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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
WS 12 Produktionsschulen

Neueste Entwicklungen in der deutschen Produktionsschullandschaft

 

Abstract

Seit den 1990er Jahren sind im deutschsprachigen Raum Initiativen zur pädagogischen Nutzung von Arbeits- und Produktionsprozessen zur Förderung und Qualifizierung von benachteiligten Jugendlichen sichtbar. Obgleich Produktionsschulen in Deutschland auf langjährige Erfahrungen und Erfolge blicken können, haben sie (bisher) keinen festen Platz in der deutschen Bildungslandschaft. Die rechtliche und finanzielle Situation von Produktionsschulen ist derzeit unverbindlich und uneinheitlich. Auch eine Vielzahl anderer Fragen - wie Qualitätsstandards, Steuerung der Lehr-Lernprozesse im Rahmen der Produktion, Entwicklung und Gestaltung eines spezifischen Curriculums, adäquate Weiterbildungsmöglichkeiten und Professionalisierung des Personals, um nur einige zu nennen – sind offen. Das stellt die – stetig wachsende – Produktionsschullandschaft in Deutschland vor große Herausforderungen.

1.  Produktionsschulen in Deutschland

Produktionsschule ist ein pädagogisches Konzept, das benachteiligte junge Menschen durch die Kombination von Arbeiten und Lernen zur beruflichen und sozialen Integration führt. Seit den 1990er Jahren sind - angeregt durch die landesweite Verbreitung und die erfolgreiche Arbeit des dänischen Produktionsschulansatzes - im deutschsprachigen Raum Initiativen zur pädagogischen Nutzung von Arbeits- und Produktionsprozessen für die Qualifizierung von benachteiligten Jugendlichen erkennbar.

Seit Ende der 1990er Jahre ist die Anzahl der Produktionsschulen hierzulande kontinuierlich angestiegen. So war es naheliegend, diese neue „Produktionsschulbewegung“ im Rahmen der Hochschultage Berufliche Bildung zu diskutieren - seit der erstmaligen Durchführung eines einschlägigen Workshops im Jahre 2000 auf den Hochschultagen in Hamburg (vgl. KIPP u.a. 2000) war das Thema „Produktionsschule“ auf den Hochschultagen präsent: 2004 in Darmstadt (vgl. KIPP/ RAPP 2004), 2006 in Bremen (vgl. KIPP/ LÖWENBEIN 2007) und auch 2008 in Nürnberg (vgl. KIPP/ GENTNER 2008).

Während die k omparative Studie der Technischen Universität Chemnitz (SCHÖNE 2004) die Zahl der Produktionsschulen und Einrichtungen mit produktionsschulorientiertem Ansatz in Deutschland im Jahre 2003 noch mit 21 bezifferte, gibt es - nach Einschätzung des Bundesverbandes Produktionsschulen - aktuell in Deutschland ca. 30 - 40 Produktionsschulen. Eine quantitative Bestandsaufnahme der deutschen Produktionsschullandschaft wurde vom Bundesverband Produktionsschulen in Auftrag gegeben; die Ergebnisse werden für Sommer 2008 avisiert.

Die Produktionsschulidee erfreut sich offensichtlich stark wachsenden Interesses. Die Bestandsaufnahmen der neueren Produktionsschulgründungen zeigen, dass sich die „Produktionsschullandschaft“ immer weiter ausdifferenziert, was auch daran liegen kann, dass „Produktionsschule“ ein „zunehmend schillernder Begriff zu sein scheint“ (RAPP 2005, 349).

Die existierenden Produktionsschulen und Einrichtungen mit produktionsschulorientiertem Ansatz arbeiten in unterschiedlichsten Trägerschaften, Organisations- und Kooperationsstrukturen bzw. Rechtsformen. Die bestehende Produktionsschullandschaft in Deutschland ist (noch) relativ unübersichtlich und gekennzeichnet von einer Verschiedenartigkeit der Konzepte, dahinterstehenden (Träger)Philosophien und einer Vielfalt der Bezeichnungen (vgl. BULLAN u.a.1991; KIPP/ LÜTJENS/ SPRETH/ WEISE 2000; KIPP/ RAPP 2004; SCHÖNE 2004; BOJANOWSKI 1996; PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND 2007; GENTNER 2008 ): N icht jede Einrichtung, die Arbeiten und Lernen verbindet, nennt sich Produktionsschule bzw. „nicht überall wo Produktionsschule draufsteht, ist auch wirklich Produktionsschule drin“, wie Günther Hoops vom Niedersächsischen Kultusministerium treffend einmal formulierte. Es gibt bisher keine Definition von Produktionsschulen, die allgemein anerkannt wäre. Das ist verständlich, weil es bisher auch keine sozusagen amtliche Definition gibt, wie sie in einem Produktionsschul-Gesetz stehen müsste. (Das ist bei unseren dänischen Nachbarn anders: In Dänemark trat 1985 das Produktionsschulengesetz in Kraft; seit 1991 etablierte sich die dänische Produktionsschule als eigenständige Schulform.) Mit den Aktivitäten des „Arbeitsverbundes Produktionsschulen Nord“ und dem aus dieser Bewegung gegründeten Bundesverband der Produktionsschulen ist es nun erstmals gelungen, wichtige Grundmerkmale einer Produktionsschule („Produktionsschulprinzipien“; vgl. BUNDESVERBAND PRODUKTIONSSCHULEN) für den deutschsprachigen Raum zu formulieren:

„In einem intensiven Diskussionsprozess und in Auseinandersetzung mit der aktuellen bildungspolitischen Situation haben wir uns vor allem auf qualitative Kriterien verständigt, die beim Auf- und Ausbau von Produktionsschulen zugrunde zu legen sind. Unsere „Produktionsschulprinzipien“ (vom Juli 2006) betonen den dringenden politischen Handlungsbedarf. (...)Zugleich enthalten die „Produktionsschulprinzipien“ in 13 Artikeln qualitative Maßstäbe für die Ausgestaltung und Weiterentwicklung von Produktionsschulen. Inzwischen gibt es in Deutschland über dreißig Produktionsschulen, viele Gründungsinitiativen und zahlreiche Einrichtungen, die sich an der Arbeitsweise von Produktionsschulen orientieren. Es scheint uns an der Zeit zu sein, entschlossen den internen Diskussionskreis zu vergrößern und mit dem „Bundesverband Produktionsschulen“ eine fachliche Basis sowohl für die Etablierung des Produktionsschulgedankens als auch für eine Vertretung nach außen zu schaffen.“ (VORSTAND DES BUNDESVERBANDES PRODUKTIONSSCHULEN 2007, 188).

In einem weiteren Schritt müssen diese 13 in den „Produktionsschulprinzipien“ (Ziele, Merkmale, Strukturen, pädagogischer Rahmen, didaktischen Leitlinien, Organisation der Lern- und Arbeitsprozesse etc.) formulierten Standards und Merkmale von Produktionsschulen dann in entsprechenden Qualitätsmanagementprozessen vor Ort angepasst und evaluiert werden. Ebenfalls müssen die Produktionsschulprinzipien in einem ständigen Austausch- und Reflexionsprozess der Produktionsschulprotagonisten weiterentwickelt und ggf. re-formuliert und ergänzt werden.

2.  Interessenvertretung

Seit dem Jahre 2003 existierte die „Bundesarbeitsgemeinschaft Produktionsschulen“, die im Laufe der Jahre jedoch immer weniger den Anforderungen und vor allem den Bedürfnissen der Protagonisten der deutschen Produktionsschullandschaft nach adäquater Öffentlichkeitsarbeit und Vertretung nach innen sowie außen, fachlichem Austausch und Weiterentwicklung gerecht werden konnte.

Im Jahre 2006 nahm daher der „Arbeitsverbund Nord“, ein ambitionierter und aktiver Arbeitskreis von Produktionsschulaktivisten und Wissenschaftlern aus dem vor allem norddeutschen Raum, seine Arbeit auf. Am 1. Februar 2007 wurde in Zinnowitz/ Usedom der „Bundesverband Produktionsschulen“, der aus dem „Arbeitsverbund Produktionsschulen Nord“ hervorgegangen ist, als Interessenvertretung der deutschen Produktionsschulen gegründet. Der Bundesverband setzt sich für die Gründung und Weiterentwicklung von Produktionsschulen in ganz Deutschland ein und strebt ihre Anerkennung als eigene Bildungsform an.

Der neue Bundesverband Produktionsschulen hat sich zur Aufgabe gesetzt:

•  die Bildung und Erziehung junger Menschen in Produktionsschulen zu fördern,

•  die Idee der Produktionsschule durch gezielte Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit zu verbreiten,

•  die Interessen der Produktionsschulen gegenüber den Bildungs-, Sozial- und Arbeitsministerien sowie

•  im Bund und in den Ländern sowie gegenüber der Arbeitsverwaltung zu vertreten.

Zweck des Bundesverbandes Produktionsschulen, der in der Rechtsform eines Vereins arbeitet, ist „die Förderung von Produktionsschulen, um junge Menschen darin zu unterstützen, ein selbstverantwortliches und selbstbestimmtes Leben in Würde führen zu können. Dazu gehören insbesondere die Förderung der Ausbildung, der Weiterbildung und der Erziehung junger Menschen in Produktionsschulen, die Vernetzung dieser Bildungseinrichtungen sowie die Aus- und Weiterbildung aller Beteiligten an Produktionsschulen “ (vgl. Satzung des Bundesverbandes Produktionsschulen 2007).

Konkretisierend werden folgende Aufgaben formuliert:

•  die Förderung und Verbreitung einer guten Praxis durch gezielte Netzwerkarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Interessenvertretung,

•  die Initiierung von Fortbildungen, Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Bereich der Jugend- und Bildungsarbeit sowie

•  die Förderung des Austausches (national und international), der Information und der Ausbildung/ Qualifizierung.

Um die Arbeit der Produktionsschulen zu intensivieren und somit zu verstärken, wurden innerhalb des Bundesverbandes regional arbeitende Arbeitsgemeinschaften gegründet, wie das seit 2006 regelmäßig arbeitende Gremium der Produktionsschulen in Mecklenburg-Vorpommern oder die seit September 2007 aktive Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Produktionsschulen Schleswig-Holstein.

Die 51 Mitglieder (Stand Mai 2008) sind im übrigen nicht nur ausschließlich aus Produktionsschulen bzw. Einrichtungen mit produktionsorientiertem Ansatz: Einige (natürliche) Mitglieder unterstützen und befördern die Verbreitung der Produktionsschulidee, andere sind „Gründungswillige“ und holen sich im Verband fachliche Unterstützung und Beratung. Nicht alle Einrichtungen, die in Deutschland als Produktionsschule arbeiten, sind im Bundesverband organisiert. Mit Blick auf die Gründungsinitiative aus dem „Arbeitsverbund Produktionsschulen Nord“ heraus sind die „Nordländer“ (Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen) stark vertreten, jedoch können in den letzten Monaten Neumitglieder und Impulse aus den Neuen Ländern (Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen) beobachtet werden.

3.  Aktuelles

Die Produktionsschullandschaft in Deutschland ist aktuell in Bewegung: Zu den bestehenden Produktionsschulen (z.B. in Kassel, Hamburg oder Hannover) gesellen sich neue Produktionsschulen hinzu; Träger und Einrichtungen denken über Neugründungen von Produktionsschulen nach. Besonders größere Träger, wie das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland (CJD) (Beispiel CJD: Zu den existierenden (Wolgast, Waren, Lkr. Ostprignitz-Ruppin sowie Perleberg) kamen seit 2006 5 neue hinzu (mit dem Schwerpunkt Neue Bundesländer).), das Berufsfortbildungswerk (bfw)/ inab – Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaft des bfw mbh oder der Internationale Bund (IB) „entdecken“ die Produktionsschulidee für sich.

Besonders hervorzuheben ist das Land Mecklenburg-Vorpommern, wo seit 2004 eine neue und ungewöhnliche Produktionsschullandschaft entsteht. Mit dem Landesprogramm „Produktionsschulen in Mecklenburg-Vorpommern“ wurden nicht nur vereinzelte Standorte und „Start-Projekte“ auf den Weg gebracht, sondern fünf Produktionsschulen (in Rostock, Barth, Waren, Rothenklempenow und Greven) werden ab 2004 im Land aufgebaut – ausgestattet mit einer Finanzierungssicherheit bis zum Jahre 2013 und einer umfassenden fachlichen Beratung. Die erste „Sogwirkung“ zeigte sich sehr schnell im eigenen Land: Eine sechste Produktionsschule (in Wolgast) nahm im Dezember 2005 ihre Arbeit auf (sie wird durch die Sozialagentur des Landkreises Ostvorpommern finanziert). Es scheint, als ob sich im Land Mecklenburg-Vorpommern ein gesellschafts- und sozialpolitisches „Klima“ entwickelt, das von der Überzeugung und dem Verantwortungsbewusstsein geprägt ist, dass auch der schwächere Teil der nachwachsenden Generation unsere solidarische Unterstützung verdient. Auch scheint in diesem Bundesland, in dem der sog. „demographische Wandel“ bereits sichtbar und eine weitere Zunahme der tiefgreifender Auswirkungen prognostiziert wird, die Einsicht in die Notwendigkeit zu wachsen, dass die Potenziale und Ressourcen aller „Landeskinder“ zu aktivieren und für den regionalen Ausbildungs- und Beschäftigungsmarkt zu mobilisieren sind.

Auch die Hansestadt Hamburg steht am Anfang einer neuartigen, flächendeckendenden Produktionsschullandschaft , in der zum einen „neue Produktionsschulen in freier Trägerschaft... in jedem Bezirk einen Standort... insgesamt bis zu 500 Plätze“ aufgebaut und unterstützt werden sollen. Zum anderen sieht die schwarz-grüne Regierung eine Neugestaltung der Berufsvorbereitung sowie teilqualifizierender Berufsfachschule „unter Berücksichtigung von Prinzipien der Produktionsschule“ vor (vgl. Koalitionsvertrag CDU – GAL vom 17.4.08, S. 12).

Die Länder-Initiativen in Mecklenburg-Vorpommern sowie Hamburg kommen zu einem Zeitpunkt, an dem angesichts der aktuellen Krisenlagen der schulischen und der außerschulischen Berufsvorbereitung sowie der dramatischen Exklusionsprozesse eines - zahlenmäßig nicht unbedeutenden - Teils der Jugend in Deutschland Anforderungen an eine veränderte Förderung und Qualifizierung benachteiligter Jugendlicher zur Herstellung von Anschlussmöglichkeiten für Jugendliche an das Ausbildungs- bzw. Beschäftigungssystem drängender werden.

Hier bietet sich einerseits die Chance, Produktionsschulen einen festeren Platz in der beruflichen Bildung in Deutschland und der Förderung benachteiligter Jugendlicher eine neue Perspektive zu geben. Anderseits sind nach wie vor viele Fragen offen, wie beispielsweise: Steuerung der Lehr-Lernprozesse im Rahmen der Produktion, Entwicklung und Gestaltung eines spezifischen Curriculums, adäquate Weiterbildungsmöglichkeiten und Professionalisierung des Personals („Produktionsschul-Pädagoge“), Akzeptanz der Produktionsschule in der Region, Produktionsschulen im (bildungs-)politischen Raum, finanzielle und rechtliche Rahmenbedingungen (Produktionsschulen als Daueraufgabe) etc.

Mit dem systematischen Aufbau einer Produktionsschullandschaft und der geplanten dauerhaften rechtlichen und finanziellen Konsolidierung in Mecklenburg-Vorpommern sowie in Hamburg erwächst schließlich die Möglichkeit, den schillernden Begriff „Produktionsschule“ auszugestalten und zu präzisieren. Für die deutsche Produktionsschulszene, die bisher (noch) relativ unübersichtlich und von einer Verschiedenartigkeit der Konzepte, dahinter s tehenden (Träger)Philosophien und einer Vielfalt der Bezeichnungen gekennzeichnet ist, bedeutet dies die Chance einer klaren Selbsteinordnung und Verortung in der deutschen Bildungslandschaft.

Und schließlich bietet sich auch für die (Berufsbildungs-)Forschung mit dem systematischen Aufbau von Einrichtungen, die die Verknüpfung von Arbeits- und Produktionsprozessen für die Qualifizierung von (benachteiligten) Jugendlichen pädagogisch nutzen, eine wichtige und lohnende Herausforderung.

Mit Blick auf die aktuell starke Bewegung in der deutschen Produktionsschullandschaft besteht aber auch die Gefahr von unreflektierter Übernahme des Produktionsschul-Ansatzes, z.B. aus strategischen, förder- oder finanztechnischen Gründen. Damit Etikettenschwindel keine Chance hat (und„wo Produktionsschule drauf steht, auch wirklich Produktionsschule drin ist“), sind Mindeststandards notwendig, die als verbindliche Qualitätsstandards von den Produktionsschulen selbst, aber auch von den zuständigen, finanzierenden Institutionen anerkannt sind. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde mit den „Produktionsschulprinzipien“ getan. Ein weiterer Schritt zur Etablierung des Produktionsschulkonzeptes war die Gründung des „Bundesverbandes Produktionsschulen“ als Interessenvertretung. Neben der Vernetzung der schon bestehenden Produktionsschulen, dem Erfahrungsaustausch, der Fort- und Weiterbildung, der Öffentlichkeitsarbeit etc. steht natürlich auch die Beratung und Unterstützung von neuen Gründungsinitiativen auf der Tagesordnung. Spätestens hier stellt sich wieder die Frage nach Produktionsschul-Mindeststandards. „Hier sind besonders die Mitglieder des Bundesverbandes gefordert: Soll es perspektivisch ein Qualitätssiegel Produktionsschule geben? Wie könnte die Qualitätssicherung aussehen? Soll es eine externe Zertifizierungsagentur geben oder nur eine freiwillige Selbstverpflichtung? Sollte zukünftig ein regelmäßiges Produktionsschul-Audit angestrebt werden oder die Teilnahme an einem Produktionsschul-Exellence-Wettbewerb?“ (GENTNER/ RESCHKE 2008, 82).

Zur Optimierung und Weiterentwicklung der Produktionsschul-Konzeption bedürfen ebenso einzelne Aspekte – organisatorische, rechtliche und auch pädagogische – weiterer Klärung. Gleichwohl ist die Annahme berechtigt, dass Produktionsschulen gegenüber bisherigen Förderinstrumenten große Vorteile versprechen. Diese Vorteile liegen nicht nur in der Chance zu einer wesentlich erhöhten Effizienz der Bildungsarbeit, aus der Sicht sowohl der Teilnehmenden als auch der Geldgeber. Junge Menschen werden in Produktionsschulen auch besser auf eine spätere Erwerbsarbeit vorbereitet, weil ihre berufliche Qualifizierung unter quasi betrieblichen Bedingungen erfolgt. Dadurch dass sie Produkte und Dienstleistungen im Kundenauftrag bzw. für den Markt erstellen, erfahren sie die Ernsthaftigkeit ihres Handelns und eine Bestätigung ihrer Leistungsfähigkeit. Zusammen mit der Entlohnung führt das zu einer generellen Stärkung ihrer Motivation und ihres Selbstwertgefühls.

4.  Herausforderungen: Quo vadis, deutsche Produktionsschulen?

Produktionsschulen haben eine Brückenfunktion zwischen der allgemein bildenden Schule und der Arbeitswelt. Sie stellen in Deutschland ein effektives Modell für die berufliche Orientierung und Berufsvorbereitung dar sowie zur Gestaltung von Übergängen in Ausbildung und Beschäftigung. Oft gehört auch die Vorbereitung auf den nachträglichen Erwerb von schulischen Abschlüssen des Sekundärbereiches I zu ihrem Aufgabenprofil. Sie sind eine ganzheitliche Alternative zu den kurzfristigen, stark ausdifferenzierten Maßnahmen der Arbeitsverwaltung oder den nicht beruflich qualifizierenden Angeboten des beruflichen Schulsystems.

Im Fachdiskurs herrscht hohe Einigkeit, dass „Produktionsschule“ eine pädagogische Antwort für die Lebens- und Arbeitsprobleme benachteiligter Jugendliche sein kann (vgl. u.a. MERTENS 2000; RAPP 2003; BOJANOWSKI/ RATSCHINSKI/ STRAßER 2005; BOJANOWSKI/ MUTSCHALL/ MESHOUL 2008; GENTNER/ BOJANOWSKI/ WERGIN 2008). Die Verbindung von praktischer Arbeit mit „Ernstcharakter“ mit der Förderung der persönlichen Entwicklung der Produktionsschüler bildet eine sinnvolle und notwendige Ergänzung zu etablierten Schul- und Ausbildungseinrichtungen. Das Produktionsschulprinzip kann ebenso als geeignetes Förderinstrument für so genannte „Modernitätsverlierer“ wie auch als Antwort auf gestiegene qualifikatorische und bildungspolitische Ansprüche verstanden und wirksam werden.

Produktionsschulen in Deutschland befinden sich aktuell in einer bildungspolitischen „Grauzone“: Die Zuständigkeiten innerhalb der Ressorts des Bundes & der Länder sind ungeklärt – nicht zuletzt auch wegen des „schillernden“ Begriffs „Produktions-Schule“.

Der „Runde Tisch Produktionsschulen in den Neuen Ländern“ (Laufzeit bis 02/2009; vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Referat Neue Länder, finanziert) könnte möglicherweise ein erster Schritt zur Überführung der Produktionsschulen in die Regelförderung der Länder sein. Die Akteure des „Runden Tisches Produktionsschulen in den Neuen Ländern“ - Vertreter der öffentlichen Verwaltungen der Neuen Bundesländer, der Bundesregierung und der Bundesagentur für Arbeit - sollen sich über eine gemeinsame Definition des Ansatzes Produktionsschule verständigen, sich über die Zuständigkeiten zwischen den beteiligten Ministerien in den Neuen Ländern (Wirtschaft, Soziales, Arbeit, Bildung), des Bundes sowie der Bundesagentur für Arbeit abstimmen und somit einen möglichen Weg für eine mögliche institutionelle Förderung und rechtliche Verankerung des Ansatzes Produktionsschulen ebnen. Will man Produktionsschulen als Teil der beruflichen Bildung etablieren, so braucht es neue Ansprech- und Bündnispartner auf allen Politikebenen.

Aktuell ist nicht nur eine Standortbestimmung und Verortung im bildungspolitischen Raum, sondern auch innerhalb der Produktionsschulszene eine kritische Debatte und Auseinandersetzung notwendig: Wo gehört Produktionsschule hin? Was will Produktionsschule?

Aufgabe des Bundesverbandes Produktionsschule wird es sein, die Herausforderungen unseres föderalen Bildungssystems anzunehmen und in einzelnen Bundesländern aktiv zu werden.

Von ausschlaggebender Bedeutung ist die rechtliche und finanzielle Absicherung von Produktionsschulen. Nach dänischem Vorbild sind (von den Ländern) Produktionsschul-Gesetze zu schaffen und, wo erforderlich, bestehende Rechtsvorschriften zu ändern. Die Finanzierung von Produktionsschulen ist vorerst durch Vereinbarungen zwischen den bisherigen Geldgebern im Bereich der beruflichen Benachteiligtenförderung sicher zu stellen (Bundesagentur für Arbeit, Bundesländer und – gemäß seinen Zuständigkeiten – auch der Bund) (Derzeit ist nicht erkennbar, dass die Bundesagentur für Arbeit die von ihr finanzierten BvB-Maßnahmen einer kritischen Überprüfung unterzieht. Sinnvoll wäre es, denn einiges spricht für die Annahme, dass hier erhebliche Finanzmittel vergeudet werden. Etwas anders sieht es dagegen bei der zweiten Säule des Übergangssystems aus. In einigen Bundesländern (Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg) wird der Sinn des schulischen BVJ zunehmend in Frage gestellt. Hier gibt es einfach keinen Erfolg und diese Erkenntnis scheint sich zu verbreiten.). Längerfristig muss eine ausschließlich staatliche Finanzierung angestrebt werden, denn die Förderung junger Menschen bis zur Ausbildungs- und Beschäftigungsfähigkeit ist als eine vorrangige staatliche Aufgabe anzusehen.

Produktionsschulen in Deutschland haben also nur eine echte Chance sich als eigenständige Bildungsform zu etablieren, wenn sie auf solide rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen aufbauen können. Wie die gesamte (berufliche) Benachteiligtenförderung ist auch die Produktionsschul-Bewegung entscheidend vom allgemeinen gesellschafts- und sozialpolitischen „Klima“ abhängig. Sie wird sich nur durchsetzen, wenn die Überzeugung und die Verantwortung wachsen, dass auch der schwächere Teil der nachwachsenden Generation unsere solidarische Unterstützung verdient (vgl. Bundesverband Produktionsschulen 2007, Gründungstext S. 2). Für wirksame Maßnahmen im Bereich der beruflichen Benachteiligtenförderung wie den Auf- und Ausbau von Produktionsschulen sprechen aber nicht nur sozialethische und gesellschaftspolitische Überlegungen, sondern auch mindestens zwei wichtige ökonomische Tatsachen: Da sind zum einen die hohen Folgekosten, die in der „Nachsorge“ entstehen, wenn die berufliche Förderung junger Menschen (weiter) vernachlässigt wird. Zum anderen zwingt der Bedarf an qualifizierten Nachwuchskräften die Aktivierung der Potenziale und Ressourcen aller junger Menschen (Stichwort: demographischer Wandel und Humanressourcen). Eine möglichst effiziente Förderung benachteiligter junger Menschen, wie sie in Produktionsschulen am besten erfolgen kann, liegt also nicht zuletzt auch im wirtschaftlichen Interesse.

Literatur

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