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 bwp@ Ausgabe Nr. 13 | Dezember 2007
Selbstorganisiertes Lernen in der beruflichen Bildung Herausgeber der bwp@ Ausgabe 13 sind Karin Büchter und Tade Tramm

Wissenschaftstheoretische Monokultur bei der Begründung selbstgesteuerten Lernens. Über die Tragfähigkeit eines konstruktivistischen Fundaments für das selbstgesteuerte Lernen und sein Verhältnis zu Bildung.

online seit 25.2.2008
 

 


1.  Hintergründe für selbstgesteuertes Lernen als pädagogisches Konzept der Gegenwart

Seit mehreren Jahren schon findet der Gedanke des selbstgesteuerten Lernens in schulischer Praxis und Erziehungswissenschaft viel Beachtung. Insbesondere in den Bereichen der Andragogik sowie der Berufs- und Wirtschaftspädagogik werden intensive Anstrengungen unternommen, den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Die Hintergründe dieser Entwicklung sind im Wesentlichen politischer Natur, wobei Gesellschaftspolitik eine Reduktion auf wirtschaftspolitische Interessen im Sinne der Sicherung dauerhaften Wohlstandes durch eine langfristige globale Anschlussfähigkeit am internationalen Wettbewerb erfährt. Dass Know-how als Humankapital (Der Begriff „Humankapital“ wurde 2004 von der zuständigen Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. zum „Unwort des Jahres“ gekürt, da es Menschen zu nur noch ökonomisch interessanten Größen degradiere. Zur Begründung siehe auch: http://www.unwortdesjahres.org/ (05-05-2007).) ein wichtiger Produktionsfaktor sei, ist ein seit langem vertretenes Postulat. Daneben gewinnen jedoch zunehmend Forderungen nach mehr Flexibilität und Eigeninitiative gegenüber den Beschäftigten an Bedeutung. Je weniger Wissen im Wandel der Zeit noch als relativ konstante, also über längere Sicht beständige Größe gelten kann, desto mehr bemisst sich Qualifikation daran, wie gut Wissen stetig neu angeeignet und auf neue Kontexte angewendet werden kann. Selbstreflexion und Selbststeuerung gelten als hierfür vorauszusetzende zentrale Fähigkeiten, um lebenslanges Lernen in der Ausbildungswelt zu etablieren. Deren Förderung ist aus bildungspolitischer Sicht zukünftig verstärkt nachzugehen (vgl. LANG/ PÄTZOLD 2006, 9 f.).

Um der politischen Forderung nach selbstgesteuertem Lernen als einem für die Schul- und Ausbildungspraxis relevanten Ziel breite Akzeptanz zu verschaffen, werden neben der eher utilitaristischen Begründung des gesellschaftlichen Bedarfs auch Argumente für seine bildungswirksame Legitimation vorgetragen, die sich bei genauer Betrachtung jedoch zum Teil als Scheinargumente entpuppen. Aus bildungstheoretischer Sicht erscheint es zunächst sinnvoll und erstrebenswert, Lernenden in der Schule größere Freiräume als bisher für eine autonome und an subjektiven Sinnkriterien ausgerichtete Gestaltung ihrer Lernprozesse zuzubilligen, in der Erwartung, dass auf diese Weise der Erreichbarkeit von klassischen Bildungszielen wie z. B. Mündigkeit (vgl. BMBF 2007, 64 f.), mittelbar besser gedient werden könne als in primär heteronom vorbestimmten Unterrichtssituationen. Kritiker argumentieren dagegen, dass Selbstbestimmung an sich noch kein Wert sei: „die Bestimmung ‚selbst' an sich“ sei „noch kein Qualitätsmerkmal für eine Handlung oder ein Lernen“, vielmehr bestimme sich die Qualität einer Handlung „nicht durch das ausführende Subjekt einer Handlung, sondern“ bemesse „sich an den Inhalten und Zwecksetzungen des jeweiligen Tuns“ (KRAFT 1999, zit. nach LANG/ PÄTZOLD 2006, 10). Dieses Zitat fokussiert vor allem den gesellschaftlichen Nutzen, welcher der Allgemeinheit aus individueller Bildung erwächst und nicht den individuellen Wert von Bildung. Wenn aber, wie hier, Qualität nicht schon in der Realisierung ideeller gesellschaftlicher Werte gesehen wird, wie sie durch Bildung hervorgebracht wird, so scheint es primär um materielle oder zumindest materialisierbare Werte zu gehen, um jenen Output von Bildung also, der als gesellschaftlich verwertbar gelten kann. Im Blickpunkt steht damit aber nicht kritische Bildung, sondern es interessieren dann vorrangig Qualifikationen, deren Erwerb nur Aspekte von Bildung ausmachen. Qualifikationen zum Maßstab für Bildung zu erheben, ist zwar der Versuch, sie im Dienste utilitaristischer Zwecke zu einer quantifizier- und messbaren Größe zu machen. Hierauf reduziert jedoch wäre sie, um jegliche Facetten ihres ideellen Werts beraubt, keine Bildung mehr.

In der aktuellen Debatte zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards werden die Ambivalenzen bezüglich des Bildungsbegriffs besonders deutlich. Einerseits wird erkannt, dass Bildung mehr ist, als nur das, was einer Standardisierung zugänglich scheint (vgl. BMBF 2007, 68 ff.). Andererseits wird versucht Kompetenzen – in weitem Sinne verstanden als die Resultate von Bildungsprozessen – durch beobachtbare Verhaltensweisen bei der Lösung von Aufgaben zu beurteilen (vgl. BMBF 2007, 71 ff.).

Das Verständnis im Bezug auf Kompetenzen, das der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Franz WEINERT formuliert hat und auch der BMBF-Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards zugrunde liegt, scheitert in gleicher Weise an einer Operationalisierung wie sich Bildung einer Standardisierung entzieht. Die KMK betrachtet Kompetenzen zwar als Dispositionen zur Bewältigung bestimmter Anforderungen, gleichzeitig strebt sie an, „bestimmen“ zu können, „ob eine Schülerin oder ein Schüler über eine bestimmte Kompetenz verfügt oder nicht“. Dies steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass individuelle Dispositionen als solche nie vollständig und unmittelbar beobachtet werden können (vgl. z. B. OEVERMANN 2002, 2). Besonders deutlich wird die Problematik der Überprüfung von Kompetenzen anhand folgender Beispiele: Im Hinblick auf das Vorhandensein fachlicher Kompetenzen soll überprüft werden, dass die Schüler „ihre bisher gesammelten Erfahrungen in ihre Handlungen mit einbeziehen“ oder dass sie „die zentralen Zusammenhänge eines Lerngebietes verstanden haben“ (KMK 2005, 16). Es erscheint fragwürdig, dass dies anhand von praktizierten Handlungen zweifelsfrei ersichtlich wird. Demnach werden nicht tatsächlich Kompetenzen gemessen, die als individuelle Dispositionen in ihrer Gesamtheit Bildung ausmachen, sondern lediglich das, was von ihnen als äußerlich Erkennbares der Deutung anderer zugänglich wird. Den Befürwortern einer funktionalistischen Sicht auf Bildung ist dies durchaus bewusst, indem sie in diesem Zusammenhang den Begriff der „Performanz“ als „der tatsächlich erbrachten Leistung“ bei der Bewältigung von konkreten Anforderungssituationen ins Feld führen (vgl. ISB Bayern 2006, 1). Die Widersprüchlichkeit ist offensichtlich. Es wird zwar erkannt, dass Kompetenzen nicht abzuprüfen sind, indem man den Begriff der Performanz gebraucht, dennoch wird am Kompetenzbegriff festgehalten und damit suggeriert, Kompetenzen seien operationalisierbar.

Des Weiteren zeigt sich an den Ausführungen der KMK zur Konzeption und Entwicklung von Bildungsstandards, dass der bildungsrelevante Aspekt des verantwortungsvollen Umgangs nicht als Merkmal von Kompetenz aufgeführt wird. Kompetenz hingegen, die zur Bewältigung konkreter Anforderungssituationen befähigen soll, schließt auch die Bereitschaft hierzu sowie die verantwortungsvolle Nutzung der Fähigkeiten ein (vgl. WEINERT 2001, zit. nach ISB Bayern 2006, 1). Somit lässt das Erfassen von Leistungen de facto keinen zuverlässigen Aufschluss über das Fehlen oder Vorhandensein von Kompetenzen zu. Schließlich könnte es gerade Ausdruck von Kompetenz sein, einer konkreten Anforderung, zu deren Bewältigung jemand grundsätzlich fähig wäre, zu widerstehen, etwa weil er oder sie dies aus ethischen Gründen für nicht vertretbar hielte oder aber weil es angesichts aktuell verfügbarer Kräfte vernünftiger erschiene, darauf zu verzichten. Ein beobachtetes Handeln allein kann nur aussagen, dass eine Entscheidung hierzu getroffen wurde, nicht aber die Motive und Hintergründe aufdecken, die zu dieser Handlungsentscheidung geführt haben. Während in den KMK-Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen bis heute ein Dualismus von Bildung und Qualifikation in der beruflichen Bildung betont und der berufsschulische Bildungsauftrag vom Qualifizierungsauftrag unterschieden wird (vgl. KMK 2007, 9 ff.), ist der KMK-interne Diskurs um Bildung offenbar spätestens seit Einführung der KMK-Bildungsstandards faktisch auf einen Qualifikationsdiskurs reduziert worden (vgl. KMK 2005, 5 ff.).

Bildungspolitische Bemühungen versuchen durch die Aufstellung von scheinbar überprüfbaren Kompetenzen Bildung kontrollierbar zu machen. Sich auf die Bereitstellung von bildungsförderlichen Bedingungen zu begrenzen, scheint aus bildungspolitischer Perspektive nicht mehr hinreichend akzeptabel zu sein. Aus politischer Sicht ist dies verständlich, führt man sich vor Augen, dass spätestens seit PISA ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderungen im Schulwesen existiert: Erkannt wurde, dass die Erfordernisse der Zeit ein Verständnis von Bildung verlangen, das sich nicht auf den Erwerb kanonisierter Wissenskataloge beschränkt, sondern prozedurales ebenso wie auch Meta-Wissen einschließt. Konsequenzen aus dieser Erkenntnis sind z. B. die kompetenzorientierte Formulierung von Lehrzielen oder die Bemühungen um eine Förderung des selbstgesteuerten Lernens. Bildungspolitik steht vor dem Dilemma, zwar auf Bildung in einem umfassenden Sinne angewiesen zu sein, sie jedoch gleichzeitig als eine kalkulierbare Dimension zu begehren. Der Versuch, Bildung unter Rentabilitätsgesichtspunkten zu betrachten, erwächst aus der Knappheit öffentlicher Finanzen sowie der damit einhergehenden Legitimationskrise des öffentlichen Bildungssystems, dass es nicht mehr in der Lage zu sein scheint, den für den Arbeitsmarkt erforderlichen Qualifikationserwerb ausreichend zu garantieren. Aber auch in anderer Hinsicht scheint eine Berechenbarkeit von Bildung für den Erhalt einer jeweiligen gesellschaftlichen Ordnung wünschenswert zu sein: Schließlich ist denkbar, dass Bildung, die sich in Urteilsfähigkeit niederschlägt, auch dem politischen Mainstream zuwiderlaufende Vorstellungen artikulieren kann, welche nach Façon dominierender Interessen funktionierende gesellschaftliche Prozesse in unvorhersehbarer Weise stören könnten (vgl. GREB 2005; zum Problem der „Verflochtenheiten des Lernens mit gesellschaftlicher Macht“ vgl. auch HOLZKAMP 1995, 12).

Dies vermag möglicherweise zu erklären, warum bildungstheoretische Argumente in politisch motivierten Plädoyers für das selbstgesteuerte Lernen eher ungern für dessen pädagogische Legitimation verwendet werden. Stattdessen stehen lerntheoretische Begründungen im Vordergrund, wenn es darum geht, pädagogisch von der Notwendigkeit des selbstgesteuerten Lernens zu überzeugen. Wenngleich auch sie die lernenden Subjekte und deren zu berücksichtigende Individualität herausstellen, implizieren sie gegenüber bildungstheoretischen Ansprüchen keine moralischen Wertorientierungen wie z. B. der Forderung nach Solidarität. Dies mag vorherrschenden politischen Intentionen entgegen kommen. Denn wenn Lernen primär dem Zweck der individuellen und kollektiven Nutzenmaximierung dienen soll, so unterliegt es im Wesentlichen Effektivitätsgesichtspunkten. Lerntheoretische Überlegungen zielen dann vor allem auf outputfokussierte Verbesserungen der Lernprozessqualität, letztlich mit dem Ziel, die Effizienz des Lernens insgesamt zu steigern. In der Berufs- und Wirtschaftspädagogik scheint man hierfür besonders konstruktivistische Vorstellungen des Lernens für geeignet zu halten, welche „Lernen als aktiven, konstruktiven, kumulativen, selbstgesteuerten und zielorientierten Prozess“ begreifen (LANG/ PÄTZOLD 2006, 10). Was genau darunter verstanden werden kann, soll im folgenden Abschnitt näher erläutert werden.

2.  Konstruktivismus als theoretische Basis des selbstgesteuerten Lernens

Nach „einer konstruktivistischen Sichtweise des Lernens“, so Martin LANG und Günter PÄTZOLD, ermögliche es der „Erwerb von Selbstlernkompetenz“ Lernenden, „ihr Lernen selbst zu gestalten und gemäß ihres Lerntyps geeignete Lernstrategien und Lern- und Arbeitstechniken anzuwenden“. Sie biete damit „eine Möglichkeit der Heterogenität Rechnung zu tragen“. Um ihr „Wissen mittels verschiedener Denkoperationen und -strategien und möglichst auch praktischem Handeln zielorientiert, reflektiert und eigenverantwortlich“ konstruieren zu können, indem es mit dem „Vorwissen verknüpft, erweitert und differenziert“ wird, „müssen die Lernenden ihr Lernen selbst steuern können“ (LANG/ PÄTZOLD 2006, 10). Diese hier als konstruktivistisch bezeichneten Vorstellungen stehen auf den ersten Blick nicht in Widerspruch zu anderen Sichtweisen des Lernens, unter denen eine Binnendifferenzierung in heterogenen Lerngruppen befürwortet wird, um der Individualität des Lernens Rechnung zu tragen. (Zur inneren Differenzierung des Unterrichts vgl. z. B. KLAFKI 1996, 173 ff. ) Dass die Fähigkeit, eigenes Lernen zu reflektieren und daraufhin zielgerichtet steuern zu können, hierfür von Nutzen ist, wird auch aus nichtkonstruktivistischer Sicht kaum bestritten werden, ebenso wenig wie der Vorstellung einer Konstruktivität des Wissens, sofern sie wie hier als die individuelle Integration von etwas Neuem in subjektiv vorfindbare Wissens- und Erfahrungshorizonte verstanden wird. Der Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit dieses Prozesses allerdings deutet ein Spezifikum dieser Perspektive auf das Lernen an, das ihre ideologischen Potenziale offenbart. Denn indem Lernenden die alleinige Verantwortung für ihr Lernen und damit auch für dessen Erfolg oder Misserfolg übertragen wird, werden die äußeren Bedingungen dieses Prozesses systematisch ausgeblendet und jegliche Mitverantwortung Dritter für die Entwicklung des Einzelnen geleugnet. Solche Einstellung erinnert an das neoliberalistische Motto, dass jeder seines eigenes Glückes Schmied sei, was – unter Annahme der Beobachtbarkeit von sozialer Realität – wie Zynismus erscheinen muss.

Theoretische Grundlagen, die von LANG und PÄTZOLD zur begrifflichen und inhaltlichen Bestimmung des selbstgesteuerten Lernens angeführt werden, sind im Wesentlichen Selbststeuerungs-, Selbstregulations- bzw. Selbstorganisationstheorien, die allesamt systemisch-konstruktivistischen Metatheorien entlehnt sind (vgl. LANG/ PÄTZOLD 2006, 11 ff.). Es erstaunt dabei, dass im Namen eines gemäßigten Konstruktivismus als theoretische Begründung für selbstgesteuertes Lernen Bezug auf MATURANA genommen wird (vgl. LANG/ PÄTZOLD 2006, 13 f.), dessen eigenwillige Vorstellungen selbst von anderen Vertretern eines radikalen Konstruktivismus nicht geteilt werden. Insbesondere MATURANAS Auffassung, dass eine ontologische Realität gar nicht existiere, wird zum Beispiel von Gerhard ROTH zurückgewiesen; er hält hingegen eine ontologische Realität zwar für existent, dem einzelnen Menschen jedoch unzugänglich (vgl. REMME 2008). Neuere Annahmen der Neurowissenschaft, die sich in Widerspruch zum Konzept des selbstgesteuerten Lernens begeben, werden von LANG und PÄTZOLD in einer Fußnote erwähnt: Ein „zentraler Befund der zeitgenössischen Neurowissenschaften“ nämlich laute, „dass menschliches Handeln nicht auf die Intentionen eines Subjekts“ zurückgehe, „sondern vom Gehirn gesteuert“ sei (MÜLLER 2006 zit. nach LANG/ PÄTZOLD 2006, 14). Diese Ansicht, der zufolge der Mensch nicht mehr als autonom und bewusst entscheidungsfähiges Subjekt betrachtet werden kann, stelle die Position des Konstruktivismus in Frage, dass das erkennende Subjekt auf der Grundlage seiner jeweiligen kognitiven Struktur neues Wissen in der Interaktion mit der Umwelt konstruiert (vgl. LANG/ PÄTZOLD 2006, 14). Interessant ist, dass eben diese Ansicht gerade von jenen Neurowissenschaftlern, insbesondere Gerhard ROTH, propagiert wird (vgl. ROTH 2004; vgl. auch SINGER/ QUINN 2006), auf deren Erkenntnisse sich auch zur Begründung konstruktivistischer Thesen berufen wird (vgl. LANG/ PÄTZOLD 2006, 15 ff.). Insgesamt nehmen im Beitrag von LANG und PÄTZOLD systemisch-konstruktivistische Ansätze eine vorherrschende Stellung in der Begründung des selbstgesteuerten Lernens ein. Zwar werden weitere lerntheoretische Einflüsse, vor allem aus dem Kognitivismus, erwähnt (vgl. LANG/ PÄTZOLD 2006, 11, 21 f.), jedoch verdeutlichen schon Umfang, Differenziertheit und verwendete Terminologie des Dargestellten, welchen theoretischen Positionen hier eindeutig Vorrang eingeräumt wird. Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen es nach sich zieht, wenn maßgeblich systemisch-konstruktivistische Theorien sowohl zur Legitimation als auch zur Begründung bzw. Modellierung des selbstgesteuerten Lernens herangezogen werden.

3.  Ein tragfähiges Fundament?

Zunächst gilt es, im Folgenden zu präzisieren, um welche Form eines Konstruktivismus es sich handelt, auf den im Zusammenhang des so genannten „Konzept[s] des selbstgesteuerten Lernens“ (LANG/ PÄTZOLD 2006, 17) Bezug genommen wird. Zum einen ist im Kontext seiner lerntheoretischen Legitimation von „einer konstruktivistischen Sichtweise des Lernens“ die Rede (LANG/ PÄTZOLD 2006, 10). Wie schon erwähnt, fällt hier insbesondere die Betonung der Eigenverantwortlichkeit des Lernenden für seine Wissenskonstruktionen auf. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich möglicherweise die Vorstellung, Individuen könnten in ihrem Denken und Handeln gar nicht gezielt von außen beeinflusst werden. Alles, was in ihnen und somit mit ihnen geschehe, entstehe folglich allein aus ihnen heraus und könne somit auch nur von ihnen selbst vertreten werden. In dieser Sichtweise deutet sich ein erkenntnistheoretischer Anti-Realismus an, wie er von radikal konstruktivistischen Positionen vertreten wird (vgl. REMME 2008).

Bei der Begründung und begrifflichen Konkretisierung des selbstgesteuerten Lernens wird primär auf die bereits genannten Selbstorganisationstheorien rekurriert, die auf neurobiologische sowie physikalische Grundlagen zurückgreifen und zugleich als die naturalistischen Bezugspunkte des radikalen Konstruktivismus gelten können (vgl. REMME 2008). Die Bedeutung der Neurowissenschaft als „Erkenntnis“-Quelle (Zu beachten ist, dass Erkenntnis in einem konstruktivistischen Verständnis niemals im Sinne einer objektiven (auch nicht intersubjektiv übereinstimmenden) Erkenntnis verstanden werden kann, da eine erkennbare Realität der menschlichen Wahrnehmung nicht zugänglich sei, sondern lediglich die durch individuelle Konstruktion geschaffene (subjektive) Wirklichkeit. Diese Sichtweise wirft für den Radikalen Konstruktivismus und seine pädagogische Rezeption auch das Dilemma seiner eigenen faktischen Unbegründbarkeit als Erkenntnistheorie auf, die seine Vertreter jedoch meinen, gerade mit naturwissenschaftlichen Belegen widerlegen zu können (vgl. REMME 2008).) für pädagogisches Handeln wird dann eigens noch einmal in einem besonderen Kapitel ausgeführt (vgl. LANG/ PÄTZOLD 2006, 15 ff.).

Für die Modellierung des selbstgesteuerten Lernens mit dem Ziel des Erwerbs von Selbstlernkompetenz wird nachfolgend ein theoretisches Modell vorgestellt, das bekannte Erkenntnisse aus der Lernpsychologie, insbesondere zur Bedeutung von kognitiven, motivationalen, volitionalen sowie metakognitiven Einflüssen auf Lernprozesse berücksichtigt (vgl. LANG/ PÄTZOLD 2006, 17 ff.).

Im folgenden Abschnitt schließlich werden Wege und Möglichkeiten erörtert, auf bzw. mit denen der Erwerb von Selbstlernkompetenz im schulischen Unterricht erreicht werden soll. Von einem direkten Förderansatz, demzufolge „Lernenden im Sinne eines Lernstrategietrainings in stärker instruktionsorientierten Lernumgebungen explizit ein umfangreiches Repertoire von Strategien und Techniken des selbstgesteuerten Lernens“ vermittelt werden soll, werden hier Maßnahmen zu einer indirekten Förderung unterschieden. Auch hier zeigt sich deutlich, dass den vorgestellten Konzepten eine konstruktivistische Sichtweise des Lernens zugrunde liegt. Im Zusammenhang des Lernstrategietrainings etwa wird als bekannter Vertreter eines pädagogischen Konstruktivismus Heinz MANDL zitiert, während für den indirekten Förderansatz eine Empfehlung von „Lernumgebungen, die dem Paradigma eines gemäßigten Konstruktivismus folgen (z. B. cognitive apprenticeship <(COLLINS/ BROWN/ NEWMAN 1989), cognitive flexibility (SPIRO u. a. 1992), anchored instruction)“ erfolgt (vgl. LANG/ PÄTZOLD 2006, 22 ff.).

Worin nun, so ist angesichts der Bezugnahmen auf einen radikalen Konstruktivismus als Metatheorie einerseits und einen gemäßigten Konstruktivismus als theoretischer Grundlage pädagogischen Handelns andererseits zu fragen, liegen die Unterschiede radikal und gemäßigt konstruktivistischer Positionen? In einem Referat zum Seminar ‚Pädagogik und Konstruktivismus' hat Jörg RUHLOFF hierzu ausgeführt, dass der Konstruktivismus „im Zuge seiner pädagogischen Rezeption seine revolutionären Ansprüche“ überwiegend verliere, da ein „konsequenter Anschluss an radikal-konstruktivistische Vorstellungen, wie er trotzdem gelegentlich vorkommt, […] zum Verzicht auf pädagogische Anforderungen zu führen“ scheine (RUHLOFF 2002, 1). Um den Konstruktivismus als wissenschaftstheoretisches Paradigma für die Pädagogik „salonfähig“ zu machen, bedurfte er folglich einer Entradikalisierung. So schreiben auch LANG und PÄTZOLD, „dass die im radikalen Konstruktivismus individuumbezogene Sichtweise um einen sozial-interaktionistischen Standpunkt zu erweitern ist“ (LANG/ PÄTZOLD 2006, 14), ohne den Unterricht gar nicht denkbar wäre. Mit Rolf ARNOLD und Horst SIEBERT wird diese Erweiterung folgendermaßen begründet: „Wir denken und fühlen zwar als Individuen und auf der Grundlage unserer unverwechselbaren Biografie. Wir handeln jedoch stets mit anderen und im Blick auf andere. Individuelle Einmaligkeit und Selbstreferenzialität einerseits und soziale Zugehörigkeit und Abhängigkeit andererseits sind also untrennbar verknüpft“ (ARNOLD/ SIEBERT 2006, zit. nach LANG/ PÄTZOLD 2006, 14). Als „viabel“ sei daher anzusehen, „was dem Einzelnen sowohl passend und lebensdienlich, als auch sozial- und umweltverträglich erscheint.“ (LANG/ PÄTZOLD 2006, 14). Schon Ernst von GLASERSFELD hat in seiner kognitionspsychologischen Variante des radikalen Konstruktivismus zur Viabilität ausgeführt, dass die Angewiesenheit des Menschen auf seine Mitmenschen als rationale Basis für einen respektvollen Umgang mit anderen zu sehen sei (vgl. REMME 2008). Soziales Handeln im konstruktivistischen Verständnis wäre demzufolge im Sinne einer Zweck-„Ethik“ zu begreifen.

Die breite Rezeption einer radikal konstruktivistischen Perspektive in Erziehungswissenschaft und pädagogischer Praxis verdankt die vermeintlich neue Erkenntnistheorie vermutlich unterschiedlichen Gründen: Sie mag auf manchen Pädagogen aufgrund ihrer „angeblich empirisch gesicherten und neuesten Resultaten der „Modewissenschaft“ Neurobiologie Faszination ausüben. Zugleich scheint sie besonders das lernende Subjekt zu würdigen und damit im Sinne reformpädagogischer Ideen einen Kontrapunkt gegen überholte behavioristische Vorstellungen vom Lernen zusetzen. Dabei werden in radikal konstruktivistischen Vorstellungen von Prozessen des Lernens oftmals innovative Ideen für die Gestaltung ihrer Bedingungen gesehen. Grundsätzlich weist sich der radikale Konstruktivismus durch einen äußerst ekklektizistischen Umgang mit theoretischen Bezügen aus, über den er sich in Verbindung mit raffinierten Methoden der Textgestaltung einen großen Verbreitungsradius sichert. Auch verhält er sich „viabel“ zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Tendenzen und relativistischen Strömungen. In diesem Zusammenhang öffnet er sich, ganz dem virtuellen Zeitgeist entsprechend, einem Fiktionalismus, der in Anbetracht einer kaum noch erträglichen sozialen Realität auf viele Menschen Anziehungskraft ausüben mag. Darüber hinaus ist das Paradigma eines radikalen Konstruktivismus für Pädagogen angesichts subjektiv empfundener Überforderung in Unterrichtssituationen auch geeignet, eine entlastende Funktion zu erfüllen (vgl. REMME 2008, RUHLOFF 2002). (Zur pädagogischen Rezeption radikal konstruktivistischer Thesen vgl. auch TERHART 1999 und PONGRATZ 2005. )

Doch welche Innovationspotenziale sind für die Pädagogik tatsächlich mit der Einnahme einer konstruktivistischen Sicht auf das Lernen verbunden? Hinterfragt man das, was als „konstruktivistische Lernumgebungen“ bezeichnet wird, so stößt man auf Prinzipien, die aus bewährten lernpsychologisch begründeten didaktischen Konzeptionen hinreichend bekannt sind. Die als charakteristisch erwähnten Merkmale wie komplexe Aufgabenstellungen etwa oder der Grundgedanke des Nachentdeckens im Unterricht finden sich bereits im Problemorientierten Unterricht Heinrich ROTHs, im Genetischen Lernen Martin WAGENSCHEINs oder im Entdeckenden Lernen bei Jerome BRUNER (vgl. KLAFKI 1996, 145 ff.). Tatsächlich geht es bei der „neuen“ konstruktivistisch begründeten „Subjekt“-Orientierung in Lehr-Lern-Prozessen um die Verwirklichung von Intentionen, die in der Geschichte der Pädagogik schon immer Bedeutung hatten und nicht zuletzt für Forderungen der Reformpädagogik ein zentrales Motiv waren (vgl. RUHLOFF 2002, 1). Fraglich ist allerdings, inwieweit der pädagogische Konstruktivismus geeignet ist, dem lernenden Subjekt gerecht zu werden, wenn man alle Implikationen berücksichtigt, die das neue Paradigma für schulisches Lernen mit sich bringt.

Hierzu sei zunächst skizziert, welche Charakteristika den radikalen Konstruktivismus, auf den in konstruktivistischen Konzeptionen der Pädagogik immer wieder Bezug genommen wird, im Kern auszeichnen. Von seinen Begründern aus Neurowissenschaft und Kognitionspsychologie wurde er als eine Reaktion auf den epistemischen Realismus verstanden, von dem man offenbar überwiegend annahm, er verkörpere die naive Vorstellung einer spiegelbildlichen Abbildbarkeit von Realität in der menschlichen Wahrnehmung (vgl. REMME 2008). Dem wurde der Grundgedanke der Konstruktivität aller Wahrnehmung entgegengesetzt, womit man beanspruchte, eine völlig neuartige Erkenntnistheorie geschaffen zu haben (vgl. REMME 2008). Tatsächlich ist jedoch selbst der Gedanke des Konstruierens von Wirklichkeit nicht das eigentlich Neue am radikalen Konstruktivismus, denn in kritisch realistischen Erkenntnistheorien wurde subjektive Wahrnehmung spätestens seit Immanuel KANT („ich denke“) als ein aktiver, kreativer und somit konstruktiver Prozess begriffen. Radikal hingegen, wenngleich ebenfalls nicht neu, war ein mit ihm vertretener Anti-Realismus, der von völliger Negierung jedes ontologischen Seins (z. B. bei MATURANA) bis hin zur Annahme reichte, dass eine objektive Realität zwar bestehe, jedoch unserer konstruierenden Wahrnehmung vollkommen unzugänglich sei und diese allenfalls über „perturbierende“ Einwirkungen auf unser „innersystemisches Äquilibrium“ zu kompensatorischer Konstruktion stimuliere (z. B. bei ROTH) (vgl. REMME 2008). Dem Selbstverständnis radikaler Konstruktivisten als Begründer eines erkenntnistheoretischen Paradigmas ist allerdings entgegen zu halten, dass ihre „Theorie“, ebenso wenig wie die eines epistemischen Realismus, etwa im Kritischen Rationalismus Karl R. POPPERs, weder beweis- noch widerlegbar und somit wissenschaftlich nicht begründbar ist (vgl. REMME 2008). Der Versuch einiger radikaler Konstruktivisten, ihre anti-realistische Position gerade mit naturalistischen Argumenten begründen zu wollen, erscheint in diesem Licht besonders paradox. Jedoch steht der radikale Konstruktivismus als Erkenntnismetaphysik einem metaphysisch-epistemischen Realismus formal gleichberechtigt gegenüber. Als Entscheidungskriterien für oder gegen die eine oder andere Position kommen somit nur Maßstäbe wie Plausibilität und Risikogehalt in Frage (vgl. REMME 2008).

Hier zeigt sich, dass der vom radikalen Konstruktivismus vertretene Anti-Realismus sowohl in Bezug auf seine Glaubhaftigkeit als auch mit Blick auf seine ethischen Implikationen als äußerst problematisch beurteilt werden muss (vgl. REMME 2008). Seine im Vergleich zum epistemischen Realismus problematische Plausibilität zeigt sich bereits an Beispielen des alltäglichen Lebens: Es erscheint schwer vorstellbar, dass derart multiple Wirklichkeiten parallel und ohne den kognitiven und sensorischen Zugang zu einer Realität miteinander leben, und hierbei doch offenbar recht häufig zu in gewissem Umfang übereinstimmenden Wahrnehmungen kommen und darüber Konsens kommunizieren. Während ich mich z. B. darüber ärgere, dass es gerade regnet, bin ich bisher noch niemals einem Menschen begegnet, der in demselben Moment seiner Freude über den Sonnenschein Ausdruck verliehen hätte. Es erscheint mir plausibler anzunehmen, dass wir dann tatsächlich gemeinsam einen realen Regen beobachtet haben (den wir in unserer konstruktiven Wahrnehmung durchaus unterschiedlich bewerten mögen), als zu glauben, dass ich die Äußerungen meiner Mitmenschen über das Wetter lediglich zur Aufrechterhaltung meines innersystemischen Gleichgewichts der von mir erlebten Wirklichkeit anpasse. Das Verneinen selbst der beschränkten Zugänglichkeit einer objektiven Realität und somit das Verneinen von jeglicher Objektivität im Sinne von intersubjektiver Übereinstimmung hat darüber hinaus fragwürdige ethische Folgen (vgl. REMME 2008). Denn wenn es nicht auf Wahrheit, sondern allein auf die Viabilität von subjektiver Wirklichkeit ankommen soll, so wäre dies z. B. eine Legitimation zur Leugnung des Holocaust. Ebenso wäre es zulässig, dem eigenen inneren Gleichgewicht zuliebe Hungersnöte, Klimawandel oder Hiroshima als bloß medial inszenierte Konstrukte anderer aus der subjektiven Wirklichkeit zu streichen.

Damit eignet sich der radikale Konstruktivismus als eine universelle Rechtfertigungsideologie (vgl. REMME 2008), deren folgenreiches ethisches Vakuum mitbedacht werden sollte, wenn man sich für ihn als pädagogische Metatheorie entscheidet. Denn sein ideologisches Potenzial verliert der Konstruktivismus auch in seiner gemäßigten Variante nicht, solange er dem beschriebenen epistemischen Anti-Realismus verhaftet ist. Wird dieser allerdings aufgegeben, so wäre die konstruktivistische Idee ihres Wesens beraubt und würde sich von einer kritisch realistischen Position nicht mehr unterscheiden. Er besäße dann selbst als metaphysische Erkenntnis-„Theorie“ keine Eigenständigkeit mehr und wäre mithin überflüssig.

4.  Schlussfolgerungen und ein Plädoyer für selbstbestimmtes Lernen

Im vorangegangenen Abschnitt wurden die Probleme aufgezeigt, die mit einer Legitimation des selbstgesteuerten Lernens durch die so genannten konstruktivistischen Lerntheorien verbunden sind. Insbesondere aufgrund seiner ethisch problematischen ideologischen Kapazität zeigt sich der radikale Konstruktivismus als pädagogisches Metaparadigma als unvereinbar mit einem kritischen Bildungsverständnis. Durch die ihm immanente Wertfreiheit bedeutet jede Berufung auf ihn zugleich ein indirektes Bekenntnis zu ideologischer Beliebigkeit. Sofern also Bildung als pädagogisches Ziel noch als etwas verstanden wird, wie etwa Herwig BLANKERTZ es in seiner Auseinandersetzung mit historischen Positionen der Bildungstheorie systematisch bestimmt hat (vgl. hierzu z. B. LÜTH 1989, 472 ff.), sie also nicht auf ein messbares Korrelat reduziert, sondern auch an ihren normativen Gehalten zu überprüfen bleibt, sollten bildungstheoretische Argumente für das selbstgesteuerte Lernen Berücksichtigung finden. Um dies auch sprachlich zu verdeutlichen wäre auf die systemisch-konstruktivistisch geprägte Terminologie zu verzichten und anstelle von selbstgesteuertem, selbstreguliertem oder selbstorganisiertem Lernen von selbst bestimmtem Lernen zu sprechen (vgl. FAULSTICH 2002, 3 f.). Denn „auffällig“ sei, so Peter FAULSTICH, „dass trotz der langen Liste von „Selbst“-Begriffen angemessene Entwürfe von Persönlichkeit und Identität kaum zu finden sind. Vielmehr dominiert eine Individualisierungstendenz. Die Handlungsbegründungen der Lernenden werden herausgelöst aus ihren gesellschaftlichen Kontexten und getreu neoliberalistischer Tradition reduziert auf das isolierte, egoistische Individuum, das seine Lernstrategien an Kosten/Nutzen-Kalkülen orientiert. Selbstbestimmtheit im Lernen verkommt in instrumentalistischen Strategien. Es geht dann darum durch immer raffiniertere Lernarrangements den Schein von Partizipation und Kooperation im Lernprozess zu erzeugen.“ (FAULSTICH 2002, 3)

Im selbstbestimmten Lernen hingegen steht die Subjektbildung der Lernenden im Vordergrund. Ihr Lernen soll daher an ihren Erfahrungen und Interessen anknüpfen können und an der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung des zu Lernenden für sie orientiert sein. Im Bildungsprozess geht es um den Erwerb von umfassenden Kompetenzen, so wie z. B. WEINERT sie beschreibt. Es soll dabei nicht bloß um jene quantifizierbaren Anteile gehen, die in standardisierter Form als gesellschaftlich verwertbarer Output mess- und kalkulierbar sind. selbstbestimmtes Lernen soll auch jene Aspekte von Bildung betreffen, die „nur“ qualitativ bestimmbar, aber gesellschaftlich spürbar wirksam sein werden. Gelingt umfassende Bildung im Prozess des selbstbestimmten Lernens, so werden nicht nur die Einzelnen, sondern wird auch die Allgemeinheit in einem übermateriellen Sinne von einem „Klima“ der Bildung profitieren, die z. B. im solidarischen Miteinander der Menschen einer Gesellschaft zum Ausdruck kommen und erfahrbar werden kann. In der beruflichen Bildung ist es daher ganz besonders in Ausbildungen zu sozialen Berufen, z. B. in der Pflege, von Bedeutung, selbstbestimmtes Lernen in diesem Verständnis zu ermöglichen und zu fördern, die notwendigen Voraussetzungen und Bedingungen hierfür zu schaffen und zu erhalten. Letzteres ist von zentraler Bedeutung, damit selbstbestimmtes Lernen individuell gelingen, es seine Bildungswirksamkeit entfalten kann: Es muss von einer insgesamt bildungsfreundlichen Atmosphäre getragen sein. Schule muss diese gewährleisten, um ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden. Und hierin sollte Bildungspolitik sie unterstützen.

Literatur

BMBF (Hrsg.) (2007): Bildungsforschung Band 1. Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn, Berlin.
Online: http://www.bmbf.de/pub/zur_entwicklung_nationaler_bildungsstandards.pdf (20-12-2007).

FAULSTICH, P. (2002). „Selbstbestimmtes Lernen“ – vermittelt durch Professionalität der Lehrenden. In: WITTHAUS, U./ WITTWER, W./ CLEMENS, E. (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen. Theoretische und praktische Zugänge. Bielefeld 2003.
Online: http://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2002/faulstich02_02.pdf (20-12-2007).

GREB, U. (2005): Berufspädagogik im Wirbel output-orientierter Lernprozesse. In: BÜCHTER, K./ SEUBERT, R./ WEISE-BARKOWSKY, G. (Hrsg.): Berufsbildungstheorie, Berufsbildungsgeschichte und Berufsbildungspolitik. Frankfurt am Main, 431-452.

HOLZKAMP, K. (1995): Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt am Main, New York.

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KLAFKI, W. (1996): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. 5. Auflage, Weinheim, Basel.

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online seit 25.2.2008