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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
WS 01 Qualitätsmanagementsysteme

Selbstevaluation als unverzichtbarer Bestandteil von Qualitätsentwicklung

 

Abstract

Die Evaluation ist ein fester Bestandteil eines jeden Konzeptes der Qualitätssicherung und -entwicklung. Es genügt nicht zu behaupten, dass Qualität vorhanden ist, sie muss kriterienbezogen bewertet werden. Dafür werden Evaluationsmethoden und -instrumente benutzt, die variieren, je nachdem ob es um eine Selbst- oder Fremdevaluation geht. Neben dem Aspekt der Evaluationsform unterscheiden sich die Konzepte und Modelle der Qualitätssicherung und -entwicklung bezüglich dieser Fragen: Was wird evaluiert (Evaluationsfelder)? Wozu wird evaluiert (Funktionen der Evaluation)? Wie wird evaluiert (Methoden der Evaluation)?

Vor der Klärung des Verhältnisses zwischen Selbst- und Fremdevaluation werden in diesem Beitrag als erstes weitere Fragestellungen formuliert, die zum Vergleich und zur Beurteilung von Qualitätsmanagementsystemen dienen sollen, da außer der Evaluationsform andere Aspekte entscheidend sein können. Dabei wird eine Synopse zur Beurteilung von Qualitätsmodellen dargestellt und am Beispiel des EFQM gezeigt, wie die Ergebnisse der Beurteilung aussehen. Auf die Schwachpunkte der Fremdevaluation wird schließlich am Beispiel der Zertifizierung nach ISO 9001 eingegangen, um zu zeigen, wie unabdingbar die Selbstevaluation ist.

1.  Kriterien zur Beurteilung von Qualitätsmanagementsystemen

1.1  Fragestellungen

Bei der Auseinandersetzung mit Qualitätsmanagementsystemen sind folgende Fragen hilfreich für die Einordnung und Beurteilung der Modelle:

•  Von wem stammt die Initiative zur Qualitätsarbeit?

•  An welche Adressaten richtet sich die Qualitätsarbeit?

•  Gibt es einen direkten Bezug zur beruflichen Bildung oder ist dieser herzustellen?

•  Wie hoch ist die Relevanz für Bildungsqualität (gemessen an der Erfassung der pädagogischen Kernprozesse)?

•  Auf welches Ziel ist das Qualitätssystem ausgerichtet?

•  Wie wird Qualität verstanden?

•  Geht es um eine Selbstevaluation, externe Evaluation oder um eine Mischform?

•  Wer wird in die Umsetzung einbezogen?

•  Wie streng sind die Verfahren? (Ist eine rigide Reihenfolge vorgesehen oder gibt es Gestaltungsspielräume?)

•  Können die Kriterien einfach operationalisiert werden?

•  Wie hoch ist der Kostenaufwand im Vergleich zu anderen Qualitätsmanagementsystemen?

•  Welchen Stellenwert haben die externe Beratung und die Weiterbildung von Lehrenden für die Implementierung des Modells?

•  Welchen Nutzen für die Einrichtung und die anderen Adressaten hat das Modell?

•  Wie hoch ist die Verbindlichkeit des Modells nach der Umsetzungsphase?

•  Kann ein Nachhaltigkeitseffekt erreicht werden?

Die Auswahl dieser Fragestellungen beruht auf ihrer:

•  Relevanz (Tauglichkeit als Instrument zur Beurteilung),

•  Neutralität (nicht auf ein Modell zugeschnitten: Die Fragen sollten nicht dazu führen, ein Modell zu favorisieren),

•  Vollständigkeit (Erfassung aller wichtigen Aspekte für eine Bildungseinrichtung).

1.2  Synopse zur Beurteilung von Qualitätsmodellen

Auf den Fragestellungen basierend wurde ein kompaktes Instrument zum Vergleich und zur Beurteilung von Qualitätsmodellen mit folgender Zielsetzung entwickelt:

•  Schaffung eines allgemeingültigen Instruments zur theoretischen Einordnung der gängigen Qualitätsmodelle und -konzepte (es geht darum, konkrete Antworten auf die obigen Fragen zu finden),

•  Hilfestellung für Bildungseinrichtungen bei der Auswahl eines Modells.

Unter Berücksichtigung der Fragestellungen und der Ziele wurde dieser synoptische Überblick zur Beurteilung von Qualitätsmodellen entwickelt:

(Für eine bessere Auflösung Linksklick auf die Abbildung)

1.3  Beispiel: Beurteilung des EFQM-Modells

(Für eine bessere Auflösung Linksklick auf die Abbildung)

1.4  Schlussfolgerung

Vergleicht man verschiedene Modelle, die im Bildungsbereich Anwendung finden, kann man feststellen, dass das Hauptmerkmal, wonach es für eine Bildungseinrichtung sinnvoll ist, zwischen den verschiedenen Modellen zu unterscheiden, darin besteht, ob es dabei um Qualitätssicherung oder um Qualitätsentwicklung geht. Die Qualitätssicherung geht davon aus, dass Qualität vorhanden und inhaltlich bestimmt ist; sie muss also durch bestimmte Maßnahmen beibehalten werden. Im Gegenteil zu diesem statischen Begriff entspricht der Begriff „Qualitätsentwicklung“ einer dynamischen Auffassung von Qualität, die über Mindeststandards hinausgeht und mit Verbesserungsprozessen verbunden ist.

Die Qualitätsentwicklung unterscheidet sich von der Qualitätssicherung prinzipiell durch Freiwilligkeit, Ganzheitlichkeit, Dynamik und Nachhaltigkeit. Dabei werden alle Aspekte der Bildungsarbeit und alle Betroffenen – direkt oder durch Repräsentanten – einbezogen. Die Evaluation ist vorwiegend von der Einrichtung selbst durchzuführen, wobei die externe Beratung oder Evaluation nicht ausgeschlossen werden.

2.  Das Verhältnis Selbstevaluation/Fremdevaluation

Die zwei Formen der Evaluation haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile. Bei der Selbstevaluation sind die Kenntnisse der Probleme und die daraus resultierende gezielte Vorgehensweise von Vorteil. Als Grenzen können die fehlenden kritische Distanz sowie Authentizität in Betracht gezogen. Bei der Fremdevaluation sind Kenntnisse der Evaluationsmethoden sowie ein Blick von Außen vorhanden, da fehlen aber die fundierten Kenntnisse der Organisation (vgl. TERGAN 2000, 28 f.).

Bei der Auseinandersetzung mit der Qualitätsthematik muss eine Einrichtung als erstes anhand ihrer Ziele wissen, was schon – bewusst oder unbewusst – gemacht wird oder vorhanden ist, also eine Selbstevaluation durchführen. Danach kann die Einrichtung entscheiden, ob sie bei der Entwicklung eines Konzepts zur Selbstevaluation bleibt oder ob es zur Anwendung eines Modells mit externer Evaluation kommen soll.

Die Selbst- und Fremdevaluation sind nicht unabhängig voneinander, sondern haben bestimmte Wechselwirkungen. So kann die Selbstevaluation als Basis für eine Fremdevaluation dienen. Auf der anderen Seite kann die Fremdevaluation eine interne Selbstreflexion anregen, die Selbstevaluation ergänzen und sie nach außen glaubhaft machen, sie aber keinesfalls ersetzen. Dies ist mit zweierlei Tatsachen zu begründen. Zum einen entsteht durch eine externe (summative) Evaluation keine Qualität. Es wird nur festgestellt, ob sie vorhanden ist oder nicht. Zum anderen ist das eigene Personal einer Einrichtung wegen der Verfügung über umfassende Informationen am besten geeignet, die Qualität zu entwickeln und zu bewerten.

Die Fähigkeiten und Motivation zur Selbstevaluation im Bildungsbereich sind allerdings nicht immer selbstverständlich. Es wird immer versucht, wenn es um die Identifikation der Mängel bei den eigenen Kompetenzen geht, die Lücken zu verstecken und andere Ursachen für die Probleme zu suchen. Dies gilt auch für Lehrkräfte, die ungenügende Ergebnisse auf die Ignoranz der Lernenden zurückführen. Sowohl Lehrkräften als auch Lernenden fehlt es an kritischer Haltung gegenüber den eigenen Aktivitäten und Kompetenzen (vgl. STAHL 1998, 40 ff.).

Für eine erfolgreiche Selbstevaluation müssen die Betroffenen lernen, dass das Eingeständnis der eigenen Schwächen für sie nicht schädlich sondern im Gegenteil eine „Qualität“ ist. Andererseits müssen sie die beruflichen Erfordernisse mit den jeweiligen zu erwerbenden Kompetenzen und Methoden erkennen. Auf der Einrichtungsebene ist eine Kultur der Offenheit erforderlich, in der die Selbstkritik, die Aussagen über die eigenen Kompetenzlücken und Lernschwierigkeiten keine negativen Konsequenzen für die Karriere erwarten lassen.

Die Selbstevaluation kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und differenzierte Wirkungen haben, je nachdem, ob sie für den rein internen Gebrauch konzipiert ist oder ob sie als Basis für eine spätere externe Evaluation dienen wird. Geht es um den internen Gebrauch, so wird ehrlicher und kritischer mit den Gegebenheiten der Einrichtung umgegangen. Nach außen ist immer die Versuchung zu groß, ein besseres Bild zu liefern. Die Authentizität der Selbstevaluation kann also durch die Funktion der Evaluation gefährdet werden, vor allem, wenn externe Anforderungen und Leistungsindikatoren zwecks Mittelvergabe im Spiel sind. Wenn die Qualitätskontrolle als Ereignis – verbunden mit externen Anforderungen – und nicht als Prozess betrachtet wird, dann wird oft versucht, die Schwächen der Einrichtung zu verbergen, und es werden keine langfristigen Verbesserungsprozesse initiiert (vgl. HARVEY 2002b).

3.  Schwachpunkte der Fremdevaluation am Beispiel der Zertifizierung nach ISO 9001

3.1  Wirksamkeit der Zertifizierung

Die Normen enthalten keine Aussagen zur Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung. Die zu zertifizierende Organisation bestimmt meistens selbst Art und Niveau der Qualität. Bei der Zertifizierung wird nur die Einhaltung der selbst gesetzten Standards von den Zertifizierungsstellen geprüft (vgl. RAMLOW/ REISSE/ ZIMMER 1998, 9). Qualitätssysteme nach DIN ISO 9000 ff. können also als eine Umschreibung einer ordentlichen Geschäftsführung betrachtet werden. Die Zertifizierung ist in diesem Sinne keine Garantie für fehlerfreie Produkte oder Leistungen; sie schafft nur die Rahmenbedingungen für Qualität und Transparenz der Prozesse. Wird ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess anders gewährleistet, „besteht hinsichtlich des Qualitätsgedankens an sich kein Erfordernis zur Zertifizierung“ (SCHÖN 1997, 383).

Durch die Beschreibung des Ist-Zustandes und die Bewusstmachung der Ablaufstrukturen können Schwachstellen in der Organisation entdeckt werden. Die Zielsetzungen sind dann entscheidend für den Umgang mit diesen Schwachstellen, die von einem externen Auditor nicht unbedingt wahrgenommen werden. Geht es der Organisation um kontinuierliche Verbesserungsprozesse, werden die Schwachstellen eliminiert. Steht das Zertifikat im Vordergrund, genügen aber die Dokumentation der Prozesse und die Einhaltung der Abläufe für die Zertifizierung, ohne dass die Schwachstellen gezwungenermaßen beseitigt werden müssen (vgl. GONON/ HÜGLI/ LANDWEHR/ RICKA/ STEINER 1998, 21). Selbstverständlich werden die Schwachstellen in diesem Fall verschwiegen. Folglich kann ein Qualitätsmanagementsystem zur Verbesserung der Qualität beitragen aber zugleich die Lieferung mangelhafter Qualität nicht verhindern oder Schwachstellen in der Ablauforganisation „tolerieren“.

Die Anforderungen der Normen nach internen und externen Kontrollen können eine Verantwortungszuweisung zwischen der kontrollierenden und der kontrollierten Person favorisieren. Die kontrollierende Person wird nicht alles kontrollieren in der Annahme, dass die betroffenen Mitarbeiter die Verantwortung für die Qualität ihrer Arbeit übernehmen. Die Mitarbeiter ihrerseits verlassen sich auf die Kontrolle, falls ihre Arbeit zu verbessern ist. Jeder geht davon aus, dass der Andere die Verantwortung übernimmt, was eine Quelle zu wachsenden Fehlern darstellt. Bei externen Kontrollen besteht außerdem die Gefahr, dass nur den zu kontrollierenden Sachverhalten Aufmerksamkeit geschenkt wird oder – noch schlimmer – dass nur getan wird, was dem Auditor gefällt (vgl. SEDDON 2001). Die Managementsysteme werden oft korrigiert, um zu dem konform zu sein, was der Auditierte glaubt dem Willen des Auditors entspricht, und nicht der geeigneten oder effektiveren Lösung für das Unternehmen (vgl. PATERSON 2002, 46). Viele Unternehmen gehen davon aus, dass wenn die Erwartungen des Zertifizierers erfüllt sind, die Anforderungen der Norm auch erfüllt sind, was zu einer minimalistischen Haltung führt. Hierbei kann der Zertifizierer Fragen bez. der Unternehmensstrategie stellen oder aber nur die Konformität zur Norm – selbst in einer minimalistischen Form – feststellen (vgl. CAILLIBOT 2001, 8).

3.2  Vergleichbarkeit von Zertifikaten und Zertifizierungsstellen

Die bei der Zertifizierung benutzte Checkliste wird anhand der ISO-Normen von den Zertifizierungsstellen selbst erstellt. Dies lässt an ihrer Objektivität zweifeln und stellt die Vergleichbarkeit der Zertifikate in Frage.

Das Fehlen einer aktualisierten Norm für die Auditierung entsprechend der ISO 9001: 2000 hat die Aufgabe der Auditoren in der Anfangsphase erschwert. Die ISO 19011: 2002 stellt zwar eine Hilfe dar, hat aber keinen verbindlichen Charakter. Außerdem gilt sie nicht nur für Qualitätsmanagementsysteme, sondern auch für Umweltmanagementsysteme, sowohl für interne als auch für externe Audits. Sie kann sogar bei der Akkreditierung von Organisationen angewendet werden (vgl. EN ISO 19011: 2002). Manche Fragen müssen also nach Ermessen des Auditors beantwortet werden.

Es wird u. a. bemängelt, dass nicht genügend schriftliche Beweise für die Verpflichtung der Leitung oder für die Kundenzufriedenheit zur Verfügung stehen. Bei der Erhebung der Kundenzufriedenheit werden außerdem keine Methoden vorgeschrieben. Wenn die Methoden von den konventionellen Kundenbefragungen abweichen (z. B. Ermittlung durch Reaktionen des Vertriebspersonals), können die Auditoren Schwierigkeiten haben (vgl. Dossier, ISO Management Systems, Janvier-février 2002, 22). Es besteht eine Einigung über die Notwendigkeit von Anforderungen bez. der ständigen Verbesserungen oder der Kundenzufriedenheit, es gibt aber kein verbindliches Modell für das methodische Herangehen (vgl. Débat, ISO Management Systems – Mars-avril 2002, 58).

Nicht nur die eingesetzten Methoden können problematisch sein, sondern auch die inhaltlichen Interpretationen. Dies betrifft die zu zertifizierenden Organisationen und die Zertifizierungsstellen gleichermaßen, wenn es um die Interpretation bestimmter Anforderungen der Norm – z. B. bez. der ständigen Verbesserungen – geht (vgl. Dossier, ISO Management Systems, Janvier-février 2002, 25). Folglich kann die Evaluation eines Unternehmens von der subjektiven Meinung eines Auditors abhängig sein.

Die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten und die offenen Fragen, die von den Auditoren beantwortet werden müssen, stellen die ISO vor eine große Herausforderung, wenn es um eine Vereinheitlichung der Evaluationsmethoden geht. Es ist schon schwierig bei einer Zertifizierungsstelle, die Evaluation der eigenen Auditoren zu vereinheitlichen, geschweige denn von einer Vereinheitlichung auf der Ebene der Zertifizierungsstellen (vgl. CAILLIBOT 2001, 9).

Die großen Unterschiede, die zwischen Zertifizierungsstellen existieren, stellen interessierte Organisationen vor ein Problem der Auswahlkriterien. Hier können selbst die Akkreditierungsstellen nicht weiter helfen. PATERSON stellt fest, dass die Internetseiten der Akkreditierungsstellen nicht immer Hinweise für den Geltungsbereich oder für die Sektoren, für die eine Zertifizierungsstelle akkreditiert wurde, enthalten. Außerdem besteht keine Möglichkeit, die Methodologie, die Preise oder die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Zertifizierung zu vergleichen. In der Regel sind die Preise vergleichbar, die Ansätze der Evaluation sind aber sehr unterschiedlich. Der Vergleich wird noch schwieriger, wenn internationale Zertifizierungsstellen mit einbezogen werden (vgl. PATERSON 2002, 43).

3.3  Vertrauenswürdigkeit der Zertifizierungsstellen

Die Zertifizierungsstellen treten um das lukrative Geschäft der Vergabe von Zertifikaten in Konkurrenz. Ihre wachsende Zahl kann zur Intransparenz führen und die Abhängigkeit ihrer Budgets von den Kunden könnte dem Vertrauen in die Zertifikate schaden (vgl. RAMLOW u. a. 1998, 19). Die Begrenzung der Gültigkeit eines Zertifikats auf ein Jahr kann schon als Mittel betrachtet werden, um regelmäßige Wiederholungszertifizierungen durchzuführen und somit Einnahmen zu sichern (vgl. GUERTLER 2001, 51). Der Ansatz der Zertifizierung durch einen Dritten ist schon die Grundlage für die kommerziellen Interessen der Zertifizierungsstellen. Je mehr Zertifikate sie verleihen, desto mehr wachsen ihre Einnahmen und zugleich steigt auch ihr Ruf auf dem Markt der Zertifizierung (vgl. Débat, ISO Management Systems – Mars-avril 2002, S. 57).

Außer dieser mehr oder weniger akzeptablen Gewinnorientierung gibt es aber gravierende Praktiken bei den Zertifizierungsstellen, die festgestellt worden sind. Drei Problemtypen wurden von der ISO und anderen Institutionen identifiziert (vgl. l'ISO CASCO coopère avec l'ILAF et l'ILAC..., ISO Management Systems – Mars-avril 2002, 7):

•  unlautere und illegale Praktiken wie Fälschung von Zertifikaten,

•  schlechte oder wenig gewissenhafte aber nicht unbedingt illegale Praktiken wie das Angebot von Zertifikaten mit Rabatt oder die Tätigkeit als Berater und Zertifizierer gleichzeitig,

•  trügerische Werbung über die Ergebnisse der Zertifizierung, wie z. B. die Darstellung einer ISO-Zertifizierung als Produktzertifizierung.

In solchen Fällen sollten im Prinzip die Akkreditierungsstellen eingreifen. Denen wird aber vorgeworfen, dass sie eine mangelhafte Überwachung durchführen und wenig intervenieren (vgl. Débat, ISO Management Systems – Mars-avril 2002, 56). Hier fehlt deutlich eine Kontrollinstanz, die für die Überwachung der Praktiken der Zertifizierung und Akkreditierung zuständig ist. Selbst die ISO hat wenig Einfluss auf die nationalen Akkreditierungsstellen, auf die Praktiken der Zertifizierung und auf die der Auditierung insgesamt (vgl. PATERSON 2002, 43).

Außerdem ist die Akkreditierung in den meisten Ländern nicht obligatorisch. Nichtsdestotrotz kann auch eine nicht-akkreditierte Zertifizierungsstelle ordentlich arbeiten. Mit einem guten Ruf kann eine Zertifizierungsstelle auf die Akkreditierung verzichten und so Kosten sparen. Viele Zertifizierungsstellen lassen sich dennoch akkreditieren, selbst wenn es nicht obligatorisch ist, um ihre Kompetenz zu beweisen (vgl. EICHER 2002).

Das Fehlen von Kontrollmechanismen wird sogar innerhalb von Zertifizierungsstellen festgestellt. So wird z. B. die Arbeitsqualität der Auditoren kaum überprüft. Die zertifizierten Organisationen beschweren sich in der Regel bei der Zertifizierungsstelle nicht, selbst wenn die Auditberichte unverständlich und unprofessionell sind. Von den Akkreditierungsstellen werden sie selbstverständlich nicht gelesen (vgl. Débat, ISO Management Systems – Mars-avril 2002, 60). Wenn es darum geht, nicht nur ein Zertifikat zu bekommen, sondern die Prozesse zu verbessern, können die zu zertifizierenden Organisationen einen Einfluss auf die Praktiken der Auditierung nehmen. Sie können nicht nur Qualität verlangen, sondern auch mehr Strenge.

Manche Zertifizierungsstellen bieten gleichzeitig Beratung und Auditierung an. Die Beratung wird natürlich nicht ausdrücklich als solche angeboten sondern als „Vorbegutachtung“ oder als „Voraudit“, ohne zeitliche und inhaltliche Begrenzung oder Preisangaben. Es ist davon auszugehen, dass diese Angebote nichts anderes als verdeckte Beratungsleistungen darstellen. Die ISO kritisiert diese Praktiken des gleichzeitigen Angebots von Beratung und Zertifizierung, ist aber selber z . T. daran schuld. In der ISO 19011: 2002 steht nämlich das „Aufzeigen von Möglichkeiten zur Verbesserung des Managementsystems“ als mögliches Ziel eines Audits innerhalb der Gesamtziele eines Auditprogramms. Dies kann unterschiedlich interpretiert werden. Sollte eine Zertifizierungsstelle nach einer Vorbegutachtung die Meinung vertreten, die Organisation sei noch nicht „zertifizierungsreif“, könnten noch unzählige Vorbegutachtungen stattfinden – und dementsprechend Rechnungen gestellt werden – , bis die Auditoren eine „ernsthafte“ Begutachtung durchführen. Hierbei dürfte daran gezweifelt werden, wie ernst solche Zertifizierungsstellen genommen werden können.

  Eignung der Normen für den Bildungsbereich

Die Struktur und Sprache der Normen sind für die Benutzer aus Industrie und Dienstleistungsunternehmen verständlicher als für die Benutzer aus dem Bildungsbereich. Daher sind eine Übersetzung und Anpassung notwendig (vgl. GONON u. a. 1998, 23). Die Interpretation der Qualitätsanforderungen ist aber von einer Zertifizierungseinrichtung zu einer anderen unterschiedlich. POHL/ SCHÖNFELD/ STÖBE betrachten deswegen die erwartete Objektivität von einer internationalen Norm als „Scheinobjektivität“ (POHL u. a. 1995, 132). Die Qualitätselemente wurden von verschiedenen Autoren auf ihrer Relevanz für den Bildungsbereich geprüft. Dabei kommt es zu unterschiedlichen Beurteilungen, wobei immer festgestellt wird, dass nicht alle Elemente problemlos übertragen werden können. So ordnen z. B. KLÜBER/ LÖWE die Qualitätselemente der DIN ISO 9001:1994 in der Weiterbildung von Führungskräften in drei Kategorien: „problemlos übertragbar“, „Interpretation notwendig“ und „nur teilweise relevant“. Nur neun Qualitätselemente sind demnach problemlos übertragbar (vgl. KLÜBER/ LÖWE 1995, 149). Als weiteres Beispiel wurden 1995 die AS/NZS ISO 9001 Standards für Erziehung und Bildung in Australien und Neuseeland eingeführt. Dabei wurden nur zwölf der zwanzig Qualitätselemente als relevant betrachtet (vgl. LISTON 1999, 132).

Die ISO-Normen bedürfen auch noch einer Ergänzung durch pädagogische Kriterien. Ihre Festlegung und Anwendung kann nicht die Aufgabe einer externen Stelle, sondern muss die Aufgabe der Einrichtungen selbst sein. Daher ist die Zertifizierung eher als Ergänzung zu den vorhandenen Instrumenten und Modellen einzusetzen. Der ISO-Ansatz „ist nicht geeignet, andere Ansätze zu ersetzen“ (SAUTER 1996, 143).

Die Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem werden vom Antragsteller selbst und nicht vom Zertifizierer definiert. „Mit einer Festlegung inhaltlich qualitätsrelevanter Kriterien bzw. Standards ist der Zertifizierer als Kontrollinstanz üblicherweise nicht befasst“ (KUWAN/ WASCHBÜSCH 1996, 24). Dementsprechend variieren die Verfahren und Instrumente bei den Bildungsträgern mangels einheitlicher Kriterien. „Die Zertifizierungsgesellschaft überprüft nicht die Einhaltung extern definierter Qualitätsstandards, sondern lediglich die Angemessenheit der im Handbuch angegebenen Instrumentarien des Qualitätsmanagements in Bezug auf die angestrebten qualitätspolitischen Ziele“ (ebd., 24 f.). Die Annahme, dass nach ISO-Normen zertifizierte Bildungseinrichtungen die gleiche Qualität vorweisen können, kann sich in diesem Kontext nicht bewahrheiten (vgl. ALT/ RAMLOW 1998, 36).

In den ISO-Qualitätsnormen stehen die Gestaltung und Dokumentation der Qualitätsprozesse im organisatorischen Bereich im Vordergrund. Es geht nicht um methodisch-didaktische Abläufe. „Der Nutzen von ISO 9000 ff. für die Unterrichtsqualität ist umstritten, weil die Bedeutung von standardisierbaren Prozessen im Bereich Schule und Unterricht ungeklärt ist“ (GONON u. a. 1998, 21). Nach RAMLOW u. a. widersetzen sich Bildungsprozesse detaillierten Verfahren, „denn sie verlaufen spontan, assoziativ, intuitiv, in Sprüngen...“ Dies ist auch erwünscht „wegen der darin sich entfaltenden Lern- und Kreativitätspotentiale“ (RAMLOW u. a. 1998, 17). SIEBERT sieht auch in der Nivellierung und Standardisierung der Bildungsarbeit eine Gefahr der Zertifizierung. „Überspitzt formuliert: die Unterrichtsräume werden alle audiovisuell modernisiert, weil diese Ausstattung geprüft wird“, obwohl viele Lernprozesse anderswo wirksamer sein können (SIEBERT 1996, 269).

4.  Fazit

Einige Einrichtungen probieren ein Modell mit externer Evaluation aus und setzen dann ein anderes um. Z. B. eine Einrichtung lässt sich nur einmal zertifizieren und dann orientiert sie sich am EFQM-Modell, um die Kernprozesse besser erfassen zu können. Vom EFQM-Modell selbst gibt es mehrere Varianten für die Umsetzung bei Bildungseinrichtungen und nicht nur eine einzige. NÖTZOLD schreibt: „Qualitätsentwicklung ist ein Mittel auf dem Weg, ein Modell bietet eine gewisse Sicherheit, dass der Weg nicht verlassen wird. Mehr nicht“ (NÖTZOLD 2002, 49). Daraus kann man schlussfolgern, dass kein Modell unabdingbar ist. Die Umsetzung von einem bzw. die Anlehnung an ein Modell kann für eine Bildungseinrichtung als Rahmen hilfreich sein, ist jedoch nicht unverzichtbar. Die Qualitätsentwicklung braucht in diesem Sinne nicht unbedingt den direkten Bezug zu einem Modell, sie muss aber systematisch (d. h. planvoll) und nicht in der Form loser Aktivitäten geschehen. Das Qualitätssystem muss nicht „gekauft“, es kann auch maßgeschneidert von der Einrichtung selbst erzeugt werden. Viel wichtiger als der Bezug zu einem Modell sind die festgelegten Qualitätsziele, die daraus resultierenden Aktivitäten und die Kontrollmechanismen bez. der Erreichung der Ziele.

Das Beispiel der externen Evaluation durch Zertifizierung nach ISO 9001 zeigt, dass auf die Selbstevaluation nicht verzichtet werden kann. Die Einführung der Normen ist mit der Erfüllung von gewissen Voraussetzungen verbunden. So muss ein bestimmtes Qualitätsbewusstsein vorhanden sein. Um eine erfolgreiche Zertifizierung zu erreichen, muss eine Einrichtung darüber hinaus ihre Prozesse erfasst und weitere Qualitätsbemühungen initiiert haben. Die Philosophie der Normen brauchte einen Wandel vom „die Dinge richtig tun” ( do things right ) zum „das richtige Ding tun“ ( do the right thing ). Dies ist mit der Version 2000 der Normen eingeführt worden, allerdings bleibt die Beurteilung und die Bestimmung vom „Richtigen“ bei der Organisation selbst. Es werden keine Instrumentarien als Hilfestellung seitens der ISO dafür angeboten.

Den Konzepten der Selbstevaluation wird oft vorgeworfen, dass sie dem Außenstehenden keine Transparenz gewährleisten können. Auf einer Systemebene würde eine Einheitlichkeit der Praktiken fehlen. Dem Schein zum Trotz können Modelle der externen Evaluation weder Transparenz noch Einheitlichkeit schaffen. Außerdem können sie die Selbstevaluation nicht entbehren. Diese ist die Basis jeglicher Qualitätsentwicklung.

 

Literatur

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