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Vom Lernfeld zur Unterrichtsplanung:
Erfahrungen aus der Projektarbeit des Teams Göttingen
1.
Das Team Göttingen
Im CULIK-Team Göttingen arbeiten eine Lehrerin und zwei Lehrer der
kaufmännischen Berufsschule in Göttingen (Arnoldi-Schule) mit
Referendaren der Fachrichtung Industrie des Studienseminars Göttingen
für das Lehramt an berufsbildenden Schulen mit dem ausbildenden Fachleiter
für den Schwerpunkt Industrie zusammen. Der Fachleiter unterrichtet
ebenfalls an der Arnoldi-Schule Auszubildende zum Industriekaufmann/zur
Industriekauffrau; er nimmt im Team deshalb eine Doppelrolle ein: Als
Lehrer und gleichzeitig als Fachleiter. Dieses CULIK-Team trifft sich
in regelmäßigen Abständen in den Räumen des Studienseminars
mit dem Ziel, den neuen Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Industriekauffrau/-mann
in die Unterrichtspraxis umzusetzen. Mit den folgenden Ausführungen
beschreiben wir die Herangehensweise und den Arbeitsprozess unseres Teams
von der ersten Analyse des neuen Rahmenlehrplans bis zum Entwurf von Lernmaterialien
für konkrete, aufeinander aufbauende Unterrichtssituationen im Lernfeld
2 und 9.
2. Die Vorgehensweise im CULIK-Team Göttingen
In Abstimmung mit den anderen CULIK-Teams haben wir uns dafür entschieden,
zunächst Lernfeld 2 "Marktorientierte Geschäftsprozesses
eines Industriebetriebes erfassen" zu bearbeiten. Dieses Lernfeld
stellt eine besondere Herausforderung für die Lehrkräfte und
auch für die Referendare dar, weil bisher kaum Erfahrungswissen zur
Umsetzung der Geschäftsprozessorientierung in die konkrete Unterrichtsplanung
vorliegt. Die bisher geltenden niedersächsischen Richtlinien von
1997 hatten zwar bereits ein Lerngebiet, in dem die Geschäftsprozessorientierung
als Kernprozess der Auftragsabwicklung umzusetzen war, das neue Lernfeld
2 ist im Vergleich dazu wesentlich vielschichtiger angelegt. Neu ist auch
der Lernfeldansatz mit seinen im Vergleich zu den alten Richtlinien offeneren
curricularen Vorgaben, die nun von den Lehrkräften eine eigene Gestaltung
des Curriculums auf der Grundlage der Ziel- und Inhaltsvorgaben des Rahmenlehrplans
erfordert.
Der Rahmenlehrplan enthält 12 Lernfelder, die alle eine mehr oder
weniger umfassende Zielformulierung aufweisen. Unterhalb dieser Zielformulierungen
werden einige wenige Inhalte stichpunktartig aufgelistet (www.bwpat.de/ausgabe4/links/1.pdf). Bei der Analyse der Vorgaben zum Lernfeld 2 stellten wir fest, dass
sich aus den Zielformulierungen aufgrund fachlicher Überlegungen
viele Lerninhalte schlüssig und gut begründbar ableiten lassen,
die in dem gegebenen Inhaltskatalog fehlen. Auf der anderen Seite gibt
es Inhalte, die über die Zielformulierungen hinausgehen bzw. mit
den Zielformulierungen in keinem erkennbaren direkten Zusammenhang stehen.
Außer den Mitgliedern der Rahmenlehrplankommission weiß niemand,
warum gerade diese Inhalte dort stehen und warum nicht die anderen möglichen
Inhalte aufgelistet worden sind.
In einer ersten Herangehensweise haben wir im Team Göttingen versucht,
alle Inhalte, die sich aus der Zielformulierung herauslesen lassen, in
einer Kartenabfrage zu sammeln. Unser Ergebnis bestand in einer umfangreichen
Sammlung von Fachbegriffen, denen jeweils ein thematischer Kern zugeordnet
werden kann (www.bwpat.de/ausgabe4/links/2.pdf). Hätten wir nun
im weiteren Vorgehen versucht, diese Inhaltsliste in eine schlüssige
Abfolge zu bringen, um sie dann im Unterricht abzuarbeiten, wäre
als Ergebnis für die Lernenden weder ein prozessorientierter noch
ein systemorientierter Zusammenhang erkennbar geworden. Auch das Einhalten
des Zeitrichtwertes von 60 Unterrichtsstunden für das gesamte Lernfeld
2 wäre unmöglich geworden. Mit dieser Erkenntnis erwies sich
dieser Ansatz sehr schnell als Sackgasse. Deutlich wurde allen Beteiligten
damit aber, wie schwer es ist, von den Zielen zu den Lerninhalten zu gelangen,
mit denen sich die Schülerinnen und Schüler letztlich im Unterricht
auseinandersetzen sollen. Die zentrale Frage bleibt - gerade bei den neuen
lernfeldorientierten Rahmenlehrplänen - nach wie vor zu beantworten:
Was sollen die Schüler lernen? Wenn dem Lehrer in einem Lernfeld
gesagt wird, was die Schülerinnen und Schüler letztendlich können
sollen (= Kompetenzen), dann ist damit noch nicht die Frage beantworten,
an welchen Lerninhalten und in welchen Lernsituationen dieses Können
im Lehr-Lernprozess am besten entwickelt werden kann.
Nachdem die gewählte Vorgehensweise kritisch reflektiert worden war,
entschied sich das Team für eine andere Herangehensweise: Ausgehend
von den einzelnen Zielformulierungen wurden Sequenzen gebildet. Sequenzen
sind einzelne Unterrichtseinheiten von mehreren Stunden, denen jeweils
mehrere Zielformulierungen als Kompetenzbeschreibung zugeordnet werden
können. Jede Sequenz weist aber auch spezifische, vom Lehrerteam
ausgewählte und eingegrenzte Lerninhalte auf, die als geeignet angesehen
werden, genau diese Lernziele zu erreichen.
Lernfeld 2 soll, leitet man aus seiner Überschrift den Anspruch dieses
Lernfeldes ab, dem Auszubildenden einen Überblick über marktorientierte
Geschäftsprozesse des Industriebetriebes ermöglichen. Ein durchgängiges
Kriterium, anhand dessen sich das gesamte Lernfeld strukturieren ließe,
ist allerdings nicht gegeben und das Lernfeld ist auch nicht konsequent
prozessorientiert konzipiert. Dies wird schnell klar, wenn man sich die
Zielformulierungen anschaut, die wir zu Sequenzen gebündelt haben.
Ein Blick auf die ersten beiden Sequenzen soll das verdeutlichen:
Sequenz I: "Auf der Grundlage von vorgegebenen Unternehmensleitbildern
und eigener betrieblicher Anschauung beschreiben sie einzelne ökonomische,
soziale und ökologische Ziele. Sie analysieren den Zusammenhang zwischen
strategischen und operativen Zielen. Dabei berücksichtigen sie mögliche
Zielkonflikte. Sie begründen, dass das Erreichen von Unternehmenszielen
von Marktentwicklungen abhängt."
Sequenz II: "Die Schülerinnen und Schüler erkunden den
Material-, Informations-, Geld- und Wertefluss innerhalb eines Betriebes
ausgehend von Lieferanten und Kunden. Die Schülerinnen und Schüler
analysieren den logistischen Prozess der Kundenauftragsführung und
zeigen Schnittstellen zwischen Kern- und unterstützenden Prozessen
auf. Dabei stellen sie Formen der betrieblichen Aufbauorganisation dar
und beurteilen sie im Hinblick auf die Elemente des Geschäftsprozesses.
Nach dieser Sequenzierung als notwendigen Arbeitsschritt auf dem Weg zu
einer Makrosequenzierung des gesamten Lernfeldes war im nächsten
Schritt zu entscheiden, in welchen Kontext die ausgewählte Lerninhalte
am besten gestellt werden können, um eine praxisnahe, möglichst
authentische und gleichzeitig motivierende Lernsituation zu ermöglichen.
Diese Vorgehensweise, von den Zielformulierungen für das Lernfeld
ausgehend Sequenzen zu bilden und zu einer Makrosequenz des gesamten Lernfeldes
zusammen zu fügen, wurde von uns als ein pragmatischer und realistischer
Weg bewertet, das anstehende Problem der Aufbereitung des Lernfeldes für
die Unterrichtsplanung zu lösen. Für das Team war es eine Art
"Durchbruch" in der Projektarbeit und es machte den Weg frei,
für eine arbeitsteilige und gleichzeitig ziel- und ergebnisorientierte
Curriculumentwicklung, wie sie auch unter den Bedingungen der täglichen
Lehrerarbeit in der Schule gangbar erscheint.
Diese Vorgehensweise zwang das Team zu einer gründlichen Auseinandersetzung
mit den vorgegebenen Zielformulierungen und damit schließlich auch
mit den eigentlichen Intentionen des Lernfeldes als Teil eines Ganzen
sowie seiner Funktion im Gesamtcurriculum aller 12 Lernfelder. Bei dieser
kritischen Reflexion wurde deutlich, dass das Lernfeld 2 keine überzeugende
Strukturierung aufweist und dass bei seiner Formulierung durch die Rahmenlehrplankommission
offenbar kein erkennbar durchgängiges Gestaltungskriterium angewendet
worden ist. Das Lernfeld 2 ist für sich allein betrachtet, kein stimmiges
Ganzes. Es bildet eher ein Konglomerat unterschiedlicher Perspektiven
und Themenbereiche. Die beiden oben dargestellten Sequenzen machen bereits
deutlich, dass unterschiedliche Ebenen und ganz unterschiedliche Sachverhalte
im Unterricht zu behandeln sind. Weder die Zielvorgaben noch die wenigen
Inhaltsangaben im Rahmenlehrplan werden der von der Kommission gewählten
Überschrift für das gesamte Lernfeld 2 gerecht. Das Lernfeld
hat keine klare Struktur, es ist nicht stringent konzipiert. Offensichtlich
sind bei seiner Erstellung ganz unterschiedliche Ideen und Vorschläge
diskutiert worden, die dann schließlich in einem schlecht ausgehandelten
Kompromiss geendet und ihren Niederschlag im Rahmenlehrplan gefunden haben.
Aufgrund dieser Einschätzung hielt es das Team für möglich
und sinnvoll, die einzelnen Sequenzen quasi als Module zu betrachten,
die in einer arbeitsteiligen Vorgehensweise jeweils für sich inhaltlich
zu konzipieren sind. Das führte dazu, Arbeitsgruppen zu bilden, in
denen jeweils Lehrer und Referendare zusammen den Auftrag erhielten, eine
Sequenz für den konkreten Unterricht zu entwerfen und möglichst
genau zu planen. Zum Auftrag gehörte es auch, eine Ausgangssituation
zu modellieren, geeignetes Lernmaterial zu entwickelt und Informationstexte
sowie Arbeitsaufträge für die Schüler zu formulieren.
Gemeinsam wurden zuvor Umsetzungsideen gesammelt, aufeinander abgestimmt
und es erfolgte eine Verständigung auf gemeinsame Standards:
1. Jede
Sequenz soll eindeutig ihre Legitimation anhand der im Rahmenlehrplan
genannten Lernziele nachweisen. Deshalb werden Lernzielformulierung
und die daraus abgeleiteten Inhalte angeführt und offengelegt.
2. Die zu thematisierenden zentralen Inhalte werden als Schlüsselbegriffe
aufgelistet.
3. Die angestrebten Lernziele werden präzise formuliert.
4. Gegebenenfalls sind kritische Anmerkungen zu den Vorgaben des Rahmenlehrplans
darzulegen.
5. Vorbemerkungen für die Hand des Lehrers, die zur Gestaltung
des Unterrichts hilfreich sind, werden angeführt.
6. Die Inhalte werden in problemhaltige Handlungssituationen eingebettet.
7. Die den Handlungssituationen zugeordneten Unterrichtsmaterialien
sowie Lösungshinweise werden dargestellt.
Die arbeitsteilig gewonnenen Ergebnisse wurden in der Gesamtgruppe vorgestellt,
diskutiert, aufeinander abgestimmt und gegebenenfalls überarbeitet
(zu finden sind diese Ergebnisse unter: http://134.100.199.152/pub/bscw.cgi/0/14792
). Die entwickelte Makrostruktur und die inhaltliche Konkretisierung der
einzelnen Sequenzen als Ergebnis der gemeinsamen Arbeit im Team Göttingen
stellte für die Lehrer und Referendare eine gute Vorbereitung ihres
Unterrichts im neuen Lernfeld 2 dar.
Während der praktischen Umsetzung in den verschiedenen Klassen und
an den verschiedenen Ausbildungsschulen (in Göttingen, Northeim und
Osterode) stellte sich dann heraus, dass kein Lehrer und keine Referendar
die gemeinsam entwickelten Unterlagen Eins zu Eins umgesetzt hat. Es erfolgte
immer eine Anpassung an die jeweils vorliegenden Bedingungen der jeweiligen
Klasse. Es wäre auch ein fatales Verständnis der Arbeit im Modellversuch
CULIK zu glauben, dass durch gemeinsame Curriculumentwicklung in einem
Lehrerteam ein standardisierter, uniformer Unterricht zu erwarten wäre.
Was mit Recht erwartet werden kann, ist ein Unterricht, der in den verschiedenen
Klasse ähnlich ist, weil dieselben Kompetenzen angestrebt werden
und deshalb eine Vorgehensweise gewählt wird, die im Effekt zu ähnlichen
Lernergebnissen führen müsste.
Tabelle 1: Vorgehen des Göttinger Teams
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