Partner von bwp@: 
  SAP University Alliances Community (UAC)   giz - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit    Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.    Österr. Konferenz für Berufsbildungsforschung       

bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT07 - Chemie- und Umwelttechnik
Herausgeberinnen: Manuela Niethammer & Michael Wentzel

Titel:
Flexible und durchlässige Bildungswege in der Chemie- und Umweltbranche gestalten


Laborkurs Edinburgh - Innovative Wege, Fachsprachlichkeit und fachliches Tiefenverständnis in einer englischsprachigen Umgebung zu fördern

Beitrag von Frauke DÜWEL (Berufliches Schulzentrum Radebeul)

Abstract

Mit diesem Beitrag soll aufgezeigt werden, wie Fachlichkeit und Fachsprachlichkeit im Lernprozess einander bedingen. Der Grad des fachlichen Tiefenverständnisses spiegelt sich in der Ausdrucksfähigkeit der Lernenden wieder. Diese wiederum hängt von ihrem Abstraktionsvermögen, ihrem Verständnis der im Fach verwendeten Fachtermini und deren Einbindung in logisch aufgebaute Satzstrukturen ab. Tatsache ist, dass Sprache im Sachfachunterricht nicht zusätzlich gefördert, sondern als selbstverständliches Mittel zum Zweck vorausgesetzt wird. Der Schwerpunkt liegt eher auf der didaktischen Aufbereitung der Fachinhalte ungeachtet sprachlicher Besonderheiten, die mit der Verständigung über die Fachinhalte verbunden sein können. Die sprachliche Ebene erhält erst dann einen anderen Stellenwert, wenn die Verständigung über die Fachinhalte in der Fremdsprache erfolgt. Zur Förderung der Verständigungsfähigkeit über Fachinhalte in der Fremdsprache dient zunächst der fachbezogene Fremdsprachenunterricht, im Rahmen dessen die Lernenden vorbereitet werden, komplexe berufsbezogene Aufgabenstellungen zu bewältigen. Die tatsächliche Anwendung der erworbenen Sprachkenntnisse erfolgt erst in einer authentischen Situation. Diese Möglichkeit besteht für unser Berufliches Schulzentrum durch eine Bildungsortkooperation mit dem Institut „School of Chemistry“ der Edinburgh University in Schottland. Vor dem Hintergrund des „Vocationally Oriented Language Learning“ (VOLL) ist der Laborkurs beispielgebend für ganzheitliche Qualifizierungsmaßnahmen, um Auszubildende auf die an sie in ihrem Unternehmen gestellten Anforderungen im Zuge zunehmender Internationalisierung vorzubereiten.

1 Problemhintergrund

Mit den heutigen fremdsprachlichen Anforderungen an naturwissenschaftlich-technisches Personal, fachsprachliche Inhalte in einer Vielzahl von Sprachverwendungssituationen kommunizieren zu können, steigt der Bedarf an konzeptionellen Entwicklungen für den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht (FFU) im Fachgebiet von Naturwissenschaft und Technik.

Durch Einsichten aus Untersuchungen in der Angewandten Linguistik und der Fachsprachenforschung konnten die linguistischen Grundlagen geschaffen und ausbildungsrelevantes Sprachmaterial für den Fremdsprachenunterricht (FU) bereitgestellt werden. Trotz textlinguistischer Erkenntnisse im Bereich der Fachsprachenforschung zu fachsprachlichen Phänomenen und Mechanismen ihrer Verwendung, die an ganzen Texten und an den Prozessen der Textproduktion und der Textrezeption beobachtet werden konnten, gelingt es nur langsam, „die entsprechenden Analyse- und Syntheseprozeduren in didaktische Strategien umzusetzen und so durch die Fachsprachenforschung eine vollkommene ‚sprachliche Handlungsfähigkeit im Fach‘ (BUHLMANN/ FEARNS 1987, 87-97) zu entwickeln“ (HOFFMANN 1992, 141).

Ein Beitrag zur konzeptionellen Gestaltung chemiebezogenen Englischunterrichts leistet die wissenschaftliche Arbeit (DÜWEL 2001, veröffentlicht 2003) unter Berücksichtigung textlinguistischer Erkenntnisse im Bereich der Fachsprachenforschung zu fachsprachlichen Phänomenen und Mechanismen ihrer Verwendung.

Mit den Unterrichtserfahrungen der letzten Jahre im Sachfach- sowie im fachbezogenen Englischunterricht wird deutlich, wie Fachlichkeit und Fachsprachlichkeit im Lernprozess einander bedingen. Der Grad des fachlichen Tiefenverständnisses spiegelt sich in der Ausdrucksfähigkeit der Lernenden wieder. Diese wiederum hängt von ihrem Abstraktionsvermögen, ihrem Verständnis der im Fach verwendeten Fachtermini und deren Einbindung in logisch aufgebaute Satzstrukturen ab.

Tatsache ist, dass Auszubildende deutliche sprachliche Defizite in mündlicher und schriftlicher Form nicht nur in der Fremdsprache, sondern auch in ihrer Muttersprache Deutsch haben. Die sprachlichen Defizite, Fachinhalte sprachlogisch korrekt wiederzugeben, müssen im Laufe der Berufsausbildung kompensiert werden, um ein für die Berufsgruppe erforderliches fachliches Tiefenverständnis zu erreichen. Damit werden auch im Sachfachunterricht methodische Herangehensweisen aus dem fachbezogenen Fremdsprachenunterricht zunehmend Berücksichtigung finden müssen, um die Ausdrucksfähigkeit der Lernenden im Zusammenspiel zwischen Fachsprachlichkeit und fachlichem Tiefenverständnis deutlich zu verbessern.

Die Erkenntnisse aus dem Laborkurs in Edinburgh sollen die Bedeutung sprachlicher Mittel in der Fachkommunikation beispielhaft belegen, um daraus die notwendigen Schlussfolgerungen sowohl für den Sachfach- als auch den fachbezogenen Sprachunterricht zu ziehen.

2 Spracherwerb als Grundlage europaweiter Mobilität

Im Zuge der steigenden Bedeutung der fremdsprachlichen Verständigungsfähigkeit in beruflichen Kontexten prägte der Europarat für kulturelle Kooperation (CDCC = Council of Europe’s Council for Cultural Cooperation) die Bezeichnung „Vocationally Oriented Language Learning“ (VOLL). Sprachenlernen für berufliche Zwecke soll im weiteren Sinne der europäischen Integration betrachtet und im Einklang mit den für die in den 90er Jahren anvisierten Zielsetzungen der „New Style Workshops“ gesehen werden. Die diesen Workshops zu Grunde liegenden Vorstellungen und Zielsetzungen lassen sich in zwei Punkten zusammenfassen:

1. Der Schwerpunkt soll auf größere Bewusstmachung und Akzeptanz verschiedener kultureller Ausprägungen gesetzt werden.

2. Sprachenlernen soll mehr im beruflichen Kontext angesiedelt werden, um eine europaweite Mobilität zu gewährleisten.

VOLL bezieht sich auf das Lernen von (1) Sprache (language), (2) Fähig- und Fertigkeiten (skills)[1] und (3) Fachinhalten (subject content). Lernen ist hier im beruflichen Kontext der Lernenden zu sehen und auf den langfristigen Spracherwerb ausgerichtet. In der folgenden Abbildung wird das Wesen von VOLL noch einmal dargestellt:

 

Abb. 1:   Essence of VOLL: A symbiosis of learning and teaching (BREWSTER 1995, 2); eigene Darstellung

Kernpunkte des Spracherwerbs “for life and work” (kann als Spracherwerb für Alltag und Beruf verstanden werden) sind von BREWSTER folgendermaßen zusammengefasst worden:

  • Erwerb von Fähig- und Fertigkeiten (skills acquisition)
  • Sicherheit im Gebrauch von Sprache und soziokulturellen Normen (confidence in the use of language and sociocultural norms)
  • Flexibilität im Ausdruck und im Handeln (flexibility of expression and action at its core)
  • Verstehen, wie die eigenen beruflichen Bestrebungen im oben beschriebenen Kontext (Lernen für Beruf und Alltag) gesehen werden können (an understanding how one’s professional pursuits can be seen within the above context (learning for life and work))

Damit ist VOLL wesentlicher Bestandteil ganzheitlicher Qualifizierungsmaßnahmen in der Erwachsenenbildung, um Berufstätige auf die an sie in ihren Unternehmen gestellten Anforderungen im Zuge zunehmender Internationalisierung vorzubereiten. Es ist demzufolge nicht ausreichend, VOLL auf ein Auswendiglernen und Übersetzen von fachsprachlichen Wendungen und Termini zu beschränken, wie es noch häufig in vielen Kursen von VOLL vorgefunden wird (BREWSTER 1995, 2). Ganzheitliche Qualifizierungsmaßnahmen beziehen sich sowohl auf berufliche als auch auf  weitere Maßnahmen, die der Persönlichkeitsentwicklung dienen.

Forschung und Methodik des FFU und im weiteren Sinne von VOLL sind zunehmend lerner- und lernprozessorientiert ausgerichtet. Jede Untersuchung trägt dazu bei, den Lernprozess von Lernenden beim Erwerb der ersten Fremdsprache in der Lernsituation und im täglichen Leben besser nachvollziehen zu können. Im Verstehen dieses Lernprozesses liegt der Schlüssel, Second Language Teaching (SLT) zu modifizieren und zu verbessern (BREWSTER 1995, 5).

Brewster hat einen integrierten Ansatz zu VOLL entwickelt, der die Grundlage bildet, Sprachunterricht in dieser künstlichen Welt „berufliche Schule“ (einschließlich beruflicher Weiterbildungseinrichtungen) möglichst praxisnah zu gestalten – trotz überladener Lehrplananforderungen und des Mangels an Zeit, um Lernende mit den für ihren Beruf benötigten Kompetenzen auszustatten. Darüber hinaus bietet dieser Ansatz Lehrenden und Lernenden Spielräume, um zu kooperieren, um die Motivation zu erhöhen und die Verantwortung zur Schaffung einer förderlichen Lernumgebung zu teilen. Die von ihm postulierten ‘cornerstones’ dieses integrierten Ansatzes werden in der folgenden Abbildung dargestellt und anschließend in ihrem Implikationszusammenhang näher erläutert:

 Initiates file download

Abb. 2:   The Cornerstones of Brewster's Integrated Approach to VOLL (die Autorin in Anlehnung an BREWSTER 1995,125)

In der Reihenfolge der Nummerierung greifen die einzelnen Komponenten dieses Ansatzes ineinander. Wichtige Voraussetzung für den Lernprozess ist die Einstellung zur Fremdsprache. Während des Lernprozesses sollten der Bedarf und die Wünsche aller im Lernprozess Beteiligten berücksichtigt werden, da sie die Basis für die Auswahl der LLM und Methoden darstellen, um die langfristig gesteckten Lernziele zu erreichen. Eine den Lernprozess begleitende Bedarfsanalyse hilft auch, die gesteckten Ziele regelmäßig zu überprüfen und die dazu benötigten Schritte neu zu definieren. Ferner ist das Unterrichten allein keine Garantie für das Lernen der im Unterricht behandelten Inhalte. Vielmehr ist die Übertragung der Verantwortung für den Lernprozess auf die Lernenden entscheidend für das Erreichen des am Ende stehenden Lernziels (learner independence – Lernerautonomie). Letzteres ist unter awareness und acquisition zusammengefasst. Neben den vier Grundfertigkeiten von Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben bezieht Brewster noch eine fünfte Grundfertigkeit mit ein, die des kritischen Denkens. Durch diese Grundfertigkeit soll zunehmend ein Bewusstsein in persönlicher, kultureller, sprachlicher und kommunikativer Hinsicht bei den Lernenden ausgebildet werden. Der Spracherwerb (acquisition) wird im Wesentlichen durch das Zusammenspiel der ersten fünf im Diagramm dargestellten Komponenten bestimmt (BREWSTER 1995, 125).

3 Bedeutung der (Fach-)Sprache als Mittel der Verständigungsfähigkeit

3.1 Fachsystematische Aspekte bei der Strukturierung chemiebezogener Inhalte

Bei der Strukturierung chemiebezogener Inhalte kommen fachsystematische Aspekte zum Tragen, deren Vermittlung unterschiedlich hohe Abstraktionsleistungen erfordert, die nicht nur auf kognitiver Ebene ablaufen, sondern auch verbalisiert werden müssen. Die Fachsprache fungiert dabei als Erkenntnisträger und Kommunikationsinstrument, deren Präzisierung in der Fachkommunikation mit steigendem Fachlichkeitsgrad zunimmt.

 Initiates file download

Abb. 3: Ansatz für die stärker wissensbezogenen didaktischen Strukturierungen (STORZ/ WIRSING 1987, 31); eigene Darstellung

Die Erkenntnisgewinnung über Substanzen, Reaktionen, Materialien und Verfahren wird durch das Aufdecken verschiedener sachlogischer Beziehungen erreicht, denen wiederum kausale und finale Denkweisen zu Grunde liegen. In Abbildung 3 wird der Strukturierungsansatz chemiebezogener Inhalte anschaulich dargestellt, auf dessen Grundlage Ordnungszusammenhänge abgeleitet werden können, die je nach Sichtweise kausale oder finale Denkweisen erfordern.

Demnach fällt adverbialen Nebensätzen als sprachliche Realisierungsform berufstypischer Denkweisen im Berufsfeld Chemie/Physik/Biologie eine besondere Rolle zu. In Anlehnung an Göpferichs (GÖPFERICH 1995, 431 ff.) Textsortenanalysenergebnisse kommen in Mensch/Technik-interaktionsorientierten-Texten (d. h. Anleitungen wie in Versuchsvorschriften, SOPs etc.) adverbiale Nebensätze mit temporaler/konditionaler Funktion besonders häufig vor. Adverbialsätze mit kausaler Funktion sind besonders häufig in fortschrittsorientiert-aktualisierenden Textsorten (d. h. in Versuchsprotokollen, Fachzeitschriftenartikeln, Monographien, Dissertationen) und in theoretisches Wissen vermittelnden Texten (Lehrbüchern) vorzufinden. Die kommunikative Funktion steuert demnach die syntaktische Komplexität und die Nebensatzverteilung in den verschiedenen Textsorten.

Mit Ausnahme der M/T-Texte nimmt die Frequenz der Adverbialsätze auch mit zunehmendem Fachsprachlichkeitsgrad zu; eine Tendenz, die mit der höher werdenden wissenschaftlichen Präzision in Textsorten mit hohem Fach(sprach)lichkeitsgrad begründet werden kann und eine größere syntaktische Komplexität zur Folge hat. Mit zunehmend geforderter Präzision wird auch die logische Beziehung zwischen den Sätzen erforderlich, für die sich Adverbialsätze sehr gut eignen. Aufgrund der besseren Einprägsamkeit ist diese Merkmalsausprägung auch in Lehrbüchern vorzufinden.

Lernende des Berufsfeldes müssen entsprechend geschult werden, Zusammenhänge aus Modellen, Versuchsergebnissen etc. fachgerecht zu verbalisieren. Nur so kann sprachliche Handlungsfähigkeit im Fach gewährleistet werden.

3.2 Notwendigkeit sprachliche Handlungsfähigkeit im Sachfachunterricht zu fördern

Das folgende Beispiel einer Schülerantwort zur Begründung der unterschiedlichen Siedepunkte von Wasserstoff (H2) und Wasser (H2O) soll sprachliche Defizite verdeutlichen, die Lernende bereits in ihrer Muttersprache Deutsch haben.

Wasserstoff ist eine unpolare Atombindung mit Van der Waals-Kräften, welche schwache Wechselwirkungen aufweisen.

Wasser ist eine polare Atombindung mit Dipol-Dipol-Kräften, welche eine stärkere Wechselwirkung als Van der Waals-Kräfte besitzen.“

In beiden Fällen wird der Stoff und Atombindung gleichgesetzt. Die sprachliche Vereinfachung, die die Schülerin hier vornimmt, lässt offen, ob sie in ihrer Vorstellung ein differenzierteres Bild über den Aufbau der beiden Stoffe hat, also das Richtige meint, sich aber nur fachlich nicht korrekt ausdrückt. Die in der vorherigen Aufgabe anzugebenden Strukturformeln hatte sie richtig aufgezeichnet. Das legt die Vermutung nahe, dass sie bei der Bezeichnung „Wechselwirkung“ eher die Anziehungskräfte zwischen den Atomen innerhalb des Moleküls als die Anziehungskräfte zwischen Molekülen der jeweiligen Elementsubstanz meint.

Korrekterweise müssten die beiden Aussagen so lauten:

„Das Wasserstoffmolekül hat eine unpolare Atombindung und ist damit unpolar. Zwischen unpolaren Molekülen wirken Van der Waals-Kräfte, welche schwache zwischenmolekulare Wechselwirkungen sind.

Wasser hat eine polare Atombindung und ist damit polar. Zwischen polaren Molekülen wirken Dipol-Dipol-Kräfte, welche eine stärkere Wechselwirkung als Van der Waals-Kräfte ausüben.“

Tatsache ist, dass Sprache im Sachfachunterricht nicht zusätzlich gefördert, sondern als selbstverständliches Mittel zum Zweck vorausgesetzt wird. Der Schwerpunkt liegt eher auf der didaktischen Aufbereitung der Fachinhalte ungeachtet sprachlicher Besonderheiten, die mit der Verständigung über die Fachinhalte verbunden sein können. Die sprachliche Ebene erhält erst dann einen anderen Stellenwert, wenn die Verständigung über die Fachinhalte in der Fremdsprache erfolgt.

3.3 Ausprägung einer sprachlichen Handlungsfähigkeit durch den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht

Zur Förderung der Verständigungsfähigkeit über Fachinhalte in der Fremdsprache dient zunächst der fachbezogene Fremdsprachenunterricht (FFU), im Rahmen dessen die Lernenden vorbereitet werden, komplexe berufsbezogene Aufgabenstellungen zu bewältigen. Für die Bewältigung solcher komplexen berufsbezogenen Aufgabenstellungen müssen sie im Berufsfeld Chemie/Physik/Biologie Anleitungen verstehen und umsetzen, Versuchsabläufe beschreiben, Versuchsergebnisse auswerten und sich über Fachinhalte und Messmethoden in einer englischsprachigen Umgebung verständigen können. Der dazu benötigte Fachvokabelschatz und die damit verbundenen thematischen Schwerpunkte sind in der Mind Map dargestellt.

 Initiates file download

Abb. 4: Mind Map zu Fachvokabelschatz und den damit verbundenen thematischen Schwerpunkten und Kompetenzen

Vor dem Hintergrund der Fertigkeitstreue, das heißt Fachtexte gezielt nach den zu schulenden sprachlichen Fähig- und Fertigkeiten einzusetzen (BECKER 1974, 59 in BEIER/ MÖHN 1988, 50), bildet die von GÖPFERICH (1995) entwickelte Textsortentypologie zu Textsorten in Naturwissenschaft und Technik eine gute Grundlage, Textsorten dieses Fachgebietes hierarchisch einzuordnen und Schwerpunkte für den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht hinsichtlich textexterner Kriterien (z. B. situativer Rahmen für die Textproduktion) und textinterner Kriterien (z. B. Satzstruktur, Textbezeichnung wie „Forschungsbericht“) abzuleiten.

Die Textsorten des didaktisch-instruktiven Fachtexttyps sind für die Zielgruppe des Berufsfeldes Chemie/Physik/Biologie besonders von Interesse. Aufgrund ihres niedrigeren Fach(sprach)lichkeits- und Abstraktionsgrades und den damit verbundenen niedrigeren sprachlichen Anforderungen sind Fachtextsorten dieses Typs (Anleitungen, Sicherheitsanweisungen) für einen einfachen Einstieg in den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht besonders geeignet. Darüber hinaus sind entsprechend des Bedarfsprofils der Lernenden in der sprachlichen Progression auch Fachtextsorten wie Versuchsprotokolle und Geschäftsbriefe (Anfragen, Angebote und Bestellungen) für die Ausprägung einer sprachlichen Handlungsfähigkeit der Lernenden einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund sollte Lernenden immer der Kommunikationszweck und die Kommunikationssituation der jeweiligen Fachtextsorte verdeutlicht werden, für deren Erfüllung entsprechende Kommunikationsmittel, sprachliche Fähig- und Fertigkeiten, Strukturen, Formen und Funktionen erforderlich sind (vgl. HUTCHINSON/ WATERS 1987, 12). Nur dann wird die Fremdsprache in der realen Kommunikation wie z. B. in dem Laborkurs anwendbar sein.

4 Aspekte zur Gestaltung des Lehr- und Lernprozesses im FFU

Hinsichtlich des aufzuwendenden Zeitumfanges unterscheidet sich der Fremdsprachenunterricht deutlich von herkömmlichen Fortbildungsmaßnahmen (z. B. im Bereich computergestützter Anwendungen), denn einen Lernenden in einer Fremdsprache zu schulen, bedarf der Befähigung im Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben. In der Vermittlung dieser vier Grundfertigkeiten liegt auch die Vielfältigkeit der methodischen Vorgehensweise im Fremdsprachenunterricht begründet, denen Lehrbücher nur in Ansätzen gerecht werden. Inwiefern unterschiedlichste Methoden im FU bzw. FFU zur Anwendung kommen, um den größtmöglichen Lernerfolg zu erzielen, hängt damit in erheblichem Maße vom Lehrenden selbst ab.

Um die für den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht (FFU) gesetzten Zielstellungen zu realisieren, wird auf einige Aspekte zur Gestaltung des Lehr- und Lernprozesses im FU und FFU noch einmal gesondert eingegangen. Oft verfügen Lernende bereits über Grundkenntnisse in der Fremdsprache und müssen auf die berufsbezogenen Erfordernisse vorbereitet werden. Einerseits geht es dabei um die Erweiterung ihres Vokabelschatzes, andererseits um die Vermittlung der sprachlichen Fähig- und Fertigkeiten, die sie für die Fachkommunikation in ihrem Berufsfeld benötigen. Dazu sollten für bestimmte Sprachverwendungssituationen typische Sprachformen (grammatischer Bezug) und die damit verbundene Realisation einer Sprachhandlung entsprechend eingeführt und geübt werden. Die Realisation einer Sprachhandlung, insbesondere in der mündlichen Fachkommunikation, erfordert auch die Schulung der Aussprache. Letztere wird im fortgeschrittenen Sprachunterricht weitestgehend vernachlässigt, obwohl sie beim Spracherwerb im Allgemeinen und in der mündlichen Kommunikation im Besonderen (ob in rezeptiver oder produktiver Hinsicht) eine entscheidende Rolle spielt. Zur Aktivierung des vorhandenen oder auch neu erworbenen Vokabelschatzes gehört nicht nur das richtige Produzieren und Rezipieren der Sprache in schriftlicher Form (Schreiben und Leseverstehen), sondern auch in mündlicher, für die ein geschultes Hörverstehen und eine korrekte Aussprache wichtige Voraussetzung und Bedingung sind. Darüber hinaus liegt in der Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten von Vokabeln in Bezug auf die vier Grundfertigkeiten auch der Erfolg im Aneignungsprozess begründet.

5 Konfrontation mit authentischen Sprachverwendungssituationen

5.1 Schwerpunkte des Laborkurses

Die tatsächliche Anwendung der erworbenen Sprachkenntnisse erfolgt erst in einer authentischen Sprachverwendungssituation. Diese Möglichkeit wurde für unser Berufliches Schulzentrum durch eine Bildungsortkooperation mit dem Institut „School of Chemistry“ der Edinburgh University in Schottland entwickelt. Unsere Auszubildenden nehmen dort an einem 3-tägigen Laborkurs teil.

Im Rahmen des Laborkurses müssen komplexe berufsbezogene Aufgabenstellungen bewältigt, Anleitungen verstanden und umgesetzt, Versuchsabläufe beschrieben, Versuchsergebnisse ausgewertet und Fachinhalte zu theoretischen Grundlagen und Messmethoden kommuniziert werden. Darüber hinaus lernen sie landestypische Umgangsformen und Traditionen kennen.

Der Laborkurs umfasst 5 physikalisch-chemische Experimente. Die Auszubildenden führen unter fachlicher Betreuung in kleinen Gruppen selbständig ihnen unbekannte anspruchsvolle Experimente nach englischsprachigen Anleitungen durch. Unter Anwendung ihrer bereits erworbenen fachlichen und sprachlichen Fertigkeiten nutzen sie verschiedene Möglichkeiten der Bedeutungsaushandlung, um Versuchsablauf und die Deutung der Ergebnisse zu verstehen. Dazu zählen die englische Sprache, Gestik und Veranschaulichungsmöglichkeiten durch Skizzen oder Objekte wie Versuchsanlagen, Materialien, Gerätschaften, grafische Darstellungen der gewonnenen Messdaten sowie Modelle der betrachteten Moleküle und deren Spektren.

Die Versuchsanleitungen sind original dem chemischen Praktikum des 2. und 3. Studienjahres entnommen und enthalten neben theoretischen Grundlagen und der Durchführung Hinweise zur Arbeitssicherheit und Entsorgung der Chemikalien. Die Auszubildenden werden von Promotionsstudenten der Universität Edinburgh bei der Durchführung der jeweiligen Versuche betreut. Da die Studenten teilweise selbst keine Muttersprachler sind, erleben die Auszubildenden auch die reale Situation der Verständigung zwischen zwei Anderssprachigen über die gemeinsame Fremdsprache Englisch. Obwohl Englisch die vorrangige Sprache der Verständigung (lingua franca) ist, wird deutlich, dass auch bei Menschen auf so hohem akademischem Niveau die englische Sprache noch sehr stark von der eigenen Muttersprache geprägt sein kann.

Fachlich gesehen sind die theoretischen Anforderungen der Versuche höher als die Auszubildenden es im Rahmen ihrer Ausbildung erfahren. Sie sind also auf die Hinweise der Assistenten angewiesen bzw. gezwungen zu fragen, wenn sie nicht großen Aufwand betreiben wollen, die Anleitungen allein theoretisch zu durchdringen. Sie sind somit nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich gefordert.

5.2 Stereospezifische Besonderheiten bei der Reduktion der Keto-Gruppe des Benzoins - Anforderungen in fach(sprach)licher und fachpraktischer Hinsicht

An einem der fünf durchgeführten Experimente soll veranschaulicht werden, welche besonderen Anforderungen in fach(sprach)licher und fachpraktischer Hinsicht mit diesem Experiment verbunden waren. Hier ging es darum, die stereospezifischen Besonderheiten bei der Reduktion der Keto-Gruppe des Benzoins unter dem Einfluss benachbarter Hydroxylgruppen zu erfassen.

Es handelt sich um eine Zweistufensynthese. Im ersten Syntheseschritt wird die Ketogruppe des Benzoins reduziert. Zur Kontrolle wird ein IR-Spektrum aufgenommen. Die entscheidenden Banden sind rot eingekreist.

Im zweiten Syntheseschritt werden die Hydroxylgruppen unter Acetalbildung derivatisiert, eine Reaktion, die häufig in Mehrstufensynthesen Anwendung findet, um die Hydroxylgruppen zu schützen. In unserem Fall geht es darum, zu erfassen, ob die Phenylgruppen nach dem letzten Syntheseschritt beide sterisch nach vorne oder entgegengesetzt gerichtet sind. Zur Beantwortung dieser Fragestellung muss vom Produkt ein NMR-Spektrum aufgezeichnet werden.

Neben dem präparativen Arbeiten und den damit verbundenen Arbeitstechniken lernen die Auszubildenden nicht nur die Anwendung zwei entscheidender Analysenmethoden zur Strukturaufklärung, sondern auch deren Anwendungsspezifik kennen. Zur Erfassung funktioneller Gruppen ist die IR-Spektroskopie ausreichend. Geht es um stereospezifische Fragestellung ist die NMR-Spektroskopie erforderlich.

5.3 Anforderungen zur Bewältigung des Experimentes aus der Sicht eines Chemielaboranten

Einzelheiten zur präparativen Umsetzung und zu den eingesetzten Analysenmethoden und den damit verbundenen Anforderungen werden kurz aus der Sicht eines Chemielaboranten erläutert.

Zunächst erhalten die Schüler den Anleitungstext. Der Text ist entsprechend seiner Typologie einer Anleitung in der Befehlsform verfasst. Nur vereinzelt tauchen Sätze auf, die rein informativ sind und Informationen zum Hintergrund und der Bedeutung der Synthese, zu Reaktionsverhalten oder Gefahren liefern. Diese Sätze sind entsprechend im Indikativ geschrieben. Die Makrostruktur des Textes ist einfach gegliedert. Die Anleitungsschritte sind als zusammenhängender Text geschrieben, was optisch das Erfassen der Handlungsanweisung erschwert. Auch sind die beschreibenden Sätze nicht extra abgesetzt. Darüber hinaus müssen grundlegende Arbeitsweisen bekannt sein („Collect the product by suction filtration“). Dagegen sind die Fachbegriffe dem Deutschen ähnlich (stereochemical, ketone, reduction) und damit leicht zu erfassen, sofern sie im Deutschen bekannt sind.

Die fachlichen und sprachlichen Voraussetzungen eines Chemielaboranten sind die Grundlagen, die in der Schule oder in der überbetrieblichen oder betrieblichen Ausbildung erlernt wurden. Dazu gehören Verständnis für Geräteaufbau, Vorgehensweise, physikalische und chemische Hintergründe, Benutzung von Glasgeräten, Umgang mit Sicherheitshinweisen für Chemikalien fachlicherseits und die fachsprachlichen Fähig- und Fertigkeiten aus dem fachbezogenen Englischunterricht.

Besondere Anforderung aus fachtheoretischer und fachpraktischer Sicht bestanden in:

a) der Umsetzung eines 2-Stufenpräparates mit vielen Syntheseschritten

b) dem Umgang mit giftigen und besonders reaktiven Stoffen (Natriumborhydrid, NaBH4)

c) besondere Vorgehensweisen bei der Produktreinigung (Umkristallisation aus Petroleum ohne Aktivkohle)

d) ungewöhnliche Probenvorbereitung für die IR-Spektroskopie (Nujolölsuspension vom Präparat)

e) Auswertung der Spektren

f) Erfahrungsaustausch zwischen den Berufsgruppen (in diesem Experiment ist der Chemielaborant der Experte beim Präparativen Arbeiten)

Durch die Verwendung der Fremdsprache (Englisch) als Mittel zum Zweck (zur Bewältigung der Synthese) ließen sich besondere Effekte hinsichtlich kognitiver Prozesse bei der fachpraktischen Umsetzung beobachten. Die Lernenden denken bewusster über die einzelnen Arbeitsschritte nach, z. B. ob mit „Heat the mixture under reflux“ wirklich „unter Rückfluss“ gemeint ist. Außerdem müssen beim Verstehen und der Umsetzung der Anleitungen, beim Verfassen der Protokolle (Versuchsabläufe beschreiben, Versuchsergebnisse auswerten) und bei der Verständigung über die Fachinhalte und Messmethoden die gelernten sprachlichen Fähig- und Fertigkeiten aus dem fachbezogenen Fremdsprachenunterricht angewandt werden.

6 Schlussbetrachtung

Der Laborkurs kann als innovativ betrachtet werden, weil er zwei Schwerpunkte der beruflichen Ausbildung vereint, die in unserem bisherigen Bildungsbereich nicht angeboten werden konnten.

Einerseits stehen die Auszubildenden fast am Ende ihrer Ausbildung, besitzen also umfassende fachliche Kenntnisse, die sie mit der selbständigen Durchführung der anspruchsvollen Experimente auf neue Kontexte und berufsübergreifend anwenden. Andererseits sind das Verstehen und das Anwenden der Fremdsprache Englisch für sie unverzichtbar, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Der Aufenthalt im Ausland und die Arbeiten an der Universität in Edinburgh mit fremdsprachigen Personen stellen eine besondere Herausforderung für die Auszubildenden dar. Ihnen wird die Bedeutung der Sprache, hier der Fremdsprache, als Grundlage der Verständigungsfähigkeit in besonderem Maße bewusst. Die Teilnahme an dem Laborkurs zeigt ihnen damit, wie gut sie sich zurechtfinden, aber auch wo ihre fachlichen und fachsprachlichen Grenzen liegen.

Nicht nur die sprachlichen und fachlichen Kompetenzen werden in dem Laborkurs gestärkt, sondern auch die sozial-kommunikativen gefördert. Auszubildende verschiedener Berufe (Chemielaborant/-in, Physiklaborant/-in, Biologielaborant/-in, Lacklaborant/-in, Chemikant/-in, Pharmakant/-in) arbeiteten in Gruppen zusammen und unterstützten sich so gegenseitig, was oft Grundlage für die Erfüllung beruflicher Belange ist. Die Gruppenzusammensetzung hatte auch den Vorteil, dass Labor- und Produktionsberufe Verständnis füreinander aufbringen müssen, unterschiedlich gut für die in den Versuchen erforderlichen Fachinhalte ausgebildet zu sein.

Zudem können die Schüler sich unter Einhaltung der Sicherheitsvorschriften ausprobieren, ohne dass ihnen ein arbeitsrechtlicher Nachteil entsteht, sollte ein Experiment nicht gelingen.

Lehrenden bietet sich die Möglichkeit, den schulischen Lernort für einen bestimmten Zeitraum zu verlassen und den Lehr-Lernprozess in eine neue Lernumgebung zu verlagern, in der naturwissenschaftlicher und fremdsprachlicher Unterricht kombiniert sowie die Schüler auch außerhalb des Unterrichts kennengelernt werden können.

Vor dem Hintergrund des „Vocationally Oriented Language Learning“ (VOLL) ist der Laborkurs beispielgebend für ganzheitliche Qualifizierungsmaßnahmen, um Auszubildende auf die an sie in ihrem Unternehmen gestellten Anforderungen im Zuge zunehmender Internationalisierung vorzubereiten.

In diesem Zusammenhang mögen sich Perspektiven zu Zusatzqualifikationen ergeben, die eine horizontale Erweiterung der primär erworbenen beruflichen Qualifikation darstellen (berufsübergreifend- oder spezifisch).

Literatur

BEIER, R./ MÖHN, D. (1988): „Fachsprachlicher Unterricht. Voraussetzungen und Entscheidungen“ in: Die Neueren Sprachen, 87: 1/2, 19-75.

BREWSTER, E. M. (1995): Vocationally Oriented Language Learning: Problems, Possibilities, Perspectives. Wien.

DÜWEL, F. (2003): „Gestaltung chemiebezogenen Englischunterrichts: ein didaktisch-methodischer Ansatz“. In: DRECHSLER, K./ STORZ, P./ WIESNER, G. (Hrsg.): Arbeit – Bildung – Beruf: Berufswissenschaftliche Forschung zur Verbundausbildung für Hochtechnologieberufe (Band 19). Dresden.

GÖPFERICH, S. (1995): Textsorten in Naturwissenschaften und Technik: Pragmatische Typologie – Kontrastierung – Translation. Tübingen.

HOFFMANN, L. (1992): „Fachtextsorten in der Fremdsprachenausbildung“. In: Fachsprache, 2, 141-148.

HUTCHINSON, T./ WATERS, A.: (1987): English for Specific Purposes: A learning-centred approach. Cambridge.

STORZ, P./ WIRSING, G. (Hrsg.) (1987): Unterrichtsmethodik Technische Chemie: Berufstheoretischer Unterricht. Leipzig.


[1]  Hier sind die Fähig- und Fertigkeiten gemeint, die im Prozess des Sprachenlernens mit erworben werden können wie das Arbeiten in Gruppen, das Bewerten von Informationen, das Verstehen von sozialen und technischen Systemen und der Gebrauch von Technik.


Zitieren dieses Beitrages

DÜWEL, F. (2011): Laborkurs Edinburgh - Innovative Wege, Fachsprachlichkeit und fachliches Tiefenverständnis in einer englischsprachigen Umgebung zu fördern. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 07, hrsg. v. NIETHAMMER, M./ WENTZEL, M., 1-14. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft07/duewel_ft07-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/