäischen Kommission und auch vom Rat der Bildungsminister geknüpft werden (Der Rat befasste sich im November 2006 mit dem Vorschlag und stimmte diesem einstimmig zu. Jetzt wird sich noch das Europäische Parlament damit befassen. Der vollständige Text kann über das Internet abgerufen werden: http://ec.europa.eu/education/policies/educ/eqf/com_2006_0479_de.pdf) sind hoch und umfassend (vgl. HELSINKI KOMMUNIQUE 2006):

•  Mit dem EQR „ ... wird die Mobilität zu (Aus-) Bildungs- und Arbeitszwecken steigen“ (Bildungskommissar Jan Figel im September 2006 mit einem Zitat auf www.europa.eu)

•  Der EQR ist ein Instrument zur Verbesserung der Vergleichbarkeit der Qualifikationen: Der EQR will berufliche Qualifikationen nicht mehr über Lernwege und Abschlüsse, sondern über die Ergebnisse von Lernprozessen vergleichen, unabhängig davon, wie, wo wann und wie lange jemand gelernt hat, er beschreibe das, was jemand könne.

•  Er soll zur besseren Umsetzung von schon verabschiedeten Empfehlungen, Entscheidungen und Richtlinien z.B. zur Transparenz (Europass), zum lebenslangen Lernen, zur Anerkennung von Berufsqualifikationen (reglementierte Berufe) dienen.

•  Er soll eine Übersetzungshilfe für nationale Qualifikationen und Systeme auf bi- und multilateraler Ebene z.B. zur Unterstützung der Zusammenarbeit zwischen Bildungsträgern und des Austauschs von Lehrern, Studenten, Schülern und Lehrlingen anbieten.

•  Der EQR soll die Verbesserung der vergleichenden Bildungsstatistik von Eurostat und die Festlegung von Zielen für Bildungs- und Ausbildungsinvestitionen z.B. durch Interventionen mit Hilfe der Strukturfonds der EU ermöglichen.

•  Und schließlich ist der EQR als Anregung zu verstehen, die nationalen Bildungs- und Qualifikationssysteme selbst transparenter (nach innen und außen) darzustellen und nationale Qualifikationsrahmen, soweit sie nicht schon existieren, zu entwickeln, um die Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlichen Bildungsgängen zu verbessern, insbesondere zwischen der Berufsbildung und dem Hochschulwesen sowie zwischen der Erstausbildung und der Weiterbildung.

Es ist allerdings nicht beabsichtigt, durch diese rechtlich nicht verbindliche Empfehlung die bestehenden Systeme harmonisieren zu wollen oder eine unmittelbare Anerkennung von Qualifikationen zu ermöglichen, wenngleich Letzteres dennoch erleichtert werden soll.

Der EQR wird als ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung der Lissabon-Ziele der EU angesehen, nämlich Europa wettbewerbsfähiger unter Gewährleistung des sozialen Zusammenhalts zu machen sowie die Europäische Beschäftigungsstrategie zu untermauern.

Adressaten sind in erster Linie die Akteure in Politik und Verwaltung auf allen Entscheidungsebenen, aber auch die Bürgerinnen und Bürger, die sich in den weit aufgefächerten Bildungsangeboten und -Abschlüssen immer weniger zurechtfinden.

2.  Gemeinsame Beschreibungsmerkmale für Qualifikationen

Der Vorschlag enthält im Vergleich zu dem Arbeits- bzw. Konsultationspapier der Kommission von 2005 eine gewisse Vereinfachung der Beschreibungsmerkmale für die acht Qualifikationsstufen (siehe dazu den Anhang). Insbesondere in der dritten Kategorie, den sonstigen Kompetenzen, werden Zusammenfassungen der (persönlichen und beruflichen bzw. sonstigen) Merkmale vorgeschlagen. Substantiell hat sich jedoch wenig an Art und Inhalt der Deskriptoren geändert: Die Beschreibung beginnt mit Qualifikationen, die mit Stufe 1 kurz nach Abschluss der Pflichtschule erworben werden können und mit der Stufe 8 bis zu einer erfolgreichen Doktorarbeit reichen.

Die Beschränkung der Beschreibung von Lernergebnissen in Form von drei Kategorien – Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen – bleibt Grundlage. Dies bedeutet, dass auf eine Beschreibung der Inputs in Form der Art der Bildungsinstitution sowie Dauer und Methoden der Ausbildung verzichtet wird unter Beschränkung auf eine Definition von ´outcomes´ bzw. Lernergebnissen. Die Zuordnung von Ersteren wird bewusst den zuständigen nationalen Stellen auf den je spezifischen Ebenen überlassen. Nur auf diese Weise könne man den verschiedenen Realitäten von heute und morgen gerecht werden. Der Berufsbezug wurde auf Drängen der Sozialpartner insb. bei der dritten Kategorie stärker herausgearbeitet. Gleichzeitig wird jedoch betont, dass dessen weitergehende Definition den Akteuren auf Branchen- bzw. Berufsfeldebene selbst überlassen beleiben soll. Solche Qualifikationsrahmen sollten gegebenenfalls auch auf europäischer Ebene ergänzend zu dem allgemeinen EQR entwickelt werden wie dies zurzeit auf dem Gebiet der IKT-Qualifikationen durch Cedefop, Cepis (Europäische Vereinigung der nationalen Gesellschaften für Informatik) und den Europäischen Ausschuss für Normung (CEN/ISSS) (Vgl. auch die Ergebnisse der Europäischen e-Skills Konferenz vom 5. und 6. Oktober 2006 in Thessaloniki auf www.e-skills-conference.org.) angestrebt wird. Solche berufs- bzw. sektorspezifischen Bezugsrahmen würden danach wie im Falle des EQR keinerlei Verbindlichkeit beinhalten und ebenfalls nur als Übersetzungshilfe für Qualifikationen aller Art dienen, unabhängig davon, ob sie durch formale, nicht-formale oder kommerzielle (z.B. industriespezifische) Angebote vermittelt werden.

Die Abkehr von einer Beschreibung der Wege und Inhalte eines Programms und der Institution hat für alle Mitgliedstaaten Konsequenzen: Es sind die durch einen Bildungsgang oder -träger angestrebten Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen (KFK) eindeutiger zu beschreiben und/oder entsprechende Qualitätsstandards zu definieren und zu vereinbaren. Akademische Grade oder Berufstitel allein genügen nicht mehr, sie haben zu wenig Aussagekraft. Das diploma oder certificate supplement, welches im Rahmen des Europass propagiert wurde und wird, kann als ein erster Schritt auf diesem Wege angesehen werden. Dieser reicht jedoch nicht aus, wenn eindeutige Zuordnungen von nationalen Abschlüssen zu denen des EQR vorgenommen werden sollen. So muss z.B. durch entsprechende Prüfungsordnungen und Akkreditierungsstellen glaubhaft gemacht werden, dass durch den entsprechenden Bildungsweg diese Ergebnisse auch erreicht wurden. Anderenfalls kann das erforderliche wechselseitige Vertrauen in die Qualifikation und Qualität der Ausbildung im anderen Land nicht entstehen. Für Quer- und Seiteneinsteiger (auch mit Migrationshintergrund) sind ebenfalls neue Wege zur Validierung und Akkreditierung ihrer formalen oder nicht-formalen Lernleistungen bereitzustellen, wie es der Rat im Zuge der Anerkennung solcher Lernleistungen seit Jahren fordert und wie es u.a. auch durch das Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung und Hochschulbildung erleichtert werden soll.

3.  Verbindung von Bologna- und Kopenhagen-Prozess untermauert durch EQR und ECTS/ECVET

Der Bologna Prozess zur Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und Universitäten, wie er in Unterstützung durch den Europarat und die Europäische Kommission zu Ende der 1990er Jahre begonnen und seitdem in den meisten europäischen Ländern erfolgreich umgesetzt wurde, dient wie der Kopenhagen Prozess der Zusammenarbeit der Bildungsträger, dem Austausch von Lehrern und Lernenden und letztendlich der Entwicklung eines Europäischen Hochschulraums und Qualifikationsrahmens. Der EQR wurde in seinen Merkmalen auf den Stufen 6 bis 8 den Deskriptoren für Lernergebnisse des Europäischen Hochschulrahmens angepasst, d.h. den so genannten ´Dublin descriptors´. Wenngleich recht allgemein gehalten sind diese doch untereinander kompatibel. Die entsprechenden Stufen des EQR setzen allerdings nicht unbedingt den Erwerb der im Hochschulwesen allgemein üblichen akademischen Grade Bachelor, Master oder Doktorat voraus und beruhen nicht auf einer Mindestdauer des Studiums an einer anerkannten Hochschule oder entsprechenden Institution. Die Stufen des EQR entsprechen somit nicht unmittelbar bestimmten Abschlüssen oder Graden des formalen Bildungswesens. Sie sollen auch zugänglich sein für Seiten- und Quereinsteiger, für Bewerber ohne formale Qualifikationen unter der Voraussetzung, dass diese von den je zuständigen Stellen förmlich validiert und akkreditiert wurden.

Seit Anfang 2000 hat es einen enormen Anstieg der Studenten gegeben, die z.B. im Rahmen des Erasmus Programms Studienabschnitte in anderen Ländern Europas absolvieren und ihre dort erworbenen Lernleistungen mit Hilfe des ECTS (European Credit Transfer System (Europäisches System für die Anrechnung und den Transfer von Leistungspunkten)) geltend machen können. Dieser Anstieg des Studentenaustauschs betraf und betrifft im Übrigen neben den EU- Mitgliedstaaten auch die anderen Europäischen Länder inklusive Russland, Ukraine etc., die durch das Programm Tempus ebenfalls von der EU unterstützt werden.

Die für den Kopenhagenprozess verantwortlichen Politiker des Rates und des Europäischen Parlaments favorisieren nunmehr seit 2002 auch eine vergleichbare Entwicklung im Bereich der Berufsbildung und des lebenslangen Lernens. Es sollen mit dem Erasmus-Programm vergleichbare Zahlen von Teilnehmern an Austauschen erreicht werden. Die bisherigen Austausche z.B. auf der Grundlage des Sokrates- oder Leonardo da Vinci Programms waren in dieser Hinsicht relativ enttäuschend, und es wurde festgestellt, dass eine der Barrieren vor allem darin bestand, dass Lehr- und Lernabschnitte, die in anderen Mitgliedstaaten absolviert wurden, häufig nicht im Herkunftsland und als Teil der angestrebten Qualifikation angerechnet wurden. Dem soll das in Arbeit befindliche Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung (ECVET) (European Credit System for Vocational Education and Training (Europäisches Leistungspunktesystem für Berufsbildung) ) abhelfen.

Zu Ende Oktober 2006 legte die Kommission ein Arbeitsdokument vor, welches ein solches System zunächst zur Konsultation durch die Mitgliedstaaten vorschlägt. Es wurde von einer Ende 2003 eingesetzten technischen Arbeitsgruppe der Kommission in Zusammenarbeit mit Berufsbildungsexperten interessierter Mitgliedstaaten konzipiert. Cedefop, das Europäische Zentrum zur Förderung der beruflichen Bildung, hatte an dessen Entwicklung wesentlichen Anteil. Untersuchungen über Ansätze in den Mitgliedstaaten wurden durch Cedefop ebenso durchgeführt wie eine Expertise zu einer Typologie der „knowledge, skills and competences“ (vgl. WINTERTON et al. 2006) in Auftrag gegeben. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass zu Beginn der Arbeiten dieser Arbeitsgruppe sich eine weitere Expertise mit der Entwicklung von Referenzstufen und Zonen wechselseitigen Vertrauens befasste, die als unerlässlich galten für einen Fortschritt bei dem Europäischen Leistungspunktesystem in der Berufsbildung. Diese von der Forschungsabteilung der englischen „Qualifications and Curriculum Authority (QCA)“ in enger Zusammenarbeit mit Experten vieler Mitgliedstaaten erstellte Untersuchung wurde weiter entwickelt durch die EQR-Expertengruppe und erlaubte dieser, rasche Fortschritte zu machen bei dem hier besprochenen Konzept. Ein Anstoß zur Entwicklung des EQR, der unabhängig gesehen werden kann von ECVET oder ECTS, kam somit aus der Technischen Arbeitsgruppe zu ECVET. Ohne einen solchen Bezugsrahmen der Ausbildungs- bzw. Qualifikations- oder Lernstufen lassen sich schwerlich vergleichbare Lerneinheiten und Ausbildungsabschnitte diskutieren und definieren, auf deren Grundlage solche Austausche wechselseitig angerechnet und übertragen werden können.

Der EQR kann darüber hinaus als eine Weiterentwicklung der Struktur der Ausbildungsstufen angesehen werden, wie sie seinerzeit im Rahmen der Umsetzung der Entscheidung des Rates von 1985 zur „Entsprechung von Berufsbefähigungsnachweisen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften“ als Bezugsrahmen herangezogen wurde (vgl AMTSBLATT EWG 1985).

Der EQR-Vorschlag und der ECVET bzw. weiterentwickelte ECTS-Vorschlag sollen sich wechselseitig unterstützen und über kurz oder lang in ein gemeinsames Credit-System überführt werden. Ob es möglich sein wird, in absehbarer Zeit beide Systeme – ECTS und ECVET – so zu integrieren, wie es die Politik postuliert hat, muss derzeit noch dahingestellt bleiben. ECTS beruht im Gegensatz zu ECVET bis dato vorwiegend auf Input-Kategorien und weniger auf den Lernergebnissen (Outcomes). Ob ECVET allerdings ganz auf Input-Kategorien verzichten kann, wird sich ebenfalls im Zuge der Umsetzung des Systems noch herausstellen.

4.  Zur Entwicklung nationaler Qualifikationsrahmen

Einige Mitgliedstaaten haben eine schon länger bestehende Tradition der Entwicklung von Qualifikationsrahmen, andere haben in jüngerer Zeit neue entwickelt. Manche beziehen sich nur auf die Erstausbildung mit oder ohne Einbeziehung der Hochschulbildung. Nur in wenigen Mitgliedstaaten oder Drittstaaten gibt es derzeit einen allumfassenden NQR. Frankreich hat eine lange Tradition, die zurückreicht bis in die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Er war Teil der sog. ´Planification´ (Der Begriff steht für die in Frankreich übliche mittelfristige bzw. jährlich fortgeschriebene Planerstellung.) und diente zur Herstellung von Transparenz und Vergleichbarkeit bzw. zur ´homologation´ (Herstellung einer Äquivalenz oder Gleichstellung mit Qualifikationen der Erstausbildung, wie sie durch das Bildungsministerium vergeben werden. ) von Abschlüssen, die dem Bildungsministerium unterstanden, mit denen, die dem Arbeitsministerium im Rahmen der Fortbildung unterstanden.

Im Vereinigten Königreich wurde in der Mitte der 1980er Jahre ein nationaler Qualifikationsrahmen zunächst für die berufliche Bildung eingeführt, der wiederholt fortgeschrieben und ergänzt wurde. Seit 2003 gibt es in der Republik Irland und in Schottland erste Anstrengungen, einen allumfassenden Qualifikationsrahmen bereitzustellen; in Irland bezieht dieser sich auf 10 Stufen nach Beendigung der Schulpflicht und in Schottland auf 12 Stufen unter Einschluss von Lernleistungen, wie sie schon im Rahmen der Schulpflicht vermittelt werden. In Schottland wird darüber hinaus eine engere Verbindung hergestellt zwischen dem Qualifikationsrahmen und dem Leistungspunktesystem (Scottish Credits and Qualifications Framework). Erste Erfahrungen mit der Anwendung dieses allumfassenden Qualifikationsrahmens liegen vor (vgl. RAFFE in Vorb.).

In anderen englischsprachigen Regionen wie in Australien und Südafrika haben sich ebenfalls solche umfassenden Qualifikationsrahmen eingebürgert, mit denen je unterschiedliche Absichten und Ziele verbunden und in unterschiedlicher Weise rechtlich abgesichert sind, einige haben nur Orientierungsfunktion, andere sind rechtlich verbindlich für Bildungsträger und Prüfungsinstanzen.

Eine ausführliche Besprechung dieser Trends mit besonderem Bezug auf die europäischen Länder ist in Vorbereitung und wird voraussichtlich nächstes Jahr als Sonderausgabe der Europäischen Zeitschrift für Berufsbildung erscheinen. Schon jetzt lässt sich festhalten: die Zwischenergebnisse und Vorschläge der Arbeitsgruppen und der Europäischen Kommission zum EQR und zu dem Leistungspunktesystem haben in allen Mitgliedstaaten eine grundsätzlich positive Resonanz, und viele haben sich auf den Weg gemacht nationale Qualifikationsrahmen zu entwickeln. Besonders positiv sind diese Vorschläge in den neuen Mitgliedstaaten aufgenommen worden (vgl. BJORNAVOLD/ COLES in Vorb.).

In Deutschland wird seit 2005 über Konsequenzen diskutiert und unterstützt von der Wirtschaft werden von Seiten der Regierung erste Schritte erwogen zur Entwicklung eines nationalen Qualifikationsrahmens: Ein besonderes Anliegen ist es dabei, die vorwiegend betrieblich organisierte Berufsbildung attraktiv zu erhalten und auszubauen, das Berufskonzept zu bewahren und sowohl schulische als auch betriebliche Abschlüsse untereinander durchlässiger zu machen, die Berufsbildung mit der Hochschulbildung und Fortbildung zu verbinden bzw. zu verzahnen: „Bestehende Barrieren zwischen den einzelnen Bildungsbereichen müssen abgebaut werden, damit Abschlüsse zu Anschlüssen werden und für bereits erworbene Lerninhalte nicht erneut Lebens- und Lernzeit eingesetzt werden muss“ (STORM 2006, 8). Die Chance für Deutschland liege darin, ... „dass Lernergebnisse auf europäischer Ebene besser als bisher eingeordnet und verglichen werden können. Insbesondere die im Rahmen einer dualen Ausbildung vermittelten Kompetenzen könnten damit im europäischen Vergleich zu einer angemessenen Bewertung gelangen – ein Aspekt, der (....) aus deutscher Sicht nach wie vor problematisch ist.“ (STORM 2006, 14)

5.  Schlussfolgerungen

Die deutsche Präsidentschaft hat sich zum Ziel gesetzt, im 1. Halbjahr 2007 den Vorschlag für einen Europäischen Qualifikationsrahmen zu verabschieden und das Leistungspunktesystem für die Berufliche Bildung (ECVET) ein Stück weiter voranzubringen. Die Phase der Konsultation auch zum Leistungspunktesystem wird dann abgeschlossen und es wird entschieden werden, in welcher Form die Umsetzung erfolgen soll. Schon derzeit sind eine Reihe von Pilotversuchen und Studien über die damit zusammenhängenden Fragen im Gange. Das neue EU-Bildungsprogramm für das lebenslange Lernen wird 2007 starten und finanziell besser ausgestattet sein, um Mobilität und die Zusammenarbeit in Bildung und Ausbildung in Europa weiter zu fördern. Diese beiden prioritären Aktionen dürften darin eine besondere Gewichtung erfahren.

In der Helsinki Erklärung vom 5. Dezember 2006 betonen die Bildungsminister, „dass sich in den nächsten Jahren die Arbeit (....) darauf konzentrieren wird, den EQR und ein Kreditpunktesystem einzuführen“, um beides zu unterstützen: Mehr Mobilität für Auszubildende in Europa und, durch eine engere Kooperation in der beruflichen Bildung, die Fortentwicklung der Berufsbildungssysteme (BMBF Pressemitteilung 2006).

Schon heute hat diese Diskussion in vielen Mitgliedstaaten eine Dynamik entwickelt, die unumkehrbar erscheint. Allerdings bleibt abzuwarten, ob diese neuen Instrumente und Absichtserklärungen auch ihre Entsprechung in praktischem Handeln finden werden und ob diese Dynamik aufrecht erhalten bleibt und diese Empfehlungen bis 2010 in den Ländern effektiv umgesetzt werden. Der so genannte Prozess der offenen Koordinierung, der in der Bildungs- und Beschäftigungspolitik (wie auch in der Jugend-, Sozial- und Beschäftigungspolitik der EU ) der EU angewendet wird, muss enger begleitet und evaluiert werden. Indikatoren und Benchmarks allein genügen nicht, man wird auch die nötigen Konsequenzen ziehen und nachhaltige Begleitaktionen zur Unterstützung der Akteure in den Mitgliedstaaten durchführen müssen.

Das Bildungsprogramm ist sicher ein Mittel dies wirksam zu begleiten, ein anderes ist es die Fort- und Weiterbildung der Lehrer und Ausbilder und die Qualität und Quantität der Angebote beruflicher Bildung – z.B. durch Unterstützung mit den Mitteln der Europäischen Strukturfonds und insbesondere des Sozialfonds – zu verbessern, sie europatauglich zu machen und parallel dazu die Mehrsprachigkeit (nicht nur Englisch) auch in der beruflichen Bildung zu fördern. Letztlich wird die Mobilität der Lernenden nur dann dauerhaft unterstützt, wenn die nationalen Arbeitsmärkte sich stärker öffnen und ein europäischer Arbeitsmarkt entsteht. Davon sind wir derzeit noch recht weit entfernt. Es gibt in vielen Ländern immer noch gewisse Abschottungstendenzen oder gar protektionistische Einstellungen von Institutionen und weiten Teilen der Bevölkerung insbesondere gegenüber den mittel- und osteuropäischen Arbeitsuchenden, obwohl der nach dem Beitritt vielfach erwartete Zuzug von vielen Tausenden von Arbeitnehmern ausgeblieben ist.

Allerdings lässt nicht nur die geographische Mobilität zu wünschen übrig, sondern auch die berufliche, wie eine in diesem Jahr durchgeführte Eurobarometer-Untersuchung anlässlich des Europäischen Jahres der Mobilität der Arbeitnehmer belegt: Nur 20 % der deutschen, österreichischen und griechischen Arbeitnehmer sind danach bereit im Laufe ihres Arbeitslebens ihren Beruf zu wechseln; die skandinavischen (Dänen und Schweden) und tschechischen und slowakischen sind mit rund 60 % eher dazu geneigt: Die französischen Arbeitnehmer liegen immerhin noch mit 50 % über dem Durchschnitt der EU Länder mit 40 %. Die Änderung von Einstellungen zum Beruf und zur Mobilität ist unbedingt nötig, dies dürfte aber eine Frage von Generationen sein.

Die junge Generation scheint allerdings auch in Deutschland zunehmend bereit zu sein, ihre Einstellungen zu ändern. Wie die jüngste Shell-Jugendstudie gezeigt hat, sind unter der Voraussetzung eines guten Bildungsstandes die meisten Jugendlichen dazu auch bereit. Die weniger gut Ausgebildeten und insbesondere die Jugendlichen ethnischer Minderheiten und mit Migrationshintergrund verdienen in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit, zumal sie vielfach Zweisprachigkeit und somit die Grundlagen für den Erwerb von Mehrsprachigkeit schon mitbringen. Die Bildungs- und Ausbildungsstätten sollten diese nicht negativ bewerten, sondern an diese Grundlagen anknüpfen und sie ausbauen bei gleichzeitiger Förderung der Umgebungssprache bzw. der Sprache des Aufnahmelandes. Eine zweisprachige Alphabetisierung ist für diese Zielgruppen möglichst von der Vorschule an vorrangig zu fördern.

Die sprachliche Kommunikationsfähigkeit sowohl in der Umgebungssprache als auch bei der Herkunfts- oder Fremdsprache spielt beim Erwerb weiterführender Berufsqualifikationen eine immer größere Rolle. Ohne diese gibt es keine ständige formale oder nicht formale Weiterbildung und kaum eine Chance zur dauerhaften Sicherung der Beschäftigung.

Das bedeutet, dass im Rahmen der Berufsbildung nicht nur qualitativ einwandfreie technisch-fachliche Bildung und entsprechende Fertigkeiten vermittelt werden müssen, sondern auch die Sprachkenntnisse in Wort und Schrift ebenso wie bei anderen weiterführenden Bildungsgängen vertieft werden müssen. Dies sollte in enger Verbindung mit den nötigen sozialen Kommunikationsfähigkeiten, den soft skills, geschehen. Beide Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten sind für den Zugang zur Fort- und Weiterbildung und zur Förderung sowohl der beruflichen als auch der geographischen Mobilität eine unerlässliche Voraussetzung.

 

ANHANG

Deskriptoren zur Beschreibung der Niveaus des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR)

 

Jedes der acht Niveaus wird durch eine Reihe von Deskriptoren definiert, die die Lernergebnisse beschreiben, die für die Erlangung der diesem Niveau entsprechenden Qualifikationen in allen Qualifikationssystemen erforderlich sind.

Kompatibilität mit dem Qualifikationsrahmen für den europäischen Hochschulraum

Der Qualifikationsrahmen für den Europäischen Hochschulraum bietet Deskriptoren für Studienzyklen. Jeder Deskriptor für einen Studienzyklus formuliert eine allgemeine Aussage über gängige Erwartungen betreffend Leistungen und Fähigkeiten, die mit Qualifikationen am Ende eines Studienzyklus verbunden sind.

* Der Deskriptor für den Kurzstudiengang (innerhalb des ersten Studienzyklus oder in Verbindung damit), der von der Joint Quality Initiative als Teil des Bologna-Prozesses entwickelt wurde, entspricht den zur Erreichung von EQR-Niveau 5 erforderlichen Lernergebnissen.

** Der Deskriptor für den ersten Studienzyklus des Qualifikationsrahmens für den Europäischen Hochschulraum entspricht den zur Erreichung von EQR-Niveau 6 erforderlichen Lernergebnissen.

*** Der Deskriptor für den zweiten Studienzyklus des Qualifikationsrahmens für den Europäischen Hochschulraum entspricht den zur Erreichung von EQR-Niveau 7 erforderlichen Lernergebnissen.

**** Der Deskriptor für den dritten Studienzyklus des Qualifikationsrahmens für den Europäischen Hochschulraum entspricht den zur Erreichung von EQR-Niveau 8 erforderlichen Lernergebnissen.

 

Literatur

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