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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS28 - Hochschulzugang
Herausgeber: Antje Barabasch & Ernst A. Hartmann


Titel:
Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung


Stand und Perspektiven der Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge im Rahmen von ANKOM

Beitrag von Ernst A. HARTMANN (Institut für Innovation und Technik, Berlin)

Abstract

Dieser Beitrag stellt aktuelle Entwicklungen zur Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung dar. Vor dem Hintergrund dreier Dimensionen der Durchlässigkeit – Hochschulzugang, Anrechnung und Studienmodelle – werden insbesondere Ergebnisse der Entwicklungsprojekte der ANKOM-Initiative des BMBF vorgestellt. Diese Ergebnisse betreffen die Lernergebnisbeschreibung, die inhalts- und niveaubezogene Äquivalenzprüfung hinsichtlich der beruflichen Lernergebnisse einerseits und der hochschulischen Lernergebnisse andererseits sowie die Gestaltung des Anrechnungsverfahrens insgesamt an der jeweiligen Hochschule. Es werden Methoden der Äquivalenzbeurteilung in pauschalen und individuellen Anrechnungsverfahren vorgestellt. Ein Ausblick auf aktuelle bildungspolitische Entwicklungen – wie etwa den Bund-Länder-Wettbewerb ‚Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen’ – und zukünftige ‚Baustellen’ der Weiterentwicklung von Durchlässigkeit im Bildungssystem schließen den Beitrag ab.

1 Hintergrund: Dimensionen der Durchlässigkeit

Die Beförderung der Durchlässigkeit im Bildungssystem – und hier insbesondere der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung – betrifft drei Gestaltungsbereiche:

  • Hochschulzugangsberechtigung: Für beruflich Qualifizierte stellt sich oftmals die Frage, inwieweit ihnen der Zugang zu hochschulischer Bildung offen steht, und ggf. welche Hürden dabei zu überwinden sind.
  • Anrechnung: Zwischen fachlich affinen beruflichen und hochschulischen Bildungsgängen bestehen inhaltliche und niveaubezogene Überlappungen hinsichtlich der jeweils erworbenen Lernergebnisse. Eine Anrechung bereits im beruflichen Kontext erworbener Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen würde eine Weiterbildung auf akademischem Niveau für beruflich Qualifizierte erheblich erleichtern.
  • Studienmodelle: Jenseits liberaler Regelungen des Hochschulzugangs und weitreichender Anrechnungsmöglichkeiten gibt es ein weiteres Gestaltungsfeld, das für die praktisch wirksame Durchlässigkeit von höchster Bedeutung ist. Bestehende Studiengänge sind in aller Regel nicht auf die Belange berufstätiger Menschen ausgerichtet. Eine erhebliche Durchlässigkeitshürde besteht also in der mangelnden Vereinbarkeit hochschulischer Weiterbildung mit beruflichen und familiären Verpflichtungen.

In den ersten beiden Bereichen sind in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden.

So fasste am 6. März 2009 die Kultusministerkonferenz einen Beschluss zum Thema ‚Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung’. Die wesentlichen Inhalte dieses Beschlusses lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Meister und Inhaber vergleichbarer bundes- oder landesrechtlicher Weiterbildungsabschlüsse erhalten eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung.
  • Weiterhin erhalten Absolventen einer mindestens zweijährigen, zum angestrebten Studiengang affinen Berufsausbildung eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung, wenn sie eine mindestens dreijährige Berufspraxis nachweisen können und ein Eignungsfeststellungsverfahren erfolgreich abschließen.
  • Die einzelnen Länder können weitergehende Regelungen beschließen. Nach einem Jahr nachweislich erfolgreich absolvierten Studiums werden solche landespezifischen Hochschulzugangsberechtigungen von allen Ländern zum Zwecke des Weiterstudiums im gleichen oder in einem affinen Studiengang anerkannt.

Die Rahmenbedingungen des Hochschulzugangs für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung haben sich durch diesen Beschluss deutlich verbessert. Während noch 2008 für Meister und vergleichbar Qualifizierte in einigen Ländern nur die fachgebundene Hochschulreife bzw. die Fachhochschulreife – und auch dies teilweise nur nach Zugangsprüfungen – zugestanden wurde, wird dieser Personengruppe nun der allgemeine Hochschulzugang ohne weitere Prüfung gewährt. Auch für beruflich Qualifizierte ‚unterhalb der Meisterebene’ sind nun transparente Zugangsregelungen vorgesehen. Ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der früheren Situation ist insbesondere auch in der wechselseitigen Anerkennung von Zugangsberechtigungen zwischen den Ländern zu sehen. Diese Anerkennung wird es zukünftig auch dann geben, wenn die Zugangsbestimmungen des ‚Ursprungslandes’ eines zwischen den Ländern während des Studiums wechselnden ‚nicht-traditionellen Studierenden’ liberaler sind als die des ‚Ziellandes’.

Auch im zweiten oben genannten Gestaltungsfeld, der Anrechnung, wurden Fortschritte erzielt. Im folgenden Abschnitt wird darauf detailliert eingegangen. Die Frage der Gestaltung von Studienmodellen wird danach aufgegriffen.

2 Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge: Elemente und Ergebnisse

2.1 Überblick

Jenseits der oben angesprochenen Frage der Hochschulzugangsberechtigung ist die Anrechnung beruflich erworbener Lernergebnisse (Wissen, Qualifikationen, Kompetenzen) auf Hochschulstudiengänge ein erfolgversprechendes Mittel, um Hürden zu mindern, die einer akademischen Weiterbildung beruflich Qualifizierter aktuell noch im Wege stehen.

Gemäß KMK-Anrechnungsbeschluss (II) 2008 (KULTUSMINISTERKONFERENZ 2008) kann Anrechnung als individuelles oder pauschales Verfahren gestaltet werden. Werden beide Anrechnungsmodi angewandt, kann man von einem kombinierten Verfahren sprechen.

Im pauschalen Anrechnungsverfahren werden Lernergebnisse beziehungsweise Bündel von Lernergebnissen (zum Beispiel Fortbildungsabschlüsse) im Rahmen einer Äquivalenzprüfung hinsichtlich ihrer Anrechenbarkeit auf bestimmte Studiengänge bewertet und dann im Rahmen eines pauschalen Anrechnungsverfahrens angerechnet. Die Äquivalenzprüfung ist nicht Teil des Anrechnungsverfahrens, sondern findet – bezogen zum Beispiel auf eine Weiterbildung – vorher statt. Diese Form der Anrechnung ist personenunabhängig. Das pauschale Anrechnungsverfahren bezieht sich normalerweise auf formal erworbene – in Abschlüssen und Zertifikaten dokumentierte – Lernergebnisse. Eine Anwendung auf nicht-formal erworbene Lernergebnisse ist denkbar, wenn die entsprechenden Lernprogramme relativ verbreitet und gut dokumentiert (zertifiziert) sind. Eine pauschale Anrechnung informell erworbener Kompetenzen ist in der Regel nicht lernergebnisorientiert möglich und kann nur in Ausnahmefällen erfolgen (zum Beispiel Anrechnung von Berufspraxis auf ein Praktikum innerhalb eines Studiengangs).

Beim individuellen Anrechnungsverfahren werden für jede „Anrechnungskandidatin“ beziehungsweise jeden „Anrechnungskandidaten“ Lernergebnisse gesondert dokumentiert und im Rahmen einer Äquivalenzprüfung hinsichtlich ihrer Anrechenbarkeit bewertet. Die Äquivalenzprüfung ist Teil des Anrechnungsverfahrens. Das Verfahren kann sich auf formal, nicht-formal und informell erworbene Lernergebnisse beziehen. Eine typische Methode für individuelle Verfahren ist das Portfolio: eine Sammlung unterschiedlicher formaler und informeller Dokumente, die das Vorliegen bestimmter Lernergebnisse nachweisen sollen (zum Beispiel Arbeitsproben, betriebliche Dokumente, Bildungszertifikate). Die im Portfolio durch unterschiedliche Belege dargelegten individuell vorhandenen Lernergebnisse werden auf ihre Äquivalenz mit den entsprechenden Studienmodulen hin überprüft, was auch ein Gespräch zwischen der Anrechnungskandidatin beziehungsweise dem Anrechnungskandidat und den für das Studienmodul verantwortlichen Lehrenden beinhalten kann.

Das kombinierte Anrechnungsverfahren schließt individuelle wie pauschale Möglichkeiten der Lernergebnisanrechnung ein. Aus Sicht des Nachfragenden kann durch das kombinierte Verfahren das vorliegende Anrechnungspotenzial umfangreicher erschlossen werden als mit dem rein pauschalen Verfahren. Gegenüber dem rein individuellen Verfahren ist das kombinierte Verfahren aufgrund seiner pauschalisierten Anteile in der Durchführung effizienter.

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Abb. 1:   Pauschale und individuelle Anrechnung.

Durch die Anrechnung bereits beim Lerner vorhandener Lernergebnisse sinkt in entsprechendem Umfang der Lernaufwand für das weiterbildende Studium. Zur Untersuchung und Beförderung solcher Anrechnungsmöglichkeiten hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahre 2005 die Initiative ‚ANKOM’ ins Leben gerufen.

Die zwölf ANKOM-Entwicklungsprojekte (vgl. Abbildung 2) haben in diesem Sinne Verfahren zur Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge entwickelt und erprobt. An einigen Hochschulen sind die Anrechnungsverfahren bereits implementiert in dem Sinne, dass die administrativen und rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass diese Anrechnungsmöglichkeiten allen Interessierten praktisch zur Verfügung stehen.

Im Zuge dieser Entwicklung von Anrechnungsmodellen hatten die Entwicklungsprojekte drei Aufgaben zu bewältigen:

  • Beschreibung von Lernergebnissen der beruflichen und akademischen Bildung als Voraussetzung einer Beurteilung von Gleichwertigkeitsbeziehungen (Äquivalenzen) zwischen beruflich und hochschulisch erworbenen Lernergebnissen
  • Darauf aufbauend die Bestimmung von inhaltlichen und niveaubezogenen Äquivalenzbeziehungen zwischen beruflichen und akademischen Lernergebnissen
  • Schließlich die Entwicklung von Anrechnungsverfahren, die die konkrete Durchführung solcher Kompetenzanrechnungen an Hochschulen regeln

Mittlerweile liegen zu allen diesen Fragestellungen generalisierbare Ergebnisse vor.

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Abb. 2:   Die Entwicklungsprojekte (links oben: Cluster Gesundheit-Soziales-Erziehung; rechts oben: Cluster Wirtschaft; links unten: Cluster Ingenieurwissenschaften; rechts unten: Cluster IuK / Informatik). Benannt sind jeweils die Konsortialführer, in allen Projekten arbeiten weitere Institutionen und Organisationen mit.

2.2 Lernergebnisse

In Anlehnung an John ERPENBECK werden für die Zwecke von ANKOM drei Arten von Lernergebnissen unterschieden: Wissen im Sinne von deklarativem und prozeduralem Wissen, also einschließlich Fähigkeiten und Fertigkeiten, Qualifikationen als Befähigung im Hinblick auf definierte, z.B. arbeitsplatzbezogene Anforderungskonstellationen, und Kompetenzen als ‚Selbstorganisationsdispositionen’, also als Fähigkeit, unter dynamisch sich ändernden Anforderungskostellationen Handlungsfähigkeit zu bewahren und zu entwickeln (ERPENBECK/ HEYSE 2007). Insbesondere der Qualifikationsbegriff unterscheidet sich hier deutlich von der etwa im Kontext des Europäischen Qualifikationsrahmens (EUROPÄISCHE GEMEINSCHAFTEN 2008) verwendeten Begrifflichkeit. Die ‚Qualifikation’ im Sinne des EQR korrespondiert mit der Gesamtheit der in Abbildung 3 dargestellten Gegenstände, also bestimmten Aggregationen von Wissens-, Qualifikations- und Kompetenzfacetten im Sinne der dort verwendeten Terminologie.

 

Abb. 3:   Wissen, Qualifikation und Kompetenz (nach ERPENBECK 2006, 132)

Für die Lernergebnisbeschreibung wurden in den ANKOM-Entwicklungsprojekten vier verschiedene Bezugsrahmen herangezogen (vgl. auch HARTMANN 2009):

  • Qualifikationsrahmen, insbesondere der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR), aber auch sektorale Rahmenwerke etwa für den Hochschulbereich.
  • Generische Taxonomien, wie etwa die kognitiven Taxonomien nach BLOOM (1956) oder darauf basierende Weiterentwicklungen wie etwa nach ANDERSON und KRATHWOHL (2001)
  • Tätigkeitsanalytische Ansätze, die in den Tätigkeiten, für die jeweils eine Qualifikation beschrieben werden soll, den ‚Goldstandard’ für die Lernergebnisbeschreibung suchen
  • Eigene Konzepte der Beschreibung in beruflichem oder hochschulischem Lernen erworbener Kompetenzen

Alle diese Konstrukte sind anwendbar zur Beschreibung von Lernergebnissen; in der Praxis verbreitet sind – wie die ANKOM-Projekte gezeigt haben – in diesem Kontext generische Taxonomien und Qualifikationsrahmen, insbesondere der EQR.

2.3 Äquivalenzprüfung

2.3.1 Überblick

Im Rahmen der Äquivalenzprüfung wird beurteilt, inwieweit Lernergebnisse aus unterschiedlichen Kontexten – wie beruflicher und hochschulischer Bildung – einander gleichwertig sind. Dabei geht es nicht um Gleichartigkeit. Eine Gleichartigkeit von Lernergebnissen ist in der Regel nicht einmal zwischen analogen Bildungsgängen innerhalb eines Bildungssektors zu erwarten; man denke etwa an die Anrechnung von Modulprüfungen zwischen Hochschulen. Im Zentrum steht die Gleichwertigkeit von Lernergebnissen, die in inhaltlicher wie niveaubezogener Hinsicht untersucht wird. Um die Gleichwertigkeit beurteilen zu können, sollten die Lernergebnisse entsprechend aufbereitet sein.

Bei der inhaltlichen Äquivalenzprüfung wird meist keine perfekte Überlappung erwartet, sondern ein vorher festgelegter inhaltlicher Deckungsgrad beachtet. Dies kann beispielsweise ein Deckungsgrad von 75 Prozent sein.

Die niveaubezogene Äquivalenzbeurteilung prüft, ob die Lernergebnisse hinsichtlich bestimmter Niveaukriterien gleichwertig sind. Diese Kriterien können zum Beispiel die Berücksichtigung neuerer Forschungen, Praxisorientierung, Reflexion und Professionalität sein.

Bei der Äquivalenzprüfung als Basis der pauschalen Anrechnung orientiert sich die niveaubezogene Äquivalenzprüfung an hierarchisch gestuften Konstrukten, so etwa den Stufen des Europäischen Qualifikationsrahmens oder anderer Bezugsrahmen. Entsprechende Referenzsysteme unterscheiden und beschreiben unterschiedliche qualitative Niveaus der Lernergebnisse. Die Niveaueinstufung basiert üblicherweise auf mehreren Dimensionen, die sich in gewissen Grenzen gegenseitig kompensieren können. Diese „Kompensationsmechanismen“ sind wichtig, um dem oben genannten Ziel, Gleichwertigkeit zu beurteilen, entsprechen zu können.

Bei der Äquivalenzprüfung als Basis der individuellen Anrechnung werden ebenfalls für die Inhalts- und Niveauprüfung Vergleiche gezogen. Die Art der Referenzsysteme und das Ausmaß, in dem sie herangezogen werden, können sehr unterschiedlich sein. So besteht die Möglichkeit, aufgrund der individuellen Prüfung jedes Lernergebnis, das eine Antragstellerin/ein Antragsteller zur Anrechnung mitbringt, bezogen auf Inhalt und Niveau mit denen des Zielstudiengangs „lokal“ zu vergleichen. Dabei wird auf die Anwendung eines Referenzsystems verzichtet. Äquivalenzeinschätzungen werden direkt vorgenommen und gegebenenfalls im Rahmen eines Beurteilungsgesprächs oder einer Validierungsaufgabe noch einmal überprüft.

Alle diese Äquivalenzprüfungen als Basis pauschaler wie individueller Anrechnung basieren auf Expertenurteilen. Experten sind in der Regel hochschulinterne Expertinnen und Experten (modulverantwortliche Hochschullehrende, Studiendekaninnen/-dekane oder wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Fachbereiche oder zentraler Hochschulinstanzen). Hochschulexterne Expertinnen und Experten sind in der Regel Prüferinnen und Prüfer der Prüfungsausschüsse der Kammern oder externe Sachverständige. Manchmal gelingt es auch, Expertinnen und Experten zu gewinnen, die über Erfahrungen sowohl im akademischen als auch im berufsbildenden Qualifizierungsbereich verfügen.

Um zu einem Äquivalenzurteil für individuelle beziehungsweise pauschale Anrechnung zu gelangen, werden für die Inhalts- und Niveauprüfungen jeweils unterschiedliche Methoden verwendet.

2.3.2 Methoden der Äquivalenzprüfung im Rahmen der pauschalen Anrechnung

Es lassen sich für die Methoden zur Äquivalenzprüfung (bezogen auf Inhalt und Niveau der Lernergebnisse) mit dem Ziel der pauschalen Anrechnung die folgenden drei Gruppen unterscheiden (vgl. auch STAMM-RIEMER/ LOROFF/ HARTMANN 2011, 39f.).

Mittels schwach strukturierter Methoden geben Expertinnen und Experten mehr oder weniger unmittelbar und ohne beziehungsweise mit geringer methodischer Unterstützung Inhalts- oder Niveauäquivalenzurteile ab, dies ist etwa üblich im Rahmen der Anrechnung zwischen Hochschulen.

Durch mäßig strukturierte Methoden werden Expertenurteile durch methodische Hilfsmittel wie etwa Checklisten, Leitfäden oder Fragebögen unterstützt und strukturiert;

In stark strukturierten Methoden werden Expertenurteile durch methodische Hilfsmittel, die als (psychometrische) Messverfahren interpretiert werden können, unterstützt und strukturiert; sie sind insbesondere für die Niveauprüfung interessant.

Im Kontext der ANKOM-Entwicklungsprojekte spielten schwach strukturierte Methoden keine Rolle – die hier entwickelten Instrumente sind den mäßig bis stark strukturierten Methoden zuzuordnen.

Mit schwach strukturierten Methoden gewonnene Expertenurteile streuen oftmals stark und weisen keine hohe wechselseitige Übereinstimmung auf. Die in der BMBF-Initiative ANKOM entwickelten Methoden zeichnen sich gegenüber den schwach strukturierten Methoden durch verbesserte Verlässlichkeit und Gültigkeit aus. Dafür gehen sie aber mit einem relativ hohen Entwicklungsaufwand einher, der aber im Rahmen der Initiative bereits geleistet wurde. Es stehen daher bereits entwickelte und anwendbare Methoden für die Äquivalenzprüfung zur Verfügung.

Betrachtet man den Durchführungsaufwand pro Äquivalenzprüfung, so ist dieser bei den mäßig bis stark strukturierten Methoden nicht notwendigerweise höher als bei den schwach strukturierten Methoden – durch die bessere Strukturierung kann er sogar geringer ausfallen, denn bei schwach strukturierten Methoden kann der Durchführungsaufwand in Abhängigkeit von den jeweils durchführenden Personen stark schwanken. Betrachtet man die Transparenz im Sinne von Klarheit, Durchschaubarkeit und Reproduzierbarkeit der Vorgehensweise und der Ergebnisse der Äquivalenzprüfung, so gewinnen hier die mittel bis stark strukturierten Methoden sehr gegenüber den schwach strukturierten.

Die entsprechenden meist mäßig strukturierten Methoden zum Inhaltsvergleich der Lernergebnisse werden angewendet, um einschätzen zu können, inwieweit sich die beiden zu vergleichenden Gruppen von Lernergebnissen auf gleiche Lerninhalte beziehungsweise Lerngegenstände beziehen. Zum Inhaltsvergleich werden häufig die beiden Gruppen von Lernergebnissen in Matrizen gegenübergestellt. Da die Lernergebnisse des vorgängigen Lernens – etwa in den Fächern einer Fortbildungsprüfung – nicht so strukturiert sind wie die der Module des Studiums, kann es beispielsweise erforderlich sein, ein Modul des Zielstudiengangs mit mehreren Fächern der Fortbildung zu vergleichen, da die für das anzurechnende Modul relevanten Lernergebnisse in mehreren Fächern enthalten sein können. Ein verbreitetes Vorgehen ist dann, die inhaltlichen Überdeckungsgrade von Expertinnen und Experten für die einzelnen Lernergebnisse beider Bildungsteilbereiche beurteilen zu lassen, um zu einer Einschätzung der inhaltlichen Übereinstimmung zu gelangen (für Beispiele vgl. auch a.a.O.: 42ff.).

Die meisten Methoden zum Niveauvergleich der Lernergebnisse der in den ANKOM-Entwicklungsprojekten erarbeiteten und erprobten Verfahren zur Äquivalenzbeurteilung sind als mäßig strukturiert einzuordnen. Dabei werden in unterschiedlicher Weise – in der Regel durch Expertenurteile – den Lernergebnissen Niveaus zugeordnet. Hier spielen Referenzsysteme, meist der EQR, eine wichtige Rolle. Die entwickelten Methoden unterscheiden sich in ihren Anforderungen an die Expertinnen und Experten (zum Beispiel Erfahrungen in beiden Bildungsteilbereichen) oder durch die einzelnen Schritte, um zur Niveaueinschätzung zu gelangen. Im Rahmen der BMBF-Initiative ANKOM wurde auch ein Verfahren entwickelt, das sich als stark strukturiert klassifizieren lässt. Dieses Instrument ist ein nach testtheoretischen Kriterien entwickelter Fragebogen, dessen Eigenschaften hinsichtlich Verlässlichkeit (Reliabilität) und Gültigkeit (Validität)  empirisch ermittelt wurden (Module Level Indicator aus dem Projekt „Qualifikationsverbund Nord-West“ der Universität Oldenburg, GIERKE/ MÜSKENS 2009) (für Beispiele vgl. auch STAMM-RIEMER/ LOROFF/ HARTMANN 2011, 42f.).

2.3.3 Methoden der Äquivalenzprüfung im Rahmen der individuellen Anrechnung

Das Vorgehen und die Methoden der Äquivalenzprüfung im Rahmen eines individuellen Anrechnungsverfahrens unterscheiden sich von denen bei der pauschalen Anrechnung. Das liegt einerseits an den anzurechnenden Lernergebnissen (hier können neben nicht-formal und formal erworbenen Lernergebnissen auch informell erworbene betrachtet werden) und andererseits daran, dass bezogen auf eine Person individuelle Einzelentscheidungen getroffen werden. Auch für die individuelle Anrechnung gilt, dass die Lernergebnisse des Zielstudiengangs die relevante Referenz darstellen. Die Lernergebnisse vorgängiger formaler, nicht-formaler und informeller Lernprozesse müssen auf diese Lernergebnisse abgebildet werden. Dafür müssen zuerst die Lernergebnisse der vorgängigen Lernprozesse erfasst und dokumentiert werden. Wie das erfolgt, hängt entscheidend davon ab, in welcher Form die Lernergebnisse belegt sind. Insbesondere informelle Lernergebnisse sind in der Regel nicht (unmittelbar) dokumentiert. Die Dokumentation muss im Rahmen der individuellen Äquivalenzüberprüfung von den Lernenden selbst geleistet werden, etwa durch Lerntagebücher, Beschreibung von Tätigkeiten und den in deren Rahmen erworbenen Lernergebnissen. Dokumentationen formaler und nicht-formaler Lernergebnisse (Zeugnisse, Zertifikate etc.) werden dem beigefügt.

In einem nächsten Schritt ist es notwendig, diese Angaben auf die für den Zielstudiengang (zum Beispiel im Modulhandbuch) beschriebenen Lernergebnisse abzubilden. Diesen Prozess unterstützen die unterschiedlichen Elemente eines Portfolioverfahrens, die im Folgenden näher beschrieben werden.

Auch Methoden der Äquivalenzprüfung als Teil der individuellen Anrechnung lassen sich in Methoden zur Inhalts- beziehungsweise Niveauprüfung einteilen. Zur Aufbereitung der vorgängigen Lernergebnisse für den Inhaltsvergleich im Rahmen der individuellen Äquivalenzprüfung werden insbesondere Portfoliomethoden eingesetzt. Sie können auch Aspekte der Niveauprüfung abdecken. Im Rahmen von Portfoliomethoden werden vorgängige Lernergebnisse dokumentiert, aufbereitet und den Lernergebnissen des Zielstudiengangs zugeordnet. Typische Elemente von Portfolioverfahren werden im Folgenden genannt (für Beispiele vgl. STAMM-RIEMER/ LOROFF/ HARTMANN 2011, 48f.)

Lebensläufe geben einen ersten Überblick über die durch unterschiedliche Tätigkeiten informell erworbenen Lernergebnisse.

Lerntagebücher beschreiben bestimmte Tätigkeiten oder Handlungssequenzen mit Fokus auf die damit verbundenen (insbesondere informellen) Lernprozesse und -ergebnisse.

Biografische Fragebögen erfassen asynchron und retrospektiv (berufliche) Tätigkeiten und die damit zusammenhängenden (insbesondere informellen) Lernprozesse und -ergebnisse.

Nach den Lernergebnissen des Zielstudiengangs strukturierte Beschreibungen von Lernergebnissen vorgängigen Lernens werden anhand von Dokumenten erstellt, die eine Struktur gemäß den Modulen und Lernergebnissen des Zielstudiengangs vorgeben. In diese Dokumente werden die Lernergebnisse des vorgängigen Lernens – meist mithilfe eines bestimmten Vorgehens – eingetragen.

Belege der im Portfolio postulierten Lernergebnisse sollten wo irgend möglich beigefügt werden (zum Beispiel Arbeitsproben, betriebliche Dokumente, Zeugnisse und Zertifikate bei formalen und gegebenenfalls nicht-formalen Lernprozessen).

Durch die Gegenüberstellung von beim Individuum durch vorgängige Lernprozesse vorhandenen Lernergebnissen und für den Studiengang relevanten Lernergebnissen können die Inhalte der Lernergebnisse miteinander verglichen werden.

Grundsätzlich können diese Lernergebnisbeschreibungen zugleich beziehungsweise in einem weiteren Schritt auch für Niveauvergleiche genutzt werden. Dafür müssen die Lernergebnisbeschreibungen hinreichend differenziert und in Bezug auf Niveaumerkmale aussagekräftig und belegt sein.

Für die Niveaubeurteilung vorgängiger Lernergebnisse und gleichzeitig auch zur Validierung der inhaltlichen Portfolioergebnisse sind im Rahmen der BMBF-Initiative ANKOM ebenfalls Methoden entwickelt worden, die im Folgenden kurz besprochen werden.

Beurteilungsgespräche dienen zur Validierung der inhaltlich beschriebenen Lernergebnisse und ermöglichen eine Beurteilung ihres Niveaus. Hier kann auch Inhalt der dokumentierten vorgängigen Lernergebnisse validiert werden. Dabei ist das erstellte und bei der Hochschule eingereichte Portfolio Gegenstand eines Beurteilungsgesprächs zwischen der Anrechnungskandidatin/dem Anrechnungskandidaten und einem/einer oder mehreren im jeweiligen Studiengang prüfungsberechtigten Hochschullehrenden.

Schriftliche Validierungsaufgaben beinhalten meist eine für das Studium relevante Problemlösung. Für die Lösung werden Lernergebnisse vorausgesetzt, die im Portfolio postuliert werden. Den Anrechnungskandidatinnen und -kandidaten wird eine entsprechende Aufgabe schriftlich gestellt, die sie in Präsenz oder als Hausarbeit bearbeiten müssen. Auf der Grundlage der Bearbeitung dieser Aufgabe wird eine Validierung des Portfolios (sowohl inhaltlich als auch mit Blick auf das Niveau der einzelnen Lernergebnisse) vorgenommen.

2.4 Anrechnungsverfahren

Letztes Element von Anrechnungsmodellen ist die Integration von Methoden der Lernergebnisbeschreibung und der Äquivalenzprüfung in ein praktikables und sachgerechtes Anrechnungsverfahren. Die grundsätzlichen Typen von Anrechnungsverfahren – pauschal, individuell und kombiniert – wurden bereits weiter oben dargestellt. Im Folgenden werden Aspekte angesprochen, die für die Auswahl eines Verfahrens für eine bestimmte Hochschule von Bedeutung sind (STAMM-RIEMER/ LOROFF/ HARTMANN 2011).

Dem mit der Entwicklung und Durchführung verbundenen Aufwand kommt bei der Entscheidung für ein bestimmtes Anrechnungsverfahren eine zentrale Rolle zu. Denn er wirkt sich auf die damit zusammenhängende Attraktivität des jeweiligen Anrechnungsverfahrens direkt aus. Abhängig von seiner strategischen Bedeutung für die Hochschulprofilierung hinsichtlich Zielgruppen und Angeboten weist jedes Verfahren Vor- und Nachteile auf, die es abzuwägen gilt: Aus der Perspektive der Nachfragenden rangiert ein kombiniertes Verfahren aus individueller und pauschaler – und damit maximaler – Anrechnungsmöglichkeit ganz oben auf der Attraktivitätsskala, während deutliche Profilierungsvorteile für die Hochschule in Abwägung mit dem dafür erforderlichen Aufwand den Ausschlag geben, sich für das eine oder andere oder für beide Verfahren zu entscheiden.

Individuelle und pauschale Anrechnungsverfahren zeigen eine umgekehrte Aufwandsrelation: Während der Entwicklungs- und Set-up-Aufwand eines individuellen Verfahrens geringer einzuschätzen ist, entstehen dafür auch aufgrund erhöhter Informations- und Beratungsleistungen immer wieder hohe Durchführungskosten für die verschiedenen beteiligten Hochschulgruppen und für die Antragstellerin/den Antragsteller. Die pauschale Anrechnung erfordert einmalig einen hohen Aufwand zur Ermittlung der Äquivalenzanteile eines Fortbildungsabschlusses zu einem Studiengangsprofil, jedoch danach einen sehr geringen Einführungs- und Durchführungsaufwand, da keine Hochschullehrenden mehr beteiligt sind und die Anrechnung von der zuständigen Hochschulverwaltung (zum Beispiel Prüfungsamt) abgewickelt wird.

Wenn nur informell erworbene Lernergebnisse angerechnet werden können oder sollen, besteht nur die Möglichkeit eines individuellen Anrechnungsverfahrens. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn im betreffenden Fachgebiet keine breit anerkannten Fortbildungszertifikate vorhanden sind.

Für Studiengänge mit geringen Anrechnungsfällen pro Zeiteinheit kann ein individuelles Anrechnungsverfahren zweifellos ein ökonomisch sinnvolles Vorgehen darstellen. Individuelle Verfahren haben den großen Vorteil, im Prinzip universell auf beliebige Kombinationen beruflicher und hochschulischer Lernergebnisse anwendbar zu sein. Im Vergleich dazu sind pauschale Verfahren die richtige Strategie, wenn eine hohe inhaltliche Affinität zwischen dem darauf anzurechnenden Zielstudiengang einerseits und den geregelten beruflichen Fortbildungsabschlüssen andererseits besteht. Je größer die Zahl der zu erwartenden Anrechnungsfälle pro Zeiteinheit, desto eher wird der Entwicklungsaufwand für solche Verfahren durch den erheblichen Rationalisierungseffekt je einzelner Anrechnungsentscheidung kompensiert beziehungsweise übertroffen.

 

Abb. 4:   Entscheidungsbaum zur Auswahl von Anrechnungsverfahren in Abhängigkeit der Lernwege

Kombinierte – aus pauschalen und individuellen Komponenten bestehende – Anrechnungsverfahren sind schließlich besonders für Hochschulen eine Option, die sich aufgrund einer strategischen Entscheidung durch Studienangebote für nicht-traditionelle Studierende wie beruflich qualifizierte Weiterbildungsinteressierte profilieren möchten.

Abbildung 4 fasst diese Überlegungen in einem Entscheidungsbaum zusammen.

3 Studienmodelle

Anrechnung beruflicher Kompetenzen reduziert zwar die Durchlässigkeitshürden, aber in vielen Fällen nur in einem unterkritischen Maße. Für beruflich engagierte Studieninteressierte ist auch ein erheblich im Umfang reduziertes Studium oftmals noch nicht praktisch studierbar, weil die Studienorganisation nicht hinreichend auf die Belange dieses Typs von Studierenden zugeschnitten ist. Neben ‚traditionellen’ Formen des Fernstudiums und des berufsbegleitenden Studiums entstehen neue Modelle des berufsintegrierten, projektbasierten Studierens.

Als ein – besonders weitreichendes – Konzept solcher Angebote soll orientiert an Erfahrungen aus Großbritannien  ein tätigkeits- bzw. projektbasiertes Studienmodell beispielhaft skizziert werden, das unter dem Namen Work Based Learning bekannt geworden ist (PORTWOOD/ COSTLEY 2000).

Dieses Modell besteht aus drei Komponenten: Der Anrechnung beruflicher Zertifikate  und Erfahrungen, dem tätigkeitsbasierten bzw. projektbasierten akademischen Lernen und einer Kombination aus Coaching, Studium und Beratung als neue universitäre Dienstleistung.

Ein solches Weiterbildungssystem nutzt zunächst eine Methodik zur Anrechnung beruflicher Kompetenzen im oben beschriebenen Sinne. Die Weiterbildungsstudenten verfügen dadurch bereits am Anfang ihres Studiums über ein ‚Konto’ von akademischen Leistungspunkten. Die Differenz zwischen diesen ‚a priori’ Leitungspunkten und den für einen bestimmten akademischen Abschluss notwendigen Punkten definiert den Umfang des zu absolvierenden Lernprogramms.

Das zweite Element bezieht sich auf ein neuartig gestaltetes Weiterbildungsstudium, das Arbeiten und akademisches Lernen sowie Forschen in einer besonderen Weise verbindet. Ziel ist dabei, möglichst viele der für den entsprechenden Abschluss notwendigen Leistungspunkte durch tätigkeitsbasierte Lernprojekte zu realisieren. In der Praxis stellt sich das so dar: Im Aufgabenbereich des Studenten werden Projekte identifiziert, die sich von ihrem Problemgehalt und Anspruchsniveau für eine Auseinandersetzung auf akademischem Niveau eignen. Je nach Studienprogramm können diese Projekte sehr unterschiedlich aussehen: Einführung eines Management-Informationssystems, Reorganisation der Patientenbetreuung in einem Pflegeheim, Entwicklung eines neuen technischen Produkts oder eines neuen Fertigungsprozesses, etc. Angeleitet von einem akademischen Tutor bereitet der Student dieses Projekt auf wissenschaftlichem Niveau vor (Zieldefinition, Entwicklung von Lösungsalternativen, rationale Entscheidung, Implementierung) und wertet es wissenschaftlich aus. Ein Forschungskolloquium über dieses Projekt, seine theoretischen Hintergründe und den wissenschaftlichen Erkenntnisgehalt stellt zugleich die Prüfung – oder eine Teil-Prüfung – im entsprechenden Fach  dar (angewandte Informatik, Pflegeorganisation, Industrial Engineering, etc.).

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Abb. 5:   Work Based Learning als Studienmodell

Nur diejenige Lerninhalte, die nicht auf eine solche Weise bearbeitet werden können, werden zum Gegenstand konventioneller Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Seminare) oder anderer Formen der Lehr-/Lernorganisation (z.B. eLearning, web-based learning).

Letztlich entsteht so für jeden Studenten ein individueller Lernweg. Über diesen Lernweg wird ein dreiseitiges Abkommen zwischen dem Studenten, seinem Sponsor (Finanzier der Weiterbildung, i.d.R. Arbeitgeber) und der Universität abgeschlossen (vgl. Abbildung 5).

Über die Verknüpfung betrieblich relevanter Projekt-Fragestellungen mit Weiterbildungsaspekten, wissenschaftlicher Methodik und akademischem Mentoring / Coaching entsteht zugleich eine ‚implizite Unternehmensberatung’ als weitere, dritte Facette dieses Dienstleistungsbündels.

Dieses Beispiel stellt in seiner Gänze – gemessen an der Situation in Deutschland – eine vergleichsweise radikale Innovation dar. Es finden sich allerdings durchaus Elemente des projektorientierten weiterbildenden Studiums im Angebot deutscher Hochschulen (HARTMANN et al. 2009). Es gilt, diese vorhandenen nationalen wie internationalen Erfahrungen aufzugreifen und im Sinne einer Förderung sowohl der Leistungsfähigkeit der Hochschulen im Weiterbildungsbereich wie auch der Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems insgesamt fortzuentwickeln.

4 Diskussion und Ausblick

Hinsichtlich der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung hat sich die Situation in Deutschland in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Dies betrifft hinsichtlich des Hochschulzugangs insbesondere den einschlägigen KMK-Beschluss von 2009 (KULTUSMINISTERKONFERENZ 2009) und die weit fortgeschrittene Umsetzung dieses Beschlusses in Landesgesetze. Im Bereich der Anrechnung haben die hier ausführlich dargestellte ANKOM-Initiative des BMBF und affine Landesinitiativen (z.B. LASA BRANDENBURG o.J., NIEDERSÄCHSISCHES MINISTERIUM FÜR WISSENSCHAFT UND KULTUR o.J.) modellhafte Lösungen entwickelt und den ‚proof of concept’ erbracht. An einzelnen Hochschulen bestehen bereits etablierte Anrechnungsverfahren.

Hinsichtlich der Gestaltung von Studienmodellen für nicht-traditionelle Studierende ist die Sachlage uneinheitlich; generell bestehen eher wenige Studienangebote, die sehr weitreichende Gestaltungselemente in dieser Hinsicht aufweisen (VÖLK/ HARTMANN 2010). Der gerade angelaufene Bund-Länder-Wettbewerb ‚Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen’ (GEMEINSAME WISSENSCHAFTSKONFERENZ 2010) bietet hier gute Möglichkeiten der Weiterentwicklung.

Eine solche Weiterentwicklung der Durchlässigkeit ist dringend erforderlich, auch angesichts des demografischen Wandels, der einerseits Fachkräftemangel verschärfen und andererseits die Notwendigkeit lebenslangen Lernens intensivieren wird. In diesem Kontext sollen abschließend noch zwei weitere ‚Baustellen’ angesprochen werden.

Im Bereich der hochschulischen Bildung stellt sich die Frage nach der Öffnung von Masterstudiengängen für beruflich besonders qualifizierte Personen. In Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein besteht die Möglichkeit des Hochschulzugangs für Personen ohne ersten Hochschulabschluss bereits, in anderen Ländern wird sie aktuell eingeführt. In für die Zielgruppe dieser nicht-traditionellen Studierenden gut gestalteten Studiengängen wurden auch schon sehr gute Erfahrungen hinsichtlich des Studienerfolgs dieser Personen gesammelt (ELENZ/ OECHSLE 2010).

Schließlich stellt sich – neben der Anrechung innerhalb der beruflichen Bildung (FROMMBERGER 2009) – die Frage nach der Anrechnung anderweitig erworbener Kompetenzen auf berufliche Bildungsgänge. Dies kann beispielsweise Studienabbrecher betreffen, die erbrachte Studienleistungen auf berufliche Aus- oder Fortbildungsgänge angerechnet bekommen möchten. Während sich dies auf formal erworbene Kompetenzen bezieht, betrifft ein gesellschaftlich besonders relevanter Anwendungsbereich die Anrechnung informell erworbener Kompetenzen. Gemeint ist die Anrechnung praktischer Erfahrungen im Rahmen einer ‚nachholenden’ dualen Berufsausbildung. Angesichts des voraussichtlich weiter schwindenden Bedarfs nach Arbeitskräften ohne Berufsausbildung findet sich hier ein Gestaltungsfeld von herausragender sozioökonomischer Bedeutung.

Literatur

ANDERSON, L. W./ KRATHWOHL, D. R. (eds.) (2001). A Taxonomy for Learning, Teaching, and Assessing: A Revision of Bloom's Taxonomy of Educational Objectives. New York.

BLOOM, B. S. (1956). Taxonomy of Educational Objectives, Handbook I: The Cognitive Domain. New York.

ELENZ, G./ OECHSLE, R. (2010): Der andere Weg zum Master – Ein Erfahrungsbericht über den Studienerfolg beruflich qualifizierter Master-Studierender, in Tagungsband zur 5. HDL-Fachtagung „Management von Fernstudium und Weiterbildung nach Bologna“, Brandenburg, Havel.

EUROPÄISCHE GEMEINSCHAFTEN (2008): Der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR). Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 2008. Online: http://ec.europa.eu/dgs/education_culture/publ/pdf/eqf/broch_de.pdf  (15-5-2011).

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Zitieren dieses Beitrages

HARTMANN, E. A. (2011): Stand und Perspektiven der Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge im Rahmen von ANKOM. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 28, hrsg. v. BARABASCH, A./ HARTMANN, E. A., 1-17. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws28/hartmann_ws28-ht2011.pdf (26-09-2011).



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http://www.hochschultage-2011.de/