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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT01 - Agrarwirtschaft
Herausgeber: Michael Martin & Manfred Bräuer

Titel:
Übergänge in der agrarwirtschaftlichen Berufsbildung – eine Herausforderung für Bildungsakteure auf unterschiedlichen Ebenen


Tausendmal berührt - das Lernfeldkonzept und ich

Beitrag von Mareike WIEST (Schulzentrum des Sekundarbereichs II an der Alwin-Lonke-Straße, Bereich Agrarwirtschaft, Bremen)

Abstract

Dieser Beitrag setzt sich mit den Hindernissen einer Einführung und Umsetzung des Lernfeldkonzeptes auseinander. Hindernisse, die auch dann vorhanden sind, wenn sich Teile des Kollegiums während ihres Studiums gründlich mit dem Lernfeldkonzept auseinandersetzen konnten. Diese - durchaus auch kritische - Auseinandersetzung fand zum Einen in den Seminaren der Fachdidaktik der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Zum Anderen wurden die Studierenden an verschiedenen Schulen von Lehrerinnen und Lehrern während der Praktika und Examensarbeiten (seit 2007 auch Masterarbeiten) unterstützt. Dabei stellte sich heraus, dass das Vorhandensein von Lehrer-Teams eine ganz entscheidende Bedingung für die Einführung des Lernfeldkonzeptes ist. Beispielhaft wird aufgezeigt, dass es aber auch dann weiterer Bedingungen zur Einführung des Lernfeldkonzeptes bedarf, wenn die so notwendige Rahmenbedingung wie ein Lehrer-Team bereits gegeben ist. Und auch dann noch, wenn sich dieses Team das entscheidende Ziel gesetzt hat, die berufliche Handlungskompetenz in all ihren Dimensionen bei den Auszubildenden zu erreichen. Dazu werden exemplarisch Problemlagen des Schulalltags angerissen. Sie machen deutlich, an welchen Stellen Hindernisse zu spüren sind. Es werden Wünsche formuliert, deren Erfüllung die Einführung des Lernfeldkonzeptes erleichtern würde. Diese Wünsche sind hinsichtlich ihrer Erfüllbarkeit sehr unterschiedlich zu werten. Sie sollen gerade durch ihre Verschiedenheit zu einem Erfahrungsaustausch zum Abbau der eingangs erwähnten Hindernisse auf der Fachtagung Agrarwirtschaft anregen.

Tausendmal berührt - das Lernfeldkonzept und ich

Im Sommer 2007 habe ich mein Studium in den Fächern Land- und Gartenbauwissenschaften an der Humboldt-Universität und Politik an der Technischen Universität in Berlin beendet. Anschließend habe ich mein Referendariat in Bremen an der Berufsschule für Agrarwirtschaft anfangen können. Seit August 2009 unterrichte ich nun in Bremen als Berufsschullehrerin Gärtner/innen in unterschiedlichen Fachrichtungen, Floristen/innen und Fachwerker/innen im Garten- und Landschaftsbau – ohne das Lernfeldkonzept!

In diesem Beitrag wird zunächst eine persönliche Bilanz bezüglich des Lernfeldkonzeptes gezogen, indem auf die „Tausend“ Berührungen eingegangen wird. Trotz dieser vielen Berührungen und den daraus resultierende Erkenntnissen unterrichten wir im Bereich Agrarwirtschaft unserer Schule nicht nach dem Lernfeldkonzept. Unserem Kollegium stellen sich Hindernisse, die im Folgenden erläutert werden.

Anschließend werden Wünsche an das Konzept formuliert, die mit Hilfe von Kollegen/innen des Schulzentrums des Sekundarbereichs II an der Alwin-Lonke-Straße, Bereich Agrarwirtschaft, in Bremen gesammelt wurden.

1 Die Berührungen

Noch setzen weder meine Kollegen und ich das Lernfeldkonzept in unserem Unterricht um, obwohl ich immer wieder damit in Berührung kam.

1.1 Berührung 1: Seminare während des Studiums

Berufliche Handlungskompetenz in all ihren Dimensionen (der Fachkompetenz, Sozialkompetenz, Personalkompetenz sowie der Methodenkompetenz, Lern- und Kommunikationskompetenz) bei den zukünftigen Schülerinnen und Schülern zu erreichen, das war unser Ziel. Das Ziel der Studierenden aus den Seminaren in der Fachdidaktik Land- und Gartenbauwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin. Wir wollten nicht nur bloße Inhalte vermitteln, sondern mehr. Und wenn das am besten durch das Lernfeldkonzept zu erreichen ist – dann, so sagten wir uns, gerne mit dem Lernfeldkonzept. In dieser Angelegenheit waren wir uns einig.

Und so haben wir uns gründlich - auch durchaus kritisch - mit dem Konzept auseinandergesetzt, immer durch unsere Dozentinnen und Dozenten an der Uni unterstützt und ermuntert.

Außerdem waren wir uns sicher, dass das Unterrichten im Lernfeldkonzept von uns an unseren späteren Schulen erwartet werden würde.

Wir haben dann in den höheren Semestern Lernsituationen für zunächst frei festgelegte Lernfelder im Sinne des Lernfeldkonzepts erarbeitet, die wir auch während der Praktika ausprobieren konnten. Dafür haben wir uns zu Beginn an den Curricula anderer Berufe orientiert und später an den Lernfeld-Curricula für den Bereich Agrarwirtschaft anderer Bundesländer wie beispielweise Hessen.

1.2 Berührung 2: Die Examensarbeiten

Auch in unseren Examensarbeiten (seit 2007 auch Masterarbeiten) setzten wir Studierenden uns fast alle mit dem Lernfeldkonzept und mit den nicht vorhandenen Lernfeldern für unsere Berufe auseinander. Wir suchten Wege, wie eine Lernsituation entstehen könnte. Welche Lernaufgaben können die verschiedenen Kompetenzen entwickeln und fördern? fragten wir uns. Es wurden Lernsituationen für die verschiedenen Ausbildungsberufe im Agrarbereich (z.B. für die/den Gärtner/in im Zierpflanzenbau, im Garten- und Landschaftsbau oder für die/den Florist(in)) entworfen. Diese Situationen wurden teilweise von uns erprobt oder sie wurden von Lehrerinnen und Lehrern in ihren Klassen für uns erprobt und geprüft.

1.3 Berührung 3: Kontakt zu Berufsschullehrern

Im Jahr 2006 habe ich in der Schule, an der ich mein Unterrichtspraktikum absolviert habe, eine weitere Begegnung mit dem LFK gehabt.

Ich wurde gebeten, dort den Stand meiner Examensarbeit ‚Entwicklung von Lernsituationen‘ auf einer Konferenz vorzustellen.

Auf dieser Konferenz habe ich dann die Bedingung ‚funktionierende Teams‘ für eine erfolgreiche Einführung und Umsetzung kennen gelernt und die Schwierigkeit ihrer Bildung. Spätestens in einem abschließenden Interview mit einem Berufsschullehrer, der mich während meiner Examensarbeit in Berlin unterstützt hat, wurde deutlich, wie entscheidend die Bedingung: ‚Gute Teamarbeit‘ ist.

Er gehörte einem Team an, welches sich aus Eigeninitiative gebildet hat und den Unterricht für Auszubildende im Garten- und Landschaftsbau gemeinsam mit viel Engagement geplant und durchgeführt hat. Dieses Team hatte sich das Ziel ‚Entwicklung der beruflichen Handlungskompetenz‘ gesetzt, wenn auch zunächst ohne die Überschrift ‚Lernfeldkonzept‘ zu tragen.

Wir wurden also durch die verschiedenen Begegnungen gut darauf vorbereitet dieses Konzept in unsere späteren Schulen tragen zu können. Man könnte auch sagen: Die Fachkompetenz dafür besaßen wir nun…

2 Die Erkenntnisse

Zum großen Teil haben wir uns theoretisch mit dem Lernfeldkonzept auseinander gesetzt. Während der ersten Berührungen mit der Praxis sind schließlich folgende Erkenntnisse gereift.

2.1 Erkenntnis 1: Gemeinsames Ziel

Das Ziel aller beteiligten Lehrkräfte muss sein, die berufliche Handlungskompetenz bei ihren Auszubildenden zu entwickeln. Dafür ist es wichtig, dass sich alle Lehrerinnen und Lehrer sowie ihre Schülerinnen und Schüler darüber verständigen, was unter der beruflichen Handlungskompetenz zu verstehen ist.

2.2 Erkenntnis 2: Voraussetzungen für eine gute Teamarbeit

Für die Implementierung muss ein gutes Team vorhanden sein. In den Gesprächen mit Berufsschullehrerinnen und -lehrern stellte sich heraus, dass gut zusammenarbeitende Teams die entscheidende Bedingung für die Planung und Umsetzung des Lernfeldkonzeptes sind. Ein gutes Team benötigt neben engagierten Mitglieder auch organisatorische Voraussetzungen wie geeignete Räume für Teambesprechungen, gemeinsame Zeiten für die Planung und eine gewisse Mitbestimmung, was den Unterrichtseinsatz betrifft.

3 Hindernisse im Alltag

In meinem Kollegium gibtes nun bereits mehrere gut zusammenarbeitende Teams, wie sie gefordert werden. Und diese Teams sind sich einig in dem Ziel die berufliche Handlungskompetenz bei den Auszubildenden zu entwickeln. Wir haben sogar den großen Vorteil, dass andere Berufe an unserem Schulzentrum Lernfelder als KMK-Vorgabe besitzen und bereits darin arbeiten. Die Voraussetzungen für die Einführung sind also gut, trotzdem arbeiten wir noch nicht nach dem Lernfeldkonzept. Was hindert uns?

3.1 Hindernis 1: Unübersichtlichkeit (als Erfahrungswert)

In einer Evaluation in Berufsschulklassen der Tischler und Bauzeichner zu der übergreifenden Frage: ‘Trägt der Lernfeldunterricht im Kontext der derzeitigen/ räumlichen/ organisatorischen/ materiellen Bedingungen zu einer Steigerung der Unterrichtsqualität bei? ‘ hat zu einer eher negativen Einschätzung geführt. Befragt wurden Lehrkräfte und Auszubildende. Besonders die Auszubildenden kritisierten eine mangelnde Übersichtlichkeit.

3.2 Hindernis 2: Die Qualität ist bereits hoch

Möchte man etwas ändern, so ist das Ziel eine Verbesserung der derzeitigen Situation. Bezogen auf die Situation Schule wäre dies ein besserer Unterricht. Ein Unterricht, der bei mehr Berufsschülern die berufliche Handlungskompetenz oder aber eine bessere berufliche Handlungskompetenz entwickelt.

Wir bekommen derzeit, nicht nur, aber überwiegend gute Rückmeldungen von Schülerinnen, Schülern und Betrieben zu unserem Unterricht, der nicht in Lernfelder gegliedert ist.

Und so empfinden wir als ein zweites Hindernis, dass möglicherweise gar kein Veränderungsbedarf besteht. Zumindest keiner, der zuweilen als Paradigmenwechsel bezeichnet wird, folglich also große Veränderungen bedeutet, ohne dass eine Verbesserung der Situation zu erwarten ist (siehe 3.1).

3.3 Hindernis 3: Fehlende Prüfungsrelevanz

Auch wenn im Berufsbildungsgesetz die Vermittlung der beruflichen Handlungsfähigkeit als oberstes Ziel der Berufsausbildung genannt wird, schlagen sich die geforderten Kompetenzdimensionen in unseren Kammerprüfungen bisher noch nicht nieder.

Ein Erlebnis an der Schule meiner Schwester (an dieser Schule wird im Lernfeldkonzept unterrichtet) unterstreicht diese Problematik: Ein Klassenlehrer berichtete von einem Anruf eines Chefs seines Schülers. Dieser Chef war irritiert: ‚Ich halte hier das Zeugnis meines Azubis in der Hand: Hier stehen zwar überall Noten, aber sagen Sie mal, kann mein Azubi eigentlich rechnen?‘

3.4 Hindernis 4: Fehlende gemeinsame Zeit für curriculare Arbeiten

Bereits durch die Kontakte zu dem Lehrer-Team an der Peter-Lenné-Schule in Berlin wurde deutlich, dass es zunächst einen hohen Zeitaufwand bedeutet, die curricularen Arbeiten für eine Implementierung des Lernfeldkonzepts zu leisten. Die Zeit an sich wäre eventuell noch aufzubringen, aber wie kann neben all den unterschiedlichen schulischen Verpflichtungen, Unternehmungen und Stundenplänen gemeinsame Zeit gefunden werden? Ein weiteres Hindernis stellt für uns also die fehlende gemeinsame Zeit dar.

3.5 Hindernis 5: Unterschiedliche Belastung der Team-Mitglieder

Während wir uns über das Pro und Kontra einer Einführung des Lernfeldkonzeptes austauschten, tauchte ein weiteres Hindernis auf. In unserem Kollegium sind gut zusammenarbeitende Teams bereits vorhanden. Da die Kollegen aber zum Teil in mehreren Teams arbeiten; ist die Belastung der einzelnen Lehrkräfte sehr unterschiedlich. Wir gehen davon aus, dass eine intensivere Teamarbeit die unterschiedliche Belastung noch verstärken würde.

3.6 Unüberwindbare Hindernisse?

Wie notwendig auch die Rahmenbedingungen an unseren späteren Schulen für unser Vorhaben (die berufliche Handlungskompetenz in all ihren Dimensionen bei unseren zukünftigen Schülerinnen und Schülern zu erreichen) waren, war mir nicht bewusst. Unter Rahmenbedingungen verstehe ich z.B. die gemeinsame Zeit für die Umgestaltung der Pläne, die Prüfungsrelevanz der erworbenen Kompetenzen, aber auch Raumkonzepte für eine andere Unterrichtskonzeption. Wie wenig verlässlich diese Rahmenbedingungen an Schulen vorhanden sind, darauf war ich als Studierende nicht vorbereitet.

Was würde unser Kollegium dazu bewegen, das Lernfeldkonzept einzuführen und was könnte uns helfen, es einzuführen? Wie können wir die von uns genannten Hindernisse überwinden?

4 Die Wünsche

Nachdem wir die sich uns stellenden Hindernisse diskutiert haben, haben wir Wünsche an das Lernfeldkonzept formuliert. Wir möchten nicht etwa verharren, in dem, was wir zurzeit machen. Aber: wir sind erst bereit, ein neues Konzept umzusetzen, wenn das Konzept folgende Wünsche erfüllt.

4.1 Wunsch: Verbesserter Umgang mit Heterogenität

Wir wünschen uns, dass wir im Lernfeldkonzept besser als bisher die Heterogenität der Schüler berücksichtigen können. Wir möchten besser auf die unterschiedlichen Vorbildungen und Fähigkeiten, aber auch auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen können.

4.2 Wunsch 2: Die Prüfungsrelevanz

Ein weiterer Wunsch ist, dass sich die Anforderungen bezüglich der Kompetenzen auch in den Kammerprüfungen niederschlagen. Wir gehen davon aus, dass dann auch die Betriebe besser ins Boot zu holen sind. Denn eine Ausweisung von Kompetenzen in Zeugnissen muss auch für die Ausbildungsbetriebe und späteren Arbeitgeber nachvollziehbar und sinnvoll sein.

4.3 Wunsch 3: Eine gegenseitige Entlastung bei der Organisation

Wir haben einen abwechslungsreichen und ausfüllenden, aber auch einen sehr fordernden Beruf. Wir stellen oft fest, dass zu viel Zeit für Organisatorisches und Administratives investiert werden muss, statt für die wirkliche Verbesserung von Unterricht. Wir wünschen uns, dass das Lernfeldkonzept keine zusätzliche Belastung, sondern eine gegenseitige Entlastung bedeutet. Dieser Wunsch wurde u.a. auf der Fachtagung diskutiert. Und könnte sogar erfüllt werden, da von der gegenseitigen Entlastung zumindest eine Vertreterin einer Schule berichten konnte.

4.4 Wunsch 4: Verbesserung der Unterrichtsqualität

Wir wünschen uns Erfahrungen anderer Schulen und Auszubildender, die deutlich machen, dass sich die Qualität des Unterrichts (Ziel: Entwicklung der beruflicher Handlungskompetenz) verbessert. In der anschließenden Diskussion zu diesem Beitrag wurde weitergehend eine Verbleib-Studie von Absolventen gewünscht. Kann nicht erst die erfolgreiche Vermittlung in den Arbeitsmarkt etwas über die Qualität der Berufsausbildung aussagen? Zumindest könnten doch erst die ehemaligen Auszubildenden nach der Abschlussprüfung eine echte Aussage über die Qualität des Unterrichts treffen, so lautete eine Sichtweise der Teilnehmer der Fachtagung zum letztgenannten Wunsch.

5 Diskussion und Bemerkungen erwünscht

Während der Fachtagung haben wir zu einigen der von uns benannten Hindernisse und Wünsche Anregungen und Tipps zur Umsetzung des Lernfeldkonzepts erhalten. Wir benötigen aber sicherlich noch mehr Erfahrungen von anderen Schulen, die die Implementierung bereits vollzogen haben. Zurzeit heißt es auch im Mai 2011 bezüglich des Lernfeldkonzepts leider noch: ‚Tausendmal berührt – Tausendmal ist nichts passiert‘.


Zitieren dieses Beitrages

WIEST, M. (2011): Tausendmal berührt – das Lernfeldkonzept und ich. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 01, hrsg. v. MARTIN, M./ BRÄUER, M., 1-6. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft01/wiest_ft01-ht2011.pdf (26-09-2011).



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