wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

EDITORIAL

bwp@ Ausgabe Nr. 4 | Mai 2003
Lernfeldansatz zwischen Feiertagsdidaktik und Alltagstauglichkeit

FRANZ GRAMLINGER & TADE TRAMM

„Die Einführung und Umsetzung lernfeldorientierter Rahmenlehrpläne im beruflichen Schulwesen war in den Jahren nach 1996 zunächst stark dadurch geprägt, dass die einschlägigen Vorgaben der Kultusverwaltungen zwar ausgesprochen ambitioniert waren, jedoch in wesentlichen Punkten inhaltlich vage, begrifflich unscharf und theoretisch inkonsistent blieben. Auch die theoretische Diskussion in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik schwankte zunächst zwischen dem Bemühen, diesen Reformimpuls erst einmal in grundsätzlicher Debatte in die gängigen und vertrauten Kategorien und Schemata der curricularen und didaktischen Diskussion einzuordnen und dem pragmatischen Versuch, den Reformansatz in kritisch-konstruktiver Weise zu begleiten und zu unterstützen.
Mittlerweile dürfte deutlich geworden sein, dass Lehrplankommissionen und Kollegien vor Ort bei der Umsetzung des Lernfeldkonzeptes in hohem Maße theoretischen und konzeptionellen Orientierungsbedarf haben und dass dieses große Reformprojekt andererseits auch der Berufs- und Wirtschaftspädagogik die Chance eröffnet, die seit Jahren auf der Grundlage systematischer und empirischer Forschung geforderten Innovationen im Praxisfeld zu entwickeln und zu evaluieren. Der Lernfeldimpuls eröffnet in diesem Sinne die Notwendigkeit und die Möglichkeit, innovative Praxis und praxisorientierte Forschung enger aufeinander zu beziehen, wobei sicher auch darauf zu achten sein wird, die je eigenen Funktionen, Verantwortlichkeiten und Grenzen nicht aus dem Auge zu verlieren.“

So begann unser Call for Papers für diese vierte Ausgabe von bwp@ (die „Lernfeld-Ausgabe“), mit dem wir auch einen Versuch gestartet haben: ein Austauschforum zwischen wissenschaftlicher Forschung und innovativer Praxis auf und durch bwp@!
Die Resonanz auf diesen „Call“ war sehr gut – das ist unschwer an der großen Anzahl von Beiträgen zu sehen. Allerdings sehen wir diese Ausgabe zum Zeitpunkt, in dem wir dieses Editorial schreiben, als „work in progress“ in doppeltem Sinn: einerseits werden noch Beiträge kommen (dazu unten mehr) und diese Ausgabe soll und wird bis zum November 2003 noch wachsen; andererseits wird es von IHNEN – den bwp@- Lesern – abhängen, ob hier wirklich ein Austausch, eine Diskussion, ein Fragen und Antworten oder doch zumindest ein „Voneinander-Notiz-Nehmen“ erfolgt! Dazu wollen wir schon jetzt auffordern und einladen!

Wie jetzt schon mehrfach angeklungen, gliedert sich diese Ausgabe in zwei große Teile: Einerseits die Beiträge aus der Praxis und andererseits – wie gewohnt – solche mit theoretisch-konzeptionellem Charakter.

Diese THEORETISCH-KONZEPTIONELLEN BEITRÄGE (A) lassen sich wiederum unterteilen in drei Gruppen, die wir wie folgt überschrieben haben:

I) LERNEN IM SPANNUNGSFELD VON PROZESSEN UND SYSTEMATIK – KONZEPTIONELLE ORIENTIERUNGEN:
Mit dem Lernfeldansatz verbindet sich eine Abkehr von einem fachsystematisch strukturierten Unterricht zugunsten einer stärkeren Orientierung an beruflichen Prozessen. Inwiefern Wissenschafts- und Situationsorientierung dennoch als komplementäre, sich ergänzende Prinzipien wirksam werden, welche spezifischen Gefahren sich aus kurzschlüssigen Einseitigkeiten ergeben und wie im Spannungsfeld dieser beiden curricularen Prinzipien die individuelle Entwicklungsperspektive zur Geltung gebracht werden kann, wird aus unterschiedlichen Perspektiven in den Beiträgen dieser ersten Gruppe diskutiert:

II) VON DER KONZEPTION ZUR UNTERRICHTSPRAXIS - DIE IMPLEMENTATIONS-PERSPEKTIVE
Die Beiträge der zweiten Gruppe setzen sich mit unterschiedlicher Schwerpunkt-setzung mit dem Problemkreis der Umsetzung von Lernfeldern in Lernsituationen, mit Fragen der Rezeption der curricularen Vorgaben, der Implementation des Lernfeldkonzepts im organisationalen Rahmen von Schule und der Akzeptanz dieser Innovation auf Seiten der Lehrerschaft auseinander:

III) PROZESSORIENTIERTE LEHR-LERN-ARRANGEMENTS ZUR UMSETZUNG DES LERNFELDANSATZES
Probleme der Konkretisierung und der Umsetzung lernfeldorientierter Curricula werden in den Beiträgen dieser Gruppe im Kontext konkreter Umsetzungsmodelle diskutiert. Die Abbildung betrieblicher Prozesse im Rahmen virtueller Unternehmen unter Nutzung computergestützter Modellierungs- und/oder Prozesssteuerungssoftware bildet den gemeinsamen Bezugspunkt dieser Beiträge:

Der zweite Teil – die PRAXISBEITRÄGE (B) – ist der zur Zeit noch weitaus kleinere; wir haben aber bereits Zusagen von einigen Schulen bzw. Projekten, dass sie auch hier einen Beitrag liefern wollen.

Wenn auch Sie meinen, hier einen „mitteilenswerten Bericht innovativer Praxis“ beisteuern zu können, so bitten wir herzlich darum – bitte mailen Sie uns!

Derzeit finden Sie fünf Berichte aus der Praxis, gleich drei davon kommen von Handelsschulen aus Hamburg: von der H 11 Holzdamm (mit der Ausbildung zu Automobilkaufleuten), der H 3 Schlankreye (Industriekaufleute) und der H 14 Holstenwall (Logistik, Spedition und Verkehrsservice); einer kommt von den Beruflichen Schulen für Gesundheit in Bremen (SZ Walle); und im fünften wird ein knapper Einblick in die Arbeit des Modellversuchs „Berufliche Qualifizierung 2000" und in die Umsetzung der Neuordnung in den Elektroberufen gegeben.

Damit sind wir wieder einmal neugierig und gespannt: Auf Reaktionen, auf die kommenden, weiteren Beiträge, auf eine hoffentlich bald startende Diskussion und – auf längere Sicht – vor allem auch darauf, wie es mit dem Lernfeldansatz im berufsschulischen Alltag weiter gehen wird.

Wir wünschen Ihnen viele Anregungen und viel Vergnügen beim Lesen dieser so umfangreichen Ausgabe

Franz Gramlinger & Tade Tramm