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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
FT 17 Sprachen

Mit Bildungsstandards sprachliches Lernen fördern

 

Abstract

Das Wissen darüber, dass sprachliche Fähigkeiten über den Erfolg einer Berufsausbildung mitentscheiden, hat viele Fördermaßnahmen in den Bundesländern begünstigt.

Sprachliche Förderung wird auf der Grundlage der Erhebung spezifischerer sprachlicher Kompetenzen geplant, die die Berufe erfordern. Aus den differenzierten Diagnosen der sprachlichen Ausgangsfähigkeiten von Auszubildenden oder Schulabgängern wird die Notwendigkeit gezielter Förderung ersichtlich.

Sprachliche Förderung muss sich einer besonderen Methodik bedienen, weil die Schülerinnen und Schüler, die sie nötig haben, meist über ausgedehnte negative Erfahrungen mit traditionellem Deutschunterricht haben.

In der neueren Methodik des Deutschunterrichts wird mit dem Portfolio, das den persönlichen Lernstand und die Entwicklung dokumentiert, mit Lernvereinbarungen und Lernjournalen gearbeitet. Handlungsorientierte Vorgehensweisen können die Lernentwicklung unterstützen.

Strukturiert wird die Konzeption von Lernarrangements und Fördermaterialien durch die Kompetenzbeschreibungen der Bildungsstandards Deutsch der Kultusministerkonferenz (2004). Dadurch wird sichergestellt, dass sich der Erwerb von Fachsprachen nicht zu eng auf das gewählte Berufsfeld und die jeweilige berufliche Situation oder eine spezifische Prüfungssituation bezieht.

Vorbemerkungen

Seit dem die PISA-Studien (vgl. BAUMERT 2001) über die Bedeutung des Textverstehens in Bildungsprozessen informiert haben, wird sprachliche Kompetenz als wichtiger Bestandteil beruflicher Qualifikationen angesehen und gefördert. (Beispiel Hessen: Lehrerfortbildung zur Unterstützung der Strategischen Ziele zur Verminderung der Misserfolgsrate in Theorieprüfungen am Ende Berufsausbildung) Das Wissen darüber, dass sprachliche Fähigkeiten über den Erfolg einer Berufsausbildung mitentscheiden, hat viele Fördermaßnahmen in den Bundesländern begünstigt (vgl. EFING/ JANICH 2006).

Sprachliche Förderung wird geplant auf der Grundlage der Erhebung spezifischerer sprachlicher Kompetenzen, die Berufe fordern und der differenzierten Diagnose der sprachlichen Ausgangsfähigkeiten von Auszubildenden oder Schulabgängern, die sich um eine Ausbildungsstelle bemühen (vgl. IQ, Veröffentlichung Modellversuch VOLI).

Für die einzelnen Berufsfelder sind die benötigten Kompetenzen unterschiedlich. Handwerkliche Qualifikationen wie sie z.B. bei Bau- oder Ernährungsberufen erworben werden, erfordern ein geringeres Maß an komplexer sprachlicher Arbeit als Verwaltungsberufe oder industriell hoch differenzierte Berufe wie z.B. Mechatroniker.

Allen Berufen ist aber gemeinsam, dass sprachliche Basiskenntnisse Voraussetzung für den Ausbildungs- und letztlich den Prüfungserfolg sind, weil Theorieausbildung und -prüfung an Texte, meist in einer für Laien schlecht verständlichen Sprache der Experten verfasst, gebunden sind.

1.  Ausgangslage

Texterarbeitungsstrategien und der Umgang mit Fachsprachen werden zwar in der allgemein bildenden Schule dadurch eingeübt, dass Unterrichtsmaterialien in den unterschiedlichen Fächern fachsprachliche Elemente enthalten. Die besonderen Funktionen der Fachsprache werden selten thematisiert und je nach Schulform bleiben die fachsprachlichen Kenntnisse eher rudimentär.

Erst eine akzentuierte Auseinandersetzung mit Textsorten und deren unterschiedlichen Absichten, mit dem Aufbau von Texten und der gezielten Entnahme von Informationen sowie den verschiedenen Arten der Wortbildung und deren Bedeutung führen zu einem breiten Verständnis beruflicher Texte. Sprachwissen, Leseverstehen und Methodenkompetenz zählen zu den Voraussetzungen für die Ausbildungsfähigkeit von Schulabsolventen.

Aus verschiedenen Lernstandstest im Rahmen von Modellversuchen zur Förderung der sprachlichen Kompetenz (vgl. IQ, Veröffentlichungen Modellversuche TEFAS und TEBA) ergibt sich, dass die Fähigkeiten von Ausbildungsbewerbern im Umgang mit Sachtexten sehr oft erschreckend gering sind. Geeignetes Fördermaterial für diese Gruppe von Lernenden ist kaum vorhanden.

Zielgruppe sprachlicher Förderung sind Jugendliche, die noch keine Ausbildungsstelle für einen Beruf haben oder deren Ausbildungserfolg wegen sprachlicher Mängel gefährdet ist. Die PISA-Studien bezeichnen als Risikogruppen männliche Jugendliche aus sozial schwachen Familien mit Migrationshintergrund.

2.  Fördermaterial, strukturiert und differenziert nach den Impulsen der Bildungsstandards

Die Bildungsstandards für das Fach Deutsch für den Mittleren Abschluss (KMK 2003) beschreiben knapp die Kompetenzen, die am Ende eines Bildungsgangs erreicht sein müssen. Eine Vorgabe wie: "Der Schüler kann verschiedene Textfunktionen und Textsorten unterscheiden" gibt sehr genau an, welche Fähigkeiten bei Absolventen von Realschulen vorausgesetzt werden können. Wie die Unterschiede von Textfunktionen und Textsorten im jeweiligen Unterricht erarbeitet werden, ist den Lehrerinnen und Lehrern überlassen, festgeschrieben ist aber, dass ein Berufsanfänger mit einem mittleren Bildungsabschluss z.B. zwischen einer Zeitungsreprotage und einem Bericht im Berichtsheft unterscheiden kann.

Für die Bewältigung der Anforderungen einer Berufsausbildung sind spezifische sprachliche Voraussetzungen notwendig, die durch die Bildungsstandards Sprache angedeutet werden. Zum Auf- und Ausbau sprachlicher Kompetenzen für die Berufsausbildung kann auf die Darstellungen zurückgegriffen werden, um Material und Aufgabenstellungen zu strukturieren.

Die Bildungsstandards, die für die Bearbeitung von beruflich orientierten Texten bedeutsam sind, finden sich in der folgenden Auflistung:

Sach- und Gebrauchstexte verstehen und nutzen

- verschiedene Textfunktionen und Textsorten unterscheiden: z.B. informieren: Nachricht; appellieren: Kommentar, Rede; regulieren: Gesetz, Vertrag; instruieren: Gebrauchsanweisung,

- Informationen zielgerichtet entnehmen, ordnen, vergleichen, prüfen und ergänzen,

- nichtlineare Texte auswerten: z.B. Schaubilder,

- Intention(en) eines Textes erkennen, insbesondere Zusammenhang zwischen Autorintention(en), Textmerkmalen, Leseerwartungen und Wirkungen

- aus Sach- und Gebrauchstexten begründete Schlussfolgerungen ziehen. ( KMK 2003,16 f)

 

Für die Belange der Berufsausbildung werden Konkretisierungen und Differenzierungen notwenig. Die Textsorten, die hauptsächlich genutzt werden, lassen sich leicht bestimmen; die informierenden, instruierenden und regulierenden bilden die Schwerpunkte. Lernprozesse lassen sich erst dann planen, wenn die Wirkung, die Funktion von Texten in Handlungszusammenhängen erfahrbar werden.

3.  Den Lernstand von Berufsanfängern weiterentwickeln

In der Literatur zum Deutschunterricht an beruflichen Schulen werden vielfach die geringen sprachlichen Kompetenzen der Auszubildenden thematisiert (GRUNDMANN 2007a und b). Beobachtungen bei der Durchführung von Sprachstandtests im Rahmen von Modellversuchen des Landes Hessen (Vgl. IQ, Modellversuche TEFAS, TEBA, VOLI) haben ergeben, dass sich bei den relevanten Schülergruppen hauptsächlich umfassende und weniger punktuelle sprachliche Mängel beim Umgang mit Sachtexten zeigen.

Berufliche Texte, die auf einer Handlung basieren (Arbeitsvorschriften, Anweisungen), bebildert und sprachlich kurz gehalten sind, konnten ca. 30 % der getesteten Auszubildenden verstehen. Schaubilder, Tabellen, Schemata konnten nur von wenigen verstanden werden. Abstrakte Texte, die berufliches Theoriewissen vermitteln, konnten von vielen Auszubildenden überhaupt nicht verstanden werden. Die Ursachen lagen dabei nicht allein in der mangelnden Beherrschung sprachlicher Formen, sondern vielmehr im Unvermögen Sinn und Zusammenhänge der Texte zu erfassen (vgl. Abschlussbericht TEFAS).

Bei vielen Schülerinnen und Schülern sind die sprachlichen Kompetenzen so gering, dass weder die Messinstrumente der PISA-Studien (vgl. BAUMERT 2001) noch des Europäischen Referenzrahmens der Sprachen (vgl. COSTE 2001) ausreichen, um ein vorhandenes Leistungsniveau abbilden zu können.

Die Berufstätigkeit fordert viele sprachliche Kompetenzen, die sich von der Alltagskommunikation unterscheiden. Jugendliche, die in Haushalten aufgewachsen sind, in denen wenig gelesen, wenig Deutsch gesprochen wird, können die Anforderungen, die an sie gestellt werden, kaum überblicken.

Die Diagnose des Lernstands von Berufsanfängern geht von den sprachlichen Basiskompetenzen für eine Berufsausbildung aus. Dabei werden die folgenden Kompetenzen, die aus den Bildungsstandards abgeleitet sind, eine wesentliche Rolle spielen.

Leseverstehen und Methodenkompetenz
die Auszubildenden
- geben Textinhalte in eigenen Worten wieder, machen einen Text verständlicher
- visualisieren Textinhalte und versprachlichen den Inhalt nichtlinearer Texte (Tabellen, Schaubilder, Flussdiagramme)
- nutzen Lesestrategien
- geben in einer Inhaltsangabe Auskunft über Personen, Orte, Zeitbeziehungen, Zahlenzusammenhänge, dargestellte Probleme und den Erzähl- oder Berichtsablauf, unterscheiden unterschiedliche Absichten von Texten: deskriptiv / instruktiv / direktiv / kontaktiv

Sprechen in Situationen
die Auszubildenden
-
unterscheiden Gesprächsebenen, führen Fachgespräche auf unterschiedlichem Niveau, nutzen Höflichkeitsformen

Grammatik
die Auszubildenden
-
erklären die Bedeutung von Wörtern, erklären die Wortbildung und die Wortzusammensetzung

Damit im Unterricht diese Basiskenntnisse erreicht werden können, wurden im Modellversuch VOLI Texte zusammengestellt und durch Aufgabenstellungen erschlossen.

Durch die Bearbeitung der Fördermaterialien wird der Umgang mit vielen verschiedenen Fachtextsorten eingeübt, die für die Bewältigung beruflicher Aufgabenstellungen notwendig sind.

Die Anordnung der Texte folgt einem lockeren thematischen Rahmen, der einen inneren Zusammenhang für den Bearbeiter gewährleistet und der Einsichten in die unterschiedlichen Zwecke der verschiedenen Textsorten ermöglicht.

Die sprachliche Förderung ist so angelegt, dass eine Sammlung von Sachtexten zu einem Thema (z.B. Motorrad, Kosmetik, Umzug in eine neue Wohnung) von den Lernern unter verschiedenen Aspekten der Sachtextanalyse bearbeitet wird.

Zur Bearbeitung werden Tipps und Hilfen in Kartenform gegeben, mit denen sich Inhalts- und Quellenangaben, Strukturierung der Texte, Umarbeitungen im Sinne von Verständlichkeit, Paraphrasen, Verbalisierungen von Schaubildern und Tabellen sowie die Auswertung von Fachwörterbuchbeiträgen erarbeiten lassen.

Diese Karten können zur Auswertung der unterschiedlichsten Texte angewendet werden.

Der Umgang mit diesem Instrument wird fortlaufend eingeübt und gefestigt.

4.  Planung von Fördermaterial, strukturiert und differenziert nach den Impulsen der Bildungsstandards

Nachfolgend wird an dem Beispiel des Themenfeldes "Motorrad" eine Konkretisierung der Planung der sprachlichen Förderung bezogen auf die Unterscheidung von Textsorten vorgestellt:

Textsorten unterscheiden

Thema :
Motorrad reparieren

Deskriptiv

Dokumentation, Sach- und Vorgangsbeschreibung

Lexikonbeitrag, Bericht, Protokoll

Nichtlinear darstellend:

Foto

Zeichnung

Technische Zeichnung

Diagramm

Tabelle

Instruktiv

Anleitung, Anordnung

Bedienungsanleitung

Direktiv/ regulativ

Gesetz, Verordnung

Arbeits- und Sicherheitsanweisung

Kontaktiv

Beratungsgespräch

Verkaufsgespräch

Höflichkeitsformen

Anleitung zur Reparatur

Wörterbucheintrag

 

Foto eines Motorrads

Schemazeichnung

Technische Zeichnung

Wachstum der Zulassungszahlen

Unfallzahlen

 

Wartungsanleitung

 

 

Straßenverkehrsordnung

Sicherheitsvorschriften

 

Handlungsfeld Motorradverkauf:

Angebot, Beratung, Vertragsabschluss

 

Die linke Seite der Tabelle gibt Textsorten an, mit deren Umgang die Lerner vertraut gemacht werden sollen. Die rechte Seite der Tabelle ist variabel, sie zeigt ein Texttableau, das für den thematischen Zusammenhang "Motorrad" zusammengestellt wurde. Es lässt sich mit beliebigen anderen Themen und dazu passenden Texten füllen.

5.  Fachliche Differenzierung

An den Berufsschulen Deutschlands werden Tausende von Jugendlichen in 15 Berufsfeldern mit weit über 100 Berufen in unterschiedlichen fachlichen Niveaustufen ausgebildet. Dass nicht für jedes Berufsfeld und schon gar nicht für jeden Beruf spezielles Fördermaterial entwickelt werden kann, ergibt sich aus den Zahlen, aber auch an den Anforderungen an die sprachlichen Kompetenzen in beruflichen Zusammenhängen.

Wie in der Übersicht über die Kompetenzen und die relevanten Textsorten dargestellt wird, sind die sprachlichen Fertigkeiten im Umgang mit Sachtexten berufsübergreifend. Lediglich der Bestand an Fachwörtern und Phrasen der einzelnen Berufsfelder und auch der Berufe weist signifikante Unterschiede auf. Da an dieser Stelle Lehrern und Schülern der Charakter der Fachsprachen besonders deutlich bewusst wird, können aus den Grundkenntnissen zum Umgang mit Nachschlagewerken und den grammatischen Kenntnissen zur Wortbildung für jeden Beruf eigene Sequenzen abgeleitet werden

Eine deutliche Trennlinie verläuft zwischen den Wirtschafts- und Verwaltungsberufen, den Erziehungs- und Pflegeberufen und den gewerblichen Berufen, die sich nicht nur thematisch, sondern auch von den Ausbildungszielen her unterscheiden. Einerseits liegt der Schwerpunkt eher auf den regulativen und reflexiven, andererseits eher auf deskriptiven und instruktiven Texten. Hier empfiehlt sich die Konzeption je eigener Fördermaterialien, damit sich die Lerner der jeweiligen Berufsfelder in den Fördermaterialien auch wiedererkennen.

 

Literatur

BAUMERT, J. u.a. (2001): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Deutsches PISA-Konsortium. Opladen.

BECKER-MROTZEK, M. (2006): Sachtexte lesen (lernen). In: EFING, C./ JANICH, N. (Hrsg.): Förderung der berufsbezogenen Sprachkompetenz. Befunde und Perspektiven. Paderborn,107-132.

COSTE, D. u.a. (2001): Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen, Berlin, München, Wien, Zürich, New York.

EFING, C./ JANICH, N. (Hrsg.) (2006): Förderung der berufsbezogenen Sprachkompetenz. Befunde und Perspektiven. Paderborn.

GRUNDMANN, H. (Hrsg.) (2007a): Die geringe Lesekompetenz der Schulabsolventen als besondere Herausforderung für den Deutsch- und Fremdsprachenunterricht an berufsbildenden Schulen? Bielefeld.

GRUNDMANN, H. (2007b): Sprachfähigkeit und Ausbildungsfähigkeit. Der berufsschulische Unterricht vor neuen Herausforderungen. Hohengehren.

Institut für Qualitätsentwicklung Hessen (IQ), Abteilung des Kultusministeriums, Träger der Modellversuche Vocational Literacy (VOLI) 2004-2006, Textbank für ausländische Auszubildende (TEFAS) 1995-1998, Texte für die Berufsausbildung (TEBA) 1999-2001, dort Archivierung der Zwischen- und Abschlussberichte.

Kultusministerkonferenz (KMK): Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss Beschluss vom 4.12.2003. Online: www.kmk.org/schul/Bildungsstandards/Deutsch_MSA_BS_04-12-03.pdf (02.03.2008).